Ernst Wichert
Endrik Kraupatis
Ernst Wichert

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Nun schritt er auf das Haus zu bis an die Ecke des Strauchzauns, über den der goldgelbe Sonnenglanz nickte. Dort blieb er stehen, rückte ein wenig die Mütze und sagte: »Guten Tag, Ilsze – ich sah dich von weitem und wollte doch fragen, wie es dir geht.«

Sie blickte auf, indem sie den Kopf hob, und zeigte ihm eine Doppelreihe blendend weißer Zähne. »Das ist auch in der Ordnung,« antwortete sie lachend, »daß man seinen Schatz begrüßen kommt – ha, ha, ha! Du weißt ja doch.«

Kraupat hörte das mit sehr gemischten Gefühlen. Er meinte aber, auf den Scherz eingehen zu müssen und sagte nickend: »Na ja – ich weiß.«

Sie fuhr fort, den Kätzchen den Köder auszuwerfen und die frühere Melodie zu singen, für die sie aber die Worte wohl im Augenblick neu erfand:

»Mein Schatz wohnt in einem großen Schloß, Es hat viel hundert blitzende Fensterlein, Übereinander vier Reih'n. Türen und Fenster sind gut verwahrt. Keiner kommt hinaus und hinein. Ach, was hilft dir dein schönes Schloß! Ach, was hilft dir die Fensterschar! Kannst nicht hinaus, liebes Schätzelein, Wenn ich nicht spreche das Zauberwort, Wenn ich nicht spreche das Losungswort, Alle Riegel fliegen ihm auf sogleich: Mein holder Schatz muß bei mir sein.«

Er verstand sie. Es wurde ihm heiß. Sie sah hübsch aus, die schlechte Person, in ihrem weißen Hemde mit den weiten Ärmeln, blau gestickt auf den Achseln und auf den Gliedern um die Hände. Die kurze dunkelblaue Weste war über der vollen Brust nur durch wenige Haken geschlossen. Das ganze Gesicht lachte vergnügt über ihre Schalkheit. Er wollte sich nicht darauf einlassen. »Hast du nichts Besseres zu tun, als mit den Katzen zu spielen?« fragte er wie geärgert.

»Was soll ich sonst tun?« entgegnete sie. »Kann ich den Kartoffeln und Rüben wachsen helfen? Ich mag nicht arbeiten. Es ist langweilig und bringt doch nicht genug zum Leben ein. Den ganzen Tag spinnen oder weben – das ist nichts für mich. Warum soll ich mir den Rücken krumm werden lassen? In Dienst gehen will ich auch nicht – erst recht nicht. In der Freiheit ist's besser. Mit den kleinen Katzen kann ich stundenlang spielen, und sie verlieren die Geduld auch nicht. Man kann sie immerfort zum Narren halten. Sieh nur!«

»Wo kommen sie her?«

»Es ist da vom Hirten her eine Katzenmutter im Hause geblieben. Du weißt ja, die Katzen hängen sich nicht an die Menschen. Man sagt, sie sind undankbar. Aber das ist dummes Zeug. Wofür sollen sie dankbar sein? Die Menschen halten sie doch nur, damit sie ihnen die Mäuse verjagen. Und wenn so eine arme Katzenmutter mehr Junge zur Welt bringt, als der Hausherr braucht, so ersäuft er sie unbarmherzig.«

»Du hast den ganzen Wurf leben lassen?«

»Ja, das sechste ist von selbst gestorben. Ich kann keinem Tier ans Leben. Nicht eine Fliege mag ich totschlagen. Und die kleinen Kätzchen sind so niedlich. Sie schaffen mir die beste Kurzweil. Das ist genug Dank dafür, daß ich sie nicht in den Sack gesteckt und ins Wasser geworfen habe.«

»Aber wovon lebst du denn?« fragte er.

Sie richtete sich auf, strich mit den Fingerspitzen, die sie auf der Zunge ein wenig feuchtete, die losen Haare des Scheitels zurecht und lachte ihn an. »Von Essen und Trinken. Ich leide keine Not. Deine Mutter gibt mir Brot und Speck, und aus dem Brunnen dort schöpf' ich meinen Wein. Deine Mutter hat mir auch Branntwein gegeben, aber ich mag ihn nicht. Ich bin lustig genug auch ohne ihn. Wer wenn ich Besuch habe –« Sie senkte die Augen. »Du sollst auch ein Gläschen bekommen, Müller, wenn du eintreten willst.«

Er schüttelte den Kopf. »Wer besucht dich hier draußen?«

Sie kicherte neckisch. »Ja, das darf ich nicht verraten. Hab' ich's einem verraten, daß du mich besucht hast, Müller? Bis es durchaus zu deinem Glück geschehen sollte nach deiner Mutter Willen.«

Er biß die Lippe. »Wenn sie alle sind wie ich, dann wirst du von deinen Gästen wenig Unterhaltung haben.«

»Aber sie sind nicht alle so. Die andern wollen, daß kein Mensch davon wissen soll, daß sie ins alte Hirtenhaus zum Besuch gehen. Es gefällt ihnen da. Glaube aber nicht, daß man nur so anzuklopfen braucht!«

»Hat dir meine Mutter auch Geld gegeben, Ilsze?«

»Nein, Geld nicht. Aber schöne Kleider, die sie selbst getragen hat als sie noch ein junges Mädchen war. Sie ist aus einer andern Gegend, wie sie mir gesagt hat; da trugen die Mädchen und Frauen sich in ihrer Jugend noch so hübsch. Nachher, als sie deinen Vater geheiratet hatte, hat sie sich mehr städtisch kleiden müssen, um hier nicht aufzufallen, und weil es sich auch so für die Müllerin schicken sollte. Nun hat sie mir alle die schönen Sachen geschenkt: feine Hemden mit künstlicher Stickerei – dies, was du da siehst, ist noch das gröbste – und bunte Röcke, zehn Ellen weit, mit grünrotweißen Bändern, wie man sie nirgends zu kaufen bekommt, und Westen von Seidenzeug und Jacken von Tuch und Zwickelstrümpfe mit den zierlichsten Mustern. Als sie mich zu sich rief, hat sie den Kasten aufgeschlossen und Stück für Stück vorgeholt. Das sollt' alles für mich sein, wenn ich dein Schatz war! Da hab' ich's zugesagt, Müller.«

Er griff in die Tasche, zog eine Handvoll Silbergeld heraus und trat nahe an die Tür, es ihr zu reichen. Sie wich aber zurück und sagte: »Behalt nur dein Geld, Müller. Dafür ist's nicht getan. Aber die Kleider haben mir in die Augen gestochen. Du sollst einmal sehen, wenn ich mich ausgeputzt habe! Morgen ist Sonntag – komm um diese Zeit wieder, dann sollst du deine Freude daran haben.«

»Nimm«, sagte er unfreundlich und hielt ihr das Geld hin. »Ich will meine Schuld berichtigen.«

Ilsze schob lachend seine Hand zurück. »Du möchtest dich loskaufen, aber das geht nicht an. Ich hab's vor allen Leuten gesagt, daß du mein Schatz bist, und du hast nicht widersprochen – daran halt' ich dich fest, wenn mir's darum zu tun ist. Sogar der liebe Gott hat's gehört; das läßt sich nicht zurücknehmen. Du gefällst mir auch ganz gut, Müller. Mußt nur nicht so finster ausschauen, als war' dir die ganze Welt verdrießlich. Du hast's ja doch so gewollt. Komm morgen, dann wollen wir tanzen.«

Sie sprang bis an die Tür vor, faßte ihn rasch um den Hals, gab ihm einen schallenden Kuß und lief fort ins Hans hinein. Er hörte noch eine Weile ihr helles Lachen.

Kraupat begab sich auf den Heimweg. Das Geld hielt er in der geschlossenen Hand. Nein, das geschieht nicht, dachte er, es ist nichts geschehen zwischen uns und soll nichts sein. Die Stelle auf der Backe, die ihr Mund berührt hatte, glühte wie höllisches Feuer. Er wischte sie zehnmal ab, aber die Hitze schlug immer wieder aus. Ein so hübscher roter Mund hatte ihn noch nicht geküßt. Und die munteren Augen! Daraus sprühte nur so die Lust. Bei der vergißt man alles! Aber es geschieht doch nicht – es geschieht nicht.

Er trat bei dem Schreiber ein. Die Eingabe war fertig. Szamaitat las sie vor, aber der Müller hörte nur flüchtig zu. Seine Gedanken waren bei Ilsze. Er sah sie immer vor sich, wie sie auf der Tür lehnte und die Kätzchen hinter dem Garn her springen ließ. »Ist's gut?« fragte der Schreiber. »Es ist gut«, antwortete er. Er nahm die Feder, die jener ihm hinhielt, und setzte seinen Namen unter die Schrift. Das Geld, das er noch in der Hand trug, hatte er auf den Tisch gelegt. Szamaitat strich es ein. »Danke, Endrik. Wir wollen's eins ins andere rechnen.«

Kraupat quartierte sich für die Nacht beim Krüger ein. Es sei ihm in dem kleinen Häuschen zu eng, sagte er; seine Frau habe in der Nacht Hustenanfälle, dabei könne er nicht schlafen. »Wir können ja trotzdem ganz freundlich miteinander stehen. Wenn ich die Mühle wieder aufbaue, sorg' ich für eine bequeme Wohnung. Ich will morgen nach der Stadt zum Baumeister, der soll mir einmal den Plan zu Papier bringen.«

Am andern Tage vormittags fuhr seine Mutter nach der Kirche. Es wäre auf dem Wagen auch Platz für ihre Schwiegertochter und Enkelin gewesen. Aber Frau Berta ging lieber zu Fuß. Sie setzte sich mit Mare auch auf eine andere Stelle.

Der Müller fühlte durchaus kein Bedürfnis nach Gottes Wort. Eine Stärkung hätte er wohl nötig gehabt, aber sie konnte nicht von dort kommen. Er war zerstreut und wollte seine Gedanken nicht auf den Punkt sammeln, bei dem der Pfarrer einsetzen konnte. Gleichwohl überlegte er, daß man den Kirchenbesuch an diesem ersten Sonntage von ihm erwarten werde. Er zwang sich und ging. Es war nicht angenehm, die vielen Augen auf sich gerichtet zu sehen. Natürlich erregte er die allgemeinste Aufmerksamkeit, da seine Freisprechung bekanntgeworden war, ebenso aber auch sein Handel mit Ilsze. Er sang eifrig mit. Während der Predigt hatte er nur immer Furcht, daß der Geistliche auf ihn anspielen werde, aber der Text gab dazu wohl keine rechte Veranlassung. Während des Gebetes kniete er, wie viele Litauer in seiner Nähe. Er atmete auf, als erst wieder die Orgel spielte und das Haus sich leerte. Auf dem Vorplatz wurde er von vielen angesprochen und beglückwünscht. Das war ihm lieb, weil es sich nun von selbst erklärte, daß er nicht neben seiner Frau und Tochter ging.

Gegen Abend sattelte er sich das Pferd, um nach der Stadt zu reiten. Die Landstraße durchschnitt den Weideplan. Die Trift mündete in dieselbe ein, das Hirtenhaus lag freilich in einiger Entfernung, doch sichtbar am Walde. Kraupat hatte sich vorgenommen, vorbeizureiten, und setzte auch wirklich seinen Gaul in raschere Gangart. Aber ob der sich nun an die Weide erinnern oder was ihm sonst in den Sinn kommen mochte, er bog nach der Trift ein und wollte sich auch durch kein Ziehen am Zügel und Einsetzen der Hacken auf die Landstraße zurückbringen lassen. Während Kraupat noch mit dem störrischen Tier beschäftigt war, bemerkte er, daß eine Gestalt an der Ecke des Hirtenhauses vortrat und mit der Hand winkte. Kein Zweifel, Ilsze kam ihm schon entgegen. Sie hier abzuwarten, konnte nicht seine Absicht sein. Die Landstraße wurde freilich am Sonntage wenig befahren und begangen, es war aber doch sehr möglich, daß der Zufall gerade zur unrechten Zeit jemand vorüberführte. Wenn man im Dorf erzählte, er habe sich hier mit Ilsze ein Stelldichein gegeben? Das mußte um jeden Preis vermieden werden. Er ließ also seinem Pferde den Zügel frei.

Ilsze näherte sich singend und im Tanzschritt. Er winkte ihr zu, dort zu bleiben, und lenkte hinter ein dichtes Birkengebüsch ab, das ihn gegen die Landstraße decken konnte. Ilsze tanzte jetzt im Kreise umher, indem sie sich in den Hüften wiegte und die Arme nicht ohne Anmut über dem Kopfe bewegte. Die fünf Kätzchen waren ihr nachgelaufen und schienen anzunehmen, daß der Tanz nur ihnen gelte. Auch die Katzenmutter hatte sich vorgewagt, hielt sich aber in der Ecke des Hauses und miaute erbärmlich. Als Kraupat herankam, sah er, daß Ilsze wirklich ihr Versprechen gehalten und sich mit den geschenkten Sachen ausgeputzt hatte. Ihr Feind hätte ihr's lassen müssen, daß sie sehr gut darin aussah. Sie knixte und warf ihm Kußhände zu. »Was sagst du?« rief sie. »Hat deine Mutter sich meiner zu schämen? Sie ist gewiß einmal ein hübsches Mädchen gewesen, aber besser kann der Anzug sie auch nicht gekleidet haben. Was sagst du?« Sie nahm ihm den Zügel aus der Hand, warf ihn über den Kopf des Pferdes und zog dasselbe nach sich, während sie immer mit hellem Gesang voraustanzte.

»Du bist eine Hexe«, sagte er. »Bei Mondschein könnte man sich vor dir grauen.«

»Aber noch ist die Sonne nicht unter«, antwortete sie und fügte ihrem Liede sogleich den Vers ein:

»Lange dauert's, lange,
Bis untergeht die Sonne,
Bis mein Schatz kommt.
Viel zu früh, viel zu früh
Wird sie wieder aufgehn,
Wenn er scheidet.«

»Laß den Zaum los!« befahl er.

»Weshalb?«

»Weil ich nun von deinen Torheiten genug habe.«

»Sage mir erst, wie ich dir gefalle.«

»Zum Teufel, gar zu gut.«

»Schickst du mich zum Teufel, so mußt du mitkommen.«

»Ich will nicht.«

»Es hilft dir nichts, Endrik.«

»Ich will nicht«, wiederholte er heftig, sprang ab und suchte den Zügel zu haschen.

Aber Ilsze war geschwinder. Sie warf den Riemen über den Pferdehals, griff in die Kammhaare und schwang sich behend auf der andern Seite auf. Sie ritt wie ein Junge, und es genierte sie gar nicht, daß die Röcke hoch über die Waden aufgezogen wurden. Mit juchzenden Lauten feuerte sie den Gaul an, bis er im schnellsten Lauf mit ihr über die Heide jagte, in großen Sprüngen über die Steine und Heidekrautkampen hinweg. Sie ritt dreimal um das Haus und sprang dann am Giebel vor der Tür ab. Nun mußte er wohl folgen.

»Du reitest wild«, bemerkte er.

»Wild oder gar nicht,« antwortete sie, »im Schritt mag ich nicht einmal gern gehen.«

»Wo hast du's gelernt?«

»Ah! – Bei meinem Vater und Bruder an der Grenze. Ich bin oft mit den Schmugglern geritten. Mein Vater ist von den Russen erschossen, meinem Bruder haben sie eine Kugel ins Bein gegeben, daß er lahmt.«

»Ist er noch Wirt?«

»Nein – er hat seinen Hof vertrunken.«

Sie schnallte den Kehlriemen auf und zog dem Gaul das Zaumzeug über die Ohren. »Es ist Sonntag. Laß ihn ein Weilchen grasen.«

»Ich muß nach der Stadt.«

»Ach! Es hat Zeit.«

»Hexe!«

»Wollen wir tanzen? Im Scheunenraum ist die Tenne noch ziemlich glatt.«

Sie faßte seine Hand und zog ihn lachend ins Haus. Die Tür wurde von innen zugeklinkt.

Der Gaul graste vergnüglich bis in die Nacht hinein. Erst als der Morgen heraufdämmerte, ritt Endrik Kraupat auf der Landstraße weiter. Er hatte den Rockkragen aufgeschlagen und den Schirm der Mütze herabgezogen. Mit krummem Rücken saß er im Sattel, beide Hände auf den Knopf gestützt. Das Pferd mochte gehen, wie es wollte.


Er blieb ein paar Tage in der Stadt. Bei der Agentur sagte man ihm, es müsse erst an die Generalagentur berichtet werden. Er wollte die Antwort abwarten: dann dauerte es ihm doch zu lange. Er kehrte nach Kraupatischken zurück, ließ sich von Szamaitat noch ein Schreiben an die Direktion der Gesellschaft aufsetzen, in dem er sie für jede Verzögerung des Baues verantwortlich machte, ritt wieder fort, um es selbst dem Agenten abzugeben, konnte am Hirtenhause nicht vorüber und kämpfte diesmal sehr schnell alle Gewissensbedenken nieder. Seine Frau hatte ihn wieder, noch dazu in Gegenwart seiner Mutter, verächtlich behandelt. »Sie soll wenigstens Grund zu ihrer Feindschaft haben, wenn sie's durchaus so will«, so redete er sich zu.

Als er drei Tage später wieder ins Dorf zurückkam, sah er vor der Mühle ein Fuhrwerk stehen. Ein Knecht saß auf dem vorderen Sitz und hielt die Leine in der Hand. An der Ecke des Hauses hatten sich viele Leute aufgestellt, die neugierig nach dem kleinen Anbau ausschauten, dessen Tür offen stand. Kraupat glaubte innen den grünen Rock des Gendarmen zu bemerken, auch dessen Säbel klappern zu hören. Nun erkannte er auch seine Stimme: »Spute dich. Es hilft nichts, du mußt mit.« Gleich darauf wurde der alte Ensikat sichtbar. Krause hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und schob ihn vor sich her, die Tür hinaus, dem Fuhrwerk zu. »Ich kann allein gehen, Herr Gendarm,« sagte der Alte, »und ich fürchte mich vor dem Gericht nicht. Was will man von mir?«

»Ich habe dir den Haftbefehl vorgelesen«, entgegnete der Gendarm.

»Aber es ist alles gelogen. Ich soll das Feuer angelegt haben – ich soll einen falschen Eid geleistet haben –?«

»Es wird sich finden. Mache keinen Lärm!«

Das Fenster wurde aufgerissen. Frau Berta Kraupat lehnte sich hinaus und streckte mit einer hastigen Bewegung die Hand vor, als ob sie den Gendarm zurückhalten wollte; die Augen waren weit geöffnet und stier, der Mund verzogen, wie wenn eine furchtbare Angst sie peinigte. »Was tun Sie, Herr Krause?« rief sie hinab. »Er ist unschuldig.«

Ensikat blickte zu ihr auf. »Unschuldig?«

»Unschuldig, so wahr Gott lebt!«

Der Gendarm blieb bei seinem »Es wird sich ja finden«. Um aber der Müllerin eine Höflichkeit zu erweisen, setzte er hinzu: »Ich habe meine Order und führe sie pünktlich aus; das Weitere geht mich nichts an.«

»Aber es ist nichtswürdig,« schrie sie mit aller Kraft ihrer Lunge, »einen unschuldigen Menschen ins Gefängnis zu schleppen! Ist denn keine Gerechtigkeit mehr auf Erden? Ist denn die Justiz stockblind? Laßt es nicht zu, ihr Leute – er ist unschuldig!«

Der Gendarm drohte zum Fenster hinauf. »Macht das Volk nicht aufrührerisch, Frau, sonst könnt's Euch selbst schlecht bekommen. Was lärmt Ihr soviel um den? Ob er schuldig oder unschuldig ist, weiß noch kein Mensch; das Gericht wird sprechen. Ihr solltet aber nicht vergessen, daß Euer eigener Mann unschuldig eine schwere Strafe verbüßt hat. Es geschieht denen, die ihn dazu gebracht haben, ganz recht, wenn sie ins Gebet genommen werden.«

Er sagte das offenbar zugleich zur Beruhigung der umstehenden Leute. Die Frau aber schlug die Hände über dem Kopf zusammen und lamentierte: »Gott, mein Gott, verlaß den armen Menschen nicht! Was legst du mir auf! Mein Mund ist geschlossen! Hilf, Gott!«

»Sie ist verrückt geworden«, murmelte man unter den Zuschauern. »Daß der Mann ihr untreu geworden ist, hat sie um den Verstand gebracht. Ganz gesund war sie schon immer nicht.«

Indessen stieg Ensikat mit Hilfe des Beamten auf den Wagen. Von dort fiel sein Blick auf den Müller, der an den nächsten Baum gelehnt stand, als ob er sich stützen müsse. »Das hast du mir eingebrockt,« krächzte er mit heiserer Stimme, »du – du! Aber ich sage, du lügst – du hast meineidige Zeugen gehabt – du –«

Jetzt erkannte auch die Müllerin ihren Mann. »Heinrich,« rief sie ihm in furchtbarer Seelenangst zu, »laß es nicht geschehen – nur das nicht! Bezeug' es ihm, daß er unschuldig ist! Wenn du Gott fürchtest, bezeuge es ihm! Herr Krause, hören Sie meinen Mann!«

Der Gendarm war zu Ensikat eingestiegen und drückte den Alten auf den Strohsitz nieder, da er die Hand aufhob und fortwährend schrie: »Ich schwöre es, daß ich die reine Wahrheit gesagt habe – ich schwöre es –«

»Fahr' zu, Jurgis!«

Das Fuhrwerk setzte sich in Bewegung. Man hörte bald nur noch die Peitsche knallen.

Kraupat stand noch immer am Baum. Er war kreidebleich. Ihm schlotterten die Knie. Man meinte, es geschehe aus Ärger über seine Frau, und redete ihm zu, hineinzugehen, um sie zu beruhigen, damit sie nicht noch größeren Skandal mache. »Ja, die Weiber! Bei dem Punkt verstehen sie keinen Spaß.«

Er suchte sich zu fassen, dankte grinsend und schritt auf das Häuschen zu. »So geht's nicht weiter«, murmelte er in sich hinein. Auf der Platte über den Stufen stand seine Mutter, die hinausgetreten war, um die Abführung Ensikats mit anzusehen. »Da haben sie nun den richtigen Brandstifter«, sagte sie. »Es kommt alles einmal zutage.«

Er faßte ihren Arm und zog sie hinein. »Komm mit, Mutter,« rief er ihr zu, »du sollst dabei sein, wenn ich ein ernstes Wort mit ihr rede.«

»Mit deiner Frau?«

»Ja.«

»Laß mich. Sie leidet mich nicht bei sich, die Hochmütige.« »Sie soll dich wohl leiden, wenn ich dich einführe.«

Er stieß die Stubentür auf und platzte hinein. Mare war nicht zu Hause. Das gab ihm noch mehr Mut. »Bist du denn ganz unsinnig geworden, Weib,« schrie er, »daß du so verrückte Geschichten machst? Was soll man davon denken? Ich habe dich hier wohnen lassen. Wenn du's aber so treibst, daß ich mich deiner schämen muß –«

Berta sah ihn mit einem Blick von oben an, der ihn verstummen machte. »Du dich meiner schämen – ?«

»Ich sage – wenn du's so treibst –« stotterte er, »zwingst du mich, dir die Fenster zu vernageln oder die Tür zu zeigen – zwingst du mich.«

Er ging indessen nach dem Fenster und schloß dasselbe. Die Müllerin schien gar nicht weiter auf ihn zu achten, sondern wandte sich der alten Frau zu und fragte scharf: »Was willst du? Hab' ich dir nicht verboten, mein Zimmer zu betreten?«

»Du hast hier nichts zu verbieten«, schrie Kraupat sie an. »Meine Mutter kann eintreten, wo sie will, und wenn ich sie mitbringe, soll niemand sie hinausweisen – auch meine Frau nicht.«

»So werde ich gehen«, antwortete sie und machte ein paar Schritte nach der Tür.

Er vertrat ihr den Weg. »Du bleibst. Ich habe mit dir zu reden und meine Mutter soll Zeugin sein.«

Frau Berta hob drohend den Finger: »Daß dich's nur nicht gereut!«

»Was soll mich gereuen? Es geht so nicht weiter. Wir müssen ein Ende machen.«

»Was heißt das?«

»Das heißt, wir müssen uns scheiden lassen.«

»Klage doch gegen mich.«

»Ich? Weshalb soll ich klagen? Ich habe keinen richtigen Grund.«

»Was willst du also?«

»Du aber –«

»Das geht dich nichts an.«

»Das geht mich viel an. Ich kann so nicht mit dir leben. Du mußt klagen.«

»Ich muß?«

»Du hast guten Grund.«

»Aber ich hab' dir's schon einmal gesagt: ich will mir die Schande vor Gericht nicht machen. Wir sind geschieden.«

»Und ich soll mit der Ilsze gehen? Das macht dir noch mehr Schande, wenn du nicht klagst.«

»Mir –?«

»Leg's nicht so auf die Wage. Ich bin nun einmal in ihrer Macht.«

»Weshalb bist du's? Soll ich das wirklich in deiner Mutter Gegenwart sagen? Weil's nicht wahr ist, was sie vor Gericht ausgesagt hat.«

»Berta –!«

»Weil sie einen falschen Eid geleistet hat.«

Die alte Kraupatene warf ihr einen giftigen Blick zu. »Das ist unverschämt.«

»Schweige du«, rief die Müllerin, »auf deine Anstiftung ist's geschehen.«

Die Alte wurde ganz blau im Gesicht. »So – so –« zischelte sie, »weißt du das, mein Schäfchen, weißt du das?«

Kraupat sah nicht von der Erde auf, knurrte aber ärgerlich:

»Du wagst, meine Mutter zu beschuldigen?«

»Du willst ja, daß sie Zeugin zwischen uns sein soll«, antwortete die Müllerin verbissen. »Mag sie's denn wissen, weshalb ich sie verachte.«

»Höre, mein Täubchen,« höhnte die Kraupatene, dicht an sie herantretend, »wenn du recht hättest, wie stünd's dann? Endrik ist unschuldig ins Zuchthaus gebracht. Seine eigene Frau hat nicht den kleinen Finger gerührt, ich aber, seine Mutter, hab' ihn befreit! Wenn du recht hättest, mein Täubchen –«

Die Müllerin atmete aus schwerer Brust, keuchend und gegen einen Hustenanfall kämpfend. »So wisse denn,« sagte sie, »was ich solange verschwiegen habe, was ich gemeint hatte, in mein Grab mitnehmen zu können: er hat doch die Mühle angesteckt.«

»Wer?«

»Dieser hier.«

»Du lügst.«

»Mag er selbst mir's ins Gesicht sagen, daß ich lüge, wenn er kann.« Sie wandte sich gegen ihn. »Es ist nicht wahr, daß du in jener Nacht außer dem Hause gewesen bist. Du meintest, ich schliefe, aber ich schlief nicht. Ich habe dich aufstehen und die kleine Laterne anstecken gesehen. Und dann hast du aus einem Versteck hinter dem Ofen Lappen und Werg genommen, aus der Kanne Petroleum daraufgegossen, vom Kaminsims die Zündhölzchen in die Tasche gesteckt, die Schuhe ausgezogen und die Laterne wieder ausgelöscht. Darauf hab' ich dich hinausgehen gehört. Ich wunderte mich, aber ich dachte, es sei etwas an den Werken zu tun. Nach einer Viertelstunde bist du wiedergekommen und hast dich zu Bett gelegt. Aber es litt dich nicht lange. Du bist wieder aufgestanden, hast dich fertig angezogen und bist fortgegangen. Nun schlief ich ein. Ich kann nicht lange geschlafen haben – der Feuerlärm weckte mich. Nun sage – daß ich lüge – nun klage mich der Herzlosigkeit an, daß ich dich nicht aus dem Zuchthaus befreit habe, wie deine Mutter – nun verlange, daß ich mich dieses Ehebruchs wegen scheiden lasse – nun wirf mir vor, daß ich in Ängsten aufschreie, wenn ein Unschuldiger ins Gefängnis geschleppt und vielleicht verurteilt wird. Heinrich, Heinrich! Deine Sünde nährt sich von ihrem eigenen Fleisch und wächst höher und höher jeden Tag. Sie wächst dir riesenhoch über den Kopf.«

In diesem Augenblick stieß Erdme Kraupat einen gellenden Schrei aus. Sie hatte nur auf ihren Sohn gesehen, und erwartete, daß er seiner Frau ins Gesicht sagen werde, sie habe geträumt. Aber ihre Worte bewältigten ihn so vollkommen, daß er keinen Laut vorbrachte, sondern nur mit entsetzten Augen zu ihr hinstarrte, kreidebleich wurde und am ganzen Leibe zu zittern anfing. Es schien, als ob er die Hand aufheben wollte, aber den Arm wieder sinken lassen müßte. Er schob schwerfällig den Fuß vor, um sich besser zu stützen, sein Oberkörper kam ins Schwanken – und jetzt knickten seine Knie ein, er fiel hintenüber und lag ohnmächtig auf der Diele, die Arme, mit denen er im Fall ausgreifen wollte, weit fortgestreckt.

Die alte Frau brach neben ihm zusammen. Sie hob seinen Kopf auf ihren Arm und schrie ihm ins Ohr: »Es ist nicht wahr – es kann nicht wahr sein – um Gottes Barmherzigkeit willen, es kann nicht wahr sein.« Diese Reden setzte sie fort, als er wieder zu sich kam. »Sage ihr, daß es nicht wahr ist – daß sie geträumt hat. Wenn du schuldig bist, Endrik, bin ich verdammt. Sage ihr –«

Er deckte die Hand über die Augen und schwieg.

»Es ist wahr,« schrie sie auf, »Gottes Barmherzigkeit, es ist wahr!« Jammernd und die Hände ringend verließ sie das Zimmer. Es herrschte nun in demselben einige Minuten lang tiefes Schweigen. Dann sagte Frau Berta: »Du weißt jetzt alles, Heinrich. Wie kann ich noch zu dir? Aber um deiner Kinder willen, geh in dich! Sorge dafür, daß der alte Ensikat, der deinem Vater und Großvater treu gedient hat, sogleich loskommt – nimm das Sündengeld von der Versicherungsgesellschaft nicht an, hilf dir durch Arbeit und Sparsamkeit wieder auf – das Geld hat dich zu der schlechten Tat verlockt; weil du beim Verkauf der alten Mühle zum Abbruch soviel nicht herausbekommen konntest, hast du sie angesteckt – jetzt gehört dir noch der Platz und das Land; damit kannst du dir aufhelfen – ich bitte dich, nimm das Sündengeld nicht, es bringt dich vollends ins Verderben –«

»Zu spät – zu spät,« ächzte er, »ich bin so weit und muß weiter – von der Ilsze, die für mich einen Meineid geleistet, komm' ich nicht mehr los.«

Mit schweren Schritten schleppte er sich zur Tür hinaus. Er verließ das Haus mit dem furchtbar drückenden Gefühl, jetzt für immer ausgeschlossen zu sein. Auch seine Mutter hatte er verloren, und mehr noch: er hatte ihr Gewissen unheilbar belastet, den Rest ihrer Lebensfreude getötet.

Von diesem Tage ab war Kraupat selten noch ganz nüchtern. Er behielt das Zimmer im Kruge bei, war aber selten dort anzutreffen. Meist trieb er sich auf der Landstraße zwischen Kraupatischken und der Stadt reitend oder fahrend umher. Die Nächte brachte er im Hirtenhause zu. Er hatte versucht, sich von Ilsze loszureißen; es war ihm nicht gelungen. »Was denkst du?« hatte sie ihm gesagt. »Ich habe beschworen, daß du mein Schatz bist, und das muß Wahrheit sein. Damals war mein Eid falsch, und Gott wird mich schwer bestrafen, weil ich ihn zum Zeugen angerufen habe – dem entgeh' ich nicht. Aber dafür will ich hier auf Erden meinen Entgelt haben. Viel werde ich für dich leiden müssen, Endrik, aber dafür sollst du mir jetzt Gutes tun. Glaube auch nicht, daß ich für einen andern so willig falsch geschworen hätte. Ich hatte lange ein Auge auf dich. So gut zu Pferde saß keiner als du, und so stramm hielt sich keiner beim Gehen, auch der Gendarm nicht, und so stolz blickte keiner um sich. Der wär' ein Mann für dich, dacht' ich oft, für den könntest du wohl eine Sünde auf dich nehmen. Und das hab' ich dann auch leichten Herzens getan. Aber Sünde bleibt doch Sünde, und wer sie begangen hat, geht nicht frei aus. Mag sein! Nur ihre Frucht will ich mir nicht vom Munde wegnehmen lassen. Und sie soll süß sein – Bitterkeit kommt genug hintennach.«

»Sünde bleibt Sünde,« hatte er nachgesprochen, »aber wer nicht dumm ist, bringt die Frucht ein. Um nichts und wieder nichts verdammt zu sein – das ist Albernheit.«

Er dachte dabei an die Versicherungsgelder und betrieb nun um so eifriger deren Einziehung. Er nahm den buckligen Schreiber auf seinem Wagen mit nach der Stadt, da wegen einer Hypothek Schwierigkeiten gemacht wurden. Endlich einigte man sich dahin, daß der Betrag derselben vorläufig zurückzubehalten und zu hinterlegen wäre. Die freie Restsumme wurde an Kraupat ausgezahlt. An diesem Tage trank er mit seinem treuen Helfer Champagner. »Das ist nur der Anfang, Brüderchen«, renommierte Szamaitat. »Soviel kommt dir von Rechts wegen für die Mühle zu. Aber dein Arbeitsverlust – die Verschlechterung der Geschäftsstelle durch Abgang vieler Kunden – und was du im Zuchthause ausgehalten hast! Das muß alles ersetzt werden, vom Staat ersetzt werden. Ich will der Regierung da schon ein Licht aufstecken! Wir gehen durch alle Instanzen. Wir wenden uns, wenn das nichts hilft, an das Abgeordnetenhaus und an das Herrenhaus. Was? Soll ein Staatsbürger der Gesetze wegen unschuldig leiden? Wir machen die Geheimen Räte, die oben am Staatssäckel sitzen, mürbe, bis sie tief hineingreifen. Laß mich nur schreiben!«

Der Müller goß sein Glas herunter und antwortete nichts. Aber er legte ihm einen Hundertmarkschein hin und nickte ihm zu.

»Schön Dank, Brüderchen«, sagte Szamaitat. »Wir rechnen zuletzt ordentlich ab.«

Kraupat überließ an der Stelle, wo die Trift auf die Landstraße mündete, dem Schreiber das Fuhrwerk und ging nach dem Hirtenhause. Sein Schritt war schwankend, aber er hielt sich auf den Beinen. Trotz der Dunkelheit fand er ohne Mühe den Weg. Aus dem kleinen Fenster der abgewandten Giebelseite leuchtete ihm, als er um die Ecke gebogen war, ein matter Lichtschein entgegen. Er trat heran, lehnte die Stirn an die Scheibe und sah hinein. Auf einem niedrigen Schemel saß Ilsze vor dem Kasten, der sonst als Bank diente. In einem Flaschenhälse steckte ein Stümpfchen Licht. Sie hatte alte, schmutzige Karten in der Hand und legte damit eine Figur. Die Tür war unverschlossen. Er trat polternd ein und schreckte sie auf. »Was tust du da?« fragte er.

»Ich lege mir nur die Karten«, antwortete sie. »Verstehst du das?«

»Jawohl.«

»Liegen die Karten gut?«

»Sehr gut. Wir sind schon dicht beieinander.«

»Es ist dummes Zeug.«

»Wer weiß?« Sie hob eine Karte ab und legte sie in eine Lücke der Figur. »Das ist das Geld. Es kommt ganz in deine Nähe.«

Er grinste. »Das Geld –! Aha! Das kann stimmen. Das Geld hab' ich gerade heute ausgezahlt erhalten.«

»Siehst du! Zeige doch einmal.«

»Was ist daran zu sehen? Papier! Ein Schein wie der andere.«

»Es macht doch Spaß. Wo hast du das Geld?«

»Hier in der Brieftasche.« Er zog sie vor und setzte sich auf den Kasten, mit dem Rücken gegen das Fenster.

Ilsze schob den Schemel dicht an ihn heran und lehnte sich auf seine Knie. Er wickelte die Ledertasche auf und nahm ein Päckchen heraus.

»Ist das viel Geld?« fragte sie.

»Nun – wie man's nimmt. Sechzehntausend Mark –«

»Ach –!«

»Zehntausend in Tausendmarkscheinen, das übrige in Hundertern.«

»Zähle doch einmal.«

»Warum soll ich zählen? Es ist schon gezählt.«

»Du kannst mir doch den Gefallen tun, Endrik.« Sie legte den Arm um seinen Nacken und küßte ihn.

»Meinetwegen denn«, sagte er. »Ich werde auflegen, zähle du selbst.«

Es geschah so. Ilsze paßte auf, daß alle Bildseiten nach oben zu liegen kamen und die Reihen ganz ordentlich Linie hielten. Wo etwas daran fehlte, half sie nach, indem sie zugleich den Kopf wiegte und die Richtung abzirkelte. »Die sind hübsch aufmarschiert«, bemerkte sie, als der letzte Schein seine Stelle hatte.

»Du kannst dir einen davon nehmen«, sagte Kraupat – »welchen du willst.«

Sie lachte. »Auch einen von den großen?« »Ich hab's gesagt: welchen du willst.«

Sie sah zu ihm auf und schüttelte den Kopf. »Das ist nichts für mich, Endrik, du weißt's ja schon: ich nehme kein Geld von dir.«

»Sei nicht närrisch, Kind.«

»Es bleibt dabei. Das Geld bringt uns nur auseinander.«

Er gähnte. »Wie du willst. Ich bin schläfrig. Es war heute ein schwerer Tag. Wir haben viel getrunken.« Er schob die Scheine wieder zusammen und wickelte sie in die Ledertasche.

An der einen Wand war ein Gestell von Brettern angebracht, das ein Bett darstellte. Es lag Stroh darin, ein zerrissenes Laken darüber, oben ein Kopfkissen. Kraupat steckte die Brieftasche unter das Kopfkissen auf der Seite nach der Wand zu. Dann legte er sich schlafen und schnarchte bald laut.

Als er am andern Morgen erwachte, stand Ilsze am Kamin, der sich in dem halbverfallenen Kachelofen befand, und kochte Kaffee. Der kräftige Duft zog ihm um die Nase. »Das wird schmecken«, sagte er, sich reckend. »Mich hungert auch.«

»Es ist Brot und Butter da«, versicherte sie.

Als sie den braunen Trank in zwei irdene Schälchen goß, erhob er sich und setzte sich zu ihr. »Mit dir ist zu leben«, bemerkte er, ihr die Schulter klopfend.

»Das will ich meinen«, antwortete sie schmunzelnd.

»Willst du Brot schneiden?«

»Gib!«

»Die Butter streiche ich darauf.«

Er aß mit großem Behagen. »Wenn ich denke, wie unfreundlich meine Frau gegen mich ist –«

»Verdirb dir nicht den Appetit, Endrik. Es ist so gut, als ob du gar keine Frau hast.«

»Ich habe aber doch eine Frau.« Er seufzte. »Sie weiß, was ich getan habe.«

Ilsze umarmte ihn. »Ich weiß es auch, aber es kümmert mich nicht. Wenn man einem recht von Herzen gut ist –«

»Katze! Du hast's schon mit vielen getrieben.«

»Aber jetzt halt' ich's nur mit dir – solange du mir treu bleibst. Und ich weiß, du bleibst mir treu. Du mußt ja.«

»Wenn meine Frau sich nur von mir scheiden lassen wollte –!«

»Sie ist schlecht. Was hat sie noch von dir? Was will sie von dir? Sie quält dich unnütz. So rachsüchtig könnt' ich nicht sein, Endrik.«


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