Ernst Wichert
Ansas und Grita
Ernst Wichert

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ansas Wanags mußte gestehen, daß die kleine Grita, die er nur als Kind gesehen, ein recht hübsches Mädchen geworden sei, das sich neben der saubersten litauischen Wirtstochter zeigen könne. Die braucht nicht weit in die Zukunft zu rechnen, dachte er; wird schon einen Mann finden, der nach der Ausstattung nicht viel fragt. Abends hörte er sie unter den Birken singen, und die bekannten schwermütigen Lieder waren ihm nie so tief ins Herz gegangen, wie diesmal. Er zündete die lange Pfeife an und setzte sich auf den Stamm eines verkrüppelten Birnbaumes, der hinter seiner Klete stand. Von da konnte er gut in des Nachbars kleinen Bienengarten sehen, in dem das Mädchen sich zu schaffen machte. Es war nicht seine Absicht, mit ihr Verkehr anzuknüpfen, aber bald quälte es ihn doch, zu wissen, was Grita eigentlich vorhabe, und ehe er sich dessen versah, stand er vor dem von den letzten Strahlen der Abendsonne rot angeglühten Zaungeflecht von trockenen Fichtenästen, lehnte sich mit beiden Ellenbogen auf die vorragenden Haltepfähle und blies den blauen Rauch hinüber. Grita tat, als ob sie ihn gar nicht bemerkte und sang weiter, indem sie sich zugleich von Zeit zu Zeit zur Erde bückte und etwas aufnahm.

»Was tust du denn da?« fragte Ansas endlich, ein wenig gereizt durch die Nichtachtung seiner Person; er hatte gemeint, als Wirt das Gespräch nicht anfangen zu dürfen.

»Bist du's?« fragte sie nun, sich umschauend. Sie hatte einen Kranz von allerhand Gräsern, Blättern und Blumen in der Hand, dessen Enden aber noch nicht verbunden waren. Ihr blondes Haar, das über der Stirn glatt gescheitelt war und in langen Zöpfen herabhing, glänzte im Sonnenlicht wie Gold.

Er sagte nun erst »Guten Abend« und nickte ihr freundlich zu.

»Ich singe den Bienen etwas vor«, sagte sie nähertretend, »damit sie mich kennenlernen und das Stechen lassen. Die Bienen sind kluge Tiere, aber sie wollen auch gut behandelt sein; sie merken bald, wer zum Hause gehört.«

»Und für wen ist der hübsche Kranz, Grita?«

»Für mich selbst. Morgen ist Sonntag, da muß etwas Grünes in der Kammer über meinem Bett hängen, wenn ich aufwache.«

»Die Blumen sind nichts wert – komm in mein Gärtchen, da findest du schöne Astern die Menge.«

»Ein andermal, Ansas, wenn du's erlaubst; der Kranz ist schon fertig, wie du siehst. Liebst du die Blumen auch?«

»Die Blumen und die grünen Bäume, man kann nicht genug davon neben seinem Hause haben.«

»Das gefällt mir«, warf sie leicht hin; »es gibt auch so viele schöne Lieder auf die Blumen und auf die grünen Bäume.« Damit fing sie wieder zu singen an, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern. Den Kranz setzte sie auf den Kopf und machte nun mit dem Oberkörper allerhand Biegungen und Schwenkungen nach dem Takt des Liedes. Dann ging dasselbe plötzlich in eine Tanzmelodie über, die einem herumziehenden Leierkasten abgelauscht sein mochte. Sie drehte sich mehrmals trällernd um sich selbst, entfernte sich so mehr und mehr von Ansas, der das ihm bekannte Stück mitzupfeifen anfing, und verschwand hinter den Hopfenstangen an der Stallecke.

Am nächsten Morgen machte Wanags sich zum Kirchgang fertig, wartete aber ruhig in seiner Haustür, bis die Nachbarn vorüberkamen. Es war sonst gar nicht seine Gewohnheit, sich ihnen anzuschließen, sondern er ging am liebsten allein, und sie nahmen's für Vornehmtuerei. Freilich hatte er diesmal auch nur Grita in Gedanken, der er einen Blumenstrauß aus seinem Garten reichen wollte, um ihr zu beweisen, daß er nicht geprahlt habe. Es war ihm recht lieb, sie ihrem Großvater voraus aus dem Nachbarhause treten und ohne Begleitung über die Dorfstraße gehen zu sehen; so konnte er hoffen, mit ihr eine Strecke allein zu bleiben. Weshalb ihn diese Aussicht froh stimmte, hätte er sich selbst nicht zu sagen gewußt, nur daß sie ihm heute in ihrem Sonntagsstaat mit dem schwarzsamtnen Mieder, den weiten auf den Achseln und am Handgelenk gestickten Ärmeln und dem im Winde flatternden Kopftuch noch schmucker erschien, als gestern, wurde ihm bewußt. Sie trug in der einen Hand das Gesangbuch und in der andern ihre Strümpfe und Schuhe, ging hastig vorüber und schien erst auf ihn zu merken, als er ihr nachrief.

Den Blumenstrauß nahm sie freundlich, wennschon ohne besonderen Dank an und schob ihn zwischen die Haken des Mieders. Dann sprachen sie über gleichgültige Dinge, aber der Weg bis zum Marktflecken verkürzte sich ihnen dadurch doch aufs angenehmste. Hinter dem Pfarrhause standen ganze Scharen von Landfrauen und Mädchen, damit beschäftigt, ihre Toilette zu vervollständigen. Hier verließ Grita ihren Begleiter, um ebenfalls Strümpfe und Schuhe anzuziehen. Er ging voran in die Kirche, ohne im Krug anzusprechen, trat in einen der großen Stände neben dem Altargang, zog vorsorglich sein weißes Beinkleid bis über die Knie auf, um es sauber zu erhalten, und verrichtete kniend sein Gebet.

Auf dem Rückwege traf er wieder mit Grita zusammen, ganz zufällig natürlich. Er bat sie, ihn in den Krug zu begleiten, aber sie lehnte es lachend ab. »Was sollen die Leute denken?« sagte sie. »Was sie wollen«, meinte er, aber sie ging vorbei, und er blieb nun an ihrer Seite.

Abends spazierten die jungen Mädchen Arm in Arm unten am Fluß auf und ab und sangen ihre Lieder. Es fanden sich auch junge Burschen ein, die mit ihnen Scherz trieben, und andere lehnten sich über das Geländer der Brücke, schauten hinab und neckten sie. Für Ansas Wanags schickte es sich nicht, darunter zu sein, aber er suchte doch heimlich eine Stelle am hohen Ufer aus, wo das Gebüsch ein Versteck bot, und beobachtete Grita von dort. Er hatte schon nur noch Gedanken für sie, und es kam ihm ganz in Vergessenheit, daß der reiche Wirt Krupat eine Erbtochter habe, um die er eigentlich schon gefreit hatte.

Wenn zwei einander gut sind, bleibt's nicht lange unbemerkt; gewöhnlich wissen die Leute es früher als die Beteiligten selbst. So war denn auch bald Gerede über Ansas und Grita, die einen meinten, das Paar passe gut zusammen, und die andern, es sei für beide eine schlechte Partie, da sie nicht bemittelt genug seien, um von Geld und Gut absehen zu können. Die Urte Karalene fand es gar nicht nach ihrem Geschmack, eine Frau ins Haus zu bekommen, die nicht mit vollen Händen einbrachte. Seit dem letzten Streit holte sie täglich ihren Bedarf an Wasser aus dem Brunnen Petricks und hatte dabei öfters Gelegenheit, mit Grita zusammenzutreffen, die sich allemal gern in ein Gespräch einließ. Dabei war sie immer die Zärtlichkeit selbst und zerfloß in Tränen, wenn sie ihre Leidensgeschichte erzählte. Wer sie hörte, mußte glauben, daß sie die friedfertigste Person von der Welt sei und kein Wasser trüben könne. Natürlich erschien um so schwärzer ihr Widersacher Ansas Wanags, und je aufmerksamer Grita zuhörte, um so eifriger wurde sie in ihren Anklagen. »O mein Kindchen, mein süßes Engelchen«, beschwor sie das Mädchen dann gewöhnlich am Schluß, »hüte dich vor dem! Der ist ein schrecklicher Mensch, mit dem niemand leben kann und der gar kein Gewissen kennt – ein Teufel, wie nur einer auf der Erde herumgeht, um die Frommen zu versuchen. Mich hat er arm und elend gemacht, und am liebsten wär's ihm, wenn ich verhungern möchte. Nicht einmal einen Trunk Wasser gönnt er mir, und ich muß betteln gehen um die liebe Gottesgabe. Um jedes Körnchen Getreide und um jeden Faden Flachs muß ich erst prozessieren, und wenn er mich anredet, so ist's mit Schimpfworten und Drohungen. Wehe der, die einmal seine Frau wird! Er schlägt sie gewiß schon am Tage nach der Hochzeit, und wo sie bei dem Hungerleider etwas zu essen findet, mag sie auch zusehen. Hüte dich vor dem, mein Engelchen; es nimmt gewiß einmal mit ihm ein schlechtes Ende, wenn an Gottes Gerechtigkeit zu glauben ist.« – Grita hörte geduldig zu, aber sie war weit entfernt, ihr aufs Wort zu trauen. Sah sie das alte Weib doch oft genug abends spät betrunken über die Landstraße taumeln und hatte sie Ansas doch selbst einmal sagen hören, daß die Karalene sein Unglück sei. Er war immer so freundlich und gut zu ihr, ob er schon ihre Armut kannte, und seine Wirtschaft konnte ja noch ganz stattlich werden, wenn er erst die Altenteile los wäre. »Es ist ihm ja gar nicht ernst damit«, sagte sie laut, aber im Herzen sprach's anders.

Ansas hatte Anfechtungen anderer Art zu bestehen. Krupat war nicht ohne Bedenken auf den Handel wegen seiner Tochter eingegangen; nun das Abkommen einmal fest war, hörte er ungern von der neuen Liebschaft reden. Er gehörte zu der Sekte der »Frommen« und war sogar selbst einer von deren Aposteln, reiste in der Gegend umher und hielt Betstunden in den Bauernstuben ab. So fehlte es ihm nicht an einem großen Anhang, der seine Freundschaften und Feindschaften teilte, und Wanags konnte sich bald überzeugen, daß man ihm geflissentlich aus dem Wege ging und es selbst vermied, in der Kirche neben ihm Platz zu nehmen. Er kannte recht gut den Grund dieser Zurückhaltung, und zum Überfluß sprach sein Vater, der im Krug Ärgernis hatte, ihn auch ausdrücklich aus; aber das befestigte seine stille Neigung nur noch mehr. Es verging nun kein Abend, an dem er nicht um das Petricksche Gehöft herumstreifte und auf Grita lauerte, wenn sie die Kuh von der Uferweide abholte oder Wasser aus dem Brunnen schöpfte. Konnte er nur ein Wörtchen mit ihr wechseln, so war er schon froh. Eines Tages, als er auf sein Feld ging, kam ihm Herr Geelhaar entgegengeritten und sprach ihn an. »Wird's bald Hochzeit geben?« fragte er. »Weshalb meinst du?« wich der Litauer aus. – »Nun, es ist so die Rede davon«, antwortete der Gutsherr, »und man hat doch auch Augen.« –»Ich habe ja noch von niemandem ein Hochzeitsgeschenk verlangt«, sagte Wanags, mürrisch seinen Weg fortsetzend. Geelhaar wandte sein Pferd zur Seite und folgte ihm einige Schritte. »Die Grita ist ein hübsches Mädchen«, plauderte er, »aber damit ist's nicht getan. Du brauchst eine Frau, die etwas einbringt, Ansas, und wenn ich dir als guter Freund und Nachbar raten soll –« – »Ich bin mündig, Herr«, fiel der Bauer knurrig ein und ging aufs Feld hinüber. Geelhaar zuckte die Achseln und trabte weiter.

Wenn der's nicht will, dachte Ansas, so muß es erst recht geschehen. Es war an einem Sonnabend, und er wußte, daß Grita ihn nicht vorübergehen ließ, ohne einen frischen Kranz zu flechten. Sie hatte bereits mehrmals von seiner Erlaubnis Gebrauch gemacht, aus seinem Gärtchen Blumen zu pflücken, aber es war heimlich geschehen, vielleicht in später Nacht oder ganz früh am Morgen, denn abends hatte er immer vergebens auf sie gewartet. Nun nahm er sich vor, ihr aufzupassen, und wenn er die ganze Nacht unter freiem Himmel zubringen müßte. Die Sache zwischen ihm und ihr sollte einmal ins reine kommen. Er versteckte sich also, als es dunkel geworden war, hinter dem Brunnen und merkte auf. Nach einer Stunde etwa knurrte der Hund, der sich neben ihm gelagert hatte, sprang mit einem eiligen Satz über den Zaun und lief auf das Feld hinaus. Dort beruhigte sich das sonst recht bissige Tier aber sogleich, und bald wurden auch schmeichelnde Worte vernehmbar. Nach wenigen Minuten sah er Grita über das Trittbrett steigen und hinter der Klete herum nach dem Garten schleichen. Leise folgte er ihr nun, trat hinter sie, als sie sich eben zur Erde bückte, umfaßte sie und rief: »Habe ich dich endlich eingefangen?« Sie richtete sich erschreckt auf, sagte aber ganz ruhig, als sie ihn erkannte: »Du hast's ja erlaubt.« – »Freilich hab' ich's erlaubt«, bestätigte er und zog sie fester an sich, »und es ist mir auch lieb, daß du kommst.« – »Aber es ist nicht gut, daß du mir auflauerst, als ob ich etwas Unrechtes tue«, schmollte sie und versuchte sich loszumachen. »Wie soll ich dich denn sonst finden?« lachte er, nach ihrer Hand greifend. »Geh hinein«, bat sie, immer mit ihm ringend, »oder ich laufe davon.« – »Nicht eher, bis du mir gesagt hast, daß du mir gut bist«, flüsterte er, zog sie kräftig an sich und legte seinen freien Arm über ihre Brust, so daß sie sich nicht bewegen konnte. – »Laß mich los und ich will dir's sagen.« – »Nein, du springst mir fort.« – »Dann hast du ja die beste Antwort.« – »Aber die gefällt mir nicht. Grita, sei gut – ich kann nicht leben ohne dich.« – »Ist das wahr?« – »So wahr Gott im Himmel lebt und weiß, was ich sage.« Sie widerstrebte nun nicht mehr, sondern lehnte sich an ihn, ließ es auch geschehen, daß er sie küßte. »Ich bin aber ein armes Mädchen«, sagte sie. »Ich habe auch nicht viel«, meinte er, »und wenn du meine Frau bist, gehört dir's mit. Mit einer Frau wirtschaftet sich's besser. Komm, laß uns das besprechen.« Er führte sie nach der Mauer hin, wo unter dichtem Fliedergebüsch ein niedriger Bretterstapel lag, der als Bank dienen konnte. Der Hund streckte sich zu ihren Füßen auf die Erde hin. Außer ihm war kein lebendes Wesen weit und breit zu bemerken, aber auf dem Sandberge jenseits des Flusses drehte die Mühle langsam ihre Flügel im kühlen Nachtwind, und seitwärts links über dem breiten Kirchdach stieg der Vollmond auf.

Seitdem waren Ansas und Grita ein Paar. Sie gingen nun Hand in Hand über die Landstraße nach der Kirche und trafen sich jeden Abend unter den Birken am Fluß. Meist war von der Hochzeit unter ihnen die Rede, und sie meinten, sie bald nach Martini feiern zu können, wenn die Ernte gut eingebracht worden war. »Die alte Hexe wird wohl wieder das meiste und beste für sich fordern«, sagte er, »aber ich will ihr schon das Leben schwer machen; und wenn sie so zäh ist wie eine giftige Kröte, sie soll sich in kurzem zu Tode ärgern. Dazu mußt du mithelfen, denn solange die bei uns haust, haben wir doch nur das Hungerbrot.«

Es ging nicht, wie er hoffte. Als er seinen Prozeß noch im besten Gange glaubte, war er schon verloren, und nun kamen wieder die langen Rechnungen der Gerichtskasse und der beiden Rechtsanwälte, und da er nicht zahlen konnte, rückten die Exekutoren ein und legten Hand an sein Eigentum. Die Karalene geduldete sich nicht vierundzwanzig Stunden über den Fälligkeitstermin hinaus, sondern brachte wegen ihres Ausgedinges Beschlag auf die Ernte aus. Kristups Wanags suchte für sich etwas zu retten, indem er eiligst seine Forderungen bei Gericht geltend machte, und Herr Geelhaar fragte an, wie es nun mit seinen Zinsen stände. Ihm schien jetzt die Zeit gekommen, einen Trumpf auszuspielen. »Ich habe dir gern das Geld gegeben«, sagte er, »aber ich habe dir auch nicht verschwiegen, daß ich auf Ordnung halte und prompt befriedigt sein will. Sieh nun, wie du dir hilfst, ich warte längstens noch acht Tage.«

Er hielt Wort. Als die Frist verstrichen war, brachte er seine Klage ein. Ansas Wanags konnte nicht widersprechen, da ja die Forderung unzweifelhaft war, und wenige Wochen später kam der Richter herausgefahren, um die Sequestration einzuleiten, und in einer Verfügung, die der Bote überbrachte, stand zu lesen, daß ihm dann Haus und Hof öffentlich verkauft werden solle, wenn er nicht seine Schuld entrichte.

Die Hochzeit mußte aufgeschoben werden. Grita war sehr traurig und weinte viel. Sie ging bei ihren Verwandten herum und bat sie um Beistand, aber sie waren alle selbst arm. Sie überwand sich auch, mit der Urte zu sprechen und sie unter Tränen zu bitten, diesmal nicht strenge zu sein. Aber die Alte antwortete knurrig: »Er hat mir nicht das Wasser aus seinem Brunnen gegönnt; nun wird es seinen Durst nicht mehr lange löschen. Ich werde erst meines Lebens froh werden, wenn sie ihn austreiben. Geh doch zum Gutsherrn, Engelchen, und bitt' ihn um Aufschub. Er ist ja ein reicher Mann und sieht hübsche Mädchen gern. Mich aber laß in Ruhe.« Seitdem hatte Grita einen rechten Haß gegen das Weib und begriff nun, was Ansas meinte, wenn er sie sein Unglück nannte.

Ansas selbst behauptete, es sei alles von Anfang an mit unrechten Dingen zugegangen. Geelhaar, der deutsche Hund, sei ihm immer auf den Fersen gewesen, ihm sein väterliches Erbe abzujagen; seine Freundlichkeit sei nichts als Verstellung, und daß er ihm in der Not Geld gegeben, erweise sich nun als die schlimmste List, ihn in seine Gewalt zu bekommen. Ihm gelinge alles, da er mit dem Teufel im Bunde sei und ihm seine Seele für zeitlich Gut verkauft habe; deshalb sehe ihn auch kein Mensch in der Kirche. Der böseste Feind bleibe aber doch die Urte, und wer die Hexe totschlagen wollte, würde sich einen Gotteslohn erwerben. Grita fand all diese Reden ganz in der Ordnung. Es stand ja klar vor Augen, daß Geelhaar den größten Teil der Dorfschaft eingezogen hatte und nach dem Rest die Hand ausstreckte, und die Altsitzerin – gegen die hatte sie schon so tiefen Groll, daß das Unsinnigste, das Ansas ihr nachsagen konnte, dem Mädchen ganz zutreffend schien. Glaubte sie doch, daß die Alte ihrer Verbindung mit dem Wirt entgegen sei und ihr das Haus schließen wolle.

Geelhaar hatte seinen Inspektor zum gerichtlichen Verwalter bestellen lassen, aber als derselbe in dieser Eigenschaft ein zum Bauerngrunde gehöriges Ackerstück betrat, um dort Arbeiten vornehmen zu lassen, gab es einen bösen Auftritt. Ansas pfändete ihn und drohte mit Schlägen, wenn er sich wieder darauf blicken lasse. »Das ist litauisches Feld«, rief er, »und darauf bin ich Herr, solange ich lebe. Wenn die andern sich von ihrer Väter Erbe haben austreiben lassen, so ist das ihre Sache. Ich aber leide nicht, daß ein Deutscher seinen Fuß auf mein Land setzt, und wer's versucht, dem soll's übel bekommen. Ich habe ein Gewehr zu Hause und weiß damit umzugehen!« Der Inspektor zog sich zurück, aber sein Herr war unzufrieden, daß er sich hatte schrecken lassen. Er schickte ihn am folgenden Tage wieder hin und ging selbst mit. Aber Wanags paßte auf. Er nahm wirklich ein Gewehr auf die Schulter, das sein Großvater einmal aus dem französischen Kriege mitgebracht, und ging aufs Feld ihnen entgegen. Es kam wieder zu starken Wechselreden, aber Geelhaar ließ sich nicht so leicht schrecken. »Das sind Dummheiten, Ansas«, sagte er in seiner trockenen Weise. »Was willst du? Der König hat einen Verwalter eingesetzt, und dem mußt du gehorchen bei schwerer Strafe. Sieh dich vor!« Ansas lachte laut auf. »Der König? Der weiß von euren Schlechtigkeiten nichts, sonst ging's anders zu. Ich kenne den König besser wie du! Er hat die Litauer lieb und will nicht, daß ihnen ihr Land genommen wird. Aber zum Unglück ist er weit, und seine Beamten sind Deutsche, und hinter seinem Rücken geschieht viel Unrecht.« Geelhaar schüttelte den Kopf. »Hast du denn nicht richterlichen Befehl bekommen, Ansas? Da steht, daß mein Inspektor das Grundstück zu verwalten hat, bis es verkauft sein wird.« – »Ich gebe aber nicht meine Einwilligung zum Verkauf«, rief der Litauer, »und ohne meinen Willen kann nichts verkauft werden.« – »Das werden wir ja sehen«, bemerkte der Alte gelassen. »Ich will aber meinen Vorschlag von früher wiederholen, damit du erkennst, daß ich dir auch jetzt noch helfen möchte. Tritt mir deine Wiesen und die Heide ab, die dir nichts nützt, so will ich deine Schuld quittieren.« Der Bauer stieß das Gewehr mit dem Kolben auf die Erde. »Ich habe dir schon gesagt«, antwortete er trotzig, »daß daraus nichts wird. Wenn ich verkaufen muß, so sollst du doch nicht der Käufer sein.«

»Du willst also meinen Inspektor nicht auf deinen Acker lassen?«

»Nein.«

»Gut! so wird der Richter helfen.«

»Der Richter – der ist ja freilich dein guter Freund; letzten Sonntag hast du ihn ja zu Gast gehabt bis tief in die Nacht hinein. Aber es gibt noch einen, der über dem Richter ist, und der wird mir helfen!« Er hob drohend die Faust.

Geelhaar überlegte, daß jeder weitere Streit mit dem hartnäckigen Litauer fruchtlos bleiben würde. »Der muß erst die Hand am Kragen fühlen«, brummte er vor sich hin, »wenn er merken soll, daß einer über ihn Gewalt hat.« Er ließ anspannen und fuhr zum Richter.

Es verstrichen dann auch nur wenige Tage, bis der Exekutor mit dem großen blanken Amtsschild im Dorf sichtbar wurde. »Du mußt binnen acht Tagen heraus«, sagte er zu Wanags, »hast dich unnützlich ausgeführt, gegen die Obrigkeit aufgelehnt, ruhestörenden Lärm gemacht, mit den Waffen gedroht. Kann nicht gelitten werden, ist gegen die öffentliche Ordnung. Sieh hier mein Mandat – acht Tage Frist, das heißt eigentlich für mich, nicht für dich. Weil ich aber noch weiter in den Kreis muß und erst nach acht Tagen zu berichten habe, will ich dir so lange Zeit zum Besinnen geben. Komme ich zurück und finde dich nicht mehr – gut! Treffe ich dich noch, so wirst du an die Luft gesetzt – exmittieren nennt man das. Verstanden?«

Wanags lachte zwar verbissen, aber ihm war doch nicht frei zumut. Der Exekutor war Soldat gewesen, wie er, und flößte ihm Respekt ein. Sich ihm offen zu widersetzen, wenn er das Amtsschild auf der Brust trug, schien nicht geraten. Er war den ganzen Tag mürrisch und in sich gekehrt, arbeitete auch nicht. Abends traf er mit Grita unter den Grenzbirken zusammen, sprach aber wenig, sondern ging mit gesenktem Kopf neben ihr her. Sie umfaßte ihn und gab ihm tausend Schmeichelnamen, ohne ihn doch teilnehmender zu stimmen. Endlich bat er sie, mit ihm in sein Gärtchen unter den Flieder zu kommen; er habe etwas Wichtiges mit ihr zu sprechen, woran ihre ganze Zukunft hinge.

Es war ein kalter Herbstabend; der Nebel fing sich in den Bäumen und tropfte herab. Grita meinte, es sei schlechte Zeit zum Sitzen im Freien, und er möchte lieber in ihre Kammer kommen. Aber er lehnte es ab. »Es muß da besprochen werden, wo wir zuerst glücklich gewesen sind«, sagte er, faßte sie bei der Hand und zog sie fort.

»Höre«, begann er, als sie auf dem Bretterstapel Platz genommen hatte, »sie wollen mir an Haus und Hof, das ist beschlossene Sache. Nach dem Rechten können sie mir zwar nichts anhaben, das weiß ich gewiß – denn was einer von Vater, Großvater und Urgroßvater her hat, das muß auf die Kinder und Enkel kommen nach Gottes Ordnung – aber sie denken auf Gewalt, und da wär's leicht möglich, daß sie mich zwingen, denn viele Hunde sind des Hasen Tod. Darum muß etwas geschehen, sie zu hindern. Ich hab's überlegt und weiß nun wohl, wie ich zum Ziel komme; aber der Weg ist lang und schwer, und wir müssen uns für viele Tage und Wochen trennen.«

»Trennen –?« rief sie erschreckt und lehnte sich fester an seine Brust.

»Dann ist's aber auch gewiß«, versicherte er, »daß wir Hochzeit machen und im Grundstück bleiben. Stirbt dann einmal die Karalene, und lange wird's doch mit ihr nicht dauern, so haben wir Frieden.«

»Lange wird's mit ihr nicht dauern«, wiederholte Grita nachdenklich. Dann schwieg sie eine Weile, wie er, und erst als sie seine Hand schwer auf ihrer Schulter fühlte, fragte sie: »Was willst du tun, Ansas?«

»Es gibt einen, der Macht hat über die Großen und Kleinen«, antwortete er mit gehobener Stimme, »den will ich zu meinem Schutz anrufen. Ich meine den König! Aber der wohnt in Berlin, und Berlin ist weit von hier. Ich habe gedacht, an ihn zu schreiben – es fragt sich nur, ob sie ihm meinen Brief zukommen lassen. Besser ist's, ich gehe selbst, dann wird er mich hören. Ich habe in Potsdam und in Berlin beim Militär vornehme Freunde, die mich wohl noch kennen werden, und sie haben gutes Vertrauen zu mir. Sie sind beim König sehr angesehen und werden schon dafür sorgen, daß er mein Bittschreiben liest, wenn es auch nur von einem armen Litauer kommt. Und dann sollst du einmal sehen, was geschieht!«

»Wie weit ist's bis Berlin?« fragte Grita bedrückt.

»Mehr als hundert Meilen«, sagte er kleinlaut.

»Ach –! Und die willst du zu Fuß gehen, Ansas?«

»Das Fahren kostet zu viel; und wenn's auch lange dauert, man kommt doch zuletzt ans Ziel.«

»Wie lange?«

»Wochen und Wochen. Was schadet das? Wenn wir beide nur nicht so lange getrennt sein müßten, Grita –!«

Sie drückte seine Hand. »Ich will dich begleiten, Ansas.«

»Das geht nicht, Kind; du wirst müde, und es muß auch einer hier aufpassen, daß sie's nicht zu arg treiben. Die Urte verkauft mir das Stroh vom Dach, wenn man ihr nicht aufpaßt.«

»Die Urte – ja, ja! – Wann gedenkst zu gehen?«

»Morgen.«

»Morgen schon –?«

»Es hat Eile, und um so früher bin ich wieder zurück.«

»Dann machen wir Hochzeit?«

»Sobald ich wieder hier bin.«

Sie umarmte und küßte ihn. »Geh denn –!« sagte sie zärtlich, »ich will sehen, was ich indessen für uns tun kann.« Ihm war das Herz freier, nachdem er sich ausgesprochen hatte. Er zog Grita auf seinen Schoß und liebkoste sie und scherzte ganz heiter. Erst nach Mitternacht gingen sie auseinander.

Früh am nächsten Morgen packte Ansas in eine alte lederne Jagdtasche etwas Wäsche, ein Paar Schuhe, ein litauisches Gesangbuch, einen großen Brief, den er selbst geschrieben hatte, und so viel Mundvorrat, als noch Platz haben wollte, zog seinen besten Schafpelz mit rotseidenen Nähten auf den Achseln an, setzte die Soldatenmütze auf, ergriff einen Stecken mit eiserner Spitze und nahm von seinem Vater Abschied. Er übergebe ihm die Wirtschaft bis zu seiner Wiederkehr, sagte er ihm, und er solle das Haus vor der alten Hexe gut in acht nehmen. »Und finde ich auch nur einen einzigen Baum heruntergeschlagen«, fügte er hinzu, »so ist unsere Freundschaft für immer aus.« Dann ging er zu Petrick hinüber und sah durch das kleine Fenster in die Stube hinein. Da stand schon Grita in ihren Sonntagskleidern und nickte ihm freundlich zu. Sie wollte ihn eine Strecke begleiten, rief sie hinaus.

Das tat sie denn auch, und sie gingen nun zusammen bis zum Mittag Hand in Hand über die Landstraße. Dann machte Ansas halt in einem großen Dorf und sagte, es wäre nun Zeit zu scheiden, damit sie vor Nacht zu Hause sei. Grita hatte in einem Tuch Eßwaren mitgenommen, Brot und Käse und gebratene Fische, und sie setzten sich auf die Deichsel eines abgespannten Lastwagens und verzehrten gemeinsam das letzte Mahl. Gesprochen wurde kein Wort weiter, sondern als sie fertig waren, reichten sie einander die Hand, sahen sich traurig an und gingen, der eine rechts, der andere links.

Grita besorgte in den ersten Wochen nach diesem Abschied ihre häuslichen Geschäfte wie sonst, nur daß sie seltener sang und an den Sonntagen nicht unter den jungen Leuten anzutreffen war, die sich lustig vergnügten.

Als einige Wochen verflossen waren und Ansas immer noch nicht zurückkehrte, fing sie an sehr ungeduldig zu werden. Sie fragte beim Schullehrer an, wieviel Tage ein Fußgänger brauche, um nach Berlin zu gelangen, und erhielt eine Antwort, die sie sehr nachdenklich stimmte, zumal der gelehrte Mann die Entfernung gewaltig übertrieb. Sie hatte sich eingeredet, es müßte ein großer Brief vom König kommen und infolgedessen das Verfahren sofort eingestellt werden. Davon war nun nicht das mindeste zu merken; vielmehr wirtschaftete der Inspektor des Herrn Geelhaar auf dem Bauernland, als ob es schon zum Gut eingezogen wäre, und Kristups Wanags wurde nicht einmal um seine Meinung gefragt. Die Karalene lärmte jeden Abend betrunken vor dem Haus und rief, wenn sie das Mädchen bemerkte, schadenfroh hinüber: »So geht's endlich nach der Ordnung – nun haben wir Ruhe, seit das Teufelskind auf und davon ist. Mag er auf der Landstraße verderben und nie mehr zurückkehren!« Ihre Wut steigerte sich, als sie zufällig eine Entdeckung machte, die sie über einen früheren Vorfall aufklärte. Beim Wasserschöpfen fiel ihr ein Handschuh in den Brunnen; sie durchsuchte ihn mit einer Stange und zog das ihr bekannte rote Tuch heraus, in welchem sich noch kleine Papierlappen und der schwarzweiße Faden mit dem Gerichtssiegel vorfanden. Sofort eilte sie zu Grita und schrie mit fast erstickter Stimme: »Nun ist's klar wie der Tag. Ansas hat mir das Dokument gestohlen, um mich besser betrügen zu können – er hat fremdes Eigentum vernichtet! Aber das soll ihm nicht so hingehen – das muß der Herr Staatsanwalt in der Stadt erfahren – das bringt ihn ins Zuchthaus. Und wenn er auch fortgelaufen ist, sie werden ihn schon zu finden wissen, den Dieb, den Betrüger! Dann hast du einen Schatz, der dir gefallen kann – heißa, mein Vögelchen, heißa! Wann gibt's Kindtaufe?« Grita konnte nicht zweifeln, daß die Alte ihre Drohung wahrmachen werde, und fühlte sich um so mehr beunruhigt. Und wenn sonst alles gut wird, überlegte sie bei sich, die Hexe bleibt uns im Haus, und die Not hat kein Ende, solange sie lebt.

Seitdem schwand ihr natürlicher Frohsinn gänzlich, und sie wurde so wortkarg und verschlossen, daß selbst Petrick, der sich doch sonst um nichts in der Welt Sorge machte, die Veränderung merkte. »Ich will noch einmal zu meinen Verwandten an der Grenze«, sagte sie ihm, »und anfragen, ob einer jetzt helfen kann, nachdem die Ernte ausgedroschen ist.« Das war nur ein Vorwand; sie hatte andere Dinge im Sinn.

Am nächsten Sonntag ging sie nach der Kirche und kniete während des Gesanges und sogar während der Predigt. Über Mittag blieb sie im Gotteshause, setzte sich auf die unterste Altarstufe, weinte viel und betete unaufhörlich, daß Gott ihr ihre Sünden vergeben möge. Von den großen Leuchtern war etwas Wachs auf die Decke herabgeträufelt; das sammelte sie, als sie allein war, sorgsam auf, rollte es in ein Kügelchen zusammen und knüpfte es in den Zipfel ihres Tuches. Auch den Nachmittagsgottesdienst über hielt sie ganz nüchtern in der Kirche aus – sie hatte sich vorgenommen, an diesem Tage zu fasten – und als dann der Pfarrer aus der Sakristei trat, um über den Kirchhof nach dem Pfarrhause zu gehen, stellte sie sich ihm in den Weg, faßte den weiten Ärmel seines Talars, drückte einen Kuß darauf und entfernte sich eiligst, ohne ein Wort zu sprechen. Es waren abergläubische Vorstellungen ganz eigener Art, die sie zu dieser ganzen Handlungsweise bestimmten.

Dann ging sie wirklich nach der Grenze, aber nicht zu ihren Verwandten, sondern zu einem russischen Juden, der den Schmuggelhandel betrieb und den sie oft bei ihrem Vater gesehen hatte. Er kannte sie und fragte in Erinnerung an die guten Dienste, die ihm der Schmuggler geleistet hatte, freundlich, was ihr Begehr sei. »Ich habe mitunter gesehen«, sagte sie, »daß mein Vater seinen Pferden etwas eingab, auch wenn sie nicht krank waren, und er belehrte mich, daß sie davon besseren Appetit zum Fressen und ein glattes, glänzendes Fell bekämen. Das Mittel habe er von dir erhalten, versicherte er.« Moses merkte etwas ängstlich auf. »Ist hinterher ein Unglück damit geschehen?« fragte er verlegen. »Habe ich's ihm doch gegeben für die Pferde und kann doch nicht gutstehen für den falschen Gebrauch.« – »Von was für einem Unglück sprichst du?« fragte das Mädchen, scheinbar ganz unwissend. Moses war beruhigt. »Hab' ich gesagt ein Unglück?« berichtigte er sich, »hab' ich doch nur gemeint ein Malheur. Wie kommst du überhaupt auf so etwas, Kind?« – »Ich wollte dich nur bitten, mir auch das Mittel zu geben.« Moses sah sie erschreckt an. »Was? Dir? Was willst du damit?« – »Ich diene jetzt bei einem Wirt«, erzählte sie, »der sehr schlimm ist. Er hat einen Knecht, mit dem er täglich lärmt, weil er ihm vorwirft, daß er ihm die Pferde schlecht halte. Jurgis wäre schon längst fortgelaufen, wenn er mich nicht lieb hätte. Nun hab' ich ihm von dem guten Mittel gesagt, das mein Vater brauchte, und er läßt mir keine Ruhe, bis ich es ihm verschaffe. Deshalb komme ich zu dir, und wenn du mir nicht helfen willst, ist's mit der Liebschaft aus, denn der Ärger treibt ihn nächstens doch fort.« Der Jude schüttelte den Kopf. »'s ist nicht erlaubt – geh! Laß mich in Ruhe.« Sie bat und weinte. Kein Mensch sonst solle davon erfahren, und er könne sie doch nicht unglücklich machen. Endlich ließ er sich erweichen, den Wandschrank aufzuschließen. »Hier hast du's«, sagte er, indem er ihr ein kleines Papierpäckchen zusteckte, »aber komme mir nicht wieder; ich will mit deinen Liebschaften nichts zu tun haben.«

Grita dankte und machte sich wieder auf den Weg, nicht nach Hause freilich, sondern über die Grenze. Sie vermied geschickt die russischen Patrouillen und gelangte unangefochten nach dem nächsten großen Dorf, in dessen Mitte die katholische Kirche stand. Es war noch nicht spät am Nachmittag, aber die Sonne schon untergegangen und der Himmel bewölkt; sie durfte nicht befürchten, erkannt zu werden. Die Fenster der Kirche zeigten sich matt erleuchtet, wahrscheinlich wurde noch eine Messe gelesen. Grita ging eilig und ohne sich irgendwo aufzuhalten nach dem Portal und fand, wie sie gehofft hatte, die kleine Eingangstür offen. Nachdem sie sich scheu umgesehen, ob ihr jemand folgte, trat sie in die Vorhalle unter den Turm und horchte einige Sekunden lang an der nur leicht angelegten Pforte, über der auf dem Bindebalken der zwei plumpen Säulen ein großes Kruzifix stand. Es war nur das eintönige Murmeln des Geistlichen vernehmbar und von Zeit zu Zeit das Klingen eines feinen Glöckchens. Grita wandte sich zur Seite, wo an der Wand hinter der einen Säule eine kleine Lampe über dem Weihwasserbecken brannte. Auf letzteres war's abgesehen. Sie knickste, wie sie es von den Katholiken gesehen hatte, schöpfte rasch und unter heftigstem Herzklopfen eine Handvoll Wasser, trank einen Schluck davon und befeuchtete mit dem Rest Stirn und Brust. Dann kniete sie auf dem Steinboden nieder und sprach hastig ein Gebet. Kaum war das Amen über die Lippen, als sie auch schon scheu, wie sie gekommen war, die Halle verließ. Sie lief mehr, als sie ging, bis sie wieder die Grenze erreicht hatte.

Was sollte das? Grita war eine evangelische Christin und hielt, wie die Litauer überhaupt, etwas auf ihr Glaubensbekenntnis. Aber hier mußte ein Fall vorliegen, wo der Glaube nicht kräftig genug schien, gewisse Hindernisse zu überwinden, wo nur Zaubermittel helfen konnten. Ein solches Zaubermittel war ihr und den meisten ihrer Landsleute das Weihwasser einer katholischen Kirche. Sie konnte sich dabei gar nichts anderes denken, als daß ihm eine ganz besondere Schutzkraft durch den Priester beigelegt sei, der ja Macht haben sollte, von Sünden zu erlösen, also selbst eine Art von Zauberer war. Hatte sie doch oft genug die Szamaitischen Schmuggler sagen gehört, es sei ihnen wenig beschwerlich, wenn sie einmal einen Grenzposten erschossen hätten, da sie sich leicht losbeichten könnten. Zur Beichte durfte sie nun freilich nicht; das wäre eine Verleugnung ihres Glaubens gewesen, die sie in den übelsten Verruf gebracht hätte; aber sich heimlich etwas von den Gnadenmitteln der fremden Kirche zuzuwenden, um das Gewissen im voraus zu beschwichtigen, das schien ihr durchaus nicht unerlaubt, und das Herz schlug ihr nicht deshalb so laut, weil sie abergläubisch von ihrem Bekenntnis abirrte, sondern weil sie befürchtete, bei dem Diebstahl einer sehr wertvollen Sache ertappt zu werden.

Ob der Zauber nun doch nicht ganz so kräftig wirkte, als sie erwartet hatte, oder was sonst der Grund sein mochte, sie schien nach Hause zurückgekehrt von einer auffallenden Unruhe gepeinigt. Wohl zehn und mehrmal täglich ging sie scheinbar ohne Veranlassung auf die Dorfstraße hinaus, lief eine Strecke, setzte sich auf einen Chausseestein, schaute ins Weite und machte sich traurig und mit gesenktem Kopf wieder auf den Rückweg. Geelhaar, der sie einmal sitzen fand, redete sie an. »Du wartest wohl auf deinen Schatz?« fragte er in seiner etwas derben Weise. »Das kümmert dich ja nicht«, antwortete sie. »Freilich!« nickte er mit den Augen zwinkernd, »mich kümmert's nicht, aber dich um so mehr. Wo treibt Wanags sich denn herum? Er vergißt wohl gar den Bietungstermin für sein Grundstück. Du solltest doch an ihn schreiben, Grita; ist er zugegen, so treibt er vielleicht doch noch das Gebot in die Höhe und schlägt ein paar Taler für sich heraus.« – Sie machte eine ablehnende Bewegung und kehrte ihm den Rücken zu. »Wohin soll ich schreiben?« sagte sie, trotzig den Kopf aufwerfend, »ich weiß ja nicht, wo er jetzt zu finden ist. Aber es hat keine Not. Den Hof werdet ihr ihm nicht verkaufen – dafür ist der König da!« – »Das sind rechte Vorurteile«, brummte der Alte. »Solltest lieber bei mir ein gut Wort einlegen. Aber was hilft's ihm freilich, wenn ich Geduld habe? Mit der Karalene kommt er sein Lebenlang nicht zurecht.« Das Mädchen nahm den Kopf in beide Hände und schwieg. Geelhaar ging weiter.

Als Grita nach einer Weile aufsah, glühte ihr das ganze Gesicht bis zur Stirn hinauf. Sie stand auf und zog das Kopftuch fester zu, so daß nur die Augen frei blieben. Trotz des eisigen Windes, der ihr entgegenblies, und der Hagelschauer, die sich von Zeit zu Zeit aus den schwarzen vorüberjagenden Wolken stürzten, schritt sie eine Weile auf der Chaussee fort, denselben Weg, den sie zuletzt mit Ansas gemacht hatte. Sie meinte vielleicht, dem Rückkehrenden zu begegnen, aber so oft sie auch aufschaute, die bekannte Gestalt ließ sich nicht blicken. Erschöpft setzte sie sich endlich wieder auf einen Stein und weinte. Dann kehrte sie langsam zurück.

Als sie am Herrenhause vorüber war und in die Dorfstraße einbog, dämmerte es schon. Sie sah Kristups Wanags hinter dem Haus über Feld mit einem Wagen nach der Brücke zu fahren, der mit Brettern und altem Stroh beladen war. Der hat den alten Stall abgebrochen, dachte sie, aber sie störte ihn nicht, da sie ja wußte, daß er nichts zu leben hatte. Im Hause war kein Licht zu bemerken; wahrscheinlich war die Urte nicht darin. Sie pflegte jeden Nachmittag über die Heide nach einem Grenzdorf zu gehen, wo sie in der Spinnstube einen kleinen Verdienst hatte und sich recht nach Lust ausplaudern konnte. Grita hatte sie manchmal erst spät in der Nacht zurückkommen und vor Petricks Fenstern lärmen und schimpfen hören. Das Haus stand leer.

Sie trat unter die Birken, deren Behang von dünnen kahlen Zweigen vom Winde gejagt durch die Luft peitschte, rüttelte ein wenig an der verschlossenen Tür, horchte am Fenster wohl eine Minute lang und ging dann wieder auf die Dorfstraße hinaus. Nachdem sie dort noch eine Weile gestanden und ausgeschaut hatte, schlich sie um den Zaun herum bis zu dem Trittbrett, stieg vorsichtig über, ließ den Brunnen links liegen und wandte sich um die Klete herum und durch den Garten wieder der Rückseite des Hauses zu, die hier eine Ausgangstür hatte. Sie wußte, daß deren oberer Teil stets nur angelegt und durch kräftiges Heben und Ziehen zu öffnen war. Es gelang ihr, so in den Flur zu kommen, der sich quer durch das Haus zog, und in dessen Mitte unter dem Schornstein sich die niedrige Kochvorrichtung von Feldsteinen und Lehm befand. Es war ganz dunkel, aber sie wußte trotzdem Bescheid in dem Hause, das genau nach litauischer Art eingerichtet war. Eine Tür seitwärts führte nach der Kammer der Altsitzerin. Grita betrat dieselbe, tastetete an der Wand nach dem kleinen Holzschranke neben dem Ofen, öffnete leise und fühlte in den beiden Fächern mit der Hand umher. In einer Ecke stand eine große Flasche. Sie hob dieselbe heraus, schüttelte sie am Ohr und überzeugte sich davon, daß sie eine Flüssigkeit enthielt, roch auch hinein und trat dann dicht an das Fenster, wo das Schimmerlicht von außen Gegenstände, wenn schon undeutlich, erkennen ließ. Sie zog dann etwas aus der Tasche, legte die Hand wie einen Trichter um den Hals der Flasche, schüttete ein Papier darin aus, rüttelte die Flüssigkeit eine Weile hin und her und stellte das Gefäß wieder in den Schrank hinein, genau an die Stelle, wo sie es gefunden hatte. Dann schlich sie hinaus, hob die Tür ein und ging im Bogen über Feld nach der Wohnung ihres Großvaters.

Zwei Tage später verbreitete sich am Morgen das Gerücht, die Urte Karalene sei soeben von Leuten, die zum Marktflecken wollten, auf der Heide unter einem Wacholderstrauch tot gefunden. Man wußte, daß sie am Abende vorher in der Spinnstube über Magenschmerzen geklagt und der Branntweinflasche tüchtig zugesprochen hatte, um sie zu vertreiben. Mit der trunksüchtigen Alten habe es gar kein gutes Ende nehmen können, hieß es allgemein; wahrscheinlich habe sie den Weg verfehlt, sei über den Wachholder gefallen, dort liegengeblieben und in der kalten Nacht jämmerlich umgekommen. Das schrieb auch der Richter bei der Leichenschau zu Protokoll und die Sache war abgetan.

Als die Karalene begraben wurde, fehlte Grita im Gefolge. Sie lag schwer krank zu Bett und ächzte und stöhnte wie eine Sterbende. –

Ansas Wanags hatte eine beschwerliche Reise zu überstehen gehabt. So knapp er sich auch einrichtete, seine Mittel gingen bald zu Ende, und er mußte nun bei mitleidigen Bauersleuten um einen Platz an ihrem Tisch und um ein Unterkommen zur Nacht bitten. Er hatte sich's doch zu leicht gedacht, die mehr als hundert Meilen zu Fuß zurückzulegen. Das Wetter war abscheulich; tagelang strömten die kalten Herbstregen nieder und durchweichten seinen Pelz; sein Schuhwerk hielt den schlechten Wegen nicht stand und fing an sich zu lösen. Manche Nacht mußte er unter freiem Himmel oder in einer offenen Einfahrt zubringen, und selten nur fand sich eine Gelegenheit, eine Strecke zu fahren. Seine eiserne Natur und seine Zähigkeit überwanden zwar manches Ungemach, aber zuletzt schleppte er sich nur noch mühsam mit wunden Füßen und fieberkrank fort. Es blieb ihm nichts übrig, als in einem Städtchen das öffentliche Spital aufzusuchen. Erst nach zwei Wochen wurde er von dort entlassen und setzte nun wieder eilig seinen Weg nach Berlin fort. Endlich erreichte er sein Ziel, aber sehr viel später, als er vorausgesetzt hatte.

In Berlin war er von seiner Militärzeit her bekannt. Er suchte die Plätze auf, an denen seine Kompanie sich zu sammeln und zu exerzieren pflegte, fand aber nicht mehr dieselben Gesichter vor. Nur der Feldwebel war noch auf seinem alten Posten. Er hörte ihn freundlich an, gab ihm aber die wenig tröstliche Auskunft, daß die Herren Offiziere versetzt oder befördert seien, und daß er selbst nicht einmal genau wisse, wo dieselben jetzt anzutreffen sein möchten. Sein früherer Hauptmann sei freilich noch am Ort, habe aber ein Bataillon erhalten. »Du bist ein dummer Kerl«, sagte er ihm geradezu, »daß du den weiten Weg hergelaufen bist, statt deinen Brief zur Post zu geben. Wie hast du dir einbilden können, daß dich der König sprechen wird? Da müssen sich ganz andere Leute melden.«

Ansas war so leicht nicht auf andere Gedanken zu bringen. Wer sich entschlossen hatte, von Wanagischken nach Berlin zu wandern, der konnte nicht nach dem ersten Fehlschlagen seiner Hoffnungen umkehren. Er erkundete die Wohnung des Majors, der jetzt verheiratet war und ein großes Haus machte, suchte ganz pfiffig erst die Bekanntschaft seines jetzigen Burschen und wußte durch ihn die Meldung an den großen Herrn zu bringen, daß Ansas Wanags angelangt sei und ein Anliegen habe. So wurde er denn wirklich vorgelassen, sehr gnädig aufgenommen und sogar der jungen Frau in seiner bemerkenswerten Eigenschaft als National-Litauer vorgestellt. Er erhielt nun für die Zeit seines Aufenthaltes Freitisch in der Küche zugesichert, auch ein hübsches Stück Geld, um sich einmal »in Berlin zu amüsieren«, aber in der Hauptsache kam er wenig weiter. »Ich selbst«, bedeutete ihn der Major, »kann deinen Brief nicht abgeben, aber ich will einmal mit meinem Vetter sprechen, der bei Hof ein Amt bekleidet und dort gute Freunde und Gönner hat.«

Wanags wartete ein paar Tage; da aber kein Bescheid von dem gräflichen Vetter kam, hielt er es doch für zuverlässiger, auf eigene Faust zu handeln. Er wußte sehr gut, daß die Schildwachen ihn nicht einlassen würden, wenn er versuchen wollte, in des Königs Palais einzudringen, aber er wußte auch sehr gut, wo des Königs Arbeitszimmer lag, und daß derselbe mitunter ans Fenster trat und hinausschaute. Er stellte sich also schon frühmorgens am Gitter des Denkmals Friedrichs des Großen auf, nahm seinen großen Brief in die Hand und sah unverwandt nach dem Königlichen Palais und nach dem bekannten Fenster desselben hinüber. Sobald er dort jemand zu bemerken glaubte, hob er seinen Brief in die Höhe. Es verdroß ihn nicht, daß man bis zum Abend keine Notiz von ihm nahm, und daß auch am zweiten Tage niemand nach ihm fragte; er fand sich am dritten wieder ein. So konnte es nicht fehlen, daß er selbst, obgleich er sich ganz ruhig verhielt und nur von Zeit zu Zeit seinen Brief aufhob, Gegenstand der Aufmerksamkeit für die Vorübergehenden wurde, zumal er in seiner litauischen Tracht immerhin eine außergewöhnliche Erscheinung war. Es sammelte sich um ihn die Straßenjugend und auch der neugierige Reisende blieb stehen, zu fragen, was das bedeute. Das schien dem wachhabenden Schutzmann denn doch nicht in der Ordnung. Er fragte ihn, was er eigentlich wolle, und wies ihn mit dem Bemerken fort, daß Seine Majestät nicht belästigt werden dürfe. Ansas meinte aber, er tue nichts Böses, wenn er hier ruhig stehe. Der Schutzmann wollte diese Einrede nicht gelten lassen, die Umstehenden mischten sich in die Angelegenheit, und es kam zu einem heftigen Disput, den der Beamte mit der Drohung schloß, daß er bei fortgesetzter Weigerung, zu gehen, die gewaltsame Entfernung des Querulanten veranlassen müsse.

Vielleicht wäre es wirklich zu einer Arretierung gekommen, wenn sich nicht in diesem kritischen Moment die Tür des königlichen Palais unter der Säulenhalle geöffnet hätte, um einen Offizier durchzulassen, der an der über die Schulter gehängten Schärpe als Adjutant kenntlich war und direkt auf die Gruppe zueilte. Der Litauer hielt seinen Brief hoch, die Umstehenden machten Platz und der Polizeibeamte grüßte ehrerbietig. Der Offizier ließ sich den Brief reichen, betrachtete die Anschrift, winkte dem Überbringer, ihm zu folgen, und verschwand mit Wanags im Palais den Blicken der Neugierigen, die noch lange ihren Platz behaupteten, um der kommenden Dinge zu harren.

In der Vorhalle wurde Ansas gründlich nach seinen näheren Verhältnissen ausgefragt und von dem Offizier wegen seiner Zudringlichkeit gescholten. Er verteidigte sich, so gut er konnte, mit seiner Not, und die zutrauliche Art, mit der er in gebrochenem Deutsch seine Lebensgeschichte erzählte und seine Hoffnungen vortrug, schien so originell, daß die Herren unmerklich Interesse für den armen Menschen gewannen, der eine so weite und beschwerliche Reise in dem naiven Glauben gemacht hatte, der König könne sich um die häuslichen Verhältnisse auch des geringsten seiner Untertanen kümmern. Der Adjutant versprach ihm endlich, den Brief selbst abzugeben, aber Ansas meinte, es wäre ihm doch lieber, wenn er seinen guten König selbst sehen könne, und er wolle doch auch wissen, was er dem Exekutor zu sagen habe, wenn er sich wieder bei ihm melde, und ob es erlaubt sei, daß den armen Litauern ihr ererbtes Land von den Deutschen fortgenommen werde. Der Offizier bedeutete ihm, daß der König unmöglich jeden selbst hören und sprechen könne, hieß ihn aber doch warten und ging hinein. Nach einer Weile kam er zurück, sagte, daß der König seinen Brief gelesen und seinen Sohn, den Kronprinzen, beauftragt habe, ihm Bescheid zu geben, führte ihn auch durch eine Reihe von Zimmern nach einem Kabinett und meldete ihn an.

Ansas Wanags fühlte sich durch den Gedanken, einer so hochgestellten Persönlichkeit gegenübertreten zu sollen, keineswegs beunruhigt. War er auch jetzt nicht in Uniform, so steckte doch der Soldat zu fest in ihm, um eine Unsicherheit in seinem Benehmen aufkommen zu lassen; er hatte ja gelernt, wie man vor einem Offizier zu stehen und ihm zu antworten habe, und an Übung hatte es ihm keineswegs gefehlt, mit den hohen und höchsten Herrschaften vom Militär zu verkehren. Daß er sich kerzengerade zu postieren, die Arme unbeweglich zu lassen, den Kopf aber frei aus der Binde herauszustrecken, seinen Vorgesetzten offen anzusehen und dessen Fragen laut, kurz und bestimmt zu beantworten habe, verstand sich für ihn ganz von selbst. Nach wenigen Minuten erschien der Kronprinz im einfachen Offiziersrock, vom Adjutanten begleitet, ging freundlich auf ihn zu und redete ihn in seiner leutseligen Weise mit einigen litauischen Worten an. Nun war Ansas ganz Seligkeit; er antwortete in seiner Landessprache und schien verstanden zu werden. »Du hast wohl dein Deutsch wieder ganz verlernt«, fragte der hohe Herr, vorsichtig einlenkend. »Nein, königliche Hoheit«, antwortete der Litauer schmunzelnd, »ich 'aben viel behalten.« – »Das ist mir lieb«, meinte der Kronprinz, »laß einmal hören.« Er erkundigte sich nun in deutscher Sprache nach seinen Verhältnissen, fügte aber von Zeit zu Zeit einen litauischen Ausdruck ein. Wanags sprach von Herrn Geelhaar, dem Schlauen Fuchs, von der Urte Karalene, der betrunkenen Hexe, vom Richter, der kein Wort Litauisch könne, vom alten Sekretär, der sich Butter und Eier in die Küche tragen lasse und hinterher doch tue, was er wolle, und von den andern Personen seiner nächsten Nachbarschaft wie von Leuten, die dem Prinzen bekannt sein müßten, wie ihm, und machte den hohen Herrn oft lachen. Derselbe hörte aber seine Klage, daß die Litauer mehr und mehr von den Deutschen verdrängt würden, sehr ernst an und bemerkte zum Adjutanten: »Es ist schade um das Volk; die Litauer stellen uns die besten Soldaten.« Schließlich entließ er den wunderlichen Gast mit den ihm sehr tröstlichen Worten: »Geh' nur nach Hause, Ansas, damit du dort nichts versäumst. Deine Sache soll gründlich untersucht werden, und wenn dir wirklich Unrecht geschehen sein sollte, so wird dir geholfen werden, soweit geholfen werden kann, oder die Schuldigen sollen zur verdienten Strafe kommen. Wenn du dich aber selbst ins Unglück gebracht hast, so kann dir kein Mensch helfen, auch der König nicht. Das Gesetz ist über allen.« Damit grüßte er und entfernte sich. Der Adjutant führte Ansas wieder durch eine Reihe von Zimmern und Korridoren bis an eine Treppe. Dort gab er ihm mehrere blanke Goldstücke, sagte, daß der König sie ihm als Reisegeld schicke und ließ ihn durch einen Diener aus dem Palais führen. Als die Tür sich hinter ihm schloß, befand er sich nicht unter den Linden, sondern in einer Seitenstraße. Er hätte sich einbilden können, geträumt zu haben, daß er in einem Königshause gewesen, wenn nicht das Gold in seiner Hand jeden Zweifel an der Wirklichkeit ausgeschlossen hätte.

Für ihn war es nun gewiß, daß man ihm zu Hause nichts werde anhaben können. Daß der Kronprinz auch an den Fall eigener Verschuldung gedacht, hatte er keineswegs überhört, aber es fiel ihm nicht einmal ein, zu überlegen, ob derselbe auf ihn Anwendung finden könnte. Er war heiter und guter Dinge, strich langsam durch die Straßen an den prachtvollen Schaufenstern hin und guckte hier und dort hinein, immer mit sich beratend, was er wohl seiner Grita kaufen und mitnehmen könnte. Es paßte nur das wenigste für eine Litauerin. Endlich fiel ihm bei einem Juwelier ein goldenes Kreuz, mit kleinen funkelnden Steinen besetzt, in die Augen. Das wäre etwas, worüber sie sich freuen könnte, meinte er, und alle Bäuerinnen würden sie beneiden, wenn sie damit in der Kirche erschiene. Er kaufte es sofort, und es kümmerte ihn wenig, daß ein großer Teil seines königlichen Geschenkes darauf ging. Er reichte mit dem Rest noch vollauf bis nach Hause, meinte er, und es werde bei einiger Sparsamkeit auch noch soviel übrigbleiben, daß er Geelhaar die schuldigen Zinsen zahlen könne, dann sei ihm doch gewiß nichts anzuhaben.


 << zurück weiter >>