Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 2
Johann Karl Wezel

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Den größten Theil des folgenden Morgens brachte Herrmann mit seiner Adonisirung zu, und um eilf Uhr war er schon völlig mit seinem neuen Staate angethan. als der Sohn der Frau Hildebrand, ein Knabe von zwölf Jahren, ihm einen Brief von Ulriken überbrachte.

den 28. Jan.

Heinrich,

»Du hast mir abermals eine recht schlaflose Nacht gemacht. Deine Besorgniß muß mich angesteckt haben: die ganze Nacht wand und drehte ich mich um die Vorstellung herum, daß ich verführt werden könte: es kam mir nunmehr selbst vor, als wenn es sehr leicht angienge: die Größe der Gefahr und meine Furcht wuchsen mit jedem Pulsschlage: ich hätte in der Angst tausend Meilen mit dir laufen mögen, 422 um nur aus dem verführerischen Hause zu kommen. Da fiel mir endlich ein Gedanke ein – Heinrich! ein recht gottloser Gedanke! Aber, dacht' ich, du hast deinem Heinrich so viel aufgeopfert: wenn du ihn nun durch die Aufopferung deiner Tugend auf immer glücklich und groß machen köntest? Du würdest dein Leben für ihn hingeben, warum nicht auch deine Tugend?« – Kaum war mir der abscheuliche Gedanke durch den Kopf gefahren, so erschrak ich, als ob mich der Schlag träfe: ich glühte und schwizte vor Entsetzen und wurde so grimmig auf mich selbst, daß ich mir eine recht derbe Ohrfeige gab. Es kam mir wohl hundertmal wieder in den Kopf: ich habe mich mit dem abscheulichen Gedanken gequält und abgeängstigt, wie mit einem Gespenste: ich schloß die Augen fest zu und wollte einschlafen, um nur nicht mehr zu denken; aber es gieng nicht. Ich schlummerte endlich ein wenig ein: gleich kam mir vor, daß der Herr von Troppau vor meinem Bette stünde, so schön und reizend als ich noch keine Mannsperson gesehn habe: er hielt mit sanftem Lächeln seine 423 Arme offen, mir entgegen: mein Herz pochte, ich wollte hinaus in seine Arme, ich arbeitete, um mich herauszuwinden: da warfst du diese mir plözlich um den Hals und zogst mich so gewaltig zurück, daß ich fast erstickte: ich hustete, und wachte drüber auf, aber so froh! so entzückt, als wenn mich Jemand aus den Klauen eines Löwen gerissen hätte. Der Stutz auf meinem Schreibeschranke schlug gerade drey: ich stund auf, nahm meine Pelzsalope um, zündete mein Licht bey der Nachtlampe an und schrieb dir dies Briefchen. Aber ich muß hier schließen: meine Finger können vor Kälte kaum die Feder regieren, ich zittre, trotz der dicken Pelzsalope, wie im Fieber, vor Frost. Wohl dir, wenn du ruhiger schläfst als ich!

* * *

Ich muß dir geschwind noch einen sonderbaren Besuch erzählen, den ich heute in aller Frühe gehabt habe. Meine Unruhe ließ mich nicht im Bette: gegen sechs Uhr stund ich auf und machte mir selbst Feuer im Windofen und sezte 424 mich im Pelze nicht weit davon nieder. Ich schlummre ein, sinke mit dem Kopf auf einen danebenstehenden Stuhl und schlafe so halb sitzend, halb liegend, bis es Tag wird. Da ich aufwache, sizt eine Mannsperson am Tische: ich erschrecke und erkenne den Lord Leadwort. Hab' ich dir schon etwas von diesem Originale gesagt? Es ist ein Engländer, der diesen ganzen Winter hier zugebracht hat und einigemal in der Abendgesellschaft bey Vignali gewesen ist, wo ich seine Bekanntschaft gemacht habe. Er saß in einem braunen Reitrocke, Pantoffeln, einer baumwollnen Stutzperücke, einem runden Hute, einen knotichten mit Eisen beschlagnen Stock in der Hand, tiefsinnig und steif nach der Thür hinsehend da, ohne sich zu rühren. Ich stand lange und wußte nicht, ob ich ihn für einen Rasenden oder Betrunknen halten sollte. Er redte nicht. – »Mein Gott!« fieng ich endlich an, »Mylord, wo kommen Sie so früh her?«

Er. Ich bin schon lange da.

Ich. Ich muß bekennen, daß ich ein 425 wenig erstaunt bin, Sie so früh bey mir zu sehn.

Er. Ich will den Thee bey Ihnen trinken.

Ich. Aber in diesem Anzuge, Mylord! Ich muß Ihnen frey heraus sagen, daß mich die Freiheit ein wenig verdrießt, die Sie sich genommen haben. Wenn Sie Jemand so bey mir antrift – was man alsdann argwohnen wird, können Sie leicht selbst errathen.

Er. Man wird glauben, ich habe bey Ihnen geschlafen.

Ich. Mylord! Ich hätte einen andern Mann in Ihnen vermuthet.

Er. Ist es denn nicht die Wahrheit? Ich bin schon seit ein Uhr hier: ich habe aber nicht sonderlich geschlafen. –

Ich war so erbittert, daß ich ihm voller Zorn ins Gesicht sagte: »Mylord, das ist eine Unwahrheit. Wollen Sie vielleicht meinen guten Ruf zu Grunde richten und eine so schändliche Erdichtung von mir ausstreuen? – Was hab' ich Ihnen gethan?«

»Nichts.« unterbrach er mich kaltblütig. »Es 426 ist die lautere Wahrheit. Ich habe seit ein Uhr hier geschlafen: Sie sind um drey Uhr aufgestanden und haben geschrieben: dann legten Sie sich wieder nieder, stunden gegen sechs Uhr auf, machten Feuer, schliefen auf dem Stuhle ein und wachten itzo auf. Wie kann ich das alles wissen, wenn ich nicht hier geschlafen habe?«

Ich. Aber ich habe Sie nicht gesehn.

Er. Ich habe mich beständig still gehalten, um Sie nicht zu erschrecken.

Ich. Sie werden mir verzeihen, Mylord, ich finde, daß Sie eine große Unbedachtsamkeit begangen haben. Sie könten mich unschuldiger Weise in einen schlimmen Ruf bringen. Aber sagen Sie mir in aller Welt, wie sind Sie auf den Einfall gekommen?

Er. Ich hab' Ihnen etwas zu sagen. Um es nicht zu verschlafen, sondern gleich bey der Hand zu seyn, wenn Sie aufstünden, hab' ich bey Ihnen geschlafen.

Ich. Aber wie sind Sie hereingekommen?

Er. Durch die Thür. – Weil mir das, was ich Ihnen sagen will, beständig zu sehr in 427 Gedanken lag, konte ich nicht einschlafen: ich trat ans Fenster: der Mondschein gefiel mir: ich warf meinen Reitrock über, gieng hieher, fand die Thür offen, gieng in Ihr Zimmer, legte mich auf den Sofa und schlief. Was ist denn Uebels dabey?

Ich. Sehr viel! wenns die Frau von Dirzau erfährt?

Er. So will ich ihr selbst sagen, daß ich bey Ihnen geschlafen habe.

Ich. Tausendmal lieber wär mirs, wenn Sie am hellen Tage und wachend zu mir gekommen wären.

Er. Das bin ich! Ich bin wachend zu Ihnen gekommen, ganz wachend! –

Ich war zu ärgerlich, um über seine tollen Antworten zu lachen: ich wollte den Thee bestellen und bat um die Erlaubniß, ihn verlassen zu dürfen. – »Der Thee ist bestellt: ich hab' es selbst gethan,« sprach er. Wirklich langte er auch ein Paar Augenblicke darauf an.

Wir tranken: es erschienen verschiedene Arten von Backwerk, das er gleichfalls vor 428 meinem Erwachen bestellt hatte: Niemand sprach. Endlich fieng er ganz trocken an: »Mademoiselle, ich will Ihnen in zwey Worten sagen, was ich bey Ihnen will: ich liebe Sie.«

Ich. Sehr viel Ehre für mich, Mylord!

»Das ist eine Lüge!« fuhr er hitzig auf. »Mir macht es Ehre, aber nicht Ihnen.« – Sogleich fiel er wieder in seinen kalten Ton zurück. »Ich habe eine Abneigung gegen die Ehe,« fuhr er fort: »wenn Sie meine Freundin werden wollen, so versprech' ich Ihnen: (hier zog er ein Blatt Papier aus der Tasche und las:) »jährlich vierhundert Pfund für Ihre kleinen Ausgaben, freye Equipage, Bedienung, Wohnung und Tafel, alles, wie Sie es nach Ihrem Gefallen einrichten wollen, auf meine Rechnung. Trennt uns der Tod, oder nöthigt mich eine unvermeidliche Ursache, nach England zurückzukehren, so bestimme ich Ihnen auf Ihre ganze Lebenszeit tausend Pfund Interessen, wovon Ihnen das Kapital nach meinem Tode sogleich ausgezahlt werden soll. Die Verschreibung desselben soll gerichtlich bestätigt und bey den hiesigen 429 Gerichten niedergelegt werden. – Was sagen Sie dazu?«

Ich. Mylord, ich sage, daß Ihr Anerbieten sehr großmüthig ist, und beklage um so viel mehr, daß ich keinen Gebrauch davon machen kan.

Er. Das thut mir leid. – Aber warum nicht?

Ich. Weil ich in keine Verbindung von dieser Art jemals willigen werde.

Er. Wollen Sie lieber geheirathet seyn?

Ich. Auch das nicht!

Er. Wozu sind Sie denn also auf der Welt? – Haben Sie schon eine andre Liebe? –

Die Frage kam mir so hurtig auf den Hals, daß ich erschrak und in der Verlegenheit mit einem gestammelten »Vielleicht!« antwortete.

Er. Das ist ein ander Ding. Wenn Sie schon in einer andern Verbindung sind, darf ich keinen Anspruch mehr auf Sie machen: hätten Sie mir das gleich gesagt!

»Nein, Mylord!« rief ich etwas entrüstet. »Sie irren sich sehr: ich bin in keiner 430 Verbindung, wie Sie meinen, und werde auch nie in eine treten.

Er. Warum nicht?

Ich. Weil ich sie meiner nicht würdig erachte.

Er. Gut! so wollen wir achthundert Pfund zu kleinen Ausgaben setzen, wenn Ihnen vierhundert nicht genug sind.

Ich. Und wenn Sie zweytausend sezten, bewegten Sie mich nicht dazu. Geben Sie sich keine Mühe!

Er. Ich bedaure. – Aber warum nicht?

Ich. Wie ich Ihnen schon gesagt habe – weil ich mich zu gut dünke, um die Mätresse eines reichen Lords zu werden.

Er. Ein reicher ist ja doch besser als ein armer. – Warum denn nicht bey einem reichen?

Ich. Bey gar keinem! sag' ich Ihnen.

Er. Sonderbar! – Aber warum nicht?

»Weil ich nicht will!« antwortete ich höchst unwillig über sein ewiges Fragen.

Er. Warum wollen Sie denn nicht? –

431 Ich schwieg: er wiederholte unermüdlich sein Warum. – »Ich weis nicht!« sprach ich endlich mit der äußersten Verdrießlichkeit. Wir saßen beide stillschweigend da: es öfnete plözlich Jemand die Thür, der Herr von Troppau, gestiefelt und gespornt, trat herein. – »Was Teufel! machen Sie hier, Mylord?« rief er lachend. – »Ich habe bey der Mamsell geschlafen,« antwortete der eiskalte Lord. – »Bravo!« schrie der Herr von Troppau und wollte sich ausschütten vor Lachen. »Bravo, mein Puppchen! Fangen Sie nun an zu werden?« –

Ich hätte dem hölzernen Lord in die Augen springen mögen: ich mußte einige Zeit den übeln Spas des Herrn von Troppau ausstehen, aber endlich riß mir die Geduld. »Mylord,« sprach ich hastig, »so erzählen Sie doch die ganze Begebenheit, wie sie ist, damit Sie mich nicht in einen unangenehmen Verdacht bringen!« – »Sehr gern!« sagte der Lord und wandte sich zum Herrn von Troppau. »Ich habe in aller Ehrbarkeit bey der Mamsell geschlafen;« – und nun erzählte er ihm den ganzen Vorfall mit 432 allen Umständen nach der Reihe. Als er sein gethanes Anerbieten wieder von seinem Blatte abgelesen hatte, fuhr der Herr von Troppau auf mich hinein – »Und Sie nehmen das nicht an?« fragte er verwundert. »Sind Sie toll? Glauben Sie, daß solche Anträge alle Tage kommen? Mylord, lassen Sie Ihr Blatt hier, damit sies besser überlegen kan.« – Der Lord steckte das Blatt hinter meinen Spiegel: ich wollte es verhindern, aber der Herr von Troppau ließ mich nicht zum Worte kommen. Er sagte, daß ihn seine Schwester habe rufen lassen, um bey mir nachzusehn, was für eine Mannsperson heute bey mir übernachtet hätte; daß sie über mich geseufzt und auf mich geschmäht habe. – Mir stiegen die Thränen in die Augen. – »O Mylord!« sagte ich weinerlich, »Sie haben mich in einen Verdacht gebracht, von dem Sie mich mit Ihrem ganzen Vermögen nicht loskaufen können.« – »Beruhigen Sie sich!« sprach er mit vieler Gutherzigkeit: »ich will der Dame gleich selbst sagen, warum ich bey Ihnen geschlafen habe.« Er 433 wollte gehn, aber es kam ein Bedienter des Herrn von Troppau und sagte ihm etwas ins Ohr. – »Mylord,« fieng er lachend an, »Ihre Bedienten laufen mit Stiefeln und Schuhen in der ganzen Stadt herum und suchen Sie.« – »Me voilà!« sprach er äußerst gelassen und gab Befehl, daß sein Bedienter mit den Stiefeln heraufkommen sollte. Als er kam, war Mylord doch so höflich, daß er vor die Thür gieng und sie mit seinen Pantoffeln vertauschte. Der Herr von Troppau, so sehr er auch davon abwehrte, mußte ihm das Zimmer der Frau von Dirzau zeigen: er gieng unangemeldet zu ihr hinein: wie sie ihn aufgenommen hat, weis der Himmel. Ich bin seitdem in einem sonderbaren Zustande: es ist mir immer als wenn ich mich über dich und deinen Besuch bey Vignali freuen sollte, und gleichwohl mischt sich auch so viel Verdrießlichkeit und Besorgniß darunter. – Lieber Heinrich! traue mir nur! mache mich nur nicht schwächer als ich bin! Und wenns Liebhaber und Anbeter auf mich herabregnete, solltest du sie alle erfahren; und daß mich einer von dir 434 abwendig machte, das ist so unmöglich, als daß um Mitternacht Mittag wird.

Ich habe diesen Brief nur eilfertig hingeworfen. Gutes Glück bey Vignali!

Ich bin Deine

Ulrike.       

Der Brief war noch nicht völlig gelesen, als schon der Lohnkutscher vorfuhr, der Herrmann zu seiner neuen Gönnerin bringen sollte: er stieg hinein, von seinem gewesenen Kameraden begaft, der nebst dem Diener mit neidischem Lachen in der Gewölbthür zusah. Der neugeschmückte Adonis nahm seine ganze Herzhaftigkeit, Lebhaftigkeit und Galanterie zusammen, um vor Madam Vignali mit der bescheidnen Dreistigkeit eines Weltmannes zu erscheinen: der Empfang war überaus gütig, der Besuch dauerte fast bis ein Uhr, das Gespräch war lebhaft und ununterbrochen: Vignali zeigte sich in dem ganzen Glanze ihrer Schönheit und Beredsamkeit; und um Herrmanns Vorstellung von beiden noch zu vergrößern, affektirte sie eine 435 Migräne, die ihr die natürlichste Gelegenheit gab, zuweilen aus dem raschen überwältigenden Tone in den sanften schmachtenden überzugehn. Die Frau war gewiß eine der edelsten Figuren, im großen heroischen Stile von der Natur gebildet: ihre Miene, ihr Ton verschaften ihr über Jeden, der mit ihr sprach, eine Autorität, der man sich ohne Weigerung unterwarf, als wenn die Natur einmal das Verhältniß so bestimmt habe, daß sie allein befehlen, und alle andre Menschen gehorchen sollten. Herrmann wurde schon bey diesem ersten Besuche ihr wirklicher Sklave: es war als wenn sie ihm die Unterwürfigkeit mit dem ersten Blicke in die Seele hauchte. Er bekam die Erlaubniß, Nachmittags sein Zimmer, worinne noch eine Kleinigkeit zu machen war, zu beziehen und auf den Abend in der Gesellschaft bey ihr zu erscheinen. Er war glücklich, vom Wirbel bis zur Fußzehe entzückt über das neue glänzende Leben, wovon er nur ein Vorspiel gesehn hatte, und gestund sich unterwegs, daß Ulrike reizend und liebenswürdig, aber Vignali schön und hinreißend sey. Wie berauscht, taumelte er 436 aus der Kutsche: aber wie traurig wurde er inne, daß ihn sein Besuch mitten zwischen die vornehme und bürgerliche Eßzeit eingeklemmt hatte! denn zu Hause war bereits um Zwölfe gespeist worden, und hätte nicht die Kaufmannsfrau die Neubegierde gehabt, seinen neuen Staat zu besichtigen, und ihn deswegen in die Stube gerufen, so wäre bey aller Glückseligkeit sein Magen leergeblieben: um ihn mit größrer Muße ausfragen zu können, ließ sie ihm einen Rest ihrer Mittagsmahlzeit aufwärmen; und nun wurde gefragt! bis auf den Boden der Seele ausgefragt! Seine Figur war angenehm, ziemlich lang, gutgebaut: sein neuer Putz erhöhte ihren Reiz: die Frau hatte bey der Abwesenheit ihres Mannes entsezliche Langeweile: sie bat den schöngepuzten Herrmann zum Kaffe. Freilich ließ sie wohl auch nichts mangeln, um ihre Schönheiten – sie war wirklich hübsch – und ihre Unterhaltungsgabe in das vortheilhafteste Licht zu stellen: allein so sehr sie zu jeder andern Zeit für sich selbst gefiel, so geringe war ihre Wirkung izt nach einem Besuche bey Madam Vignali, – wie alles so gemein, so 437 alltäglich, so platt in ihren Reden und Manieren gegen das edle große einnehmende Betragen, gegen die feine gewählte lächelnde Sprache einer Vignali! Herrmann hätte sich mit tausendmal größerm Vergnügen in seinem kalten Kämmerchen Vignali gedacht, als diese matte Schönheit den ganzen Nachmittag gesehn. Zu seiner unendlichen Freude erlöste ihn die Ankunft eines Briefs von Ulriken aus dem Zwange. Sie schrieb:

den 28. Jan.

»Hab' ichs doch gedacht: mein Heinrich ist alles, was er seyn will; und wenns ihm morgen einfällt, den Fürsten zu spielen, so ist ers gleich so ganz, als wenn er Zeitlebens nichts anders gewesen wäre. – Wahrhaftig, du bist etwas mehr als ein Mensch. Vignali ist von dir bezaubert: sie spricht von nichts als deinem Lobe: sie findet in dir den vollkommensten Weltmann, dem mans bey dem ersten Hereintritt ansieht, daß er in der großen Welt gebildet ist. Ich mußte mich bey mir über den Lobspruch 438 herzinniglich freuen, daß du sogar so eine feine Frau hast hintergehn können. Die Frau war mir in dem Augenblicke noch einmal so schön, so lieb und werth: ich habe ihr Hände und Lippen beinahe entzweygeküßt vor Herzenswonne, wie sie so ewig von dir redte, als wenn sie gar nicht wieder von deinem Lobe wegkommen könte. Die brave, die vortrefliche Frau! es giebt gar keine bessere auf der Erde.

Ich wunderte mich außerordentlich, daß du wieder weggefahren warst: aber um mich nicht zu sehr zu verrathen, wollte ich nicht nach dir fragen. Der Lord Leadwort erschien: die Suppe wurde aufgetragen: es war noch kein Heinrich da. Wir sezten uns: noch immer war kein Heinrich da – »und wird auch wohl keiner kommen!« dachte ich betrübt. »Ob die Vignali toll ist? Als wenn sie nicht wüßte, daß ich gern mit meinem Heinrich Eine Seele ausmachen möchte!« – Zwar – nun besann ich mich erst – was weis sie denn? Nichts! Also sey ihr der Fehler vergeben! – Aber was half mirs, daß ich ihr den Fehler vergeben mußte? Ich wurde so verdrießlich und tölpisch, wie ein 439 ungezogenes Mädchen. Ich aß ein paar Löffel Suppe: sie schmeckte mir wie Galle, und ich ließ in meinem Verdrusse den Löffel hinein fallen, daß sie herumsprüzte: ich stopfte hastig Brod über Brod in den Mund, trank Wasser, trank Wein: es wurde mir so weh ums Herze, daß mir die Augen übergiengen. Vignali sah mir nachdenkend zu und lächelte: warum nur die Frau lächeln mochte? Es war so ein tückisches Lächeln, das ich noch niemals an ihr gesehn habe.

Der Lord fieng an, sein gewöhnliches tolles Zeug zu machen, nahm jedes Wort in einem andern Sinne und vergaß auch sein ewiges Warum nicht. Man kan fürwahr den Mann nicht anhören, ohne zu lachen. Er trieb einmal die Vignali mit seinem »Aber warum?« so in die Enge, daß sie ihm nichts mehr antworten konte: gleich darauf schlug sie ihn mit seinen eignen Waffen und fragte ihn von jedem Warum wieder das Warum bis ins Unendliche fort, daß er sich mit nichts zu helfen wußte als durch eine Gesundheit, die er der Vignali, als der größten Warumfragerin zubrachte. Am 440 meisten beschäftigte er sich mit mir: bey dieser Gelegenheit habe ich erfahren, daß er in Logogryphen, Räthseln, Auslegungen der Namen und dergleichen Wissenschaften sehr stark ist. Er führt beständig ein Punktirbuch bey sich: neulich, erzählte mir Vignali, thut eine Dame die Frage an ihren Nachbar: ob ich wohl heute Briefe von meinem Manne bekommen werde? – Gleich erscheint der Lord, den sie vorher gar nicht gesehn noch gesprochen hat, übergiebt ihr seine Schreibetafel und einen Bleistift: »Punktiren Sie!« sagt er. Die Dame weis nicht damit umzugehen: er erklärt ihr also das Geheimniß der Kunst, kniet vor ihr mit dem rechten Knie nieder, legt auf das Linke seine Punktirtabellen, zählt, sagt ihr die Buchstaben, und sie muß sie aufzeichnen. Die ganze Gesellschaft, die wenigstens aus zwanzig Personen bestanden hat, versammelt sich um ihn; aber er punktirt ungestört fort. Mir hat er heute bey Tische mein ganzes künftiges Leben auspunktirt und brachte heraus, daß ich ihn heirathen würde: aber ich versicherte ihn, daß seine Tabelle entsezlich falsch seyn müßte. – »Aber warum?« 441 fragte er. – Weil ich Sie nicht heirathen werde, antwortete ich; und er schwieg.

Nach Tische gieng eine ernsthaftere Scene vor. Ich war mit Vignali allein. »Meine Liebe,« fieng sie auf einmal abgebrochen an, »Sie sind eine Baronesse von Breysach.« Sie sagte das mit dem eignen Tone, den sie allemal braucht, wenn sie entdeckt, daß sie etwas weis, was sie nicht wissen soll. – »Sie sind eine Baronesse von Breysach.« – Ich war so überrascht, als wenn der Tod plözlich vor mir stünde. – »Erschrecken Sie nicht!« fuhr sie fort. »Sie sind eine Baronesse von Breysach, sind Ihrer Tante in Dresden entlaufen und haben den Namen Ihres Vetters angenommen.«– Ich hatte mich unterdessen ein wenig gesammelt, und fragte sie mit gezwungenem Lachen: wer hat Ihnen das Mährchen überredet? – »Sie kennen eine Frau Hildebrand?« sagte sie etwas spöttisch. »Die Frau Hildebrand hat eine Muhme in Dresden, die Sie von Leipzig bis Dessau gebracht hat; und diese Muhme in Dresden ist sehr wohl bekant bey der Oberstin, der Sie entlaufen sind: 442 und diese Muhme in Dresden hat ihrer Muhme in Berlin Ihre Geschichte anvertraut, und diese Muhme in Berlin hat mir, der Madam Vignali, Eröfnung davon gethan: wie doch ein Mährchen unter so vielen Händen zur Wahrheit werden kan! Ich hab' es gewußt, ehe Sie noch ins Haus kamen, und Ihnen heute erst entdecken wollen, daß ich das Mährchen weis.« – Ich war gefangen: das Herz wollte mir brechen: ich warf mich ihr mit Thränen zu Füßen und bat sie bey allem, was heilig ist, mich nicht zu verrathen: vor Begierde und Angst stürmte ich so in sie hinein und riß so stark an ihrem Kleide, daß alle Nähte an ihm krachten und plazten: in dem Augenblicke machte sie eine so schadenfrohe stolze tückische Mine, die mir durch die Seele fuhr, wie ich noch nie eine in ihrem Gesichte gesehn habe. – »Stehn Sie auf!« sprach sie beleidigend stolz zu mir: »so bittet man einen Kaiser, aber keine Freundin.« – Gleich gieng ihr Gesicht wieder zur süßesten Freundlichkeit über: sie versicherte mich bey ihrer Ehre, daß Niemand durch sie mein Geheimniß erfahren sollte, so lang ichs nicht entdeckt wissen wollte. – »Hören Sie 443 nun auch,« fuhr sie fort, »warum ich mich gerade izt mit Ihnen in dies Gespräch einlasse! Der Lord Leadwort hat Ihnen heute einen Antrag gethan, den Sie ausgeschlagen haben: er läßt Ihnen jezt einen andern durch mich thun: er will Sie heirathen. Was sagen Sie zu diesem Antrage? –

»Was ich heute früh gesagt habe!« antwortete ich entschlossen.

»Sie sind ein Kind,« sagte sie, auch gerade in dem Tone, wie man mit Kindern spricht. »Ich will Sie nur erst mit dem Manne recht bekannt machen:« – und nun holte sie ein großes Papier aus dem Schreibeschranke, wovon sie mir eine unendliche Menge Reichthümer ablas, nebst allem, was er mir zum Leibgedinge aussezte. Bey seinem Leben versprach er mir jährlich tausend Pfund zu den kleinen Ausgaben, und nach seinem Tode ein Leibgedinge von zweytausend Pfund jährlichen Einkünften, die ich aber nirgends als in Engelland verzehren könte: bey seinem Leben sollte es meiner Wahl überlassen seyn, ob ich beständig in Engelland, oder abwechselnd ein Jahr in Teutschland, und ein Jahr in 444 Engelland leben wollte. So viel habe ich mir nur daraus gemerkt. – Als Vignali fertig war, fragte sie mich mit recht spitzigem Tone: sagen Sie nun noch, wie heute früh?

»Ja,« sprach ich mit festem Accente, so fest wie mein Entschluß, und schlug mit beiden Händen auf die Brust: »wie heute früh, spreche ich noch izt und werde ewig so sprechen.« – »Gehn Sie!« sagte die stolze Frau und stieß mich verächtlich von sich. »Sie sind ein Kind. Gehn Sie! ich muß zum Besuch fahren.« – Sie gieng, ohne Abschied zu nehmen, in ihr Kabinet und ließ mich allein stehn.

Ich bin in Todesangst, was man nun alles wider mich anzetteln wird. Ob sie vielleicht gar unsre Liebe weis? Aber wie wäre das möglich? Sie müßte allwissend seyn. Damit wir uns nicht verrathen, wollen wir einander nicht anders als bey Vignali sehen und desto öftrer schreiben. Der Ueberbringer meiner heutigen Briefe soll dein Bedienter werden: Vignali läßt ihm eine Liverey machen. Da mich die Hildebrand so schändlich verrathen hat, trau ich 445 auch ihrem Sohn nicht: wer weis, warum Vignali ihn zu deinem Bedienten gewählt hat? aber es ist unmöglich: sie weis nichts, und soll auch nichts erfahren. Daß ja jeder Deiner Briefe fest, fest zugesiegelt und auf starkes Papier geschrieben ist! Lieber gieb ihm garnicht die Form eines Briefs! Wenn die verschmizte Frau alles auskundschaftet, soll ihr doch unsre Liebe ein Geheimniß bleiben.

Du denkst doch nicht etwa, daß mir meine abschlägige Antwort auf des Lords Anerbieten etwas gekostet hat? – Nicht Einen Zuck am Herze! Nicht Eine bittre Empfindung! – Nein, Heinrich! so klein bin ich nicht! Kont' ich meinen ehrlichen Ruf um deinetwillen aufs Spiel setzen; war mir meine Ehre gegen deine Liebe eine Feder, so sind mir zweytausend Pfund Leibgedinge gewiß nur eine Seifenblase dagegen. Weg, weg mit ihnen! Du bist mir Reichthums genug; was brauch' ich mehr?

Eben läßt mir Vignali sagen, daß dein Zimmer in Bereitschaft ist: der Ueberbringer hat Befehl dich zu begleiten und anzuweisen. Mache dich gleich auf den Weg!

446 Ich bin diesen Abend nicht zur Gesellschaft gebeten worden; und doch du! Was das nur bedeuten mag? – O die unselige Vignali! ich zittre vor ihrer List wie vor einer Schlange.

U.       

Unmittelbar nach der Durchlesung des Briefs wurde eine Kutsche bestellt: weil es schon finster war, ließ Herrmann sein leichtes Kufferchen, das seine sämtlichen Effekten in sich faßte, hineinschieben, nahm im Hause Abschied und fuhr davon. Seine neue Wohnung war schön, zierlich, voll Geschmack, der Heinrich, der noch vor einigen Tagen die Schürze trug, zum vornehmen Herrn geworden: alles fand er hier wieder, wie aus dem Schlosse des Grafen Ohlau: er kehrte zu dem vornehmen glänzenden Leben wieder und sah in sein bisheriges, wie in ein Grab, wie ins Nichts, zurück. Freilich Ulrikens Brief! das war ein verzweifeltes Gegengewicht gegen seine Freude. Er wollte ihn noch einmal lesen, aber er mußte ihn verstecken; denn Vignali trat herein, um ihn aus übertriebner 447 Höflichkeit zu bewillkommen. Sie nahm ihn mit sich auf ihr Zimmer, wo sie ihm seine Ueberlegung über Ulrikens Brief aus dem Kopfe rein herausschwazte. Lairesse stellte sich sehr zeitig ein und trug auch das ihrige zu seiner Aufheiterung bey: sie versuchte ihre ganze unendliche Tändelsucht an ihm. Ihr Lieblingszeitvertreib bestund darinne, daß sie die tollsten ungeheuresten Figuren in buntem Papiere ausschnitt und ihre Gesellschafter damit auspuzte: deswegen legte ihr Vignali jedesmal, wenn sie zum Besuche bey ihr war, buntes Papier und eine Scheere in Bereitschaft, welches auch diesen Abend geschehn war. Sie schnitt Riesen, Zwerge, Polischinelle, Hanswürste, Pantalons und andere Karikaturen: Vignali fand an dieser Beschäftigung allmälich auch Geschmack: auch Herrmann bekam eine Scheere; und so saßen sie alle drey an einem kleinen Tischchen mit der äußersten Geschäftigkeit und Ernsthaftigkeit, und jedes suchte das andre durch die größre Abentheuerlichkeit seines Produkts zu übertreffen. Lairesse sang mitunter ein französisches Liedchen zu der Arbeit, behieng 448 den armen Herrmann vom Kopf bis zu den Füssen mit den abscheulichsten Fratzengesichtern und lachte ihn aus, schwenkte ihn tanzend ein paarmal um, daß die Papiermänner in dem Zimmer herumflogen, trällerte, aß ein Stückchen Biscuit, neckte Vignali, neckte Herrmann, sezte sich wieder an die Papierarbeit und suchte jedem ihrer Mitarbeiter durch Stöße oder muthwillige Scheerenschnitte, wenn sie izt den lezten vollendenden Meisterschnitt thun wollten, das Werk zu verderben. Die Tischgesellschaft bestund für diesmal nur aus diesen drey Personen, war eben so kindisch lustig, und Herrmann, dem alle diese Auftritte neu waren, gieng zufrieden und vergnügt aus ihr auf sein Zimmer, um sich desto trauriger die Nacht hindurch mit Ulrikens Briefe herumzuschlagen.

 


 

Ende des zweiten Bandes.

 


 << zurück