Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 2
Johann Karl Wezel

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Zweites Kapitel.

Herrmann erhielt bey seiner Ankunft zu Hause, wohin er erst nach stundenlangem Herumirren den Weg fand, von seinem Kameraden die Nachricht, daß der Diener schon die zehn Dukaten verdient und das Mädchen ins Haus gelockt habe, wo sie heute übernachte: dabey berichtete er auch den Unwillen des Herrn über sein langes Außenbleiben, und hinterbrachte ihm als eine geheime Entdeckung, daß der Herr willens sey, ihn mit dem Mädchen wieder nach Hause zu schicken.

Den Morgen darauf bestätigten sich alle diese Nachrichten: der Kaufmann ließ ihn zu sich auf 352 die Stube kommen und stellte ihm sehr glimpflich vor, daß er nicht zum Kaufmanne tauge und für ihn insbesondere ganz unbrauchbar sey: er habe sich also schon längst vorgenommen, ihn nach Verlauf der Probezeit wieder von sich zu thun, allein da sich ihm izt eine so bequeme Gelegenheit darbiete, wieder nach Hause zu seinem Freunde Schwinger zu kommen, so solle er sich in Bereitschaft setzen, diesen Nachmittag mit abzufahren. – »Die Anverwandtin des Grafen,« sezte er hinzu, »ist gefunden: ich habe sie niemals gesehn, weil sie schon in Dresden war, als ich mich wegen meiner Geschäfte auf seinem Schlosse aufhielt. Wir sollen sie nicht merken lassen, was mit ihr vorgeht: ich habe ihr also eine Lustreise vorgeschlagen – denn so hat es der Graf ausdrücklich verlangt – sie hat die Partie angenommen: mein Kuffer wird in dem Thore heimlich hinter der Kutsche aufgepackt; und hab' ich sie nur einmal ein Paar Stunden von der Stadt, so soll sie schon reisen müssen, wenn sie nicht im Guten will. Du mußt sie wohl kennen?« 353

Herrmann. Ja – nicht sonderlich – so ziemlich.

Der Kaufmann. Ich will sie dir hernach zeigen: aber daß du dich nicht von ihr blicken läßt! sie möchte sonst Argwohn schöpfen. Sie hat sich mit dem Bordelwirthe veruneinigt und ist schon ein Paar Tage her für sich in der Stadt herumgewandert: sie sieht hübsch aus, aber es ist ein erzlüderliches Thier. Wenn ich wie der Graf wäre, ich ließe sie laufen und dächte gar nicht daran, daß sie meine Verwandtin ist. Man muß aber das dem Grafen verschweigen: schreibe ja nichts an Schwingern davon, und wenn du nach Hause kömmst, thu als wenn du nichts davon wüßtest! – Sie ähnlicht zwar dem Porträt nicht ganz, aber wie sie gelebt hat! es ist ein Wunder, daß sie sich noch so ähnlich sieht. – Es thut mir leid, daß wir nicht beysammen bleiben können: aber es ist vielleicht zu deinem Glücke: halte dich also bereit! –

Herrmann dankte mit den tiefsten Verbeugungen für sein Anerbieten und ersuchte ihn nur um die Erlaubniß, sich noch einen oder etliche Tage 354 im Hause aufzuhalten: er habe schon lange Abneigung gegen Kaufmannsgeschäfte in sich gefühlt und sich deswegen nach einer Schreiberstelle umgethan, die er in einigen Tagen anzutreten, und wodurch er Sekretär in einem angesehenen Hause zu werden hofte. Der Kaufmann fragte nach dem Namen des künftigen Herrn, und Herrmann nennte ihm einen Geheimerath, auf welchen sich jener freilich nicht besinnen konte, weil Herrmann auf der Stelle seinen Namen erfunden hatte. Er mußte noch ein paar Fragen von dahin gehörigem Inhalte beantworten, und er log sich glücklich aus der Verlegenheit heraus.

Eine gelungne Lüge verleitet leicht zur zweiten. – Der Kaufmann rief die vermeinte Ulrike zu sich in die Stube, und Herrmann mußte sie aus dem Kabinete beobachten. Er fand wirklich einige Aehnlichkeit mit Ulriken an ihr, aber nur wer die rechte Ulrike nicht gesehn hatte, konte die falsche mit ihr verwechseln. Der Kaufmann fragte ihn um seine Meinung; und das Glück, die wahre Ulrike zu besitzen, und die 355 Freude, einen Mann zu kränken, der ihn von jeher gehaßt hatte, machte ihn so übermüthig keck, daß er versicherte, sie sey es leibhaftig. Nun war aller Zweifel bey dem Kaufmanne gehoben.

Dreimal, viermal glücklicher Herrmann! Kaum vermochtest du dein Glück zu fassen. Von lästigen Beschäftigungen befreyt, mit den angenehmsten Aussichten auf Fortkommen und Ehre geschmeichelt, am Grafen durch eine einzige Lüge gerächt, und vor allen Dingen – in Ulrikens ungestörtem Besitze! einer Verbindung mit ihr, wenigstens in Gedanken, nahe! ohne Furcht, ohne Besorgniß, entdeckt, verfolgt, getrennt zu werden! in der schönsten glänzendsten Stadt Teutschlands! – Wenn das nicht dem Glück im Schooße sitzen heißt, was soll es denn seyn?

Sein Glück sollte noch höher wachsen: gegen Mittag kam eine Frau und brachte ihm folgenden Brief von Ulriken.

den 27. Jan.

»Freude, Freude, lieber Heinrich! Wir 356 kommen einander immer näher. Ich habe heute mit Madam Vignali deinetwegen gesprochen: sie will dir, meinen Fenstern gegenüber, in ihrem Hause ein Zimmer einräumen, dich mit Möbeln, Betten und allen übrigen Bedürfnissen versorgen. So viel thut sie mir zu Gefallen; und wenn sie dich kennt, will sie dich, dir zu Gefallen, bey sich speisen lassen. Sie sagte zwar: »wenn ich ihm, und er mir gefällt« – aber das ist gar keine Frage. Das sagt' ich ihr auch: er muß Ihnen gefallen oder – weiter wollt' ich nichts sagen: aber es verdroß mich, daß sie noch erst daran zweifeln konte. Kurz und gut! lege deinen Kaufmannsjungen ab und bestelle in der Minute den Schneider! Laß dich herausputzen, wie einen Prinz! ich bezahle, und wenn mein Geld nicht zureicht, streckt mir Madam Vignali Händevoll vor. Ich freue mich schon, wie ein Kind auf die erste Puppe, wenn meine Herzenspuppe, mein Heinrich, zum erstenmale im Degen, chapeau bas, seidnem Futter, gestickten Knöpfen, en herisson frisirt, wie ein Adonis, vor mir erscheinen wird. Ob ich dich kennen werde? – 357 Vielleicht nicht mit den Augen, aber mein Herz erkennt dich gewiß: das hüpft dir gleich entgegen, sobald du nur in die Stube trittst: es will itzo schon mit aller Gewalt zur Schnürbrust heraus, und wenn ich das närrische Ding frage, was ihm ist – »er kömmt! er kömmt!« ruft es und will sich ganz vor Freude zerstoßen.

Du mußt mit deinem Putze morgen früh zu Stande seyn; denn morgen Mittag um zwölf Uhr sollst du Madam Vignali aufwarten. Sie hat mich schon auf morgen zu Tische gebeten, und ich hoffe, daß sie selbst so gescheidt seyn und dich auch einladen wird. Ich schicke dir mit diesem Briefe hundert Thaler, damit du die nöthigen Unkosten bestreiten kanst; und nun, lieber Heinrich! kaufe, bestelle, laß nähen und arbeiten, und wenn der ganze Schneider mit seinen Gesellen darüber zu Grunde gienge: ich laß ihn begraben, wenn er sich zu Tode näht, und setze ihm auf seinen Leichenstein: »Ein wackrer Schneider! er nähte hurtig und starb, wie ein Held, für die ungeduldige Liebe.« – Kan 358 denn ein Schneider wohl eines edleren Todes sterben?

Vermuthlich möchtest du gern wissen, was diese so oft genannte Madam Vignali für ein Geschöpf ist? Ich will dirs sagen, lieber Heinrich, während daß sich Frau Hildebrand, die Ueberbringerin dieses Briefs, die auch ins künftige unsre Botenfrau seyn wird, ihre rothen Finger an meinem Ofen aufthaut. Rund herausgesagt! es ist die Mätresse meines Herrn: er hält ihrer drey, eine Italiänerin, welches die hochbelobte Madam Vignali ist, eine Französin, die Mademoiselle Lairesse heißt, und eine Teutsche, deren eigentlichen Namen ich nicht weis: weil mein Herr die teutschen Namen nicht leiden kan, hat er sie wegen ihrer rosenfarbnen Wangen Mademoiselle Rosier genannt, und das ist nunmehr bey Jedermann ihr Name. Jede von diesen drey Schönen wohnt in einem andern Theile der Stadt, und jede ist also eine halbe Stunde von der andern entfernt. Des Abends giebt meistentheils Vignali ein kleines Essen für einen kleinen Zirkel guter Freunde, das der 359 Herr von Troppau das Soupé der drey Nationen nennt, weil die andern Beiden, Lairesse und Rosier, allemal auch dabey sind. Sie leben sehr einig und freundschaftlich unter einander, besuchen sich oft und haben mich alle drey von Herzen lieb: die Hauptrolle aber spielt deine künftige Gönnerin, Madam Vignali, weil sie den meisten Verstand hat. Du wirst sie alle nach der Reihe kennen lernen und dich herrlich bey ihnen befinden; denn sie sind beständig lustig und guter Dinge. Nur Vignali ist ein wenig ernsthaft und will gern wie eine große Dame behandelt seyn. Nimm deine ganze Galanterie zusammen bey ihr; denn davon ist sie Liebhaberin: aber Schelm! wenn du mir nicht bey der Galanterie stehen bleibst! – In ihrer und aller Andern Gegenwart sind wir Cousin und Cousine; denn nun mußt du allmälich anfangen, dein Teutsch zu verlernen und alles französisch zu nennen, auch wenn du teutsch sprichst. Madam Vignali wird französisch mit dir reden, weil sie kein Teutsch kan: allein laß dich das nicht anfechten! ich habe sie schon vorbereitet, daß du in der Sprache 360 noch nicht geübt genug bist. – »Ich will ihn schon unterrichten,« sagte sie. Mit einer solchen Sprachmeisterin bist du doch wohl zufrieden? –

Ja doch! gleich, Frau Hildebrand! Ihre Finger können unmöglich schon aufgethaut seyn. – Die Frau drängt und treibt mich, daß ich vor Uebereilung tausend höchstnöthige Dinge vergessen werde. Laß sie dir einkaufen helfen, sie versteht sich auf die Preise und ist ehrlich.

Ich muß nur schließen; denn sie treibt schon wieder. – O Heinrich! wer hätte sich in Dresden so überirdisch großes, so übermäßiges Glück träumen lassen? Wer hätte sich nur die Hälfte so vieler, so entzückender Freude vorgestellt? – Ich bin auch so trunken, so wirblicht davon, daß ich taumle: ich glaube, ich fantasire gar zuweilen. Die Leute sagen immer, daß die Liebe ernsthaft macht: Lügen! lauter Lügen! Mich macht sie so lustig, daß ich oft für mich ganz allein lachen muß; und ich bin doch verliebt, das weis der Himmel! Ich glaube, daß sich alle Liebe, die es nur auf der Welt giebt, in das kleine Fleckchen hier, in mein Herz, 361 zusammengezogen hat. Ich merke auch gar nicht, daß sich Jemand außer uns liebt: hast du Jemanden gesehn? – Nicht wahr? keine Seele! Die guten Leute können nicht: es ist so kalter Winter in ihren Herzen und Gesichtern, wie auf der Straße; denn die Mädchen haben keinen Heinrich, und die Jünglinge keine Ulrike. Wen ich nur erblicke, der schielt mich an und seufzt in Gedanken: »ach, wer so glücklich wäre, wie die!« – Sie dauern mich recht, die armen Leute!

Die ungestüme Frau Hildebrand! fragt sie nicht schon wieder, ob ich fertig bin? – O sie kan sich heute den ganzen Tag bey mir wärmen, ich bin doch immer noch nicht fertig: aber ich will mir Gewalt anthun, punctum. Lebe wohl.

Diesen Abend um fünf Uhr hoft man die Ehre zu haben, den Herrn Cousin bey sich zu sehn. Es warten zwey Dinge auf Dieselben, meine Reisebeschreibung und

Deine

Ulrike.       

362 Nach Empfang dieses Briefes wurde kein Augenblick versäumt, die verlangten nöthigen Anstalten zur morgenden Aufwartung zu machen, dem Schneider doppeltes Macherlohn versprochen und alles übrige doppelt so theuer eingekauft, als es weniger eilfertige Leute bezahlt hätten. Es schlug fünfe, und der glückliche Herrmann gieng, stolz auf sein Schicksal, zur wartenden Ulrike. 363

 


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