Gustav Weil
Tausend und eine Nacht, Zweiter Band
Gustav Weil

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Geschichte des Kaufmanns und seines Sohnes.

O König! Einst mußte ein sehr reicher Kaufmann während der Schwangerschaft seiner Frau eine Reise machen. Er ging zu ihr, stellte ihr die Notwendigkeit seiner Reise vor, versprach ihr, vor ihrer Niederkunft zurückzukehren, und nahm Abschied von ihr. Da kam er auf seinen Reisen zu einem König, welcher einen guten Minister, um das Land zu regieren, suchte. Der König fand den Kaufmann so gebildet, klug und kenntnisreich, daß er ihn zu seinem Minister ernannte und ihm viel Gutes erwies. Nach einiger Zeit hielt der Kaufmann um Erlaubnis an, wieder nach seiner Heimat zurückzureisen, aber der König wollte ihn nicht entlassen. Dann bat er nur um Erlaubnis, seine Familie zu besuchen, und versprach, wiederzukommen; dies gestattete ihm der König und schenkte ihm noch einen Beutel mit tausend Dinaren. Der Kaufmann bestieg ein Schiff und trat seine Rückreise an, An demselben Tage aber schiffte sich auch seine Gattin ein, welche den Aufenthaltsort ihres Mannes erfahren hatte, um mit dem Zwillingspaar, das sie in seiner Abwesenheit geboren hatte, sich zu ihm zu begeben. Das Schiff, auf welchem die Mutter mit ihren Kindern war, landete gerade auf einer Insel, als das, auf welchem der Kaufmann war, von der entgegengesetzten Seite ankam. Da sagte die Frau zu ihren Kindern: »Dieses Schiff kommt aus dem Lande, wo euer Vater wohnt, geht ans Ufer und erkundigt euch nach ihm.« Sie gingen ans Ufer und machten viel Geräusch in der Nähe des Schiffes ihres Vaters. Ihr Vater schlief gerade im Schiffe und fuhr erschrocken auf bei dem Geschrei der Kinder; er stand auf, um sie schweigen zu machen, da fiel ihm sein Beutel zwischen die Waren und er konnte ihn nicht mehr finden. Er schlug sich ins Gesicht, faßte die Jungen und sagte ihnen: »Ihr habt mir den Beutel gestohlen, ihr habt nur hier gespielt, um mich zu bestehlen; es war niemand außer euch da.« Er nahm dann einen Stock und prügelte sie; die Kinder weinten und die Matrosen versammelten sich um sie und sagten: »Alle Kinder dieser Insel sind Diebe.« Nun wurde der Kaufmann so aufgebracht, daß er schwor, sie ins Wasser zu werfen, wenn sie den Beutel nicht herausgäben.

Nachdem der Kaufmann geschworen hatte, nahm er die Kinder und befestigte sie an einem Bund Zuckerrohr und warf sie ins Wasser. Als die Kinder lange nicht zu ihrer Mutter zurückkehrten, kam sie in die Nähe des Schiffs, um sie zu suchen, und da sie sie nirgends sah, erkundigte sie sich nach ihnen bei den Matrosen und beschrieb das Alter und Aussehen derselben. Die Matrosen sahen bald ein, daß diese Frau die Mutter der Kinder sei, welche ins Wasser geworfen worden, und erzählten ihr, was ihren Kindern widerfahren. Die Frau schrie: »Wie schade um eure Herrlichkeit, o meine Kinder! Wo ist das Auge eures Vaters, daß es euch sehe?« Da fragte sie einer der Schiffsleute: »Wessen Gattin bist du?« Sie antwortete: »Ich bin die Gattin des Kaufmanns N.N., zu dem ich eben reisen wollte, als dieses Unglück mich traf.« Als der Kaufmann dies hörte, umarmte er sie, dann stand er auf, zerriß seine Kleider, schlug sich auf den Kopf und rief: »Bei Gott, ich habe selbst meine Kinder getötet. Das ist die Strafe dessen, der die Folgen einer Handlung nicht bedenkt und übereilt handelt.« Er weilte dann eine Weile im Schiff mit seiner Gattin, dann sagte er: »Bei Gott, ich werde keine Freude mehr am Leben haben, bis ich weiß, was aus meinen Kindern geworden. « Er schwamm im Wasser herum, fand sie aber nicht mehr, denn ein heftiger Wind hatte sie ans andere Ufer getrieben. Eins dieser Kinder wurde von Freunden des Königs aufgenommen, bei dem sein Vater gewohnt hatte. Als das Kind dem König gebracht wurde, gefiel es ihm sehr, daß er es an Kindesstelle annahm und als sein eigenes Kind ausgab, das er aus zärtlicher Liebe bis jetzt verborgen habe. Alle Welt freute sich darüber und der König bestimmte ihn zu seinem Nachfolger und Erben.

Nach einigen Jahren starb der König und sein Adoptivsohn bestieg den Thron ohne Widerspruch. Seine Eltern hatten lange die Insel durchsucht, um ihn und seinen Bruder wiederzufinden, konnten aber keine Spur von ihnen auffinden; nachdem sie alle Hoffnung, ihre Kinder wiederzusehen, verloren hatten, ließen sie sich auf eine Insel nieder. Eines Tages, als der Kaufmann auf den Markt ging, sah er einen Makler mit einem Jungen an der Hand, den er verkaufen wollte. Da dachte er bei sich: ich will diesen Jungen kaufen und mich durch ihn über den Verlust meiner Kinder trösten; er bewilligte dem Makler den geforderten Preis und führte den Jungen nach Hause. Als seine Frau ihn sah, schrie sie: »Bei Gott, das ist mein Sohn!« Vater und Mutter freuten sich sehr und fragten ihn nach seinem Bruder; er sagte: »Das Meer hat uns getrennt, ich weiß nicht, wo er hingekommen.«

Mehrere Jahre nach dem unerwarteten Wiederfinden seines Sohnes ließ der Kaufmann ein Schiff mit kostbaren Waren beladen und schickte seinen Sohn damit in die Residenz seines Bruders, denn auch die Insel, welche sie bewohnten, gehörte ihm. Als der König hörte, es sei ein fremder Kaufmann mit Waren angekommen, die für ihn passen, ließ er ihn rufen. Er erkannte seinen Bruder nicht, doch fühlte er sich mächtig zu ihm hingezogen und sagte ihm: »Ich wünschte, daß du bei mir bliebest, ich will dich groß machen und dir geben, was du nur begehrst.« Der junge Kaufmann blieb einige Zeit bei seinem Bruder, und als er sah, daß dieser sich gar nicht mehr von ihm trennen wollte, benachrichtigte er seine Eltern davon und bat sie, zu ihm zu kommen. Bald nach ihrer Ankunft kam einmal der König betrunken nach Hause. Da dachte der junge Kaufmann: »Der König verdient wohl durch seine vielen mir erwiesenen Wohltaten, daß ich ihn selbst diese Nacht bewache.« Er stellte sich daher mit gezogenem Schwerte an die Türe des königlichen Gemaches. Ein junger Mann, der ihn längst schon wegen des Ansehens beim König beneidete, sah ihn in dieser Stellung und fragte ihn, warum er so mit gezogenem Schwerte dastehe. »Ich will den König selbst bewachen, weil er mir so viel Gutes erwiesen,« erwiderte ihm der junge Kaufmann.

Als der neidische Jüngling aber am folgenden Morgen diese Begebenheit seinen Freunden erzählte, sagten sie: »Das ist eine gute Gelegenheit, dem fremden Kaufmann die Gunst des Königs zu entziehen und uns Ruhe vor ihm zu schaffen.« Sie gingen hierauf zum König und sagten ihm, sie wünschten ihm einen Rat zu geben, und auf die Frage des Königs, was es wäre, antworteten sie: »Der junge Kaufmann, dem du dich so genähert und den du über alle dein Günstlinge erhoben hast, hat gestern vor unsern Augen mit gezogenem Schwerte auf dich losrennen wollen, um dich zu töten.« Als der König dies hörte, wurde er blaß und sagte: »Könnt ihr das beweisen?« - »Willst du den besten Beweis von der Wahrheit unserer Aussage haben«, antworteten die Verleumder, »so stelle dich diese Nacht wieder betrunken und lege dich nieder, da wirst du mit deinen eigenen Augen dich überzeugen.« Sie gingen hierauf zum jungen Kaufmanne und sagten ihm: »Wisse, der König hat dich deiner gestrigen Tat willen sehr gelobt und er wird dich dafür aufs glänzendste belohnen.« In der folgenden Nacht befolgte der König den Rat der bösen Jünglinge, und als er den Kaufmannssohn mit gezogenem Schwerte kommen sah, fürchtete er sich vor ihm, ließ ihn festnehmen und sagte ihm: »Ist das der Lohn für meine dir erwiesenen Wohltaten? Du bist mir näher als irgend jemand gestanden und nun verfährst du so schlimm gegen mich?« Zwei Jungen fragten sogleich den König, ob sie ihm den Kopf abschlagen sollten. Aber der König antwortete: »Einen Menschen umbringen ist eine sehr leichte Sache, aber auch eine sehr ernste; wir können leicht den Lebendigen töten, aber dem Toten nicht mehr das Leben wiedergeben. Darum will ich diesen Verbrecher einstweilen nur einsperren lassen, seinen Kopf kann ich immer noch haben.« Hierauf verließ sie der König, nahm seine Tagesarbeit vor, ging dann auf die Jagd, kehrte zur Stadt zurück und dachte nicht mehr an den Eingesperrten. Da kamen die Feinde des Kaufmannssohnes zum König und sagten: »Wenn du diesen Verbrecher nicht bestrafst, so werden alle jungen Leute nach deinem Reiche lüstern werden.« Diese Worte erweckten den Zorn des Königs, er ließ den Angeklagten wieder vor sich führen und den Scharfrichter holen, um ihm den Kopf abzuschlagen. Schon hatte man dem Jüngling die Augen zugebunden und der Scharfrichter stand ihm zu Häupten und sagte: »Wenn du es erlaubst, o König, so haue ich zu.« Als der König erwiderte: »Halte ein! Ich will noch darüber nachdenken, ich kann ihn immer noch töten lassen; führet ihn wieder ins Gefängnis zurück!« Inzwischen hatte der Vater des jungen Kaufmanns von dem Schicksale seines Sohnes Nachricht erhalten. Er eilte sogleich zum König und überreichte ihm ein Schreiben, welches folgende Worte enthielt:

»Habe Mitleid mit mir, Gott wird sich auch deiner erbarmen! Übereile dich nicht, wo es ein Menschenleben gilt, denn ich habe aus Übereilung einen Sohn ins Wasser geworfen, den ich nie mehr wiedergefunden. Glaubst du, daß er den Tod verdient, so töte mich statt seiner.«

Er fiel dann vor dem König nieder und weinte. Der König forderte ihn auf, die Geschichte seines ertrunkenen Sohnes ausführlich zu erzählen, und als er damit zu Ende war, stieß der König ein lautes Geschrei aus, stieg vom Thron herunter, umarmte seinen Vater und seinen Bruder und sagte: »Bei Gott, du bist mein Vater, dieser Jüngling ist mein Bruder und deine Gattin ist unsere Mutter. Seht ihr«, sagte er zu den Leuten, welche um ihn versammelt waren, »wie wohl ich daran getan habe, mich in meinem Hinrichtungsbefehle nicht zu übereilen«, und alle Leute bewunderten seine Einsicht und Überlegung. Dann sagte er, zu seinem Vater sich wendend: »Wärest du damals auf der Insel nicht so rasch gewesen, so hättest du dir diese ganze Zeit her viele Reue und Trauer erspart.« Der König ließ dann auch seine Mutter kommen und ein glückliches Leben in der Mitte seiner Verwandten war der Lohn seiner Bedachtsamkeit.

»Darum«, sagte der Jüngling zum König, »übereile auch du meinen Tod nicht, du möchtest ihn zu spät bereuen, denn nichts ist schlimmer, als die Folgen einer Tat nicht zu bedenken. « Als der König dies hörte, ließ er den Jüngling ins Gefängnis zurückführen und beschloß, noch einige Zeit über ihn nachzudenken.

Am dritten Tage kam der dritte Vezier zum König und sagte: »O König! Verschiebe die Strafe dieses Jünglings nicht länger, denn schon sprechen alle Leute von seiner Schandtat: Laß ihn schnell umbringen, daß keine Rede mehr von ihm sei. Man soll nicht sagen: der König hat jemanden auf dem Bett seiner Gattin gefunden und ihm verziehen.« Diese Worte des Veziers reizten den Zorn des König wieder; er ließ den Jungen gefesselt vorführen und sagte ihm: »Du bist ein Mensch von schlechter Herkunft, du hast mich entehrt, drum will ich dich aus der Welt schaffen.« Der Junge sage: »O König! Gebrauche Geduld in allen deinen Handlungen, so wirst du alle deine Wünsche erlangen; Gott führt immer durch Geduld zum Glück. So ist Abu Saber durch Geduld von der Grube auf den Thron gestiegen.« - »Was ist das für eine Geschichte?« fragte der König; und der Jüngling begann:


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