Gustav Weil
Tausend und eine Nacht, Zweiter Band
Gustav Weil

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Geschichte Hischams, Sohn des Abd Almelik.

Man erzählt: Als Hischam einst auf der Jagd war, setzte er mit seinen Hunden einem Reh nach (er sah es bald nicht mehr) und fragte einen jungen Araber, der Schafe hütete: »Hast du kein Reh gesehen, das mir eben entwischt ist?« Der Junge antwortete, indem er den Kopf zu Hischam aufhob: »Warum verkennst du den Wert des Bessern und siehst mit Geringschätzung auf mich herab und sprichst so unhöflich mit mir? Deine Worte sind die eines Tyrannen, und dein Benehmen ist das eines Esels.«

Hischam sagte: »Kennst du mich nicht? wehe dir!« Der Junge antwortet: »Ich kenne dich als einen ungebildeten Mann, weil du mich anredest, ohne mich vorher zu grüßen.« - »Wehe dir!« rief Hischam, »ich bin Hischam, der Sohn Abd Almeliks.« Der Araber erwiderte: »Gottes Gnade bleibe fern von dir! wie viel sind deine Worte, und wie wenig deine edlen Taten!« Aber noch ehe der Araber ausgeredet hatte, umgaben Hischam seine Truppen von allen Seiten und riefen: »Friede sei mit dir, o Fürst der Gläubigen!« Der Kalif sagte: »Laßt nun diese Worte und bemächtigt euch dieses Jungen!« Der Araber wurde sogleich festgenommen, aber er kehrte sich nicht an die Menge Veziere und Kammerherrn und Großen des Reichs; er senkte den Kopf auf die Brust und ging ruhig vor Hischam her, ohne ein Wort zu sprechen, ja ohne ihn zu grüßen. Da sagte ihm einer der Diener: »Du Hundsbeduine! warum grüßest du den Fürsten der Gläubigen nicht?« Der Araber wandte sich zornig zu ihm und sagte: »Du Eselsdecke, ich habe einen weiten Weg gemacht, bin viele Stufen heraufgestiegen und mit Schweiß bedeckt.« Hischam, dessen Zorn immer heftiger wurde, sprach: »Deine Hoffnung ist zerronnen, dein Leben abgelaufen, der Tag deines Todes ist nahe.« Der Araber erwiderte aber: »Ist mir eine längere Zeit zugemessen, so kannst du sie nicht abkürzen; deine Drohungen schaden mir daher nicht wenig und nicht viel.« Als hierauf ein Kammerherr ihm sagte: »Wie erkühnst du dich, dem Kalifen so zu antworten?« sagte er: »Wehe dir! weißt du nicht, wie der erhabene Gott gesagt: Ein Tag wird kommen, wo jeder Mensch für seine Seele kämpfen wird?« Hischam, dessen Wut immer stieg, sagte hierauf dem Scharfrichter: »Bring mir den Kopf dieses Jungen, denn seine Worte überschreiten jede Grenze.« Der Scharfrichter ergriff den Jüngling, legte ihn auf die Todesmatte und sagte: »O Fürst der Gläubigen, hier steht dein eingebildeter Sklave, der nun dem Grabe zugeht, ich bin nicht schuld an dem Blute, das ich vergieße, befiehlst du, daß ich diesem Jüngling den Hals abschlage?« Der Kalif antwortete: »Ja.« Der Scharfrichter fragte zum zweitenmal und seine Frage wurde wieder bejaht; als der Scharfrichter zum drittenmal fragte und der Araber nicht zweifelte, daß er hingerichtet werden sollte, lachte er, daß man seine Stockzähne sehen konnte. Hischam sagte, außer sich vor Zorn: »Ich glaube, du bist verrückt: du siehst, daß du von der Welt scheiden mußt, und verspottest dich selbst?« Der Araber erwiderte: »O Fürst der Gläubigen! wenn mein Tod verschoben werden soll, so schadet mir dein Mordbefehl nicht wenig und nicht viel; doch da du mich immer hinrichten lassen kannst, so höre erst die Verse, die mir eben eingefallen sind.« Hischam erwiderte: »Laß sie hören, aber schnell!« Da rezitierte der Araber:

»Ich habe vernommen, daß das Schicksal einst einem Falken einen Spatz in die Klauen trieb, und dieser Spatz sprach zum Falken, der eilig mit ihm davonflog: bin ich nicht zu gering daß du mich auffrißt? du kannst doch an mir dich nicht sättigen; der stolze Falke lächelte vor Erstaunen und ließ den Spatz fliegen.«

Hischam lächelte und sagte: »Bei meiner Verwandtschaft mit dem Gesandten Gottes, hättest du gleich anfangs ein solches Wort gesprochen, ich würde dir alles bis auf das Kalifat gegeben haben!« Er rief dann einem Diener zu: »Stopfe ihm den Mund mit Perlen voll und mache ihm noch andere schöne Geschenke!« Der Araber ging reich beschenkt nach Hause.

Schehersad begann in der nächsten Nacht folgende Erzählung:


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