Georg Weerth
Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben
Georg Weerth

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IV
Sassafraß über den Handel

Die Gemütsruhe des alten Sassafraß befestigte sich in der Tat so sehr, daß er nach einigen Wochen von der Erlaubnis des Herrn Preiss, das Comptoir bisweilen besuchen zu dürfen, Gebrauch machte und eines Tages nicht in zorniger Zerstreutheit, sondern im Besitz seiner vollen fünf Sinne den alten Schauplatz seiner Leiden und Freuden wieder aufsuchte. Glücklicherweise war der gestrenge Prinzipal nicht gegenwärtig, so daß der Alte sich ohne alle Umstände niedersetzen und mit Lenz, mit dem Korrespondenten und dem Lehrling abwechselnd aufs traulichste reden konnte. Diese Konversationen wurden allgemein, als zur bestimmten Stunde der Tee erschien, jenes duftige Getränk, das Herr Preiss, wie wir schon früher erwähnten, seinen Leuten regelmäßig zu spenden pflegte, wenn der Tag sich dem Abend entgegenneigte. Es verstand sich von selbst, daß Lenz seinen alten Kollegen sofort einlud, an der Rekreation teilzunehmen. Er wußte nur zu gut, wie sehr Sassafraß auf das dampfende Labsal erpicht war. Hatte der Alte doch seit mehr als zwanzig Jahren bei dieser kleinen Teegesellschaft präsidiert. Wie gesagt, es verstand sich von selbst, daß Sassafraß seinen frühern Sitz erhielt und daß man sofort eine Tasse holte und sie mit Zucker bis an den Rand füllte.

Nicht ohne langes Zureden gelang es indes, den Alten zur Annahme dieser Freundlichkeit zu bewegen, denn es widerstrebte seinem strengen Rechtsgefühle, eine Tasse Tee zu trinken, wenn er nicht volle zwölf Stunden dafür gearbeitet hatte. Als Sassafraß aber die blaugeblümte Tasse sah und die Masse Zucker und als nun der Kessel musizierte und endlich der Duft des göttlichen Tees in seine Nase stieg, da konnte er nicht widerstehen, er setzte sich und schüttete den größern Teil des Zuckers auf den Tisch, indem er den Rest in erhobener Tasse dem köstlichen Gusse darbot.

Der Umstand, daß man den Zucker in die verschiedenen Tassen verteilte, beruhte auf einem alten Herkommen, zu dem Sassafraß selbst Veranlassung gegeben hatte. Er liebte nämlich den Zucker über alles, scheute sich aber, mehr davon zu nehmen als seine Kollegen, da er es für eine Sünde angesehen haben würde, irgend jemand in diesem Punkte zu übervorteilen. Auf der andern Seite konnte er es mit seinem Zartgefühl nicht in Einklang bringen, die Zuckerdose zu seinen Gunsten zu leeren, wenn alle fertig waren, denn auf diese Weise fürchtete er eine Unredlichkeit an dem großmütigen Prinzipal zu begehen, der den Zucker à discrétion zum besten gab. Um daher die Scylla wie die Charybdis zu vermeiden, verteilte Sassafraß den Zucker zu gleichen Teilen an alle Mitglieder der Gesellschaft und ließ sich von diesen die Reste ihres Anteils schenken! Das war die einzige Manier, wie er nach scharfer Überlegung die Versuchungen des Bösen zu umgehen wußte; sein strenges Rechtsgefühl war befriedigt, und stundenlang aß er noch an seinen Zuckergeschenken, wenn das Teegeschirr längst wieder verschwunden.

Daß man ihm heute von vornherein den Löwenanteil des Zuckers überwies, war für den Alten keine kleine Genugtuung. Außer den sechs Stücken, die er in seinen Tee warf, konnte er sechs andre Stücke verspeisen und gewiß ebenso viele in der Tasche davontragen, um abends das Glas Grog damit zu versüßen in den »Drei goldenen Reichskronen«.

Sein Antlitz strahlte vor Zufriedenheit und Frohsinn.

»Nicht wahr, Sie führen ein himmlisches Leben?« meinte der Korrespondent.

»Ein Leben, wie der Olympier es führt«, erwiderte Sassafraß.

»Ja, der Herr Preiss hat recht gehabt, daß er Ihnen nicht mehr erlaubte, sich den ganzen Tag zu plagen.«

»Schweigen wir davon still. Plagen werde ich mich nach wie vor. Arbeiten muß ich; ich kann nicht anders. Ich arbeite den ganzen Tag.«

»Sie arbeiten?«

»Allerdings! Seit ich den Handel nicht mehr praktisch treiben kann, treibe ich ihn theoretisch. Ich beschäftige mich mit Nationalökonomie, mit Statistik, mit der Geschichte des Handels; ich habe sogar angefangen, meine eignen Ideen darüber zu Papier zu bringen!«

»Was Sie sagen! Wie machen Sie das? Erzählen Sie uns!«

»Ja, das ist schwer zu sagen! Womit soll ich anfangen?«

»Wo Sie wollen. Fangen Sie vorn an. Wann wurde zuerst Handel getrieben, welche Menschen waren die ersten Kaufleute?«

Da leerte Sassafraß seine erste Tasse Tee, räusperte sich und begann:

»Der Handel ist so alt wie die Welt. Die ersten Menschen waren die ersten Kaufleute.


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