Georg Weerth
Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben
Georg Weerth

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II
Der Korrespondent

Der Herr August ist ein schöner junger Mann von fünfundzwanzig Jahren. Was kann ein Mensch mehr verlangen!

Sein Haar ist blond, seine Augen sind blau, seine Wangen sind frisch, sein Kinn ist spitz. August hat weiße Hände, er ist schlank gewachsen und hübsch gekleidet. Die Mutter Natur und der Schneider haben sich angestrengt, ein angenehmes, gesellschaftliches Wesen aus ihm zu machen.

Zierlich und anständig schreitet August durch die Gassen. Den Hut trägt er etwas vorn auf der Stirn; er wedelt mit den Handschuhen und liebäugelt mit den freundlichen Kindern, die etwa am Fenster sitzen, zwischen Myrten und Geranien, das Herz voll knospender Sehnsucht und in den Lilienfingern den Strickstrumpf.

August verfügt sich auf das Comptoir, denn er ist Korrespondent in dem Hause Preiss. Sechs Wochentage lang muß er dort Briefe schreiben an alle geehrten Geschäftsfreunde gen Osten und gen Westen, und nur am siebenten ruht er, da bleibt er daheim, und selig ist ihm die Morgenstunde des Sonntags, wo der Tabak dampft und der Mokka duftet und wo er deine Romane liest, o göttlicher Clauren!

Beobachten wir unsern Freund, wie er sich eben an das große Schreibpult setzt, um sein Tagewerk zu beginnen. Vergessen ist jetzt die süße Außenwelt, vergessen das Lockenköpfchen, das ihn eben gegrüßt, vergessen die ergreifendste Stelle aus Claurens Schriften, vergessen die Karoline des Billards, die er noch am Abend vorher so trefflich geschnitten, und vergessen der Dukaten, den er verloren im Landsknecht! Finsterer Geschäftsernst starrt ihm entgegen aus dem Comptoir des Herrn Preiss.

»Was hat die Post gebracht?« fragt der würdige Prinzipal. »Es sind viele Briefe gekommen; schreiten wir zur Beantwortung!«

Da langt August nach den Geschäftsepisteln des Tages und beginnt: »Die Herren Rand & Lieblich übermachen uns 700 Gulden auf Frankfurt und bestellen 100 Ballen Kaffee von der zuletzt erhaltenen Sorte. Die Ware soll gleich versandt werden, und sie verlassen sich in betreff des Preises auf unsre vielerprobte Rechtlichkeit.«

»Antworten Sie den Leuten«, erwiderte Herr Preiss, »daß ich sie achte und liebe. Für die 700 Gulden wollen wir sie nach unbezweifeltem Eingang mit dem wärmsten Danke erkennen. Die 100 Ballen Kaffee erfolgen mit dem nächsten Schiffe, und zwar aus besondern freundschaftlichen Rücksichten einen halben Taler billiger. Versichern Sie die Menschen meiner unwandelbaren Ergebenheit, und empfehlen Sie mich ihnen mit ausgezeichneter Hochachtung.«

»Die Herren Fuchtel & Peitsche«, fuhr August fort, »Schreiben uns einen bösen Brief; sie sagen, sie hätten unsre letzte Sendung Kaffee erhalten, aber die Qualität sei nicht nach Probe; sie wünschen daher eine namhafte Vergütung, oder sonst soll die ganze Geschichte zu unsrer Verfügung bleiben.«

»Antworten Sie diesen Leuten, daß ich ein Ehrenmann sei und daß solche Dinge nie bei mir vorfallen könnten. Sie sollen sich eine Brille anschaffen und die Sache noch einmal untersuchen. Sagen Sie, daß die Preise des Artikels einen merklichen Aufschwung zu nehmen schienen, und machen Sie den beiden Herren sehr bange, dann werden sie sich wohl beruhigen. Ich weiß sehr gut, daß die Sendung nicht ganz nach Probe ist, aber wir sind alle schwache und sterbliche Menschen, und jeder hilft sich, so gut er kann. Grüßen Sie Herren Fuchtel & Peitsche achtungsvoll. Weiter im Text!«

»Der Herr Parzival junior drückt uns sein Bedauern aus, daß er unsre letzte Rechnung noch nicht habe bezahlen können. Die Zeiten seien schlecht, er sei aber ein ehrlicher Mann. Außerdem wünscht er noch ein Faß Öl zu erhalten.«

»Dieser Mensch gefällt mir gar nicht. Schreiben Sie ihm, daß ich seinen Rimessen nichtsdestoweniger mit großer Ungeduld entgegensähe, und was das Faß Öl betreffe, so würde ich dasselbe lieber bis auf den Grund austrinken, ehe ich es ohne vorher erfolgte Bezahlung absendete; und dann grüßen Sie Herrn Parzival bloß höflich.«

»Die Geschwister Fischer schreiben, daß die zuletzt erhaltene und schon bezahlte blaue Farbe gar nicht zu verkaufen, da sie unecht sei. Wir möchten die Sendung doch durch eine andre ersetzen.«

»O Zeus! Schon bezahlt und nun noch Reklamationen! Verfertigen Sie diesen unschuldigen Geschwistern Fischer doch einen recht lustigen Brief. Schreiben Sie, daß es seine volle Richtigkeit mit der schlechten Qualität der Ware habe, aber zu den billigen Preisen, die ich den Geschwistern ansetze, könne man auch nichts Gutes liefern. Sie sollen die Geschichte in Gottes Namen behalten; schreiben Sie das recht versöhnlich, denn die Geschwister sind brave Leute, und bieten Sie ihnen eine neue Quantität recht niedrig an. Grüßen Sie die Geschwister auch recht freundschaftlich, dann werden sie sich schon zufriedengeben. Und nun?«

»François père et fils in Avignon bitten um Abrechnung über die seinerzeit konsignierten 7 Fässer Krapp. Wenn die Ware noch nicht verkauft ist, so sollen wir zum bestmöglichen Preise losschlagen.«

»Diese Franzosen wollen wir schneiden. Nichts ist vorteilhafter als ein Konsignationsgeschäft. Es ist eigens vom Schicksale dazu gemacht, daß ein ehrlicher Mann etwas daran verdiene. Die Fässer Krapp sind längst verkauft. Schreiben Sie daher den Leuten, daß ich sie bis zur Stunde auf dem Lager gehabt hätte. Es sei unmöglich gewesen, so schlechtes Zeug loszuwerden. Nach ihrem Wunsche hätte ich sie aber jetzt mit Gewalt fortgeschafft, leider sei deswegen aber auch der Preis ziemlich niedrig. Machen Sie dann eine Verkaufsrechnung 30 bis 50 Prozent zu unsern Gunsten; ermuntern Sie die Herren zu fernern Konsignationen, und versichern Sie dieselben meiner ganzen Sorgfalt für ihr Interesse und Wohlergehen. Sie können auch noch bemerken, daß ich ihnen aus reiner Gutmütigkeit keine Lagerspesen berechnen wolle, denn ich bedauere selbst, daß dieser erste Versuch nicht besser ausgefallen sei. Führen Sie den Brief recht hübsch aus, und schreiben Sie französisch, damit uns die Leute besser verstehen. Was gibt es sonst?«

»Ein Brief des Herrn Julius Lavendel. Er gibt einen Auftrag auf 10 Kisten Indigo, will aber auf die frühere Sendung etwas vergütet haben.«

»Das ist gar nicht dumm von ihm. Antworten Sie diesem Manne, daß er die 10 Kisten Indigo haben soll, mit Vergnügen; die Vergütung brauchen Sie aber gar nicht zu berühren; wir müssen tun, als hätten wir das gar nicht gelesen, und wenn er noch einmal darauf zurückkommt, so wollen wir sie bewilligen und ihn auf eine andre Weise dafür zu packen suchen. – Sela!«

»Jetzt kommt ein Schreiben der Herren Ehrlich & Wunderlich. Sie wollen Offerte in Zucker haben und können eine bedeutende Partie gebrauchen.«

»Nun, das ist mir ja bedeutend lieb. Schreiben Sie diesen Biedermännern einen höchst poetischen Liebesbrief, notieren Sie ihnen die jetzigen Preise und grüßen Sie dieselben freundschaftlichst und mit achtungsvoller Ergebenheit. Wenn Sie damit fertig sind, so erkundigen Sie sich aber noch einmal bei unserm Bankier, ob die Kerle auch solide sind; es gibt in dieser insolventen Jahreszeit so viel schlechtes Volk, daß man wahrhaftig etwas vorsichtig sein muß.«

»Der Advokat in Offenbach erwidert auf unsre neuliche Anfrage, daß unser Prozeß gegen den Juden Lilienstern noch immer nicht zu Ende sei. Bei der großen Sorgfalt, mit der er unser Interesse vertrete, hoffe er indes, über Jahr und Tag damit fertig zu werden. Leider seien die dasigen Gerichtsverhältnisse äußerst verwickelt.«

»Sehen Sie, so geht es einem ehrlichen Kaufmann, wenn er unter die Wölfe gerät! Die Advokaten sind die prächtigsten Leute von der Welt beim Kartenspiel oder bei einer vorzüglichen Flasche Wein – aber wehe, wenn sie, losgelassen, das Interesse ihrer Freunde vor Gericht vertreten! Die Haare fangen eher auf einem alten Koffer an zu wachsen, die Mücken verwandeln sich eher in Dromedare, als daß man durch einen Advokaten zu seinem rechtlichen Eigentume kommt. Legen Sie den Brief dieses Offenbachers beiseite, damit ich ihn nie wieder zu Gesicht bekomme, damit ich nicht an dem Adel der menschlichen Seele zu zweifeln beginne, damit sich die Sanftmut meiner Brust nicht in Wut, damit sich die Milch meines Herzens nicht in Wermut verkehrt. Das Advokatenhandwerk muß ein einträgliches Geschäft sein; – ich will doch einen meiner Söhne Advokat werden lassen.«

»Ein Herr Tarantel teilt uns mit, daß er eine Erfindung gemacht habe, um das Farböl vorteilhafter tournant zu machen, und ladet uns ein, einige Fonds vorzuschießen, damit diese Erfindung exploitiert werden könne.«

»Erwidern Sie diesem Exploiteur, daß Erfindungen nicht in meine Branche schlagen. Es sei sehr gut möglich, daß er ein zweiter James Watt, ein Arkwright oder ein Liebig sei; ich befasse mich indes nur mit Zucker, Kaffee und Heringen; weiter reiche mein Horizont nicht. Im übrigen wünsche ich ihm des Himmels reichen Segen; ich sei ein armer Mann und grüße ihn ergebenst.«

»Der Herr Pfarrer von Flachsenfingen bittet um einige Beiträge zu einer milden Stiftung.«

»Melden Sie ihm in blumenreichen Ausdrücken, daß dergleichen gegen meine Geschäftsprinzipien sei – aber halten Sie! Der Bruder dieses Pfarrers ist ja einer unsrer besten Kunden; nein, schicken Sie ihm 10 Taler, sagen Sie, ich sei ein großer Philanthrop, und mit ganzem Herzen überreiche ich ihm diese Kleinigkeit. Sie müssen recht viele Worte machen, damit der Glanz der Phrasen die Geringfügigkeit meiner Gabe in etwa verdeckt; und empfehlen Sie mich Sr. Hochwürden dann mit christlicher Liebe und Ergebenheit. Aber es ist doch entsetzlich, daß man nur Briefe von Advokaten, Erfindern und Geistlichen erhält, gerade von den Leuten, die mich am wenigsten interessieren. Gibt es denn gar nichts Erfreuliches mehr?«

»Der Herr Salamander in der Pfalz bestellt 20 Tönnchen Heringe umgehend.«

»Dieser Mann ist mein Freund. Aber das ist viel; 20 Tönnchen auf einmal; es muß wenig Durst mehr, ja es muß viel Katzenjammer in der Pfalz geben. Ist unser Salamander auch wohl solide? Schreiben Sie ihm, die Heringe sollten baldigst den Rhein hinaufschwimmen; Rimessen auf Köln wären aber angenehm, denn das Geld sei rar. Empfehlen Sie mich dem Salamander mit bewußter und bekannter Freundschaft.«

»Zum Schlusse haben wir noch zwei Briefe von Bankiers aus Paris und Amsterdam.«

»Und was wollen die von mir?«

»Die Herren Brummfliege Eidam & Co. beklagen sich bitter darüber, daß wir schon seit mehreren Jahren einen großen Posten in unserm Kredit stehen hätten, von dem sie uns die höchsten Zinsen vergüten müßten, und daß wir so gut wie gar keine Geschäfte mit ihnen machten. Dies könne nicht länger so fortgehen; wir müßten so gefällig sein und ihre Dienste etwas in Anspruch nehmen. Sie verdienten ja gar nichts an uns usw. Dies schreiben die Amsterdamer. Zur selben Zeit ersuchen uns die Herren Scorpion frères in Paris, über jeden Betrag bei ihnen zu verfügen; ihre Dienste wären uns unter allen Verhältnissen gewidmet, und sie würden sich glücklich schätzen, wenn wir ihre Kapitalien bald und bedeutend in Anspruch nähmen.«

»Schreiben Sie den Leuten, daß ich ihnen für ihr schmeichelhaftes Anerbieten sehr verbunden wäre; leider hätte ich aber schon selbst so viel Geld und litte gerade in diesem Augenblicke so entsetzlich an überflüssigen Fonds, daß ich bei bestem Willen von fremden Kapitalien keinen Gebrauch machen könne und es einstweilen der Zukunft überlassen müsse, ob ich einmal zu einem Geschäfte die Hand bieten dürfe. Sollte dieser Fall eintreten, so würde ich mich gern ihrer Offerte erinnern und bliebe indes achtungsvoll usw. der Ihrige.«

»Da sind wir fertig!« rief August und seufzte tief auf. Er hatte wirklich einige Mühe gehabt, mit dem Gedankengange des würdigen Prinzipals gleichen Schritt zu halten. Da er sich aber den Umriß sämtlicher Briefantworten auf einem Stückchen Papier bemerkte, so wurde es ihm dennoch möglich, die Ideen seines erfindungsreichen Meisters schnell in jenen zierlichen Wendungen wiederzugeben, welche schon längst die Wonne und die Bewunderung aller Geschäftsfreunde des Herrn Preiss waren. Ungesäumt gab er sich ans Werk, und wiederum lag eine tiefe Sabbatstille über dem ganzen Comptoir; denn auch die jüngern Leute, welche den Reden ihres Herrn aufmerksam gelauscht und sich bei mancher Stelle bedeutungsvoll zugenickt oder voll süßen Einverständnisses angelächelt hatten, versanken jetzt wieder in ihre Arbeit, während der dürre Buchhalter den Namen mancher respektablen Firma auf die Seiten seines großen Hauptbuches malte.

Der Herr Preiss aber zog den Lyoner Foulard aus der Tasche des großen Rockes und trocknete den Schweiß von der hohen, olympischen Stirn, welche so kühn allen Gefahren trotzte und so reich an vorteilhaften Erfindungen war. Die Hände auf den Rücken legend, schritt er gesenkten Hauptes auf und ab durch den düstern Hintergrund des Comptoires, tief in der Seele erwägend, ob er recht getan und richtig gehandelt, und es war ihm zumute wie dem Helden Homers, dem ränkevollen Odysseus, nachdem er betrogen Polyphem, den groben Cyklopen.


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