Georg Weerth
Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben
Georg Weerth

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V
Der Reisende, wie er sein soll

Der Herr Preiss sah so bedenklich aus, als sollte er mit Drillingen niederkommen. Er sprach kein Wort.

Die Arme auf den Rücken legend, marschierte er mit gesenktem Haupte hin und her. Plötzlich blieb er steif vor seinem Pulte stehen.

Während die linke Hand an den großen Lederschirm der grünen Mütze faßte und den gewaltigen Schädel von seiner Bedeckung befreite, verlor sich die rechte Hand in der tiefen Brusttasche des Oberrockes und zog daraus hervor eine große Brille.

Die Brille, mit der der würdige Handelsherr in wichtigen Augenblicken seine Adlernase zu bewaffnen pflegte, war ein höchst antikes Kabinettstück der Familie Preiss, das sich aus den dunkelsten Zeiten, von Geschlecht zu Geschlecht, bis auf unsern Freund fortgeerbt hatte. Mit Gläsern, groß wie Wagenräder, eingefaßt von schweren, silbernen Rahmen und in einem dicken, mit Perlmutter ausgelegten Futterale, erinnerte diese Brille nur zu sehr an jene frommen Pfahlbürger, die weiland alles für die Ewigkeit bauen zu müssen glaubten: ihre muffigen Häuser, ihre plumpen Karossen, ihre plüschenen Hosen und ihre dicken Nägelschuhe, ja, die nicht ruhig sterben konnten, wenn sie ihren Kindern und Enkeln nicht eine ganze Rumpelkammer voll alter Tabaksbeutel und Schnupftabaksdosen hinterließen, ein halbes Dutzend Meerschaumpfeifenköpfe und wenigstens drei bis vier doppeltumkapselte Uhren mit allem, was daran baumeln muß von Gold und von Silber, von Achat und von Tombak.

Die Brille des Herrn Preiss war der Rest eines derartigen Nachlasses. Wie er von dem antiken Vater auf den modernen Sohn und von dem modernen Sohn auf den frivolen Enkel überging, hatte er sich durch leichtsinniges Verschenken und durch noch verwerflicheres Vertrödeln immer mehr verringert. Solange Herr Preiss selbst noch zu der frivolen Jugend gehörte, war ihm das allmähliche Verschwinden der teuern Hauskleinodien kaum aufgefallen. Als er aber nach und nach zu denselben Jahren kam, in denen seine Vorfahren einst mit ihrem Leben abschlossen und das testamentarische Verzeichnis ihrer Schätze, oder besser ihrer Tugenden und Sünden, d. h. ihrer Aktiva und ihrer Passiva, entworfen hatten: da wurden die Liebhabereien der Väter auch wieder bei ihm lebendig, und er konnte die große Familienbrille nicht aufsetzen, ohne mit Rührung daran zu denken, daß sein Großvater selig schon die Heilige Schrift durch sie gelesen und die Urgroßmutter ihre Waschzettel dadurch studiert hatte, vor fast einem runden Jahrhundert.

Zu bemerken ist noch, daß die Brille des Herrn Preiss eine sogenannte Knipp- oder Kneifbrille war, die nicht mit Silber- oder Stahlstäben hinter den Ohren befestigt wurde, sondern die frei auf dem Nasenbein ritt wie ein Reiter auf dem Sattel.

Ein leiser Puff begleitete das Öffnen des Futterals, aus dem ein eigentümlicher Duft emporstieg, ein sonderbares Gemisch verrotteter Familiengerüche.

Als aber das alte Instrument seinem Gehäuse glücklich entschlüpft war, hauchte Herr Preiss auf die trüben Gläser und nahm dann einen Zipfel des saubern Sacktuches und rieb und reinigte sie von aller Unsauberkeit. Vorsichtig hob er sie dann empor und hielt sie gegen das Licht, und als er sah, daß die gewaltigen Gläser noch geradeso hell funkelten wie zur Zeit des bibellesenden Großvaters und der waschzettelstudierenden Urgroßmutter, setzte er das teure Kleinod behutsam auf die Spitze der werten Nase, den Kopf in den Nacken legend, damit die Augen nicht hinübersähen über den silbernen Rand der soliden Fassung.

Jetzt drückte er auch den Steiß in den knarrenden Comptoirstuhl, und weit hinauslangend, griff er mit der linken Hand nach einem Bogen Postpapier, während die rechte den Kiel einer Schwanenfeder faßte, um ihn tief hinabzutauchen in den mystischen Schlund eines riesigen Tintenfasses. –

Schüchtern von ihrer Arbeit aufsehend, waren die Comptoiristen allen Manövern ihres Herrn mit den Blicken gefolgt. Es existierte kein Zweifel mehr: der würdige Prinzipal ging mit dem Gedanken um, eigenhändig einen Brief zu schreiben. Es war dies zwar kein unerhörtes Ereignis, nichtsdestoweniger aber ein Akt von einiger Bedeutung, denn nur zu seiner Unterschrift pflegte sonst der alte Handelsherr die Feder anzusetzen, und es mußten wichtige Dinge im Spiele sein, daß er sich zu eigenhändiger Abfassung einer Epistel herabließ.

Tiefe Stille herrschte in dem weiten Comptoir. Da fuhr die Feder des Herrn Preiss kratzend über das weiße Papier, und hurtig entfloß ihr der folgende Brief:

 

»Verehrtester Freund!

Erlauben Sie, daß ich Ihre teure Aufmerksamkeit für einige wohlfeile Minuten in Anspruch nehme.

Ich habe einen zweiten Weinreisenden zu engagieren – Sie werden meine ganze Unruhe begreifen!

Ein Handlungsreisender überhaupt soll schon ein Mensch sein, der alle wünschenswerten Eigenschaften in sich vereinigt. Unter einem Weinreisenden, namentlich unter einem Rheinweinreisenden, verstehe ich aber vollends ein Individuum, das einem Engel an Anmut und Liebenswürdigkeit und, mit Respekt zu melden, dem Teufel selbst gleich sein soll an Ränken und an Kniffen.

Ein Weinreisender soll ein Mensch sein in der Blüte des Lebens; nicht zu groß und nicht zu klein; nicht zu dick und nicht zu dünn. Er soll gelebt haben, ohne abgelebt zu sein; er soll gerieben sein, ohne aufgerieben zu sein. Unbeugsam sei sein Wille, aber biegsam sein Rücken.

Flink müssen seine Augen sein; flink Zunge und Lippen; flink die Beine. Schöne, phantastisch gekräuselte Haare würden ihm nicht übel stehen; ein romantischer Schnurrbart dürfte ihn ausnehmend zieren. Seine Hände wird er reinzuhalten haben bis in die Fingerspitzen, und wenn er lächelt, da soll er zwei Reihen Zähne zeigen, schimmernd wie zwei Schnüre von Perlen. Lebendig gestikuliere er mit beiden Armen, angenehm kokettiere er mit dem malerischen Kopfe. Mienen und Sprache verändere er nach den Umständen. Um Aufträge bitte er in weichen, wohltönenden Akkorden; um Zahlung trete er in frechen, impertinenten Dissonanzen auf. Höflich sei er gegen Leute, die grob sind; grob gegen Menschen, die höflich sind, denn wo Grobheit ist, da ist Geld, aber wo Höflichkeit herrscht, da ist Heulen und Zähneklappen.

Geschmack besitze ein Weinreisender in der Wahl seiner Kleider. Er erlaube sich die grellsten Farben; nur versöhne er das eine mit dem andern, und nie trage er einen grünen Rock zu einer blauen Hose, nie zu einer dito Weste eine ähnliche Krawatte. Die Krawatte binde er in eine unaussprechliche Schleife, mit den Zipfeln gen Morgen und gen Abend starrend wie die Arme an einem Meilenzeiger, wie die Flügel an einer Windmühle.

Vor allen Dingen befleißige er sich stets der saubersten Wäsche. Sein Hemd sei weiß wie Lilien, rein wie die Unschuld – an seinem reinen Gewissen ist mir nichts gelegen.

Besondere Kenntnisse verlange ich von meinem Reisenden nicht; ich bin damit zufrieden, wenn er so tun kann, als ob er etwas wüßte. Ein oberflächliches Bekanntsein mit den vornehmsten Tagesfragen dürfte übrigens nicht schaden, damit er z. B. die Emanzipation der Juden nicht mit der der Neger oder der Nachtigallen verwechselt oder von der Pomare von Otaheiti so spricht wie von der Pomare des Jardin Mabille und etwa auf Ehre versichert, daß er mit Ihrer Königl. Hoheit eine der seligsten Nächte zugebracht habe, deren sich ein deutscher Weinreisender bei seinen beschränkten Spesen schmeicheln könne.

Eine eigene politische Ansicht oder Meinung erlaube ich meinem Reisenden durchaus nicht. Er hänge den Mantel nach dem Winde. Da wird er am besten segeln.

Ohne gerade unhöflich zu werden, führe der Rheinweinreisende an der Table d'hôte immer das große Wort. Er warte mit Neuigkeiten auf; mit Neuigkeiten, die bei einigermaßen gutem Vortrag so alt sein dürfen wie Methusalem. Er mache lustige Späße, die sämtliche Gäste dergestalt zum Lachen bringen, daß ihnen die Brocken im Halse steckenbleiben und daß sie ein über das andere Mal die Gläser zu Munde führen müssen, um nicht sofort zu ersticken. Auch Anekdötchen krame er aus; nach den Anekdötchen auch – Zötchen. Hat er aber auch darin ein Erkleckliches geleistet und sind nach Tisch nur noch die auserlesensten Gäste versammelt und vereinigt eine gemeinsame gute Flasche die würdigsten Häupter, da schreitet er von den Anekdötchen allmählich fort zur Anekdote, von den Zötchen zur – Zote.

Oh, Wunderdinge habe ich Reisende durch dergleichen kleine Mittel verrichten sehen; stundenlang saß man zusammen, ein Wort gab das andere, Bekanntschaften knüpften sich im Nu, und Geschäfte machten sich spielend.

Der Rheinweinreisende trinke – aber er trinke nie zuviel. Das letztere überlasse er seiner Umgebung, um sie desto besser in einem schwachen Augenblicke zu überraschen. Neben sein Kuvert pflanze er stets eine vorzügliche Flasche, und wie aus Zufall fülle er daraus die Gläser seiner Nachbarn. Es ist fast immer der Fall, daß sich irgendein törichter Gast dadurch veranlaßt sieht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, und ehe eine Viertelstunde herum ist, wird eine große Schlemmerei an der Tagesordnung sein, die der Wirt natürlich willkommen heißt und mit trefflichen Bestellungen bei dem kundigen Reisenden belohnt.

Frechheit und Ausdauer seien übrigens die Haupttugenden eines Reisenden. Er setze seinen Stolz darin, gerade da Geschäfte zu machen, wo seine Konkurrenten dies am wenigsten für möglich halten. In seinen Unternehmungen lasse er sich durch nichts abschrecken. Wirft man ihn zur Tür hinaus, so springe er zum Fenster wieder herein. Immer sei er höflich unter solchen Umständen, immer verbindlich, immer wiederhole er, daß er die Ehre habe, seine Offerte in Rheinweinen zu machen, und wie im Himmel mehr Freude über einen einzigen Sünder ist, der Buße getan hat, als über neunhundertneunundneunzig, die der Buße nicht bedürfen, so wird der wahre Weinreisende über den Verkauf eines einzigen Ankers an eine bisher total unfruchtbare Bekanntschaft eine weit höhere Satisfaktion empfinden als über das Placement eines ganzen Stückfasses an einen langjährigen, treuen Kunden.

Doch was nutzt es, verehrter Freund, daß ich Ihnen dies alles so haarklein auseinandersetze? Sie verstehen mich längst, Sie begreifen, was ich wünsche. Sie wissen, daß die Zeiten schlecht sind und daß man nur durch die außerordentlichsten Mittel der steigenden Konkurrenz die Stirn bieten kann. Schauen Sie daher um sich in dem weiten Kreise Ihrer Bekanntschaften, und haben Sie jenes Individuum, jenes ›Menschenjuwel‹, jene Perle von einem Rheinweinreisenden, deren ich bedarf, gefunden: so erinnern Sie sich, verehrtester, langjähriger Freund, Ihres ebenso aufrichtigen als hochachtungsvoll ergebenen

Preiss«

 

Der würdige Handelsherr hatte seine Epistel beendigt. Das ganze Comptoirpersonal hörte dies an dem Geräusche, das das Schreiben des Namens »Preiss« verursachte. Der Herr Preiss kannte die Wichtigkeit einer Unterschrift. Ehe er sich dazu entschloß, seinen werten Namen dem Papiere einzugravieren, machte er gewöhnlich einen Augenblick halt, die geschwungene Feder in der Schwebe haltend, das Haupt sinnend hin- und herwiegend. Es war, als ob er plötzlich mit dem Geschriebenen nicht mehr einverstanden sei, als unterschriebe er ein Todesurteil, ja, es war ihm, als ob es: Geld kosten könne – dies war das schlimmste, und er zitterte, und die Augenbrauen zuckten zusammen, und die Brille bewegte sich auf der Nase.

Natürlich dauerte diese peinliche Unentschlossenheit nur eine Sekunde lang, denn während die Linke noch erschrocken emporfuhr, senkte schon die folgsame Rechte wieder die tintegefüllte Feder auf das weiße Papier, jetzt fünf bis sechs mystische Kreise beschreibend, ohne das Papier zu treffen, und dann mit Geprassel hinabfahrend, um mit Blitzesschnelle die sechs Buchstaben des teuern Namens zu vollenden und einen Schwung hinzuzufügen, der einer Seeschlange gleich in grandiosen Windungen das Ganze fabelhaft umringte.

Mit einiger Selbstzufriedenheit blickte der alte Handelsherr auf seinen schönen Brief und auf seine treffliche Unterschrift – auf die Unterschrift, die schon so glorreich geprangt hatte auf manch großem Wechsel und die so vorteilhaft bekannt war auf allen vaterländischen Börsen. Eine gewisse Rührung wandelte den ehrenwerten Herrn an; er betrachtete sich in seiner Unterschrift wie in einem Spiegel, und er mußte gestehen, daß er ein solides Haus sei, über alle Zweifel gut – und feierlich erhob er sich von seinem Sitze.

Das Futteral der Brille hatte sich indes wieder geöffnet, mit leisem Puff, entsendend den Duft verrotteter Familiengerüche. Hinein schlüpfte die Brille, und Futteral und Brille schlüpften in die Seitentasche des großen Rockes. Herr Preiss bedeckte dann sein gewaltiges Haupt, die Arme über den Rücken kreuzend und wiederum auf und ab durch das Comptoir schreitend mit festem Schritt.


 << zurück weiter >>