Frank Wedekind
König Nicolo oder So ist das Leben
Frank Wedekind

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Vierter Akt

Marktplatz von Perugia.

(Mitten auf dem Markte ist nach obenstehendem Plan eine einfache Bühne aufgeschlagen, von der eine Treppe zu den Zuschauerbänken hinabführt. Der Zuschauerraum ist nach dem Platz hin durch ein Seil abgesperrt. Nach hinten ist die Bühne durch Vorhänge abgeschlossen. Eine kleine Stiege führt zu einem links neben der Bühne liegenden Verschlag hinab, der als Ankleideraum dient. In diesem Verschlag kniet der König mit glattrasiertem Gesicht, einfach aber sauber gekleidet, in Hemdärmeln vor einer Kleiderkiste, auf der ein kleiner Spiegel sieht, und schminkt sich eine majestätische Königsmaske. Prinzessin Alma in sehr geschmackvollem schneeweißem Bajazzokostüm, bestehend aus weißem Trikot, pelzbesetztem enganliegendem Wams und hohem Spitzhut, sitzt auf einer aufrecht gestellten, etwa einen Meter hohen Kiste, den linken Fuß über das rechte Knie gelegt, und stimmt die Saiten ihrer Laute)

Der König. Hast du vielleicht irgend etwas gehört, mein Kind, wie es heute mit dem Verkauf steht?

Alma. Wie könnt Ihr nur darüber im Zweifel sein! Auf die Kunde hin, daß Ihr spielen werdet, waren gestern vor Sonnenuntergang schon alle Sitzplätze für die heutige Vorstellung verkauft. Freilich wußte auch schon ganz Perugia, daß Eure Kunst alles weit übertrifft, was man hier früher je von Epaminondas Alexandrion gesehen hat.

Der König. Im Grunde der Seele war es mir bisher nicht schmerzlich, daß ich mit meinen Lorbeeren den Ruhm eines Anderen vergrößerte. Der falsche Name bewahrte mich vor einer allzu nahen beschämenden Berührung mit der Menschheit. In meinen verwegensten Träumen kann ich mir zwar nicht vorstellen, wie sich meine Person heute noch aus einem Herrschersitz ausnehmen würde. Vielleicht tauge ich aber trotzdem noch zu etwas Höherem in der Welt, als Tag für Tag die Erinnerungen an entschwundene Pracht dem kindlichen Pöbel als Abbild wirklicher Herrschergröße aufzutischen.

Alma. Wie heiterer Laune waret Ihr doch überall, wo wir bis jetzt Theater spielten! Mir schien, als fändet Ihr in unseren stürmischen Erfolgen sogar einen geringen Lohn für alle Leiden, die Ihr so lange Jahre erduldetet.

Der König. Höre nicht weiter auf mich, mein Kind, sonst verlierst du deine Munterkeit und tanzest dem Publikum statt deines Bajazzos ein Grabgespenst vor!

Alma. Hier auf dem Markte von Perugia muß Euch freilich anders zu Mute sein!

Ein Edelknabe (ein Stammbuch unter dem Arm tragend, tritt in den Verschlag). Mich sendet meine Herrin, die erlauchte Gemahlin des würdigen Doktors Silvio Andreotti, Prokurators Seiner Majestät des Königs. Meine hohe Herrin läßt den berühmten Künstler Epaminondas Alexandrion ersuchen, seinen Namenszug mit eigenhändiger Schrift in dieses Stammbuch einzutragen. Meine Herrin beauftragt mich zu sagen, daß nur die Namenszüge der größten Männer in dem Stammbuch enthalten sind. (Er reicht dem König das Stammbuch und bietet ihm ein Taschenschreibzeug dar)

Der König (nimmt den Gänsekiel und schreibt, die Worte vor sich hinsprechend).
        »Nur Einfalt ergründet die Weisheit.
                Epaminondas Alexandrion der Zweite.«
(Das Stammbuch zurückgebend) Melde deiner hohen Herrin, der Gemahlin des Prokurators Seiner Majestät des Königs, den Ausdruck meiner Ehrerbietung.

(Der Edelknabe ab)

Der König (sich fertig machend). Hier noch eine Falte, so! – Du, mein Kleinod, scheinst in unserm Beruf vor der Hand wirklich dein Glück gefunden zu haben!

Alma. Ja, mein Vater! Tausendmal ja! Mein Herz ist voll Lebensfreude, seit ich mich täglich vor dichtbesetzten Bänken mit meinen Kunststücken sehen lassen darf!

Der König. Mit Staunen beobachte ich, wie wenig unsere Umgebung über dich vermag, obschon du Alle glauben läßt, sie seien dir ebenbürtig. Du bist das Lamm unter den Wölfen, die sich, weil keiner dich dem andern gönnt, geschworen haben, dich gegen jeden zu verteidigen. Aber Wölfe bleiben Wölfe! Und will das Lamm nicht schließlich doch zerrissen werden, muß es sich früher oder später entschließen, selber zur Wölfin zu werden. – Aber höre nicht auf mich! Ich verstehe nicht, welcher Kobold mich gerade heute zwingt, das Unheil mit aller Gewalt über unsere Häupter heraufzubeschwören!

Alma. Haltet mich, geliebter Vater, eines so schreienden Undankes nicht für fähig, daß ich bei aller Freude, die mein Bajazzohandwerk mir bereitet, nicht oft mit Wonne an die fürstliche Pracht zurückdenke, in der ich meine Kinderjahre verleben durfte!

Der König (sich erhebend, mit erzwungener Ruhe). Jedenfalls bin ich auf das Allerschlimmste gefaßt!

(Während dieser Worte werden von Theaterknechten im Zuschauerraum zwei goldene Sessel vor der ersten Sitzreihe aufgestellt. Zugleich stürzt der Theaterbesitzer in höchster Aufregung in den Verschlag)

Der Theaterbesitzer. Alexandrion! Bruder! Laß dich in die Arme schließen! (Ihn umarmend und küssend) Du Perle der dramatischen Kunst! Soll ich dich sprachlos machen vor Hochgefühl?! – Seine Majestät der König kommt in die Vorstellung! Seine Majestät der König von Umbrien mit Seiner königlichen Hoheit dem Erbprinzen Filipo! Hast du Worte?! Zwei goldene Sessel habe ich vor die erste Sitzreihe stellen lassen! In dem Augenblick, wo sich die hohen Herrschaften darauf niederlassen, muß der Hanswurst mit tiefster Verbeugung die Bühne betreten! Also haltet euch bereit, Kinder! – Und du, Alexandrion, Apfel meines Auges, fördere heute einmal alles zu Tage, was die Abgründe deiner Seele an seltenen Kostbarkeiten bergen! Wie ich (Gestus) diesen Handschuh umstülpe, so kehre dein Innerstes zu äußerst! Laß unsere königlichen Zuschauer Dinge hören, wie sie seit den Zeiten des Plautus und des Terenz in keinem Theater mehr vernommen wurden!

Der König (sein Wams anziehend). Ich frage mich nur, ob ich vor den hohen Besuchern nicht vielleicht besser etwas anderes als meine Königsposse zur Aufführung bringe; vielleicht den alten Schneiderlehrbub oder Schweinehirts Morgentraum. Der alte Schneiderlehrbub böte unseren Gästen reichlichen Anlaß zum Lachen, und mehr erwarten sie sich nicht, während die Königsposse ihre Gefühle verletzen könnte.

Der Theaterbesitzer. Ha ha, du fürchtest wieder wegen Majestätsbeleidigung eingelocht zu werden! Unsinn! Mach deine Königsposse! Gestalte sie kräftiger, als du sie je gespielt hast! Wenn uns die Majestäten beehren, dann wollen sie die Königsposse sehen! Was kann man uns anhaben! Ultra posse nemo tenetur! – Nun, was prophezeite ich dir, als ich dich auf der Elendenkirchweih aus dem Unrat des Landes auffischte?! Heute produzieren wir uns vor gekrönten Häuptern! Per aspera ad astra!(Ab.)

(Die Zuschauerbänke haben sich indessen mit einem eleganten Publikum gefüllt; hinter dem abgrenzenden Seil drängt sich die Menge Kopf an Kopf. – Der König hängt sich während der folgenden Worte einen schwarzen Königsbart um, setzt sich eine Perrücke auf, drückt sich die goldene Krone aufs Haupt und schlägt einen schweren Purpurmantel um die Schultern)

Der König. Auf diesem Platze sollte mein Haupt unter dem Beil des Henkers fallen, wenn ich jemals wagte, nach Perugia zurückzukehren, ohne der Krone mit heiligem Schwur entsagt zu haben! – Wie vielem habe ich statt dessen entsagt, um den heimatlichen Boden nun schon zum zweitenmal wieder zu betreten! Der Wollust befriedigter Rache! Der Mannespflicht, meinem Stamm sein Erbe zu erhalten! Dann allen Gütern der Erde, die mir das Glück in die Wiege geworfen hatte; und nun auch der nacktesten Menschenwürde, die den Sklaven sogar hindert, sich seinen Mitverdammten zur Belustigung preiszugeben!

Alma. Und Euch preisen tausend Stimmen als einen Künstler, wie keiner noch zu seinem Volke sprach! Wie vieler Könige Namen sind vergessen!

Der König. Das gilt mir nichts! Der Lorbeer wird als Ausgeburt irdischer Erbärmlichkeit nur von einem Tagelöhner oder Stellenjäger mit Stolz getragen. Aber weißt du, welcher Stolz mir dieses Dasein ermöglichte? Hier kämpft nur eines von Millionen Wesen, zu unerforschlicher Prüfung berufen. Aber König Nicolo fand als König den Tod! Niemand zweifelt, daß er längst allen Demütigungen durch Menschenmacht entrückt ist! Niemand fordert noch, er solle auf die ihm von Gott verliehene Würde verzichten! Kein Schatten trübt seines Andenkens Majestät! Wenn ich noch unter Gottes Sonne atme, dann dank' ich es dieser Täuschung. Und diesen letzten Besitz soll mir vor der Todesstunde, in der ich ihn vielleicht noch dir zum Vorteil veräußern kann, kein Sturm entreißen! – – Mein Scepter! Mein Reichsapfel! (Er entnimmt beides der Kleiderkiste) Und nun – die – Kö – Königsposse! (Von einem plötzlichen Herzkrampf befallen, ringt er mühsam nach Atem)

Alma (ihm zu Hilfe eilend). Jesus Maria, mein Vater! Durch Eure Schminke sehe ich, wie marmorblaß Ihr seid!

Der König. Einen Atemzug! – Es ist vorüber. – Das habe ich noch aus dem Kerker behalten . . .

(König Pietro und Prinz Filipo betreten den Zuschauerraum und nehmen auf den goldenen Sesseln Platz)

Der Theaterbesitzer (schreit von hinten in den Verschlag). Auf die Bühne, Hanswurst!

Der König (aufspringend). Geh! Geh! Ich fühle mich vollkommen wohl.

Alma (nimmt eine Narrenpritsche zur Hand, stürzt auf die Bühne, verbeugt sich und spricht in leichtem, scherzendem Ton).
Ich komme, das Erscheinen euch zu melden
Von einem König, der in Wirklichkeit
Nie König war. –
Jetzt stell' ich seinen Kammerdiener dar.
Ich preis' ihn einen Halbgott, einen Helden,
Bewundre seinen Geist, sein schönes Kleid,
Laß Ämter mir von ihm und Orden geben,
Und wünsche sehr, er möge lange leben.
Thut er das nicht, und kommt ein andrer dran,
Was Gottes Gnade mir ersparen wolle,
Je nun, auch jenem spiel' ich unterthan
Und mit verzückten Mienen meine Rolle,
Wie's eines Kammerdieners Wohlfahrt frommt;
Nun aber schweig ich, denn der König kommt.

Der König (tritt auf).
Ich habe diese Nacht nicht gut geschlafen.

Alma (sich mit gekreuzten Armen verbeugend).
Ihr solltet dafür Euer Volk bestrafen!

Der König. Mein Volk? Und es bestrafen? – Wo mein Sinn
Stets zagt, ob ich nicht selber strafbar bin?! –
Was hab' ich mehr als Andre denn vollbracht,
Daß ich zur schwersten Menschenpflicht berufen?! –
Hinweg mit dir von meines Thrones Stufen!
Der Schlummer floh mein Aug' in dieser Nacht,
Weil ich, von des Gesetzes Wucht getrieben,
Ein Todesurteil spät noch unterschrieben!
Hinweg, du Wurm! Und wag es nimmermehr,
Dein Haupt in meines Zorns Bereich zu tragen!

Alma (sich an das Publikum wendend).
Du siehst, verehrtes Publikum, wie schwer
Es manchmal ist, sich redlich durchzuschlagen!
Mich zu verteidigen find' ich keine Worte,
Drum trag' ich mit Ergebung mein Geschick.
Zerschmettert tret' ich ab durch diese Pforte.
Doch als wer anders kehr' ich bald zurück.

(Sie ist nach rückwärts die Stufen zum Zuschauerraum hinabgeschritten und lagert sich, gegen das Publikum gewendet, auf der Treppe)

Der König (für sich).
Ein halbes Menschenalter ring' ich nun,
Mein Aug' zu schärfen, meinen Geist zu klären,
Um meines teuren Volkes Glück zu mehren!

Alma (ins Publikum sprechend).
Statt dessen könnt' er was Gescheidt'res thun!
Wer dankt es ihm! Die Menschen flüstern leise
In seinem Hirn sei etwas nicht im Gleise.
Sein hehres Beispiel wird zum Kinderspott!

Der König (mit erhobenen Händen)
Erleuchte mich mit deinem Licht, o Gott,
Daß ich von deiner Wahl mich nie entferne,
Daß Gut und Schlecht ich rasch erkennen lerne!
Wenn du mit deinem Abglanz mich beglückst,
Dann kann mich nicht der blinden Menge Lachen,
Auch Unzulänglichkeit nicht straucheln machen!

Alma (aufspringend).
Ich aber kann's! – (Sie betritt die Bühne)
                              Wie du mich jetzt erblickst,
Bin ich ein Weib, begabt mit allen Schätzen,
Die königliche Sinne je entzückt!
Der Unschuld Myrthe blieb noch ungepflückt,
Um dich in blüh'nder Frische zu ergötzen! –
Hinächzend unter deiner Krone Joch,
Vermählt der hehrsten Keuschheit, hast du noch
Der Wollust Zaubergarten nie betreten.
Sei Herrscher! Wage menschlich zu erröten!
Um nicht mit Tod und Teufel im Verein
Das Wunderwerk der Schöpfung zu entweih'n,
Ziemt's auch dem Helden, ziemt es dem Propheten,
Aus tiefster Niedrigkeit zu Gott zu beten,
Beseligend selige Kreatur zu sein! –
Ruft dich der Herr einst heim zu seinen Frommen,
Mag auch kein Königsruhm von dir bestehn,
Dir bangt nicht, aus Ägyptenland zu kommen
Und hast die Pyramiden nicht gesehn?!

Der König. Und schwelg' ich nun mit dir in üppiger Ruh,
Wer schützt mein Volk? Wer hört auf seine Klagen?

Alma. Dies Amt bitt' ich dann mir zu übertragen!
Seit frühster Kindheit trieb es mich dazu,
Das störrige, ungebrochne Pferd zu reiten,
Zu rascherm Lauf die Wildheit auszubeuten.
So knirscht dein Volk und kennt kein höheres Streben,
Als Ehr' und Gut zur Lust dir hinzugeben!

Der König. Scher dich aus meinem Haus, du freche Dirne,
Sonst lass' ich deine schamentblößte Stirne
Brandmarken!

Alma (zum Publikum). Wieder bin ich abgeblitzt!
Es wird ihm wohl mein Wuchs nicht recht behagen!
    (Die oberste Stufe der Treppe betretend)
Könnt Ihr, verehrte Hörer, mir nicht sagen,
Wo dieses seltnen Herrschers Schwäche sitzt? –
Es möcht' ob seinen grimmigen Gebärden
Die Posse sonst noch zur Tragödie werden!

König Pietro (zu Alma). Du mußt dich ihm als Minister oder als Kanzler entgegenstellen und ihm vorwerfen, daß gerade seine Weisheit es ist, die das Land ins Elend bringt. Hört er dann auf deine Worte, dann ist er wirklich ein Narr; hört er aber nicht darauf, dann nenne ihn dreist einen Tyrannen!

Alma (sich verneigend).
Ich thu, wie Ihr befohlen. – Unterthänig
Dank ich für klugen Rat, mein gnädiger König!
    (Sie tritt auf die Bühne zurück; zum König)
Mit Schrecken seh ich Eurer Majestät
Hochweise Herrschaft in Gefahr! Die Menge
Quillt in den Schloßhof aus der Straßen Enge!
Mir, Eurem treuen Kanzler, ist es klar:
Nicht anders läßt sich mehr der Aufruhr dämpfen,
Als wenn der Herrscher kurzweg sich entschließt,
Statt daß er auf die drohende Horde schießt,
Mit ihr die Nachbarfürsten zu bekämpfen!
Das Volk will Thaten, seines Glückes müde!
Zur Qual ward ihm der lange goldne Friede.
Blut will es trinken, tierisch, wie es ist!
So gönnt dem Rausch ihm, unter Todesstöhnen
Verröchelnd Euch zum Sieger noch zu krönen!
Der Himmel setzt Euch diese letzte Frist.
Zum Schwerte greift! Sonst noch in dieser Stunde
Erliegt Ihr selber Eurer Todeswunde!

König Pietro. Vorzüglich gesprochen! – (Zum Erbprinzen gewendet) Erinnerst du dich, mein Sohn, zu welch abenteuerlichen Unternehmungen mich Bernardo Ruccellai verleiten wollte, als ich den Bürgern verwehrte, den Karneval um eine Woche zu verlängern? Der hübsche Junge redet, als hätte er dabei gestanden!

(Nach diesen Worten läßt die Zuhörerschaft ein kurzes, aber energisches Beifallsklatschen ertönen)

Prinz Filipo. Die Schauspieler sind außergewöhnlich gut. Laßt sie uns weiter hören, mein gnädiger Vater!

König Pietro. Ich bin aufs höchste gespannt, welche Entgegnung mein wackerer Berufsgenosse da oben erteilt!

Der König. Mein Leben? – Nehmt's!! – Des Volkes Toben schreckt
Mich nicht! Eh' sie durch meine Schuld verderben,
Mag lieber ich durch ihren Wahnwitz sterben!
Dann werden sie in künft'ger Zeit, befleckt
Mit meinem Blut, sich selbst ein rächend Grauen,
Anbetend des Verstandes Sonne schauen,
Und tausendfach hat sich mein Tod gelohnt! –
Dir aber, für des Kriegsplans tück'sche Fassung,
Erteile ich als Kanzler die Entlassung.
Sei froh, daß dich des Henkers Beil verschont!

König Pietro. Königliche Worte, die ich gesprochen haben möchte! Wenn es nur so leicht wäre, immer gleich einen besseren Kanzler zu finden! (Zu Alma) Es thut mir leid, mein junger Diplomat, daß dir meine Ratschläge so schlecht bekommen sind! (Wiederum kurzes Beifallklatschen im Publikum)

Alma (zum Publikum gewendet).
Zum dritten Male hat mein Witz versagt! –
Doch eh' ich Euch, ihr Lieben, nunmehr zeige,
Wie ich den Helden spielend niederbeuge,
Daß unter meiner Pritsche Wucht er klagt
Und winselnd mir zu Füßen kommt gekrochen,
Bejammernswert, vom Seelenschmerz gebrochen,
Und bittet, daß ich ihn zu mir erhebe,
Den Staub in Thränen badend auf den Knien –
Eh' ich dies Kunststück Euch zum besten gebe,
Ersuch' ich Euch, die Börse vorzuziehn
Und dem Hanswurst mit freundlich offnen Händen
Ein kleines Benefizium zu spenden!
    (Sie nimmt zwei weiße Teller zur Hand und steigt die Stufen hinab.)
Die Pause währt, verehrtes Publikum,
Nicht lang! Ein kleines Benefizium!

(Sie drängt sich mit Umgehung der hohen Gäste in die Reihen der Zuschauer und sammelt ein. Indessen wandelt der König im Selbstgespräch auf der Bühne auf und nieder.)

Der König. Kampf folgt auf Kampf! Wenn meine Kraft versiegt,
Dann rast der Tod gleich einem Steppenbrande
Unüberwindlich durch die weiten Lande!
    (zum Publikum)
Ein Obolus, ihr werten Herrn, genügt!

Alma (zu einem Zuschauer, der sie um die Hüfte faßt und sie küssen will).
O pfui, mein Herr, Ihr werdet ungebührlich!
Auch bin ich doch kein Mädchen! Bleibt mir fern!

Der Zuschauer. Noch sah ich keines Knaben Hand so zierlich!

Der König (zum Publikum).
Ein Obolus genügt schon, meine Herrn!
    (für sich)
O wär's vorbei! – Entfremdet dem Genuß,
Erharr' ich still, was mir des Schicksals Falten
An niegeahntem Schmerz noch vorenthalten!
    (zum Publikum)
Ihr lieben Herrn, nur einen Obolus!

König Pietro (winkt Alma zu sich heran und legt ihr einen Kassenschein auf den Teller).

Der König (sich zum Dank gegen das Publikum verneigend).
Was übertrifft des Künstlers Brust an Wonnen!
Das Unglück ist ihm reichster Freudenbronnen;
Aus wilden Klagen schöpft er selige Lust.
Wie aber lahmen selber ihm die Schwingen
Im Ungemach! – Und bei des Goldes Klingen
Ist er sich tiefsten Menschentums bewußt.

(Alma betritt wieder die Bühne und leert den Teller in des Königs Hand, der die Summe flüchtig abschätzt, sie in seinen Purpurmantel versenkt und darauf, zu seiner Tochter gewendet, fortfährt:)

Der König. Schon wieder trittst du trügerische Gestalt
Vor meinen Blick! – Wer bist du? – Laß mich's wissen!

Alma. Ich bin du selbst!

Der König.                     Ich selbst? – Der bin doch ich!!

Alma. Wer recht hat von uns Beiden, zeigt sich bald!
Durch eines Raubtiers Zähne liegt zerrissen
Vor dir ein Menschenleib. Die Schuld trifft dich!

Der König. Ich bracht' ihn um! – Wie ward dir solche Kunde?

Alma. Siehst du die Scheiterhaufen in der Runde?!

Der König. Auch das ist dir bekannt??

Alma.                                                     Beseeltes Fleisch
In Teer und Werg gehüllt!

Der König.                                 Sein Wehgekreisch
War mir Musik! – Ich Wütrich büßt' es schwer!

Alma. Und wühlst noch heut auf blutigem Altare,
Für Krieg dich oder Frieden zu entscheiden,
Der Unschuld in lebend'gen Eingeweiden!

Der König. Wo nimmst du solche Schauerkunde her?
In Reue schwelgend rauft' ich mir die Haare!
Des Herrschers Macht verführte mich!

Alma.                                                             Zum Scherz
Hältst nun umklammert du ein pochend Herz,
Des Aug's Erlöschen gierig in dich ziehend!

Der König. Noch that ich's nicht!

Alma.                                             Du thust's!

Der König.                                                       Jedoch erspare
Mir Schlimm'res!

Alma.                             Kinderleiber, hold und blühend,
Der zarten Glieder Zucken zu betrachten,
Wirst deiner Wollust du zum Opfer schlachten!

Der König. Nein! Nimmermehr!

Alma.                                           Du fühlst schon, du giebst nach;
Denn ich bin stark in dir und du bist schwach!
Greif zu!

Der König (sinkt in die Knie). Erbarmen!

Alma.                                                       Hast denn jemals du
Im Streit mit mir den Sieg davongetragen?!

Der König. (weinend)
Sieh meine Stirn die stein'ge Erde schlagen:
Vor Höllenqual!

Alma.                           Dann greif doch herzhaft zu!!
Die Qual Unschuldiger stillt dein eigenes Leiden!

Der König (mit bebender Stimme).
Wohl bist du Tier der Stärkre von uns Beiden;
Doch gönn' mir eine kurze Frist, bevor
Ich neue Gräu'l auf längst vergess'ne türme!
Im Staub wind' ich mich hier gleich dem Gewürme.
Mein bess'res Selbst, das ich an dich verlor,
Beschwört dich, meine Ohnmacht nicht zu nützen!
Wohl langt, nach neuen Opfern ausgereckt,
Mein Arm – die Zunge, die schon Blut geleckt,
Fleht brünstig, sie vor meinem Grimm zu schützen!

König Pietro (erhebt sich erregt von seinem Platz). Ihr treibt eure Scherze etwas weit dort oben! Was denkt die thörichte Menge, wenn sie des Herrschers Majestät so tief in den Staub gebeugt sieht!

Alma (zum Publikum).
Die Thorheit schauert Angst durch Mark und Bein,
Vor des Geschickes grellem Widerschein!
    (zum König)
So will ich dich erlösen! – Doch erst schwöre,
Daß stets dein Herz dem Guten nur gehöre!

Der König. Ich schwör's! (In Thränen aufblickend)
                                  Das forderst du? – Ich fass' es kaum!
Wer bist du denn?

Alma.                             Dein Dämon! Bin dein Traum!
Erwach' aus meinem Bann, zu höhrem Streben,
Geläutert, dich vom Lager zu erheben!

Der König (erhebt sich und rennt scheu und angstvoll auf und nieder).
Und werd' ich älter denn Methusalah,
Den grauenvollen Wahn vergeß ich nie!
Denn unterm Schleier der verschämten Nacht,
Da flammt die Fackel auf! Da lodert wild
Verzehrend Feuer durch die heißen Glieder!
Da feiern alle Laster Sieg! Da jubelt
Die geile Hölle! Das Verbrechen schwelgt
Im Überfluß! Und was der greise Wüstling,
Von Brunst gemartert, nicht ersann, das taumelt
Als längst befreundet vor die trunknen Sinne! –
O sei gepriesen, goldnes Tageslicht!

Alma (zum Publikum).
Damit ist nun zu Ende mein Gedicht.
Verzeiht, wenn sein Gezeter Euch betrübte!
Ich wollt' Euch nur das allgemein beliebte
Uralte Akrobatenkunststück zeigen,
    (Gestus)
Sich selber auf den Kopf zu steigen!

König Pietro (zum König). Und das nennst du eine Posse, lieber Freund?! Du siehst, daß mir die Thränen in die Augen drangen!

Der König (nachdem er die Krone abgenommen). Wollen Eure Majestät glauben, daß das Stück überall als eine harmlose Posse aufgefaßt wurde.

König Pietro. Das will ich dir nicht glauben! Sollten meine Unterthanen so rohen Gemütes sein? Oder wie erklärst du mir das?

Der König. Darüber kann ich Eurer Majestät nicht Rede stehen. So ist das Leben.

König Pietro. Wohlan denn, wenn das Leben so ist, dann soll mein Volk dich nicht eher wieder hören, als bis es dich auch versteht, denn sonst untergräbt dein Spiel nur die Würde meines Amtes. Leg den Mantel ab und tritt vor mich!

Der König (legt den Mantel, den Bart und die Perücke ab und steigt die Stufen hinab).

König Pietro. Ich kann einem Menschen, der sein Dasein durch Einsammeln von Groschen fristete, kein Staatsamt übertragen. Aber nimmer soll meine Königswürde mich hindern, mir den Mann, dessen Geistesgaben ich unter Thränen bewunderte, zum allernächsten Begleiter. zu wählen! Dicht neben dem Thron steht ein Posten leer, den ich bis heute unbesetzt ließ, weil ich der Thorheit keinen Platz einräumen will, wo auch die größte Menge von Klugheit zu gering ist. Du aber sollst diesen Posten einnehmen. Rechtlos und machtlos sollst du sein gegenüber dem letzten Bürger meines Staates! Aber deine hohe Denkungsart soll zwischen mir und dem Volke stehen, zwischen mir und den Räten der Krone, sie soll sich ungestraft zwischen mich und mein Kind drängen dürfen. So wie dein Geist dort auf der Bühne aufrecht zwischen dem Herrscher und seinen düstren Begierden stand, so soll er in meinem Innern gebieten! Ich ernenne dich zu meinem Hofnarren. – Folge mir!

(Er wendet sich zum Gehen)

Der Theaterbesitzer (wirft sich händeringend und mit Thränen in den Augen vor König Pietro in die Knie). Moriturus te salutat! Euer großmächtigsten Majestät allerunwürdigster Theaterbesitzer hat diesen erhabenen Tragöden eigenhändig vom Galgen geschnitten und wird durch Euer großmächtigsten Majestät allergnädigste Wahl für dieses Leben vernichtet!

König Pietro. Wir erteilen dir auf zwanzig Jahre das Privilegium, unbesteuert Vorstellungen geben zu dürfen.

Der König. Möge Eure Majestät erwägen, daß ich dieses unmündigen Kindes Vater bin und daß dem Vater Eure Gnade höher steht als dem Schauspieler, da er hoffen darf, sein Kind brauche nunmehr sein wahres Wesen nicht länger zu verleugnen.

König Pietro. So ward mein Blick getäuscht?! (Zu Alma) Deine verwegenen Aussprüche möchte ich aus eines Weibes Munde nicht noch einmal hören. (Zum König) Laß dein Kind dir folgen!

(Er verläßt mit dem Prinzen das Theater)


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