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Gudrun

 

 

Im Elternhause

Die Kinder

In der Kemenate der Normannenburg zu Kassiane saß die Königin am Fenster. Gelbe Blätter rieselten aus dem breiten Gezweig der hohen Ulmen im Hofe sacht nieder. Kleine Hände griffen nach dem Gewande der Frau, ein rötlich schimmernder Krauskopf reckte sich, und auf ihren Schoß kletterte Ortrun. »Auch sehen, Mutter,« lallte das Kind.

»Gerlinde!« schallte im Gang Ludwigs Stimme, und der König trat in die Kemenate. »Große Neuigkeit, Frau!« rief er und wischte sich mit der Hand übers breite Gesicht. »Hagen ist tot!« »Der Irenkönig? Das ist freilich nichts Kleines! Fiel er im Kampfe?« »Die alte Wunde brach auf, die ihm Wate vor elf Jahren am Strande geschlagen. Nie heilte sie ganz. Der Gram um die Tochter war's, sagen die Leute, der hielt sie offen, und der Grimm, daß er den Hegelingen erlegen.« »So ward Irlands Königsstuhl frei?« »Um die Krone streiten die Fürsten.« In ihren schwarzen Augen zuckte es auf. »Greif zu, Ludwig!« »Nimmermehr ich! In das Wespennest lange, wer mag, ich halt, was ich habe!« »Ist das Königssinn, Ludwig?« »Ist es Herrscherverstand, Weib, weiter als die Kraft reicht, zu greifen?«

Hufschläge hallten vom Hofe. »Hartmut!« jauchzte die Kleine auf dem Schoße der Mutter und streckte die Ärmchen zum Fenster hinaus. Bloßhäuptig, auf ungesatteltem Rappen sprengte der Königssohn drunten auf die Burgtreppe zu. Seine langen schwarzen Locken wehten, mit einem Ruck riß er das Roß hoch, sprang ab und warf die Zügel dem Knecht an den Stufen zu.

Ein stolzes Lächeln ging über Gerlindes scharfe Züge. »Komm ans Fenster, Ludwig, schaut er nicht, als müßte die Welt ihm gehören? Sag, soll er nicht mehr werden als wir?« »Dafür mag er sorgen!« sprach der König.

*

Hinter dem Strande zu Sewen brausten die Wälder im Herbststurme unter dem blauen Himmel. Durch den rötlichen Sonnenschimmer im Tannendickicht trottete eilig ein gewaltiger Bär, der schleppte eine zerfetzte Mannesleiche mit sich, die Zähne in den Nacken des Toten geschlagen. Weit hinter ihm tauchte zwischen den Stämmen der Kopf eines Burschen im Helm auf. Über eine Lichtung schleifte das zottige Ungeheuer die Leiche zu einem Felsrücken, der aus den Wipfeln aufragte, und zerrte sie hinab in die Höhle.

Mit dem Speer in der Rechten schlich der Bursche heran: ins dunkle Loch schleuderte er den Spieß und schwang sich an einem Tannenaste empor. Brüllend rollte ein dunkler Riesenball aus der Höhle: in die Höhe schoß auf den Hinterbeinen der Bär, den zerbrochenen Schaft in der Brust. Aus dem Gezweig sauste das Schwert in den aufgerissenen Rachen. Ein Blutstrahl schoß aus dem Schlunde. Das Ungetüm wankte und wich. Vom Baum sprang der Bursche und rannte ihm die Klinge ins Herz: das Untier krachte zum Grunde. Laut jauchzte der Knabe über dem Gefällten – da prallte er jählings zurück: alle Zotteln am Leibe des röchelnden Bären erzitterten, sträubten sich, das Fell schwoll, platzte von der Schnauze bis zu den Tatzen, und am Boden ächzte statt des Bären ein riesiger Greis, den Graubart unter dem Hakenkinn aufgesträubt. Grimmig rollten die funkelnden Raubvogelaugen und brachen ...

Herdengeläut klang um das Königsgehöft auf der Höhe hinter dem Strande. Von den erdunkelnden Marschwiesen trieben die Hirten das Vieh heim zu den Ställen. Im Osten hob sich die schmale Silbersichel des Mondes über das ebene Land. Kühl ward es, Nebelschwaden zogen graulich vom Meer her.

Vor den Langfeuern in der Halle schmausten die Mannen. Neben dem König scheitelte Herzog Helmnot mit beiden Händen den Bart über der Brust zu zwei Hälften und sah aus den grauen Augen forschend über die Tische. »Lang dünkt es mich, Herr, daß ich Euren Sohn zum letzten Mal sah!« »Er jagt,« sprach Siegwart, »bei den Einödbauern im Walde gastet er seit acht Tagen.« »Wollt er nicht eher zurück sein?« »Um Herwig ist mir nicht bang,« sagte der hagere Waffenmeister, »junge Glieder und alter Verstand, der weiß sich zu wahren!«

Am andern Ende des Tisches hoben sich streitende Stimmen. »Und ich sag: Irlands Krone für sein Weib muß er fordern, ihr gehört von rechten das Erbteil des Vaters.« »Sie lief ihm davon, da warf sie es weg!« »Gefangen hielt sie der Alte: all ihre Freier knüpfte er an den Galgen! Sollte sie einsam bei ihm verdorren?« »Was sagt Ihr dazu, König: geschah Hagen nicht Unrecht?« »Ja, sagt: taten Hilde und Hettel nicht recht?«

Siegwart stützte den Arm auf. »Wer hat recht, wenn jeder sein Recht mit Unrecht vermengte? Eins weiß ich: ihr Erbe wird Hilde nicht fordern, und kaum wird es mein Freund Hettel für sie tun.« »Freilich, reich und gewaltig sind sie auch ohne Irland!« »Einen mächtigen Schutzgeist hat Hettel: das schönste Weib auf Erden gewann er vom grimmigsten Vater!« »Schöner noch als die Mutter, heißt es, wächst ihre Tochter Gudrun heran!«

Der König sah nachdenklich in die Flamme. »Schön wird das Kind, und der kleine Ortwin erbte die frohen Augen vom Vater. Ich sah sie vorm Jahre in Matelane. Aber nicht lauter Glück ist um Hettel. Zu tragen hat er an dem, was ihm der Schwäher am Hegelingenstrand hinterließ.« »Hinterließ, Herr?« »Ja, Reinhard: den Unfrieden im eigenen Hause!«

»Da kommt er ja!« rief Herzog Helmnot und hob den Krug: »Heil, Herwig!« »Dank, Herzog,« klang es von der Türe zurück. In die Halle trat, den Lodenmantel um die Schultern, ein Bursch wie ein junger Tannenstamm, schlank und grad. Das schlichte hellbraune Haar hing ihm zu beiden Seiten bis auf die Achseln, unter der festen breiten Stirn blickten die blauen Augen ruhig und kühn durch den Saal. »Lang bliebst du bei den Waldbauern, Sohn!« sprach der König. – »Sie verzagten, Vater: ein Untier raubte ihnen das Vieh von den Weiden und schlug die Hirten.« Helmnot nickte. »Ein Bär, ein Menschenfresser, ich hörte davon.« »Kein richtiger Bär war es, Herzog: im Bärenfell steckte ein Hüne!«

»Ein Mannbär? – Ein Hexer? – Ein Teufelsgesell?« scholl's von den Tischen. »So erjagten sie ihn, die Bauern?« rief Herzog Helmnot. – »Die Bauern nicht,« sagte Herwig, »ich tat es.« Und er legte einen silberdurchwirkten Gurt mit goldener Spange auf den Tisch vor den König. »Das da löste ich ihm vom Leibe!« Die Mannen sprangen von den Bänken. »Den Gürtel kenn ich,« rief Reinhard, »Grim, der Alte war's, der trug ihn, der Räuber!«

»Da hast du kein ganz geringes Werk für deine Jahre geschafft, Herwig,« sprach der König, »schad, daß es die Mutter nicht mehr erlebte!«

 

 

Der Winterschnee war von den Hügeln im Hegelingenlande geschmolzen. In der Kemenate zu Matelane saß die zehnjährige Gudrun auf einem Schemel im Eck: glatt gescheitelt lag ihr das silberhelle Haar über dem weißen hohen Stirnlein und um die Schläfen. Wie zwei Streifen goldgelben Blütenstaubes schimmerten die Brauen über den dunkelblauen Augen im schmalen ebenmäßigen Gesicht. Vor ihr kniete ihr Brüderlein, schüttelte lachend die langen gelben Locken und griff nach der Puppe auf ihrem Schoße. »Nicht, Ortwin,« rief sie unwillig und drückte die Docke an sich, »du mußt ihr nicht weh tun!«

Am Tische inmitten der Stube stützte die Königin den Kopf in beide Hände. »Immer noch, Hilde?« sprach Hettel, »ein halbes Jahr ging drüber hin!« Sie seufzte. »Er starb am Gram, er vergab nicht, im Unfrieden schied seine Seele von mir! Nicht Wates Schwert war's: ich habe den Vater getötet!« Er lächelte bitter. »Hagen starb nicht, dir nicht und mir nicht: ewig wird er zwischen uns stehen. Zu mir flohst du, und dein Herz blieb beim Vater. Das spürte ich, seit sie ihn zum Schiffe getragen!« »Hettel, in deine Hand gab ich mein Leben, die Kinder habe ich dir geboren: worin fehlte ich vor dir? Und doch glaubtest du nie meiner Liebe!« »Ich tat es.« »Nein, Hettel! Freilich, wie solltest du auch? Den eigenen Vater habe ich ja getrogen! Oh, wahr sprach er am Strande: deiner Untreue Frucht wirst du ernten!«

Die Puppe war Gudrun aus den Händen geglitten, und sie sah zu den Eltern hinüber. Hettel warf den Kopf auf. »Laß, Hilde, es ist nun einmal, wie es ward. Komm, Gudrun, gib deine Docke her: schau, welch ein Loch hat ihr Ortwin in die Haare gerissen!«

*

Leise schäumte die See an den Strand. Ueber den Dünenhügeln hockte Wate, die Arme um die ragenden Knie geschlungen, den buschigen Schädel zu Gudrun niedergebeugt, die staunte mit den dunkelblauen Augen zu ihm auf. »So ist's, wie deine Muhme sagt, Mädel: voll Ungeheuern und Unholden steckt die Welt. Lintwürmer gibt's, Seeschlangen, Greife, na, und die Widergänger und die Gespenster, die überall lauern, wo sie wittern, daß etwas faul ist! Aber vom andern weiß deine Alte freilich nichts, und das will ich dir sagen: Macht hat das Teufelszeug nur über den, der sich davor grault. Da war ein alter Zauberer und Räubergesell in Seeland, das ist ein Land an der See, westwärts von den Friesen. Der war in einen Bärenleib gefahren und hauste im Walde. Alle fürchteten sich vor ihm. Aber einer fürchtete sich nicht, ein Bursche, fünf Sommer kaum älter als du, und er erschlug ihn: Herwig der Königssohn. Sein Vater war hier in Matelane, ein Jahr wird's her sein.« »Wenn einer sich fürchtet, ist er feig, nicht, Ohm Wate, und er muß sich schämen?« »So ist's, Mädchen, aber es gibt welche, die tun's nicht!«

»Ohm Wate,« fragte das Kind, »bleibst du noch lange bei uns zu Gast?« »Nein, Gudrun, heim reit ich morgen, und dein Brüderchen, den Ortwin, nehme ich mit. Zu einem rechten Krieger soll ich ihn fern vom Weibervolk ziehen!« »Nimm auch mich mit!« sagte leise das Mädchen. – »Dich!« Wate lachte und tätschelte ihr mit der breiten Hand über den Kopf: »Was wolltest du, Silberfischlein, bei mir? Fechten lernen brauchst du nicht, und spinnen und weben kann ich dich nicht lehren!«

Gudrun dachte eine Weile nach. »Ohm Wate, ich will dich was fragen: warum sagt die Mutter, daß sie untreu war gegen den Ahn? Ist sie denn nicht treu?« Wate blickte zur Seite und kraute sich durch das dichte Haar. – »Die Menschen sollen doch treu sein, Ohm?« »Freilich wär's besser!« Bist du treu, Ohm Wate?« Er starrte sie an. »Ich, hm, ich will's hoffen! Nur einmal, na ja, das war. so halb und halb!« Können denn die Menschen nicht treu sein?« »Ganz leicht ist es nicht, scheint's, aber eigentlich sollt es schon gehn!« »Ich will nicht untreu sein, Ohm,« sagte Gudrun. – »Recht, Mädel, aber paß auf, wenn dir die Haare lang wachsen, da nimm dich zusammen!«

*

Im Burghofe scharrten die Rosse. Die Treppe hinab stieg Wate im Reisemantel und Hut. Unten wartete Horand auf ihn. »Du reitest, Sturmländer, und nimmst den Königssohn mit?« »Ja, Sänger, und weißt du, wer noch mit wollte? Du, die hat mich gestern schwitzen gemacht – unter Schwertschlägen schwitzte ich nie so – das Mädel, die Gudrun mit ihren blanken Augen! Warum ihre Mutter den Ahn getrogen, wollte sie wissen! Mit ihren Docken spielen sollte der Wurm und sich nicht um so etwas kümmern! Ha, was sagst du, Horand?« »Wohl ihr, wenn sie es so rein spürt, was recht ist und unrecht: möge es des Herzens Gier ihr nie verwirren!« »He, Horand, du warst es doch damals: du trogst den König als erster!« »Jung war ich, und blind für manches machte mich das Verlangen. Aus dem Samen wuchs uns die Frucht – anders seh ich es jetzt, als ich es sah!« »Reut es dich nun?« »Reuen? Nein, Wate: an meinem Unrecht lernte ich recht tun. So bestimmte es mir das Geschick. Toren mögen sich nutzlos zergrämen um den Weg, den es ihnen gewiesen: ich geh ihn!«

 

 

Die Königssöhne

Die Jahre gingen. Die Knaben wuchsen zu Jünglingen, zu Jungfrauen die Mädchen. Immer noch stritten die Fürsten in Irland, und eine Hand riß aus der andern die Krone. König Hettel aber saß fest im Thronsessel zu Matelane, und im Frieden gedieh seine Länder. Über Meer fuhr Horand, lauschte in fernen Reichen den Mären der Leute und kehrte heim. Als er in die Halle trat und die Königin grüßte, sah er: feine Silberfäden schimmerten in dem goldroten Haare um ihre Schläfen, und in langem Gewande kam ihm Gudrun entgegen ...

An der Westküste der Nordlande war's, von woher die wilden Wikinge in ihren Drachen über alle Meere fuhren, raubten und plünderten, Königreiche zerbrachen und neue erschufen.

Ein gewaltiger Felsenwall starrte das Strandgebirg mit schneeglänzenden Kämmen aus der See, die schäumte und brauste zu seinen Füßen. Durch die steilen Wände wand sich in schmaler Schlucht die Fjordbucht, still und blau im grauen Gestein, tief hinein in das Land. An ihrem Ostende schimmerte im Sonnenscheine ein Wieslein. Ein Roß weidete darüber. Aus dem offenen Schuppen am Strande blinkte das bunte Hinterdeck eines Drachen. Unter den Tannen hinten hob sich mit breitem braunem Giebel ein Bauernhaus, aus mächtigen Balken gefügt. Am Wasser lag der junge Seekönig Sigurd, die langen Beine im Grase gestreckt, die Hände unter dem gelben Strubelkopf gekreuzt. Auf einem Holzklotz neben ihm saß der Jarl Svein in blauem Mantel, groß und breit, die Ellbogen auf die Knie gestützt, die Finger im dunklen Haare vergraben. »Wie steht's in der Wik?« fragte Sigurd. – »Hungrig, Vetter, sind meine Drachen über Winter im Hafen geworden. Darum ritt ich her. Ich meine, du hast dich lange genug hier beim Bauern, deines Vaters altem Freund Egil, gemästet!« »Wo willst du hin?« »Bei den Iren, denke ich, ließe sich etwas holen: wie gierige Hunde um einen Knochen raufen sie um die Krone immer noch untereinander.« »War ich erst im vorigen Sommer.« »Bei den Angeln im Lande zu heeren, wär auch nicht schlecht!« »Satt bekommen hab ich's, Svein, immer wieder die alten Meerstraßen zu fahren!« »Weißt du was Besseres?« »Paß auf, Jarl, am Herdfeuer saß in den Winternächten bei Egil ein Recke aus dem Süden, der wußte Wunderdinge von König Hettel im Hegelingenlande zu sagen. Fettes Vieh auf den Weiden, wie er es nirgend gesehen, alle Scheunen voll Weizen, die Schatzkammern mit Gold und Edelstein gefüllt vom Boden bis zur Decke! Und ein Töchterlein hätte der König, da hob er gar an, zu singen! Was meinst du, Jarl, das gäb Futter in die hohlen Bäuche deiner hungrigen Drachen!« Der Jarl schüttelte den Kopf. »Um gegen die Hegelingen zu heeren, langten die Schiffe aus allen Nordlanden kaum. Da tu ich nicht mit!« »Groß seid ihr in Worten, ihr Wikleute!. Na, so fahr ich allein und schau erst einmal, ob der deutsche Recke uns nicht gelogen. Vielleicht kommst du im nächsten Sommer dann doch mit!«.

*

Märzveilchen blühten aus den dunkeln Waldgründen im Normannenlande. Im Abendlichte schimmerten die Wipfel von lichtgrünem Knospennetze umsponnen, drin zwitscherten traumsacht die Vögel. Vom Burghofe zu Kassiane schallte Freudengeschrei, und eine Rauchsäule stieg hoch. Eine langmächtige Puppe aus Stroh und bunten Lappen loderte auf dem Holzstoß, die dürren Steckelarme gebreitet, den riesigen weißen Wergbart in hellen Flammen.

Den Winter verbrannt,
Der Lenz kam ins Land!

jauchzte die Menge ums Feuer.

Aus dem Burggarten klang Lautenspiel und Gesang. Ueber die Wiese führte der Königssohn Hartmut den Reigen der Edelknaben – an der Spitze der Jungfrauen tanzte ihm ein Kind mit rötlichem Kraushaar, seine zehnjährige Schwester Ortrun, entgegen. Sie faßten Hand in Hand, und die Reihen schlangen sich ineinander.

Die Rechte auf Ludwigs Schulter, sah Gerlinde den Tanzenden zu. »Sieh unsern Hartmut, wie ihm die Wangen glühn unter den dunklen Locken! Wie stolz und keck die Augen ihm leuchten! Soll er seine Schönheit und Kraft nur dazu nützen, die Herzen der Normannentöchter zu Kohlen zu brennen?« »Immer wieder kommst du mir mit dem Alten, Gerlinde!« murrte Ludwig. – »Ja, Mann! Dem Schönsten die Schöne, die Mächtigste für den Stolzen! Denk, wenn sich Hartmut mit Hettel verschwägert, wen in aller Welt brauchten wir dann noch zu scheuen?« »Und wenn er die Tochter uns weigert? Aus einem hochfahrenden Geschlechte ist Hettel!« »Er wird sich hüten: nicht weniger Vorteil als uns brächte den Hegelingen der Bund.«

Auf der Wiese klatschten sie in die Hände, und der Reigen löste sich auf. Auf die Eltern zu kam der Königssohn. »Hartmut,« rief Gerlinde, »Gudruns Schönheit und Hettels Macht hörtest du oft genug rühmen: willst du, daß wir für dich um sie werben?« »Warum nicht, Mutter, wenn sie wirklich die Schönste in allen Ländern der Welt ist? Aber unbesehen kauf ich das Kätzlein im Sack nicht! Rüstet mir einen Drachen, daß ich sie mir im Hegelingenland anschau, ob sie mir taugt! Und weißt du was, Mutter, als Königssohn nenn ich mich nicht, dann kümmert sich keiner um mich!« »Torheiten sind das!« brummte Ludwig. – »Torheit wär es für dich: seinen Jahren steht's an: soll er seine Kraft nicht versuchen? Zeit wird es, daß Hartmut auch andere Königshöfe kennen lernt als den eignen!«

*

Aus der Osterbucht in Seeland lief ein Drachen aus. Vom Vordersteven sahen König Siegwart und Herwig in den Sturmkappen übers Meer. »Eine alte Rechnung habe ich mit den Angeln zu begleichen,« sprach der König, »deine Mutter kränkten sie mir: ihre Vatershabe war auf dem Kauffahrer, den sie uns nahmen. Nun wird's deine erste Heerfahrt, mein Sohn!«

*

Über den Bruchwald im Lande zu Stürmen strich leise der Frühwind. Hinter dem Stamm einer Erle lauerte Ortwin, der Knabe, den Bogen in der Hand, den Pfeil auf der Sehne. Neben ihm kniete Wate. Wildenten schnatterten von den Tümpeln. Ein Reiher zog hoch im Blau. Durchs Gestrüpp schlich mit gesenkter Rute ein Wolf. Ortwin hob den Bogen. »Wart noch,« flüsterte Wate, »horch, da kommt der König!«

Im Dickicht vor ihnen erkrachte es, mächtige Hornschaufeln schoben sich aus dem Gezweig über einem riesigen Schädel, und auf die Lichtung trat schnaubend der Elch; auf seinem Nacken lag die lange Schnauze der Kuh, die ihm folgte. Ortwins Pfeil schwirrte. Der Elch bäumte sich, ins Dickicht stürmte die Kuh. Wate sprang auf und warf den Speer. Der Waldriese brach zusammen: dumpf erdröhnte der Boden. Ortwin lief auf ihn zu. »Nicht so nah hin, Bursch!« rief Wate, »er schlägt noch!«

Die eine Schaufel im Moorboden, die Zunge zwischen die Kiefern geklemmt, lag das gewaltige Tier vor ihnen. »War kein schlechter Schuß, Ortwin! Aber jetzt laß uns einhauen: mich hungert mächtig.« Sie setzten sich auf einen gestürzten Stamm nieder, und er zog Brot und gerösteten Speck aus dem Schnappsack. »Wenn du so weiter machst, Ortwin, bist du in fünf Jahren zum Männerkampfe gerecht. Aber was nützt das? Früher, ja, da ging kein Sommer vorüber, daß wir nicht irgendwo heerten – jetzt zieh wir die Zipfelkappen über die Ohren und melken die Kühe! Wie alt ist Gudrun? du elf und sie siebzehn! seit achtzehn Jahren hörte ich keine Schwerter mehr schwirren! weil's Friede ist, lauter Friede, Gott besser's!« »Erzähl mir, Ohm, wie du mit dem Ahn kämpftest,« bat Ortwin. – »Ja, Bursch, da klangen mir freilich die Ohren! Hör zu ...«

 

 

Der Normannengraf

Aus den Buchenwäldern hinter der Hegelingenburg hallte junger Stimmen Gesang.

Kein seliger Ding auf Erden,
Als eins des andern werden
Und tauschen dein und mein!

An der Spitze einer Mädchenschar in weißen Gewändern schritt eine Jungfrau, hoch und schlank, einen Veilchenkranz über den silberhellen Flechten. Hinter ihr kicherte eine zierliche Kleine mit einem Stumpfnäschen im rosigen runden Gesichte und hellen Vergißmeinnichtaugen; mit dem Ellbogen stieß sie ihre Nachbarin an. »Wer ist's denn, sag, Hildeburg, mit wem möchtest du dein und mein tauschen?« »Dir sagt' ich's zuletzt, Hergart, auch wenn ich es wüßte!« Aus sanften braunen Augen sah sie verträumt auf die Kleine nieder. – »Nun, wenn du keinen hast, so vertrau mir's, wie müßt' er denn ausschaun, den du dir wähltest?« Hildeburg blickte auf den Schlüsselblumenstrauß in ihrer Rechten. »Kühn müßt' er sein und keinen fürchten! und stolz, daß auch ich auf ihn stolz wär!« Hergart blickte spöttisch. »Sag es nur gleich, lange schwarze Locken müßte er haben, nicht, Hildeburg, grad wie sie der Normannengraf Hartmut hat, der seit acht Tagen bei uns sitzt! Seht Mädchen, rot wird sie! O weh, Hildeburg, da ist's gefehlt, das Gräflein, mein ich, schielt höher hinauf!« »Laß mir Hildeburg in Frieden, du Flederwisch,« sprach die große Gertrud. – »Wie der Deine ausschauen sollte, Hergart, das möchte ich wissen!« rief Mechthild. – »Der Meine? glatt und blank müßt er sein, im Gesicht ohn Härchen! süß wie Zucker, mit zärtlichen Augen, die wie Schmalz an der Sonne zergehn, wenn ich ihm hineinschau!« Die Mädchen lachten. »Einen Süßen will Hergart! – Das war von dem Schleckermaul zu erwarten! – Den stolzesten Hildeburg! – Und was wollte wohl Gudrun für einen? – Ei, der müßte noch stolzer als stolz sein! – Ganz von Gold, wenn das langte für unsere Gudrun!«

Sie blieb stehen und sah sinnend unter die Gespielen. »So hoch hinaus wie ihr begehre ich gar nicht, mir wäre einer genug, dem ich vertraue.« »Horand, Horand!« riefen erschrocken die Mädchen und fuhren auseinander, »da steckt er!« An einem Baumstamm lehnte lächelnd der Sänger. »Horand, habt Ihr's gehört, was wir sprachen?« »Alles hörte ich, Jungfrau«! Seid ruhig, aus Euren Herzensgeheimnissen mach ich kein Lied. Aber an eine alte Mär mußte ich denken, während ich lauschte, die will ich euch erzählen. Ein König war in einem fernen Lande, der wollte erfahren, welche unter seinen drei Töchtern ihm am herzlichsten zugetan wäre. Und er fragte sie: ›Sagt, meine Kinder, alle habt ihr mich lieb, aber hören möcht ich von einer jeden, wie sehr sie mich lieb hat!‹ Da sprach die eine, ›wie mein prächtigstes Kleid!‹ und die andre: ›wie den süßesten Zucker!‹ die Jüngste aber: ›wie Salz!‹ Nun, was meint ihr, welcher von den dreien war ihr Vater am wenigsten wert?« »Der Jüngsten, die ›Salz‹ sagte!« rief Hergart. – »Anders dachte der König: ›Du bist mein Herzenskind,‹ sprach er zu ihr, ›denn taub ohne Salz wäre die Erde!‹« Horand faßte Gudrun bei der Hand und küßte sie auf die Stirne. »Und mein Herzenskind, Gudrun, bist du!«

*

Am Fenster der Kemenate lehnte König Hettel. Im Sessel neben ihm stickte Hilde. »Es dämmert schon,« sprach sie und legte die Arbeit nieder, »lang bleiben die Mädchen heut aus!« »Da kommen sie aus dem Walde, um Horand geschart,« sagte er, »Gudrun mit dem Normannengrafen voran.« »Gefällt dir der Graf?« »Ein kühner Bursch ist's!« »Ja, kühn kam er her, und allzu keck für einen Lehensmann Ludwigs trat er mir vor den Hochsitz. Aber schnell war der Wilde gefangen.« »Gefangen?« »Merkst du es nicht, wie er still wird und seufzt, sowie er Gudrun erblickt?« »Wundert dich das? Von edlem Geschlecht ist er, sein Gesicht zeugt davon und sein Gebaren: zur Sonne zieht es den Adler!« »Du sorgst dich nicht drum? Würd' es dich freuen, einen Normannengrafen zum Eidam zu haben?« »Hilde, du träumst! freundlicher nicht als den letzten Hofjungen schaut Gudrun ihn an.« »Noch tut sie es nicht!«

Er lachte stolz. »Meine Tochter ist Gudrun, keinen, der ihrem Vater nicht recht ist, wird sie begehren!« »So sprach auch mein Vater!« »Ein Unterschied ist da, meine ich,« grollte Hettel, »zwischen Hagen und mir! Und wenn es dich tröstet, der Normannengraf will wieder heim!«

*

Vom Walde schritten Gudrun und der Normannengraf zur Burg nieder. Horand folgte ihnen, umringt von den Mädchen. »Ich suchte Euch im Walde auf, Königstochter,« sprach der Normanne, »scheiden muß ich, morgen sticht mein Drache in See. Ihr schweigt? Habt Ihr mir nichts dazu zu sagen?« »Eine glückliche Fahrt wünsche ich Euch, Graf Hartmut,« sagte sie ruhig. Ihre Augen suchte sein Blick. »Weiter nichts?« »Seltsam fragt Ihr, was könnt ich Euch Besseres wünschen?« »Und wenn ich einst wiederkäm, nicht ein Graf, sondern in Königsglanz, Gudrun?« Sie sah ihn erstaunt an. »Freuen würde ich mich über Euer Glück, Graf.« ... Er blieb am Burgtore zurück. »Stolz und kühl,« knirschte er, »wenig achtet sie meiner! Und wo blieb mein Stolz? Den Rücken sollt ich ihr kehren – und kann's nicht!«

Fröhlich plaudernd schritt die Mädchenschar an ihm vorüber. Als letzte kam Hildeburg, den Kopf gesenkt, die schweren braunen Zöpfe über dem bloßen gebeugten Nacken und dem hellen Gewande. Er trat auf sie zu. »Freundlicher seid Ihr, Hildeburg, immer zu mir gewesen als alle.« Sie ward rot. »Sanfter und sorgender seid Ihr als Eure Gespielen. Recht tat die Königstochter, Euch zu ihrer Freundin zu wählen. Heimfahren muß ich nun, und lang kann es währen, bis es mir glückt, wiederzukommen. Eine Bitte hab' ich an Euch, denkt meiner freundlich bei Gudrun, daß sie mich nicht vergesse!« Sie hob das Gesicht und ward bleich. »Ihr liebt – Gudrun?« Er nickte. Still stand sie im Zwielicht, klanglos kam es von ihren Lippen: »Hettels Tochter wird einem Könige nur gegeben.« Er nahm ihre Rechte, schlaff lag sie in der seinen. »So hört: um Gudrun zu sehn, kam ich her. Kein Graf, der Sohn des Normannenkönigs bin ich!« Sie riß erschrocken ihre Hand aus der seinen. »Ein Königssohn seid Ihr?« »Glaubt Ihr, wenn mein Vater Ludwig für mich wirbt, Hettel wird sie mir verweigern? Was starrt Ihr mich stumm an, Hildeburg? sprecht!« »Gudrun liebt Euch nicht!« flüsterte sie. – »Sie soll mich lieben, sie muß es, sie wird's, ist sie erst einmal mein Weib! zu leben lohnt sich mir nicht, gewinn' ich sie nicht! Hildeburg, wollt Ihr mir helfen?« »Ja,« hauchte sie tonlos.

Sie sah ihm nach, wie er schnellen Schrittes im Torbogen verschwand. »Ein König! Nach dem Regenbogen über mir griff ich!«

*

In der Halle, auf der Frauenbank hinter dem Hochsitz, saßen die Jungfrauen in einer Reihe, Gudrun in ihrer Mitte. Neugierig blickte die kleine Hergart hinab in den Saal.

»Warum eilt es Euch so?« rief Hettel dem Normannengrafen über den Tisch zu, »Pfingsten ist in einem Mond, die fröhliche Festzeit, und vorher schon versammle ich alle Fürsten zum Rate: Irold und Morung kommen, Wate aus Stürmen bringt uns unsern Sohn Ortwin nach langen Jahren. Beisammen könntet Ihr hier das ganze Hegelingenland sehn und Eurem König berichten, wie wir in Matelane Feste zu feiern verstehn!« »Ich danke Euch, Herr, und wenn Ihr es erlaubt, komme ich wieder einmal. Aber mein Urlaub verstrich!« »So grüßt Euren König von uns und nehmt den Abschiedstrunk, Graf!«

Hartmut nahm das Horn aus den Händen der harrenden Magd. »Auf, Gesellen,« rief er. Hinten im Saal erhob sich die Normannenschar von den Bänken. Den Humpen schwang er hoch. »Heil König Hettel, der Königin Heil, Heil dem zartesten Sproß aus dem Stamm, Heil Eurer Tochter!« »Heil!« schrien seine Gesellen.

*

In ihrer Schlafkammer lagen die Königstochter und Hildeburg. »Das also war es!« rief Gudrun und hob den Kopf aus den Kissen, »daß er sich hehlte, spürte ich wohl, und bei jedem Wort war mir's, als deute es nach zwei Seiten!« »Ein Held ist der Königssohn, kühn, wie sich wenige finden!« »Mag er es sein, aber nach meinem Sinn ist er nicht!« »Er liebt dich!« »Auf heimlichen Wegen geht er, warum steckt er sich hinter dich? warum sagte er es mir nicht selber, was er dir sagte?« »Allzu stolz bist du, Gudrun!« »Um mich zu hehlen und um zu heucheln, ja da wär ich zu stolz!« »Ohne dich, sagt er, könnt' er nicht leben – rührt dich das nicht?« »Warum begehrt er, was nicht zu ihm taugt und nicht zu ihm will? ich kann's nicht verstehen!« »Ich versteh es!« Sie seufzte. – »Was sagtest du, Hildeburg?« »Nichts, Gudrun. Schlaf wohl!«

 

 

Sigurd Seekönig

Auf dem Hofe zu Matelane lud das Gesinde Ballen und Kisten von den Rücken der Saumrosse, die standen vom Tor bis zur Halle aneinandergereiht. Im Burggang jauchzte Ortwins Stimme: »Mutter, wie klein bist du geworden und warst solch eine Riesin! Bis über die Schulter lange ich dir schon mit dem Kopf! Gudrun du! hast du die alten Docken noch, die ich so grausam gebeutelt?« Auf den Stufen zur Halle warteten Hettel und Wate. »Dort kommt auch schon Irold geritten mit seinen Friesen,« sprach der König und wies über den Wall in die Ferne, »nun fehlt uns nur noch Morung. So voll ward mir das Haus seit langem nicht mehr!« »Feste zu feiern ist gut,« sagte Wate, »besser aber noch wär es, einen tüchtigen Kriegszug zu rüsten. Schlapp wird das Volk, in den Herzen wächst mit dem Fett um die Bäuche die Faulheit!« »Gegen wen sollt ich ziehen? übel ständ es mir an, mit Schwächeren, als ich bin, den Frieden zu brechen!« »Na, da gäb es schon welche: Ludwig gleich im Normannenlande, der Alte, der könnte uns doch noch Nüsse zu knacken geben, meine ich, König!«

Aus der Burgtüre trat Hilde mit heißen Wangen und strahlenden Augen. »Komm, Hettel,« rief sie, »gar nicht richtig hast du ja noch Ortwin begrüßt. Durch die Kammern tollt er, Wiedersehen möchte er alle und alles zumal!« »Schau meine Königin an Wate,« lachte er, »ganz jung ist sie wieder geworden, so blickte sie mich vor achtzehn Jahren bei unserem Hochzeitsfest an!« »Soll ich nicht froh sein? meinen Sohn hab' ich wieder!« »So komm!« Er legte den Arm um ihre Hüften und schritt mit ihr in die Burg. »Ach, Hilde, manches könnte bester sein zwischen uns zweien, wärst du immer wie heut! Vor einem frohen Auge schwinden Gespenster und Spuk. Versuch es! Wir und die Kinder, beisammen ist wieder, was zusammengehört – laß uns ein neues Leben beginnen! Willst du, Hilde?« Sie drückte seine Hand.

*

Müde getollt hatte sich Ortwin und schlief schon. In der Halle zechten, an den Tischen durcheinandergemischt, Friesen, Holsten, Sturmländer und Dänen, alte Kriegsgefährten begrüßten sich froh, immer stärker schwoll das Stimmengeschwirr.

»Der Teufelswein glüht wie Feuer durchs Blut,« rief Wate, setzte den Humpen ab und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. – »Ein Vorschmack ist's nur, Sturmländer,« sagte Frute, »das älteste Faß kommt in vierzehn Tagen erst aus dem Keller!« »Ja, daß Pfingsten ein großes Fest ist, weiß ich,« sprach Wate, »aber verflucht lang ist's her, daß die Mönche mich lehrten, was da vor grauen Zeiten geschah!« Horand lächelte. »Alter Heide, vergaßt du es ganz? Daß der Heiland seinen heiligen Geist in die Welt sandte, feiern wir: über seine zwölf Gefolgsleute goß er ihn aus, und Flammen loderten vor allem Volke von ihren Häuptern!«

Da klang ein Hornruf von draußen ins Stimmengebrause. »Was gibt's?« rief Hettel. – »Gäste, Herr,« schallte es von der Tür, »ein Drachenschiff mit dem König von Seeland!« »Ei, nur schnell herein mit meinem alten Freund Siegwart!«

In die Halle traten zwölf lange Gesellen in blauen Wämsern, mit ledernen Gürteln. Vor ihnen schritt ein junger mit ernsten Augen unter dem lichtbraunen schlichtgescheitelten Haar. Hettel stutzte. »Wer seid Ihr?« »König Herwig bietet Euch seinen Gruß, Herr.« »Herwig? Siegwart ist, denke ich, König in Seeland!« »Er war es, sein Sohn bin ich und sein Erbe.« »So starb Siegwart?« »Er fiel. Seinen Tod zu künden, kam ich zu Euch. Er hieß Euch seinen Freund.« »Er durfte es wohl,« sprach Hettel, »und ein bitterer Tropfen in meinen Festwein ist mir Eure Botschaft. Einen trefflichen Vater, Herwig, habt Ihr verloren. Wie fiel er? berichtet! Rückt auseinander, Wate und Frute – nehmt Platz auf dem Stuhle, wo Siegwart stets mir gegenübergesessen!« Hilde wandte sich zur Frauenbank um. »Gudrun, reiche dem König zum Willkomm das Horn!«

»Wir heerten im Lande der Angeln,« begann Herwig, »da stieß ein Haufen Berserker zu ihnen, Riesen in Fellen, die waren von Teufeln besessen. Vor Kampfwut schäumten sie wie wilde Eber und bissen rasend in die Ränder der eigenen Schilde, als sie uns erblickten. Ihren Häuptling rannte der Vater an und fiel vor seinem Schwerte.« »So kommt Ihr, Hilfe bei mir zu suchen?« fragte Hettel. »Recht habt Ihr getan, zum Rachezug für meinen Freund stehn Euch meine Drachen bereit!« »Und mein Hieber!« rief Wate. – »Ich dank Euch, ihr Herren, aber es tut nicht not. Auch die Berserker fielen samt ihrem Führer.« »Wer fällte ihn?« »In des Vaters Schuh tritt nach seinem Tode der Sohn!«

Auf die Schulter schlug Wate den Seeländer. »Einen tüchtigen Erben zeugte sich Siegwart: wo seine Kraft nicht reichte, langte der hin!« »Nicht an Kraft gebrach es dem Vater, sein Glück nur reichte nicht länger.« Mit Augen voll Mitleids blickte Hilde ihn an. »Eure Mutter starb, da Ihr zur Welt kamt,« sagte sie, »früh wurdet Ihr elternlos, Herwig!« »Ja, Königin.«

Er sah auf. Gudrun stand vor ihm, das Trinkhorn in Händen, im Fackelschein schimmerte silbern ihr Haar über dem hellen Gesicht mit den goldenen Brauen, die klaren, tiefblauen Augen sahen freundlich und frei in die seinen. – »Nun, König Herwig,« rief Horand, »was säumt Ihr? Hettels Tochter ist's, die harrt mit dem Humpen auf Euch!« Er strich sich mit der Hand übers Haar und erhob sich. »Ich staunte, verzeiht! Fremd seid Ihr mir, Königstochter, und doch ist mir, als hätte ich Euch schon gesehen!« Horand lachte. »Im Traumlande müßt es gewesen sein, eine Gudrun nur gibt es, und die kam vom Hegelingenstrand nicht!«

Von neuem tönte des Torwächters Horn in den Saal. »Hoho,« rief Wate, »schon wieder Gäste? Wie oft schneuzte sich heut Euer Kater, Königin Hilde?«

In Ringbrünnen, die Helme auf den Köpfen, klirrte eine Schar in den Saal. Ein langbeiniger Recke an ihrer Spitze hob den Eisenhut vom gelben Strubelhaar und trat vor den Hochsitz. »Sigurd bin ich, der Wiking. Ich meine, Ihr hörtet hier schon von mir!« Horand beugte sich vor. »Wenn Ihr Sigurd, der Seekönig, seid, den sie den Kaufmannsschreck heißen, so haben wir freilich von Euren Taten vernommen.« »Da traft Ihr's. Nun, wie steht's, König, habt Ihr Raum für uns in der Halle?«

Zwei Schenkknechte trugen auf des Königs Wink einen Sessel herbei und setzten ihn an den Tisch zwischen Frute und Herwig. Sigurd rümpfte die Nase. »Bis jetzt war es so, Herr, daß man mich überall an den Ehrenplatz wies!« »Auf Eurem Drachen, Sigurd, mögt Ihr gebieten,« sprach Hettel, »hier weise ich den Gästen den Rang.« »Auch recht,« lachte er, »der Platz ist am Ende der erste, wo der beste Mann darauf sitzt!«

»Da bekommen wir einen stachligen Nachbarn zwischen uns, König von Seeland,« sagte Frute. Der Wiking fuhr auf dem Sessel herum und starrte Herwig an. »Der Seeländer seid Ihr, den der König so ehrt? So kannten sich unsere Väter! Freilich ist's lang her, daß mein Alter bei Euch zu Gast war und Eure Herden wegtrieb zu unseren Schiffen! Aber vielleicht besuche ich Euch einmal nächstens!« »Kommt,« sprach Herwig gelassen, »an der Bewirtung soll es nicht fehlen!«

»Was bringt Euch zu unserem Strande, Sigurd?« fragte Hettel. – »Eure Tochter zu schauen verlangte mich, von der man mir Wunderdinge erzählte.« »Kein Schaustück ist meine Tochter für Fremde!« sprach Hettel. – »Was zieht Ihr die Stirne kraus, König? Ein Wiking aus den Nordlanden bin ich, grad wie mein Schwert ist auch meine Zunge!« Er blickte über die Achsel zu Herwig hinüber. »Kein Duckmäuser bin ich wie andre! um den heißen Brei herum schleicht die Katze, ich lang mit meinem Löffel mitten hinein!« »Da kann's sein, Sigurd,« sprach Horand, »daß Ihr Euch einmal die Lippen verbrennt!«

*

Ihren Gürtel hatte Gudrun in der Schlafkammer gelöst. Am Fenster lehnte sie und sah in die linde Mainacht hinaus. Hinter dem Strande dämmerte das Meer im schwachen Scheine der Mondsichel, die tauchte weit hinten goldgelb hinab in die Flut. Zu beiden Seiten der Bucht ragte dunkel je ein Drachen.

»Hildeburg, schläfst du schon?« fragte sie. – »Nein, Gudrun,« tönte es aus der Kammer vom Bette. – »Ein Flegel ist der Seekönig Sigurd, aber ein verwegener Bursch: so keck sprach in unserer Halle noch keiner!« »Ja, harte Brocken gab er dem Seeländer zu kauen. Mich wundert, daß er sie schweigend geschluckt.« »Glaubst du, er fürchtete sich? Nicht danach sah er mir aus.« »Hartmut hätte es schwerlich gelitten!« »Nicht der ist der Kühnste, der am schnellsten zum Schwert greift, hörte ich sagen, wer es zuletzt aus der Hand legt, der ist's!«

Sie trat vom Fenster zurück und saß aufs Bett nieder, die Hände im Schoße. »Seltsam ist das,« dachte sie, »daß er glaubte, er hätte mich schon gesehen, denn auch mich dünkte er nicht wie ein Fremder, als ich mit dem Horn vor ihm stand.«

*

Im Hafen starrten die kahlen Masten des Wikingerschiffes zum glitzernden Nachthimmel auf. Am Deck schliefen die Mannen, in ihre Mäntel gewickelt. Ueber die Brüstung des Hinterstevens gebeugt, spähte Sigurd zum Drachen des Seeländers hinüber, der dunkelte still am gegenüberliegenden Strande der Bucht. Ein Kahn glitt lautlos heran, sacht hoben sich aus dem Wasser die Ruder, mit Tüchern umwickelt. »Schon zurück, Thorkel?« rief leise Sigurd. An der Strickleiter klomm der drunten geräuschlos zu ihm empor. »Laßt die Hand davon, Herr! Sie wachen, Speere blinken vom Bord, und am Land – am Kronhelm erkannte ich ihn – hütet der König mit zwei Genossen!« »Der Duckmäuser!« grollte Sigurd, »gelogen ist's, nicht Hettel zulieb kam er: um das Töchterchen ist's ihm zu tun! Aber vom Ehrenplatz treib' ich ihn in der Halle, eh' die Sonne morgen zu Bett geht!« ...

An den Bord des Seeländerdrachens trat Herwig heran. »Helmut, da rührte sich's!« flüsterte er hinauf. »Ja, Herr, von drüben kam etwas sachte geschwommen, aber gleich wich es wieder zurück. An unseren Helmen fand es scheint's kein Gefallen!« »Löse die Wache ab, Helmut.« »Die Faust, Herr, zuckte mir unterm Tische, als er sich des Raubes in unserm Lande frech vor Euch rühmte!« »Nach dem Winde, der lärmt, schlage ich nicht mit dem Schwerte.« »Unfrieden sucht er, er will den Streit mit Euch, Herr!« »Mich lehrte der Vater: was der Feind will, das meide!« »Nicht immer gilt das, sonst kam es nimmer zum Kampf.« »Freilich, drum sagen die Priester, wer sucht, der wird finden. Aber reif muß die Frucht werden, eh' ich sie aus dem Laub schüttle, Helmut!«

*

Im Bett saß die Königin aufrecht, die Hände um die Knie geschlungen. »Nun geht es an, wie mir ahnte. Sie kommen. Wie die Nachtfalter aus dem Dunkel, wenn das Windlicht am Fenstersims leuchtet!« Hettel stützte sich auf. »Was hast du, Hilde? Heut in der Früh erst versprachst du es mir, das Alte ruhen zu lassen!« »Läßt es uns denn Ruhe, das Alte? es lebt! in Gudrun kehrt es wieder! Der Normannengraf erst, nun Sigurd und Herwig: um sie, mein Herz spürt's, um sie hebt sich unter den Fürsten der Streit!« »Alle Welt krank steht das Auge des Kranken: du stehst, was du fürchtest! Und wär's so! Laß die Königlein doch unter sich um sie streiten, nicht geringer wird Gudruns Ruhm davon und der unsre. Und daß nach ihr keine Hand greift, der es nicht zukommt, dafür laß mich sorgen!«

*

Der Morgenwind schaukelte sachte die Laubkronen im Burggarten. Die Nachtigallengesänge in den Büschen verebbten. Der gelbe Pirol flötete hoch vom Wipfel. Finkengeschmetter erhob sich. Fernher aus den Buchenwäldern schallte der Kuckucke Locken.

Zwischen den Stämmen am Rande sah Herwig auf die Heide hinaus. Ein Kleid rauschte. Er wandte sich. Durch den Garten ging Gudrun, ein Körbchen am Arme. »Früh auf, Königstochter?« grüßte er sie. – »Nicht früher als Ihr es seid, König.« »Wer lange schläft, sagte mein Vater, lebt um das kürzer!« Sie blickte ihn forschend an. »Ohm Wate erzählte mir, als ich noch ein Kind war, von einem Königssohne in Seeland. Wart Ihr es, der als Knabe den Mannbären erlegte?« »Des Königs Sohn war der erste dazu, sonst hätt' es ein andrer getan. Ein jeder für den König und der König für alle, so will's unser Recht.« »So gab es keine Ungetreuen in Seeland?« »Den Stamm, der nicht grad wachsen will, muß man reuten, daß der Garten gedeiht. Das ist des Gärtners Sorge, und der ist der König bei uns!«

Von der Burg herab rief es: »Schwester Gudrun, hoho! mit wem redest du drunten? Ist das nicht König Herwig? Wartet, gleich komm ich zu euch!«

Sie gingen nebeneinander langsam der Burg zu. »Wenn Ihr einmal Zeit habt für uns, König Herwig,« sagte Gudrun, »mich würde es freuen, mehr von Eurer Heimat zu hören.«

*

Vom Söller sahen im Nachmittag die Frauen und König Hettel herab in den Hof. Dort drängten sich die Scharen der Hegelingen und der Gäste. Am Lindenstamme vor ihnen lehnte eine Holzscheibe, ein riesiger Langschild, auf dem reckte, den Schuppenschweis hochgeringelt, ein Lintwurm den gähnenden Rachen: rot schimmerte aus dem Rumpfe das Herz. Von Speeren gespickt war der Leib.

Den Kopf schüttelte Wate über der Menge. »Nicht allzu scharf, Bursche, sind Eure Augen! Ich, als ich jünger war, die Mücke an der Wand hätt' ich gespießt und viel schöß ich auch heute noch nicht daran vorbei, wollte ich wetten!« »Herwig soll werfen, Ohm!« rief neben ihm Ortwin, der Knabe. Sigurd schob ihn beiseite. »Still, Knirps, zuerst komme ich dran!« Er hob den Speer, schwang ihn über die Schulter und warf: mitten ins Herz hinein dröhnte das Eisen, senkrecht zitterte in der Scheibe der Schaft. »Heil Sigurd!« schrien die Wikinger. – »Jetzt läßt du es wohl lieber bleiben, Herwig!« rief er spöttisch. »Hier geht's nicht zu wie in der Halle beim Schmaus, der beste Platz ist besetzt!« Herwig trat vor. »Das scheint mir noch nicht entschieden,« sagte er, wog den Spieß in der Hand und holte aus ... Sigurds Schaft krachte gespalten: tief ins Holz hinein war die Spitze des Seeländers gefahren. – »Wacker, Herwig!« dröhnte Wales Jauchzen. – »Gudrun, hast du's gesehen?« schrie Ortwin zur Altane hinauf. – »Wer zu früh prahlt, muß Schimpf leiden, Seekönig!« lachte Horand. Mit den Zähnen knirschte Sigurd und starrte blutrot im Gesichte zu den Frauen empor.

*

Über dem gelben Ufersande ragte mit hohem Borde das Seeländerschiff. Auf dem Drachenschädel hoch droben hockte Ortwin, schüttelte jauchzend die Haare und schwang die Beine. »Schau her, Ohm Wate, schaut alle, Frute, Horand!

Ich reite, ihr Leute, ich reite
Auf dem hölzernen Roß in die Weite!«

»Kindskopf,« schalt Wate: »bis du mit der Nase im Dreck liegst!«

Über das Deck führte Herwig den Sänger und Frute und wies ihnen das Schiff. »Wißt Ihr auch, König,« sprach Horand, »einen Feind mehr habt Ihr, seit heute nachmittag Euer Speer den Schaft des Seeräubers gespalten?« »Sollt ich mich geringer machen, als ich bin, um mir einen Feind zu ersparen? Das war meiner Ahnen Art nicht, und auch die meine soll es nicht werden!« »So meinte ich's nicht. Warnen nur wollte ich Euch. Am schwersten verzeiht mancher Mann andern den Schimpf, den er sich selber bereitet!« »Ja, das ist Torenweise,« sprach Herwig.

*

Die Fledermäuse huschten im Dämmer den Burgwall entlang. Vom Strande kam Herwig und schritt durch das Tor. Da schlug ihm Geschrei entgegen, und er sah: am Burgportal droben rückten zwei Haufen drohend gegeneinander, Messer und Schwerter blitzten. Seine Seeländer und die Wikinger waren's. Er rannte hinzu und sprang zwischen die Scharen. »In die Scheiden die Klingen!« »Wir waren die ersten, Herr,« schrien die Seeländer: »von der Tür treiben wollten sie uns!« Auf der Schwelle reckte sich Sigurd. »Halt deine Bauern besser in Zucht, Herwig!« rief er, »sonst bring ich's ihnen bei, wem der Vortritt gebührt!« »Zurück!« gebot Herwig seinen Leuten. »Streit im Hause des Wirtes ziemt nicht den Gästen. Wenn es die drüben nicht wissen, ist es an uns, dran zu denken!«

Als er in die Halle trat, grinste ihm Sigurd auf dem Ehrensitze, die Arme über die Lehne gekreuzt, ins Gesicht. »Hier sitze ich, such dir den Stuhl, wo du magst!« »Werft ihn herunter, Herr!« schrien die Seeländer hinten, »schlagt den Hund nieder!« »Ruhe!« rief Herwig. Den Sessel zu Sigurds Rechten zog er heran. »Der Platz ist der erste, wo der beste Mann darauf sitzt, sagtest du gestern. So sei's!« Er setzte sich nieder. Sigurd lachte höhnisch. »Mit Worten zu fechten, verstehst du! Ob du's mit dem Schwerte ebenso kannst, würde ich gerne erfahren!« »Mag sein, daß es auch dazu einmal kommt,« sagte Herwig.

»Der König!« rief es. Die Mannen im Saale erhoben sich. Aus dem Innengemache schritt Hettel mit Hilde an seiner Seite. Auf die Könige unter sich blickte er fragend. »Ihr tauschtet mir gegenüber die Sitze?« Sigurd sah trotzig auf. »Jawohl, Herwig sah's ein, daß es so richtiger wäre!« Der schwieg ...

Nacht war's geworden. Über den Hof zogen die Wikinger pfeifend und johlend zum Hafen. In der Halle rückten die Knechte Tische und Bänke zur Seite. Auf dem Estrich hinten stand Hettel unter den Fürsten. »Lästig wird mir der zuchtlose Gast aus dem Norden!« rief er. – »Warum wiest Ihr ihn nicht aus dem Ehrensitz, Herr?« fragte Horand. – »Wie sollt' ich's? Herwig selber tat ja, als wär es ihm recht.« »Euch um Hilfe anzugehn war er zu stolz,« sagte Frute. – »Selbst ist der Mann!« knurrte Wate, »am Genick heruntergezerrt hätte ich ihn, wär ich der Seeländer gewesen! und daß er's nicht tat, mag ihm der Heiland vergeben, ich nicht!« Brummend stapfte er zur Türe hinaus.

Aus dem Dunkel im Hofe trat ihm Herwig entgegen. »Auf Euch, Wate, wartete ich. Um einen Dienst möcht' ich Euch bitten.« Mißtrauisch schielte der Sturmländer ihn an. – »Zum Holmgange forderte ich auf morgen den Wiking. Wollt Ihr mein Kampfhelfer sein?« Da zogen sich des Alten breite Backen auseinander zu schmunzelnden Falten. »Das soll ein Wort sein!« rief er und schlug sich auf den Schenkel, daß es durch die stille Nacht schallte.

*

Der Morgen graute. Auf der kleinen Felseninsel vor der Hafenbucht standen im Dämmer Herwig und Sigurd mit gezogenen Klingen, die Schilde überm Kopf, einander gegenüber. Hinter ihnen lauerten die Kampfhelfer, den Oberleib vorgestreckt, die Schwertspitzen vor sich am Boden.

Fernher vom Festlande trillerte Lerchengesang. Über den Buchenwäldern erstrahlte der Himmel in hellem Scheine, und der rote Rand der Sonnenscheibe rückte über die Hügel. Die Steinspitze des Hünenmals auf dem Holme funkelte auf. Mit dem Hieber wies Wate hin. »Jetzt!« rief er, »die Sonne sieht es!« »Los!« schrie Sigurds Helfer.

Des Wikingers Hiebe prasselten über Herwig. Der starrte reglos unter dem Schilde. Da blitzte sein Schwert auf, Funken spritzten, der Eisenhut Sigurds erklirrte, die Sturmriemen barsten, und der Helm rollte zu Boden. Im gleichen Nu holten beide weit aus, gegeneinander prallten krachend die Klingen und sprangen zu Stücken.

»Aus!« rief Wate. – »Gleich zu gleich!« schrie der andere. – »Was aus! ums Leben geht's!« brüllte Sigurd. »Komm an, Herwig, wir ringen! wer fällt, stirbt!« Sie warfen die Schilde beiseit und umschlangen einander. Die Brünnen erknirschten unter den pressenden Armen. Keuchend und stampfend stießen sie sich im Kreise. Den Kopf unter Sigurds Kinn hatte Herwig gestemmt und drückte es aufwärts. Der Seekönig wich, ins Kreuz griff ihm der Seeländer mit gewaltigem Ruck, riß ihn hoch und schmetterte ihn in seinen Armen zum Grund. Die Kampfhelfer sprangen hinzu.

Herwig erhob sich. Die Arme von sich geworfen, lag Sigurd am Boden und ächzte. »Deinen Dolch heraus und stoß zu!« Herwig wandte sich ab. »Ich mag nicht!« Wortlos schritt er mit Wate zum Ufer hinab. Sigurd fuhr auf. »Du magst nicht?« schrie er ihm nach, »zu gering achtest du mich für deinen Stahl! So merke, den Schimpf sollst du mir büßen!«

Am Strande band Wate den Kahn vom Pflock los. »Hörst du ihn?« brummte er. »Wort halten wird er! eh, König, zu eigenem Schaden spartest du dir den Griff nach dem Messer! Das Mägdlein aus den Armen, heißt es, und den Feind unterm Schwert läßt keiner, der klug ist, entrinnen!«

*

Beim Morgenmahl saß König Hettel in der Halle mit Hilde. Am Fenstersims streute Gudrun den Finken und Spechtmeisen Futter. »An Mut fehlt es Herwig nicht,« sagte die Königin, »das hat er von klein auf bewiesen. Den Hausherrn ehrte er, wenn er zu Sigurds Hohn schwieg.«

»Da erwies er mir zuviel Ehre, besser gefallen hätte es mir von Siegwarts Sohne, er hätte den Anstand gestört und sich nicht zum Gelächter für die Nordmänner gemacht.« Gudrun senkte den Kopf und sah auf die Vögelschar nieder, die emsig über dem Fensterbrett pickte.

Horand trat ein. »Wißt Ihr das Neueste, Herr? Euer Gast aus dem Norden ist heimwärts gefahren, aus der Bucht rauschte sein Drachen in aller Frühe!« Den Kopf schüttelte Hettel. »Frech, wie er kam und forderte, schied er nun ohne Dank und ohne Gruß! was focht ihn auf einmal an?« »Aus dem Ehrensitz, Herr, hat ihn Herwig gedrängt. Heut in der Früh kämpften sie auf dem Holme. Herwig siegte und ließ ihm das Leben, da war seines Bleibens nicht länger!« Gudrun fuhr herum mit geröteten Wangen. »Nun tatest du Herwig doch Unrecht, Vater!« – »Ein wackrer Gesell ist er,« rief Hettel, »und so bald darf er mir von meinem Tische nicht weg. Bessres verdiente er, als ein König bloß über Bauern zu sein!«

 

 

Der Normannen Werbung

Vom Hafen zu Kassiane zog Hartmut mit seinen Gesellen zum Burgtor hinauf. Vor dem Drachen am Strande wimmelte das Volk um die Schiffer. »Wie war's zu Matelane? – Gute Kost, was? – Habt ihr euch die Ranzen recht vollgeschlagen beim reichen Hettel? – Ist er so mächtig, wie sie erzählen? – Ist die Königstochter so schön? – Wölflein, Junge, tu's Maul auf!«

Der bartlose untersetzte Bursch fuchtelte mit den Armen. »Still erst, ihr! Viel auf einmal wollt ihr hören! eins nach dem andern! Also: gut war die Kost, voll waren unsre Ranzen, aber leer, Mutter, sind sie auf der Heimfahrt wieder geworden! Mächtig ist Hettel. Wenn er und der unsre an einem Tisch säßen in all ihrer Königskraft und versuchten das Spiel, einer den andern am Finger zu sich hinüberzuziehen, ausgemacht ist's nicht, wer da der Stärkere wäre! Und die Königstochter – nein, Mädel, wenn ich von der reden soll, da müßt ihr erst weg, sonst könnt ihr ja alle heut nacht nicht schlafen vor Neid, ihr eifersüchtigen Dinger!« ...

In der Kemenate warf Hartmut den Mantel mit einem Ruck von den Schultern und umarmte die Königin. »Ich sah sie: o Mutter, wie kann ein Weib schön sein!« Gerlinde lächelte. Brummend kam Ludwig hinterdrein. »Mir scheint, der ist von Hettels Weinen noch trunken!« »Könnt' ich sie rauben, Mutter, und auf eine ferne Insel entführen, daß ich sie für mich ganz allein hätt, ich tät's! Schickt Eure Boten, schickt sie geschwind, bei Hettel für mich zu werben!« »Sagt ich es nicht?« murrte Ludwig. »Da haben wir's nun, einen Burschen mit hellen Augen im Kopf sandten wir aus, und ein Narr kehrte uns wieder!« »Weiß es Gudrun, daß du um sie freien willst, Hartmut?« fragte Gerlinde. – »Wie sollte sie es? Der Normannengraf war ich. Stolz ist sie und spröd. Aber Königin im Normannenlande zu werden, wird sie wohl nicht verschmähen!« »Solch eine Törin, schätz ich, wird sie nicht sein!«

Ortrun, das Kind, kam heran und blickte zärtlich aus den krausen Locken zum Bruder auf. »Ist sie so lieb, Hartmut, die Gudrun?« »Ja, Schwesterchen, so lieb ist keine auf Erden wie sie, wenn sie lacht, und keine so stolz, wenn sie die goldgelben Brauen emporzieht!«

*

Im Hafen der Wikbucht schoben die Mannen des Seekönigs das Drachenschiff, mit dem Rücken an die Borde gestemmt, über die Rollen hinein in den Schuppen. Am Strande unter den Hügeln schritten Sigurd und Jarl Svein auf und nieder. »Nun, hast du das Wunderkind Hettels besehen? Ist sie so schön wie der deutsche Recke euch rühmte?« Sigurd zuckte die Achseln. »Was ist da viel zu besehen? Ein Frauenzimmer, immer die gleiche Ware, Svein, angestrichen nur sind sie verschieden! Nicht dazu kam ich her, um von langen Haaren mit dir zu reden. Den König von Seeland traf ich bei Hettel. Ein Duckmäuser, Svein, voller Hochmut! na, mit dem hatte ich was!« »Ja, davon hörte auch ich!« Sigurd fuhr auf. »Was hörtest du, was?« »Nun, vom Kampf auf dem Holm, im Ringen ist dir Herwig scheint's über!« »Über?« schrie Sigurd, »das lügst du! mein Fuß glitt!« »Nur ruhig, Mann,« sprach der Jarl, »nicht ich habe die Schuld daran, daß es dir fehlschlug. Und was den Seeländer angeht, sind wir, denke ich, einig. Rache willst du, und wir wollen Beute. Aber so schnell, wie du meinst, läßt sich's nicht machen. Meine Schiffe flogen mit dem jungen Volk aus, auf einen Islandfahrer passen sie an der Westküste in den Schären. Eins bloß taugt mir nicht recht, lieber wär es mir schon, der Seeländer wäre nicht so gut Freund mit den Hegelingen!« »Willst du jeden erst nach seinen Vettern- und Freundschaften fragen, bei dem's was zu holen gibt, Svein, dann bleibe gleich am Herdfeuer hocken!«

*

Im Hofe zu Matelane lärmten die Kinder. Knechte zogen den mächtigen Pfingstbaum langsam an Seilen empor. Blauweiße Wimpel flatterten rings um den Stamm vom Wipfel bis nieder. Unter den Fähnchen saßen kunstvoll geschnitzte winzige Könige auf Thronen, Krieger schwangen die Speere, Schmiede hämmerten, Schreiner hobelten, den Pfriem stach der Schuster durchs Leder. Aus der jubelnden Kinderschar ragten Irold, Morung und Wate. »So ist es recht,« rief der Sturmländer und blickte zur Spitze hinauf, »grad steht er jetzt, haltet fest, werft die Grube zu, Leute! Was, Buben und Mädel, da schaut ihr? der Weltenbaum ist's, von dem die Alten gesungen, jedem von uns gehört ein Teilchen da droben!« ...

In der Kemenate stickten die Frauen. Den Arm aufgestützt, sah Gudrun zum Fenster hinaus in den Garten. Der Königin gegenüber saßen Frute, Horand und Herwig, der erzählte. »Groß ist unser Land freilich nicht. Vom Vieh auf den Weiden, vom Fisch in der See nähren wir uns. Gerste und Haber tragen die Felder. Die Arme rühren muß jeder bei uns. Eins aber haben wir vor andern Völkern voraus, keine Knechte gibt es bei uns! aus einem Stamme, ein Volk von Edeln sind wir! auch der Hüterjunge weiß, daß er des Königs Vetter ist, und trägt seinen Kopf hoch!«

Frute wiegte zweifelnd das graue Haupt. »Ein Volk, wo einer dem andern gleichgesetzt ist, – verzeiht, wie soll ich's verstehen? Wenn der Koch oben und unten durcheinanderrührt, gibt es, soviel ich weiß, einen Brei!« »So ist's bei uns nicht. Gleich sein mit andern in allem will nur der Neid, und das gerade, mein ich, ist das Merkmal der Knechte. In einem nur gleich zu sein, ist unser Stolz, daß wir freie Männer sind, und daß jeder recht tue an seinem Orte!« Die Königin seufzte. »Was recht und was unrecht ist, nicht immer scheint es mir leicht, zu entscheiden!« Gudrun wandte die Augen vom Fenster auf Herwig. »Anders,« sprach er, »dachte darin mein Vater. Klar geschieden ist Recht und Unrecht, lehrte er mich, wer es wissen will, weiß es, und wer erst danach fragt, der erfährt's nie!« »So ist's,« sagte Horand »unser Wünschen verwirrt es, und Eigenwille und Dünkel verdirbt es!« ...

Im Frauengemache dunkelte es. Hilde und die Mädchen waren mit den Gästen gegangen. »Komm, Gudrun,« sagte Hildeburg, »auch wir müssen uns richten zum Mahle.« Im Sessel lehnte die Königstochter den Kopf zurück. »Es eilt noch nicht so. Hör, Hildeburg, über alles, scheint mir, liebt Herwig sein Volk.« »So wird es wohl sein, er redet ja von nichts anderm. Wenn alle so täten, kämen wir Frauen zu kurz.« »Glaubst du? Mich dünkt, wer seinem Volke ein Vater ist, ist es für Weib und Kind auch. Weißt du, was ich wollte, ich könnte sein Land einmal sehn und seine Leute.« »Dazu wird dir König Hettel schwerlich ein Schiff leihn!«

*

Über der Hafenbucht glänzten die Sterne. An der Reling seines Drachens lehnte Herwig und sah zur dunkeln Burg über dem Hügel empor; aus einem Fenster droben schien Licht. Der Steuermann trat heran. »Herr, wie steht's? wird's nicht bald Zeit, daß wir unser Schiff rüsten?« »Wozu?« fragte Herwig, ohne den Blick vom Fenster zu wenden. Erstaunt blickte der Alte ihn an. »Na, ich denke, wir fahren nach Pfingsten?« »Wohin?« »Wohin wir fahren? seltsam fragt Ihr! heim, Herr!« Herwig richtete sich auf. »Freilich, Helmut, ich hörte nicht recht, ich war in Gedanken. Ja, nach Pfingsten fahren wir heim!«

Kopfschüttelnd stieg der Alte in den Kielraum. Aufs dunkle Wasser nieder schaute Herwig, das lag still unter ihm, sachte tanzten darin die Sterne und flimmerten zu zitternden Lichtsäulchen auseinander. »Als ich sie erblickte, war mir's, als hätte ich sie schon gesehen, und nun ist es mir, als wäre sie von klein auf um mich gewesen. Nicht ganz leicht wird es mir werden, zu scheiden. Wann werd' ich mein Schiff wohl wieder zur Fahrt ins Hegelingenland rüsten?«

*

Im Morgenwinde flatterten die Wimpel vom Pfingstbaume vor der Burg. In einem Kranze von Zweigen schimmerte das Portal. Mit Laub bestreut waren rings die Wege.

Die Glocken hallten vom Domturm. Im Dämmerdunkel des Innern schimmerte Birkengrün über den dichtgedrängten Köpfen der Menge, und der Duft frischen Laubes mischte sich mit dem Weihrauchdunst, der in dünnen bläulichen Wogen vom Altare her zog. In den Chorstühlen zu beiden Seiten saßen der König mit seinen Gefolgsleuten und die Königin mit den Frauen einander gegenüber. Um das Allerheiligste schritt der Priester im goldgestickten Gewande, die Hände erhoben, und hinter ihm schwang sein Diener in weißem, dunkelgesäumtem Rocke das Rauchfaß.

Neben der Mutter hob Gudrun den Kopf. Von drüben her schaute Herwig. Eine Weile sahen sie einander über den weiten Raum weg unverwandt in die Augen. Dann senkten sie beide den Blick ...

Aus dem Dome strömte die Menge hinter den Edeln her. Der Königstochter sah Herwig nach, wie sie im hellen Gewande die Stufen zur Halle emporstieg und im Portale verschwand. Aus dem Tor unten kam eine Schar in blanken Helmen herauf, mit schimmernden Seidenmänteln über den Brünnen ... von der Burg her ging Horand ihnen entgegen.

Herwig kannte sie nicht.

Zum Strand hinab schritt er. Da sah er, neben dem seinen lag ein fremdes Schiff mit goldnem Löwenkopfe über dem Steven, die Purpursegel an den Masten gerefft. – »Ein prächtiges Fahrzeug, was, Herr?« rief ihm Helmut vom Bord zu, »die Boten des Normannenkönigs sind's, die auf dem Prunkschiff zum Hegelingenstrand schwammen.« »Weißt du, was sie wollen?« »Sie halten es nicht geheim, so sicher sind sie ihrer Sache: um die Königstochter für seinen Sohn Hartmut zu werben, sandte sie Ludwig. Was schaut Ihr, Herr, als wolltet Ihr es nicht glauben? Es ist so!« ...

Von der Altane vor ihrer Schlafstube sah Gudrun zu den Schiffern im Hafen hinab. Hastige Schritte tönten hinter ihr aus der Kammer, atemlos eilte Hildeburg her. »Gudrun, aus dem Normannenland kommt der Drachen! ins Ratszimmer hat der König deine Mutter und die Fürsten gerufen. Hartmuts Abgesandte haben um dich geworben. Heut zu Nacht gibt er ihnen Antwort!« Die Brauen zog Gudrun zusammen. »Wenig Stolz zeigt Hartmut, daß er wirbt, wo er weiß, er ist nicht genehm!«

Hildeburg horchte auf und sah über die Schulter zurück. »Die Königin kommt,« flüsterte sie. Gudrun schritt der Mutter entgegen.

Mit offenen Armen ging Hilde auf sie zu und zog die Tochter an ihre Brust. »Weißt du es, Kind, weswegen die Normannen kamen?« »Ich weiß es.« »Ein Glück ist es, Gudrun, das ich dir gönne, so schwer es mir werden wird, dich zu missen! Ein mächtiger König aus altem stolzem Geschlecht ist Ludwig, und sein Sohn Hartmut schlägt den Ahnen nach, heißt es, in allen Stücken. Ach, so gut ward es mir nicht, in Frieden, von den Eltern gesegnet, mein Frauenlos zu erfüllen! Aber was ist dir? So starr blickst du, Kind, bangt es dir, von der Heimat scheiden zu müssen? Nicht von heut auf morgen muß es ja sein!« »Hartmut taugt nicht zu mir, Mutter!« sagte sie herb. – »Wie willst du das wissen? du kennst ihn ja gar nicht!« »Ich kenne ihn: der Normannengraf war's, der uns besuchte!« ...

Im Gang vor der Halle stand Herwig. »Törichter bin ich, scheint's, als ich glaubte! als wär ich allein auf der Welt, der nach ihr verlangen dürfte, als wär's ich allein, dem sie zugehörte, so war mir's ... Nichts als von des Normannenkönigs Herrlichkeit reden sie jetzt in der Burg. Das also wär aus. So wird es das beste sein, schnell meinen Drachen zu rüsten!«

Durchs Halbdunkel im Gang blinkte ein weißes Gewand, Gudrun kam. Er trat auf sie zu und sah ihr grade ins Auge, kummervoll-fest. »Euch muß man Glück wünschen, hörte ich, Gudrun!« »Glück, wozu?« »Königin im Normannenlande sollt Ihr werden.« Sie sah zu Boden, dann blickte sie auf. »Mit meinem Willen nicht!« sagte sie und ging schnell an ihm vorüber zur Burgtüre hinaus. Er atmete tief auf, und seine Augen erglänzten. »Nun will ich es doch noch erwarten!« ...

In der Ratsstube saßen die Fürsten im Kreise um Hettel und Hilde. »Frute, Ihr seid der Älteste, sprecht!« gebot der König. – »Ihr habt recht, Herr, Vorteil brächte den Hegelingen und den Normannen, beiden, der Bund. Ehrenvoll ist König Ludwigs Antrag für Euch!« »Ehrenvoll?« Wate fuhr auf. »Für sie ist's eine Ehre, sie brauchen uns, wir sind's nicht, die sie brauchen!« »Ganz so ist das nicht, Wate,« entgegnete Frute, »wer kann ohne Freunde bestehn? Macht und Reichtum weckt Neid, leicht wird der Einsame allen ein Feind!« Da richtete Hilde sich auf. »Von Ländern und Völkern redet Ihr, von Gudrun sprach keiner ein Wort!« »Was Ehre und Vorteil für's Volk ist,« sagte Frute, »ist's auch für sie.« – »Nicht nur des Landes Königin, Meister, Hartmuts Weib soll sie werden!«

Hettel zog die Stirne in Falten. »Was kann sie sich Besseres wünschen?« Sorgenvoll blickte Hilde. »Ihr wißt es ja nun von den Boten selber, sagte mir Horand: als Normannengraf gastete Hartmut bei uns und warb heimlich um Gudruns Liebe. Er konnte sie nicht gewinnen, fremd blieb er ihr. Einem ungeliebten Manne müßte sie folgen!« »Fremd ist jeder Jungfer der Mann, eh er ihr Herr wird,« sprach Hettel, »soll eines Mägdleins schwankender Sinn über die Völker entscheiden?« »Gudruns Sinn, Hettel, schwankt nicht!« »Über die Hand der Tochter gebietet der Vater, das war rechtens von je!« »Hettel, büßten wir es nicht bitter genug, daß mein Vater so dachte? Gudruns Glück willst du: Zwang schafft kein Glück, er erstickt es!« Der König schwieg finster. Horand legte den Arm über die Lehne des Sessels zurück. »Gut ist der Bund allein, wenn Hand sich willig in Hand fügt. Erzwungene Freundschaft birgt Haß, schnell wächst der Funke im trocknen Gebälke zur Flamme!« »Warum beraten wir hier?« grollte Wate, »eine Schmach ist's, König Hettel – wie wir deiner Tochter Willen beugen dem Normannen zulieb!« »Wenn Ihr ihn abweist, Herr,« sagte Frute, »die Kränkung schluckt Ludwig nicht kampflos!« »Heioho!« rief Wate, »so sollen sie kommen!« »Unnötig ist's,« sprach Horand, »sie zu kränken. Wißt Ihr, was sein wird, und wie Gudrun in Jahresfrist denkt? Verzögert die Antwort!« ...

Rot glänzten im Abendsonnenscheine alle Fenster der Burg. Vom Strande führte der Normannenmarschall Graf Bodo die Seinen zum Tore empor. Mürrisch blickte sein bartloses, scharfgeschnittenes Gesicht. – »Stallmeister,« rief der Kriegsmann zu seiner Rechten, »etwas freundlicher schaun dürftest du schon, wenn du vor den König hintrittst!« »Er wird so zufrieden sein müssen,« murrte Bodo, »was gibt's da noch zu beraten, wenn unser Königssohn wirbt? mit beiden Händen zugreifen hätte er müssen. Und wenn's nach mir ging, ich hätte aufs Warten verzichtet! Aber da Hartmut liebestoll ward, mußten wir's wohl!« ...

Auf der Frauenbank in der Halle wisperten die Mädchen. Gudrun blickte stumm vor sich über die Köpfe der Mannen hinweg. Um das Königspaar saßen die Fürsten versammelt.

»Die Normannen, Herr!« rief der Türwart. Durch den Gang in der Mitte kamen sie zum Hochsitz. Graf Bodo trat vor und verneigte sich kurz. »Auf Eure Antwort warten wir, Herr!« Hettel kreuzte die Arme über dem Tisch. »Wir haben es erwogen,« sprach er, »und der Mutter Wort hat entschieden. Zu kurze Zeit ist es her, daß Gudrun aus den Kinderschuhen getreten, zu jung noch ist sie zur Ehe.« Bodo fuhr auf. »Ihr weigert unserm Königssohne die Tochter?« »Gedulden wird er sich müssen. Denkt er später wie heut, so frage er abermals an.« »Geduld, Herr, ist ein Wort, das lehren wir unsere Knechte! wenig Verwendung haben wir selber dafür!« »Ich habe gesprochen.« Der Normanne streckte sich. »Eure Antwort bring ich dem König. Auf, Gesellen, zum Hafen, die Segel gespannt, wir fahren heim!« »Wollt Ihr nicht über Nacht bei uns bleiben? Das Mahl ist gerichtet.« »Wir danken, König, reich sind wir selber mit Vorrat versehen!« ...

»Unhöflich war der Abschied der Boten!« rief Hettel. – »Stolz wie ein Normanne, heißt es,« sagte Horand, »ihr Hochmut braust auf, wenn das leiseste Lüftchen ihn rührt!« »Was dünkt Euch, Herwig?« fragt: Hettel. – »Besser ist's, meine ich, Ihr kränktet den Stolz der Normannen als Eurer Tochter Herz, König!«

»Hildeburg,« flüsterte Hergart auf der Frauenbank »was schautest du ihnen so sehnsüchtig nach? wärst du wohl gerne mit?«

Gelb war das Birkenlaub über dem Burgportal und in den Kammern geworden. Pfingsten war vorüber. Heimgefahren waren die Gäste. Nur ihren Sohn hatte sich Hilde noch für eine Weile von Wate erbeten.

Auf dem Rasen im Garten warfen die Gespielinnen Gudruns den Ball: hin und her flog die bunte Wollkugel, im Sonnenlicht schimmernd. Weiße Hände reckten sich hoch, Rufen tönte und Lachen. Aus den Reihen trat Hergart. »Ich mag nicht mehr, ich bin müd!« rief sie und ließ sich auf die Bank am Rasenrand fallen. – »Niemanden hast du mehr, ihm deine schönen Arme zu zeigen,« neckte Mechthild, »davon wurdest du müd!« »So dürre Zaunstecken hab' ich freilich nicht wie du zum Verstecken! Ach, Mädchen, wie leer und öd ward es in Matelane, seit die Gäste geschieden!« »Auch der König von Seeland will nun bald heim,« sagte Gertrud. – »Dem trauerte ich nicht nach! Nichts als seine langen langweiligen Seeländer weiß er zu rühmen, so oft er bei uns sitzt! Aber freilich, die Königstochter denkt da wohl kaum so wie ich!« »Was soll das Gestichel?« schalt Hildeburg, »bald glaub' ich's, neidisch bist du auf Gudrun!« Die andern traten hinzu. »Wieso? – Was habt ihr? – Was ist es mit Gudrun?« »Na, wenn Ihr es nicht merkt! Sagt, ist sie nicht anders geworden, als sie ihr Lebtag gewesen?« »Ja, das ist wahr! als hätte sie was verloren, so geht sie manchmal umher!« »Die Flinkste bei der Arbeit, in den Finger sticht sie mit der Nadel statt ins Tuch und merkt's nicht, bis das rote Blut tropft!« »Der Normannen Werbung macht ihr noch immer zu schaffen,« sagte Gertrud. – »Ach was! verliebt ist sie, Mädchen!« »Unsinn, Hergart, unsere Gudrun, blank und kühl wie Eis und verliebt!« »Ja, Hildeburg, besser zu hehlen als du weiß sie es schon!«

*

Durch den Wald schritten Herwig und Gudrun und hielten Ortwin zwischen sich bei den Händen. Die Brandung brauste von fern in die Stille unter dem Laubdach. »Warum willst du denn wegfahren, Herwig?« fragte der Knabe. – »Meine Leute daheim warten auf mich.« »So laß sie doch herkommen, Herwig, du sollst ganz bei uns bleiben! Schwester, bitt' ihn doch auch! Wenn du ihn bittest, dann bleibt er gewiß, du bist ihm doch gut, Gudrun, ich weiß es!« Einen schnellen Blick warf Herwig zu ihr hinüber. Das Blut war ihr ins helle Gesicht geschossen, und sie sah in die Weite. – »Schau den Eichkater, Ortwin, droben im Wipfel,« rief er, »da springt er!« »Wo?« fragte der Knabe und starrte hinauf ...

Es dämmerte schon. Am blassen Himmel erflimmerten silberhell-winzig die ersten Sterne. Durch den Garten kehrten Herwig und Gudrun mit Ortwin zurück. »Mich hungert!« rief der Knabe und rannte voraus. Schweigend schritten sie ihm nach. In der Burgtüre blieben sie stehen. »Sprach er wahr, Gudrun?« fragte er leise, »bist du mir gut?« Durchs Zwielicht glänzten ihre Augen zu ihm auf. »Ja, Herwig, ich bin es!« Und sie gab ihm ihre Hände.

*

In der Kemenate seiner Mutter zu Kassiane biß sich Hartmut, bleich im Gesichte, den Schnurrbart. Am Arm zog ihn Ortrun. »Bist du traurig, daß Gudrun dich noch nicht will? Warte Hartmut, sie wird's schon, dich mögen ja alle!« »Hohn ist's von Hettel!« rief Gerlinde, »siebzehn Jahre ist Gudrun! längst hat sie die Kinderschuhe vertreten!« »Das mag sein, wie es will,« sprach Ludwig, »so war die Antwort Hettels nicht, daß ich meine Kriegsschiffe darum rüste!« »Dann warte, bis die Nachbarn alle über uns lachen!« »Um meiner Nachbarn Meinung gräm ich mich nicht!«

 

 

Herwigs Freite

Eine Nacht war vergangen, seit sich Herwig und Gudrun unter der Burgtüre die Hände gereicht hatten.

Im Garten zu Matelane gruben in aller Frühe zwei Knechte: über ihren bloßen dunkeln Köpfen flimmerten die Sonnenstrahlen.

Von den feuchten Erdschollen vor ihnen dampfte es sacht. Aufatmend reckte sich der eine und wischte sich mit dem weißen Ärmel den Schweiß von der Stirne.

Von der Altane sah Gudrun herab, den Arm um Hildeburgs Nacken. Einer Drossel Rufen sprang im Wipfel über ihnen, weithin schmetterten Finken, zwitscherten Meisen und säuselten Rotkehlchen aus den Büschen. Dazwischen knirschten die Spaten der Knechte. Tief sog Gudrun die frische Morgenluft ein. »Hildeburg, o wie herrlich! schau das Rotbrüstchen drüben, Futter trägt's schon den Kleinen ins Nest. Und sieh, wie eifrig sie drunten graben, die beiden: sie wissen warum! Daheim richten jetzt ihre Frauen das Morgenmahl für die Kinder, und ihre Schaufeln und Arme sind's, die es bereitet!« »Wie willst du wissen, was sie sich denken? die haben ihre Köpfe für sich!« »Nein, es ist so: ich spür's in meinem Herzen mit ihnen!« »Du eiferst? was kümmern dich denn die Knechtlein?« »Ja, sie kümmern mich, Hildeburg! ich will: einem jeden, allen soll's wohl sein wie mir!« Wie ein Jauchzen klang's, die Arme warf sie auf und kreuzte die Hände im Nacken. Hildeburg staunte sie an. »Gudrun, heut kenn ich dich nicht mehr: was ist dir?« »Was mir ist?« rief sie, »als hätte ich lange geschlafen, und wäre heute zum ersten Male richtig erwacht! Ist's denn nicht so? Glänzte denn je die Sonne im Lindenlaube so hell?« »So glänzt sie alle Morgen, wenn es ihr die Wolken nicht wehren!« Gudrun lachte. »Nein, eine neue Sonne ist's! Hildeburg, du bist blind!« Den Kopf schüttelte die Gespielin. »Die kluge Gudrun so närrisch reden zu hören, dachte ich nie! Aber schau, wer kommt dort? Ist es nicht der Seeländerkönig?« sie neigte den Kopf. »Zu uns hinauf grüßt er, Gudrun ...«

An einem Buchenstamm lehnte Herwig und sah in Gedanken zu Boden. Leis erknirschte der Kies in der Ferne. Er hob den Kopf. »Gudrun!«

Sie stand vor ihm. Der Morgenwind fächelte ihr das silberhelle Haar um die Schläfen. Die dunkelblauen Augen leuchteten froh zu ihm auf. »Auf mich, Herwig, hast du gewartet?« »Ich wußte, du kämst. Gudrun, viel haben wir seit gestern miteinander zu reden.« Ihre Rechte nahm er in seine Hände. Sie lächelte. – »Komm, vor deine Eltern müssen wir treten!« Wie ein Schatten huschte es über den Glanz ihrer Augen. »Eilt es so, Herwig, daß andere davon wissen?« Forschend sah er ihr ins Gesicht. »Du fürchtest dich, Gudrun?« Sie senkte die Lider. – »Bangt dir vor dem Stolz deines Vaters, der Seeländerkönig könnt ihm zu klein sein?« Sie schwieg. – »Zu ihrem Knechte für immer wird, wer sich der Furcht einmal beugt. Uns hehlen zu müssen, dir und mir wär es kein Glück!«

Da sah sie auf und schlang die Arme um seine Schultern. »Ja, wie du es willst, so soll's sein.« An seine Brust drückte sie ihr Gesicht. »Ich zagte und irr ward ich, Herwig: du bist mein Meister!«

*

In der Kemenate hielt Herwig vor Hettel. Im Sessel hinter ihnen blickte Hilde mit Augen voller Angst von einem zum andern. Die Stirne runzelte der König. »Eures Vaters echter Sohn und ein tüchtiger Kämpe seid Ihr, Herwig,« sprach er, »aber für klüger hätte ich Euch gehalten! Meint Ihr, den Normannen wies ich ab, um meine Tochter einem Kleinkönig wie Euch, einem Bauernherrscher zu geben?« »Meine Bauern sind Edle. Alt wie Euer Geschlecht ist das meine, von den Göttern her stammt es aus grauen Zeiten.« Der König hob die Achseln. »Wär Eure Macht halb so groß wie Euer Stolz, dann freilich wärt Ihr ein gewaltiger Herrscher!« »Mut schafft Macht, König!« Hettel ward rot. »Und Hochmut, der streckt sich wie der Zwerg zu den Sternen, um sie vom Himmel zu holen – da langten seine Hände nicht hin!« »Euer Hohn geht fehlt, Herr, mir gelobte Gudrun sich an!« Hettel zuckle zurück und sah ihn starr an. »Gudrun!« rief er.

Hinter dem Teppichvorhang der Seitentüre trat sie hervor, bleich und still. Er rang nach Atem. »Hörtest du's, wessen der da sich rühmte?« »Ja, Vater.« »Sprach er wahr, Gudrun?« »Er tat es.« Hettel knirschte. »Zurück gib ihm, Törin, dein Wort auf der Stelle!« »Gelogen wär's, wenn ich's täte!« »Wider des Vaters Gebot empörst du dich?« Hettel sprang auf. »So sollst du des Vaters Zucht an dir spüren! Und du – Mut schafft Macht, sagst du! nun wohl, so hol dir mit deinen Edelbauern die Braut, wenn du's vermagst – dann sollst du sie haben!«

Herwig trat zurück. »Wie Ihr wollt, Herr! Ihr hörtet es: Mein ist Gudrun, ob's Euch gefällt oder nicht – mein Eigen hole ich mir!« Er hob die Rechte. »So sage ich Euch Fehde an, König!« Hell auf lachte Hettel. »Du sagst mir Fehde an, du mit deinen anderthalb Drachen? Ich will es erwarten!« ...

Auf der Polsterbank hielt Hilde weinend die Tochter umschlungen. »Füg dich dem Vater, Kind, er meint es dir gut. Schwer werden würde es dir, in Seelands rauchiger Halle zu atmen! Fehde sagte Herwig uns an: willst du dich unserm Feinde gesellen? Ach, wie es mir ahnte, alles, alles, kehrt wieder! So lehnten auch wir, Hettel und ich, uns auf wider König Hagen!«

»Wir trogen den Vater nicht,« sagte Gudrun.

Aus ihren Armen ließ Hilde die Tochter und stützte das Gesicht in die Hände. »Nein,« seufzte sie, »ihr tatet es nicht. Das traf: ein gerechtes Urteil hast du deiner Mutter gesprochen. Aber hart ist's, es von seinem Kinde zu hören!« Gudrun beugte sich zur Weinenden nieder. »Mutter, vergib, nicht richten will ich dich und nicht mit dir rechten, aber meinen Weg muß ich gehn!«

*

Unter dem Burgtore stand Hettel mit Horand und starrte zum Hafen hinüber. Dort schoben die Seeländer mit Hebelstangen das Schiff in die Flut. »Das wäre besorgt!« grollte er. –. »Jawohl,« sagte Horand, »da stößt das Glück Eurer Tochter vom Strande!« Grimmig blickte Hettel ihn an. »vergessen wird Gudrun!« »Glaubt Ihr das, König?«

 

 

Gudruns Verlöbnis

In die Wikbucht waren die Drachen des Jarls von den Schären an der Westküste zurückgekehrt mit reicher Beute. Unter dem spitzen Giebeldachs der langen Bretterhalle am Strande feierten die Wikinger ihren Sieg. Viel Bier war schon getrunken, die Sonne sank hinter die Hügel, und die Feuer flammten inmitten des Estrichs empor. Da sprach Sigurd Seekönig, dem Hochsitz gegenüber zum Jarl: »Deine Schiffe sind wieder da. Den Duckmäuser jagte Hettel vom Töchterchen weg zum Hause hinaus. Die Freundschaft also, die dich bekümmert, ging in die Brüche. Wie wird es nun, Svein, mit unserm Ausflug nach Seeland?« Den Humpen am Munde winkte der Jarl mit der Linken ab, trank aus und setzte das Gefäß nieder. »Rasch ist zur Rache der Knecht, heißt es, Sigurd. Ausrasten müssen erst meine Leute. Gar so lang wird das auch für deine Ungeduld nicht mehr dauern!«

*

Das Kinn auf die Faust gestützt, saß König Ludwig mißmutig beim Mittagsmahl unter den Mannen im Saal. »Was hast du, Mann?« fragte flüsternd Gerlinde. – »Gisbert schickte Botschaft: das Gesindel, die Franken, ihre Horden räubern wieder im Osten an unsern Marken!« »Vielleicht hörten sie es, daß man dem Normannenkönig ungestraft Hohn bieten darf – doch deiner Nachbarn Meinung kümmert dich ja nicht, Ludwig!« »Nichts hörten sie,« grollte er, »so trieben sie's immer. Aber drei Dörfer haben sie uns niedergebrannt. Schärfer zupacken muß mir Graf Gisbert!«

*

Aus dem Moore zu Stürmen ragte mit breitem Giebel Wates Feste, ein einziger mächtiger Bau, aus schweren Eichenbalken gezimmert. Ein Wall von zusammengetürmten Felsblöcken kreiste den weiten Hof ein, auf dem tummelten sich hellwiehernd junge Rosse. Im Schimmer der untergehenden Sonne glühte die Heide.

Auf den Flurstufen kauerte der Alte, neben ihm Ortwin. »Recht, daß du wieder da bist, Bursch,« sprach Wate, »die Zeit ist mir richtig lang geworden nach dir; 's ist nun einmal so: gleich vermißt seinen Stallgenossen das Vieh wie der Mensch!« »Auch ich bin froh, Ohm, daß ich bei dir bin, zu Matelane war's nicht mehr lustig.« »Wundert mich nicht,« murmelte Wate, »nach dem, was mir der Gundolf erzählte!« »Der Vater grollt, den ganzen Tag weint die Mutter!« »Und deinen Schwesterlein, dem werden die Augen auch tropfen?« »Gudrun? nein, der nicht! Paß auf, Ohm, das war so: auf der Altane standen wir miteinander und sahn den Seeländern nach. Weit, weit von uns am Himmelsrand waren schon ihre Segel. Und ich wunderte mich, daß Gudrun immer noch nicht weinte, nur ganz weiß war sie im Gesicht und rührte sich nicht. Aber als der Drachen weg war und man auch nicht ein Stückchen mehr von ihm sah, schaute sie nach mir um und sagte: ›Dir tut es auch weh, Ortwin, daß er fort mußte von uns!‹ Und auf einmal stieg es mir hart in die Kehle, weil ich doch den Herwig auch so gern hatte, Ohm. Da nahm sie mich bei den Schultern und küßte mich fest. ›Sei nicht traurig, Ortwin, er kehrt uns wieder!‹« »Kann schon sein,« brummte Wate, »auch ich traute es ihm am Ende schon zu!« »Ohm,« rief Ortwin, »warum wollte ihn denn der Vater in Matelane nicht leiden? Gudrun hat ihn doch lieb!« »Hm, allerhand könnten da gescheite Leute, wie der Frute einer ist, sagen. Aber so gescheit sind wir zwei nicht, und auch mir ist, da hat dein Vater etwas getan, das wird ihn noch reuen!« »Ich glaube, es reut ihn schon jetzt, Ohm, und er schämt sich nur, es zu sagen. Immer wieder schaut er die Mutter an, die weint, und Gudrun, die redet kein Wort, und dann geht er schnell weg, als wollte er es nicht sehen!«

*

Im Abendwinde rauschte die alte Linde auf dem Königsgehöfte in Seeland. Grüngolden flimmerten die Sonnenstrahlen durchs dichte Blätterdach. Darunter stand Herwig, den Herrscherstab wagrecht in den Händen; von seiner Stirne blitzte der Kronreif. Im Halbkreise vor ihm lauschten schweigend die Mannen in Waffen, Schild an Schild, bis zum Burgwall hinüber. In die Stille klang des Königs Stimme weithin vernehmbar: »So sprach Hettel zu mir. Das war's, weswegen ich Euch zum Thing lud. Ihr hörtet mich, nun redet Ihr!«

Ein dumpfes Gemurmel lief durch die Reihen. Ein Alter mit runzelbraunem Gesicht trat bedächtig vor und hob langsam an: »Na, König, ein Schimpf ist das ja nun gerade nicht, wenn man uns Edelbauern heißt, aber einer sein sollte es schon, und so meine ich, wir müssen es auch dafür nehmen!« Hinter ihm murrte es drohend: »Etwas gering schätzte Hettel mit anderthalb Drachen uns ein! – Ja, da hilft was wohl nicht, die Meinung müssen wir ihm verbessern!« »Unsre Bauernfäuste sollen die Hegelingen verkosten!« schrien die Jungen.

»Drei Schiffe brauch ich voll kecker Bursche,« sprach Herwig, »nicht mehr. Wer will mit?« Da flogen die Hände hoch. »Hier, Herr, hier!« brauste es aus der Menge. Der König senkte den Stab. »So ist das Thing einig?« »Einig, Herr!« schrien sie wie ein Mann alle, die Schilde und Schwerter reckten sie hoch und schlugen sie gegeneinander, daß es vom Hügel weithin über die Wiesen dröhnte.

 

 

Der Sturm heulte vom Meere durch die Nacht und pfiff um die Hegelingenburg. In die Halle drang sein Stöhnen und Wimmern. Die Fackelflammen zitterten und schwankten leis rings an den Wänden. Beim Trunk saßen die Mannen, aber spärlich nur fielen unter ihnen die Worte. Auf der Frauenbank flüsterten die Gespielen Gudruns. »Sie kommt auch heut wieder nicht!« tuschelte Hergart. – »Gönn' ihr doch die Ruhe, der Armen,« murmelte Hildeburg. – »Ganz schmal wird sie im Gesichte!« seufzte Gertrud.

Hettel im Hochsitz blickte sein Weib an: zahlreicher, dünkte es ihn, waren die grauen Strähnen in ihren goldroten Haaren geworden. Unmutig warf er den Kopf auf. »Sing uns ein Lied, Horand!« rief er. – »Herr, da ich jung war, sang ich gern vor den Leuten. Rostig ward mir die Kehle. Lieber singe ich jetzt für mich selber mein Lied.« »So erzähl eine Mär, uns die Zeit zu vertreiben!« »Meine Mären aus alter Zeit kennt ihr alle. Aber ein Rätsel vernahm ich, das wanderte fern vom Morgenland her bis zu uns. Wollt Ihr es hören? Zwei Könige waren, die wollten einander bekriegen, da reute sie das Blut ihrer Mannen, und sie beschlossen, es im Weisheitskampf zwischen sich zu entscheiden. Wer seine Macht vor dem andern als größer beweisen würde, der sollte Herr sein. An der Marke der Länder kamen die Fürsten zusammen. Da tat der eine einen gewaltigen Sack auf voll Sandes. › So ist mein Heer!‹ rief er, ›zahllos wie die Sandkörner hier!‹ Der andre aber zog aus dem Wamse ein winziges Büchslein hervor. ›So ist mein Heer!‹ sprach er und hob den Deckel: da war ein Häuflein Pfeffer darin ... Wer gewann von den zweien?« »Der mit dem Büchslein,« sagte Hettel. – »Recht habt Ihr geraten, Herr: nicht die Menge tut es, der Mut in den Männern entscheidet's!«

Finster fragend blickte Hettel: »Soll mir das eine Lehre sein, Horand?« »Die Lehre ist für jedermann, der lernen will, König!« sagte der Sänger.

*

Ausgetobt hatte der Sturm über Nacht auf dem Meere. Aber immer noch wälzten sich im fahlen Morgendämmer die weißen Kämme der Wogen. In den Fluten versanken und hoben sich jählings drei Drachen mit kahlen Masten, die ruderten auf die fernen Inseln im Süden der Hegelingenburg zu. Das Steuer auf dem Leitschiffe lenkte König Herwig. Die Lederkappe schob er mit der Linken aus der Stirne. »Der Sturm brach,« sprach er zu Herzog Helmnot neben sich; »ich meine, unsre Segel aufsetzen sollten wir wieder, daß wir an Land kommen, ehe es Tag wird.« »Jawohl, Herr, besser ist besser, ob uns schon kaum einer in den öden Inseln erspäht!«

*

Ein stiller Sommerabend verglomm und verdämmerte über Matelane. Dunkel deckte das Land. Sterne allein glänzten hoch aus dem schwarzen Himmel.

Vor dem Burgtore kauerten die beiden Wächter am Boden, ein Alter und ein Junger, die Spieße hinter sich an der Mauer. »Das waren andere Zeiten damals, Bursch,« sprach der Ältere, »als wir nach Irland fuhren mit Wate und allen Fürsten und uns die Königin holten! Da hieß es: die Augen auf Tag und Nacht. Jetzt streckt Ihr Euch auf den Fellen!« »Nun, Vater, ich denke, wir zwei sitzen hier nicht grade weich!« »Eh, was bedeutet das, alle acht Tage einmal! Hinten in der Wachkammer schnarchen sie so auf den Pritschen samt ihrem Fähnrich!« Er zog den Mantel um und streckte sich lang aus. Der Junge stützte den Kopf in die Hand und starrte schläfrig ins Dunkel. Plötzlich fuhr er auf und legte dem Gefährten die Hand auf die Schulter. »Du, Vater!« »Was ist?« »Mir war's grad, als hörte ich Stimmen!« »Hast wohl geträumt, he?« »Glaub ich nicht: horch!« Der andere gähnte. »Der Wind ist's, und die Strandhasen rascheln durchs Dünengras.« Auch der Junge legte sich nieder, und bald schliefen sie alle zwei fest.

Aus dem Dunkel unten am Strande reckten sich Köpfe vom Boden. Tiefgebückt schlich eine Kette von Männern heran und sank nieder zum Grunde. Hinter ihnen tauchten neue Scharen empor. Lautlos kroch es in weitem Halbkreis zu auf die Burg.

Vor dem Dämmergrau wich langsam die Nacht. Vom Burgturm herab sah der Wächter aufs Feld vor dem Walle und rieb sich die Augen: von dunkeln Blöcken übersät, starrte es, und jetzt fingen sie an, sich zu rühren ... ein Mann im Helm sprang vom Grund, den Speer in der Faust. »Auf, Seeländer!« schrie er, und hinter ihm schoß es Helm an Helm in die Höh: brüllend wälzten sie sich zum Tore.

Gell stieß der Wächter ins Horn. Aus der Wachkammer taumelten die Mannen. Da lärmte der weite Hof voll von fremden Kriegern. Die Flügeltüren der Burg droben hatte Herwig mit beiden Händen an den Eisenringen gepackt und riß sie auf. In den Gang hinein brachen die Seeländer. Weiber kreischten, aus den Kammern stürzten die Männer mit den Röcken über den Achseln ...

»Gudrun!« rief Hildeburg und fuhr mit dem Kopf vom Kissen. Aufrecht saß die Königstochter im Bette und lauschte. »Herwig kam!« jauchzte sie auf, den Mantel warf sie um und stürzte auf die Altane hinaus ...

Aus dem Bette war Hettel gesprungen und riß das Schwert von der Wand. »Die Seeländer über uns, König!« schrie es draußen. Die Hände rang Hilde. Da dröhnte es durchs Getöse: »Zu spät standet ihr auf, Hegelingen! besetzt ist die Burg. Hie Herzog Helmnot! Waffenruhe bieten wir Euch. König Hettel, zur Zwiesprache lädt Euch unser Bauernfürst Herwig!« ...

Über die Zinne hinabgebeugt, blies der Wächter aus Leibeskräften noch immer. Da schlug ihn eine Faust ins Genick, daß er taumelte: in den Hof hinunter klirrte das Horn ...

Von Herzog Helmnot geleitet, schritt Hettel durch den Burggang. Rechts und links standen die Seeländer an den Wänden in langer Reihe und senkten vor ihm die Klingen. Hinter ihm her eilte Hilde. Aus einer Seitentüre trat neben ihn Horand. »Was schaut Ihr so finster, König? Das Glück will Euch wohl: zu bessern gönnt es Euch, was übel geriet! Aber leichter ist's freilich zu fehlen, als es zu bekennen!«

Auf den Hof trat Hettel hinaus. Dort wartete Herwig, aufs blanke Schwert mit der Rechten gestützt, vor seinen Mannen. »Mein Wort hielt ich. Hier bin ich, König, mir mein Eigen zu holen!« Das finsterrote Gesicht hob Hettel. »Denkst du mit einem frechen Räuberstreich dir eine Königsbraut zu gewinnen? Nicht allzuweit wirst du mit ihr kommen, wenn das ganze Hegelingenvolk hinter euch hersetzt!« »Meine Sorge ist das!«

»Herwig!« jubelte von der Altane herab Gudrun.

»Wählt, Herr, Kampf oder Frieden!«

»König,« sprach Horand, »Gott prüft Euch. Jetzt gilt's, Heil oder Unheil zu wählen!« Weinend schlang Hilde die Arme um seinen Nacken. »Denk daran, Hettel, wie damals mein Vater am Strand von uns schied! Willst du das gleiche Leid, das er uns schuf, deinem eignen Kinde bereiten? Vergib, versöhne dich, Hettel!« »Reicht mir die Hand, König, und als Euer Sohn beug ich mich Euch!«

Über Herwig hinweg starrte Hettel. »Lege die Waffen ab,« sprach er, »und folge mir in die Halle!« ...

Die Stiege zur Kammer der Königstochter empor schlüpfte Hergart. »Hildeburg, schnell, Hildeburg, wo ist Gudrun? zum Vater soll sie kommen!« ...

In der Halle standen die Könige unter dem Hochsitz. Auf die Schwelle trat Gudrun und blieb stehen. »Komm, Tochter,« sprach Hettel. Sie hörte es kaum: die Augen auf Herwig gerichtet, schritt sie langsam heran. Ihre Hand nahm der Vater und legte sie dem Seeländer in die Rechte. »Dein Wort löstest du ein, ich bekenn' es: ein kühnes Stück war's. So nimm sie von mir, und wie du sie gewannst, hüte sie stets!« Ihre Hand hielt Herwig fest in der seinen. »Ich werde es!« sprach er.

Da schallten laute Stimmen vom Gang her. »Wartet noch, Zwiesprache hält der König mit Herwig!« »Was Zwiesprache? hier gilt es mehr! zu ihm muß ich, weg mit den Händen!« Die Türe flog auf, und ein langaufgeschossener junger Gesell im Helm sprang über die Schwelle. Herwig prallte zurück und ließ Gudruns Hand fahren. »Bruno, du!« »Ich, Herr,« rief der heiser, »gottlob, daß ich Euch getroffen! Mit allen Segeln eilt ich Euch nach: ins Land brach Sigurd, der Seekönig. Seine Wikinger sengen und brennen. Die Königsburg schloß er ein mit dem Heere, kaum daß ich ihnen zum Meere entrann!«

Hilde stürzte herein. »Hettel, was geschah?« Keiner gab Antwort. Herwig hob langsam den Kopf. »Der Hieb saß,« sprach er leis, »voreilig rühmte ich mich. Gudrun, wir müssen scheiden!« »Nimmermehr!« rief sie, »meine Hand in die deine legte der Vater. Ich ziehe mit dir!« »Halt,« sprach Hettel, »keine Frauensache ist das, und wenig nützen würde es Herwig. Aber nun soll er sehen, daß auf mich auch Verlaß ist. All meine Mannen biete ich dir, Sohn, dein Land zu befreien!« In die Augen sah ihm der Seeländer. »Allein muß ich schauen, wie ich die Meinen errette. Allzuhart kam es mir an, jetzt von Euch Hilfe zu nehmen!« »Auch mir, Herwig, ward es nicht grade leicht, mich zu zwingen. Ich tat es: nun ist die Reihe an dir!« Gudrun umschlang ihn. »Mich nahmst du von ihm,« flüsterte sie, »und willst unsre Mannen nicht nehmen!« »Scheut Ihr Euch, Schulden zu machen?« sprach Horand. »Kein guter Gesell, der zu nehmen verschmäht, wo er zu geben gedenkt!« Da reichte Herwig dem König die Rechte. »Ich danke Euch, Vater!«

 

 

Die Wikinger

Um die weißen Kreidefelsen des Normannenlandes wogte tiefblau im Sommersonnenscheine das Meer.

Im Burggarten glühten die Rosen rings um den Rasenplatz unter den Bäumen dunkelrot aus den Hecken und füllten die laue Luft mit ihrem Dufte, der stieg zum offnen Fenster der Kemenate empor. Dort blickte Hartmut hinaus auf die See. Im Sessel hinten sprach Gerlinde: »Nun, Ludwig, meine ich, kannst auch du deine Augen nicht mehr davor verschließen! War es kein Hohn? Für Herwig war ihm das Töchterchen nicht zu jung!« Unwirsch blickte der König. »Büßen mußte er's stracks: ums Land ihres Liebsten kann er sich nun mit den Wikingern schlagen!« »Die Buße schufen nicht wir ihm! Willst du es ungerächt lassen, daß ihn der Bauernkönig bester dünkte als unser Sohn?« Jäh wandte sich Hartmut am Fenster. »Mit meinem Drachen stech ich morgen in See, Gudrun raube ich, Mutter!« »Recht, Sohn! ein Vorbild gab dir Hettel selber, dem folge: wie er Hagen tat, so tue du ihm!« Ludwig stand auf. »Rache an ihm zu nehmen bin ich bereit. Aber so geht das nicht, wie Ihr meint. Wer die Hegelingen angreifen will, darf's nicht wie ein Seeräuber tun: all unsre Kriegsschiffe rüsten wir zu der Heerfahrt!«

Da reckte Ortrun im Eck klagend den rötlichen Krauskopf: »Warum seid ihr denn so bös über Gudrun? warum wollt ihr denn Krieg gegen sie führen? was hat sie denn Arges getan? wenn sie den Herwig doch lieb hat!« »Schweig, Kind,« herrschte Gerlinde, »daß sie übel gewählt hat, soll sie zu spüren bekommen!«

*

In der Kemenate zu Matelane brannte die Ampel. In ihrem Lichte stickte Gudrun. Auf der Ruhebank im Dunkel lag die Königin. Es klopfte, und der graubärtige Burgmeister trat herein. Hilde setzte sich auf. »Sind die Tore ringsum verschlossen, Meister Wolf?« Er lächelte. »Mit doppelten Posten ist jeder Zugang besetzt. Räubervolk und Gesindel, schlimm würden sie anrennen an unsern Mauern! Ruhig schlafen dürft Ihr, Herrin.« Er neigte sich vor den Frauen und ging.

»Mir bangt, Gudrun,« sprach Hilde, »fern in Seeland kämpfen sie nun. Allein mit den alten Männern ließen sie uns!« »Sie kämpfen, Mutter, wir müssen harren. Mir bangt nicht: sie siegen!«

 

 

Finster lag die Nacht über dem Königshause in Seeland. Fackeln flammten am Erdwall rings ums Gehöft, dumpf dröhnten Schläge: im flackernden Lichte reckten sich Arme, die rammten Pfähle; gekrümmte Rücken regten sich, Spaten knirschten.

Am Walle droben standen zwei in Waffen. Unter ihnen loderten weithin über den Marschwiesen die Lagerfeuer der Feinde: zwischen den Zelten rannten im Flammenschein winzige Gestalten hin und her, und ihr Geschrei drang ferneher durch die stille Luft.

»Was haben sie heut nur?« sprach der Hauptmann Arnulf, »so laut ging es noch nie zu bei ihnen!« »Werden wohl neue Räubergesellen begrüßen, die zu ihnen stoßen!« »Teuer, Erich, kommt den König seine Brautfahrt zu stehn! unser letztes Rind ließ ich gestern schlachten. Weniger als heute früh werden wir morgen sein, wenn sie stürmen. Rolf fiel, dem Gottlieb hat ein Stein die Schulter zerschmettert!« »Auch den Rudlieb hat's erwischt. Die Besten sind hin, und schwerlich findet Bruno so bald zum König, um Hilfe zu holen!« »Ich mein immer, Erich, 's wird Zeit, daß wir die Balken teeren und unser Werg ums Königshaus richten!« »Uns den Scheiterhaufen selber zu zünden? nur zu: eh sie uns vollends kalt machen, machen wir ihnen warm! Die Finger verbrennen sollen sie sich wenigstens, wenn sie über unsre Leichen nach dem Königsschatz langen!«

Vom Tore her schwoll ein Geflüster: ein Haufen von dunkeln Gestalten drängte sich am Eingang zusammen. »Was habt ihr?« rief Arnulf. Einer reckte den Kopf. »Der Bruno ist da, Herr!«

Vom Walle sprangen die Hauptleute herab. »Bruno, woher?« In zerschlissenem Bauerngewand, lang und schmächtig, trat er auf sie zu und schüttelte ihnen die Hände. »Haltet aus, ihr Herrn! Gradenwegs vom Könige komm ich: in der Osterbucht liegt er mit Hettel, mit Wate, Frute und Horand. Die Wikingerdrachen sind unser. Von Friesland her ziehn Irold und Morung heran!« »So sind Hettel und Herwig versöhnt?« »Sie sind's! Die Tochter verlobte ihm Hettel. Euch die Nachricht zu bringen, schlich ich mich durchs Wikingerheer mitten hindurch. Die haben jetzt andere Sorgen als auf Bauern zu achten! wie in einem Ameisenhaufen geht's zu! nun sitzen sie in der Falle!«

»Na, Erich,« schmunzelte Arnulf, »da können wir ja unser Werg wohl noch sparen!« ...

Im Wikingerlager rückten die Mannen von allen Seiten unter lauten Rufen zum Häuptlingszelte heran. Dort ratschlagten Sigurd und Svein vor dem flammenden Holzstoß. »Falsch war deine Rechnung,« rief der Jarl, »da hocken wir nun zwischen zwei Heeren!« »Der Duckmäuser!« knirschte Sigurd, »mit den Weibern hat er's gewonnen!« Svein zuckte die Achseln. »Heiß wird die Suppe, die du uns angebrüht hast!« »Wer brühte sie an?« schrie der andere, »wer kam von der Wik in den Fjord zu mir geritten?« »Nicht so laut, Sigurd! den Streit zwischen uns können wir auf später versparen. Hätten sie uns die Drachen nur nicht genommen; übers Meer auf und davon wäre das Beste!« »Vor Herwig weichen?« schrie zornrot Sigurd, »nimmermehr! Das Königsgehöft stürmen wir, und wenn das halbe Heer hin wird! Dort sitzen wir sicher: dann mögen sie kommen!« Durch die Nacht blickte der Jarl zum Hügel, über dem schwach der Fackelschein blinkte. »Bleibt uns sonst wohl kaum etwas übrig!« ...

Die letzte Fackel im Königsgehöfte war niedergebrannt. Unter dem Walle schnarchten die Mannen totmüd in den Waffen. Stiller ward es auf den dunkeln Marschwiesen rings um die Burg. Auf der Brustwehr droben sprach Bruno: »Alles finster vor uns. Das letzte Fünkchen im Lager traten sie aus.« Arnulf nickte. »Wohin sie abziehn, wollen sie uns verbergen!« »Ich weiß nicht, ihr Herren,« flüsterte Erich, »leiser wird das Waffengeklirr, und doch ist mir, als käme es näher. Bruno, lauf zum Hintertore hinüber, was die drüben sagen!«

Die beiden Hauptleute standen allein. Plötzlich stieß Erich den andern in die Seite. »Schau, drunten am Felsen, da kauert einer – und dort, hinter den Büschen!« Mit dem Speerschaft fuhr Arnulf unter die Schläfer hinab und rief leis: »An die Wehren!«

Über den Hof zurück hastete Bruno. »Sie schleichen heran!« Nach der Axt griff Arnulf. Schlaftrunken torkelten die Mannen hinauf.

Da brach ein Gebrüll aus der Nacht vor ihnen: wie dunkles Gewölk, das tief am Boden hinfegt, brauste es hügelan, eine Flut von Helmen brandete ums Gehöft. Über den Wall schwirrten Geschosse. »Bergbuben, Kletterer,« schrie es, »spuckt in die Hände!«

Brünnenringe klirrten am Walle aufwärts, ein Eisenhut blinkte, und ein Arm langte über die Brustwehr. Arnulfs Axt sauste. Ein Schrei gellte, der Helm sank, auf dem Wall blieb die Hand liegen. »He, wohin so geschwind?« rief Arnulf und beugte sich vor; »du hast hier was vergessen!« Ein Speer schmetterte ihm in die Stirn, und er stürzte. – »Was gafft ihr?« schrie Erich, »die Felsblöcke über sie!« Auf die Stürmenden dröhnte es nieder.

Da hallten Axtschläge vom Tor her, und Sigurds Stimme donnerte: »Raum für mein Eisen!« Krachend barsten die Flügel.

Vom Wall in den Hof sprang Bruno. »Mir nach Brüder, mit unsern Leibern geriegelt!« Hinter dem Eingang ballten sich die Seeländer zu einem Haufen. Aus dem Torbogen stürzte Sigurd mit den Seinen, Bruno warf den Speer. Mit dem Schild schlug ihn der Wiking beiseit. Wie ein brüllender Bergstrom wälzten sich die Nordleute über das Häuflein. »Drin sind wir, Svein!« jubelte Sigurd.

 

 

Der Brautraub

Weiße Wölkchen zogen eilig über den blauen Himmel. Vom Turme zu Matelane flatterte die Fahne mit dem Silberschwan. Der Wächter droben hob das Horn an den Mund. Tief dröhnend rollte es durchs sausende Singen des Windes. Gudrun sah von der Altane auf. »Schiffe, ho!« hallte es zu ihr nieder. Sie fuhr vom Sitze auf und eilte die Stiege hinan. Schnell atmend trat sie neben den Türmer. »Wo, Gerhard, wo?« Er wies gradaus nach Westen: am Himmelsrande glänzte es weithin winzig-weiß über dem Wasser, als wäre eine Schar Meervögel aus den Fluten getaucht. »Die Unsern!« jauchzte Gudrun.

»Die Unsern!« rief Hildeburg von der Altane. Zu den Fenstern hinaus fuhren die Köpfe. »Die Unsern!« hallte es durch die Burg.

Über den Hof hin rannten Mannen und Gesinde. Im Helm schritt der Heermeister Wolf hastig zum Tore. »Die Riegel auf: wir ziehen ihnen entgegen!«

Höher hoben die weißen Seevögel fern über dem Meere die Schwingen, bunte Drachenköpfe erglänzten.

Der Türmer über den Zinnen rückte näher zur Königstochter. »Herrin, seltsam bedünkt's mich – zählt selber: sind's nicht mehr Schiffe jetzt, als von hier fuhren?« Stumm starrte sie hinaus und erblaßte.

Eine Flotte schwamm heran in drei Reihen, je vier Drachen hintereinander. »Königstochter,« rief der Wächter: »Der da vorn, seht, mit den Purpursegeln, mit dem goldenen Löwenkopf über dem Steven? Kennt ihr ihn, Gudrun?«

Unten strömte die Menge zu den Mauern hinaus. »Halt, Leute, zurück!« schrie aus Leibeskräften der Türmer: »Feindjo! Die Tore zu: es sind die Normannen!« ...

Waffenlärm und Kampfgebrüll prasselte wie ein Feuermeer um die Burg.

In der Kemenate lag Hilde mit blutleerem Gesicht auf der Bank. Ihr zu Häupten saß Hildeburg den Kopf vornüber gebeugt, die Arme im Schoße gekreuzt. Zitternd kauerten hinter ihnen die Jungfrauen; mit den Vergißmeinnichtaugen in Tränen, schaute Hergart angstvoll unter ihnen hervor.

Am Fenster stand Gudrun, hochaufgereckt, und starrte hinab. Lauter tönte das Geschrei, näher klang das Klirren und Krachen. Stöhnend richtete Hilde sich auf. »Sie brechen ein, Gudrun?« »Ja, Mutter. Wolf fiel. Ins Tor hinein dringen sie, von den Mauern springen sie hinab in den Hof. Allzu gering an Zahl sind die Unsern. Ums Banner an der Burgtür drängen sie sich. Sie fallen!«

Die Hände vors Gesicht schlug Hilde. Tiefer senkte Hildeburg den Kopf auf die Brust ...

»Hilfe! Sie morden!« In die Kemenate hinein stürzten die Mägde. Gudrun trat vom Fenster weg vor die Frauen.

Durch die Burggänge stampfte und toste es aufwärts. »Wo ist die Docke?« brüllte es. Aufschreiend drängten sich die Mädchen zusammen: den Helm im Nacken, das breite Gesicht blutbespritzt, sprang König Ludwig über die Schwelle. Hinter ihm klirrten die Mannen in die Kemenate, zwischen ihnen drängte sich Hartmut hervor. »Halt, Vater, nicht so!« Grimmig lachte Ludwig. »Wie denn? Willst du mit Zuckerworten hier werben? Da bin ich freilich nicht zu gebrauchen! Bursche, in die Kammern und Keller: den Königsschatz müssen wir heben!« Mit den Mannen stürmte er zurück in den Gang.

Hartmuts Augen blitzten zur Königstochter hinüber. »Gudrun, anders dachte ich vor Euch zu treten! Meine Schuld ist es nicht, daß ich über die Leichen der Euren zu Euch muß! Keiner auf Erden ist, der Euch liebte wie ich!«

Grellrot zuckte Feuerschein in das Fenster. Sie sah hin und lächelte bitter. – »Glaubt Ihr, mich freut's?« rief er. »Glaubt Ihr, mich kränkt's nicht, Euch wehe zu tun? Warum zwingt Ihr mich, so mein Recht an Euch zu suchen?«

Sie sah ihm in die wildlodernden Augen. »Nach fremdem Eigen begehrt Ihr. Zu stolz dafür hätte ich den Königssohn der Normannen gehalten.«

*

Auf die Altane wankte Hilde hinaus. Über den Strand trieben die Normannen die Hegelingenjungfrauen hinab zu den Schiffen. Jammernd hing Hergart an Hildeburgs Nacken. Ihnen voran schritt Gudrun. Vor dem Drachen Hartmuts wandte sie sich und blickte noch einmal zur Mutter zurück.

Schluchzend streckte Hilde die Arme und sank in die Knie. »Nun weiß ich's erst, was ich dem Vater getan!«

 

 

Horands List

Dort wo die Wikingerfeuer geflammt hatten, loderten jetzt die Brände der Hegelingen, und in der Seelandsburg saßen die Nordleute hinter den Wällen.

Nacht war's. Im Hofe stand Sigurd und Svein vor der Halle. Eine Fackel brannte über der Türe zu ihren Häupten; im Winde flog die Flamme, vom Rauche umwirbelt. »Heut ließen sie Blut,« sagte der Jarl. »Wer war der Bursche mit den drei silbergrünen Seerosenblättern am Helme, der vorne dran stürmte?« »Der Duckmäuser,« murrte Sigurd. – »Na, heute duckte sich der nicht. Viel fehlte nicht, und er hätte das Tor eingeschlagen!« »Jarl,« knurrte Sigurd, »habt ihr denn gar nichts mehr in euren Säcken? Mich hungert greulich, grad als frässe mir einer drinnen die Eingeweide zusammen!« »Woher sollt ich was haben? Nichts als Ratten ließen uns die Seeländer hier!« ...

An den Lagerfeuern über der Marschwiese verzehrten die Hegelingen ihre Nachtkost: um die großen Kochkessel hinten drängten sich die Letzten mit ihren Näpfen, das Esten zu holen. Verdrossen blickten im roten Feuerschein die Gesichter. »Wieviel fielen bei euch?« »Zehn von unserem Hundert!« »Das langt!« »Wir stürmten am Tore, bei uns wird's ein Dutzend!« »Ja, die Wikingeräxte sind scharf!« »Etwas reichlich düngen wir hier für die Seeländer, scheint mir, mit unserem Blute!«

An ihnen vorüber schritt Wate mit einem Hauptmann, ihm folgten die Fürsten. »Hörtest du's, Wate?« sprach Frute, »wie sie maulen! Was meinst du, wie ihnen zumut würde, wenn sie erführen, was zu Matelane geschah?« »Hauptmann, Ihr hütet den Boten?« fragte Horand. – »Gewiß, Herr: keinen bekommt er zu sehen, dem die Zunge locker im Munde sitzt. Viele von den Unsern, klagte er, werdet Ihr nicht mehr erblicken, wund liegen die andern, nur das Gesinde blieb heil bei Hilde zurück, und die Schatzkammern räumten sie aus bis auf den letzten Goldring im Keller!« »Wie nahm's König Hettel?« »So schnell sah ich noch keinem das Blut aus dem Gesicht schießen: nach dem Seeländer schickte er gleich, und mir gebot er, Euch, Ihr Herren, zum Rate zusammenzurufen!« »Was gibt's da zu raten?« fuhr Wate auf. »Die Geierbrut drüben in Stücke gerissen, und dann auf nach Gudrun!« »Bis wir das zwingen,« sagte Frute, wären die Normannen längst in Kassiane, und wenn morgen von den Unsern nicht weniger fallen als heute, meinst du, wir bekommen dann unsre Drachen noch voll zum Verfolgen?« »In des Teufels Falle sind wir geraten,« grollte Wate. »Herrgott, schlag drein!« ...

Im Königszelt saß Hettel, aschgrau wie der Bart sah sein Gesicht. Herwig ihm gegenüber starrte zu Boden. Die Fürsten traten ein und setzten sich schweigend im Kreise. Hettel schaute auf. »Ihr hörtet es: viel verlor ich auf einmal, mein Kind und all meine Schätze. Nun ratet!« »So will ich frei heraus reden,« hob Frute an. »Meine Worte gefielen Euch damals nicht, als die Normannen warben, die uns jetzt Gudrun entführten. Nun bleibt uns nur eines: von den Wikingern müssen wir los, daß wir Ludwig nachsetzen können! Vergleich bieten müssen wir ihnen.« »Damit sie es merken,« sprach Irold, »wie es um uns sieht! Der Vergleich käme uns teuer!« »Vergeblich wär's, sich mit ihnen vergleichen zu wollen,« sagte Morung, »Sigurd schwur, hörte ich sagen, nicht eher zu weichen, als bis er den letzten Flecken in Seeland verbrannt!«

Herwig stand auf. »Frute hat recht: ich bin's, der die Not über uns alle gebracht. Setzt den Normannen nach und rettet Gudrun! Und mich laßt es mit Sigurd allein ausmachen, König.« »Daß dich die Wikinger niedermachen mit deinem Häuflein!« rief Hettel. – »Sie werden es nicht,« sprach Herwig. »Nicht euch und nicht meinem Volke, mir allein gilt des Seekönigs Grimm. Gott gab mich in seine Gewalt. So soll er mich haben!« Er setzte den Helm auf und griff nach dem Schilde. Den Kopf schüttelte Hettel. »Bleib, Sohn: meinst du, ich möchte vor Gudrun treten und sprechen, ›dem Seeräuber lieferten wir Herwig aus, um dich zu befreien?‹« »Nicht Euer Wille, König, der meine ist's, der hier entscheidet!« »Der Donner soll mich am Flecke erschlagen!« rief Wate. »Ich gehe mit dir, mag uns dann der Kaufmannsschreck alle zwei fressen!« Da sprach Horand: »Wartet noch, König Herwig, bis morgen mittag!« Beim Arm packte ihn Wate. »Sänger, was hast du ersonnen?« »Zwei Köpfe hat droben das Heer. Ob ein Sinn in den beiden Schädeln ist, laßt mich's auf meine Weise erproben!«

 

 

Fernab vom Hegelingenland rauschten die Normanndrachen durch die Nacht. Auf dem Vordersteven stand Ludwig, das Wolfsfell flatterte ihm um die Schultern. Hartmut trat neben ihn. In der Ferne dunkelte ein Küstensaum auf. Ludwig hob die Hand vor die Augen. »Die halbe Fahrt schafften wir, Sohn. Die Wülpeninsel ist's drüben.« »So laß uns anlegen, Vater, und rasten. Müd sind die Mannen geworden.« »Der Ost weht, den müssen wir nützen. Daheim können wir ruhn!« »Niemand ist, der uns folgt. Fest hält der Wiking die Hegelingen in Seeland. Was eilst du?« »Wer einen Schatz führt, fahre schnell!« »Nicht Gold und Gut allein sind's, die wir luden. Elend zusammengepfercht liegen die Jungfrauen im Kielraum. Schreck und Sturm machten sie krank.« Ludwig lachte rauh. »Ist es das, was dir ans Herz greift? jammert dein Püppchen?« »Gudrun jammert nicht, aber die mein Weib werden soll, will ich nicht martern. Die Segel gerefft,« rief er, »setzt die Ruder ein: am Wülpensand landen wir, Leute!«

Deutlicher schwamm im Dämmer die Insel heran, von Norden nach Süden gestreckt; hinter dem flachen, baumlosen Strande zog sich ein Höhenrücken ihrer ganzen Länge nach hin.

 

 

Der Regen prasselte aus dem grauen Morgenhimmel über die Seelandsburg nieder. Weiße Nebel dampften vom Tal. Durch die Pfützen im Hofe patschten Sigurd und Jarl Svein. »Naß genug ward mir die Haut,« murmelte der Seekönig, »aber trocken blieb mir die Kehle!« »Hat auch sein Gutes,« sprach Svein, »heut kommen sie schwerlich angestapft durch den Schlamm!«

Von den Wiesen tönte Rindergebrüll, und sie sahn: durch den Nebel trottete eine Herde, buntgefleckt, auf den Hügel zu. »Hoho, Svein, schicken sie heut gar ihre Ochsen zum Stürmen?« »Still, Sigurd, da schau!«

Aus dem Dunst drunten trabte ein Reiter, ein weißes Fähnlein wehte von seinem Speer. Bis auf Bogenschußweite ritt er vors Tor, das Horn hob er in der Linken und blies.

Über die Brustwehren reckten sich die Mannen. Der Reiter streckte das Horn übers Haupt. »Gehör heischt König Hettel. Horand, den Sänger, sendet er, um mit euch ein Geschäft zu bereden.« »Nichts da,« schrie Sigurd, »mit Waffen, nicht mit Worten streitet der Wiking!« »Nicht du allein hast hier zu beschließen,« sagte Svein, »ich will ihn hören!« und lautschallend rief er hinab: »Horand, komme!« ...

Im Hochsitze saß der Jarl, neben ihm streckte Sigurd mißmutig die langen Beine. Von zwei Wikingern geleitet, trat Horand in die Halle. »König Hettel sendet Euch seinen Gruß!« »Was will er von uns?« fragte Svein. – »Von euch, ihr Herrn, will er nichts. Aber er hörte, ihr leidet Mangel an Nahrung. Mit ausgehungerten Leuten zu kämpfen, meinte er, ist wenig Ehre. Sein Schlachtvieh schickt er euch, daß ihr zu Kräften kommt, ehe wir stürmen.« »Das ist stolz,« sprach der Jarl, »und ist edel!« »Hohn ist's,« schrie der Seekönig, »die eigene Zunge schlucke ich lieber hinunter, eh' ich von ihm ein Stück Fleisch nehm!« »Halte das, wie du willst. Ich, Sigurd, sorge für meine Mannen, du brauchst ja nicht mitzuhalten beim Mahle!« Sachte wiegte Horand den Kopf. »Warum ihr uns Hegelingen so haßt, wundert den König, aber ihr werdet's wohl wissen! So lebt denn wohl bis zur Schlacht!« »Wir hassen Hettel nicht,« sagte Svein, »und ich gesteh' es: hält' ich's gewußt, daß er zu dem Seeländer hält, meine Drachen lägen wohl noch auf den Rollen in der Wik!«

Sigurd stieß das Schwert zu Boden und blickte grimmig den Jarl an.

»Warum kämpfen wir dann?« fragte Horand. – »Will Hettel nicht kämpfen?« »Ihr zwingt ihn dazu. In Herwigs Burg sitzt Ihr!« »Was bietet er uns, wenn wir abziehn?« »Ihr seid in der Klemme: euch auszuhungern, wenn er das wollte, hielte nicht schwer, wie ihr wißt. Ich meine, ihr habt ihm zu bieten!« »Willst du zu Kreuz kriechen, Svein?« fuhr Sigurd auf. – »Nein, solange Hettel zu kämpfen begehrt, bin ich da. Doch will er sich mit uns vergleichen, keine Schande dünkte mich das mit einem Gegner, der mächtig und edel zugleich ist. Freien Abzug begehr ich mit meinem Heer auf den Drachen, die ihr uns genommen. Dann will ich Hettel Urfehde schwören.« Horand neigte den Kopf. »Ich will es dem Könige melden.« ...

»Was schwurst du mir, Eidbrecher, in Wik?« schrie Sigurd. – »Das war, als wie glaubten, Hettel und Herwig sind uneins!« »Deinen Gesellen läßt du im Stich!« »Lasse du deine Torheit im Stich und ziehe mit uns! Sei froh, daß wir so davonkommen, Sigurd!« Wütend blitzten des Seekönigs Augen. »Dir dank ich die Schmach, daß ich's muß, das vergeß ich dir nicht!« »Weit ist das Meer, Sigurd, denselben Weg werden wir zwei miteinander, denke ich, schwerlich mehr fahren.«

*

Ein kalter Wind schnob. In Fetzen flog das Gewölk am hellblauen Himmel hin, und über die Wiesen jagten einander die Schatten. Von der Burg herab zogen die Wikinger nieder zum Hafen, die Helme verbeult, die zerhackten Schilde über dem Rücken. Hinter ihnen schritt Sigurd mit finsterm Gesichte, die Axt in der Faust.

Von einem Dünenhügel musterten Jarl Svein und Horand den Zug. »Der Wind weht aus Osten,« sagte der Jarl, »kreuzen werden wir müssen, euch aber legt er wohl noch für eine Weile in der Osterbucht fest.« »Nein, Jarl, gar keinen besseren Fahrwind wünschen wir uns.« Erstaunt blickte der Wiking ihn an. »Wo wollt ihr denn hin?« »Nach Westen, den Normannen nach.« »Den Normannen?« »Freilich: die raubten uns Gudrun, während wir gegen euch zogen.« Der Jarl starrte den Sänger an. »So war das!« sprach er endlich, »billig los wurdet ihr uns. Das habt Ihr gut gemacht, Horand!« »Des Königs Schlachtvieh mußte ich daran wagen: übel bekommen wären uns eure Mahlzeiten, Jarl!«

*

In See gestochen waren die Wikinger. Fahrtbereit lagen die Drachen der Hegelingen in der weiten Osterbucht: über die Schiffsleitern kletterten die Mannen vom Lande an Bord. Am Strande standen Hettel und Herwig mit den Fürsten unter einer Schar Fischer. »Jawohl, Herr, sie waren's,« sprach mit der Lederkappe in der Hand ein pausbackiger vierschrötiger Gesell, »dicht vor unseren Booten fuhren sie vorbei heute nacht. Langsam nur kamen sie vorwärts, tief lagen die Borde im Wasser: schwer geladen hatten sie, scheint es.« »Glaub ich wohl,« brummte Wate, »leicht wiegt der Hegelingenschatz nicht!« »Über zehn Drachen zählten wir, ich und der Klaus da. Wenn ihr mit allen Segeln nachsetzt, mag sein, ihr erwischt sie noch auf dem Meer!«

 

 

Am Wülpensande

Hell schien die Mittagssonne aufs Meer, das schimmerte silbern, von leichtem Winde gekräuselt. Am Westrande der Wülpeninsel lagerten die Normannen unter den Schädeln ihrer Drachenschiffe. Die Köpfe auf den Schilden, ließen sie die linde Luft über sich streichen. Aus den brodelnden Kesseln hinter ihnen stieg der weiße Dampf auf zum blauen Himmel. Emsig schürten die Köche.

Weiter landeinwärts schlummerten in einer Bodenmulde, vom Winde geschützt, die Hegelingenjungfrauen. Hin und wieder stöhnte eine leis, riß erschrocken die Augen auf, blinzelte müd in die Sonne und sank schauernd wieder in Schlaf. Über ihnen saß Gudrun, den Ellbogen auf dem Knie, das Kinn in der Hand. »In Seeland erfuhren sie's nun. Auf dem Meere suchen sie uns. O könnte mein Rufen zu ihnen dringen: ›hier bin ich, hier!‹«

Auf der grünen Höhenwelle inmitten der Insel weideten die schiffmüden Rosse: langhin wehten die Mähnen und Schweife im Winde. Dort stand König Ludwig im Helm, den Speer in der Rechten und spähte nach Osten hinaus. In weiter Ferne glitt mit blinkendem Segel ein Einmaster über die Flut. Nach Westen schwamm er bis über die Nordspitze der Insel hinaus. Dann fing er an, vor dem Winde zu kreuzen. »Richard!« rief der König. Aus dem Grase erhob sich ein Krieger. »Siehst du den Segler drüben im Norden?« »Ja, Herr. Fischer, meine ich, werden es sein.« ...

Auf dem Einmaster sank knatternd das Segel. Über den Bord des sacht schaukelnden Schiffleins spähten Herwig und Wate. »Du hast jüngere Augen, König!« »Sie sind es. Am Weststrande liegen einer neben dem andern die Drachen, alle zwölf zähl ich.«

Weit hinter ihnen am Himmelsrande im Osten tauchten Mastspitzen auf: die Hegelingenflotte wogte heran.

*

Müd flatterte der Wind auf der Wülpeninsel und sank nieder. Zu dunsten begann im Abendglanz das Meer, lichte Nebel kreisten die Flut immer enger ein um das Eiland. In roter Glut schwoll die Sonne riesengroß über dem Wasser. Am Weststrande hockten die Mannen in Gruppen beim Trunke: Würfel rasselten in beinernen Bechern und rollten über die ausgebreiteten Mäntel. Durcheinander schwirrten die Stimmen. Da jagte ein Reiter laut rufend die Höhenwelle hinab: »Herr Hartmut!«

Die Zecher wandten die Köpfe. Der Königssohn ging ihm entgegen. Der Bote sprang keuchend vom Roß. »Die Hegelingen, Herr! Euer Vater ruft: voll ist von ihren Drachen drüben die See!«

»In die Schiffe die Jungfraun!« schrie Hartmut. Durcheinander rannten die Mannen: nach den Ringbrünnen griffen sie und stülpten sie über, die Schwerter schnallten sie um und packten Schild und Speer ...

Von einem Ende der Insel zum andern klirrte und rasselte der Oststrand von Waffen, und immer noch rannten im rötlichen Abenddämmer Normannenscharen von dem Höhenrücken nieder zum Meer. Hinter der Mitte der Schlachtreihe hielt König Ludwig zu Roß. Aus dem lichten Nebeldunst über der Flut schossen die Drachen der Hegelingen in langer Reihe nebeneinander heran: wie blinkende Flossen schlugen die triefenden Ruder an den Borden weitausholend das Wasser.

»Schießt!« schrie der König. Über die Schiffsdecke hin fegte der Eisenhagel, die Borde splitterten, von den Bänken stürzten die Ruderer, ins Wasser klatschten kraftlos die Schaufeln. Den Helm schwang Ludwig. »Heil, meine Normannen! verleidet ihnen das Landen!«

Auf dem Vordersteven des Königsschiffes kauerte Hettel unter dem Langschilde, von Pfeilen umprasselt. »Die Bogen gespannt, schleudert die Speere, treibt sie vom Strande!«

Ludwigs Roß bäumte sich: einen Pfeil im Halse, überschlug sich's. Er stürzte. Rings um den König am Boden duckten sie sich vor dem Speerschauer, der vom Drachen her sauste. Auf die Füße sprang Ludwig, in den Nacken schlug er den Nächsten. »Schurken, steht fest!«

Vor das Königsschiff fuhr mit einem Ruck der Einmaster Herwigs. Den Spieß wurfbereit in der Rechten, spähte er über die Insel. Ein heller Schrei klang von fern durch den Schlachtlärm. Über dem Höhenrücken schnellte die Gestalt einer Frau auf. Im blassen Abendlichte wehte ihr Haar, und sie reckte die Arme. Zwei Männer schlossen hinter ihr auf und rissen sie jählings zurück. »Gudrun!« schrie Herwig, »mir nach!« Er setzte über Bord in die Wogen, die schlugen ihm über den Achseln zusammen. – »Allemal, König!« schnaubte neben ihm Mate.

»Der Seeländer ist's!« dröhnte Ludwigs Stimme, »hinein ins Bad, Bursche, und packt ihn!« Die Normannen rannten ins, Wasser.

»An die Ruder!« rief Hettel. In die Scharen hinein, die sich in den Wogen schlugen, drangen die Drachen. Von den Borden herab flogen die Speere. Rot von Blut spritzte der Gischt über der Schlacht in der Flut.

»Zurück zum Strande!« brüllte Ludwig. Aus dem Wasser flohn die Normannen. Hinter ihnen her stürzte Wate, mit ihm sprang Herwig ans Land. Von rechts her eilte Hartmut mit seinem Haufen dem Vater zu Hilfe. Vom linken Flügel kamen sie zur Mitte gerannt.

Da schossen im Norden und Süden die Drachen der Hegelingenfürsten zum Strand vor unter die gelichteten Reihen: jauchzend rasselten Dänen, Holsten und Friesen von den Schiffen herab.

Über die ganze Insel hin lärmte der Kampf.

*

Ins Meer war die Sonne hinter die Nebel gesunken, die zogen sich dichter über der Insel zusammen. Im Dämmergrau tobte landeinwärts die Schlacht. Zu Irold hin, der am rechten Flügel weit voran kämpfte, rannte Wate mit seinen Scharen. Im Süden drängten Frute und Horand die Normannen langsam unter den Hügel zurück. In der Mitte schwang Herwig, einen Pfeilschaft in der linken Schulter, das Schwert über dem geborstenen Eisenhut. »Seeländer, Gudrun rief droben!« Da gellte es hinter ihm: »Diebsgesell, gestohlen hast du mir feige die Tochter!« Er fuhr herum: Hettel stürmte, die Klinge gezückt, wider Ludwig. Der lachte dröhnend und holte hoch aus mit dem Hieber. »Diebsgesell, gestohlen hast du Hagen dein Weib!« Zurück zuckte Hettel, da sauste ihm des Normannen Schneide zwischen Schulter und Hals. Er wankte. – »Vater!« über die Leichen am Boden sprang Herwig auf ihn zu und griff ihm unter die Arme. Durch des Seeländers geborstenen Helm krachte Ludwigs Schwert. Zum Grunde stürzte Herwig mit Hettel. Laut auf schrien die Hegelingen und warfen sich vor die Gefällten.

Unter die Seinen wich Ludwig zurück. Das Blut vom Schwert strich er am Mantelsaum ab. »Ruft mir Hartmut!«

*

»Wate, der König fiel, Wate!« schlug es an des stürmenden Alten Ohr. Starr stand er, dann brüllte er wild auf: »Der König fiel, und ihr lebt! Schmach über euch! Rache!« Unter die Normannen stampfte er, warf den Schild weg und hieb mit dem Schwerte in beiden Händen, daß es wie Wetterleuchten aus den Helmen um ihn stob.

*

Hinter der Schlachtreihe der Normannen eilte Hartmut auf Ludwig zu. »Du riefst mich, Vater?« »Ja, Hartmut. Ihren König erschlug ich den Hegelingen, und wenig Leben mehr wird in dem Seeländer sein: tief in den Schädel brach ihm mein Stahl. Nun wurden sie rasend. Halte sie auf, Sohn, bis ich mich mit den andern einniste droben. Blut soll sie's noch kosten!«

*

Der letzte bleiche Abendschein erlosch. Finster lag Meer und Land. In einzelne Haufen zerschlagen, kämpften die Heere unter den Hügeln. »Wate,« keuchte Irold hinter ihm her, »die Schwerter sind schartig, lahm wurden die Arme, laß ab!« »Mein König!« schrie Wate, »Ludwig, Normannenhund, her!« ...

Ein Horn tönte von der Höhe: die Schilde warfen die Normannen jäh über den Rücken und sprangen hügelan. Durch ihre Reihen brach Wate. »Schufte, so billig entkommt ihr mir nicht!« Zu ihm hin stürzten von beiden Seiten die Hegelingen. In wildem Gewühl wälzten sich in der Finsternis Freund und Feind durcheinander.

An die Kehle fuhr Morung einem. »Herr!« stöhnte der auf. – »Den Teufel auch, du bist es, Walther!«

»Halt, Wate,« schrie Horand, »die eignen sind's, die du mähst!« Da hallte Frutes Rufen durchs Tosen: »Ihr schlagt nicht die Feinde: untereinander mordet ihr euch! zurück, Hegelingen!«

Die Hörner hinten erdröhnten. Zähneknirschend stand Wate vorm Hügel.

*

Die letzten Normannen schnauften den Höhenrücken hinauf. Auf dem Kamme wandte sich Ludwig zum Sohne, dem rieselte das Blut von der Stirne. »Bist du wund, Hartmut?« »Ein Kratzer! Ihren Königen nach senden wir, denke ich, morgen die Hegelingen!« »Nein, Hartmut, das denke ich nicht zu tun. Wir schwimmen weg bei der Nacht!« »Wir? fliehen? Ums Doppelte mehr als wir ließen sie Leute beim Stürmen!« »Eben darum: ein guter Hausvater, Sohn, spart sorgsamer als seinen Edelwein das Blut seiner Leute. Auf den totwunden Eber hetze ich nicht mehr meine Hunde: der verblutet von selber. Lauf zum Strande und rüste die Schiffe: wir rücken gleich nach. Lagerfeuer hinter dem Kamme hier lasse ich nur noch zünden, die sollen lodern, wenn unsre Ruder lange die Wogen schon schlugen!«

*

Aus dem Dunkel starrten im Scheine der Fackeln die Drachenköpfe am Weststrand. Über das Deck des Königsschiffes eilten geschäftig die Mannen: mit den Wachleuten stieg Hartmut vom Steven zum Kiele hinab. Am Boden zusammengekauert saßen die Jungfern. An der Wand lehnte Gudrun, die Arme über den Rücken geschnürt. »Wer tat das?« rief zornig Hartmut. – »Ich, Herr,« sagte der Führer, »sie entsprang uns und rannte den Hügel hinauf. Anders zähmen ließ sie sich nicht!«

Mit dem Dolchmesser schnitt Hartmut die Fesseln entzwei. »Gudrun,« sprach er, »getäuscht hat Euch Euer Hoffen: König Hettel ist tot.« Sie starrte ihn an, und ihre Brust hob sich. – »Herwig fiel: todwund brach er über der Leiche Eures Vaters zusammen.« »Nein,« rief sie mit fester Stimme, »Ihr lügt. Ich weiß es, ich fühl es: er lebt!«

*

Dicht unter den Höhen lagerte Wate mit seinen Sturmländern im Dunkeln. Flammenschein lohte über dem Kamme vor ihnen. Schwächer klang das Rufen und Klirren herüber. »Sie gehen zur Ruhe. Bursche, wir wecken sie morgen vor Tag!«

Lagerfeuer zuckten hinten im Heer auf. Zum Strande schritten Frute und Horand. Um die lodernden Scheite saßen die Leute: an den zerrissenen Brünnenringen flickten sie, klopften die zerbeulten Helme zurecht und verbanden einander die Wunden. Frute zählte die Köpfe. »Könntest du, Sänger, wie es vorzeiten geschah, die Toten zur Geisterschlacht wecken, so stünde es gut: zwei Hegelingen kämen auf einen Normannen!«

In das Feldherrnzelt, das am Strand aufgeschlagen war, traten sie ein. Drinnen lag, auf Polstern gestreckt, Herwig, die Augen geschlossen, vom Kopf bis zu den Hüften in Binden, draus sickerte langsam das Blut. Über ihn gebeugt saß der Wundarzt. »Wie steht's, Meister?« »Er atmet noch, Herr.« ...

Auf dem Hintersteven des Königsdrachens, der mit seinem Rachen über den Strand gähnte, brannten Fackeln. Zwei Krieger mit gesenkten Schwertern hielten zu beiden Seiten einer schwarzen Bahre, darauf ruhte König Hettel, die goldene Krone im grauen Haar über dem wachsbleichen Gesicht.

*

Aus den Nachtnebeln schimmerte grünsilbern der Halbmond, und sie zerflossen. Die Sterne erblinkten, ein frischer Luftzug strich aus dem Osten übers schlummernde Hegelingenheer. In ihren Ringen fröstelnd, reckten sich die Mannen um die zusammengebrochenen Feuer.

Heller ward es in der Höhe. Im wachsenden Lichte schrumpften die Sterne zusammen.

Am Fuße des Hügels spähte Wate, über dem linken Knie zusammengeduckt, zum Kamme hinauf. Bleich blinkte die kahle Höhe, nichts rührte sich droben, dünne Rauchsträhnen nur wehten. »Du, Heinz,« murmelte er, »mir scheint fast, leer sind die Hügel von ihnen!« »Täuschen wollen sie uns, dahinter stecken sie, Herr!«

Den Arm stieß Wate hoch. Leis kirrend hoben sich die Mannen vom Boden und klommen aufwärts. Rechts und links folgten die Scharen den Sturmländern. Am Strand sprengte Frute, die Stange des flatternden Banners im Bügel, vor die Dänen.

Den Seinen vorauf sprang Wate mit mächtigem Satz auf den Kamm droben – und brüllte: »Weg sind sie!«

Die Sporen gab Frute dem Roß und jagte hinan ...

Um Wate geschart standen die Fürsten. Über dem Höhenrücken lärmte das Heer: die Feuerstellen unter dem Kamme und am Weststrande qualmten. Mit silbernen Schaumwellen bedeckt, dehnte sich das Meer vor den Hegelingen: kein Segel, keine Mastspitze blinkte. »Die Nacht nützten sie,« rief Horand, »und uns blieb das Nachsehn. Ihre Toten allein ließen sie uns!« »Zu den Drachen hinab, ihnen nach!« brüllte Wate. – »Torheit,« sprach Frute, »halb voll mit Wunden müßten die Kiele wir laden! Schmählich wär' es gewesen, vor des Königs Mördern zu weichen, aber sie flohen, nicht wir. Ihnen nach zur Schlachtbank ins Normannenland führe ich nicht das Heer!« »Er hat recht, Wate,« sprach Horand, »wir müssen die Rache verspüren!« Die Fäuste geballt, stöhnte der Alte: »Und Gudrun?« »Gott schütze sie. Wir können es nicht!«

 

 

Die Heimkehr

Westwärts von der Meerenge der Angeln steuerte die Normannenflotte frischen Ostwinde heim. Im lichten Dunste blinkten aus der Ferne die weißen Kreidefelsen der Küste.

Auf dem Vordersteven des Königsschiffes sonnten sich singend die Mannen. Am Hinterdeck saßen die Hegelingenjungfrauen. Über der Reling lehnte Gudrun und blickte nach Osten zurück.

An den Mädchen vorüber schritt Ludwig auf sie zu. »Wohin starrst du, Gudrun? Längst versank deine alte Heimat hinter den Wogen. Nach Westen wende den Kopf: dort steigt die neue dir auf.« »Ein Herz nur hab' ich und eine Heimat, die lausche ich nicht!« »Törin, was sperrst du dich wider das Schicksal? Tot ist dein Vater. Ich mein es dir gut!« Sie sah ihn groß an. »Sein Mörder sagt es mir!« Dunkelrot im Gesicht ward der König. »In ehrlichem Kampf war's: der Bessere siegte!« »Nein,« sagte sie, »sonst ständet Ihr nicht vor mir!« Jäh hob Ludwig den Arm. »Du schmähst mich! Du wagst es!« Aufs Deck sprang Hartmut. »Vater, willst du sie schlagen?« Grollend wandte Ludwig sich ab. »Zähme du ihr die Zunge, sonst kommt es noch wahrlich dazu!«

»Was scheltet Ihr Euren Vater?« sprach Gudrun. »Dank seid Ihr ihm schuldig: was Ihr begannt, eifert er zu vollenden!«

Ein Boot stieß vom Bord des Königsschiffs ab, ein Segel ging am schlanken Mastbäumchen auf, blähte sich rauschend und legte sich schräg. »Wir melden Euch zeitig daheim!« rief der Führer vom Schnabel. Pfeilschnell glitt das Boot hin.

*

Am Turm zu Kassiane ging das Banner hoch. Ueber den Hof wälzte sich die Menge jauchzend zum Tore hinaus.

In Ortruns Schlafkammer eilte Gerlinde, die Krone im Haar, den Schleier über die Schulter geschlagen. Auf dem Bett saß das Mädchen, den Krauskopf in den Händen. »Kind, noch immer im Alltagsgewand! Schicke dich schnell: ums Vorgebirg segeln sie schon. Ehre antun mußt du dem Bruder: heim bringt Hartmut die Braut!« Das Gesicht hob Ortrun, die hellblauen Augen in Tränen. »Mutter, die Gudrun tut mir so leid! Ihren Vater schlug unser Vater tot – wie soll sie uns lieben?« »Deinen Vater hätte ihr Vater erschlagen, wenn er's vermocht hätt' – wär' dir das lieber gewesen?« ...

Im Hafen waren die Drachen gelandet. Durch die jubelnde Menge schritten Ludwig und Hartmut zum Burgtor. Dort wartete vor dem Hofgesinde Gerlinde und schloß die Könige in die Arme.

Eine Schar von hellen Köpfen wogte durchs Gedränge: die Hegelingenjungfrauen schritten, von Kriegern zu beiden Seiten geleitet, heran. Staunend reckte sich ringsum das Volk, und das Geschrei ward zu Murmeln und Flüstern. »Die vorne ist es! – Das Haar wie aus Silber gegossen und die Augen wie Veilchen so blau! – Wie stolz sie den Kopf trägt! – Ha, jetzt versteh' ich's, daß unsre Könige ihre Drachen dran wagten!«

Vor dem Königspaare hielt Gudrun. Da tönte ein Weheruf auf. »O du Arme, Gudrun, ach, wie schön!« Hinter den Eltern hervor sprang Ortrun, die Ärmchen gebreitet. »Gudrun, vergib uns! Nicht ich tat dir Leid an!« Um ihren Nacken schlang sie die Hände. Gudruns Lippen zuckten, und sie strich ihr sacht übers Haar. »Schuldlos bist du, Kind!«

Gerlinde runzelte die Stirne, dann tat sie einen Schritt auf die Hegelingin zu und bot ihr die Rechte. »Ich grüße Euch, Königstochter, in unserem Lande!« Gudrun sah ihr ins Gesicht. »Euer Gruß, Königin, kommt mir nicht zu. Eine Kriegsgefangene bin ich. Wollet danach tun. Nicht anders begehr ich es mir!«

*

Um den rauchschwarzen Turm der Hegelingenburg sang der Wind leise im Sonnenschein. Von den Mauerzinnen herab blickten die Knechte und Mägde zur Bucht.

Drei Drachen lagen im Hafen. Vom Strande her schritten in langem Zuge die Mannen. An der Spitze schwankte eine Bahre, von vier Schiffsleuten getragen. Daneben ging Wate im Helme, den riesigen Nacken gebeugt.

Aus dem offenen Tore hastete Hilde ihnen entgegen. »Ihr kommt – ohne Gudrun?« Wate nickte. »Ohne sie kommen wir, Herrin.« »Wo ist Hettel?« »Erschlagen ist unser König. Schwerwund bringen wir Herwig Euch heim.«

Hilde schrie auf, riß das Tuch von der Bahre und warf sich über Hettels Leiche.

 

 

 

 

In der Knechtschaft

Herwigs Siechtum

Fernhin waren die Winterwinde verbraust. Lind wehte es aus dem Süden vom Lande her übers Meer. Auf der blauen Flut schaukelten Fischerkähne im Morgen am ganzen Normannenstrand hin. Im Burggarten warfen die knospenden Bäume lichte Schatten über den sonnenhell grünenden Grund. Die Primeln blühten, Aurikeln streckten auf den blassen Stengeln ihre goldenen Krönchen.

Veilchenduft wehte. Sachte summte ein Singen. Mit dem rötlichen Krauskopf über die Beete gebückt, pflückte Ortrun Blumen.

Mit dem Arm auf den Fenstersims gestützt, blickte Ludwig den Sohn in der Kemenate an, der stand hinter dem Stuhle der Mutter. »Nun, Hartmut, ein Jahr wird es bald, daß wir Gudrun heimbrachten: was hast du mit deinem Liebesgirren bei ihr gewonnen?« »Sie blieb, die sie war,« sprach Gerlinde, »vom ersten Tag an bis heute. Unsre Gefangene sei sie, so sagt sie, und trägt ihren Kopf hoch!« »Wie lange noch, Sohn, gedenkst du mit Lammsgeduld um sie zu werben?« Finster sah Hartmut ihn an. »Ihrem Gram gönne ich Zeit. Den Vater erschlugen wir ihr.« »Willst du ihn ihr wiedererwecken?« Er stieß den Stuhl zurück und schritt zur Kammer hinaus. »Zu meiner Zeit hieß es, Mannesgewalt zähmt zur Minne die Maid!«

»Nichts als Gewalt kennt der Vater,« rief Hartmut, »starr und hart wie aus Holz ist sein Herz!« Gerlinde sah unter den halbgeschlossenen Lidern zu ihm auf. »Krieg, Hartmut, ist stets die Minne zwischen dem Mann und dem Weib: wer kühner im Kampf ist, gewinnt!« »Mutter, ließ ich's an Kühnheit im Kampfe je fehlen? Verstehst auch du es denn nicht? Mehr begehr ich von ihr, als daß sie sich fügt: daß sie mich lieben soll, will ich!« »Wie willst du dazu sie zwingen?« »Ja, Mutter, ich will's und ich werd' es, und müßt ich noch zehn Jahr um sie werben!« Gerlinde nahm seine Hand. »Mein Hartmut, so gelingt es dir nie! Ihren Hochmut nur nährt's, hat sie es stets vor Augen, wie du dich um sie grämst! Daß du auch ohne sie sein kannst, laß sie erfahren: so beugt man am ehesten Mädchentrotz, glaub mir's!« Er schwieg. – »Krank bist du, Hartmut, mager und welk sind deine Wangen geworden. Frische Luft braucht der Kranke: reite für eine Weile vom Hofe, genug gibt es an unseren Marken zu tun!«

Da warf Hartmut die schwarzen Locken zurück. »Ja, Mutter, Luft brauch ich, recht hast du: ich reite!« »Tu es, Sohn, und mich laß es auf meine Weise bei Gudrun versuchen. Besser auf Weiberherzen verstehe ich mich als du!«

*

Im weiten Schlafsaale der Hegelingenjungfrauen surrten die Räder. An der Fensterwand vor den Betten spannen die Gespielinnen, Gudrun in ihrer Mitte. »Sie glaubt's nicht, Hildeburg,« wisperte Hergart, »aber wozu sollten sie unter sich lügen? Die Stallknechte belauscht ich, wie sie mit den Kauffahrern sprachen: ein Häuflein von Männern, die vom Wülpensand kehrten – alles andre sind Knaben und Greise im Hegelingenland und in Seeland!« Hildeburg seufzte. »Wär es anders, so säßen wir nicht noch hier!« »Und König Herwig starb an seinen Wunden!« rief Hergart lauter. Da wandte Gudrun den Kopf und sprach: »Lügenmären hörtest du: wäre er tot, ich wäre die erste, die's spürte!«

Ortrun trat ein, strahlenden Auges, einen Blumenstrauß in den Händen. »Den bringe ich dir, ist er nicht schön?« Gudrun zog sie an sich und küßte sie auf die Stirn. »Du bist lieb zu mir, Ortrun!« »Ich bin es doch nicht allein, auch Hartmut ist es zu dir,« sprach sie leis. Gudrun nahm schweigend den Faden. Ortrun streichelte ihr die Wange. »Schwester, bist du mir bös? Aber für immer mußt du nun doch bei uns bleiben, und so traurig ist Hartmut. Ich möchte ja nur, ihr beide sollt wieder froh sein!« »Ein zärtliches Herz hast du, Kind,« sagte Gudrun, »noch hat es dir niemand verletzt!«

*

In der Halle unten ging Ludwig auf und ab mit dem Marschall Bodo, der gab ihm Bericht. Da kam Hartmut herein. »Vater, um Urlaub möcht' ich dich bitten.« Ludwig blieb stehen. »Wohin?« »Zum Grafen Gisbert, daß ich ihm helfe. Gestern erst klagten es uns die Boten von der Ostmark, immer wieder sengen und plündern in ihren Dörfern die Räuberhorden der Franken!« Erstaunt blickte der König ihn an. »Plötzlich kam dir der Wille. Aber mich freut's, daß du dich wieder auf Männerarbeit besinnst. Alle Hände voll zu schaffen wirst du drüben bekommen!« Hartmut straffte sich auf. »Nicht eher kehre ich wieder, als bis ich dem Unfug ein Ende gemacht.« »Recht, Sohn, wann willst du reiten?« »Morgen früh, denke ich, Vater.« »So bald schon? Aber wenn's dich so heiß treibt, mir kann es recht sein!«

*

Über den Hof schritt Graf Bodo zu den Ställen und schlug in die Hände. In die Türe traten die Knechte. »Leute, an die Mark in den Osten will König Hartmut schon morgen. Sechs von euch reiten mit ihm. Du, Rottmeister, bestimmst sie. Reisekost und Futter für die Gäule braucht's auf acht Tage. Drei Saumtiere werden langen. Bis heute abend ist mir alles gerichtet, verstanden!«

»Graf Bodo,« rief es leis hinter ihm. Über den Gartenzaun lugte Hergart hinüber. – »Ah, Ihr seid es, mein Kind! Was steht Euch zu Diensten?« »Sagt, was ist's, daß der Königssohn so plötzlich davon will?« »Was schenkt Ihr mir, wenn ich's Euch sage?« »Nichts zu verschenken hab' ich!« Sie huschte weg.

*

In die Kemenate kam Ortrun gelaufen. »Mutter, ist's wahr, will Hartmut von uns fort?« Gerlinde nickte. – »Warum denn? ist es, weil Gudrun ihn nicht zum Mann haben mag?« »Ja, Ortrun, die soll jetzt einmal in eine andere Zucht kommen!« »Mutter, sei nicht böse zu ihr!« »Wie sie es selber will, so werde ich zu ihr sein!«

*

»Hörtet ihr's schon?« rief es Hergart unter die Spinnerinnen im Schlafsaal. »Gudrun, du wirst dich freuen: König Hartmut reitet morgen weit weg, und nicht so bald, sagen sie, kehrt er wieder!« Hildeburg zuckte leise zusammen. Gudrun sah gleichgültig auf. »Warum soll ich mich freun? Er oder ein andrer, wenig kümmert es mich, wer es ist: die Freiheit verloren wir, Mädchen!«

*

Schwerbepackt hielten in aller Morgenfrühe die Saumrosse und die Gäule der Knechte vorm Stalle. Unter der Burgtreppe schüttelte Hartmuts Rappe die Mähne und knirschte ins Gebiß. Auf dem Hofe sammelten sich die Mannen und das Gesinde.

Aus dem Schlafsaale führte die Schaffnerin die Jungfrauen über die Stiege hinab. Verlassen starrten drinnen die Spinnräder an der Wand. Vor der Königstochter stand Hartmut in Helm und Mantel. »Gudrun, sie warten drunten auf mich: in den Kampf zieh' ich nun gegen die Räuber an unseren Marken. Lang wird es währen, bis ich zurückkommen kann, wenn Speer und Schwert mich verschont. Wollt Ihr mir die Hand auch zum Abschied nicht reichen?« Sie legte den Kopf in den Nacken. »Wie könnt' ich es, König? Die Meinen verraten würde die Hand, die ich Euch reichte!« In seinen Augen blitzte es auf. »Täuscht Euch nicht, Gudrun: so groß wie meine Liebe zu Euch, so fest ist mein Wille. Nie wieder seht Ihr die Euren, ob ich leben bleib oder falle!« »Darüber entscheidet ein andrer als Ihr!« ...

Er ging. Auf dem Flur vor dem Schlafsaale sah er Hildeburg, die beugte sich zum Fenster hinaus. »Hildeburg!« rief er. Sie fuhr erschrocken herum. – »Ich scheide. Mein Trost am Hegelingenhof wart Ihr einst – gönnt auch Ihr mir kein gutes Wort auf den Weg?« Mit traurigen Augen sah sie ihn an. »Ihr seid es selbst, der mir den Mund verschließt, König Hartmut!« ...

Zum Burgportal hinauf gaffte die Menge vom Hofe. Über die Treppe geleiteten Ludwig und Gerlinde den Sohn. Bei der Hand hielt Ortrun den Bruder, die Augen voll Tränen. »Hartmut, komm schnell zurück von den Franken, bang wird es mir nach dir sein!« »Schlag wacker drein, Sohn!« rief der König. Gerlinde umarmte ihn. »Mutter,« sprach er, »mein Liebstes lasse ich dir, behüte mir Gudrun!« Er sprang in den Sattel, Heilrufe brausten, mit dem Gefolge trabte er zum Burgtor hinaus ...

Vom Flurfenster sah Hildeburg dem Königssohn nach, bis er fernhin im Walde mit den Knechten verschwand. »Leides genug hat er uns allen getan, hassen müßte ich ihn! Bin ich denn ungetreu, daß ich's nicht kann? Warum, o Gott, fügtest du es, daß er mir lieb ward?«

An ihr vorüber rauschte Gerlinde. »Wo ist Gudrun?« Hildeburg wischte sich schnell über die Augen und wandte sich um. »Im Schlafsaale, Herrin!«

Die Königin schritt über die Schwelle. Von der Bank hinten erhob sich die Hegelingin. Gerlinde strich sich mit der Linken eine Flechte des schwarzen Haares zurück und legte die Rechte auf die Lehne des Sessels vor sich. »Gudrun, zu reden hab' ich mit Euch. Hartmut ritt weg. Klar muß es nun zwischen uns werden. Was gedenkt Ihr an unserem Hofe zu sein: Die Braut unseres Sohnes oder eine kriegsgefangene Magd? Es ist möglich, daß wir einander nicht lieben, aber mit Hartmut rechte ich nicht um seine Wahl, und als Tochter will ich Euch halten. Nun wählt Euch selbst Euer Los!« »Ließ ich's an Klarheit je fehlen?« »Bedenkt es wohl, Gudrun: mit leichter Arbeit, mit Spinnen und Weben verdientet Ihr bisher bei uns Euer Brot. Anders würde das werden!« »Tut, was Euch die Scham nicht verbietet.« »Ihr seid nicht allein, für Eure Gespielinnen wählt Ihr mit Euch!« »Ist eine darunter, die sich eine leichteres Los erkaufen möchte mit meiner Ehre, glaubt Ihr, die wäre mir's wert, daß ich mich um sie sorgte?« »Wohl, Gudrun, die Zeit wird es lehren, ob Euch der Trotz nicht zerbricht!«

*

In der Kemenate der Königin stand Hildeburg, den Kopf leis gesenkt, vor der Schar der Hegelingenjungfraun. Vom Sessel blickte Gerlinde mit scharfem Blick unter sie. »In meine Obhut hat der Königssohn seine Kriegsgefangnen gegeben. Ein milder Herr war er euch, und eine milde Herrin will ich euch werden, aber nicht ohne Unterschied allen wie er. Eine ist, die ihr kennt, die trägt ihren Kopf, als ob sie hier Königin wäre. Die soll jetzt spüren, daß ich's bin! Wer von Euch etwa zu ihr zu halten gedenkt, möchte ich wissen?«

Dichter drängten sich die Mädchen um Hildeburg, die sprach: »Nicht Mägde, Königin, Edelkinder und Gudruns Gespielinnen sind wir. Von unsrer Herrin zu lassen steht uns nicht an.« »Es ist recht, wer ihr im Trotze gleich ist, soll es ihr im Leide auch werden!«

*

Die letzten Strahlen der Abendsonne blitzten im Schlafsaal, zu den Spinnrädern kehrten die Mädchen zurück. »Was wollte Gerlinde von euch?« fragte die Königstochter. – »Sie verhieß uns und sie drohte,« sprach Hildeburg, »entzweien will sie uns, Gudrun, mit dir!«

Da schallte ein Schluchzen von draußen, und Ortrun stürzte herein. An Gudruns Brust warf sie sich weinend. »Scheiden soll ich mich von dir! Nicht ansehn soll ich dich mehr und nicht mit dir reden! Verboten hat mir's die Mutter!« Schweigend schauten die Mädchen einander an. – »Was soll ich tun? Sage du es mir, Gudrun!« Die strich ihr über das Kraushaar. »Sorge dich nicht um mich, Ortrun, und folge der Mutter!« »Gram wirst du mir werden, nicht liebhaben, Gudrun, wirst du mich mehr!« »Die einzige warst du, die ohne Arg freundlich zu mir war; immer wirst du mir lieb sein wie eine Schwester!«

»Ja, Mädchen,« sprach Gudrun, nachdem das Kind weinend aus der Kammertüre geschlichen, »nun sagt uns Gerlinde den Krieg an, nun muß es sich zeigen, ob wir es wert sind, daß die Männer ihr Blut für uns ließen!«

Schwere Schritte schlappten vom Gang her, und auf die Schwelle trat die feiste Obermagd, die Hände in den Hüften. Höhnisch blickte das rote Gesicht über dem gedrungenen Halse. »He, ihr!« rief sie, »hinab mit euch in die Kammer, die Arbeitskittel zu holen!« Die Brauen zog Gudrun hoch. »Was soll das?« »Na, denkt ihr morgen die Gänge in Samt und Seide zu kehren? Mit dem Faullenzen auf den Ruhebänken ist's für euch aus!«

Von den Spinnrädern fuhren die Mädchen auf. Die Lippen preßte Gudrun zusammen. »Kommt,« sprach sie und schritt den Gespielinnen voran.

 

 

Eine einzige Fackel nur noch schwelte in der Königshalle zu Matelane. Unter dem leeren Hochsitz saßen Frute und Horand beim letzten Becher. Vor ihnen hockte Ortwin auf einem Schemel. »Dreizehn Jahr werd ich bald!« rief er, »zwölf war Siegfried, der Held, als er den Lintwurm erschlug. Zum Kampfe tauge ich lang!« Die Hand auf den Scheitel legte ihm Frute. »Nicht ein kühner Kämpe bloß, ein König sollst du werden, und ein König, der muß auch seinen Mut noch zu bändigen wissen!« »Ungerächt liegt der Vater im Grabe, im Elend sitzen seit einem Jahre Gudrun und unsere Jungfraun – wie lange noch wollt Ihr warten?« »Leer sind unsre Schatzkammern und Zeughäuser, Ortwin,« sprach Horand, »und mit den Toten können wir unsere Drachen nicht bemannen!«

Ein kahlköpfiger Alter mit hoher bleicher Stirn trat in den Saal. »Nun, Meister,« rief Frute, »wie geht es Herwig?« »Immer das gleiche, Herr: eine Wunde geht zu, die andre bricht auf, und ein Fieber schüttelt ihn nach dem andern.« »Sagt, wird er je heil?« Der Wundarzt zuckte die Achseln. »Lang, ihr Herrn, kann es währen.« ...

Im Siechenzimmer saß Hilde an Herwigs Lager. Im Dämmerschein der Ampel zuckte sein hagres, bleiches Gesicht mit weitaufgerissenen Augen. »Wo ist sie?« stöhnte er und hob die Arme, kraftlos sanken sie nieder. – »Wer, Herwig?« »Gudrun! Hier war sie, im Gang lang und dunkel, da ging ein Licht auf! Sie kam!« Hilde beugte sich über ihn. »Du hast geträumt, Herwig!« Mit einem Ruck fuhr er auf. »Der König fiel! Sie schreit, sie schleifen sie an den Haaren! Seeländer, herbei!« Keuchend fiel er zurück in die Kissen. Die Binde auf der Stirne rückte ihm Hilde zurecht und weinte.

*

In der Eichendiele Wates zu Stürmen knatterten über dem offnen Feuerherde die Scheite. »Trink, Irold!« rief der Alte. Den Krug schob der Friesenfürst von sich. »Mir schmeckt's nicht mehr, seit wir vom Wülpensand kamen. Schlecht hat uns Frute geraten: den Normannen nach hätten wir sollen, in Ehren gefallen wären wir und brauchten uns nicht in Schmach und Ohnmacht zu grämen!« »So,« rief Wate, »tot sein möchtest du jetzt! Und Gudrun und unsre Jungfraun? Nein, Mann, und müßt ich hundert Jahr werden: in die Grube fahr ich nicht eher, als bis ich Rache genommen! Was, ein Bursch wie du und verzagen! Miteinander, ich sag dir's, schlagen wir noch einmal das Tor ein zu Kassiane!«

*

Im Hochsitz auf dem Königsgehöfte zu Seeland strich sich Herzog Helmnot den Bart. Schweigend horchten die Mannen auf den Bänken. »Den Platz hier, Volksgenossen,« sprach er, »werde ich unserm König wohl länger warm halten müssen. Noch immer eitern ihm seine Wunden. Aber an seinen Augen erkannt ich's: der zwingt auch das Fieber, wie er manches als Knabe schon zwang! Und bis dahin, Brüder, beißen wir halt unsre Zähne zusammen und schleifen die Äxte!«

 

 

Über den Hügelwiesen an der Ostmark des Normannenlandes qualmte aus den niedergebrannten Hütten eines Dorfes der Rauch. Quer über der Gasse lag einer mit gespaltenem Schädel; den Speer im Rücken hing ein andrer über den glimmenden Balken. Auf dem Marktplatze kauerten die Weiber mit den Kindern zwischen dem geretteten Hausrat und jammerten laut.

Die Sonne sank. Aus dem Wald schritt ein Haufen Bauern mit Äxten, Sensen und Knütteln über den Schultern. »Hättet ihr uns nur früher gerufen, Nachbarn,« sprach der Führer, ein Weißbart, dem funkelten die Augen grimmig aus dem roten Gesichte, »der ganzen Bande hätten wir die Knochen im Leibe zerschlagen! Nun, die paar, die wir noch erwischten, die wenigstens sengen nicht wieder!«

Von Westen her dröhnte es in einer mächtigen Staubwolke heran: über die Landstraße jagte eine Reiterschar mit verhängten Zügeln. »Die Königsleute!« riefen die Bauern und rannten ins Dorf.

Auf dem Marktplatz hielt Hartmut zu Roß. Hinter ihm schwenkte Graf Gisbert das Banner. Um sie drängten sich wehklagend die Weiber. Die Hand hob Hartmut, zornig blitzten seine Augen, »Anders wird's jetzt, ich, euer Königssohn, schwör's euch: nun greifen wir sie in ihren Schlupfwinkeln an!«

 

 

Die Genesung

Über die Schären vor einem Fjord hoch im Norden brauste der Westwind und trieb die Wellen in den Engen zwischen den Inseln zu schäumenden Kämmen empor. Auf einem grauen Felsblock saßen unter einem Tannenstamm der Seekönig Sigurd und sein Freund Hakon. Den flachsgelben Knebelbart drehte der kurze stämmige Wiking. »Frei vom Eise wurden die Küsten,« sprach er, »Zeit wird's, daß wir unsre Segel richten und spannen!« Sigurd kraute sich den Strubelkopf und knurrte: »Mir ist's bald verleidet. Was ich wollte, das darf ich nicht, und ums andre scher ich mich wenig!« »Weiß schon: weil du den Hegelingen und Seeländern Urfehde geschworen! Hast du's gehört? Zwei Jahre lang lag er siech, der Herwig, zu Matelane, und nun bessert's ihm wieder.« »In der Klemme hatten wir ihn: niemals wär mir der Duckmäuser zum Wülpensande entkommen; aber freilich: ihr und, den Gott verdamme, der Svein!« »Ja, kräftig hat uns damals der Horand über die Ohren gehauen!« »Ihr selber tatet's! Was hörtet ihr nicht auf mich!«

 

 

Vor dem offenen Fenster der Siechenstube zu Matelane jauchzte im jungen Lindenlaub eine Drossel. Über das Bett in der Kammer spielten die Sonnenstrahlen, und die frische Morgenluft wogte hinein. In den Kissen aufgerichtet, saß Herwig mit der Binde um die Stirn. An seinem Lager standen Hilde und Ortwin. »Lang lag ich krank,« sprach er mit leiser Stimme. – »Zwei Jahre sind's bald,« entgegnete Hilde, »schonen mußt du dich, Sohn, spar dir das Sorgen auf später!« »Das Fieber wich, klar sehe ich wieder, was ist. Warum sucht ihr mir, was geschah, mit halben Worten zu hehlen? König Hettel fiel; in meinen Armen sank er zu Boden. Gudrun entführten die Feinde. In ihrer Gewalt ist sie, und zu schwach sind wir, sie wiederzuholen.« Er sank zurück.

Das Gesicht in den Händen, stöhnte Hilde. »Meine Tochter!« »Ja, Herwig,« rief Ortwin, »in schamloser Feinde Gewalt ist Gudrun. Magddienste tun, die Ofen heizen muß die Königstochter der Hegelingen, die Fußböden kehren muß deine Braut bei den Normannen, und den Staub von den Bänken wischen unsre Jungfrauen mit ihren Haaren!« »Mein ist die Schuld!« weinte Hilde. »Der Fluch meines Vaters ist's, der trifft mich im Kinde!« Herwig reckte sich auf. »Nicht Zeit, um zu klagen und anzuklagen ist, Mutter. Die Zukunft begräbt, wer sich um Vergangenes grämt. Zu Kräften müssen wir kommen, um Gudrun zu retten. Ich will's, und wir werden es!«

*

Das Korn reifte über den Feldern. Verstummt war lange der Vogelgesang. Im warmen Sommerwind wogten die vollen Laubkronen der Linden. Unter den Bäumen im Burggarten schritt Herwig, auf den Stock gestützt; tiefrot in die bleiche Stirn hinein zog sich die Narbe vom Schwerte Ludwigs. Frute ging an seiner Seite. »Herr, hegt Ihr noch Groll gegen mich?« »Warum, Frute, sollt ich Euch grollen?« »Wenn Ihr's vergaßt, ist es gut. Gudrun dem Normannen zu geben, hatte ich Hettel geraten, und in unsrer Not zu Seeland rühmt ich mich dessen vor Euch.« »Ihr rietet ihm, Frute, so wohl, wie Ihr's wußtet.« »Ich hätt' es nicht wieder geraten! In ein unedles Königshaus hätten wir Gudrun gegeben; ihre eigene Ehre schändet Gerlinde an unser« Jungfraun. Weitum in den Ländern raunen und schelten darüber die Leute. Nicht genug war es ihr, unsre Töchter zu niederm Dienste zu zwingen: auf der Dirnen Geheiß ihnen zum Gelächter, müssen sie für sie die schmutzige Arbeit verrichten!«

Herwig sah zwischen den Stämmen hindurch ins Weite.

»Geduld, Herr, lernt ich in langem Leben, und doch, auch mir altem Manne fällt's schwer, es tatenlos zu ertragen. Anders werden muß es bei uns. Der König fiel, ein Knabe von fünfzehn Jahren ist Ortwin. Mit der Königin und mit Horand besprach ich's: zum Rate entboten wir all unsre Fürsten, auch Herzog Helmnot baten wir, Herr. Ein Oberhaupt fehlt, das uns gebietet, uns allen, die wir miteinander gelitten, von Seeland bis zu den Holsten!«

*

Das Herbstlaub rauschte von den Bäumen. Golden glänzten die Gartenwege von den niedergesunkenen Blättern. Von Hufgeklapper hallte es vor der Burg. Über den Hof zogen die Knechte die Saumtiere zu den Ställen. »Ha, ihr Sturmländer seid's!« schallte es. »Wie lange, Brüder, nicht mehr gesehen?« »Grüß euch, Friesen!« »Heil, Holsten!« »Schaut, da kommen die Seeländer auch: am Wülpensande saßen wir das letztemal beisammen, Gesellen!« ...

In der Halle harrten die Fürsten vor ihrem Gefolge. Zwischen Horand und Frute ragte Wates zottiger Schädel. Leise sprach Herzog Helmnot mit Irold. Über die Scharen der Seinen blickte Morung zurück.

Aus der Innentüre kam Ortwin, ein hochgewachsener Knabe, das gelbe Haar bloß, einen Purpurmantel um die Schultern. Dem Sohn folgte Hilde im schwarzen Trauerkleide mit Herwig.

»Gottlob, er genas!« flüsterte Helmnot. Irold nickte. »Kühn und fest blickt er wie früher! Aber wie schoß der Königssohn auf!«

Ortwin trat unter den Thronsitz, hell klang seine Stimme: »Älter als ich seid ihr alle hier in der Halle, ihr Herren, aber heut ist es an mir, zu euch zu reden. Leer steht seit langem der Herrscherstuhl über uns. Er harrt auf den Führer. Ich, Hettels Erbe, allzujung bin ich in unsern Nöten dazu. Doch einen älteren Bruder gewann ich. Ihren Sohn heißt ihn Königin Hilde. Er ist es, der dort hinaufgehört, er und kein andrer. So raten die Mutter, so raten Frute und Horand mit mir. Heil, Herwig, mein Bruder, führ uns zur Rache!«

»Heil, Herwig!« schrie Wate und riß das Schwert aus der Scheide. »Heil, Herwig!« dröhnte es durch den Saal.

Nach seiner Rechten griff Ortwin mit beiden Händen. In die strahlenden Augen sah ihm der Seeländer. »Wohl, Ortwin, auf meine Schultern nehm ich die Last, bis die deinen stark genug sind, sie zu tragen.« Die Stufen zum Hochsitz stieg er empor. »Ihr ruft mich: zur Befreiung soll ich euch führen. So hört meine erste Botschaft an euch. Wer den Grimm nicht verhalten will in seinem Herzen und nicht ausharren kann, wer sich selbst nicht zu zähmen vermag – wer nicht zu folgen versteht, den kann ich nicht brauchen!«

»Wir wollen es!« brauste es durch die Halle ...

Reisemüde schliefen die Mannen lange schon in den Kammern. Aus dem Fenster der Königin glänzte Licht. Am Tische um Herwig versammelt, saßen die Fürsten. »Ihr Herrn, ihr reitet morgen. Besendet eure Städte, die Märkte, die Dörfer. Nicht wir Edeln und Krieger allein können das Werk der Befreiung vollenden: geborsten sind unsre Drachen, zerbrochen die Waffen, geraubt unsre Schätze – das ganze Volk muß es schaffen!« »Und wann, Herwig,« fragte die Königin hastig, »wann brecht ihr auf?« Er holte schwer Atem und schwieg. Dann sprach er: »Nicht eher, Mutter, als bis unsre Knaben zu Männern erwachsen.« Nach seinem Arm griff sie. »Herwig, denke an Gudrun, wenn sie in Schmach und Not, wenn sie im Elend verzweifelt!« »Ich denke an sie. Gudrun verzweifelt nicht, Mutter, sie weiß es, ich komme!« ...

Durchs Dunkel rauschte vom Strand her das Meer. Auf der Altane stand Herwig. Stumm funkelte der weite Sternhimmel über ihm. »Ein König bist du über allen Königen droben: Allmächtiger, stärke Gudrun! Herr, gib mir Kraft, daß ich meines Herzens Unrast zwinge und dir vertraue!«

 

 

Am Strande des Stromes vor der Westmark der Franken blinkten weithin die weißen Zelte des Normannenlagers. Graue, schneeschwangre Wolken wälzten sich langsam über den niederen Himmel. Vom Ufer starrte Hartmut übers Wasser zu den finstern Wäldern hinüber. In der Ferne zwischen den Wipfeln stieg einsam eine bläuliche Rauchsäule auf. Graf Gisbert, ein schwerer, großer Mann mit stachligen Brauen im verwetterten Gesichts kam vom Lager her. »Ihr wollt heimreiten, Herr?« »Warum sollt ich es nicht? In einem Mond kehr ich zurück.« »Es ist nur ... die Bauern bangen, allerhand fremdes Gesindel taucht im Land wieder auf.« »Wenn ich warten wollt, bis den Bauern das Bangen vergeht, dann könnt ich mein Lebtag hier bleiben!« »Auch unsere Späher melden, durch die Wälder drüben streifen neuerdings verdächtige Haufen!« »Ihre Räubernester verbrannten wir ihnen, nun irren sie im Dickicht umher. Ihr sorgt Euch umsonst. Morgen früh reit ich, Gisbert!« »Jawohl, Herr.«

Auf einen Uferstein saß Hartmut nieder. »vergessen wollt ich: achtzehn Monde Mord, Brand, Kriegsgeschrei – und alles versinkt um mich wie ein Spuk. Sie allein seh ich, wie sie kühl und stolz die Hand zum Abschied mir weigert! Nein, nicht eher taug ich wieder zum Kriegswerk, als bis ich's erfahren, ob sie ihren Sinn noch nicht geändert! Mag er recht haben mit seinem Warnen, der Alte; ich breche auf!«

 

 

 

Durch die Mauerritzen und Fensterluken blies der Abendwind kalt in den Schlafsaal der Jungfrauen zu Kassiane. Es dämmerte. Auf den Schemeln vor ihren Betten saßen die Mädchen in grauen geflickten Arbeitskitteln. Müd hingen die Köpfe. Traurig sah Gertrud auf ihre roten zerschundenen Hände. »Denkst du es noch, Gudrun, wie wir durch den Wald gingen und sangen? Wer wollte jetzt wohl mit uns etwas tauschen?« »Was waren unsere Sorgen?« seufzte Mechthild, »wer die erste beim Ballspiel wäre und wer sich am zierlichsten schmückte!« »Was Elend ist, wußten wir nicht,« sagte Gudrun. »›Herrin,‹ sagte mir einst eine alte Magd, ›Ihr meint es gut, aber wie unsereinem in der Knechtschaft zumut ist, wie solltet Ihr das verstehen!‹ Nun lernten wir es, das Leid auch der Geringsten zu fühlen!«

In die Tür huschte Hergart. »Mädchen, große Botschaft: König Herwig starb nicht!« Sie sprangen von den Schemeln aus und scharten sich um sie. »Ist es wahr? – Wie hörtest du's? – Sprich!« »Er lebt, er ist von seinen Wunden genesen!« »Ist's auch gewiß?« »Freilich, ein schiefes Gesicht schnitt Gerlinde, als sie es erfuhr, und König Ludwig brauchte lange Zeit, bis er's glaubte, zu sauer bedünkte ihn, scheint's, das Gericht, es auf einmal zu schlucken!«

Mit dem Rücken an der Wand saß Gudrun, und ihre Augen glänzten. »Ich wußt es!«

»Wer sagte dir's, Hergart?« forschte Hildeburg. – »Der Marschall selber!« »Du bist recht freundlich zu ihm!« »Er ist es zu mir, warum sollt ich herb mit ihm sein?« »Wenn du es nicht selber weißt, Hergart!« »Was habt ihr nur wider mich? Stets schmält ihr alle mit mir!« Ihre Stimme erbebte und sie weinte auf. »Ist es nicht schwer genug so, was wir um Gudrun erleiden? Kann Graf Bodo dafür, was seine Herren getan?«

 

 

Die Mägde

Über der Normannenburg graute der Morgen. In den Gängen kehrten und putzten die Hegelingenjungfraun. Auf dem Flur unten fegte Hildeburg vor der Türe.

Jubelrufe tönten vom Hof her, und Hufschläge schallten. Sporen klirrten über die Stufen. Die Türe flog auf. Im dunkeln Reisehut schritt Hartmut über die Schwelle. »He, ihr Mägde, meldet dem König mein Kommen!« Ins Gesicht sah er ihr – und blieb starr stehen. »Hildeburg, Ihr seid's?« Sie griff nach dem Stiegengeländer. »Ja, König Hartmut!« »Im Magdgewande?« »Mein Tagwerk verricht ich!« »Wer schaffte Euch das?« »Die Königin!« »Meine Mutter? warum?« »Weil wir unsrer Herrin Gudrun die Treue nicht brachen!« Die Zähne biß er zusammen und schritt schnell an ihr vorüber die Treppe hinauf ...

»Wer kam?« fuhr Ludwig in der Kemenate die Zofe an. – »Euer Sohn, Herr!« Da stand er schon in der Türe. Aus dem Sessel erhob sich Gerlinde. »Du, Hartmut?« Die Stirn runzelte Ludwig. »Woher, Hartmut, so bald? Nicht eher erwartete ich dich, als bis du die Ostmark befriedet: ist es geschehen?« »Noch nicht, Vater!« »Was für eine wichtige Botschaft bringst du denn, die du keinem andern vertrautest?« Hartmut warf den Kopf auf. »Es litt mich nicht länger. Zwei Jahre bald war ich nicht mehr daheim!« »Das heißt, so wie ich es verstehe: um dein Püppchen wiederzusehen, ließt du deine Leute im Stich!«

»Mutier,« rief der Sohn, »Hildeburg traf ich im Gang, wie sie den Fußboden kehrte! Hast du mir so, die ich dir anvertraute, gehütet?« Ludwig stand auf. »Du schiltst deine Mutter, die sich um deinetwillen mit dem halsstarrigen Weibervolk plagt? Ihre Sache ist's, wenn sie dich anhören mag – ich gedenke nicht, es zu tun!« Zornrot schritt er aus der Kammer und schlug die Tür hinter sich zu.

»Es ist gut, Hartmut, daß du gekommen,« sprach Gerlinde, »mir scheint, wir verstanden einander nicht recht. Gudrun ziehen sollte ich dir, so meinte ich, und nicht ihr eine gefügige Wartefrau machen!« »Eine Mutter zu lassen glaubte ich ihr!« »Will sie mir ein Kind sein? Sie haßt nicht, sie verachtet uns alle! Du willst es nicht glauben? So sprich du selber mit ihr!« ...

Am Fenster stand Hartmut und starrte auf die Tür. Gudrun trat ein im grauen Arbeitsgewand. Ruhig und kühl blickten die dunkelblauen Augen aus dem schmalen Gesichte ihn an. Ein Zittern ging durch seine Glieder. »Gudrun, glaubt mir's, was Euch hier angetan ward, während ich weg war, ich wollte es nicht!« »Dann kanntet Ihr Eure Mutter schlecht – oder mich!« »Weher, als Ihr es fühlen könnt, tut es mir, in solcher Schmach Euch zu sehn!« »Mir ist's keine Schmach. Ehre und Stolz ist es mir, um die Meinen zu leiden!« »Gudrun, ein Wort sprach der Vater, das traf mich wie ein Schlag ins Gesicht: ›um sie hast du deine Leute vergessen!‹ Es ist so. Kein geringer Mann war ich einst, froh beim Fest und ein guter Geselle beim Kampf. Weggetilgt habt Ihr alles in mir, was mir einst wert war. Zum Bettelmann ward ich. Meine Sehnsucht zu stillen, weigert Ihr Euch – könnt Ihr mir wiedergeben, was Ihr mir nahmt?« Sie rückte die Brauen zusammen. »Soll ich Euch dafür büßen, was Ihr an Euch selber gefrevelt? Kann ich Euch zum Mann machen, König?« Da trat er schweratmend zurück. »So sprecht Ihr mit mir! Bloß zeige ich Euch mein Herz, und Ihr höhnt! Zu wenig Mann bin ich Euch; hart wollt Ihr mich haben! Ihr sollt es!« ...

Den Kopf in den Armen über den Knien, saß Hartmut. Die Hand auf seinem Nacken, beugte sich Ortrun über ihn. »Im Streite ging Gudrun vor dir? Bruder, laß mich mit ihr reden, ich mach's wieder gut; sie kennt dich ja nicht, wie ich dich kenne, erlaub mir's!« »Nichts kannst du mit deinen Worten ausrichten, Kind, sie will es nicht anders!« Er seufzte auf. »Geh zu den Eltern, Schwester, und sag's ihnen von mir: recht hätte die Mutter gehabt, und an die Ostmark ritte ich wieder!«

*

Der Tochter nach, die zur Halle hinausging, sah Ludwig. »Na, das muß ich sagen,« rief er und schlug mit der Hand auf den Tisch, »jetzt glaube ich's bald, daß er vom Verstand kam! Wie ein Narr kommt er hergehetzt, und wie ein Wahnwitziger sprengt er gleich wieder davon! Ist das unser Sohn? Und was für einen Kämpen, was für einen König, Gerlinde, versprachen wir uns einst von ihm!« Sie verzog den Mund. »Mit Gudrun redete er: sie ist's, die ihn verjagt. Aber entgelten soll sie es mir!« »Hörst du die Rosse draußen?« rief er. »Mir scheint, ohne Abschied will er davon. Nun, das kann ich verstehen: sich zu schämen hat er wenigstens noch nicht verlernt!«

Gerlinde schritt hastig hinaus. In der Burgtüre ereilte sie ihn. Nach ihrer Hand griff er und drückte sie heftig. »Mutter, ich fehlte vor dir, ich bekenn es: nicht eher siehst du mich wieder, ich schwör's, als bis ich mir Meister geworden!« »Unreif wolltest du die Frucht pflücken, Hartmut! Verzage nicht: Gudrun zähme ich dir, das schwöre ich, und dann rufe ich dich!« Er stieg die Stufen hinab. Da kehrte er noch einmal um. »Sei strenge mit ihr, sie braucht es, sei hart – aber grausam, Mutter, grausam sollst du gegen Gudrun nicht sein, versprich mir's!« »Sie soll liegen, wie sie sich bettet, mein Sohn!«

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Über den Hof kehrte das Gesinde zurück. »Kurz wie ein Wintertag war der Besuch!« rief's aus der Menge. – »Finster sah der Königssohn, nicht nach Wunsch, scheint's, ging es ihm bei uns aus!« »Da hat's was gegeben! Die Hegelingin, die steckt dahinter: von ihr ging er stracks in den Stall!«

Unter dem Torbogen beugte sich Graf Bodo zu Hergart nieder. »Wißt Ihr auch, mein Kind, was es für Euch bedeutet, daß Hartmut so jäh daherjagte und davonritt? Eure Schonzeit verstrich; ich fürchte, allzuleicht wird die Königin den Dienst in den Kammern von nun an für Euch finden!« Sie sah erschrocken zu ihm auf. Er zwirbelte den Schnurrbart. »Um Euch, Schätzchen, tut es mir leid; ein besseres Los wünschte ich Euch, aber Ihr sträubt Euch, es aus meinen Händen zu nehmen!« »Wie dürft ich's: Ihr seid ja unser Feind!« »Was scheut Ihr? Gudruns Schelten, Eurer Gespielen Geschwätz? Die werden bald stumm werden, glaubt es mir, Hergart!« »Aber Herwig? und die Hegelingen?« flüsterte sie ängstlich, »Gudrun sagt es, sie kommen!« Er lachte auf. »Ein Krüppel ward Herwig, wenn er je wirklich genas, und die Hegelingen haben für immer am Wülpensande genug!« Er hob ihre Hand. »Die Fingerchen seht, zu zart, um Seide zu spinnen, und nun so blutig gerissen! Fällt es Euch denn so schwer, mich ein wenig zu lieben?«

 

 

Weiße Flocken sanken dicht auf das Königsgehöft zu Seeland. Dick aufgeplustert krächzten die Raben aus dem kahlen Geäst der Bäume vorm Hause. In der Holzhalle sprach Herzog Helmnot zu den Jungen und Alten, die sich den Schnee von den Schuhen stampften: »Zum Herrn über all ihre Länder haben die Hegelingen unsern König gesetzt. Er gebot: bei den Holsten, den Sturmländern, den Friesen hallen die Äxte und dröhnen die Schmieden, und ihre Edelknaben greifen zu den Waffen und tummeln sich, daß sie zu Rächern erwachsen. Uns aber, seinen Volksgenossen, hat er mit keinem Worte geboten. Ich meine, Ihr wißt es warum!«

»Na,« sagte ein langer Bauer vorne, »er dachte sich's wohl, daß wir seither nichts andres getrieben. Unnötige Worte hätte er zu uns gesprochen!« und er stieß grimmig den Stiel seiner Axt auf den Boden.

 

 

Hergart

Das Eis in der Hegelingenbucht war zergangen. Es lenzte. Aus dem Fenster der Halle blickten Hilde und Herwig zum Hafen hinüber. Dort ruderten die Jungmannen auf den Drachen zum Üben hinaus auf die offene See.

Die Königin legte ihm die Hand auf den Arm. »Zwei Jahre sind's, daß du die Knaben unter die Waffen riefst. Zu Jünglingen wurden sie!« »Königin, nicht ihre Jünglinge nur, ihre Männer stellen uns die Normannen entgegen.« »Weißt du es, Herwig, daß eine neue Verfolgerin Gudrun erstand? Die Treue brach Hergart ihren Gespielen: des Normannenmarschalls Buhle ward sie. Herwig, mir bangt: grimmiger als der Feind hassen kann, heißt es, haßt der Verräter!«

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Kampfgeschrei scholl über die kahle Heide. Zwei Scharen stürmten unter dem Gehöft Wales in Eisenhüten und Brünnen mit Stangen und Holzschwertern gegeneinander. Die Schäfte krachten, die Hieber zersplitterten. Die Waffen warfen sie weg, Brust an Brust hämmerten sie aufeinander los mit den Fäusten, rangen, stürzten in wildem Gewühle.

»Hohoho!« dröhnte Wates rauhes Gelächter vom Hügel. »Drauf, Bursche, wacker!« »Halt,« schrie neben ihm Irold und rannte hinunter. »Kampf aus! wollt ihr einander erschlagen, Sturmländer und Friesen? Spart die Wut für den Ernst an die Normannen!«

Schwer schnaufend, rückten sie die Helme und Brünnen zurecht, vom Boden sprangen die Gefällten und hinkten heran. »Wir gewannen!« schrien die Friesen. – »Wir wurden Herr!« riefen die Sturmländer.

Irold blickte über die Waffentrümmer am Boden. »Still mit dem Streiten; keiner gewann, keiner verlor. Tüchtig schlug jeder zu. Reicht euch die Hände und kommt zum Bier in die Halle!«

Sie zogen zum Gehöfte hinauf. An Wate vorüber humpelte einer mit rotem Striemen über der geschwollenen Backe und spuckte Blut. »Hat's dich Zähne gekostet?« rief der Alte. »Wer hat dich so weidlich verprügelt?« »Verprügelt?« rief der Bursche, »den sehen solltet Ihr, den ich in der Arbeit gehabt!« »Gut mag er ausschauen,« lachte Wate, »wenn du der Sieger bist, Mark! Was, Irold, wenn die zum Kampfe nicht taugen? Ich meine, dem Herwig dürfen wir melden: wir Friesen und Sturmländer sind bereit!«

 

 

Im Normannenlager an der Ostmark drängten sich die Mannen um den Eingang zum Feldherrnzelt. Dort knieten vor Hartmut drei Bauern mit geschorenen Köpfen, die grünen Hüte in Händen. »Herr, wir hörten, Ihr wollt in den Süden reiten von uns. Da sind wir gekommen, Euch den Dank des Landes zu sagen. Euch schulden wir es, wenn denen drüben die Lust nach unserem Vieh und nach unsern Ernten verging. Ihr, Herr, habt nicht nur befohlen, selber kämpfen sahen wir Euch mitten im dicksten Gewühle, wie oft! Euer Blut habt Ihr für uns vergossen!«

Gleichmütig sah Hartmut über sie hin. »Ich tat, was ich mußte. Grüßt eure Dörfer von mir. Steht auf und geht mit dem Kellermeister, er soll euch bewirten.«

»Kurz seid Ihr mit den Bauern, Herr,« sprach Gisbert. – »Was soll ich mit ihrem Dank?« murmelte Hartmut. »Übel ständ es mir an, zu nehmen, was mir nicht gebührt; nicht um ihretwillen war's, daß ich kämpfte!« »Was Euch auch trieb, Herr, Eure Haut trugt Ihr für die ihre zu Markte: sie haben den Vorteil davon. Morgen früh brech ich auf nach Kassiane, dem Könige zu berichten.« »Und ich an die Mark im Süden. Wem lassen wir den Befehl übers Lager?« »Dem Bertram, meine ich, Herr.«

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In seiner Kammer zu Kassiane streckte sich der Marschall im Sessel, den Kopf hintenübergelegt. An seine Schulter legte Hergart weinend den Kopf. »Ich ertrug's, daß sie sich von mir abwenden, um mich nicht zu sehen, als würden sie ihre Augen beflecken; um dich, mein Bodo, duldete ich's und schwieg, dir kein Ärgernis zu bereiten.« Der Marschall blies die Luft von sich. »Aber heut, Bodo, – sie ist doch nun nichts weiter als eine Magd in Lumpen, die Gudrun, und du bist mein Beschützer – den Fußboden wusch sie im Flur, in den Türen stand das Gesinde, da richtete sie sich auf, wie ich vorüberkam, und starrte mir grad ins Gesicht, so greulich, und ja, da ward mir angst, Bodo, und ich grüßte sie, ich! Sie aber sah mich immerzu an und rührte sich nicht! Um mich ist's mir ja nicht, aber auch dich, Bodo, auch dich hat sie so zum Gelächter vor all unsern Leuten gemacht!« »Nur ruhig, Schatz,« sprach der Marschall und erhob sich, »sie soll dir Abbitte tun und dich gerne künftighin grüßen! Eine weiß ich, die wird schnell dafür sorgen: zur Königin geh ich!« Hergart nickte unter Tränen. »Ja, Bodo, sie sollen es kennen lernen, was es heißt, uns verhöhnen!«

*

Drei Tage später war's. Im Abendsonnenscheine glänzte das Meer. Schwalbenschwingen blitzten über der Felsküste der Normannen. In den erdunkelnden Feldern versank das Lerchengetriller, und die Nachtigallen schluchzten im Burggarten auf.

Einen Kranz von Maiglöckchen im Kraushaar schritt eine schlanke Jungfrau unter den Bäumen hervor. Vom Speicher sahen zwei Mägde hinüber. »Wie sie sich gestreckt hat! Vorm Jahre noch war sie ein Kind!« »Die hübscheste unter allen Normannentöchtern wird Ortrun!« »Ihr gönn ich's: die Freundlichste ist sie einmal gewiß!«

Von der Mark war Graf Gisbert eingetroffen. In der Kemenate droben saß er vor dem Königspaare. »So ward nun endlich Ruhe im Osten?« fragte Gerlinde. – »Ich glaube kaum, Herrin, daß sich so bald dort was rührt. Weit ins Frankenland hinein blinken die hohen Galgen, die König Hartmut errichtet, und oft genug sahn sie ihre Spießgesellen dran baumeln. Nun ritt er nach Süden, die Lager an den Marken zu prüfen.« Sie seufzte. »Drei Jahre werden es bald, daß er zum letztenmal bei uns war!« »Ja, Herrin, drei lange Jahre, und ich wünscht es für ihn, er ritte wieder zu Hof^ Nicht gut tut es ihm, stets unter Kriegern und ewig im Kampfe zu leben. Ein froher Jüngling war er, ein finstrer Mann ist er geworden!« »Was er versprach, schaffte er,« sagte Ludwig, »er ist willkommen, ich erwarte ihn zu Kassiane, meldet es ihm.« »Verzeiht, Herr, ich mahnte ihn, mit mir zu reiten, da erwiderte er: ›Frage die Mutter darum. Wenn sie mich ruft, komm ich, nicht eher!‹« Gerlinde senkte die Lider und schwieg. Erstaunt blickte Ludwig sie an.

Vom Hof unten gellte Gänsegeschrei; mit den weißen Flügeln schlagend, drängte sich die Herde durchs Tor. Hinter ihr schritt ein großes Mädchen mit sonnenverbranntem Gesicht, in der Rechten die Gerte. Über den Hof kamen, mit Wassereimern in beiden Händen, Mechthild und Hildeburg, und blieben bei ihr stehen. »Kommst du endlich heim, Gertrud?« »Immer noch früh genug, daß sie die Gänsehirtin verspotten! Hörtet ihr etwas von Gudrun? Erfuhrt ihr, wohin sie verschwand?« Hildeburg schüttelte den Kopf. »Umsonst war all unser Fragen und Flehen. Ins Gesicht lachen sie uns: ›sucht sie euch selbst!‹« »Mir brennen die Füße,« stöhnte Mechthild, »treppauf und treppab hetzte uns heute der Marschall!« »Wundert es dich? Hergart rächt er an uns!«

Aus dem Fenster der Kemenate streckte Gerlinde den Kopf. »He, ihr Hegelingendirnen dort unten, was habt ihr zu schwätzen? Wer hat euch Feierabend geschafft?« Dann wandte sie sich zu Gisbert. »Sagt Hartmut: eine beugte sich schon. Festhalten soll er sein Herz; nicht lange mehr wird es währen, so hoff ich, bis ich ihn rufe!«

*

Den dunkeln Kellergang stieg der Kerkermeister zum Burgverließe hinab, die qualmende Fackel hoch in der Rechten; ihm folgte Gerlinde. Vor dem eisenbeschlagenen Tor bückte er sich nieder. Das Schloß erklirrte, und die Tür knarrte auf.

Über die kahlen Mauern flammte der Fackelschein. An der Wand lehnte Gudrun in bloßem Hemde, Ketten an Händen und Füßen. In wirren Strähnen hing ihr das Haar lang hinab über Arme und Brust. »Nun, Töchterchen,« rief Gerlinde, »hast du dich besser besonnen in den drei Tagen bei Wasser und Brot? Willst du Hergart Abbitte tun?« »Abbitten, daß ich ihr recht tat? Da täte ich unrecht!« »Sie grüßt dich, und du weigerst ihr den Gruß, freche Magd! In Graf Bodos Schutz gab sich Hergart, weißt du es nicht, was sie dir damit ward? Eine Herrin!« »Sich hat sie die Ehre, uns hat sie die Treue zerbrochen! Eine Verräterin grüße ich nicht!« »So wisse, Gudrun, von deinen Gespielinnen bleibst du so lange geschieden, bis du dich dazu bequemst. Kennst du die Kammer unter der Stiege, wo der Hundeknecht hauste? Die wird dein Schlafplatz! Und einen anderen Dienst weise ich dir auch als bisher: unter die Waschweiber stecke ich dich, uns den Schmutz aus den Hemden zu spülen! Was sagst du dazu?« »Wonne bei Euch wäre mir Schmach: je weher, je besser!«

*

Silberhell schwamm der Vollmond hinter der dunkeln Felsenküste empor. Über die Burg strömte sein Licht und drang durch die hohen Bogenfenster in den Schlafsaal der Hegelinginnen. Aus dem Dunkel an der Wand blinkten in langer Reihe die Betten. Durch die Nachtstille seufzte und stöhnte es leis. Arme reckten sich über den Decken, auf den Kissen wandten sich die Köpfe von einer Seite zur andern. »Mich hungert! – All meine Glieder schmerzen! – Gudrun nahmen sie uns: nun sind wir vollends Waisen geworden!«

Eine um die andre setzte sich auf. »Auch den Schlaf hat uns Gerlinde geraubt!« Laut auf weinten sie. Hildeburg stützte sich auf den Arm. »Schämt euch! Zehnmal schlimmer als wir hat es die Königstochter, und wer hörte Gudrun je klagen?« »Ach, Hildeburg, schweig! Aus anderm Stoffe als uns Mädchen schuf Gott Gudrun das Herz!« »Kam es so weit? Ward es euch leid, länger um die Heimat zu dulden? So tut doch wie Hergart, und in Samt und Seide auf weichen Polstern werdet ihr sitzen!« »Was schmähst du uns, Hildeburg?« rief Gertrud. »Keine ist hier, die ihre Ehre verkaufte, aber wer ist unter uns, die es noch glaubte, jemals würden wir frei? Sechs Jahre harren wir nun, und keine Nachricht kam von daheim: vergessen haben sie uns! Im Elend müssen wir sterben! Was bleibt uns denn noch als Klagen?«

»In Elend, in Schande!« jammerte es im Mondlicht durch den Schlafsaal, »nie wieder sehn wir die Heimat!«

*

Vom Meere her dämmerte der Morgen heran. Über den Hof schritten die Wäscherinnen mit Körben am Arme zum Tore. Hinter der lautschwatzenden Schar ging Gudrun im grauen Kittel mit bloßen Füßen. Da stürzte Ortrun aus der Burgtüre, aufjammernd sprang sie ihr nach und umklammerte sie. »Gudrun, nein, zuviel ist das, ich leid's nicht!« Auf den Krauskopf an ihrer Schulter sah Gudrun still nieder. »Was kannst du dawider tun? Geh, Liebe, sonst hört es die Königin!« »Ich fürchte mich nicht mehr, ich frage nichts mehr nach der Mutter! Mit dir zieh ich, mit dir will ich waschen am Strande, bis sie sich schämt und besinnt!« Sanft hob Gudrun den Kopf Ortruns. »Lange dürftest du da eine Wäscherin machen! Geh, Kind, und lege dich nieder. Ein schlechter Trost wär es mir, müßtest auch du mit mir leiden, und doppelt schwer würde der Grimm deiner Mutter mich treffen!«

*

Weitum am Strande der Meeresbucht kauerten die Weiber, spülten, rangen und rieben. Schweigend wusch Gudrun unter ihnen, ohne den Blick zu heben. Wie wenn eine Schar Seevögel lärmte, schrillte das Schwätzen und Rufen um sie. »Ei, die Prinzessin, seht, wie zierlich sie's kann! – Freilich, zarte Finger greifen zart zu! – Die Hände zu ringen hat sie gelernt, nicht die Hemden! – Ruf du den Heinzelmännern lieber und lege dich schlafen!«

Von der Strandklippe schritt die weißhaarige Aufseherin heran. Die lange dürre Gestalt streckte sie, zornig blickten aus dem knochigen Gesicht die grauen ehrlichen Augen. Den Stecken schwang sie. »Schweigt, Ungeziefer! Eure Lästermäuler zu waschen täte euch not!« Sie trat zu Gudrun. »Komm, Töchterchen, abseits: ungeschickt bist du noch, ich zeige dir, wie man's angreift. Und um deren Geschrei da kümmre dich nicht!« »Ich kümmre mich nicht darum, Mutter,« sprach Gudrun, »ein andres ist's, was mir weh tut!« Sie blickte auf die See hinaus. Dort kreisten und kreischten die Möven, und zwei Schwäne zogen, im Sonnenschein blinkend, den Hals zum Gefieder zurückgebogen, über die Flut.

*

Dunkel lag die sternlose Nacht über Kassiane. Still geworden war's in der Burg, leer alle Gänge. Vom Garten her nur rauschten sachte die Bäume. Da regte sich's raschelnd hinter dem Bretterverschlag unter der Stiege; im finstern Winkel reckte sich Gudrun auf der Holzbank und hob die Arme. »Herwig, wann kommst du, wann?«

 

 

Die Wäscherinnen

In bläulichem Morgendunst schimmerte das Gehöft des Jarls auf dem Hügel zu Wik. Rings ums Gehege glänzten die Kronen der schlanken Vogelbeerbäumchen voll roter Büschel. Golden zitterte das lose Laub der Birken im sanften Wehen der Luft. Ein Habicht kreiste hoch über dem Giebel der Halle.

Vom Strande blickte Jarl Svein mit seinem Gefolge über die See. Um die Felsspitze im Süden der Bucht ruderte ein Drachen heran. »Sigurds Schiff ist es wahrhaftig!«, rief einer neben dem Jarl. »Jetzt kenn ich den droben am Schnabel: der Jökul ist's, sein alter Waffengenosse.« »Der Besuch nimmt mich wunder,« murmelte Svein, »wenig freundlich schieden wir einst!«

Am Bord zogen sie die Ruder ein. Auf den Sand fuhr der Drachen und stand. Vom Steven herab sprang Jökul und lüpfte den Helm. »Sigurd Seekönig, Herr, wünscht Euch noch lange und glücklich zu leben!« »Wie?« rief der Jarl, »Sigurd ist tot?« »Erschlagen ist er. Da dachte ich, es wär an der Zeit, die Zwietracht zwischen uns zu begraben.« »Wer fällte ihn?« »Eine Axt war's in Seeland.« »In Seeland? Den Seeländern schwur er mit uns ewigen Frieden!« »Freilich, Herr, und lange hielt sich auch Sigurd daran, aber schließlich meinte er, der Eid gilt nicht, denn betrogen hätte uns Horand!« ...

Unter dem alten Ahorn vorm Hause des Jarls saßen Jökul und Svein am runden Steintische vor zwei mächtigen Tonkrügen, darin schäumte das Bier. Den Bart wischte sich Jökul. »Wir tappten hinein, Herr, wie der Bär in die Falle. ›Ihre tapfersten Männer liegen im Wülpensande begraben,‹ sagte Sigurd, ›und Herwig ist nur noch ein halber. Eine lustige Jagd wird's, kein Kriegszug!‹ Im Norden von der Osterbucht landeten wir und dachten, wir kommen ungesehen an sie heran. Weit und breit war auch kein Mensch zu erblicken. Aber kaum staken wir drin in den Dünen, da stürmten sie von allen Seiten mit Gebrüll auf uns los – ein Heer sag ich Euch, fast lauter Junge, kaum ein paar Männer und Greise darunter – aber die Waffen zu brauchen wußten sie, als hätten sie all ihr Lebtag nichts als Schlachten geschlagen! Übel ging es uns da. Gleich zu Anfang stürzte Sigurd neben mir unter dem Hiebe eines solchen Gelbschnabels – kaum bracht ich die Axt heraus aus dem harten Schädel! Nicht allzu viele von uns entkamen auf die Drachen, und als wir über Meer flohen, da setzte eine richtige Flotte uns nach. Gerüstet haben sie und Schiffe gebaut, sag ich Euch, Herr, all die Jahre!« Den Tonkrug hob der Jarl und tat einen kräftigen Zug. »Wunderlich,« sagte er, »das gab mir zu denken, wär ich im Normannenland König!«

 

 

Vor der Burgmauer zu Kassiane rieb sich der bärtige Torwart fröstelnd die Hände. »Früher Herbst heute,« sprach er zu seinem Gesellen, »Stare und Schwalben, vor der Zeit sind sie davon. Ein harter Winter wird's werden.« »Ja,« sagte der andre, »aus dem Wolfspelz im Schrank schüttle ich mir heut noch die Motten!« Von der See her fegte ein Windstoß und wirbelte ihnen den Straßenstaub ins Gesicht.

Ueber den Hof ging die Königin. Vom Speicher nahte ihr Hildeburg zögernden Schrittes, die Hände unter dem Schurze. »Was willst du?« herrschte Gerlinde. Stockenden Atems stand die Hegelingin vor ihr, und plötzlich warf sie sich vor ihr auf die Knie. »Gnade, Herrin!« stammelte sie. Aus Gerlindes Augen schoß es voll grimmiger Freude. »Sprich, was soll's?« Den Kopf senkte Hildeburg. »Erbarmt Euch über Gudrun! Winter wird's, und sie wäscht noch immer am Strande. Königin, was Ihr seid, war einst auch sie!« »Gern, Schätzchen, wenn sie sich vor mir auf die Knie biegt wie du hier!« Da streckte Hildeburg die Arme. »So laßt auch mich mit ihr waschen!« Höhnisch lachte Gerlinde. »Um dein Leid bettelst du, Närrin? Nun denn, weil's deine erste Bitte ist: friert immerhin und härmt euch zu zweit!«

*

Mit dem schweren Wäschekorb an den Tragbändern über den Schultern wankte Gudrun in der Dämmerung vom Strande durchs Tor. »Na, Jungfer,« brummte der Wächter, »das ist auch eine Last, da könnten zwei Weiberleute dran schleppen! Wartet, 's wird dunkel, ich helf Euch!« Sie griff mit der Rechten an einen Eckstein der Mauer und holte Atem. »Ich dank Euch, ich brauch keine Hilfe.«

»Immer hochmütig,« knurrte der Wächter ihr nach, »grad, als wär's eine Schande für sie, sich von einem ehrlichen Kerl etwas tragen zu lassen!«

In ihrer Kammer unter der Stiege setzte Gudrun den Korb nieder und schauderte auf. Tiefgebückt schritt sie in den Verschlag. Auf die Bank warf sie sich nieder und zog die zerschlissene Filzdecke über sich. An allen Gliedern zitternd lag sie auf dem Rücken mit weitoffenen Augen. Das Lärmen hinten im Saale verhallte. Das Wimmern des Windes um die Burgzinnen tönte herein, und ein Hund heulte vorm Tor.

Im Stockwerke über ihr knarrte es. Die Treppe hinab tappten leichte Schritte. Näher kam's durch den Gang. Am Verschlage tastete es nach dem Türgriff. Sie fuhr auf.

»Gudrun, ich bin's!« flüsterte es, und um ihren Nacken schlangen sich zwei weiche Arme.

»Hildeburg,« rief sie, »du Gute! Wie trautest du dich? Schnell von hier, daß dich der Königin niemand verrät!« »Nein, Gudrun, wir bleiben beisammen. Sie erlaubte es mir. Meine Sachen im Schlafsaal richtete ich und ließ sie der Gertrud. Mit dir darf ich hausen und schaffen!« »Meine Not teilen willst du mit mir?« »Dein Los, wie ich's von Kind auf geteilt!« Da lehnte Gudrun die Stirne an ihre Schulter und schluchzte auf. »Du Getreue! Ach, Hildeburg, nun ward mir zum ersten Male in meinem Elend ein Glück!«

Die Arme umeinander geschlungen, saßen sie und flüsterten, weinten ihr Leid und lächelten in Kummer, seliger Tage gedenkend, bis der Wächter am Tore die Mitternacht ansang. Und als der Morgen grau in die Burgfenster schien, lagen sie unter einer Decke dicht aneinander gedrückt auf der Pritsche aus Holz.

 

 

Frostklar glitzerten die Sterne vom Himmel. Im Schnee begraben lagen die Wälder zu Matelane. Durchs tiefe Schweigen polterte es hin und wieder dumpf aus dem Geäst nieder und, von der Kälte gespalten, knallten die Rinden.

Mit weißer Haube starrte der Domturm zum zuckenden Sternenglanz aus. Aus den Bogenfenstern schimmerte es hell in die Nacht. Unter den Pfeilern stand die Menge mit Kerzen in Händen. Im Chor hinten brannten hohe Wachsstöcke um die Weihnachtskrippe, darin das Jesuskind lag: den blauen Schleier am Rücken, beugte sich die Gottesmutter darüber; auf den Knien boten ihm in Krone und bunten Mänteln die Weisen aus dem Morgenlande ihre Gaben; aus dem Dunkel blickte der fromme Joseph mit Ochs und Eselein herüber.

Auf den Stufen vor dem Abbilde des Heilandes betete Königin Hilde in schwarzem Gewande. »Der du in die Welt kamst, unsre Sünden von uns zu nehmen, tilge auch meine Schuld: hilf meinem Kinde im Elend!« ...

In der Halle loderte das Feuer im Kamin, und von den Wänden flammten die Fackeln über den Köpfen der Festgäste aus den Hegelingenlanden. Das Kinn in die Hand gestützt, sah Ortwin zu Herwig auf, der sprach zur lautlos lauschenden Menge: »Der Heiland ward uns heute geboren: der kürzeste Tag ist zu Ende, von morgen ab wächst das Licht! Doch nicht nur dazu rief ich euch, um die Geburt unseres Gottes zu feiern. Sechs Jahre der Schmach sind gegangen – die Zeit ist erfüllt: Sühne soll uns das siebente bringen. In drei Monden erwarte ich euch mit all euren Drachen im Hafen zu Matelane!«

 

 

Die Befreiung

Märzwinde

Von kahlen Rebstöcken starrend, wölbten sich die grauen Hügel an der Südmark des Normannenlandes. In ihre Mäntel gehüllt, spähten die Grenzwächter von den Höhen. Unten im Tale wirbelte der kalte Märzwind den Staub durch die Gassen des Standlagers. – Eine Reiterschar trabte von Norden auf der Landstraße heran. Vorne dran wehte das Banner des Königs mit dem roten Drachen auf weißem Grunde. Ein verschleiertes Weib und zwei Mägde ritten inmitten der Männer. Aus dem Lager liefen die Mannen ihnen entgegen.

Aus dem Grafenzelte auf dem Sammelplatze trat Hartmut. »Was gibt's,« rief er die Vorbeieilenden an. – »Reiter aus Kassiane, Herr: da kommen sie schon!«

Über die Menge, die sich näher wälzte, erblinkte das Banner. Der Reitertrupp hielt. Die Fahnenstange stieß der Führer in den Boden, sprang vom Roß und hob die Verschleierte aus dem Sattel. An der Rechten führte er sie dem Königssohn zu. »Bruder!« rief sie und schlug das Seidentuch vom Gesichte zurück. – »Ortrun!«

Um seinen Hals hatte sie die Arme geschlungen. »Ei, Mädchen, wurdest du groß: zu einer Jungfrau wuchs in drei Jahren das Kind! Aber, was trieb dich auf die weite Reise hierher?« ...

Vom Schemel im Zelte lächelte sie zum Bruder empor. »Was mich hertrieb, fragst du? Nach dir sehnte ich mich, nach dir sehnen sich Vater und Mutter. Da bettelte ich so lange, bis sie mich ließen. Ostern naht, die heilige Zeit: all unsre Edeln kommen zum Feste. Hartmut, reit mit mir heim!« Finster schüttelte er den Kopf. – »Warum denn nicht, Bruder?« Er stampfte mit dem Fuß auf. »Was fragst du? Du weißt es!« »Ist es wegen Gudrun? Hartmut, so bekenn ich's, um ihretwillen ist's, daß ich herritt!« Das Blut schoß ihm vom Gesichte. »Was geschah?« »Sie verboten mir, daß ich's dir sagte, aber nicht länger mehr ansehen kann ich's, wie sie sie quälen! In die kalten Winde hinaus sagt die Mutter Gudrun, die Wäsche am Strande zu spülen. In einem Hundeloch schläft sie. Aus dem Schlafsaal wurden ihre Gespielen vertrieben, mit den Mägden in den Kammern unterm Dach müssen sie hausen. Nur Hergart, des Marschalls Buhle prangt in Seidenkleidern und praßt und hetzt die Mutter gegen die Elenden auf. Bruder, die höchste Zeit ward es, schau du nach dem Rechten, hilf Gudrun, komm! So kann sie's nicht länger ertragen!«

*

Über Kassiane sagte das Gewölk am Nachthimmel. Sterne blinkten geschwind auf und erloschen. Mit der Hellebarde über der Schulter stapfte der Wächter zum Tore. »Ins Bett mit dir, Bertram,« rief er dem Posten zu, »der Morgenstern zuckt schon überm Meere, meine Zeit kam!« ...

Hinter dem Bretterverschlag unter der Stiege fuhr Gudrun jählings von der Pritsche empor und warf das Haar aus der Stirn. »Auf, Hildeburg, zum Strande! Sie kommen!« Bei den Schultern zog Hildeburg sie zurück. »Dein Kopf glüht! Was hast du? Wer kommt?« »Laß mich, die Hegelingen! sie sind's, unsre Drachen!« »Gudrun, wach auf, in der Kammer sind wir!« »In der Kammer?« Sie horchte ins Dunkel. »Der Schwan sang am Strande!« »Was für ein Schwan? Du träumst mit offenen Augen!« »Er sang mit Menschenstimme von den Wogen so schön, ›Gottes Bote bin ich vom Himmel: Elende, getrost, bald werdet ihr frei!‹« »Das Fieber schüttelt dich, Gudrun!« Mit großen Augen starrte die Königstochter sie an. »Wer sagte, du träumtest?« Die Arme hob sie und hell klang es hinaus: »Das war die böse Gerlinde!« ...

Tag ward es. Aus der Kemenate kam die Königin die Treppe hinab. An der Stiege unten wartete Hildeburg. »He, was ist, faule Magd, noch nicht am Strande?« »Herrin, Gudrun ward krank. Im Fieber glüht sie und redet irre.« »Hinaus mit ihr in den Schnee, der kühlt ihr die Glut! Wollt ihr zaudern, bis euch der Knecht aus der Kammer zerrt, widerspenstige Dirnen?« ...

Mit weißem Gesicht saß Gudrun auf der Pritsche. »Komm, Liebe,« sprach Hildeburg seufzend, »wir müssen gehen. Wie ist es dir jetzt?« »Mir ist wohl.«

Auf dem Hofe strich Mechthild an ihnen vorüber. »Hört gute Botschaft: König Hartmut kommt heim. Daß die Königin so uns mißhandelt, wird er sicher nicht dulden! Geht weiter, Gerlinde blickt aus dem Fenster!«

 

 

Über den Hegelingenstrand blies der Wind aus dem Osten. Voll weißer Wogenkämme glänzte die See.

Rings über den Dünen hockten die Graubärte zwischen den Scharen der Weiber und Kinder, ihre Spieße an die Schultern gelehnt.

Vom Hafen unten sah Hilde hinaus auf das Meer. Fernhin trieben die Drachen, klein wie Nußschalen, mit hellen Segeln dem Himmelsrand zu. »Frute,« sprach sie, »wir blieben allein!« Den weißen Bart glättete er mit der Rechten. »Hoch den Kopf, Herrin; sie kehren uns wieder mit Gudrun! Und wenn's an die Not geht, auch wir alten Hunde können noch beißen!« ...

Im steifen Winde brausten die Drachen weit draußen auf der offenen See. Längst war das Land hinter ihnen versunken. Auf dem Königsschiff lenkte Herwig das Ruder. Am Steven vorne lag Ortwin und spähte, über Bord spritzte der Schaum in silbernem Regen. »Segel vorn, Herwig!« schrie er zurück. – »Meine Seeeländer sind's,« sprach der König, »am Wülpensand treffen wir uns!«

 

 

»Herrlich war's, Väterchen!« jubelte Ortrun. An Ludwigs Arm gehängt, den Reiseschleier beiseite geschlagen, schritt sie in die Burg. »All unsre Lager und Bollwerke an den Marken zeigte mir Hartmut!«

Ihnen nach schritten schweigend die Königin und der Sohn in den Gang. Auf die Kammer unter der Stiege ging er stracks zu und riß die Tür auf. »Das ist Gudruns Gemach?« »Dort schläft sie, jawohl,« sagte die Königin ruhig. – »Mutter, allein mit dir hab ich zu reden!« Miteinander stiegen sie die Treppe zur Kemenate hinauf.

»Mich, Mutter,« rief er und warf die Tür hinter sich zu, »mich hast du mißhandelt, mich hast du geschändet! Du hassest Gudrun – und in deine Hand gab ich sie!« »Ja, ich hasse sie, Tor. Um deinetwillen hasse ich sie. Verstand und Willen hat sie meinem Kinde geraubt! Und ich werde sie hassen und zwingen, bis sie sich vor dir beugt!« »Das, glaubst du, ist zu ihrem Herzen der Weg!« »Die Peitsche ist der Zauberstab, der ihn auftut! Was kamst du, mein Werk zu zerstören? Schon wurden sie mürbe. An des Marschalls Brust warf sich Hergart, der Not zu entfliehen. Auf den Knien wand sich die stolze Hildeburg vor mir um Gnade!« »Wo ist Gudrun?« »Nicht vor Nacht kehrt sie vom Strande zurück.«

*

Glatt lag im Abenddämmer, wie aus Blei gegossen, die See. Am Strande häuften die beiden Gespielen die nassen Wäschestücke in den Korb. »Tag um Tag geht,« seufzte Hildeburg, »mit den Ostergästen füllt sich die Burg. Übers eisfreie Wasser zieht Segel um Segel. Keins aus dem Hegelingenland ist darunter!« Den Korb faßten sie bei den Henkeln und schritten heimwärts.

Hinter einem Klippenfelsen stand Hartmut, den Blick auf die Wäscherinnen geheftet. »Sie ist es!« Er stöhnte und griff nach dem Kopfe. »Schöner und stolzer noch im groben Hemd, mit dem Hanfstrick gegürtet, als im Seidengewand!« Zu den Klippen trat er hervor.

Den Korb setzten die Jungfrauen auf einen Ruck nieder, und hastig zog Hildeburg das Gewand zusammen über der Brust. Er streckte die Hände nach ihnen. »Ein Schandstück seh ich! Gudrun, o könnt ich mit meinem Leben den Frevel ungeschehn machen!« Sie strich sich das Haar über die Schläfe zurück. »Euer Werk ist's, das Ihr scheltet!« »Die Schmach von Euch zu nehmen, eilte ich her, sowie ich es hörte: nimmermehr sollt Ihr Magddienste tun!« »Womit müßte ich's zahlen? Neben Hergart zu sitzen lüstet's mich nicht!« »Gudrun, ist das edel? Unrecht zu büßen, wollt Ihr mir nicht gönnen?« Da streckte sie sich. »Büßen? Wie wolltet Ihr büßen, was Ihr mir und den Meinen getan? Alles Blut in Euren Adern reichte nicht hin!« In seinen Augen glühte es auf. »Einen andern als mich trifft die Schuld,« rief er heiser, »warum schuf Gott Euch so schön?« Über die Schulter sah sie verächtlich. »Ihr lästert. Auf den Allmächtigen wälzt Ihr feige die Schuld Eurer Gier!« Mit schnellem Schritt trat er dicht vor sie hin. »Gier scheltet Ihr es?« flüsterte er, »ich zwang mich durch lange Jahre – bis heute! Vergaßt Ihr es ganz? In meiner Gewalt seid Ihr!« Er hob die Arme. »Wer wehrt es mir, nach dir zu greifen?«

Bleich und gelassen sah sie ihm ins verzerrte Gesicht. »Niemand, wenn es Euch Eure Ehre nicht wehrt.« Er starrte sie an, sein Arm fiel nieder, und jählings warf er sich über den Felsen.

Sie stand still. »Hartmut, nicht unedel seid Ihr im Herzen, ich weiß es. Krank ward Euer Wille. Laßt von mir: Gott hat uns nicht für einander geschaffen.« Da sprang er auf. »Ihr stoßt mich von Euch! Ohne Erbarmen, stolz und kalt wie der Tod! Keinen Teil an Euch soll ich haben – Ihr wollt es! So lasse ich Euch! So seht zu, wie Ihr mit den anderen fahrt!«

»Komm, Gudrun, schnell!« flüsterte Hildeburg, »er ist von Sinnen!«

*

Am Bette der Tochter saß Gerlinde im matten Scheine des Nachtlichts. Unter der blauen Seidendecke vor streckte Ortrun weinend die Arme nach dem Halse der Königin. »Mutter, nun gab Hartmut sie frei – warum willst du Gudrun noch plagen?« Die schwarzen Brauen Gerlindes zuckten. »Hartmut weiß nicht, was er will, so muß ich es für ihn wissen!« »Gut bist du, Mutter, immer zu uns, warum bist du nur gegen die Arme so schlimm?« »Verworfen hat sie meinen Sohn um den Bauernkönig in Seeland, gekränkt, verhöhnt hat sie dich, mich, uns alle in ihm! Bist du eine Normannin und kannst es vergessen? Ich nicht! Wir oder sie! Zu seinen Füßen soll sie noch liegen und flehen um seine Liebe – eher raste ich nicht!«

*

Durch die Magdkammern unter dem Dache schritt in der Frühe die Obermagd, mit dem Schlüsselbund klirrend, an den Lagerstätten der Hegelinginnen hin. »Auf vom Stroh, an die Arbeit! Da piepsten sie und streckten wie die Spatzen aus dem Neste die Hälse: ›Hartmut kommt, Hartmut, nun wird alles anders!‹ Was ist es jetzt, he? Was hängt ihr die Köpfe? Er kam!«

 

 

Die Retter

Am Wülvensande brauste die Brandung um die Borde der Drachen, die starrten Schiff an Schiff, die ganze Insel entlang. Unter ihnen standen, mit dem Rücken zur See, die Scharen der Hegelingen und Seeländer. Von ihren Helmen und Brünnen blitzten die Sonnenstrahlen. Ein Heer von wettergebleichten Kreuzen blinkte aus dem Seegras vor ihnen bis zum Hügelkamm hin. Aus der Menge trat Herwig. Den Stahlhut nahm er vom Haupte, das Schwert zog er und hob es hoch. »Ihr Alten und ihr Jungen alle! Hier liegen sie, unsre Gefährten und Väter: grüßt eure Toten!«

In den Rüstungen rasselnd sanken sie in die Knie, und es ward still. Die Brandung nur brauste, und der Wind sang über den gebeugten Scharen am Boden.

Herwig erhob sich und setzte den Helm auf. »Und nun an die Drachen: die Toten zu rächen, die Lebenden zu erretten!«

 

 

Die ganze Nacht durch hatte der Märzsturm über Kassiane geheult. Gegen Morgen verstummte er. Grau hing das Gewölk über die Burg nieder.

In den Kammern unter dem Dache erknarrten die Lagerstätten der Mägde. Über den Boden tappte Gertrud im Hemd und streckte den Kopf zur Fensterluke hinaus. »Mechthild, komm, schau: weiß wie ein Leintuch das Land, Winter ist's wieder geworden!«

An die Kammertür neben dem Saal, wo sie einst mit ihren Gespielinnen geschlafen, pochte Hildeburg. »Was gibt's?« rief es ärgerlich drinnen, und auf die Schwelle trat die feiste Obermagd mit rotem Gesicht. – »Frau, hoch liegt im Hofe der Schnee, wie sollen wir waschen gehen zum Strande?« »Wie, dumme Dirn, auf euren Füßen, versteht sich!« »Ach, Frau, Ihr wißt's ja: Hergart riet's, und die Schuhe ließ uns die Königin nehmen!« »So lauft auf euren eigenen Sohlen!« »Eine Königstochter mit bloßen Füßen im Schnee! Kennt Ihr denn kein Erbarmen?« »Was gehen Königstöchter mich an? Darum frage Gerlinde! Ich tue, wie sie mich hieß. Schickt euch: die ganze Burg voller Gäste – meint ihr, wir wollen zum Osterfeste in schmutzigen Hemden einhergehen um eurer zarten Haut willen?«

Den Kopf auf der Brust, schlich Hildeburg weg. Auf der Treppe trat ihr Hartmut entgegen. »König!« sprach sie leis und faltete die Hände. Ohne sie anzublicken, schritt er an ihr vorüber. »Euer Wille geschah: ihr schiedet euch selber von mir!«

 

 

In einer Waldbucht an der Ostküste des Normannenlandes lag die Hegelingenflotte geborgen. Rot zuckte der Schein der Lagerfeuer durch die Nacht an den steilen Felsenhängen empor. Um die Flammen geschart, wärmten die Schiffer ihre froststarren Glieder. Über dem Wasser hinter ihnen dunkelten die gewaltigen Leiber der Drachen.

Vor einem prasselnden Scheiterhaufen am Strande saßen die Fürsten. »Übel hat uns der Schneesturm die Segel zerfetzt!« brummte Wate. – »Er war uns ein Freund,« sprach Horand, »vor den Augen der Normannen hüllte er uns. Nun gilt es, Späher zu senden. Erkunden müssen wir's, ehe wir fahren, wo wir am besten an Land kommen können vor Kassiane!«

»Morung,« rief Irold, »richten wir unser Boot her!« »Nein,« sagte Herwig, »der Nächste dazu bin ich!« »Und ich!« rief Ortwin. Horand schüttelte den Kopf. »An einen Kundschafterkahn unsere Könige wagen, wär Torheit!« »Sollen wir lieber für uns unsre Mannen dran wagen?« rief Ortwin. Herwig sah übers Feuer zum Sänger hinüber. »Meine Braut ist's, die dort harrt! Wie würde dein Lied von mir singen, wenn ich jetzt gescheit sein wollte, Horand? Ihr rüstet euch hier und bessert die Sturmschäden aus. Ortwin und ich, wir stechen morgen, zwei Fischer, in See. Sind wir bis zur nächsten Nacht nicht zurück, so rächt uns mit unsern Vätern zugleich an den Normannen!« ...

Niedriger brannten die Lagerfeuer in der windstillen Nacht. Auf den Mänteln ausgestreckt, schnarchte das Heer. An einen Baumstamm gelehnt saß König Herwig und sah in die sacht knisternde Glut. »Schläfst du, Ortwin?« fragte er leise. Der reckte sich neben ihm und hob den Kopf. »Kaum würde Gudrun heut schlafen, wüßte sie es, wie nah wir ihr sind – meinst du, ich kann es?« Die Hände ums Knie schlang Herwig. »Sechs Jahre warteten wir und zwangen die Herzen. Länger, scheint's, können Stunden sich dehnen als Jahre!«

 

 

Dicht hing der Morgennebel über Kassiane. Auf dem Burghofe bliesen die Hifthörner. Zum Tore hinaus sprengte Hartmut. Ihm nach trabte an der Spitze des Trosses der Marschall; Hergart, in Pelzmantel und Samtkappe über den hellen Haaren, ritt ihm zur Seite. Hell kläffend folgte mit den Hundeknechten die Meute.

In der Tür standen Gertrud und Mechthild. »Da reitet sie hin in ihrer Pracht, und wir können in der Asche kauern in Lumpen!« »Eine Dirne in Samt! Nein, lieber ehrlich im Bettlergewand!« »Rot wurde sie bis unters Haar, als sie uns sah!« »Ein Erbstück aus der Heimat: auch die letzte Scham wird sie bald von sich tun!« »Längst tat sie es, Mechthild. Der Ärger war's, daß wir noch leben: das Gift im Herzen trieb ihr das Blut in die Wangen!«

*

Im grauen Morgen wusch Gudrun auf den Knien, über die glatte Flut am Strande gebeugt. Von den Klippen her kam Hildeburg, einen Stoß Hemden im Arme, die gesprungenen Füße in Blut. »Vergeblich, Gudrun, hofften wir heut auf die Sonne: wie aus einem Waschkessel dampft vom Meere der Dunst!« ...

Der weite Wald im Süden der Burg hallte von Hörnerklang und Geschrei. Still dehnte sich dahinter die Heide in Nebel und Schnee. Ein Hase schoß zu den Stämmen hervor und jagte, die Löffel zurückgeworfen, gestreckten Leibes dahin. Näher tönte das Lärmen: es krachte im Gehölze am Waldrand, und ein Rudel Rehe brach aus dem Gebüsch. Pfeilschnell fegte, die rote Rute langhin im Schnee, ein Fuchs hinterdrein. Hundegekläff gellte. Aus dem Dickicht sprangen zwei Wölfe und stoben nach rechts und links auseinander. Hufschläge stampften. »Drauf auf die Graupelze!« schrie es.

Auf schnaubendem Hengste stürzte der Marschall hervor, und auf einen Schlag war die Heide voll von bläffenden Hunden und juchzenden Reitern ...

Unter den Klippen am Strande saßen Gudrun und Hildeburg und verzehrten ihre Mittagskost, trocken Brot. Ferneher hallte das Rufen der Hörner. Ein leises Gezwitscher tönte vom Felsen über ihnen, und ein Fink trillerte auf. Gudrun sah sich um. »Den Lenz spürt das bunte Bürschlein droben im Schnee!« Schaudernd zog Hildeburg die Schultern vor. »Ich wollte, auch wir könnten ihn spüren!« »Er kommt,« sprach Gudrun, »dann heilen auch deine wunden Füße, du Arme!«

Aus dem Nebel über dem Meere schwamm langsam ein Schwan und schaukelte sacht an der Küste entlang. »Ach, Gudrun,« seufzte Hildeburg, »er schweigt! nicht wie der deine im Traum weiß er uns Trost!«

Da reckte der Vogel plötzlich die Schwingen übers Wasser und schwirrte davon. Ruderschläge schallten über die Flut, und eine Bootspitze fuhr aus dem Dunst. Dunkel ragte ein großer Mann aufrecht im Kahn, die Lederkappe tief in der Stirn.

Die Jungfrauen wichen hinter die Klippen.

An den Strand schoß das Boot auf, und eine Stimme erklang. »Schöne Wäscherinnen, wohin? Wir sind keine Räuber!«

Sie lugten, die Haare vom Winde zerwühlt, in ihren nassen Hemden zitternd hinüber.

Neben ihrer Wäsche am Strand standen zwei, einer im Bart und ein Junger. »Fischer sind wir, der Sturm hat uns gestern verschlagen. Sagt uns, Mädchen, wo sind wir?«

Gudruns Rechte umklammerte die Felsklippe: den Kopf vorgebeugt, starrte sie die Männer im Zwielichte an. »Hildeburg,« flüsterte sie, »gib du ihnen Antwort!« »Im Normannenreich seid ihr,« rief die Gespielin, »dort hinter uns auf der Höhe, das ist die Feste Ludwigs, des Königs!«

»Ei, wie ist König Ludwig sorglos!« sprach der Junge, »schlecht läßt er seinen Hafen bewachen!« »Wen brauchte Ludwig zu fürchten,« seufzte Hildeburg, »seit er die Kraft der Hegelingen am Wülpensand brach?«

»Ortwin,« murmelte der Ältere und neigte flüsternd den Kopf.

»Hildeburg!« stammelte Gudrun. – »Ja, Liebste – aber was hast du? kein Tropfen Blut mehr ist in deinem Gesichte!«

»Von den Hegelingen spracht ihr,« sagte der Große. »Ihre Fürstentöchter wurden damals von den Normannen geraubt, so hört ich. Wißt ihr von ihnen?« »In Not und Schmach müssen sie Magddienste tun!« weinte Hildeburg auf. – »Es jammert euch?« »Einen Stein möcht' es erbarmen!« »Da war auch eine darunter, die Königstochter, Gudrun nannten sie mir die Leute – wie geht es der?«

Sie trat, am ganzen Leib bebend, hinter der Klippe hervor. »Die ist tot!« rief sie. Die beiden zuckten zurück, und schwer auf stöhnte der Große. Da rannte sie den Strand hinab ihnen entgegen. »Herwig, verzeih!« jauchzte sie. Starr stand er. An die Brust stürzte sie ihm. »Ich bin es: Gudrun! ich lebe!« ...

Sie hielten einander umschlungen. »Schwester!« rief Ortwin, »Schwesterchen, gibst du denn keinen Arm für mich frei?« Schluchzend und lachend umarmte sie ihn und warf sich von neuem an Herwigs Brust. Der hob ihr Gesicht in den Händen, und um den Mund zuckte es ihm. »Als Waschmagd im Rupfenkittel find ich dich wieder!«

Hildeburg kam aus den Klippen. Ortwin sprang auf sie zu. »Hildeburg, Ihr! Auf Euren Knien saß ich einst!« Er riß sie an sich und hielt sie fest in den Armen. »Leben sie alle noch, sind sie alle heil, die uns die Normannen entführten?« »Alle leben, alle sind heil! Eine verloren wir nur, Hergart, die verriet uns!« »O Herwig, unsre Jungfrauen, mit nackten Füßen im Schnee!« »Ihr zittert, ihr Ärmsten,« rief der König, »ihr friert! Nehmt unsre Mäntel!« ...

Alle vier standen sie dicht beieinander. »Bis es Nacht wird, führen wir die Flotte heran,« rief Ortwin, »und morgen stürmen wir, Gudrun!« »Wie stark sind sie in Kassiane?« fragte Herwig. – »Die Edeln alle aus dem Normannenlande kamen zu Ostern.« »Nach Norden zum Strand hinaus ist das Tor?« »Eins nach Norden, das andre nach Süden ins Land!«

»Auf nun, Herwig!« rief Ortwin. »Schnell in den Kahn und hinweg! Kommt, ihr meine beiden!« Da trat Gudrun zurück. »Drüben in der Burg, Bruder, sitzen meine Gespielinnen gefangen!« »Die holen wir morgen!« »Nein, Ortwin, sie blieben mir treu in der Not: die Freiheit ohne sie will ich nicht!« »Schwester, kaum fanden wir dich und sollen dich lassen? Wenn wir morgen stürmen, und sie treiben dich weg in das Land! wenn sie dich töten!« »So wird mir ein Los mit den Meinen!«

Tränen rannen ihm über die Wangen. »Herwig, was schweigst du? Rede du mit ihr, Herwig!« »Ja, Herwig,« sprach sie, »entscheide!«

In die klaren Augen blickte er ihr. »Meine Gudrun wärest du nicht, könntest du die Deinen verlassen! Ortwin, sie hat recht! Sechs Jahre lang schützte sie Gott: er wird sie uns auch morgen behüten! Komm, Bruder, wir holen die Unsern!« ...

Dicht am Wasser standen Gudrun und Hildeburg und winkten. Im Nebel entschwand ihnen das Boot. »Auf morgen!« hallte es aus dem Grau.

Da bückte sich Gudrun: die Wäsche hob sie vom Sand, schwang Stück um Stück hoch und schleuderte sie weit hinaus in die Flut. »Gudrun!« schrie Hildeburg auf, »was tust du? halt ein!« »Da fließt unsre Schmach hin!« jubelte sie. – »Züchtigen wird uns Elende Gerlinde!« »Mag sie's! Zwei Könige küßten mich heut: keine Magddienste tue ich mehr!«

 

 

Gudruns Lachen

In der Kemenate stand die feiste Obermagd vor der Königin und zuckte die Achseln. Die schwarzen Brauen zog Gerlinde zusammen. »Was sagst du mir da? Sofort holst du mir die beiden herauf!« ...

In die Tür traten Gudrun und Hildeburg, lang hingen ihnen die feuchten Flechten über die Schultern. »Mit leeren Händen seid ihr vom Strande gekommen? Wo blieb eure Wäsche?« Den Kopf warf Gudrun in den Nacken, ihre Wangen glühten. »In die Flut warf ich sie: schickt eure Fischer danach!« »Nein!« zischte Gerlinde, »ein andres ist's, was ich vorhab: deine Frechheit, mit der Peitsche treibe ich sie dir aus, mit Ruten streichen lasse ich dich auf der Stelle vor deinen Gespielen! Hildeburg, ruf sie in eurem alten Schlafsaal zusammen!« ...

Mit den Händen an einen Bettpfosten gebunden, stand Gudrun. Um sie drängten sich wehklagend die Mädchen. Gerlinde trat ein. Hinter ihr kam vierschrötig, die zottigen Brauen über der Nase verwachsen, der Kerkermeister mit dem Rutenbündel im Arme. »Reiß ihr das Hemd vom Leibe und streiche sie blutig!« Gell schrien die Jungfraun. Mit bleichem Gesichte reckte sich Gudrun. »Wagt es!« rief sie. – »Dich werde ich fürchten! Greife sie, Ralf!« »Hütet Euch: jeder Streich, der mich trifft, heimgezahlt wird er Euch morgen!« »Ei, was für ein Glückstag wird das für dich?« »Königin im Normannenland, daß Ihr es wißt, bin ich morgen über euch alle!« Gerlinde stutzte. »Du willst – Königin bei uns sein?« »Bangt es Euch nun? Ja, ich will's, und Ihr werdet's erleben!« »So brach dir endlich der Trotz? Weg mit euch allen!« gebot Gerlinde. »Binde sie los, Ralf!« Hochaufatmend streckte Gudrun die Arme. Forschend sah ihr die Normannin in die stolzleuchtenden Augen. »Ihr fügt Euch? Ihr trügt mich nicht, Gudrun? Wenig Zweck hätt' es für Euch: härter nur würde die Strafe Euch treffen!« »Nimmermehr mache ich Euch die Magd! Soll ich's Euch schwören: Königin will ich sein, wo ich die Wäsche gewunden!«

*

Den Jagdrock legte Hartmut in der Schlafkammer ab. Da rannte Ortrun herein. »Bruder, ein Wunder geschah!« Erstaunt sah er sie an. – »Dein Weib werden will Gudrun!« Hartmut erbebte, ihre Hände löste er von seinem Halse. »Gudrun, sie will es?« ...

Durch den Gang schritt Gerlinde zum Sohne. »Die Angst vor der Rute war's: vor der Peitsche erst beugte sie sich! Weh Hartmut, legt er sie je aus der Hand!« In die Kammer trat sie. »Mutter,« rief er, »ist's wahr?« Sie nickte.

*

»Gudrun!« Mit ausgebreiteten Armen eilte der Königssohn durch den Schlafsaal auf sie zu. Sie streckte die Rechte vor. »Zurück, König Hartmut! Nicht als Wäscherin ziemt es mir, vor Euch zu stehen, die ich morgen Herrin im Lande sein soll.« »Euer Königsgewand wird Euch wieder! Dann Gudrun –!« Sie blickte ihm herb ins Gesicht. »Auf morgen!«

*

An ihrer Brust lag Ortrun. »Gudrun, wie froh hast du mich gemacht! Nun wirst du mir eine richtige Schwester!« »Eine Schwester, Ortrun, warst du mir stets und wirst es immer mir bleiben, was auch geschehe, das wisse!«

*

Durch die Kammern unter dem Dache polterte die Oberdirn. »Das ging schnell: früh Magd, abends Herrin! Daß unsereinem nie so etwas wird! He, ihr Weibervolk, rüstet das Bad für die Jungfraun, holt aus den Truhen den Hegelinginnen ihre Gewänder: Fürstinnen sollen aus den Wäscherinnen heute noch werden!«

*

Vorm Burgtore hielt der Wächter dem Schenkknechte den leeren Humpen hin, der war nicht klein. »Schon fertig, Meister?« lachte der Knabe, »macht nichts, ich fülle nach! ›Heut müssen Fässer leer werden, Buben,‹ sagte uns der Kellermeister, ›so gebot König Ludwig!‹ Mächtig zechen sie schon in der Halle, und voller Freude ist alles, daß sich die Gudrun endlich gefügt!« »Seltsam ist das, Bursch,« brummte der Torwart, »hier schwankte sie an mir vorüber mit dem Wäschekorb auf dem Rücken – einen Kärrner würd es erbarmen, seinen Gaul so zu schinden – und nun soll sie auf einmal unsere Königin sein!«

*

Den Schlafsaal füllten die Gespielinnen in den Festkleidern, die sie seit langem vermißten. Ein Jüngling in hellem Atlaskleid stand auf der Schwelle, eine Fackel in Händen. »König Ludwig bittet euch in die Halle, ihr Jungfrauen.«

Gudrun trat vor, einen Goldreif um die Stirne; zu zwei Zöpfen geflochten, schimmerte das silberhelle Haar die Brust hinab über dem blauen Seidengewande. »Sagt dem König, seit langem sprach ich mit meinen Gespielinnen nicht mehr: heute nacht wünsch ich, das Wiedersehen allein mit ihnen zu feiern!« Der Junge neigte sich und trat weg.

»Schließt die Tür,« gebot Gudrun, »was staunt ihr mich fremde an, Mädchen? Was hängt ihr die Köpfe? Zu Ehren sind wir wieder gekommen! Mechthilde, sprich!« »Ach, Gudrun, sollen wir froh sein, bei unsern Feinden zu Ehren zu kommen?« »Darum also litten wir all die Jahre,« schluchzte Gertrud, »daß wir Normanninnen würden!« »So war Hergart weiser als wir!« Und ein Weinen hob sich rings im Gemach. Da lachte Gudrun, daß es durch den Saal klang. »So schlecht kennt ihr mich, ihr, meine Gespielen? Kommt näher zu mir alle und hört!« ...

Vor der Tür draußen, das Ohr am Schlüsselloch horchte Gerlinde. »Gudrun, sie lachte! Sie war es, sie! Gudrun lacht! Wenn das uns nicht Weinen bedeutet!«

*

In der Halle jubelten sie. Mit den Kannen schritten die Schenkknechte zwischen den Tischen und füllten die Becher. Auf dem Hochsitz schwenkte Ludwig den Humpen. Hartmut neben ihm sah still in das Horn. »Zeit wird's, daß wir aufbrechen, Vater, sie werden trunken!« »Warum sollen sie's nicht?« rief der Alte. »Auch ich gedenk es noch heute zu werden! Nichts als saure Gesichter sahn sie hier um den Hochsitz, seit wir vom Wülpensand kamen. Damals, ha, ein Bursch warst du, Hartmut, der wird wie der Drachentöter, dacht ich, von dem die alten Mären uns künden. Nun, ich hoffe, hast du es einmal, dein Püppchen, so wirst du uns wieder der Alte!« »Ja, Vater,« sprach Hartmut.

In den Saal trat Gerlinde und kniff die Lippen zusammen. »Gudrun kommt nicht?« »Nein,« sagte Hartmut, »ich gönn ihr die letzte Nacht mit den Gespielen.«

*

Auf der Bank vor dem Burgtor schnarchte der Wächter, den Kopf hintenüber. Über dem finstern Strande lichtete sich leise der Nebel. Die Mondsichel erblinkte. Aus dem wogenden Dunste hervor gähnte ein Rachen mit blinkenden Hauern. Am Ufer hin huschten dunkle Gestalten. Vom Meere her knarrte und rauschte es. Und wiederum tauchte aus dem Nebel ein riesiger Schädel.

*

Über die Treppe stieg Hartmut zu seiner Kammer empor. Aufs Geländer stützte er den Arm und lehnte die Stirn in die Hand. »Was ward mit mir? Ich versteh's nicht!« murmelte er. »Als sie mich von sich stieß, begehrte ich sie, und nun? Warum bin ich nicht froh? ›Auf morgen!‹ sagte sie. Warum klang es mir wie ein Drohen? Die Arme sanken mir: wie eine Fremde stand sie vor mir, und nun ist mir's, als wäre sie meilenweit in die Ferne gerückt. Müd ward ich, alle Kraft schoß mir vom Herzen!«

Aus der Halle unten drang noch immer Gejohl und Gelächter.

 

 

 

 

Kassianes Fall

Unruhig wandte sich Gerlinde im breiten Ehebett von Seite zu Seite. Grau traten aus dem Dämmer die Wände. Sie stützte sich auf. »Ludwig!« Er öffnete träge die weinmüden Lider. »Was hast du schon wieder?« »Es läßt mich nicht schlafen: immerfort tönt mir Gudruns Lachen im Ohre!« »So gönn es ihr doch! Grund genug hat sie dazu: wenig Freude hatte sie sicher daran, unsre Wäsche zu winden!«

Sie stand auf, trat ans Fenster und schlug den Vorhang zurück: zwischen rosigen Wolkenstreifen blitzte der Morgenstern am blaßblauen Himmel. Sie hob den Mantel vom Sessel, schlug ihn um die Schultern und schritt in den Gang hinaus, die Stiege zum Turme empor. Nur ihr eigner Tritt knarrte durch die Stille. Droben lag langausgestreckt der Wächter am Boden, den Kopf an die Mauer gelehnt, zur Rechten den Weinkrug, zur Linken das Horn. Einen grimmigen Blick schoß sie auf ihn und beugte sich über die Zinne. Da fuhr sie jählings mit beiden Händen an die Schläfen. »Schurke!« schrie sie gell und stieß mit dem Fuß nach dem Türmer. »Auf, blase, blas!«

Erschrocken sprang er auf.

Weithin blitzte der Strand von Helmen und Speerspitzen. Dahinter starrten die Drachenköpfe und Masten der Flotte. Schmetternd hallte das Horn in die Morgenstille.

*

»Feindjo, Feindjo!« brüllte es durch die Burg.

Die Turmstiege hinauf keuchte Ludwig. »Träumt ihr? Was für Feinde?« Hinter ihm sprang Hartmut empor. Beide starrten sie zum Strande hinab. Eben rauschten im Frühsonnenschein die letzten Drachen hinein in den Hafen.

»Spukt mir der Wein noch im Hirn, Hartmut? Eine Flotte, ein Heer ist's!« »Ein Heer ist es. Sie heben das Banner: auf grünem Grunde drei Seerosenblätter – die Seeländer, Vater!«

»Ihr Herrn,« schrie der Turmwart, »schaut um!« Sie wandten die Köpfe. Vor dem Walde im Süden hob sich ein riesiger Recke zu Roß, an den Lippen ein mächtig gewundenes Horn. Die Lüfte über dem Turme erdröhnten. Klirrend und blinkend rückte es aus dem Gehölz. Eine Fahne flatterte hoch: auf blauem Grunde ein Silberschwan. »Wate ist's, Vater, Horand ist's! Sie kreisten uns ein bei der Nacht: die Hegelingen samt den Seeländern sind's!«

Durch die Burggänge stob Gerlinde, daß der Mantel hinter ihr herflog. »An die Zinnen! Steine schleppt! Siedet Pech, Weiber und Kinder!«

*

Aus dem Gewühl der Mannen im Burghof ragten Ludwig und Hartmut zu Roß. »Dir Herwig, Vater – mir Wate!« Den Speer schüttelte der Alte über dem Helme. »Nur zu, Sohn!« An Hartmuts Sattel hing Gerlinde. »Sinnlose, wohin? Könige, bleibt hinter den Mauern!« »Weg, Mutter, hier gebietest nicht du: sitz zu deinen Weibern am Webstuhl!« »Rachwütig kommen sie, im Feld überrennen sie euch!« »Vor Herwig berg ich mich nicht hinter Steinen: deine Wäsche, Mutter, müssen wir zahlen! Die Tore auf, vorwärts!«

*

Vom Walde spähten die Hegelingen über das Tal hin zur Burg. Aus dem Tor strömte Haufen um Haufen, die richteten sich unter den Mauern zur Schlachtreihe aus.

»Sie kommen!« jauchzte Ortwin. Das Banner schwenkte Horand. »In ihr Verderben, die Toren!« »Drauf!« schrie Ortwin. Wate mit funkelnden Augen über den Hals des Rosses gebeugt, griff ihm in den Zügel. »Wart, vom Hügel laßt sie herunter. Du, Horand, bleib hier!« Er trabte rechtshin davon. »Von der Flanke packe ich sie!«

Vor das Fußvolk drüben ritt einer im Goldhelm, der funkelte in der Sonne. Den Speer schwenkte er und hob sich in den Bügeln. »Tod den Hegelingen!« hallte seine Stimme herüber. Sie fällten die Speere.

»Hartmut ist es!« rief Horand. Da stieß Ortwin die Sporen dem Hengst in die Seiten. »Mädchendieb, her!« Und jagte dem Normannen entgegen.

Zwischen den Heeren prallten sie aufeinander, die Schäfte zerschellten, die Rosse stürzten. Vom Boden sprangen sie, die Klingen rissen sie aus den Scheiden und hieben. Von hüben und drüben rannten die Mannen hinzu. Aus dem Sattel war Horand gesprungen und drang durch den Knäuel zum Königssohn, der taumelte unter den Schwertschlägen des Normannen. Den Schild warf Horand vor ihn. »Daher, Hartmut, nicht an Knaben übe die Kraft!« ...

Am rechten Flügel stieg Wate vom Rosse und drückte den Eisenhut in die Stirn. »Heiho, die verbissen sich drunten! Frei ward der Weg! Bursche, zur Burg!« An den Kämpfenden im Tale vorüber rannte er mit den Seinen hügelan zum Tor. Da krachten die Flügel vor ihnen zu. Von den Mauern herab prasselte es. »Vorwärts, Mann an Mann, über die Helme die Schilde!« brüllte Wate ...

Im Tal drunten schlugen sie sich, stürmten an, wichen. Am Waldsaume über ihnen hielt ein Trüpplein um Horand, der wischte sich das Blut von der Stirn. »Der Teufel von einem Normannen! Bald hätte er uns hingemacht, alle zwei!« Am Speere richtete Ortwin sich auf. »Der Helm ward mir wund, nicht das Hirn!« Er rannte ins Kampfgewühl unten. »Berchtold,« rief Horand, »Waldemar, haltet den Knaben! Nehmt unsre Mannen zurück, lockt die Normannen weiter weg von ihrem Horste hierher!« ...

»Heil, Gesellen!« schrie Hartmut, »hoch das Banner, sie fliehen!« – »Nicht zu rasch, König!« Am Arme riß ihn Marschall Bodo herum, zur Burg hinauf wies er.

Staubwolken stoben um die Mauern am Tore: es krachte und dröhnte. Felsstücke und Balken polterten von den Brustwehren nieder. An den Wall heran rückte es, Schild an Schild, ein mächtiges Heerdach. Davor schwang ein Riese mit wehendem Bart einen Felsblock: gegen das Tor flog er, die Riegel barsten.

Hartmuts Augen glühten aus dem bleichen Gesichte. »Führe hier, Bodo! Ich hole mir meine Gesellen: am Barte zerr ich den Satan zurück!«

*

Vom Strande her stürmten die Seeländer zum Nordtor empor. Von beiden Seiten, drangen die Friesen und Holsten auf Ludwigs Heer ein, das rückte immer enger, immer dichter zum Keile zusammen. »An unsre Toten im Wülpensand denkt!« schallte Herwigs Rufen durchs Tosen.

An der Spitze des Heerkeiles schmetterte Ludwig mit dem Schwerte um sich. »Am Wülpensande, jawohl, da schlug ich euren König! Wer ist's, der meine Klinge verkosten will vor Kassiane?« Aus den Reihen der Seinen brach Herwig. »Rache für Hettel! Steh, Ludwig!« Auf seinen Eisenhut krachte des Normannen Schwert nieder: in die Knie fiel er. – »Ich stehe!« hohnlachte Ludwig. Da sprang Herwig auf, und wie der Blitz fuhr seine Klinge dem König unter der Helmkette in den Hals, hintenüber rollte der Kopf: die Arme warf Ludwig hoch und brach zusammen. Die Normannen prallten zurück. In den geborstenen Keil hinein fegte Herwig. »Gudrun und Rache!« ...

Die Turmstiege hinab rannte Gerlinde. »Tot unser König!« heulte es durch die Burg. An den Weibern vorüber stürzte sie in den Flurgang. Unter der Hallentür wartete der Kerkerknecht, die Hand am Dolchmesser im Gurte. »Alles hin!« keuchte sie. »Jetzt Ralf, ward es Zeit, stoß Gudrun nieder!« Der nickte.

*

Durchs Tor im Süden waren die Sturmländer gebrochen und tobten im Hofe. Wider die verrammelte Burgtür hob Wate einen mächtigen Hebebaum in beiden Händen. Aus den Fenstern schütteten sie siedendes Pech auf ihn nieder. Da gellte es: »Feinde im Rücken! Hinter uns der Normanne!« Er warf sich mit den Schultern an die Türe und rollte schnaubend die Augen.

Durchs Tor herein rasselte Hartmut mit seinen Gesellen. »Den Hof von den Hunden gesäubert!« Da kreischte es von der Burg nieder: »Hilfe, Hegelingen! Sie morden uns, Brüder!«

Auf der Altane drängten sich schreiend die Jungfrauen. Unter ihnen stand Gudrun, hochaufgerichtet, und blickte schweigend zur Türe, daraus schlich, das Messer in der Faust, der Kerkerknecht, zum Sprunge geduckt.

Den Helm im Nacken, riß Hartmut den Speer auf. »Schuft, wag es!« Der Schaft schwirrte; in die Weiche fuhr dem Knechte das Eisen. Da kam von der Burgtüre Wate blindwütig gegen den Normannen gerannt. »Halt!« schrie Hildburg von droben, »er rettete Gudrun das Leben!« Aber schon schmetterte des Alten Hebebaum über den Helm Hartmuts, daß er betäubt niederstürzte zum Grund.

»Heil Hegelingen!« klang es vom Feld her. »Hie Horand und Ortwin! Sie streckten die Waffen!«

Da warfen auch die Normannen im Hofe Schwerter und Schilde zu Boden und reckten die Hände hoch.

Die Burgtür zerkrachte unter dem Hebebaum Wales. In den Gang schoß der Alte, Ortwin an seiner Seite. Von drinnen rannte es mit gezückten Schwertern daher: »Hie Seeland!« »Hie Hegelingen, Freunde!« Miteinander stürmten sie weiter.

In der Halle hinten zusammengedrängt winselten die Weiber und Kinder. »Beisammen im Nest das Gezücht!« brüllte Wate. »Euer Ludwig erschlug meinen Herrn! Aufgeräumt mit der Brut!« An seinen Arm hängte sich Ortwin und riß ihn zurück. »Nicht, Wate! Die Frauen, die Kleinen!« »Weg da! Zu Wölfen wachsen die Welfe!« »Wate, ich bin es, dein König!«

Wild starrte Wate ihn an. »Narrenkönig!« schnob er. »Deine Mörder hast du gerettet!« und rannte zurück in den Flur.

*

Vor den Jungfrauen im Schlafsaal droben stand Gudrun, an ihrer Schulter die schluchzende Ortrun. »Ruhig, Kind, bei mir krümmt dir keiner ein Haar!«

Drunten tobte Wate.

Mit scheuen, irren Blicken hastete Gerlinde die Treppe empor, stutzte und schoß, ein gehetztes Raubtier, an Gudrun vorbei zuhinterst in den Saal. Schaudernd fuhren die Gespielinnen auf. Die Hand hob die Königstochter. »Ihr Werk zerbrach. Laßt sie ihr Schicksal erwarten!«

Die Hände vorm Gesicht wankte Hergart herauf. In die Knie fiel sie. »Gnade, Herrin!« Mit kalten Augen sah Gudrun auf sie nieder. »Du schändetest uns. Schänden würde ich mich und die Meinen, gäb ich dir Raum. Geh zu denen, die du dir zu Beschützern gewählt!«

»Wo ist die Hexe?« brüllte es von der Stiege her. »Gerlinde, wo steckt sie?« – »Gudrun,« jammerte Hergart, »Erbarmen!« »Verräterinnen schütze ich nicht!«

Es klirrte und stampfte heran. Den ellenbreiten Bart und das Gesicht von Blut beronnen, tauchte Wate auf über der Treppe. »Ha, wer ist die hier auf den Knien?« Am Arme zog er sie auf. »Hergart!« knirschte er, »komm, Hündin, zu deinem Buhlen liegen, der wartet drunten auf dich!« Er riß die Kreischende mit sich die Treppe hinab. – Ein dumpfer Schlag hallte.

Die Mädchen zuckten zusammen. Reglos stand Gudrun, die zitternde Ortrun in den Armen. »Sie ist gerichtet!«

Da war Wate wieder droben und bleckte die Zähne. »Die andre! Her mit Gerlinde!« Gudrun schwieg. Mechthild wies mit dem Arme nach hinten. – »Ha, da steckt der Rabe!« Bei den Haaren packte er sie. »Du läßt meine Königstochter nimmermehr waschen!« Durch den Saal schleifte er sie hinab in den Hof.

Ohnmächtig hing Ortrun mit den Armen über Gudruns Schultern.

»Schwester!« tönte Ortwins Stimme vom Flur, »Schwester, wo bist du?« »Hier, Bruder! hilf, nimm mir das Kind aus den Armen.« »Wer ist sie?« staunte er, über das weiße Gesicht im roten Kraushaar gebeugt. – »Eine Waise von nun an, Ortwin: das Königskind ist's, am Normannenhof meine einzige Freundin!« »Armes Dinglein,« murmelte er, »wie zierlich und zart!«

Siegesgeschrei hallte rings durch die Burg, und aus allen Gängen strömten die Mannen herbei in den Saal. »Der König! Die Helme hoch! Unser König!«

Von dem ohnmächtigen Kinde weg schnellte Gudrun. Durch die Reihen schritt Herwig in der blutigen Brünne. Sie stürzte ihm entgegen.

Jauchzen umbrauste sie.

Da ließ Herwig sie aus den Armen und wandte sich zu den Mannen. Mit ernsten Augen sah er um sich im Kreise und sprach: »Still, Brüder! Jauchzet im Herzen, aber jubelt nicht laut. Unsre Väter zu rächen, unsre Schwestern zu retten, sind wir gekommen, nicht uns am Morde zu freun. Aus Grauen und Tod holten wir den Unsern die Freiheit. Danket Gott: getan ist die blutige Arbeit!«

 

 

Friede

Aus Harren und Bangen stieg dem Hegelingenvolke daheim der der Tag der Erfüllung. Einen Tag nach der Schlacht war aus dem Hafen von Kassiane ein Drachen gesegelt. Den Holstenfürsten hatte Herwig nach Matelane gesandt, die frohe Botschaft zu künden.

Kurz nur war der Weg vom Hegelingenstrande zur Burg – lang brauchte Morung, bis er durch die jubelnde Menge hindurchdrang. In die Kemenate führte ihn Frute vor Hilde. »Königin,« sprach der Greis, »Gott ließ mich's erleben, daß seine Gerechtigkeit siegte! Befreit sind die Jungfrauen, das Normannenland ist bezwungen.«

Still senkte Hilde den Kopf. »Was ich gefehlt, büßte Gudrun: den Fluch meines Vaters brach sie und erlöste die Mutter. So ist es vollendet. Eines nur wünsche ich noch: mit Augen die lange Vermißte zu schauen und dann zu Hettel zur Ruhe zu gehen. Wann, Morung, kehren sie heim?« »Noch gilt es, Herrin, das Feindesland zu befrieden.«

*

Gefallen oder gefangen waren die Edelsten der Normannen vor Kassiane. Gebrochen waren weitum die Burgen, und in den Festen saßen die Hegelingen. Wehklagen ging durch das Land, und bange harrten sie der Vergeltung für Gudruns Leiden. »Mit Blut statt mit Schweiß werden wir zahlen müssen für unserer Könige Schulden!« jammerten sie. Aber Herwig gebot, keinem, der seinem Gewerb nachgehen wolle, dürfe Unrecht geschehn, und wer sich seiner Gewalt füge, solle gelten als einer der ihren.

»Rauhe Krieger, milde Herrn!« staunte das Volk, und allmählich ward Ruhe im Lande.

Da ließ König Herwig den alten Wate und Horand mit ihren Mannen zurück, des Landes zu warten, und schiffte sich ein mit Gudrun und Ortwin und dem übrigen Heer. Als Geiseln führte er die Edelsten unter den Gefangenen mit. Nur Hartmut, der in Wunden lag, blieb in Kassiane.

*

Mit Macht war der Frühling gekommen. Die grünen Wälder um Kassiane hallten vom Gesang der Vögel. Über den Burghof führten die Knechte die wiehernden Gäule zur Schwemme. Aus dem Küchenfenster schallte das Schwätzen und Lachen der Mägde. Im Sonnenschein spielten die Kinder.

Auf der Stiege vor dem Portal hockte Wate und schaukelte ein Mädchen auf den Knien mit runden roten Wangen, das hielt einen Apfel in den Händchen und lachte. An seinem riesigen Buckel empor klommen zwei Bübchen. »Kroppzeug,« brummte er, »die Hand von meinen Haaren!« und schüttelte den zottigen Schädel.

Aus der Burgtür trat Horand und sah lächelnd zu ihm nieder. »Und die wolltest du alle zu Brei stampfen damals, sagte mir Ortwin!« »Er mochte ja nicht,« knurrte Wate und hob dem Kinde den Apfel vom Boden, »willst du wohl, Schlingel! Mit Fleiß wirft sie ihn von sich, Horand, die Range, daß ich mich danach bücke!« Horand blickte aufs Meer hinaus. »Der Fahrwind aus dem Westen hält an. Die Heimat, meine ich, werden die Unsern bald sichten.« »Ich wollt, ich wär auch drüben, Sänger, statt mit dir hier die fremden Lande zu hüten!« ...

Im Burggarten, auf der Bank unter der Linde saß Hartmut mit verbundenem Kopfe, neben ihm Hildeburg. »Ihr werdet nicht müd, mich zu pflegen, mich, Euren Feind!« Sie sah zu Boden. »Gudrun habt Ihr das Leben gerettet!« »Ist es deswegen nur?« »Was nützt mein Pflegen? Der Gram um sie läßt Euch nicht genesen!« Er lächelte bitter. »Der Gram um Gudrun, nein, der versank!« »Was ist Euch? Ihr werdet so bleich!« »Damals, Hildeburg, als sie mir sagten, sie will dein werden – da brach es zusammen. Fremd wie eine Mär, die mich nicht angeht, klang es mir in das Ohr. Ein zuchtloser Knabe stand ich da, der um ein Spielzeug getobt, und nun, da sie es ihm geben wollen, weiß er nicht, was damit zu beginnen! Begehrt in Eigenwillen und Trotz hatte ich sie, nicht geliebt hatte ich Gudrun! Und darüber brach das Reich der Normannen zusammen!« Er stöhnte auf. »Vater und Mutter, unsre Edeln, mein Volk hab ich zugrunde gerichtet! An wem soll ich Rache suchen, an wem? Nicht die Hegelingen, nicht Herwig und Ortwin, nicht Wate schlugen sie: ich allein, ich hab es getan!«

Den Kopf auf den Armen, lag er über der Lehne der Bank und stöhnte. Sacht legte ihm Hildeburg die Hand auf die Schulter. »Hartmut, Ihr sollt nicht verzweifeln: kein Feind, der Euch und Euer Volk von der Erde vertilgen wollte, ist Herwig.« »Gnade von ihm, dem ich die Geliebte geraubt?« »Gnade von Gott, der es Euch gönnte, ihm Gudrun zu retten!«

*

Die Segel sanft vom Westwind geschwellt, rauschten die Drachen der Hegelingen dem Heimatland zu. Hand in Hand saßen auf dem Vorderdeck des Königsschiffes Herwig und Gudrun. »Erfüllung ward uns,« sprach sie leise, »wenn sich das Meer jetzt vor uns auftäte, Herwig, und zöge uns in die Tiefe, wär es nicht selig gestorben?« »Selig, wenn wir für uns allein lebten, Gudrun!« Sie nickte und sah sinnend über die See. »Zärtlich sorgt Ortwin um die Verwaiste, um Ortrun, als wäre sie ihm eine Schwester, und Hildeburg blieb im Normannenlande zurück, Hartmut zu pflegen. Weh tut es im Glück, andre unglückselig zu wissen. Herwig, muß es denn sein, daß immerzu Schuld aus Schuld und Leiden aus Leid wächst?« »Es muß nicht sein, Gudrun. Verheert wäre sonst längst die Erde. Treue sühnt Trug, und Liebe überwindet das Leid.« Er stand auf und wies mit der Rechten nach Osten. »Schau, Gudrun!«

In der Ferne blinkte, eben sichtbar, die Küste herauf. Sie streckte die Arme, und Tränen traten ihr in die Augen. »Die Heimat!« – »Sie ist es. Dort wartet im siebenten Jahr auf dich deine Mutter!«

 

 

Ende


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