Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

 

 

Koenig Hagen von Irland

 

 

Horand

Dunkelblau rauschte im Morgensonnenscheine das Meer.

Am weiten ebenen Strande der Hegelingen sprühten die Wogen in silbernem Schaum auf. Sacht strich der Westwind durch die bleichen Seegräser über den gelben Dünenhügeln ins Land. Dort glänzten die Wipfelwellen der Buchenwälder über Höhen und Gründen, eine lichtgrüne Flut. Lautenklang, einer Menschenstimme Gesang schwoll zum Himmelsblau auf.

Auf einer Waldwiese unter einer alten Buche saß der Hegelingenheld Horand, die Laute im Arm, den Kopf mit den langen goldhellen Locken im Nacken, die strahlenden Augen dem Sonnenglanze weit offen, und sang.

Es brausen die Ströme vom Eise befreit,
Nun schwand uns des Winters hartklammerndes Leid!
Ich grüß euch, Geschwister, in Heide und Wald:
Es gab uns ein Vater Geist und Gestalt!

Ein Weih kreiste hoch in der sonnigen Luft, schwebte mit ausgebreiteten Schwingen herab und rauschte auf die Baumkrone über ihm nieder. Im Laube hüpften die Vögel, verstummend, von Zweig zu Zweig näher heran: bunt wie Früchte im Laub erschimmerten ihre Brüstchen dem Sänger zu Häupten. Ein Häslein richtete sich aus dem Grase vor ihm auf den Hinterbeinen empor, die langen Löffel gereckt. Am Waldsaum legte eine Rehgeiß mit zwei Kitzen sich nieder. Aus dem Dämmer des Dickichts glühte starr eine Reihe grünlich funkelnder Lichter: reglos horchte, die zottigen Ohren gespitzt, die Wolfsschar, vom Gesange gebannt. Dahinter dunkelte zwischen den Stämmen wie ein Schattengebilde des Bären mächtiger Schädel.

Der Wind hielt den Atem an in den Lüften. Tiefer senkte sich das Himmelsblau über den Wald, und mit ihm glitt näher zu den Wipfeln nieder die Sonne.

 

 

Hettel

Im blassen Abendlichte ragte die Feste Hettels, des Herrschers im Reiche der Hegelingen, über den Dünen. Der letzte Sonnenschein erlosch auf den Zinnen. Darunter starrte das Helmdach des Burgdoms im Dämmer. Dunkel hob sich der mächtige Wall um den weiten Hof.

Aus den hohen Bogenfenstern der Königshalle strahlte es in die Dämmerung mit rötlichem Schein. Zwischen den bunten Wappenschilden an den Saalwänden flammten die Fackeln. Rufen und Reden schwirrte zum Deckengewölbe empor: ein Meer von Köpfen wogte, von farbigen Röcken schimmerte es rings an den Tischen. Auf dem Hochsitz, der sprühte im Fackelglanze von Edelsteinen und Gold, thronte König Hettel, den Purpurmantel um die Schultern, im Kreis seiner Großen. Wie lichte Seide schimmerte sein Haar in weichen Wellen den roten Wangen entlang, aus dem graden Gesichte mit dem breiten, hellen Barte glänzten die Heldenaugen unter den buschigen Brauen froh wie einem Kinde. Den Humpen schwang er. »Gott hat mich lieb, Kinder – wie sollte ich ihn nicht lieben? Gute Gesellen gab er mir, die mit mir kämpfen und zechen, stolze Fürsten dienen mir freudig: Wate, der Riese in Stürmen, Irold von Friesland, im Holstenland Morung, und ihr beide hier mir zu Seiten, meine Dänenhelden Frute und Horand. Mein Freund ist der wackre Siegwart, der König zu Sewen in Seeland. Wer in der Welt will sich mir vergleichen an Ehre und Macht?«

Frute, der Alte, schüttelte den langen Graubart über der Brust. »Weit ist die Welt, Herr, und mächtig sind neben euch manche. Ein gewaltiger König ist Ludwig zu Kassiane im Normannenland, und voller Ehrbegier hetzt ihn die stolze Gerlinde, sein Weib.«

Horand sah sinnend in die Flamme der Fackel an der Saalwand vor sich. »Kein Starker ist, heißt es, der nicht einen Stärkeren fände.«

Rot im Gesichte ward Hettel, und zornig blitzte es aus seinen Augen. »Kennst du einen, der mächtiger wäre als der Herrscher im Hegelingenland, Horand?« »Habt Ihr von König Hagen in Irland nie gehört, Herr?« »Der zählt nicht,« sprach Frute, »nicht ein Mensch wie andre ist Hagen: nicht am Herdfeuer, nicht unter Dach, unter wildem Getier wuchs er auf.«

Auf den Arm stützte sich Hettel. »Was weißt du von ihm, Frute?« »Im Rate, Herr, mag ich taugen zu reden. Mären zu künden ist der Sänger geschickter.« »Sprich, Horand,« gebot Hettel.

»Seltsame Dinge sind's, Herr, und die Fackeln könnten niederbrennen im Saale, bis ich's zu Ende erzählte.« »Es fehlt nicht an frischen!« Die Hand hob Hettel. »Stille hier in der Halle: vom Könige Hagen in Irland soll uns der Sänger berichten.«

Alle Gesichter im Saale wandten sich Horand zu, der schaute, im Sessel zurückgelehnt, zur Decke empor. Langsam richtete er sich auf und sah mit den strahlenden Augen unter sich in die Menge.

»Wundermären hört,« hob er an. »Nicht heut und nicht gestern, vor langer Zeit war es. Das graue Meer brauste im Grimm: himmelan wälzte es wutschäumend seine Wogen. Dort türmte sich finster im heulenden Sturm das Gewölk und schleuderte krachend rote Blitze in die zischende Flut. Fern im Norden ragte ein Fels steil und einsam aus der tobenden See, darunter brüllte, mit den Aesten um sich schlagend, der Wald auf dem Eiland, und über die Schiffstrümmer am Strand brauste die Brandung. Da dunkelte es zwischen Wolken und Wasser heran: rabenschwarz wuchsen riesige Schwingen, und übers Meer glühten zwei runde Augen. Auf den Fels zu stürmte der Vogel Greif, in den gelbschillernden Krallen wie einen winzigen Ballen ein Bürschlein, das wand sich und schrie in den gewaltigen Fängen, und vom Kopf im Nacken flatterte ihm das rötliche Haar. Aus der Steilwand droben aber reckten vom Horste drei junge Greife die nackten Hälse mit den grauen Hornschnäbeln dem Alten entgegen und kreischten: finster fiel der Schatten der Schwingen über sie, an den Fels hin brausten die Flügel, ins Nest hinein streckten sich die blinkenden Krallen, daraus stürzte der Knabe zu ihnen nieder. Ueber ihm fuhren sie mit den Schnäbeln gegeneinander.

Da packte ihn der eine mit den Fängen und sauste zum Horste hinaus. Flügelschlagend sank er mit seiner Last zum Walde hinab immer schneller, durchs Geäst brach er krachend und klatschte am Moosboden auf. Unter ihm hervor sprang der Knabe: mit den zerbrochenen Schwingen am Grunde zischte der Greif, den Schlangenhals gereckt, den roten Rachen weit auf. Da schwang der Bursch einen Felsstein aus dem Moose und schmetterte ihn dem Ungetüm an die Brust, daß die Knochen zerkrachten. Zuckend sank der Hornschädel mit dem Halse nach hinten. Ueber das röchelnde Untier warf sich der Knabe, in die Kehle hinein biß er ihm wütend und sog, verdurstet, gierig das quellende Blut. Dann packte er den nackten Vogelhals mit beiden Händen und zerrte die Beute keuchend tiefer ins Dickicht. Auf ein Häuflein dürren Laubes fiel er, zu Tode ermattet, den Kopf in den Armen. Ueber ihm toste der Sturm und ächzten die Stämme: er schlief.

Die Wolken über dem Eiland zerrissen, und aus dem dunkeln Spalt blinkten Sterne. Noch einmal heulte der Wind auf, dann jagte er fernhin nach Osten davon. Zum Gewölk hervor schwamm der Mond: fest schlief der Knabe im Laube.

Im Morgenrot erglommen die grauen Wolkenstreifen am Himmel. Nur die Brandung noch brauste. Aus dem Meer tauchte die Sonnenscheibe goldfunkelnd herauf. Der regennasse Wald ersprühte im Glanz.

Die Augen riß der Knabe auf. »Mutter!« rief er – und starrte ins grünleuchtende Dämmer des Dickichts: drin blieb es totenstill, nur aus dem Laub über ihm tropfte es sacht, hoch vom Horste her schrillten die Greife, und hinterm Walde rauschte das Meer. Tränen traten ihm in die Augen, wild schüttelte er das rote Haar und ballte die Fäuste.

Da klang einer Menschenstimme Laut an sein Ohr. Er horchte auf. Ferneher summte ein sachter Gesang und verstummte. Dürre Zweige knackten. Zwischen den Stämmen erschimmerten goldgelbe Flechten: ein Mägdlein kniete am Boden in grauem Gewande, Beeren pflückte es aus dem Moose. »Hierher, Schwestern,« rief es. Aus dem Gebüsch traten zwei, die Köpfe gebückt, dunkle Haare hingen ihnen wirr über die zerrissenen Hemden hinab. Der Knabe sprang auf. Da wischten alle drei wie Wiesel an den Stämmen empor ins Gezweig. »He, ihr,« schrie er: »halt! Waldwichtel oder was seid ihr?« Sie lugten zum Laube hervor. »Königstöchter sind wir, nicht Wichtel,« rief die im grauen Gewande: »unsere Schiffe gingen zu Trümmern im Sturm an den Klippen. Alle ertranken, uns drei Elende nur warfen die Wogen zum Strande. Und wer bist denn du?« »Hagen, der Sohn bin ich des Königs von Irland. Vor die Burg war ich daheim meinem Meister entlaufen, da ward es Nacht über mir, und aus der Luft brauste ein Ungetüm nieder, das griff mich mit den Krallen und trug mich übers Meer. Dort oben in den Horst an der Felswand warf's mich seinen Jungen zum Fraße.«

»Der Greif war's,« riefen die Mädchen: »der Greif!« Von den Bäumen glitten sie nieder. »Wie kamst du vom Felsen hierher?« Er wies hinter sich. »Der da wollte mich allein haben, aus dem Horst flog er mit mir und stürzte.« Über dem grünen Moose lag langhin das Ungeheuer, den roten Hals mit dem grauen Hakenschnabel aus dem schwarzen Gefieder gestreckt.

Scheu fuhren die Mädchen zurück. »Mit Steinen schlug ich ihn zu tot.« Da warf die Jüngste die hellen Flechten zurück, auf ihn zu lief sie und schlang ihm die Arme um die Schultern. »Du bist stark, Hagen, du wirft uns schützen!« Und neben ihm klagten die beiden anderen auf. »Sechs Monde schon hausen wir hier, Königstöchter, von Gott verlassen, und fliehn vor den Greifen und den Raubtieren im Walde!«

Ins Dickicht hinein führten sie ihn, dort ragte aus dem Gestrüpp ein Felsrücken, graubemoost; sie schlüpften durch einen schmalen niederen Spalt im Gestein, und vor dem Burschen tat sich im Dämmer ein weites Höhlenloch auf: drei Schütten aus dürrem Laube und Moos – ihre Betten! im Eck zu einem Haufen Beeren geschichtet – ihr Vorrat! »Sie schmecken süß,« flüsterte die Jüngste: »komm, Hagen, ich mache dir Platz bei mir auf dem Lager, willst du?« Er nickte. »Wie heißt du auch?« fragte er. – »Ich bin die Hilde.«

Und als es Nacht ward, und die Mädchen sich niedergelegt hatten, schliefen die zwei auf einer Schütte Laub miteinander: um seinen Hals hatte Hilde die Arme geschlungen, und ihr Kinderherz schlug an des Knaben Brust schnell und leicht wie das eines Vögleins.

Fern im Süden, in Irland aber lag die Königin auf dem Ruhebett in der Kemenate und weinte um ihr verlorenes Kind. Auf dem Hofe der Felsenburg Balian über dem blauen Meer war ein Galgen errichtet. Zu Roß hielt der König davor: brennrot quollen ihm unter dem Helme die trotzigen Locken, gramvoll und grimmig blickten aus dem zerfurchten Gesichte die dunkeln Augen. Stumm stand die Menge um ihn. Knechte führten den Meister des Königssohnes, den der Greif entführt hatte, herbei: die Arme waren ihm auf den Rücken gebunden, der Kopf hing auf der Brust. Und sie legten ihm den Strick um den Hals.

Jahre vergingen. Längst waren die jungen Greife vom Elternhorste geflogen und hatten sich auf wilden Inseln eine neue Heimat gesucht. Die dritte Brut schon fütterten die Alten heran. Im Walde wuchsen wie schwanke Reiser zu schlanken Bäumchen die Mädchen, von Beeren und Wasser genährt. Groß und stark ward Hagen. Zottig hing ihm das tiefrote Haar bis auf die Schultern, herrisch und wild sahen die grauen Augen. Flink von Gliedern, schnell zu Fuß war er. Den flüchtigen Hasen erlief er, das geschwinde Reh und den Hirschen. Mit bloßen Händen fuhr er dem hungrigen Wolf an die Kehle, mit dem Knüttel in der Faust ging er den Bären an, der wich brummend vor ihm ins Dickicht. Den erjagten Tieren riß er das Fell mit scharfen Steinen und spitzen Knochen vom Leibe. Das gab Mäntel für ihn und die Mädchen. Nur Feuer war nicht im Walde: roh essen mußte er das Fleisch seiner Beute, denn an den Beeren genügte ihm nicht wie den Jungfraun, und warm trank er aus der Quelle der Adern das Blut. Aus dem Horst von der Felswand herab aber glühten gierig bei Tag und bei Nacht die runden Funkelaugen der Greife, und über die Wipfel strichen die schwarzen Schwingen der Alten. Im Dickicht bergen mußten sich die Königskinder vor ihnen. Gefangne im Wald waren sie, und sehnsüchtig lugten sie von dort zum Meere hinüber, das hinter dem Himmelsrand im Süden auch um ihr Heimatland spülte.

Vergebens sann Hagen, wie er die Greife zu bezwingen vermöchte. An den Königshof in Irland dachte er: dort wuchsen seine Gespielen unter den Ihren zu Ehre und Ruhm, und er hauste hier, unter wilden Tieren ein Wilder. »Gott haßt mich!« murmelte er und immer finsterer blickten seine grauen Augen, je größer er wurde. Nur wenn Hilde bei ihm saß, war es stiller in seinem Herzen, und wenn sie ihm zärtlich über die gekrauste Stirn strich, ging es wie ein Lächeln durch sein Gesicht.

Ein schlimmer Morgen brach an. Der Sturm brauste. Ueber dem Meer kreisten die Greife, die Riesenschwingen gebreitet. Mit zerfetzten Segeln schwankte ein Schiff auf den Wogen: an Borde und Masten geklammert hingen die Mannen, Hilfsgeschrei hallte schwach durchs Tosen des Sturmes. Auf die steile Felsklippe vorm Strand trieb es zu; am scharfen Gestein fuhr es hoch, krachend zerbarst es, und die Trümmer sanken, von den Wogen niedergerissen ins Meer. Planken schwammen auf und deckten weithin das schäumende Wasser, dazwischen tauchten Köpfe empor und reckten sich Arme. Da stießen die Greife mit gestreckten Fängen hinab auf die Schwimmer, rissen sie aus den Wellen und schwangen sich mit den Schreienden durch die Lüfte zum Horste.

An dem Baumstamm in seinen Armen zerrte und rüttelte Hagen voll ohnmächtiger Wut. Da blinkte es aus einer Woge auf, die schlug mächtig heranrollend zum Strand, und als sie, zusammengebrochen, zurückrann, lag auf dem Sande, vom Meer ausgespien, eine Leiche in Brünne und Helm mit den Schuppenketten ums Kinn. Ihr nach schwirrte schimmernd ein Schild aus dem Schaum.

Zum Wald rannte Hagen hervor. Angstvoll schrien die Mädchen hinter den Bäumen. Den Eisenhut ergriff er und stülpte ihn über, von der Seite riß er dem Toten das Schwert und packte den Schild. »Nun berg ich mich nimmer!«

»Der Greif, der Greif!« gellten die Stimmen der Mädchen. Hinter einen Felsen duckte er sich. Nachtschwarz brauste es nieder, aus dem Dunkel glühten die Augen, zwei Brände, und streckten sich weitaufklaffend die gelben Fänge: nach dem Schilde über dem Helm langten sie. Ins Bein hieb er dem Greifen das Schwert. Der Hakenschnabel fuhr auf ihn zu. Da stieß er die Klinge bis ans Heft ins rotglühende Auge. Ein Röcheln erdröhnte: wie ein Felsblock stürzte das Untier aus den Lüften zu Boden, daß der Strand weithin erbebte. Aber schon schoß vom Horste mit geschlossenen Schwingen der zweite Greif, eine dunkle Sturzwelle, nieder. Auseinander fuhren die Flügel. Zur Seite sprang Hagen. Am Strande prallte das Ungetüm auf. Blitzschnell unterlief er's und rannte ihm das Schwert in die Weiche. Schrillend fiel's hintenüber, streckte zuckend die Krallen, die Schwingen erzitterten, und tot lag es neben seinem Genossen. »Ihr Mädchen, herbei!« schrie Hagen: »nun wehrt uns den Strand keiner mehr!«

Aber als Hilde hinzusprang, brach er ohnmächtig vor ihr unter den Leichen der Untiere zusammen.

Acht Tage lang kreischten und klagten die jungen Greife vom Horste. Dann ward es still droben. Frei und froh schweiften die Königstöchter rings durch. die Insel. Hagen aber grollte: »Was jubelt ihr? Wollt ihr auf Planken durchs Weltmeer schwimmen zur Heimat?« Größer nur ist unser Kerker geworden!«

Eines Morgens war es. Am Strande stand Hagen und sah übers Meer, das schimmerte im Sonnenschein glatt und öd. Möven nur kreisten über den Wassern, ab und zu wölbte sich dunkel der Rücken eines Wales daraus, und ein Silberstrahl schoß wie eine Springflut empor.

Zu den Füßen Hagens sammelten die Mädchen glänzende Muscheln zum Schmucke. Da tauchte es fern im Süden am Himmelsrand spitz und schmal auf: wie von hellen Flügeln erblinkte es, und jetzt hob sich darunter ein Bord aus der See.

An allen Gliedern erzitterte Hagen. Auf einen Klippenstein sprang er. »Hilde, Mädchen – ein Schiff!«

Sie fuhren von den Muscheln empor – grad auf die Insel zu steuerte mit geblähten Segeln ein Fahrzeug. Hastig klommen sie zu Hagen hinauf: alle vier winkten sie mit den Armen und schrien.

Die Segel sanken. Auf Bogenschußweite schaukelte das Schiff vor ihnen über die ruhig atmende See. Vorn am Deck drängten sich die Mannen in Lederkappen.

»Heran, heran!« schrie Hagen.

Da schallte es vom Borde herüber: »Erst sagt uns, wer seid ihr dort drüben mit Menschenköpfen in Fellen, Meerwunder oder Christen?« »Christen sind wir,« schrie er vom Strande: »hie Hagen, Irlands Königssohn, vom Greifen geraubt, hie Königstöchter im Elend!«

»Schlagt das Kreuz!« In die Knie sanken sie und schlugen das Kreuzeszeichen von der Stirne zur Brust.

Ein Boot rasselte nieder und ruderte auf den Strand zu. Ein Mann in Pelzhut und kostbarem Mantel stand aufrecht darin. Ans Land sprang er. »König Hagen, seid ihr es, den wir lange verloren geglaubt? Gott sei's gelobt! Kauffahrer sind wir aus Irland. Ach Herr, im Gram um euch starb euer Vater. Siech liegt eure Mutter, die hofft noch immer, daß ihr zurückkehrt. Um die Herrschaft in eurem Reich aber streiten die Fürsten. Willkommen, Herr, zu Diensten steht euch, was wir haben: schafft uns Frieden im Lande!«

Südwärts flog, alle Segel gespannt, das Kauffahrerschiff. Es staunten die Mannen, da die Jungfraun, die in zerrissenen Hemden und rohen Fellen in den Kielraum gegangen, auf Deck traten, in herrliche Seidengewänder gekleidet. »Wahrlich, jetzt kennt man's: Königstöchter sind diese!«

Auf dem Vordersteven trat Hilde zu Hagen. Blau wie die Woge floß ihr die Seide um die schlanken Glieder. Das lange Haar, im Nacken vom Purpurbande umschnürt, wehte ihr frei um die Schultern. »Gefall ich dir nicht mehr, sahst du mich lieber im Felle, ward ich dir fremd in der Pracht? Was schaust du so finster? Jauchzt dir das Herz nicht? Zu Ende das Elend! Heim fahren wir, heim!« In den Mantel gewickelt blickte er düster hinaus auf die See. »Ja, Hilde – zum toten Vater! In mein Reich, das mir gierige Hände zerreißen!« »Du heilst es!« »Unter Wölfen erwachsen, steh ich, ein Waldschrat, im Kreise der Mannen, und wie ein Waldwunder gaffen sie alle mich an. Zum Hohn und Gelächter für andre machte mich Gott!« »Hagen, uns führte Gott im Elend zusammen: ihm danke ich dich! Dankst du es ihm nicht?« Er schwieg.

Die Morgensonne glänzte über der Felsenburg zu Irland. Durch die Fenstervorhänge schimmerte ihr Schein grünlich ins Schlafgemach der Königin droben. Aus den Kissen dämmerte unter den grauen Haaren der Siechen eingefallenes Gesicht, ruhelos irrten die Augen. Geschrei hallte vom Hofe herauf. »Helmtrud, was haben sie wieder?« Die Jungfer beugte sich über das Bett. »Ich weiß es nicht, Herrin.« »Die Krone wollen sie, die Krone, die meinem Sohne gehört! Bis ich tot bin, sollen sie wenigstens warten. Es währt nicht mehr lange, sag's ihnen!«

Lauter klang das Schreien, in die Burggänge drang es. »Helmtrud, mein Herz klopft, aus der Brust will es mir springen, richte mich auf!«

Jubelnd wälzte sich's näher, von hastigen Tritten dröhnte der Boden. Die Türe sprang auf: über der Schwelle stand ein Jüngling, groß und schlank, ein Mädchen mit hellen Flechten an der Hand. Hinter ihm drängten sich heilrufend die Mannen. Den Helm riß er vom Kopf: brennrote Haare bäumten sich über der weißen Stirne, herrisch suchten die grauen Augen – und glänzten in Tränen auf, als er im Bette die Kranke erblickte. »Kennst du mich nicht mehr, Mutter?« rief er. Nach Atem rang sie und reckte sich auf. »Mutter?« stammelte sie: »wer bist du?« und ihr Gesicht zuckte. – »Kennst du auch das nicht?« Von der Brust riß er ein goldenes Kreuz, vor ihren starren Augen erblinkte es. »Hagen, mein Kind!« schrie sie auf. Zum Bette hin stürzte er und umschlang sie. Da fiel sie röchelnd in seinen Armen zurück in die Kissen, und roter Schaum trat auf die bleichen Lippen.

Verstummt stand die Menge hinter der Türe. Hilde rührte Hagens Schulter. »Was ist ihr?« Er ließ die Mutter aus seinen Armen und wandte sich um. »Sie ist tot.«

In den Sessel am Bett saß er nieder und starrte finster zu Boden. »Kein Glück hab ich, und kein Glück bring ich, wohin ich komme: geht von mir alle!« »Nein,« sprach Hilde: »zusammen wuchsen wir auf, ferne von Menschen im Elend. Wo du bist, bleibe ich. Der Mutter das Totenbett richten helfe ich dir.« ...

Horand schwieg und fuhr sich mit der Hand übers Haar. »So kam der wilde Hagen nach Irland. Seine Mutter begrub er und ward König, wie es ihm zustand. Hilde behielt er zum Weibe, ihre Gespielen aber sandte er den Eltern zurück.«

Still saßen die Mannen im Saale und schauten vor sich nieder. Dann hob sich sachte ein Reden und Raunen und schwoll, wie die Brandung am Strande aufrauscht, wenn der Morgenwind aus stiller Nacht über das Meer streicht. »Wie ward es mit den Irlandsfürsten,« fragte Hettel, »die um das Erbteil Hagens gestritten? Beugten sie sich ihm willig?« »Willig nicht, aber sie mußten es wohl. Er zwang sie mit dem Schwerte. Und sein Herrscherstab blieb für alle Zeiten das Schwert, denn hart war Hagen in der Wildnis gewachsen!« Von dem Tisch unter dem Hochsitz rief einer: »Mich wundert, daß sie den Herrscherstab über sich litten. Stolze Mannen aus den Nordlanden waren ihre Väter, mit den Waffen gewannen sie Irland für Hagens Ahn. Die hätten nicht Willkür ertragen wie ihre Enkel!« »So war es nicht. Keine Willkür übte Hagen. Unrecht tat er auch dem Geringsten nicht an, aber freilich, auch recht tat er keinem.« »Das ist ein Rätsel,« sprach Hettel: »keinen Raum weiß ich zwischen Recht und Unrecht für andres!« »Seine Gerechtigkeit war nicht von Gott, denn sie war ohne Güte: keine Gnade kannte Hagen. Als wären ihm in der Wildnis unter den Tieren die Menschen fremd geworden, so war es. Eine nur unter allen hatte er lieb, Hilde allein. Nur was sie ihn bat, um ihretwillen gewährte es Hagen. Eine Tochter gebar sie ihm: Junghilde. Aber als das Mädchen dem Vater mit dem Scheitel bis zur Schulter hin reichte, ward Hilde siech. Und sie starb. Keine Träne vergoß Hagen: starr ward sein Gesicht und weiß wie aus Kalkfelsen gehauen, als wäre auch ihm das Leben daraus gewichen. Vor die Leiche führte er das halbgewachsene Kind. »Sie liebte mich,« sprach er, »und auch sie nahm mir Gott. Merke dir's, Tochter: nun hab ich auf aller Welt nur noch dich!« »Und Hilde, sie lebt noch bei ihm als Jungfrau?« »Bei ihm lebt Hilde, die herrlichste Jungfrau. Ein seltsames Land, Herr, ist Irland, die weite Insel im Westmeer. Gen Mitternacht liegt sie, aber warm spült um ihre Felsenküste die Flut, hohe Bäume mit üppigen Blättern grünen, golden reifen die Früchte im Laub, und dazwischen starren Tannen mit harten Nadeln. Grad als hätten sich dort Nord und Süd auf einem Flecke getroffen. So ist's auch mit Junghilde. Schlank und hoch wuchs sie mit goldrotem Haar, aber schwarz wie schmale Schatten liegen die Brauen über den blauen zärtlichen Augen. All seine Liebe zur Mutter wandle der Vater nun auf die Tochter. Was sich ein Menschenherz nur ersinnen kann, alles schafft ihr Hagen und müßte er Reiche darum überrennen. Nur eines gönnt ihr seine Furcht nicht: die Freiheit. Hinter Wällen hütet er sie in weiten Gärten, im Frauenturm schläft sie, und wenige sind's, die sie von Angesicht sahen. Die aber sagen: der Nibelungen Gold mögen die Sänger preisen, Ermenrichs Schätze, der Breisingen Hort – vom höchsten Kleinod auf Erden weiß nicht, wer sie nicht geschaut, Irlands Königstochter Junghilde!«

»Das Kleinod muß ich haben!« fuhr Hettel auf. »Keine andre taugt neben mich auf den Hochsitz der Hegelingen. Ich will um sie freien!« »Um Hilde zu freien, ist Tod, König Hettel. Alle Boten der Fürsten, die um sie werben, läßt Hagen zum Galgen führen und hängen. Längst schon lief kein fremdes Schiff mehr in den Hafen.« »Ein Untier ist Hagen, kein König!« rief Hettel zornig. »Sein Herz hatte Gott erkannt, drum strafte er ihn. So nehm ich die Tochter ihm mit Gewalt!« »Fern über dem Meere liegt Irland. Eure Gewalt, König, reicht nicht bis zu ihm hin.« »Ich muß sie haben, ich schwör's! Du reiztest mich, Horand, nun rate, nun hilf mir, Hilde gewinnen!« »Reize ich euch, Herr, nach der Sonne zu greifen, wenn ich sie preise?«

Frute umfaßte den schmalen Graubart mit der Rechten und sann. Dann sah er zum Könige auf. »Was man mit Gewalt nicht erreicht, auf anderem Wege, Herr, kann man es suchen!«

 

 

Wate

Zu Stürmen im Süden der Dänenmark war's. Ein Meer von erstarrten Purpurwellen, dehnte sich im Hellen Sonnenscheine die Heide. Hier und da nur wehten schlanke Birkenstämmchen mit ihren langen grünen Haaren im Winde und ragten, vom Sturme zusammengezaust, einsame Kiefern. Der Kuckucke blaugraue Scharen taumelten weithin liebestoll in den Lüften und jauchzten. Darüber läutete der Heidelerche Silberglöckchenspiel in zärtlichen Trillern.

Ueber das Moor stampfte ein riesiger Recke im Lederwams, den Bogen am Buckel, den Köcher an der Seite. Das graue Haar wirbelte ihm um den bloßen mächtigen Schädel, ellenweit quoll ihm der Bart über die Brust bis zum Gurte. Am langen Spieße schwang er sich über Tümpel und Gräben. Eine Dünenwelle hob sich gelb aus dem Moor, die klomm er hinauf. Da brauste unter ihm hinter dem flachen Strande die See. Herden von Robben sonnten die fetten, dunkelglänzenden Leiber am Sande und reckten quäkend die kurzen, schnauzbärtigen Köpfe. »Grüß dich, Mutter Meer,« brummte der Recke, »hei, Alte, heut raub ich dir ein paar Söhnchen!« Er legte den Spieß ab und hob den Bogen vom Buckel. Mit großen Augen schaute er zur Robbenherde hinab und zog einen Pfeil aus dem Köcher. Da scholl ihm im Rücken ein Rufen von ferne, und dumpf tönten Hufschläge her. Auf dem Steg übers Moor sprengte ein Reiter, wie Flügel flatterten ihm zu den Seiten die Arme. »Boten, Herr Wate,« schrie er, »von König Hettel! Alle Landesfürsten ruft er auf die Hegelingenburg zu Matelane. Gleich sollt Ihr kommen!« »Auch gut,« murmelte Wate und steckte den Pfeil in den Köcher, »bessere Jagd als auf Robben, hoff ich, geht uns dort auf!« ...

Im Westen von Sturmland trabte Fürst Irold mit einem Dutzend Mannen hinter sich zum Tore der Friesenburg hinaus, die ragte mit Türmen aus Holz hinter dem Erdwall. Unter dem Helm blickten aus dem bartlosen hellen Gesichte mit der Adlernase verwegen die jungen Augen. Ueber die Schulter wandte er den Kopf zurück zum Gefolge. »Frisch, ihr Herrn, spornt eure Rosse! Die ersten müssen wir sein, zu hören, was es am Hegelingenhof gibt!« ...

Vom Ostmeer her ritt Morung mit seinen Holsten durch die Täler zwischen den Buchenwäldern nach Westen. Lose hielt die Linke den Zügel, mit der Rechten strich er sich über den kurzen flachsgelben Bart, nachdenklich sahen die blauen Augen auf den Sattelknopf nieder. »Alle Landesfürsten zumal,« sprach er zum baumlangen Recken, der, den Speer im Bügel, neben ihm ritt, »ein Geringes ist's nicht, um das uns König Hettel geladen!«

*

Im Hofe zu Matelane schnaubten die Rosse. Die Troßknechte lungerten, Mägde liefen geschäftig mit Kannen und Schüsseln von der Burg zum Vorratshaus und zurück, und kreischten, wenn die Reitergesellen nach den vorüberflatternden Zöpfen langten und lachten.

In der Halle saßen die Fürsten um Hettel im Hochsitz. Vor dem Könige stand, mit dem Buckel zur Halle, der Sturmländer Wate, groß und breit wie ein aufgerichteter Bär. »Versäumt hab' ich mich,« brummte er, »fehl geführt hat uns der Bote. Der Teufel hole das Hegelingenmoor: bis an die Knie brachen sie ein, unsre Hengste!« »Wate,« sprach Hettel, »mit Frute und Horand, mit Irold und Morung hier hab' ich's besprochen: eine Heerfahrt sollen sie für mich tun weit über Meer. Willst du dabei sein?« Rauh lachte Wate, daß die Halle erdröhnte. »Dich zog ich zu Stürmen als Bürschlein auf, König Hettel: von mir hast du's gelernt, den Speer zu werfen und die Pfeile zu schnellen. Meinst du, ich bleib daheim, wenn es gilt, für dich zu kämpfen?« »So höre, Wate: Irlands Königstochter, die schöne Junghilde, will ich zum Weibe. Hängen läßt ihr Vater, der wilde Hagen, alle Boten, die um sie werben. Die sollt ihr mir entführen!« Die Stirne kraus und den Mund schief zog der Alte. »Um ein Weibsbild soll's gehn! Wenig Ruhm und viel Kummer ist da zu gewinnen. Fürstentöchter genug hast du im eigenen Lande, die dir wohl anstehen!« »Hilde will ich oder keine!« »Hüte dich, Vetter, allzusüß verdarb manchem Manne den Magen. Uebel bekam das Honigschlecken, heißt es, zum Schlusse dem Bären!« Düster ward Hettels Gesicht. »Keinen zwinge ich, der sich scheut.« »Scheut!« grollte Wate, »wenig fürcht ich für mich, dir des Teufels Docke zu holen!« »Wohlbewacht sitzt Junghilde,« sprach Horand, »hinter Mauern und Riegeln verschlossen. Mit Gewalt kann sie von dort keiner holen. Ein Handelsschiff rüsten wir, im Kiel unten die Mannen verborgen. Ein Schnellsegler soll uns folgen und hinter uns kreuzen. Als Kauffahrer ziehn wir zu Hagen mit Kleinoden, mit Purpur- und Seidengewändern, ob's uns gelingt, die Schöne aus dem Turme zu locken. Und du sollst uns führen!« Da fuhr Wate auf. »Was, Krämergewand soll ich umtun und feilschen! Sucht euch einen andern!« »Recht hat Wate,« sprach Frute, »schlecht taugen würde er, sich zu verstellen. Ich mache den Kaufherrn. Ohne dich aber, Wate, können wir es nicht wagen. Komm mit als landloser Recke und hilf uns!« Mißmutig kraute sich der Riese den Schädel. »Ich versprach's, so muß ich wohl,« brummte er, »aber das Garn, das ihr da spinnt, mir gefällt's nicht!«

Horand lachte. »Warum nicht? Mir gefällt's. Der Freier Recht tritt Hagen unter die Füße – List gegen Gewalt! Nicht mit dem Schwerte nur, Wate, schlägt man den Feind!«


 << zurück weiter >>