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Junghilde

 

 

Die Kauffahrer

Um den grauen runden Frauenturm hinter der Irenburg zu Balian dehnten sich still in der Morgenfrühe die Gärten des Königs. Durch den lichten Silbernebel schimmerte die Sonne zärtlich auf dem breiten grünen Laubdache der Platanen. Rot und weiß blühten die Büsche, dahinter dämmerten unter den dunkeln Tannen mannshohe zackige Farrenkräuter in Scharen. Ferneher blaute über die weiße Mauer im Westen das Meer. Von der Brüstung spähte eine Magd in gelbem Häubchen, die Hand vor den Augen, hinaus. Auf der Ruhebank unter der Linde neben dem Turm lag die Königstochter Junghilde; vom Gurt abwärts glänzte das Helle Gewand im Sonnenlicht, aus dem Schatten schimmerte über dem Seidenkissen das goldrote Haar, zum Grase hinab hing der weiße Arm.

»Herrin,« rief die Magd droben: »ein fremdes Schiff ist's, so groß sah ich noch keines. Kauffahrer sind's, reiche Leute sind es gewiß. In unsern Hafen laufen sie ein. Ach, wie lang war das schon nicht mehr, hei, da gibt's was zum Sehen!« Die Königstochter seufzte: »Für euch wohl, nicht für mich!« und ihre blauen Augen träumten unter den dunkeln Brauen zum Himmel hinauf. Die Magd kam von der Mauer herab. »Was habt Ihr, Herrin? Ihr blickt, als fehlte Euch was!« »Meinst du, der Königstochter könnte nichts fehlen?« »Ei, so wünscht es Euch doch, und vom Himmel herab holt es Euch König Hagen!« »Das holt der Vater mir nicht!« »Was ist's denn, was Ihr begehrt?« Hilde stützte den Arm auf. »Ach, Mädchen, ein stilles Herz! oder – sieh, wie es rings um uns leuchtet – ich wünschte, ich wollte, ich wär wie der Wind, der frei über Meer und Land fahren darf, wohin es ihm gefällt, immer weiter!« »Bis ans Ende der Welt,« lachte die Magd: »und wo wollt Ihr dann hin?« ...

Zu Füßen der Felsenburg sonnte sich, ein Heer von spitzen Giebeln, das Städtchen. Leer lagen die Gassen. Zum Meere hinab strömten die Leute in Scharen. Am Strande lag das Kaufmannsschiff, auf Rollen aus runden Balken emporgewälzt; buntbemalt glänzte es unter dem blauen Himmel, den Schnabel gereckt, die prächtigen Seidensegel gerefft. Vom hohen Bord herab kletterten die Mannen auf Leitern.

Im Hafen hielt König Hagen zu Roß. Unter dem Helme sahen die Augen hart aus dem bleichen, starren Gesichte. Vor ihm neigte sich im blauen Sammetmantel ein Graubart, den Hut in der Hand; hinter ihm standen vier aufrecht in Waffen, darunter einer mit breiten Schultern über den Köpfen der andern, das trotzige wetterharte Gesicht in dichten Haaren.

»Frute, der Kaufherr aus dem Hegelingenland, grüßt Euch, König Hagen,« sprach der Alte. »Mit unseren Waren in Irland zu handeln fuhren wir her.« »Und wer sind die Krieger dort hinter Euch?« »Recken, Herr, von König Hettel vertrieben. Ein neues Heim suchen sie in der Fremde, um Obdach bitten sie Euch.« Da warf der Große unter den Vieren das Kinn auf und schnaubte zornig durch die breite Nase: »Wer bittet? Ich bettle nicht, König! Wer mich nicht haben will, laß es bleiben, und wer es mag, seh zu, wie er fährt! Dafür gab Gott ihm die Augen. So ist es.« Die Stirn runzelte Hagen. »Was ist das für einer? Kein Wunder scheint es mir, daß er mit seinem Herrn in Streit geriet!« »Wate aus Stürmen ist's, ein trotziger Kämpe, aber ohne Falsch wie ein Kind!« »Ohne Falsch habe ich selten Menschen erfunden.« »Er ist es, König. Aber wollt Ihr die Gaben nicht sehn, die wir Euch zollen? Ob Ihr es erlaubt, daß wir unsre Buden am Strand aufschlagen und handeln?« Frute winkte. Zwei Schiffer trugen eine schwarze Kiste herbei. Den Deckel schlug er auf und wand eine schwere Goldkette hervor. »Das für Euch, Herr!« Ein Diadem hob er, das funkelte von roten Rubinen. »Für die Königstochter!« Er wies in die Kiste hinab, drin blinkte es von goldnen Armreifen, Spangen und Ringen. »Und das für die Mannen!«

Hagen stutzte. »Reich ist der Zoll. Mächtig muß der König sein, dem solche Kaufleute untertan sind. Es ist gut.« Er zog die Klinge und streckte sie über das bloße Haupt Frutes. »Unter mein Schwert nehm ich euch in meinen Frieden. Herberge in der Stadt sollen meine Bürger euch geben. Irlands Recht hört und merkt: wer euch kränkt, mit der Weidenschlinge um den Hals soll er es büßen – kränkt ihr mir aber einen der Meinen, so wartet der gleiche Galgen auf euch!« Er stieß das Schwert in die Scheide, winkte zu den Recken hinüber und ritt mit dem Gefolge durch die Menge davon.

»Das ging glatt, Horand,« sprach Frute und rieb sich die Hände. »Schau nur das Volk rings, wie sie das Schiff anstarren und staunen! In allen Häusern der Stadt reden sie heute davon ... He, all meine Leute,« rief er über die Schulter zurück. »Gewonnen ist's, frisch an die Arbeit, heraus mit den Ballen! Schleppt aus dem Kielraum die Bretter, die Buden gerichtet!«

Da hob sich ums Schiff das Getümmel. Mit Säcken am Buckel klommen sie die Leitern hinab. Ueber den Bord schoben sie Planken. Und bald hallte der weite Strand vom Knirschen der Sägen, von Axtschlägen und Hammergedröhn. Um sie herum aber saß, stand und lief alt und jung aus dem Städtchen und schaute begierig zu, wie das Werk wuchs ...

Als die Morgensonne über die Felsenburg emporstieg, glänzte eine Reihe von Bretterbuden mit bunten Wimpeln über den Dächern am Strande. Frute schritt emsig auf und ab vor der Menge und schlug schallend Hand in Hand. »Heran, heran! Kram schaut, schaut Kram! Kleinode über Meer von den Mohren, Purpur und Seide! Kauft, Leute, kauft: teure Ware um billiges Geld!« Eine goldne Spange nahm er vom Laden und hielt sie einem Mägdlein vor die Brust, das wich scheu zurück. »Still gehalten, mein Liebchen! Hei, wie das blitzt vom Gewande! Was, Nachbar, steht's ihr nicht an, als hätt' es der Schmied eigens für sie gehämmert?« Rot im Gesichte schob die Dirn zögernd das Schmuckstück zurück. »Kein Geld hab' ich,« flüsterte sie. – »Behaltet's, ein freundliches Lächeln ist Gold wert! So, nun habt Ihr bezahlt! Grüßt Euren Schatz von Frute, dem Kaufherrn!«

An die Läden hin drängte die Menge ...

Zur Stadt hafteten zwei Bürger zurück. »Da schau, das Kettlein von Perlen, auf mein ehrliches Gesicht lieh er's mir!« »Die Seidenhaube ließ er mir um den halben Preis, meine Alte wird lachen!« ...

»Kauft, kauft!« rief Frute. »Teure Ware um billiges Geld! Voll steckt unser Kielraum, leer werden muß das Schiff, bis wir heimfahren, Leute!«

Am Stock humpelte ein Alter mühsam heran: aus dem bleichen Gesichte starrten die glanzlosen Augen auf die schimmernden Schätze über den Läden. Horand schlug ihn auf die Schulter. »Warum so trübselig, Vater?« »Ach, Herr, ich schaue, was es Gold und Kleinode, was es reiche Leute gibt in der Welt, und mir sitzt drüben im Schuldturm mein Sohn um ein Kleines!« Horand griff in die Geldkatze am Gurte. »Hör, Freund, bei uns im Hegelingenland heißt es: eine Schuld hat der Frohe von seiner Freude zu zahlen, daß er andere froh macht. Langt dir das zum Lösegeld, Alter?«

*

Acht Tage schon boten die Fremden ihre Waren feil in den Buden, und die leergekauften Läden füllten sich immer von frischem.

Die ganze Zeit über kreuzte fern vor dem Hafen ein Segler, verschwand hinterm Himmelsrand und kehrte wieder. Da wußte es keiner am Strande: war das einer oder war's immer wieder ein anderer?

Vom offnen Fenster des Frauenturmes sah Hilde unverwandt zum Meere hinab. König Hagen trat in die Tür. Die Hand am grauroten Barte blickte er zu ihr hinüber, und über die grimmigen Augen im zernarbten Gesichte flog es wie Sonnenschimmern aus Wintergewölk. »Nun, Tochter, was schaust du so eifrig, daß du meine Schritte nicht hörst?« Sie wandte den Kopf. »Die Kaufleute, Vater! Alle Tage wird's größer, das Gewimmel um ihre Buden. Die Mägde erzählen, so kostbare Kleinode schauten sie nie, und nie kauften sie Schätze so billig. Gute Menschen müssen es sein: aus der Schuldhaft, heißt es, lösten sie schon manchen Armen!« »Stolze Leute sind's, Hilde! Und mir schwant, mit dem Schwerte erwarben sie ihre Waren. Nicht Kaufmannsart ist es, wie sie ihre Güter verschleudern. Recken haben sie bei sich, die schauen wie Fürsten. Auf die Burg zum Schmause hab' ich sie heute geladen, daß sie mir von ihrem König Hettel im Hegelingenlande berichten.« »Vater,« auf die Schultern legte sie ihm beide Hände und sah ihm bittend ins Auge, »laß mich hinunter zum Hafen mit meinen Jungfern, die Waren zu schauen!« Hagen zog die Stirne in Falten. »In den Turm schaffen laß ich dir all ihre Schätze!« »Und die fremden Recken darf ich nicht sehn?« Das Schimmern in seinen Augen erlosch, wie von der harten Schneedecke im Abend der flüchtige Sonnenstrahl schwindet. »Nach niemandem außer mir verlangte je deine Mutter: ist dir zu wenig, was ihr genug war? Versagte ich dir je einen Wunsch?« »Diesen hier, Vater!«

Ihre Rechte ergriff er und preßte sie in der seinen zusammen. »Weißt du, was du willst? Die Welt draußen glänzt: falsch ist sie, voller Eigensucht und voll Gier. Mein bist du, mein letztes Glück, meines Weibes Erbteil an mich! Dich hüt ich vor allen gierigen Händen, und keiner soll dich mir rauben! Den wilden Hagen heißen sie mich – wohl uns beiden, ich bin es!«

Sie schaute ihm nach. »Nein,« flüsterte sie: »mich begehrt keiner mehr, dafür sorgtest du, Vater! Ach, wenn du mich weniger liebtest – schwerer als Haß, will es mich manchmal bedünken, ist allzuviel Liebe zu tragen!«

*

Die Sonne war ins Meer gesunken. Weithin glänzten die Wogen im Dämmer, als wäre das Glutengold des Tagesgestirnes in ihnen zerschmolzen. Den Burgfelsen stiegen die Hegelingenrecken auf schmalem Pfade hinan. Schwarz und groß ragte die Burg ihnen zu Häupten. Ihre Purpurgewänder schimmerten durchs Dunkel. Ueber ihnen blinkte Wates mächtiger Bart, zu Zöpfen nach der Väter alter Festsitte geflochten und mit bunten Seidenbändern geschmückt. Irold, der Friese, schritt ihm zur Seite. »Heute bangt Frute um uns in der Herberge bei seinem Bürger, daß wir ihm das Spiel nicht verderben.« »Gilt das mir?« brummte Wate, »warum nahmt ihr mich mit? Um Frutes willen spalt ich die Zunge mir nicht!«

Durch den weiten Torbogen gingen sie an den Linden im Hofe vorüber und traten in die Burghalle ein. »Ho, hier ist's ja hell wie bei Hettel!« rief Wate von der Schwelle und blinzle ins Fackellicht, das flammte rings von den kahlen düsteren Wänden. – »Ein Heer ist's, das da tafelt,« sprach Horand und sah über die Schar der Zecher im Saale, die saßen in zwei langen Reihen dichtgedrängt um die Tische. Sie schritten hinein. Da fuhren die Köpfe der Iren vor, Arme reckten sich weisend, und auf der Bühne hinten im Hochsitz erhob sich König Hagen. »Willkommen, meine Gäste!«

Ihm gegenüber an der Ehrentafel nahmen sie Platz. An die Wand hinter dem König starrte Wate empor. Dort hing ein Bärenfell, dunkel und groß, in zwei gelben Riesenkrallen, die sich aus dem Stein hervor reckten. »Was sind das für Fänge?« staunte er mit offenem Munde. »Solch ein Riesenvieh, wie dazu gehört, sah ich nie!« »Ich glaub es,« sprach Hagen: »dem Vogel Greif hieb ich sie auf der Insel im Nordmeer vom Leibe, und den Bären darunter schlug ich mit dem Knüttel zu tot. Aber das ist lang her. Sagt mir, ihr Herren – nicht so schaut ihr, als ob euch ein König gerne in seinem Gefolge vermißte – wie kamt ihr mit Hettel in Streit?« Horand strich sich die hellen Locken aus der Stirne. »Herr, schwer fällt es uns, davon zu sprechen. So hört denn: Landesfürsten waren wir unter Hettel, nach einer fremden Königstochter stand dem König der Sinn, wir aber wollten, ein Weib aus dem eigenen Volke sollte er nehmen. Mächtig ist König Hettel, wir mußten weichen.« »Und bliebt auch im Elend dem Worte treu, das ihr euch gegeben? Das lob ich.« Wate fuhr zornig auf. »Glaub dem Sänger nicht, König, er lügt!« Horand lachte. »Hört Ihr ihn, Herr? Viel kann Wate ertragen, nur eines nicht: daß man ihn preist. Seine Taten, meint er, sollens allein tun.« Hagen blickte zum Riesen hinüber, der mürrisch den Kopf schüttelte, und hob den Becher. »Diesen Trunk dir, Heil Wate!« »Heil auch dir, König – so lange wir gegeneinander nicht kämpfen!« Ueber Hagens hartes Gesicht glitt ein Lächeln.

Durch den Saal schwirrte Rufen, von den Bänken standen die Mannen auf, rückten geschäftig die Tische zurück an die Wände und scharten sich in einem weiten Kreise zusammen.

»Was gibts dort?« fragte Wate. – »Unsre Kampfspieler sollt ihr sehen,« sagte der König. In den Kreis traten zwei schlanke bartlose Burschen, Arme und Brust nackt bis auf die Hüften. Sie hoben die Klingen und kreuzten sie über den Köpfen. »Schlag zu, Runolf! – Wacker, Kjartar, wehr dich!« schrien die Mannen. Die Schwerter schwirrten, Funken sprühten. Vor und zurück sprangen sie. Da spritzte dem einen das Blut aus der Stirne, und sie senkten die Waffen. »Runolf, Runolf Heil!« brauste es durch die Halle.

»Nun, saht ihr im Hegelingenlande dergleichen?« fragte Hagen. »Reigenspringer sind's, kein Kämpfer,« brummte Wate. »Ein Gaukelspiel ist's!« Durch den Saal murrte es. Hagen warf den Kopf in den Nacken. »Möchtest du deine Kunst uns wohl zeigen?« Wate wandte sich. »Warum nicht? Aber ich wollte, den Gegner könnt ich mir wählen: gegen das Schwert, das die Krallen droben dem Greifen abhieb, da würd ich's am liebsten versuchen!«

Still ward es in der Halle. Der König sprang auf. »Recht, Wate! Bringt uns Schild, Schwert und Helm. Drei Schläge mit dem Gast will ich tauschen, wer fester steht von uns beiden!« In den Saal stiegen sie nieder. Dort, wo die Kampfspieler gefochten, standen sie gegeneinander. Trotzig gereckt wie eine hohe knorrige Wettertanne der König, wie ein Felsblock, der vom Berg niederprasseln will, Wate. »Schlag zu!« rief Hagen. – »Der König zuerst!« über die Schulter schwang der Ire das Schwert: des Sturmländers Schild dröhnte auf. Zweimal hieb Hagen, zweimal Wate: die Spangen, barsten und Erzsplitter schwirrten hochauf. Zum drittenmal holte der König aus: Wates Schild klaffte entzwei. »Heil unserm König!« donnerte es durch den Saal. Da krachte des Sturmländers Schwert durch den Schild auf den Helm seines Gegners. Hagen wankte – nach dem Dolch im Gurt griff er. Aber gleich wieder stand er aufrecht und ließ schweratmend den Messergriff fahren. Langsam wich ihm das dunkle Blut aus dem Gesichte, und er bot dem Sturmländer die Rechte. »Mich traf's, aber ein Meisterschlag war's. Ein schlimmer Gegner wärst du auch dem Stärksten im Ernstkampf. Uebel ständ es mir an, ließ ich solche Gesellen wie euch in der Herberge bei den Bürgern. Bei mir sollt ihr in der Königsburg wohnen von heut ab!« Horand verneigte sich dankend.

*

Grau hingen die Morgenwolken über den Zinnen des Frauenturms. In der Kemenate stickten Hilde und ihre Jungfern – helle und dunkle Köpfe über die Tücher gebeugt. Die Nadeln flogen flink auf und nieder, und schier flinker noch hüpften die Zungen. »Nicht genug, Herrin, wissen unsre Mannen davon zu sagen!« »Alle im Saale erschraken, wie der Grimmbart zuschlug!« »Ich glaub's: wer hätte auch je gesehn, daß König Hagen wankte!« »Der Schild ließ den König im Stich: übel hätte er's ihm im Ernste vergolten!« »Gar nicht einlassen hätte er sich mit ihm sollen: der ist ja wie ein alter Götze, der Wate! So große Augen, die rollen, und in lauter Zöpfen der Mordsbart, mit Bändern umwunden – grad zum Lachen wär's, säh's nicht so grauslich!« »Aber die andern – ich sah sie heut vor der Burg – schöne Leute sind's, Herrin, das muß ich sagen, herrliche Männer!« Hilde ließ die Arbeit in den Schoß sinken und blickte auf. – »Irold, der Friese, mit den kurzen Locken über der Stirne, wie ein Jungstier so verwegen! Der stolze Morung!« »Ach, was willst du mit denen! Der schönste ist Horand, der Sänger: goldne Ringe flechten könnte man aus seinen Locken, und seine Augen schaun blau wie das Meer, wenn die Sonne drauf scheint!«

*

Durchs Burgtor führte Horand seinen Freund Frute am Arme. Unter der Linde im Hof blieb er stehn und wies zu den Fenstern über der Halle hinauf. »Dort oben schlafen wir. Nun, was sagst du zu unserer Herberge, Kaufherr? Bist du mit uns zufrieden?« Frute sah um sich. »Näher heran zum Königskinde habt ihr euch freilich genistet als wir Handelsleute drunten im Städtchen,« flüsterte er. »Wie aber wollt ihr über die Mauern zu ihr?« »Auf Flügeln, Frute, wie vorzeiten Wieland, der Schmied, die will ich beschaffen!« »Haltet den Wate nur fern: mit seinen täppischen Worten verrät er uns, Horand, er schadet!« »Er nützt: je gröber sein Wort, je größer wächst auf seine und unsre Einfalt des Königs Vertrauen!«

 

 

Der Sänger

Hoch vom dunkelblauen Nachthimmel herab glänzte der Mond. Silbern rieselte sein Licht durchs breite Gezweig der Linde im Burghof und über das steinerne Gesicht Hagens, der saß vor dem Humpen am Tische seinen Getreuen. Da erklang eine Laute vom Burgtor. Der König horchte auf. Eine Stimme quoll empor wie Harfenton dunkel und tief, wuchs Welle zu Welle, und nun brauste es, ein grollendes Meer, durch die stille Nachtluft.

Uns künden Wundermären aus alter, grauer Zeit
Von kühner Recken Streiten, von Luft und grimmem Leid ...

Der Singdrosseln Rufen in den Gärten hinten verhallte. Still stand der Mond. Stärker erglitzerten, dichter drängten sich die Sterne über den Zinnen zusammen. Sacht tat sich ein Fenster im Frauenturm auf.

Unter der Linde starrte König Hagen ins Mondlicht: Kampf klang; um des Zwergen Schatz klirrten in der Nibelungenhöhle, die Schwerter ... Schweigend lauschten die Mannen, ihrer Humpen vergessend: jetzt bäumte sich brüllend über dem Felsen der Drache, auf seine Schuppen schmetterte im Dampfe des jungen Recken blitzendes Schwert ... Am Fenster saß Hilde, den Arm aufgestemmt: hinter dem Helden, der durstig am Quell trank, zückte der grimmige Alte den Speer ... Glocken erdröhnten, Klagegesang zitterte durch den Dom, von der Bahre glänzte des toten Helden bleiches Gesicht, und über ihm lag in schwarzem Gewande sein Weib ...

Die Stimme schwieg. König Hagen reckte den Kopf. »Wer war das?« »Der Fremde, Herr: Horand, der Recke.« Da hob sich's von neuem, weich und voll diesmal, in dunkler Trauer, die löste sich klagend in seliges Leid.

Es hat mir in dem Herzen oft bitter weh getan,
Was ich für mich ersehne, daß ich's nicht haben kann,
Und werd es nie gewinnen, dem meine Sehnsucht gilt:
Nicht Gold ist es noch Silber, ach nein, es ist ein Menschenbild.

Ich zog mir einen Falken, länger als ein Jahr,
Bis mir zahm der Wilde und traut geworden war.
Und als ich sein Gefieder mit Schmuck ihm wohl bewand,
Da hob er seine Schwingen, flog hochhin in ein ander Land.

Ich sah ihn herrlich stürmen im fernen Sonnenflimmern,
Von seinem Fuße nieder die Seidenbänder schimmern,
Es strahlte sein Gefieder als wie von rotem Gold –
Gott sende sie zusammen, die sich in Treuen wurden hold!

Die Stimme verhallte, Lautenklänge allein bebten, und plötzlich fuhr es wiederum auf: hell wie der Morgenwind, der sehnsüchtig vom Meer her über die Felsen emporschwillt.

Es stand eine Frau in Leide
Ueber der weiten Heide,
Sah aus nach ihrem Lieben,
Sah einen Falken stieben.

»O Falke, wie hast du es gut,
Fliegst, wie dich's freuen tut,
Suchst unter den Waldbäumen allen
Den Wipfel nach deinem Gefallen!«

Längst war es still geworden in Hof und Haus. Nur die Wipfel rauschten sacht in den Gärten über den schlummernden Vögeln, und am Fenster des Frauenturmes lag die Königstochter, den Kopf in den Armen und schluchzte. »O Vater, Vater! So weit ist die Welt, und gefangen hält mich in engem Verließe dein Wille!«

*

Mit bleichem Gesichte saß Hilde am nächsten Morgen in der Kemenate, den Kopf zurückgelehnt, die Lider geschlossen. »Wenn ich's wagte, vor ihn zu treten, zu flehen: laß mich zu meinesgleichen, lasse mich frei, ich ertrag es nicht länger! Ist's nicht mein Recht? Darf ich's vom Vater nicht fordern?« Sie stand auf und schritt ruhelos auf und nieder. »Nimmermehr traue ich mich. Nimmermehr läßt es sein Grimm zu! Er allein ist's, der um mich sein darf, ewig nur er und kein anderer!«

Hinter der Türe räusperte sich's, und der alte Kämmerer kam geschlichen. »Schon auf, Töchterchen? Aber was ist es mit dir?« Den greisen Kopf schüttelte er über den abwärts hängenden Schultern. »Wohin ist das frische Blut aus deinen Wangen gekommen? Trüb schaun deine Augen wie einem Mütterchen, das in sein Grab starrt! Wurdest du uns krank über Nacht?« Da blieb sie jäh stehen. »Ja, Rupprecht, ich bin es! Und heilen kann mich nur einer, der allein, der mich krank gemacht hat!« »Krank gemacht? Ei, wie redest du närrisch, wer sollte dich krank gemacht haben?« »Des Fremden Gesang hörte ich gestern nacht: ich muß ihn sehen!« Er prallte zurück. »Kindchen, kamst du von Sinnen?« »Nur einmal noch hören will ich ihn in der Kemenate bei mir, und dann soll er gehen auf immer!« »Meinen alten Kopf willst du, Hilde! Von den Schultern, wenn er's erfährt, läßt ihn der Vater mir schlagen!« Sie nahm seine Hand. »Du bist klug, Väterchen, keiner wird's kennen!« »Verhext hat dich der Fremde.« »Seinen Gesang nur noch hör ich. Schlafen kann ich nicht und mag nicht essen noch trinken. Willst du, daß ich hinsieche, Väterchen, willst du, daß ich sterbe?« »O Unheil, Unheil!« stöhnte der Greis und fuhr sich mit den bleichen Händen in die spärlichen Strähnen über dem Scheitel.

*

Die Menge wogte um die Buden im Hafen. Zwischen den Klippen, die sich vom Strande ins Land hinein zogen, standen die Hegelingenrecken beisammen. Wate schlug auf den Felsblock vor sich mit der Faust: »Ich mag nicht länger mehr trügen!« »Hör, Wate,« sprach Horand: »welch ein Recht hat der König, seine Tochter gefangen zu halten? Nicht rauben, befreien wollen wir sie!« »Gewandt bist du in Worten, Sänger! Nun will ich diese was fragen: wird unser Unrecht zu Recht, weil Hagen nicht Recht tut?« »König Hettel gabst du dein Wort,« rief Irold. »Hast du's vergessen?« »Vergessen!« grollte Wate, »nichts hab' ich vergessen, satt hab' ich's! Macht ein Ende sag ich euch, oder ich fahre allein heim!« »Ruhig, Wate,« sprach Horand, »die längste Zeit hast du gewartet. Tretet näher her, Freunde: Hildes Kämmerer suchte mich heut auf!«

*

Durch die finstre Nacht schlichen zwei in Mänteln hinter dem Burghof an der Gartenmauer entlang. »Gleich sind wir am Pförtchen,« flüsterte der vorne: »Herr Horand, versprecht mir's: Ihr trügt mich nicht, den Zauber löst Ihr vom Kinde?« Der Sänger blieb stehn. »Rief ich dich, Alter? Du kamst.« Die Hände hob der Kämmerer hoch. »Still, Herr, still, daß uns die Wache nicht hört: ein Todesweg ist's, den wir gehn!« »Vorwärts, Alter, allezeit ist auf dem Wege zum Tode, wer lebt!«

Hinter der helleuchtenden Ampel auf dem Tische wartete Hilde und wand die ineinandergefalteten Finger im Schoße. Durch den Gang, hörte sie's, kam es leise heran. Sie setzte sich auf. Aus dem Dunkel im Flur trat lautlos ein großer Mann, die Kapuze tief im Gesicht. Sacht zog der Kämmerer die Türe hinter ihm zu. Die Kappe warf Horand von den hellen Locken zurück. »Ihr rieft mich, Königstochter,« sprach er leise. »Hier bin ich.« Sie senkte vor seinem schnellen Blicke die Wimpern. »Viel wagt Ihr, mir meinen Wunsch zu erfüllen.« Keck und fest sah er ihr in die Augen. »Ich danke Euch, daß Ihr mich rieft. Zu wenig noch wahrlich künden die Lieder in allen Landen von Eurer Schönheit. Nun erst verstehe ich König Hagen!« Ihr Atem ging schnell. »Ihr sangt gestern nacht. Am Fenster hörte ich Euch. Meine Ruhe nahmen mir Eure Lieder. Wer hat Euch den Zauber gelehrt?« »Keine Meermaid war's, die mit Gesange die Seelen betört! Von König Hettel, Herrin, kommt all meine Kunst: seine Güte, sein Glanz, seine Herrlichkeit ist's, die mein Herz füllt und mir aus der Brust tönt! Gewaltig ist Wate, kühn und stolz sind Irold und Morung, weise ist Frute – an König Hettel reicht keiner! So singen sie im Hegelingenland von ihm!« Und leise erklang es:

Hinter blauen Meeren, über Wäldern weit
Herrscht des Königs Hettel junge Herrlichkeit.
Nicht um Gabe dienen seine Recken wert,
Um des Königs Liebe tragen sie ihm Schild und Schwert!

Wie die Sonne droben einem jeden lacht,
Hat das Herz uns allen Hettel froh gemacht:
Frei wie Wind und Wogen nach des Schöpfers Plan,
Frei sind Hettels Helden ihrem König untertan!

In den Sessel war Hilde zurückgesunken. »Frei wie Wind und Wogen,« flüsterte sie, »herrlich muß es sein, unter einem solchen König zu dienen. Selig fürwahr seid Ihr gewesen! Wie mochtet Ihr ihn verlassen?« Horand trat auf sie zu. »Nun ist's an der Zeit. Königstochter, den Trug zerreiß ich vor Euch: nicht im Unfrieden schieden wir von unserem König, seine Boten sind wir!« Starr sah ihn Hilde an und erblaßte. »Warum hehlt Ihr Euch vor dem Vater? Was will Hettel?« »Euch oder keine! Um Euretwillen sandte er uns über Meer!« »Mich will – König Hettel!« Auf ein Knie ließ er sich nieder. »In seinem Namen, Herrin, werb ich um Euch!« Reglos saß sie. »Euren Tod wollt Ihr! Wißt Ihr es nicht, verloren ist, wer beim Vater um mich wirbt!« »Nicht beim Vater, bei Euch selber werb ich um Euch!« »Er ist's, der entscheidet, nicht ich!« »Ein Geschenk gab uns Gott, ein heiliges, vor seinen Geschöpfen: den eigenen Willen. Zum Räuber an Euch, zum Räuber an Gottes Gabe ist Euer Vater geworden!« »Und wäre es so, wie vermöchte ich es zu hindern?« »Zwang ruft der List!« Erschrocken fuhr sie auf. »Was plant Ihr? Den Vater sollte ich trügen?« »Ihr trügt nicht, gefangen seid Ihr, des Gefangenen Recht ist die Flucht!«

An die Tür pochte es sacht. »Töchterchen eilt Euch!« Horand stand auf. »Königstochter, warum rieft Ihr mich her? Ich will es Euch deuten: nach Eurem Glück habt Ihr geschrien! Es nahte: Hettel bietet es Euch. Seid Ihr zu zag, es zu ergreifen, nimmermehr kehrt es Euch wieder. Wählt nun: Knechtschaft oder Freiheit! Ich scheide.« Er schritt schnell und leise zur Türe hinaus.

An der Wand lehnte sie. »Knechtschaft oder Freiheit! Horand, er kam: den Tod für seinen Herrn scheute er nicht! Bin ich zu feig, nach dem Glücke zu greifen ... Aber der Vater! Ihn, der mich liebt, verraten! ... Ach, ich betrog ihn ja schon: hier stand er vor mir, Hettels Bote! O Gott im Himmel, frei schufst du den Menschen, warum setztest du mir vor meine Freiheit die Schuld?«

*

Die gelbe Scheibe des abnehmenden Mondes tauchte über dem Burgfelsen auf. Die Giebeldächer des schlafenden Städtchens erglänzten. Unter der niederen, holzgetäfelten Decke seiner Herberge schritt Frute voller Ungeduld auf und nieder. »Mitternacht wird's, zu kommen versprach er und mir Botschaft zu bringen! Wo bleibt er?« Da hallten ferne Schritte. Er beugte sich zum Fenster hinaus. »Endlich!« In die Stube trat Horand. »Gott sei's gedankt! Im Kerker, Sänger, sah ich dich schon! Sprachst du sie? Sag, will sie uns folgen?« Horand zuckte die Achseln. »Ein Mädchen! Sie möchte und wagt's nicht, sie weint und sie schwankt. Frute, wir helfen ihr, es entscheiden!«

*

Mitten im glatten Meere, weit von dem Irlandshafen, lag im frühen Morgen der Schnellfahrer der Hegelingen mit schlaffen Segeln. Aus dem Kielraum drang das Schnarchen der Schiffer. Am Steuer saß der Führer und blickte nach Osten. Auf dem Vordersteven spähten zwei Wachleute zum Lande hinüber. Fern über der grauen Küste fuhr eine Flamme hoch. »He,« rief der Steuermann, »seht Ihr das Feuer? Im Hafen ist's!« »Ja, Herr, und da gleich daneben noch eins – das dritte!« »Die Unsern sind es, sie rufen! Alle Mann auf! An die Ruder!« Aus dem Kielraum polterten verschlafen die Mannen.

*

Vor dem Burgtore stand in der Frühe der König und blickte über die Stadt zum Strande hinab. Neben dem Kaufmannsschiff auf den Rollen lag ein kleiner schmaler Schnellsegler mit kahlem Maste am Sand. Um ihn wimmelte es von Leuten.

Horand kam den Felssteig hinauf, verneigte sich und blieb stehn. »Wollt Ihr zu mir?« fragte Hagen. – »Herr, Euch um Urlaub zu bitten, bin ich gekommen.« »Um Urlaub? Woran fehlt's Euch bei mir? Kränkte Euch jemand?« »Nein, Herr, so wie hier ward noch nirgends für uns gesorgt!« »Was treibt Euch denn, und wo wollt Ihr hin?« »Ein Bote kam uns heut früh, ein Schnellsegler aus dem Hegelingenland, Herr. Drunten drängen sich um ihn die Mannen. König Hettel sendet nach uns: er will sich mit uns vergleichen.« »Schnell ändert Euer Hettel den Sinn!« »Teurer sind ihm seine Fürsten scheint's doch als die fremde Königstochter, nach der er verlangte. Auch murrte das Volk mächtig, sagte der Bote, nach unserem Auszug.« »Hettel seine Mannen abspenstig machen will ich nicht. Fahrt mit gutem Winde und kehrt glücklich heim! Dank bin ich euch schuldig: euer Gut, ihr verschenktet es mehr den Meinen, als ihr's verkauftet. Womit kann ich's euch vergelten?« »Eine Bitte, Herr, hätten wir schon.« »Ihr zögert? Wenn ich's vermag, erfüll ich sie euch.« »Nicht um Schätze, König, um die Ehre ist's uns zu tun!« »Jede Ehre gönn ich euch gern!« »Ihr versprecht es?« Hagen nickte. – »Herr, wir wünschten, wenn wir vor Hettel daheim treten, wir könnten zu ihm sprechen: der Hegelingen Ruhm haben wir in der Fremde gemehrt; was König Hagen keinem noch gönnte, uns hat er's gegönnt!« »Was ist es?« »Besucht uns, eh wir vom Strande stoßen, mit Eurer Tochter im Hafen, daß wir auch dem Königskind unsere Schätze weisen!« Rot lief die Quernarbe über Hagens Stirn an, und finster starrte er vor sich nieder. – »Reut Euch Euer Wort? Dünkt Euch die Ehre für uns zu groß?« Er blickte an Horand vorbei. »Voreilig war ich, aber mein Wort gilt. Ich versprach es!«

*

Aus allen Schloten der Stadt stieg der Rauch: zu Mittag kochten die Hausfrauen. Aus seiner Herberge schritt Frute, ihm nach eilte der Wirt auf die Gasse. »Meister, ist's wahr, wovon sie an allen Orten heut munkeln: Ihr kehrt heim?« »In drei Tagen stößt unser Fahrzeug vom Strande.« »So ist auch das andere wahr – ich wollt es nicht glauben – die Königstochter soll hinter den Mauern hervor, um euch zu geleiten?« »Es ist so.« »So was war in Irland nicht erhört, seit die alte Königin starb, daß Junghilde zu den Gärten hinauskäm!« »Unsre Recken ehren will Euer König.« »Ja, der Wate! da lernte er's zum erstenmal kennen, daß es welche gibt, die auch vorm wilden Hagen bestehn! Der hat ihn drei Meisterschläge gelehrt!«

*

Durch den Garten ging Hagen zum Frauenturm. Zwischen den Bäumen sah er ein helles Kleid blinken, das glitt vor ihm weg in die Büsche. »Hilde, wohin?« rief er. »Fliehst du vor mir?« Sie blieb unter einem Weißdorn stehen und sah, den Kopf leis geneigt, vor sich. – »Hörtest du's schon? Unsre Gäste, sie scheiden!« Sie zuckte zusammen. – »Mit ihrem König versöhnten sie sich. Gute Gesellen sind's. Zum Strande hinab geb ich ihnen das Abschiedsgeleit, und auch du, Hilde, sollst mit mir reiten.« Da fuhr sie jäh auf und sah ihm angstvoll ins Auge. »Vater, laß mich daheim!« Er zog die Brauen zusammen. »Was soll das? Erst batest du mich darum, und nun, da ich's gebiete, willst du es nicht: keine Lust verspür ich, mich nach Jungfernlaunen zu richten. Du kommst. Mein Wort gab ich Horand darauf!« Starr ward ihr Gesicht. »Du zwingst mich: gut denn, ich komme!«

*

Hinter den Buden am Strande berieten sich die vier Recken mit Frute. »Ist alles zur Abfahrt bereit, Wate?« fragte Horand. In den Bart brummte der Riese: »Wenn ihr nur bereit seid!« »Irold, du birgst dich mit deinen Mannen hinter den Klippen und wartest, bis ich dir winke. Die Iren treibst du zurück. Dann hinein in die Kähne!« »Wird ein tüchtiges Stück Arbeit geben, Horand: mit seinem ganzen Gefolge will uns Hagen geleiten.« »Waffenlos, Irold! Ihre Festkleider richten sie her, als ging es zum Tanze!« »Bis zur Burg zurück ist's nicht weit, die Mannen zu holen,« sagte Morung. »Bald werden sie hinter uns sein auf dem Meere!« »Gar so bald nicht,« sprach Frute. »Ihre Schiffe beschaut ich im Hafen! Bis sie all die Lecke verstopft und geteert haben, sind wir im Hegelingenland, hoff ich!«

*

In der Schlafkammer der Königstochter glänzte der Abendsonnenschein von Seidengewändern, Geschmeiden und Perlenketten, die lagen rings auf den Truhen geschichtet. Mitten darunter saß Hilde und blickte in den blanken Erzspiegel über sich an der Wand. Die Jungfer hinter ihr kämmte ihr langes Haar. »Ach, was gäb ich darum, solch ein Prachtkleid nur einmal am Leibe zu haben! Ich glaube, vor Hoffart würd ich verrückt! Strahlen, Herrin, werdet Ihr morgen vor allem Volke!« Hilde gab keine Antwort. Auf ihr bleiches Gesicht im Erzspiegel starrte sie. »Morgen,« dachte sie, »morgen, da weiß ich's!«

»Das Krönlein trug Eure Mutter zuletzt beim Feste, sagte der alte Rupprecht. Soll ich's Euch herrichten, Herrin?« »Nein, laß es, keine Krone trage ich morgen!«

*

Von der Burgzinne zu Balian klang das Horn des Wächters, und sein Weckruf schmetterte über den stillen Hof.

Auf, auf!
Durchs Wolkengrau hat seine blanken Klauen
Der Morgen schon geschlagen,
Im Osten blinkt es rot herauf:
Gleich wird es tagen!

Türen kreischten unten, Stiegen knarrten, Stimmen erschallten: treppauf und treppab rannte es durch die Burg ...

Der Wind hatte das Nachtgewölk übers Meer getrieben. Zur Stadt hervor strömten die Bürger und scharten sich dicht zu beiden Seiten, der Straße. Heilgeschrei brauste. Aus dem Tor kam auf schnaubendem Rappen der König im Zobelhut, den Hermelinpelz um die Schultern. Neben ihm ritt Hilde auf weißem Zelter: ihr goldrotes Haar flatterte über dem meergrünen Mantel. Ihnen nach trabte in Festgewändern das Gefolge.

»Die Königstochter!« rief's aus der Menge, »da ist sie! – Ha ja, die ist schön! – Aber wie bleich das Gesicht, nicht aufsehen tut sie! – Sie wagt's nicht: zum erstenmal unter Leuten! – Wie grimmig der Alte neben ihr schaut, als wurmte ihn was! – Der schaut nie anders! – Glück haben die Fremden: was er uns achtzehn Jahre verbarg, läßt er sie sehen!« ...

Im Hafen schaukelte das Kaufmannsschiff auf den Wogen, fahrtbereit lagen der Schnellsegler und die Kähne am Strande. Vor den leeren Buden stand Frute, eine offene Lade zu seinen Füßen, drin blinkte es golden. Hinter ihm harrten seine Kaufleute in langen Mänteln.

Von der Stadt her nahte der Festzug, den König an der Spitze. »Jetzt«, rief Frute, »schwingt eure Kappen, schreit Heil!«

Hagen stieg aus dem Sattel, hob Hilde vom Roß und schritt mit ihr auf die Hegelingen zu. Die Gefolgsleute saßen ab, und über den Strandhügeln lagerte sich die Menge.

Frute kniete nieder. »Dank, Herr, für all Eure Güte und Gunst! Hier unsre Abschiedsgabe zu Euren Füßen!« Die Hand streckte ihm Hagen hin. »Steht auf. Wo sind Eure Fürsten?« »Hier, Herr.« Horand trat, die Laute über der Schulter, der Königstochter an die Seite. – »Wenig ist es«, sprach Frute, »womit wir Euch Großes vergelten können, Herr König, aber ein Besondres ist's um den Schatz, den wir Euch bieten: ein Grab war's, das ihn hergeben mußte!« »Ein Grab?« An die Lade trat Hagen und blickte hinein. Die Kaufleute kamen hastig heran und drängten sich zu einer dichten Schar um die beiden. – »Ja, Herr, ein Heidenkönig ruhte seit grauen Zeiten im Hügel, und ein Fluch lag darauf. Den brach ein wilder Wiking und holte aus Höllenflammen und Moder den Schatz. Seht den Armring, Herr: an Wates Schenkel würde er taugen!« Der König bückte sich nieder ...

Vom Vater getrennt, sah Hilde mit wirren Augen um sich unter den Mannen. Träumte sie? War das nicht alles schon einmal gewesen? So wie hier war sie doch schon in Bangen gestanden, dort hatte sich der Vater unter den Kaufleuten gebückt, und jetzt ... Horand faßte ihre Hand. »Herrin, geschwind!« Zum Meer hinab führte er sie. Willenlos folgte sie ihm. Plötzlich blieb sie stehen und riß die Rechte aus seinen Fingern: nach dem Vater zurück sah sie und griff sich an die Schläfen mit beiden Händen. Dann sanken ihr die Arme schlaff am Leibe herab. Die Achseln zuckte Horand und trat zurück. »Sein Schicksal schafft jeder sich selbst!« Die Laute hob er von den Schultern und fuhr über die Saiten, daß sie sachte erklangen.

Das Glück, es kam gegangen, das Glück, es pochte an:
Zu einem Zagen kam es, ihm ward nicht aufgetan.
Mit leisen Schritten glitt es wieder hinaus zum Tor,
Da brach die Kammertür auf: das graue Elend stand davor! ...

Ein Gemurmel drang aus der Menge der Iren hinten und schwoll. Die Gefolgsleute sprangen auf. Geschrei schallte über den Strand: »Die Schiffe!« Zu Hagen hin wälzte sich alles. »Die Königstochter!« gellte es, »Herr, sie fliehen!«

Er schnellte auf von der Lade und griff nach dem Dolche im Gurte. Frute und die Kaufleute rissen unter den Mänteln die Schwerter hervor. Da brachen aus den Klippen Irolds Mannen, die Speere gefällt. Schreiend stob die Menge auseinander. Hagen schwang das blitzende Messer. Die Gefolgsleute packten ihn. »Herr, gefehlt ist's! Zurück in die Burg zu den Waffen!« Mit sich fort schleppten sie ihn.

Zu den Kähnen hinab rannten die Hegelingen und stießen vom Strande: über die Flut schlugen hastig die Ruder. Vom Schnellsegler schallte Horands Stimme: »Laß deinen Galgen verbrennen, König Hagen! Nun kommt keiner mehr, um deine Tochter zu frein!«

Die Segel blähten sich hell an den Masten, und die Schiffe schossen über die Wogen davon.

 

 

Die Flucht

Die steilen Felsen der Normannenküste blinkten weiß im Sonnenschein aus dem blauen Meer.

Über den Höhen landeinwärts trotzte mit gewaltigen Steinwällen und dicken Türmen die Burg Kassiane. Dunkle Wälder streckten sich jenseits. Von der Zinne spähte der Wächter. »Schiffe in Sicht!« rief er hinab. Da ward es drunten lebendig. Über den Hof rannten die Männer. »Woher?« »Von Westen!« »Zum Strande!« scholl aus der Burgtür eine tiefe Stimme ...

Aus dem weiten Holzschuppen im Hafen reckten die Schiffe der Normannen ihre Schnäbel. Dahinter harrte eine Schar Krieger mit Hebelstangen in Händen. Am Strande stand König Ludwig, gelben Haares, breit und fest wie eine Eiche. Neben ihm Gerlinde, sein Weib, schlank und schwarz, mit dunkel funkelnden Augen im rotwangigen Gesichte. Auf die See sahen sie beide hinaus. Zu ihren Füßen spielte ihr Söhnchen.

»Jetzt seh ich sie, Herr!« rief es vom Felsen zur Linken: »Um die Landspitze segeln sie: ein Schnellfahrer ist's, dahinter ein Kaufmannsschiff. Hei, gute Beute!« »Kannst du ein Banner erkennen?« »Grad geht es auf über den Rahen: sie weisen es uns! In blauem Felde ein weißer Schwan!« »Zurück von den Drachen!« rief Ludwig zum Schuppen hinüber, »ein Hegelingenschiff ist's. Die sind mir zu mächtig: mit König Hettel anzubinden, begehre ich nicht.« Der Knabe zu seinen Füßen sprang auf. »Warum denn nicht, Vater? Sind wir denn nicht stärker als alle?« Gerlinde legte ihm lächelnd die Hand auf die Schulter. »Wir wollen es werden, und du, Hartmut, sollst es sein!«

Ums Vorgebirg glänzte das schlanke Segel des Schnellfahrers auf. Ein Mann in hellen Locken stand vorne, hinter ihm ein Weib, das hielt die flatternden Haare im Nacken zusammen.

»Wie ist mir denn?« murmelte der König, »Gerlinde, so keck wie der dasteht, gemahnt dich der nicht an den Hegelingensänger, der uns vor Jahren besuchte, den Horand?«

Hinter dem Schnellfahrer schwankte das Kaufmannsschiff her, mit den bunten Borden hoch aus den Wogen. Das Knarren der Maste unter den vollen Segeln drang über die Flut bis zum Strande. Das Steuerruder lenkte ein Riese mit mächtigem Barte.

»Ha,« rief Ludwig, »den aber kenn ich gewiß! Solche Schultern hat weitum in den Landen nur einer: Wate ist's! Seltsam, Frau, wie kommen die Hegelingen daher, und was haben die Fürsten auf dem Kauffahrerschiffe zu tun? Mit allen Segeln fahren sie: Eile haben sie, scheint's!«

*

Westwärts vom Lande der Friesen pfiff der Wind um den hohen Holzgiebel des Königshauses zu Sewen. Von den Dünen her grollte das Dröhnen der See in die Halle. Langfeuer loderten inmitten der Diele, und der Rauch zog zur Dachluke empor. Im aufzuckenden Flammenscheine blinkten Schilde und Schwerter an den Wänden und schwanden im Dunkel, wenn die Lohe zurücksank. Im hohen schweren Eichenstuhle saß König Siegwart, hochgewachsen und breit in den Schultern; schmucklos hing ihm das schlichte Flachshaar vom Scheitel, sinnend blickten die blauen Augen aus dem sehnigen hagern Gesichte mit dem Schifferbart unter dem vorspringenden Kinne. Um ihn tranken die Mannen schweigend das Gerstenbier aus mächtigen Humpen von Holz – alle lang und breit wie ihr König, flachshaarig und blauäugig alle wie er. Am Feuer hockte auf einem Schemel das Königsknäblein und schnitzte an einem großen Stück dicker Rinde. »Was soll's werden, Herwig?« fragte einer der Mannen und bückte sich zu ihm nieder. Der Knabe sah aus den Strähnen auf, die waren ihm über die Stirne gefallen. »Ein Schiff.« »So gib einmal her, ich zeig dir, wie man's macht.« »Nein, laß,« sprach der Bub und hielt das Rindenstück fest, »ich will mir selber mein Schiff baun.«

Durch den Flurgang draußen stampften schwere Schritte, und eine Schar Fischer trat in Lederkappen herein. Stumm setzten sie sich ans untere Ende des Tisches. »Steifer Wind heute, Jan?« fragte der König. – »Nicht allzu schlimm, Herr.« »Wart ihr weit draußen?« »Im Osten vor der Friesenküste warfen wir unsere Netze.« »Nichts Neues?« »Doch, in der Osterbucht landete ein Kauffahrerschiff, Süßwasser zu holen, und ein Schnellsegler war dabei.« Forschend blickte der König ihn an. »Das wäre nichts Großes!« »Nein, Herr, aber den Kauffahrer führte der Sturmländer Wate, und aus dem Segler stieg Horand, der Sänger. Ich sah sie im Hafen.« »Jetzt klingt es anders: schwerlich kamen die her, um zu handeln!« »Wollen sie auch nicht. Ins Hegelingenland kehren sie heim, und gehandelt haben die Fürsten in Irland: betrogen haben sie den wilden Hagen und ihm sein Töchterchen weggelockt auf das Schiff.« »Junghilde?« »Jawohl, die schöne Hilde. Die bringen sie König Hettel zum Weibe. Aber froh schaut sie nicht grade aus, die Braut. Durchs Friesenland reiten Irolds Boten voraus, die Botschaft zu künden.«

Der Knabe am Fenster legte das Rindenstück nieder. »Sind denn die Hegelingen keine ehrlichen Männer, Vater, daß sie den König Hagen betrogen? Du sagtest doch, sie sind unsre Freunde!«

Alle in der Halle sahen zum König hinüber, der glättete schweigend den Bart, dann sagt er: »Einen Spruch hört ich bei den Leuten im Süden, Jan: Bricht ein Felsstück vom Berg, so wird's bald über den ganzen Hang poltern und dröhnen von Trümmern. Auch wir, meine ich, sehen uns vor!«

*

In allen Friesendörfern, wo Irolds Reiter hineinsprengten, liefen die Leute zusammen und hörten staunend die Botschaft. Durchs Land zu Stürmen fuhr es wie der Wind bis in die fernsten Weiler: »Wate kehrt heim, die schöne Hilde gewannen sie für König Hettel!« In der Dänenmark jauchzten sie und sandten Bericht nach Osten zu den Holsten. Und als der Reiter durchs Tor zu Matelane jagte, hatte ihn die Kunde schon überholt. Voll von Leuten starrte der Hof, und Hettel stieg hastig die Burgtreppe hinab ihm entgegen. »Kommen sie? Ist es wahr?« »Sie kommen, heil alle, mit Hilde, der schönen! In wenigen Tagen, Herr, sind sie im Hafen!«

*

Ueber die sonnenschimmernde See glitt vorm schweren Kaufmannsschiffe der Segler. Im Kielraum scheuerten die Mannen geschäftig ihre Helme und putzten die Gewänder. »Eilt euch!« rief Horand, »keine Stunde mehr dauert's!«

Am Mastbaum lehnte Hilde, unter der leichten Seidenhülle pochte ihr bange das Herz. »Wir nahen! Was tat ich? O könnt ich zurück! Wie schreckt es, was ferneher lockte! Wer ist König Hettel? Weiß ich's? Vom Vater flieh ich zum fremden Mann, eine Fremde!«

»Land!« rief's vom Korb über ihr in den Rahen. Die Schiffer reckten die Köpfe. In schmalem gelben Streifen hob sich die Küste im Osten. Horand kam. »Königstochter, da taucht sie aus der See, Eure neue Heimat!« ...

Über den Dünen stieg's im lichten Dämmer mit Wällen, Türmen und Giebeln wie eine Stadt auf. Weithin schimmerte das Grün der Buchenwälder dahinter. »Die Hegelingenburg, Herrin!« ... Mastspitzen erblinkten inmitten der Dünen, wie aus dem Ufersande gewachsen: landeinwärts tat sich eine Bucht auf, spiegelglatt glänzte das Wasser in ihren weitausgreifenden Armen. Vom Strande bis zu den Hügeln flimmerte es von bunten Gewändern: von der Burgmauer, aus den Fenstern, von den Zinnen starrte Kopf an Kopf.

»Nieder die Segel!« rief Horand, »die Ruder zur Hand!«

Sacht glitt das Schiff in den Hafen und knirschte am Sand auf. Vom Bord sprang Horand und hob Hilde in den Armen herab. Jubelgeschrei toste. Bang irrte ihr suchender Blick durchs Gewimmel. Da sah sie einen vor sich, der ragte aus dem Volke, einen Stirnreif mit goldenen Zacken im hellen Haar, mit breitem, seidenschimmerndem Bart über der Brust. Große blaue Kinderaugen staunten ihr strahlend entgegen, und warm bis ins Herz hinein drang ihr der frohe Blick.

Horand ließ ihre Hand los. »Der König!«

»Willkommen, Junghilde!« jauchzte Hettel und eilte auf sie zu. Und ihr ward, als rückte das Getöse um sie in die Ferne, das Gesicht hob sie zu ihm auf, und Tränen traten ihr in die Augen. »Mit leeren Händen komme ich zu Euch, König Hettel: Vater und Volk verließ ich, Ihr seid nun mein Schutzherr geworden!« Da faßte er ihre Rechte. »Bange Monde harrte ich Euer. Ihr kamt. Ja, Ihr seids, die ich suchte!« Zur Burg führte er sie empor.

Die Menge drängte sich, stürmisch rufend, um Horand. Er reckte lachend den Arm. »Zurück, Leute, Luft! Was soll ich? Reden? Kann ich's, wenn ihr mich erstickt!«

In den Hafen brauste das Kauffahrerschiff. Die Ruderschaufeln blitzten im Sonnenschein. Am Schnabel schwang der Sturmländer den Helm überm Haupte. »Wate, Wate kommt, Heil!« schrie die Menge.

 

 

 

 

Im Hafen

Hornrufe klangen aus den Buchenwäldern hinter Matelane durch den heiteren Morgen. Aus der Burgtüre trat Frute zu Horand. »Jagt Hettel?« Der Sänger lächelte. »Die Forstleute grüßen ihn. Über die Höhen reitet er mit der Braut und zeigt ihr das Land, wo sie Königin sein soll, ehe es Nacht wird. Aber ich fürchte, nicht allzuviel werden sie sehen: nur für einander haben sie ja noch die Augen!« »Da müssen wir die unsern brauchen! Wie steht's um die Strandwacht?« »Ich sorgte: unsre Segler halten weit draußen im Meere und spähen!«

*

Glockengeläut hallte vom Turme der Burgkirche. Durch ihr offenes Tor glänzte das Abendlicht schräg hinein. Unter den Pfeilern, die zu den hohen Spitzbogen aufstrebten, standen flüsternd die Edeln. Links vom Hochaltar wartete Hettel in schimmerndem Atlasgewande, die Augen unverwandt auf den Eingang gerichtet. Durchs Licht draußen kam eine Frauengestalt: in langem Schleier schritt Hilde über die Schwelle, Frute und Horand zu Seiten, die führten sie dem Könige entgegen.

Die Torflügel schlugen zu. Die Glocken schwiegen, Gesang brauste auf. Aus den Fenstern der Burgküche gafften die Mägde zur Kirche hinüber. Vom Herde her schallte des Küchenmeisters scheltende Stimme: »Kreuz und Donnerschlag aber auch mit den Dirnen! Nichts als Maulaffen feilzuhalten taugt das Volk! Wollt ihr an die Arbeit: alle Hände voll gibt's zu tun! Jedes Knechtlein will heut wie ein Fürst schmausen und zechen!«

Aus der Kellertür dröhnte es, mächtige Fässer rollten über den Hof.

Da klangen die Glocken von neuem, die Flügel des Domes taten sich auf, und ins Freie schritt Hettel mit seinem jungen Weib an der Rechten.

*

Der Mond stand mitten am Himmel. Juchzen und Stampfen hallte vom hellen Hof. Im Reigentanz sprangen Bursche und Mädchen. Um zwei Metfässer zu beiden Seiten der Burgtüre drängten sich die Knechte mit ihren Bechern.

In der Halle flammten die Fackeln. Im Hochsitz neben Hettel lauschte Hilde, die Krone im Haar, glänzenden Auges. Horand bückte den Kopf über die Laute, und sacht frohlockend tönte es durch den Saal:

Du bist mein, ich bin dein,
Des sollst du gewiß sein!
In meinem Herzen
Bist du verschlossen:
Verloren ging das Schlüsselein,
Immer mußt du darinnen sein! ...

Mitternacht war's. Über dem Meer schwamm der Mond. Leer war's auf dem Hofe von Leuten geworden. Nur im Schatten des Burggemäuers wisperten hie und da Pärchen ...

In der Königshalle brannten noch immer die Fackeln. Hettel und sein junges Weib waren zur Ruhe gegangen. Getümmel und Gejauchz ward lauter im Saal. Hier saß Frute unter den Alten und wies ihren Grauköpfen, wie er mit seinen Kaufmannslisten den König umgarnt. Dort sang Horand von Wates Kampf mit dem wilden Hagen. Der Sturmländer aber erzählte von den gewaltigen Weinhumpen am Tische des Königs, von den Irenmädchen, die vor seinem Barte wie vor den Zotteln des Waldschrats geflohen, und sein Gelächter dröhnte dumpf durch das Lärmen.

*

Im Königsgemach droben über dem Burggarten war es still. Von ferne nur surrte das Getös aus der Halle wie Bienengesumm. Durchs Lindenlaub schimmerte der Mondschein herein. Am Fenster hielt Hettel sein Weib in den Armen. Im Silberlicht glänzte ihr Gesicht aus dem offenen Haar. Flüsternd regten sich ihre Lippen: »Ich sehnte mich, und ich fand dich!« Seine Brust hob sich. »Was mir in all meiner Herrlichkeit fehlte, gewann ich: Hilde, nun ward ich erst ganz!«

*

In derselben Nacht brauste der Sturm über die Meerenge zwischen dem Lande der Angeln und der Normannen. Schwarze Riesenvögel mit weiten Schwingen jagten die Wolken unter dem Mond, der schien bleich hinab auf die schäumende See. Eine Flotte von Drachen stob drüber hin. Auf dem vordersten Schiff ragte der riesige Führer am Schnabel, vom Gischte umwirbelt. Am Hinterdeck steckten sie flüsternd die Köpfe zusammen. »Wie der Vogel Greif schießen wir hin: nicht mit rechten Dingen geht's zu!« »Er betet da vorne, aber nicht zu Christ, unserm Herrn: zu den Götzen, die ihm von der Hexeninsel halfen, da tut er's!« »Schaut droben, Brüder: Gott steh uns bei!« Von den Mastspitzen knisterten bläuliche Funken, Flämmchen zuckten auf und glitten hüpfend über die Rahen.

Aus dem Kielraum wankte ein bärtiger Krieger in der Sturmkappe zum Vordersteven empor. »Graf Ansgar hier, Herr! Ihr schlieft nicht und aßt nicht, seit wir vom Strand stießen. Legt Euch nieder, König Hagen, ich halte die Wache für Euch. Spart Eure Kräfte zum Kampf!« »Geh,« knirschte Hagen, »du hast keine Tochter verloren!« Seufzend klomm der andere wieder hinab. »Ich will keinen Schlaf,« murmelte Hagen, »ich brauch keine Speise. Vom Grimme wächst mir die Kraft. Was scheren mich Hettel und Horand! Sie war es, sie, die mich trog: willig folgte sie ihnen!«

 

 

Die Strandschlacht

Ein Sonnenstrahl fiel durchs Laub vor dem Fenster ins Schlafgemach Hettels. Im Bett neben dem König fuhr Hilde aus den Kissen. »Der Vater!« Mit wirren Augen sah sie um sich in der Kammer. Hettel schlang den Arm um ihre Hüfte. »Hilde, wach auf! Bei mir bist in der Hegelingenburg, nicht in Irland!« »Des Wächters Horn, hörst du es nicht?« »Der Tageruf ist's!« »Zum Kampf ruft er!« Hettel horchte.

Die Stiege empor polterte es. An die Kammertür dröhnten Schläge. »König, zu den Waffen! Euer Schwäher, die Iren nahn auf dem Meere!«

Er sprang auf. »Mein Roß vor die Burg!« schrie er, »ich komme!« Sie umklammerte ihn. »Hettel, mein Vater ist's, denk daran, Hettel!« »Dein Vater, der dich von mir reißen will, Hilde!« ...

Aus dem Fenster der Schlafkammer beugte sich die Königin vor: mit angstvollen Augen spähte sie durch die Lücke zwischen zwei Lindenwipfeln nieder zum Strande. Ueber dem Volke im Hafen schimmerte Hettels Helm mit den Schwanenflügeln von Silber, neben ihm reckte sich Irold. An der Bucht linker Hand stampfte Wate vor den Sturmländern und Holsten auf und nieder. Rechts vom Könige richteten Frute und Horand die Scharen der Dänen. »Ist es denn wirklich? Trügen mich nicht meine Augen?«

Ueber die See sah sie und stöhnte auf: von Segeln bedeckt war in der Ferne die Flut!

»Herr, mein Gott, höre mich: ruf deinen Winden, blase sie weg von dem Strand!«

Mit blutrotem Schilde am Mast schoß das Führerschiff her, vorn ein Greifenschädel mit aufgerissenem Rachen, der schimmerte schwarz in der Sonne: über ihm schwang ein Alter im Goldhelm den Speer. Die Hände schlug Hilde vors Gesicht und warf sich am Fenstersims nieder ...

Drachen um Drachen drang die Flotte hinein in die Bucht. Die Segel sanken, die Ruder fuhren hoch. Schlachtgeschrei scholl. Auf die Scharen um Hettel zu flog der Greifenkopf. Zwei Wetterschauer, wirbelten Pfeile und Speere vom Bord und vom Lande über der Flut durcheinander. Irold streckte den Arm. »Der ist's vorn: König Hagen!« schrie er. Fester faßte Hettel den Schaft. Hart an seinem Helm hin sauste ein Eisen. Auf den Strand krachte das Schiff. Vom Steven sprang Hagen mitten unter die Feinde hinein. »Dem König nach!« gellte es von den Borden ...

Linker Hand bäumten sich drei Drachenköpfe über dem Sand auf: im Geschoßhagel polterten die Iren nieder zum Strande. Den Speer schleuderte Wate und riß das Schwert von der Seite. »Dung für den Strandhaber!« brüllte er, »nieder mit ihnen!« »Streicht ihnen die Brünnen rot an, meine Holsten!« schrie Morung ...

Am rechten Flügel wich Horand mit den Dänen vor den anstürmenden Iren zurück an die Dünen. »Laßt sie herein: Raum für die Gäste zum Reigen!« ...

Vom Greifenschiff waren die Mannen geklettert und hieben sich zu ihrem König durch. Weit vor ihnen schwirrte sein Schwert über den Köpfen, und um ihn krachten die Hegelingen zu Boden. Da klang Hettels Rufen durchs Lärmen: »Die Waffen nieder, haltet ein! Hört mich, König Hagen!« Der Ire senkte die Klinge und blickte wild um sich. »Hie Hagen, wer ruft mir?« »Hie Hettel!« Er trat blutbespritzt aus dem Haufen. »König, tut's not, daß wir das Blut unserer Leute vergeuden? Jede Buße ist Eure Tochter mir wert!« »Räuber!« donnerte Hagen, »den Staub zu meinem Fuß sollst du küssen!« Hettels Gesicht flammte unter dem Silberhelm auf. »So komm an, König Hagen!« Er rannte wider ihn an ...

Zum Meere zurück flohen vor Wates mähendem Schwerte die Feinde. Da packte ihn Morung am Arm. »Schau hinter dich: Hettel in Not!« Wate fuhr herum.

Im Ringe, den die Mannen um sie geschlossen, wankte Hettel mit geborstenem Helme vor Hagen zurück. »Das langte!« schrie der Ire. – »Nein!« keuchte der Hegelinge und stürmte an: auf Hagens Schild schmetterte er das Schwert, das klirrte zu Stücken. Da war Wate herangerannt und brach mit gewaltigem Satz in den Kreis. »Auseinander, Schwäher und Eidam! Her zu mir, Hagen, wir kämpften nicht aus in der Halle!« »Recht so!« Hagens Stahl schwirrte: über die Brauen troff dem Sturmländer das Blut. »Spiel war's im Saale, kennst du es jetzt!« Mit beiden Händen riß Wate das Schwert hoch: »Spiel war's, und nun sollst du es erkennen!« Durch des Iren Helm krachte der Stahl in den Schädel. König Hagen dröhnte zum Grund.

»Nieder die Waffen!« schrie Irold, »tot ist euer König!« Auf einem Arm reckte Hagen sich auf und wandte das blutüberströmte Gesicht den Weichenden zu. »Wehrt euch, ich lebe!« Dann brach er zusammen.

Von neuem tobte die Schlacht um die Bucht ...

Blutig schäumten im Abendsonnenscheine die Wogen. An die Drachen zurückgedrängt kämpften die Iren in dünnen Reihen. An den Borden empor klommen sie und stürzten, von Pfeilen und Speeren getroffen. Da sanken die Banner, und ihre Waffen rasselten nieder zum Sand.

»Sieg, Herr, Sieg!« jauchzten die Hegelingen um Hettel, »sie bitten um Frieden!« »Wacker, Leute,« rief er, »hart ging's, aber wir zwangen's!« Auf das finsterblickende Häuflein vorm Greifenschiff schritt er zu. »Wo ist euer Führer?« Graf Ansgar trat vor, den zerhackten Eisenhut in der Linken, wirr hing ihm der lange Bart über der Brust. »Ihr kämpftet tapfer,« sprach Hettel: »Ihr für Euer Recht, ich für das meine. Nicht zur Rache an Euch denke ich meinen Sieg zu gebrauchen. Vergleich ist's, was ich will. Schwört mir Urfehde, alle Iren, und kehrt frei zurück in die Heimat!« »Und unser König?« »Schwerwund liegt er im Felde. Meines Weibes Vater ist er. Keine Unbill soll ihm geschehen, wie schwer er mich kränkte!« ...

Der Sonnenschein auf dem Schlachtfeld erlosch. Kühl strich der Wind von der See her. Zwischen den Leichen reckten sich stöhnend die Verwundeten auf. Auf einem Steine saß Wate, über Hagen gebückt: bleich starrte des Iren Gesicht in den blutigen Binden vom Mantel. Die Augen schlug er auf und hob mühsam die Stirne. »Ich erlag?« »Still, König,« brummte Wate, »und laß dich's nicht kümmern. Ein Weibsbild ist das Glück, heut so, morgen anders. Wir zwei, an Kraft und Waffenkunde, schätz ich, sind wir ziemlich gleich!« Ächzend sank Hagen zurück. – »Dröhnt dir der Schädel? Heilwurzeln hol ich dir, die wies mir ein wildes Weib einst im Walde!« »Ich will nicht genesen!« »Hm,« knurrte Wate, »wurmt dich das Schelmenstück so, das wir an dir begingen? Schön war's ja grade nicht – aber nicht immer geht's, wie man möchte!«

Aus der Dämmerung traten zwei Träger mit einer Bahre. »Ist das hier König Hagen, Herr Wate? Auf die Burg bringen sollen wir ihn.« »Macht, daß ihr weiter kommt, Bursche! Der hier begehrt nicht nach Matelane!« »Die Königin wartet dort hinten. Voller Angst ist sie um ihren Vater und wagt es doch nicht zu kommen.« Hagen wand sich auf. »Fürchtet sie sich, zu sehen, was sie vollbrachte? Sie komme!«

Zögernden Schrittes nahte Hilde im Zwielicht, hinter ihr Hettel. Scheu forschte ihr Blick durchs Dämmer. »Hier, Königin,« brummte der Sturmländer. Erschrocken fuhr sie vor dem Wunden am Boden zurück. Er starrte sie an. »Viel edles Blut ward heute um dich vergossen, freu dich!« Sie kniete nieder. »Vater, vergib mir!« »König,« sprach Hettel, »seid gerecht! Allzuhart wart Ihr. Ihr zwangt sie selber zur Flucht!« »Schweig,« keuchte Hagen, »du aber, Töchterchen, sprich – eines nur ist's, das will ich von dir hören: wußtest du's, daß ich dir traute?« Sie senkte den Kopf auf die Brust. – »So hast du getrogen und deiner Untreue Frucht wirst du ernten! Bringt mich hinab zu den Schiffen!« Die Träger hoben ihn auf die Bahre und schritten, sacht mit der Last schwankend, davon.

Stumm sah Hilde ihm nach, bis sie im Dunkel am Strande verschwanden. »Nie wieder werd ich ihn sehen!« »Du hast gewählt, Hilde,« sprach Hettel, und das Blut schoß ihm ins Gesicht, »reut es dich schon?« Da hob sie schluchzend die Arme. »Auf Trug gegründet ist unser Glück, König Hettel!«

Er wandle sich finster ab und zuckle die Achseln.


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