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Zweites Kapitel

1.

Mein lieber Bruder, ich gebe Dir natürlich meine Zustimmung, daß Du mein Kapital auf die angedeutete bessere Art verwendest. Die verlangte Vollmacht werde ich Dir in den nächsten Tagen senden. Ich weiß ja, daß Du in solchen Dingen weit über mein Verständnis hinaus zu sorgen verstehst und bin also mit allein einverstanden, was Du thust, um so mehr, wenn ein Vorteil in Deiner sozialen Stellung damit verbunden ist. Freilich, ich für meinen Teil komme mit den zehntausend Gulden jährlich ganz bequem aus, abgesehen davon, daß eine solche Summe in Deutschland bedeutend mehr vorstellt als in Wien. Doch stimme ich darin mit Dir überein: zwölftausend sind eben noch mehr.

Ich lebe hier genau so, wie ich in Wien gelebt habe. Ich kann mich noch immer nicht zur Wahl eines sogenannten Berufes entschließen. Deine ewige Klage! Aber ich kann mich nicht ändern. Sieh, was soll ich beginnen! Ich habe es ja so sehr bequem, lulle mich ein wenig in die Rolle des Flaneurs ein, thue so, als ob ich beobachten würde, und wenn ich auch sentimental bin, wie Du behauptest, so hoffe ich doch, daß mir das Leben bei irgend einer passenden Gelegenheit die überflüssigen Gefühle herausprügelt. Du willst, daß ich mich einmal ordentlich verliebe? »Bis über den Hals«, meinst Du. Ich trachte nicht darnach. Ich glaube nicht, daß mich dann die spätere Ernüchterung dazu drängen wird, was Du eine geordnete Lebensstellung nennst. Meine Beschäftigung ist einförmig. Ich lese alle wissenschaftlichen Bücher, die mich interessieren, besonders in der Chemie. Meine letzte Buchhändler-Rechnung betrug dreihundert Mark. Collegien besuche ich jetzt seltener. Die schöngeistigen Schriften lassen mich kalt, wie Dir ja bekannt ist. Nur an Balzac beginne ich jetzt Gefallen zu finden. Du zürnst mir darüber, daß ich so wenig von einem Poeten in mir habe, und daß mir sogar die Fähigkeit mangelt, mich an Poetisches hinzugeben. Wäre ich ein gewöhnlicher Nichtsthuer, so hättest Du wohl Recht mit Deinen Vorwürfen. Doch ich halte mich für etwas Besseres, glaube mich gut genug zu kennen, um diese Behauptung wagen zu dürfen. In einem feineren Sinn bin ich immer beschäftigt. Ich glaube, das, was wir unmittelbar einen Beruf nennen, ist mittelbar doch nur eine Beschränkung. Die Berufsleute sind eigentlich die Schläfer, die Halb-Bewußten; und diejenigen, die man Träumer nennt, sind vielleicht die wahren Wachenden. Nun kannst Du wieder spotten über den gescheiten Anselm. Aber jeder muß so leben, wie er eben lebt.

Ich habe hier eine recht elegante Wohnung in der Königinstraße. Ein Zimmer ist sogar ganz japanisch. Von allen Fenstern aus habe ich freien Ausblick über den englischen Garten. Besonders in der Dämmerung ist der Anblick des herbstlichen Gartens unvergleichlich. Dieser Tage will ich einmal ins Fränkische hinauffahren. Man braucht mit dem Schnellzug nur fünf Stunden; von Nürnberg aus nehme ich den Postwagen in unsere Heimat, die ich, außer mit Säuglings-Augen, noch nicht gesehen habe. Du schmunzelst darüber, Skeptiker. Aber ich kann Dir gestehen: das Bewußtsein, von einem andern Menschenschlag zu stammen, als dieser weichen und verweichlichten Wiener Rasse, beruhigt und ermutigt mich sehr. Laß bald von Dir hören und sei herzlich gegrüßt von Deinem Anselm.

2.

Es drängte Anselm Wanderer, zu Süssenguth zu gehen, doch war er um den Vorwand verlegen. Furcht und eine leichte Feindseligkeit trieben ihn an, wie Einen, der Gefahren abwenden will, ehe sie nahen. Andererseits war es wieder das kummervolle Weinen jener Unglücklichen, das ihm noch im Ohre lag. Die Zeitungen hatten ein wahrhaft jämmerliches Geschmäz über den Fall ausgegossen. Einigen wurde er zum sittlichen, anderen zum sozialen Problem. Einige brachten ihn mit der Kunst, andere mit der Liebe in Beziehung. Alle versprachen sich Aufklärung von der gerichtlichen Verhandlung und munkelten unbekümmert darauf los.

Er erfuhr Süssenguths Wohnung, und in der Frühe machte er sich auf, um durch den englischen Garten nach Bogenhausen, der Vorstadt, zu pilgern. Es ging durch krumme Gassen, an der Sternwarte vorbei, hinter den Ziegellagern einen lehmigen Pfad entlang, dann über die Felder. Süssenguth wohnte nach seinem eigenen Ausspruch im letzten Haus der Stadt, mitten in der Wiesen-Einsamkeit. Nebel- und taufeucht, erwarteten die Felder die späte September-Sonne und die Stadt lag im Westen wie ein dampfender Kessel.

Christian Süssenguth saß im Garten. In seiner Gesellschaft befand sich ein hagerer, vergrämt aussehender Mensch, von dem Wanderer erfuhr, daß er Stieve heiße. Dann war ein junges Mädchen da, bei dessen Anblick Wanderer stehen blieb wie von einer leichten Ohnmacht erfaßt. Er kannte die goldbraunen Haare und den Ansatz des Nackens.

»Das ist Gisa Schumann«, sagte Süssenguth in seiner natürlich vornehmen und freien Weise. Er schien übrigens ziemlich erstaunt über Wanderers Besuch, als ob er sich nicht erinnere, seine Bekanntschaft gemacht zu haben. Anselm suchte sich gar nicht zu entschuldigen; zornig über das Unbezwingliche, das ihn hergetrieben, nahm er Platz und hörte stumm der Unterhaltung der beiden Männer zu. Oder stellte sich, als ob er zuhöre. Gisa Schumann sprach nicht, auch schien man nicht zu erwarten, daß sie rede. Sie hatte ein leidenschaftliches Gesicht von orientalischem Schnitt, überquellend von Leben und gleichzeitig auch von Trauer. Immer wenn Süssenguth anfing zu sprechen, hob sie die Augen und sah ihn an, – mit einem unbeschreiblichen Blick. Alles an ihr bebte von Ueberfluß.

Die Unterhaltung zwischen Stieve und Süssenguth war monoton. Einmal hörte Wanderer den Namen der Renate Fuchs, und seine Augen wurden starr, horchend. Aber es wurde nichts Wesentliches laut. Er fragte kühn, ob man sie kenne. Gewiß kenne man sie, erwiderte Stieve, um dessen Mund es beständig in scheuer Ironie zuckte. Seine erschreckend mageren, krankhaft unruhigen Hände tasteten beständig umher, zuckten oder trommelten, wie verzehrt vom Gefühl der Haltlosigkeit. »Sie wird jetzt Herzogin«, sagte Stieve, das eine Ende seines Schnurrbarts zernagend.

»Herzogin? Wieso?«

»Sie hat sich gestern mit dem Herzog Rudolf verlobt.«

»Sie, – ist denn das wirklich wahr?« fragte Süssenguth kindlich zweifelnd.

»Es steht heute in allen Zeitungen.«

»Aber Sie, – wird denn das gestattet?«

»Es muß wohl so sein. Uebrigens ...»gestattet« ...

»Na Sie, – da könnt ich ja heute ebensogut eine Herzogin heiraten? Na?«

»Wenn Sie schön und reich wären wie Renate Fuchs, – gewiß.«

»Nun, was sie äußerlich hat, hab ich innerlich. Schließlich bin ich auch mit einer zufrieden, die innerlich eine Herzogin ist. Was, Gisa? Schert mich das Kleid? Wenn ein Weib fähig ist, einen Baum, eine Blume, den Wald, einen Schmerz ebenso zu empfinden wie ich, ist sie mir vollkommen ebenbürtig. Mehr verlang ich mir nicht. Dann will ich sie nicht einmal heiraten. Soll sie einen andern heiraten und mir die Gefühle schenken.«

Zornig-zärtlich sagte Süssenguth das, und manchmal war es, als ob er die Sätze erbreche. Das Suchen nach dem Ausdruck durchwühlte seine Züge. Er preßte die Augen zusammen, machte sie dann wieder leuchtend, ballte die Faust oder strich mit der weißen, schönen Hand über die angestrengte Stirn und erweckte immer den deutlichen Eindruck des Ungewöhnlichen.

Gisa, blaß geworden, erhob sich, ging langsam dem Ziehbrunnen zu, dessen Eimer durch ein Windrad hoch oben bewegt wurden. Sie stützte sich auf den Mauerrand und sah ins Bodenlose hinunter, vor dem sie die Augen schließen mußte. Sie hörte die Bäume rauschen, von welchen viele vergilbte Blätter herabfielen, und aus dem Haus klang ein verstimmtes Harmonium dazu.

Kaum hatte sie sich entfernt, so rief Süssenguth trostlos: »Aber wo bringt man sie denn jetzt hin, um Gotteswillen!«

»Es ist höchste Zeit, daß etwas geschieht,« sagte Stieve energisch. Er machte ein finsteres und ungeduldiges Gesicht, als hätte er etwas sehr Entscheidendes gesagt, wobei kein Widerspruch möglich sei.

»Sie kann nicht hier draußen bleiben«, grübelte Süssenguth. »Aber kann sie nicht zu Fräulein Xylander? Sie, ist das nicht möglich?«

Stieve zuckte die Achseln, wodurch sein Hals völlig verschwand. Er warf einen verlegenen Blick auf Wanderer und antwortete dann mit einem Lächeln, das ebenso sanft, apathisch und scheu war wie der Klang seiner Stimme: »So eine christliche That erlauben unsere Mittel nicht. Uebrigens will Anna herkommen.«

»Sie, da haben Sie Recht, – eine christliche That wäre das!« rief Süssenguth aus. »Natürlich, unsereinem bleibt das Himmelreich des Gebens verschlossen. Und wer ist fähig zu geben, von denen, die auf ihren Sammetpolstern sitzen und lächeln.« Dies letzte sagte er haßerfüllt und äffte dabei jemand nach, etwa die gezierte Langeweile einer alten Gräfin. Wanderer glaubte eine Karrikatur seiner Freundin Terke zu erkennen und lachte, ohne jedoch die Beklommenheit über das tiefvergrämte Gesicht Stieves zu verlieren.

»Gut, daß die Xylander kommt; mit der kann man sich ausschimpfen.« Süssenguth blickte finster gegen die Stadt. Dann beugte er sich zu Wanderer hinüber, packte heftig dessen Arm und flüsterte: »Sehen Sie sich das Wesen drüben an. Sie können sich keinen Begriff machen, was für ein Wunder von Zartheit und innerlichem Adel das ist. Eine Kapitalistin des Herzens. Und die soll zu Grunde gehen, weil ein –«

»P–s–s–t«, warnte Stieve. Süssenguth schwieg keuchend, leichenblaß, mit verbissenen Lippen. Wanderer schaute zu Gisa Schumann hinüber, die noch immer unbeweglich stand, der Brunnentiefe zugeneigt.

Stieve war aufgestanden, hatte sich an die Akazie gelehnt und schwieg. Wanderer bemerkte, daß sein Kopf im Verhältnis zum Körper viel zu klein war; seine schlottrige Erscheinung erhielt dadurch etwas Hilfloses. Seine Züge konnten oft fein und verträumt sein, aber sie riefen eine Empfindung hervor wie ein erblindeter Spiegel.

»Paria«, murmelte Süssenguth grollend und that, als hätte er einen schlechten Geschmack im Mund. Er setzte den Zwicker zurecht und ging zu Gisa an den Brunnen. Beide wandten sich zu einer Gruppe von Silber-Eschen, in der Tiefe des Gartens.

»Warum kann das Fräulein nicht hier bleiben?« fragte Wanderer, Stieve mit festem Blick ansehend.

Stieve machte eine bedauernde Bewegung. Es schien, als sei er etwas ungehalten über die Wichtigkeit, die man diesem ihm fremden Unglück beimaß. Seine Stirne war von bitteren Betrachtungen gefurcht. Wanderer verstand ihn sofort. »Es ist schwer durchzukommen«, seufzte er und machte ein schmerzlich-einverstandenes Gesicht, um Stieve Vertrauen einzuflößen. Aber der schwieg, und sein flackerndes Lächeln huschte bisweilen über die Lippen, den braunen Spitzbart förmlich erhellend, über dem der Schnurrbart hing wie ein kleiner Brückenbogen aus einem Baukasten.

»Was treiben Sie eigentlich in dieser elenden Stadt?« fragte Wanderer, wie wenn er selbst durch die Stadt zu leiden hätte.

Stieve, voll Ingrimm, zischte heraus: »Für ein Schmierblatt muß ich Notizen schreiben. Journalist ...ä!« Er stützte beide Arme auf die Hüften und stelzte aufgeregt zwischen zwei Bäumen hin und her. Wanderer sah ihm sinnend zu, doch nicht mitleidig. Er war nicht mitleidig, noch wünschte er, mit zu leiden.

In demselben Augenblick kam Anna Xylander in den Garten. Anselm erriet, daß sie es war, denn Stieves Gesicht veränderte sich. Es erhielt einen Ausdruck liebenswürdiger Nachsicht und freundlicher Ueberlegenheit was dem männlichen und anscheinend sehr energischen Mädchen gegenüber komisch wirkte. Sie küßte ihn nachlässig auf den Bart und fragte: »Wo ist Gisa?«

3.

Der Garten in der Fülle seines herbstlichen Schmuckes bot ein Bild der Ruhe und Schönheit. Goldbraune, grüne, kupferige, mattbraune, tief braune Blätter, alle regungslos, – unwillkürlich redete man leiser. An der Hauswand wuchsen Trauben, die indes noch kümmerlich waren, kaum so groß wie Vogelbeeren. Jetzt begann auch wieder das alte Harmonium mit quietschenden Obertönen.

Die Gruppe am Brunnen stand nach einem kurzen Wortwechsel zwischen Süssenguth und Anna Xylander schweigend beisammen. Gisa Schumann hatte Annas Hand ergriffen, deren Gesicht nun in leidender Verstimmtheit viel älter aussah. Nur ihre ehrlichen blauen Augen blieben jung, – vielleicht nur durch den unbestimmten Zorn, der in ihnen loderte. Wanderer beobachtete, daß die Unruhe Stieves, der unaufhörlich und wie schuldbewußt die am Boden liegenden Blätter raschelnd zertrat, den Zorn in Anna Xylanders Augen drohender werden ließ, bis sie sich in heftigen, klagenden Worten Luft machte. Das trübe Elend: von den Schulden, die Stieve mache; von seinen großen Plänen und kleinen Erfolgen, seiner Schlaffheit, die immer größer wurde. Doch es war eigentümlich, mitten in ihrem Ausbruch faßte sie Mitleid mit dem Geschmähten. Ihre Augen bekamen etwas innig Forschendes; ihre Klage ging mehr auf sie selbst zurück, auf ihre Unfähigkeit, ihm beizustehen, auf ihre Zukunftssorgen. Schließlich trat sie mit einem burschikosen Schmeichelwort vor Stieve hin, schlang ihm wie einem kranken Kind ihre Arme um den Hals und lachte. Stieve strich liebevoll und beschäftigt über ihre Wange.

Wanderer senkte erschüttert den Kopf. Als Stieve bald darauf allein stand, wandte er sich zu ihm, suchte ein Gespräch, das zu persönlichen Dingen führen konnte, zu einer Aussprache, einem Geständnis. Aber Stieve gab nur kurze Erwiderungen. Warum noch arbeiten? Er sehe kein Ziel. Das Bummel-Leben in der Stadt richte ihn zu Grund, die Freunde, die Freundinnen, die Weiber. Wie alle, die abwärts gleiten, wußte er von tausend Hemmnissen zur Arbeit. Es hatte den Anschein, als nehme er seine Worte selbst nicht ernst. Ein ängstliches Horchen lag auch über seinen bestimmtesten Versicherungen.

Auf einmal sagte Wanderer rasch: »Fassen Sie es nicht als Unverschämtheit auf, – aber wenn ich Ihnen mit etwas dienen kann, – verfügen Sie über mich.«

Ungläubig und verlegen starrte ihn Stieve an. Er murmelte etwas Schwerverständliches, worin er vom Leben sprach. Wanderer sah sich vorsichtig um, zog die Brieftasche heraus und drückte Stieve rasch eine Hundertmarknote in die Hand, der wie entsetzt zurückwich. So viel hatte er offenbar nicht erwartet. Er versuchte zu reden und wurde bleich bei dieser Anstrengung. Er runzelte die Stirn und murmelte: »Sie kommen da her und helfen ...« Seine Augen wurden feucht und die nervösen Finger spielten zitternd mit der Uhrkette. Wanderer begann vom Theater zu sprechen, vom Verfall der Bühne, der dramatischen Kunst ...ein Blick furchtsamer und verlegener Dankbarkeit war alles, was er zur Antwort erhielt.

Inzwischen war die Sonne gekommen. Etwas teilnamlos mit blechernem Glanz trat sie aus den Nebeln. Süssenguth blickte verzückt umher, das grüne Hütchen in der Hand. Wie ein Meer von würzigen Düften, die frische Reife des Herbstes selbst, zog es durch den Garten. Anna Xylander machte Glossen über die Verlobung des Fräulein Fuchs. Einer ihrer Freunde hatte Klavierstunden in dem Hause des Fabrikanten gegeben, und was sie von dem Treiben dort gehört hatte, berichtete sie wieder in ihrer derben, das Burschikose und Anzügliche liebenden Manier. »Die Leute leben wie die Eisenbahnzüge, jeder auf seinem Geleise. Das ganze Haus ein Rangier-Bahnhof, wo alles recht bedächtig geschoben wird, daß kein Zusammenstoß passiert.« Jeder Zug sei leer, bis auf Renate. Die sei ein kleiner Schnellzug, besetzt mit sehnsüchtigen Passagieren, die fortzukommen trachteten. Alle lachten laut, selbst Süssenguth grinste. Er klopfte Anna Xylander leicht aufs Knie und sagte: »Ein ganzer Kerl. Eine Person, die vor nichts Respekt hat. Die einzige Lebenskunst, meiner Ansicht nach.«

»Eine merkwürdige Ehe wird das geben«, sagte Stieve mit einer Versonnenheit in der Stimme, die Anna Xylander veranlaßte, ihn neckisch besorgt zu fragen, ob er Hunger habe. Doch Stieve wollte blos seine innere Freude verbergen und forcierte daher seine trübe Laune von früher.

Süssenguth entgegnete heftig auf Stieves Bemerkung. Gisa näherte sich ihm von rückwärts und legte beruhigend beide Hände auf seine Schultern. Ihr stilles Gesicht mit den gesenkten Augen zeigte eine schmerzliche Ratlosigkeit.

»Eine Ehe? Sie, – das nennen Sie eine Ehe? Wo er der schönen Fratze und den Millionen und sie dem schönen Titel nachläuft? Können sich die beiden jemals treffen? Werden sie ineinanderfließen wie zwei Ströme, die sich gesucht haben?« (Hier kräuselte Anna Xylander lasciv die Lippen.) Werden sie je die mystischen Schauer dieses Ineinanderfließens erleben? Nein. Jedes wird seiner Vereinsamung müde werden, frieren, innerlich absterben, elend und verlassen sein. Kein Frühling, keine Mondnacht wird dieser Renate Fuchs mehr etwas sagen, keine Freude wird sie mehr ganz auskosten, erstarren wird alles unter ihren Händen. Ist das nicht ein Frevel? Wenn ein Weib den Weg geht, den ihr die Natur bestimmt hat, wird sie eine Glückbringerin, eine Produzentin von Glück. Jeder Glückliche verhindert zehn Verbrechen. Das ist meine Meinung. Eine solche Ehe ist die Mutter von zehn Verbrechen.«

Süssenguths Reden hatten etwas Umnebelndes, zerstörten den Mut zu Einwendungen.

»Fräulein Fuchs kommt hier heraus«, sagte Gisa Schumann. Es waren ihre ersten Worte, und alle richteten erstaunt die Blicke auf ihre roten Lippen. Anna Xylander lächelte ihr ermutigend zu. Da ihre Mitteilung die Gesellschaft zu verblüffen schien, wurde Gisa verlegen. »Sie will mich malen«, fuhr sie leise fort. »Sie malt ja. Ich wußte nicht, wo sie mich sonst hätte treffen können, als hier bei Ihnen im Garten, Herr Süssenguth. Erst wollte sie nicht, dann sagte sie Ja. Es war vorgestern. Sie wollte eine Pastell-Skizze im Freien machen. Für die Stunde soll ich zehn Mark bekommen.«

»O, fürstlich«, machte Anna Xylander. Gisa wurde fortwährend betretener, schließlich war sie wie mit Blut übergossen. Jedenfalls nur, weil alle sie ansahen und sie allein reden mußte.

»Sie malt«, sagte Süssenguth verächtlich. »Die Hochgeborene erweist Dir die Gnade. Vielleicht kommt sie noch einmal zu Dir, Gisa, und bietet Dir ihre Krone gegen Deine traurige Freiheit.«

Es fiel Wanderer auf, daß Süssenguth sie dutzte, während Gisa mit ihm sprach wie mit einem hohen Herrn. Die reine Käthchenpoesie. Anselm war bewegt durch alles, was um ihn vorging, und seit Gisas Mitteilung befand er sich in einer erwartungsvollen Unruhe, die er auch an den Andern wahrzunehmen glaubte.

»Ich vermute, sie kommt nur Ihretwegen«, sagte Gisa trüb und mißmutig zu Süssenguth. Wanderer nickte unwillkürlich, Süssenguth sah sie groß an.

»Sie weiß es, daß ich täglich herauskomme, von der Malschule her.«

»Wir werden ihr schon heimleuchten, wenn sie sich wichtig macht« platzte Anna Xylander heraus und lachte. Ihr Lachen war häßlich, auch bei belanglosen Dingen voll Cynismus.

Süssenguth bat sie, sie solle hinauf in die Kapelle und etwas auf dem Harmonium spielen. Seine Cousinen seien jetzt in der Küche und würden sie nicht stören. Sie fuhr sich flüchtig über die Stirn, als müsse sie sich noch einmal ihre Sorgen vergegenwärtigen, fragte Stieve in ihrer schelmisch ironischen Gewohnheit, wie es ihm gehe und wandte sich dem Hans zu.

Anselm Wanderer fand es erstaunlich, wie die Frauen Süssenguths Wünsche erfüllten. Nicht nur erstaunlich, sondern fast geheimnisvoll. Er sah zu, wie jener eine Heckenrose vom Zaun pflückte, um sie Gisa zu überreichen, – und er empfand, wie wenn eine unsichtbare Leitung der Gefühle vorhanden gewesen wäre, wie Gisa von der Stirn bis zu den Füßen in leichtes Zittern geriet. Alles war dazu geschaffen, ihn aus dem Schlaf aufzustören, seine gesuchte, fruchtlose und ein wenig kokette Einsamkeit zu vernichten. Schon der schwere, zweifelnde, von scheuer Dankbarkeit erfüllte Blick Stieves gab ihm zu denken.

Anna Xylander hatte zu spielen begonnen; erst eine Art Choral, und als sie merkte, wie verstimmt das Instrument war, fuhr sie wütend in die Tasten, mit grellen Disharmonieen ihren cholerischen Aerger verscheuchend. Dann tröstete sie sich wieder und spielte ein friedliches Andante.

Süssenguth saß auf dem Brunnenrand und hielt Gisas Hand in der seinen. Er summte leise mit, stets mit der deutlichen Inbrunst oder Vergrabenheit, die alles an ihm kennzeichnete. Mitten in der Melodie erhob er sich, drückte die Hand wie einen Schirm an die Stirn und spähte fern gegen die Straße hinaus, auf der sich eine elegante Equipage näherte.


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