Jakob Wassermann
Melusine
Jakob Wassermann

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XIV.

Aus dem Tagebuch Vidl Falks.

23. Februar.

Nun habe ich auch die Liebe überstanden. Es ist eine entsetzliche, giftige, furchteinflößende Krankheit. Dies Fräulein Mirbeth ist in meinen Weg getreten, hat ihre falschen Augen aufgeschlagen und mit Inbrunst, mit ganzer Seele und ganzem Vermögen bin ich hineingestürzt in diese Augen. Ach, man wird da gedreht und gerädert, und was noch heil davonkommt, trieft von Erfahrungen und Weisheit. Ich bin noch zu voll von diesem Weib, um ein freies, gutes, erlösendes Wort niederschreiben zu können. Die Liebe ist eine Folter, grausam und nachhaltig. »Dies Fräulein Mirbeth« ist ein Wunder an Charakterlosigkeit, Treulosigkeit und jener echt weiblichen Verschlagenheit, die den Mann nie zur Ruhe kommen läßt. – Ich bin erlöst!

Aber wer weiß, vielleicht liebe ich sie noch. Wie schön war es auch in diesen stillen, stürmischen Liebesnächten!

 
25. Februar.

Es gelingt mir nichts Rechtes mehr. Was ich angreife, bleibt auf halbem Weg liegen. Ich bin wie betäubt; ich bin verdammt. Stets brennt mich etwas im Innern, stets scheucht mich etwas auf. Stets muß ich nachdenken ins Bodenlose hinein. Ich kann nicht schlafen, und ich liege des Nachts stundenlang am Fenster. Dem Wandel der Sterne schau ich zu, und dem Rauschen des Windes lausch ich. Es geht eine leise Frühlingsahnung durch die finstern Straßen. Die Natur, das ganze Universum erscheint mir wie eine Brust voll Leiden und Leidenschaften und voll Sehnsucht und sie will den Tod nicht kennen, der ihr zur Seite steht.

Ich kann nicht schlafen. Es ist vier Uhr nachts. Soeben ist Mely heimgekommen; beim Oberst war Gesellschaft, wie mir Frau Bender sagte. Es friert mich vor der Zukunft. O könnt ich einen hundertjährigen Schlaf tun. Aufwachend erblickt ich die Welt verschönt und die Nationen versöhnt, und ich brauchte nimmer auf den Präparierboden, um übelriechende Leichen zu zergliedern und zu zerlegen. Wie erfinderisch ist die Natur in den Krankheiten, mit denen sie uns heimsucht. Jeder Kuß, den wir erhalten, muß bezahlt werden mit einem Übel an Leib oder Seele, und über unser Glück eilt die Zeit hinweg und hinterläßt uns blasse Bilder, blasse Schemen.

 
26. Februar.

Ich träume seltsam. Ich träume z. B. vor mir stünde eine große Blume. Und ich bilde mir ein, das müsse eine Lotosblume sein, obwohl ich noch nie eine solche gesehen habe. Dann fließt Blut aus dem Kelch und ich kniee davor und trinke es. Oder ich träumte, Mely sei bei mir und sie ruft mich zu kommen. Aber ich kann mich nicht bewegen, ich bin nicht Herr meines Körpers, wie erstarrt stehe ich da und kann weder vorwärts noch rückwärts.

 
27. Februar.

Sie geht an mir vorbei, – fremd und ohne Gruß. Wenn sie im Wohnzimmer ist, so tue ich gegen die Damen sehr heiter und sorglos, und bin so galant als möglich. Warum das aber? Würde ich es tun, wenn sie mir gleichgültig wäre? Ich liebe sie noch, das ist alles. Oder nein, ich liebe sie mit verzehnfachter Liebe, mit brennender, schmerzhafter, zitternder Liebe. Aber ich darf nicht nachgeben. Wenn ich mich wieder schwach zeige, ist alles verloren. Es gibt nichts Dümmeres, als einen Mann, der konsequent sein will.

 
1. März.

Einmal sagte sie zu mir: Wenn wir beide glücklich sein wollen, müssen wir allein sein. Aber wie sollt ich sie gewinnen? Wie kann sie je mein eigen werden? Sie macht Ansprüche an das Leben, und sie will es hübsch bequem haben. Wie könnte sie den Kampf des Mannes gegen das Schicksal mitkämpfen!

Trauer erfüllt mich ganz. Meine Kraft ist aufgelöst und meine Freudigkeit ist dahin. Wenn ich mir ein Bild ihres Wesens zumachen suche, so zerfließt alles vor meinen Augen. Ist sie gut oder böse? weichmütig oder boshaft? störrisch oder hingebend? Ach, am Morgen ist sie willig und des Abends trotzig; am Mittag herausfordernd und spöttisch und des Nachts dem Weinen nahe in grundloser Verstimmung.

Ich sehne mich nach ihr und mir schmeckt weder Arbeit noch Essen.

 
4. März.

Da liegt sie neben mir und schläft. Die zwei Fauteuils sind zusammengerückt, so daß sie eine Art Diwan bilden und darauf schlummert sie. Das Wasser zum Kaffee wird bald zu kochen beginnen. Sie hat meinen Mantel um den Körper und über ihren Füßen liegt das weiße Deckbett. Die Haare hängen aufgelöst bis auf den Boden. Um uns ist die stille, tiefe Nacht. Bisweilen wird die Ruhe von fernem Wagengerassel gestört.

Ich finde, dies ist so sehr charakteristisch. Wenn ich frage: Mely friert dich? Willst du meinen Mantel? so schüttelt sie den Kopf. Aber bald darauf erhebt sie sich und holt sich den Mantel selbst.

 
5. März:        
fünf Uhr morgens.

Soeben ist sie schlafen gegangen. Wie wild, wie toll war diese Nacht wieder! In solchen Stunden, wo sie erfüllt ist von einer fast ingrimmigen, verhaltenen Leidenschaft, ist sie nicht mehr sie selbst. Sie hat sich vergessen, sich ihres Selbst beraubt, sie schmilzt hin in weicher Ergebung, in seufzender, matt abwehrender Begierde. So ist sie schön und auch überaus begehrenswert. Ich möchte die Feder, mit der ich schreibe, ganz in den wunder-wundervollen Duft tauchen, womit in solcher Nacht ihr Wesen umschleiert ist. Unvergeßlich ist es und herrlich. Stumm ist die Nacht und die Zeit hat kein Maß mehr den Sinnen. Alle Organe sind ins Krankhafte verfeinert, und wenn sie seufzt, so vermute ich einen tiefen Schmerz in ihr, und höre nicht auf zu fragen. Aber unbewußt frage ich, nur um sie zu liebkosen mit der Stimme, um sie zu trösten, um ihr zu versichern, daß sie beschützt sei. Alles was sie denkt, errate ich, und sie nimmt es mit einem halb verwunderten, halb dankbaren Lächeln auf. Nichts Verborgenes ist mehr in ihrer Seele und ich bin beruhigt.

Ich weiß gewiß, daß ich nicht schlafen werde. Ich werde noch lange dasitzen und über jede ihrer Gebärden, jedes ihrer Worte sinnieren. Wie ein schweres Gewicht liegt die Liebe auf meinem Herzen, aber ich trage es willig. Gleich der Blume eines kostbaren Weins, so berauschend ist dies Gefühl. Aber der Vergleich ist von geringer Güte. Schwach sind die Worte und hinfällig jedes Bild. »O du,« flüsterte sie beim Hinausgehen, »du hast mich leergetrunken mit Küssen.«

 
7. März.

Wer vermöchte das zu glauben: Ein junges Weib besucht allnächtlich den Geliebten, der sie bestürmt, sich ihm hinzugeben, – völlig und unwiderruflich. Er taucht sie unter in eine schwüle Flut von Liebe, – und sie widersteht! Sie ist voll Furcht gegenüber diesem Letzten, und sie trauert, wenn ich sie bestürme. »Schau, warum willst du das? Du willst mich erniedrigen, du willst mich unglücklich machen. Muß es denn sein? Du sagst, das sei der Inhalt des Lebens? Das ist nicht wahr. Denn was wird nachher sein?« – So spricht sie. Und dies ist das Mädchen, das bis zu seinem zwanzigsten Jahre glaubte, vom bloßen Küssen bekäme man ein Kind. Ich kann mir nicht helfen, diese Beweisführung macht mich krank vor Mißtrauen. Es klingt so elegisch, so unjugendlich. – Aber ich prüfte mich genau: Ich selbst fürchte jenen Schritt. Weshalb? Der Himmel mag es wissen.

 
10. März.

Sie fragte mich, ob sie meine erste Liebe sei. Ich erwiderte ihr, daß ein Mann heutzutage zuviel Gelegenheit habe, sein Herz zu verschenken, wie man poetisch sagt. Sie verstand mich. Aber ich sagte ihr auch, daß eine Liebe, wie die, welche ich jetzt empfinde, nicht zum zweiten Mal wiederkommen könne im Leben. Man kann nur ein Mal lieben, aber verliebt sein kann man in jedem Frühling aufs neue. Sie sah mich ungläubig und zärtlich an. Sie schmiegte sich an mich und verbarg ihr Gesicht.

Wie sehr quälen wir uns beide, indem wir uns die letzte, reife Frucht der Liebe vorenthalten! Bisweilen legt sich eine geheimnisvolle Verbitterung zwischen uns, dann wieder ein absichtliches Mißverstehenwollen. Ich lese dann in ihren Augen einen heißen Wunsch, aber auch die Starrheit eines festen Entschlusses. Und ich kann ihr nicht grollen. Ich möchte sie oft um Verzeihung bitten, wenn meine stürmische Leidenschaftlichkeit sie zu überwältigen droht. Wie viel sagen mir ihre Augen! Du bist mir alles, reden sie: Ziel und Ende des Lebens, und in dir kann ich vergehen. Ich bete täglich – scheinen sie oft zu sagen – daß du mich erwerben mögest, aber ich verdiene deine große Liebe gar nicht. Ich habe Sehnsucht nach dir, wenn gleich du bei mir bist. Ich liebe dich mit aller Kraft meiner Seele... So wortarm ihre Zunge ist, so reich an Ausdruck sind diese schwarzen, herrlichen Augen. Und wenn ich hineinsehe in diesen leuchtenden Abgrund, so muß ich mir sagen: Unmöglich ist es, daß dieses stolze, zarte Weib sich jemals einem ungeliebten Mann hingebe. Ich bitte ihr im Herzen all meine Zweifel ab.

 
13. März.

Ich erhielt Nachricht, daß der einzige Oheim, den ich noch mütterlicherseits besitze, in Biarritz schwer erkrankt sei. Wenn er stirbt, so erbe ich etwa achtzigtausend Mark, falls nicht auch er mich mit dem Anathem belegt hat.

*

Ich kam zu Mely ins Zimmer, als sie gerade mit dem Ausräumen ihres Schranks beschäftigt war. Heiter sah ich ihr zu, und war beglückt, wenn sie sich mir auf einige Schritte nahte, und ich erschrak und sehnte mich nach ihr, wenn sie in eine Ecke des Zimmers ging. Wir sprachen nicht, aber sie empfand meine Gegenwart, und in jeder Bewegung drückte sich das Bewußtsein aus, mich nahe zu wissen. Plötzlich fiel ein schwerer Gegenstand zu Boden. Ich blickte hin und gewahrte einen Revolver. Lächelnd fragte ich, was sie denn mit der Waffe anfangen wolle. Mely war jedoch totenbleich geworden. Zitternd schaute sie auf den Revolver hinab und ihre blutleeren Lippen suchten vergebens nach Worten. Da ward mir heiß. Ich sprang auf und trat zu ihr hin. »Was hat es für eine Bewandtnis mit dem Ding?« fragte ich erregt. Sie sah mich wie geistesabwesend an und flüsterte: »Ich weiß nicht.«

Kurze Zeit danach, als sie sich wieder gefaßt hatte, erzählte sie mir eine Geschichte; daß ihr der Oberst den Revolver zur Jagdausrüstung geschenkt habe, daß man einst drüben nach Karten geschossen und daß sie unvorsichtigerweise den Oberst mit einem Schuß am Arm gestreift habe. Aber ich fühlte es deutlich in meinem Herzen es war nur eine Geschichte, schnell erfunden und nicht einmal gut erfunden. Wie sehr empfand sie, daß ich die Lüge ahnte! Sie wagte nicht mehr, mir frei ins Auge zu sehn. Das brennt mich wie Feuer.

 
14. März.

Ich erhielt den Besuch des Fräuleins von Erdmann. Sie schilderte mir in tragischer Deklamation ihre bittere Lage und ich muß gestehn, daß ich großes Mitleid mit ihr hatte. Zum Schluß fragte sie, ob ich ihr nicht zweihundert Mark leihen könne. Ich mußte lachen, so sehr ich mir auch Zwang antat. Ich armer Teufel habe also doch verstanden, den Schein einer sicheren Existenz aufrecht zu erhalten. Das erfüllt mich beinahe mit Stolz und ich bin zufrieden mit mir. Aber ich wurde traurig über dies zerstörte Leben, welches da vor mir saß; und so bombastisch und so monumental die beleibte Dame auch ihre Rolle der Erniedrigten und Elenden spielte, ich begriff doch, daß hier das Schicksal einen wuchtigen Faustschlag geführt haben müsse, um so viel Herrischkeit, Eigenliebe und Stolz zur Pose einer Bittstellerin herabzuzwingen. Ich suchte zu trösten und zu ermutigen.

Alles in diesem Hause geht seinem Ruin entgegen. Die »Pension« ist nur noch ein frommer Titel. Frau Bender ist beim Fleischer, beim Bäcker, beim Krämer so tief verschuldet, daß sie nichts mehr kreditiert erhält. Ich sehe nur gesenkte Köpfe und gerötete Lider. Die Pension war zum Verkauf ausgeschrieben, aber niemand hat sich beworben. Jetzt sollen die Möbel veräußert werden. Die Familie will auswandern.

Die Einzige, die herumgeht, heiter und guter Dinge, ist Helene. Sie tut, als ginge sie das alles gar nicht an. Sie lächelt, als ob sie sagen wollte: die Mutter ist ja da, sie muß nun einmal dafür sorgen, daß wir genug zu essen haben.

 
17. März.

Fräulein von Erdmann ist ausgezogen, niemand weiß, wohin. –

Mely kam zu mir ins Zimmer und weinte. Sie redete nichts, sie gab auf mein Fragen keine Antwort: sie weinte und ging wieder. Es legt sich wie ein nasser Dunst um meine Augen und mir bangt vor Kommendem. – Dann am Abend sagte sie mir, daß sie oftmals in der Nacht aufwache und weinen müsse. Sie wisse nicht warum, aber die Tränen überwältigten sie.

»Was wirst du tun,« fragte ich sie, »wenn ich dich verlasse, wenn ich eine Andere liebe –?« Sie zuckte die Achseln. »Nichts. Ich werde vielleicht traurig sein, aber ich werde mich trösten.« – »Nein, nein, das ist nicht wahr. Du wirst nicht länger leben mögen, –« – »O, wie sehr täuschst du dich! So viel Kummer wärst du doch dann nicht wert.« – »Ja, du hast recht. Aber ich könnte niemals von dir lassen.« – »Geh, geh.« – »Ich wollte, es wäre nicht so. Doch lieb ich dich mit allem was ich bin und tu und denke. Du bist ein Bestandteil meines Körpers geworden, und wenn wir uns trennten, wär's, wie wenn man mir einen Arm amputierte.« Sie lächelte seltsam und seufzte. »Und du,« fuhr ich fort, »du entziehst dich mir, und du zeigst nur dadurch, daß du mir nicht vertraust. Hast du nicht einmal gesagt, du könntest mich lieben wie Julia?« – Sie schwieg und schloß die Lider ganz. »Ich kann es nicht,« flüsterte sie endlich beengt. – »Wenn ich dich aber nun so flehte, daß du nicht anders könntest, wenn ich weinte, wenn ich alles davon abhängig machen würde, – Schatz, du guter, könntest du dich dann immer noch weigern?« – Sie sah mich traurig an und schüttelte den Kopf. – »Du würdest nachgeben –?« – »Ja.« – »Aber dann, was dann?« fragte ich leise, erschrocken von dem Ausdruck ihres Gesichts. – »Dann würde ich mir das Leben nehmen.« – Ich fühlte, wie in mir etwas erstarrte. Aber sie blickte mich furchtlos an; nur ihre Finger zerrten krampfhaft an dem Saum meines Rocks. Und plötzlich fiel ihr Kopf auf die Lehne des Fauteuils zurück. Sie war ohnmächtig geworden.

 
21. März.

An den letzten Nachmittagen treffe ich regelmäßig Doktor Wendland. Ich unterhalte mich vortrefflich mit ihm. Er ist durchaus kein Arzt gewöhnlichen Schlages. Er weiß viel und bringt seinem Beruf eine bedeutende Persönlichkeit als Mitgift. Jene große Güte, die mich schon beim ersten Eindruck so sehr bestach, vereinigt sich mit einer schönen Freiheit des Urteils, und er prüft Herz und Nieren seiner Patienten nicht nur im medizinischen Sinn; er will wissen, was auch in der Seele Derer vorgeht, die sich ihm und seiner Wissenschaft anvertrauen. Der Mann wird es noch weit bringen.

 
(Später.)

Ich habe mich ein wenig mit Melys Schwester unterhalten. Ich war ganz allein im Hause, als sie kam; denn Benders sind spazieren gegangen... Ich bin nicht fähig, dieses Gespräch niederzuschreiben. Das Weib hat mein Herz schwer gemacht. Wie ein Wandrer die Nacht nahen sieht, ohne Hoffnung, das Ziel zu erreichen, so steh ich hilflos und verlassen auf ungebahnten Wegen und weiß nicht aus noch ein. Die Zweifel schrecken mich und quälen. Lange schon haben sie sich eingenistet in mir, und wenn ich ihnen jetzt nachspüre, muß ich sehen, wie die Schatten fester werden, lebendiger, überzeugender, bedrückender. O Mely, komm! Deine Gegenwart nur, dein schmerzlich-inniges Lächeln kann die Gespenster vertreiben.

 
23. März.

Der Frühling ist da. Kühl war der Tag und die Sonne sinkt mit einem Strahlenfeuerwerk in die Tiefen des Westens. Die glänzenden Augen der Kinder rufen: Frühling! Die festlich glühenden Wangen der Jünglinge und Mädchen sprechen davon. Dichtes Gedränge erfüllt die Promenaden. Smaragdgrün leuchtet der Himmel herüber, am Horizont in ein tiefes, schwüles Rot übergehend. Der Fluß, den ich entlang wandelte, zog eine endlose Rauchwolke von zartem Braun wie der machtvolle Arm eines Riesen. Leiser Wind hob zahllose, kleine Wellen aus dem Wasser empor.

Ich bin krank. Fieber auf Fieber läuft in hastigen, kurzen Stößen durch meinen Körper. Brutal und herausfordernd starrten mir die Leute ins Gesicht. Und mir war, als seien sie alle frei, als sei die Seele aller voll Frühlingsglück und Festlichkeit, nur ich allein trug eine schwere Last auf dem Rücken, nur ich allein mußte leiden.

O, was ist vorgegangen mit mir!

 
(Nachts.)

Ein Mann wie Doktor Wendland lügt nicht. Das ist unmöglich. Weshalb sollte er auch. Er konnte ja gar nicht vermuten, daß dies »Fräulein Mirbeth« die Inkarnation meiner Lebensfreude bildete. Er wußte ja gar nicht, daß ich sie überhaupt kenne...

Habe ich recht gehört? Oder habe ich nur vernommen was ich zu hören wünschte und zu hören fürchtete? Habe ich eine ahnungslos hingeworfene Bemerkung gewaltsam mißverstanden, ein harmloses Gespräch böswillig nach einem gewollten Punkt geleitet? Nein und abernein. Das alles kam von selbst. Es ist das Schicksal, das mich packt und mir einen Stoß versetzt, daß ich zum Abgrund taumelnd, allen Halt verliere. Und daß dieses Schicksal die freundlichen und mitleidenden Züge des Doktor Wendland annahm, – welche Ironie! –

Das war keine von den dunklen Andeutungen. Er ist ihr Arzt und muß es wissen. Er hat mich auch zweifellos verstanden. Nachdem er es gesagt, ergriff er meine Hände und schaute mich stumm an. Sein Blick ging mir durch und durch.

 
24. März.

Habe ich denn um Gottes willen recht gehört? Ist es möglich? ist es möglich? Bin ich belogen worden, hintergangen worden? Wo ist mein Schlaf hin, wo ist meine Ruhe? Was kümmert mich der Frühling, was schert mich die Sonne, die Blumen, die lachenden Kinder –! Dunkelheit liegt in meinem Herzen schwer und dicht. Melusine! – Sie hat diese an Güte so unerschöpflichen Augen, und sie hat mich betrogen. Sie hat diese Augen, strahlend in rührender Kindlichkeit, und sie lügt. Aber nein, ich habe mich getäuscht, ich habe den Doktor nicht verstanden. Ich will ihn wieder fragen. Ich will ihn beschwören um die Wahrheit. Wenn er seine Seele rein von Flecken halten will, möge er mir die Wahrheit sagen.

*

Tor! – Noch immer zweifelst du. Und zweifelst an der Gewißheit, nach der du vordem in zitternder Ungeduld haschtest. Warum weine ich nicht? Warum vergrabe ich den Kopf nicht in die Kissen und suche den Schlaf, den ewigen? Was will ich noch? Will ich die Bestätigung aus ihrem eignen Munde hören? Ich müßte mich schämen, so lange vertraut zu haben. Will ich mich rächen und zur Schußwaffe greifen, wie ich einst so pathetisch versprochen? Ist es möglich, daß die Sonne scheint, daß der Himmel so blau ist und daß es noch Dinge in der Welt gibt, worüber fröhliche Menschen sich freuen? Aber woher kommt es, daß ich schreiben kann, daß ich wohlgefügte Worte aufs Papier zu bringen noch fähig bin?

 
26. März.

Wäre sie doch da. Ich könnte mit ihr reden. Aber sie ist auf der Jagd mit dem Oberst, schon seit acht Tagen. Und ich verbrenne hier in meinem Kummer. Sie schreibt mir:

»Ich weiß nicht, wie ich Dich anreden soll. Vidl ist so abscheulich, so dumm. Ich glaube Du sagtest einmal, es kommt von Vitus. Aber das ist viel schöner. Dein Wunsch, daß ich von Dir träume, ist in Erfüllung gegangen. Du warst in meinem Zimmer, ich wollte zu Dir, konnte aber nicht gehen, und Du gingst ganz langsam einen Schritt um den andern zurück; es war furchtbar, bis ich mit schrecklichem Herzklopfen aufgewacht bin. Es ist sehr einsam und ich habe recht Sehnsucht nach Dir. Ich kann keine Ruhe finden. Ich wünsche mir nichts, als die Zeit möchte doch bald kommen, wo wir glücklich und zufrieden beisammen sein können. Ich weiß, es ist ein Unsinn, und doch, ich denke so gerne dran. Wenn Du nur hier sein könntest, ich fürchte mich hier so, die Ruhe ist unheimlich. Ich glaube, das betrübt mich so. Oder es ist die Luft zu weich für meine Nerven.«

Ich kann es nicht glauben. Mein Verdacht, der schon die Form der Gewißheit angenommen hatte, versinkt in Nichts. Ich bin ein lächerlicher Spürhund, weiter nichts. Ich werde aber doch mit Doktor Wendland noch einmal reden. Ich werde ihn bitten, – als Freund – – Der Arzt kann sich täuschen.

 
1. April.

Sektionen von Kauflustigen kommen, um Frau Benders Meublement zu besichtigen. Es wird unwohnlich in diesem Haus. Am 15. April will die Familie schon reisen. Ich begreife nicht, wo die Mittel herkommen sollen.

Die Trauer weicht nicht von mir. Mir ist wie einem, der ein Urteil erwartet, und ich verharre in Untätigkeit.

 
2. April

Mein Oheim ist in einer hiesigen Privatklinik gestorben und hat mich zum Universalerben eingesetzt. Ich bin reich. Dieser Mann, der sich im Leben nie um mich bekümmert, leert nun all sein Besitztum in meine Taschen, – seltsam. Ich bin erstaunt, wie mich die Änderung meiner Verhältnisse, die glückliche Wendung meines Geschicks verhältnismäßig so kühl läßt. Ich habe den Willen, mich himmelhoch zu freuen, aber das gelingt mir nicht. Nun wird es viel Arbeit geben und viel Zeremonien.


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