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11

»Cecile! Das war ihr Ring – und doch –«

»Ich konnte mich nicht irren«, fuhr Jim fort. »Als ich an Bord des Schiffes kam, lieh ich von dem Chefingenieur ein Vergrößerungsglas, und so konnte ich alle Einzelheiten erkennen.«

Sie schwieg, während sie sich über die Reling lehnten und beobachteten, wie die großen Schaumblasen an der Oberfläche des Wassers vorübereilten.

»Willst du mir nicht auch erzählen, was du sonst noch erlebt hast?«

»Nur noch das: Ich kam in Southampton bei Tagesanbruch an und ging an Bord. Ich kenne den Chefingenieur Smythe und wußte, daß er an Bord war. Offen erklärte ich ihm, was ich erlebt hatte. Außerdem teilte ich ihm meine Verdachtgründe mit, die ich dir noch nicht sagen konnte. Er holte Stornoway in seine Kabine herunter, und wir besprachen dann die ganze Angelegenheit beim Mittagessen. Das sind wirklich wunderbare Charaktere. Sie nahmen das Risiko auf sich. Ich schlafe in der Kabine des Chefingenieurs, die sich übrigens auf diesem Deck befindet. Der Steward ist eingeweiht, aber auch ihn kannte ich von früher her.«

»Was soll denn aber in New York werden?«

»Das weiß ich nicht. Es sind Detektive an Bord des Schiffes, aber ich glaube nicht, daß sie hinter mir her sind.«

»Warum sind sie denn auf das Schiff gekommen?«

»Sie wollen die Bande der ›Vier Großen‹ festnehmen. Habe ich dir damals nicht von Sandersons Theorie erzählt? Er war wirklich ein armer Mann. Die letzten Worte, die er mit mir wechselte, handelten von der hohen Summe, die auf die Verhaftung der Bande ausgesetzt ist.«

»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, sagte sie nach einer Weile. »Daß der Ring auf der Photographie zu sehen war, ist doch merkwürdig. Frank hat oft gesagt, daß es der einzige Ring dieser Art ist. Aber es ist doch nicht möglich, daß dasselbe Schmuckstück auf der Photographie ist ... Glaubst du denn, daß Cecile dieses entsetzliche Verbrechen ausgeführt hat?«

»Du meinst, daß sie Sanderson erschossen hat – um Himmels willen – nein!«

»Glaubst du, daß sie Sanderson gekannt hat? Ich besinne mich jetzt. Sie war sehr aufgeregt, als sie ihn in der Tür der Bank stehen sah.«

Jim antwortete einige Zeit nicht.

»An deiner Stelle würde ich die Möglichkeit nicht in Betracht ziehen, daß deine Schwägerin die Täterin sein könnte. Ich bin vollkommen davon überzeugt, daß sie nicht mehr mit dem Mord zu tun hat als du und ich.«

Plötzlich hörten sie hinter sich im Dunkeln einen Schrei, einen halb erschreckten Ruf, dann ein Geräusch, als ob etwas Schweres niederfiele. Beim ersten Laut sprang Jim auf und verschwand in der Dunkelheit. Margot, die ihm nacheilte, wäre beinahe über ihn gefallen. Sie sah jetzt, daß er sich über eine dunkle Gestalt beugte, die am Boden lag. Rasch steckte er ein Streichholz an. »Wer ist denn dieser Mann?« fragte er.

Sie sah über die Schulter und schauderte zusammen, als sie Blut aus einer Kopfwunde niederrinnen sah.

»Das ist ja der Pfarrer – Mr. Price!«

Es schien sonst niemand den Schrei gehört zu haben, denn sie blieben allein an Deck.

Jim hob den Verwundeten auf und stützte ihn gegen einen Windfang. Der Mann stöhnte.

»Wie geht es Ihnen? Können Sie stehen?« fragte Jim.

Zuerst glaubte er, daß Price das Bewußtsein nicht wiedererlangt hätte, denn er erhielt nicht sofort Antwort.

»Ich will es versuchen«, hörte er dann eine Stimme von unten. Mühsam erhob sich der Pfarrer, während Jim ihn stützte.

»Schrecklich!« sagte er leise. »Schrecklich!«

»Geht es Ihnen besser, Mr. Price?« fragte Margot besorgt. »Ja, ich fühle mich schon wohler. Wer ist denn das?«

»Ich bin Miss Cameron.«

»Ach, es ist ganz merkwürdig, ich bin hier über diese Bolzen gefallen. Es ist dunkel oben an Deck.«

»Wer hat Sie denn überfallen?« fragte Jim.

»Wieso?«

»Wer hat Sie verwundet? Sie werden mir doch nicht erzählen wollen, daß Sie hier über einen Bolzen gefallen sind. Ich habe deutlich gehört, wie Sie mit einem anderen kämpften.«

Wieder steckte er ein Streichholz an. »Jemand hat versucht, Sie zu erwürgen. Ich sehe doch noch deutlich die Male an Ihrem Hals.«

»Ich fürchte, Sie haben geträumt«, erwiderte Price.

»Aber ich danke Ihnen vielmals für Ihre liebenswürdige Hilfe.« Schwankend ging er zu der Treppe nach unten, und auf dem Weg hielt er sich an den Booten fest, um nicht umzusinken.

»Das war ein glücklicher Zufall«, meinte Jim.

»Das verstehe ich nicht. Wieso?«

»Wirklich ein Segen«, entgegnete Jim erregt. »Wir beide können sehr dankbar sein, auf jeden Fall ich. Es ist bisher schon so vieles gutgegangen.«

»Wir wollen einmal sehen, aus welcher Richtung der Schrei kam.«

Vorsichtig ging er den engen Weg entlang, dann blieb er stehen.

»Es muß ungefähr hier gewesen sein«, sagte er direkt gegenüber der Radiokabine. »Nun wollen wir einmal hier hineinsehen und den Operateur fragen, ob er etwas gehört hat.«

Sie stiegen eine kurze Treppe in die Höhe zu dem öffentlichen Schalter, wo die Passagiere ihre Radiotelegramme aufgaben. Sie sahen den Operateur in Hemdsärmeln hinter einem Schalter sitzen.

»Hat Mr. Price das Wechselgeld auch eingesteckt?« fragte Jim liebenswürdig.

»Ja, ich gab ihm einen Dollar fünfzig. Ich sah deutlich, wie er es einsteckte.«

»Er gab Ihnen doch einen Zehndollarschein?« fragte Jim aufs Geratewohl.

»Ja, und das Telegramm kostete acht Dollar fünfzig«, erklärte der Operateur geduldig.

Jim dankte ihm.

»Was hat das alles zu bedeuten?« fragte Margot verwundert, als sie auf das Deck herunterkamen.

»Ich wollte wissen, wie lang ungefähr das Telegramm war. Und vor allem natürlich, ob er überhaupt eine Radiobotschaft fortgeschickt hatte. Er hat acht Dollar fünfzig bezahlt, infolgedessen hat er ungefähr vierzig Worte telegraphiert. Das ist schon ein recht langes Telegramm. Sie müssen ihn überfallen haben, als er die Treppe herunterkam. Ich kann nur sagen, Mr. Price hatte Glück, daß sie ihn nicht gleich über Bord warfen.«

»Jim, ich möchte noch eine Frage an dich richten. Wenn alles so geht, wie wir wünschen, und du deinen guten Namen wiederhergestellt hast, wie lange wird es dauern, bis du –« Es fiel ihr zu schwer, den Satz zu beenden.

»Ich werde dich heiraten, so schnell wie möglich, selbst wenn ich mir das Geld von dir leihen sollte, um die Lizenz und den Pfarrer zu bezahlen.«


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