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11

Comstock Bell legte die Zeitung hin, in der er gelesen hatte, und nahm einen Brief vom Tisch, der von Mrs. Granger Collak aus Neapel angekommen war. Unwillig mußte er beim Gedanken an sie ein wenig lächeln.

Es klopfte, und Parker kam herein.

»Miss Maple möchte Sie sprechen«, meldete er.

Comstock erhob sich und ging ihr entgegen. Sie sah leidend aus und hatte verweinte Augen.

»Ich bin froh, daß Sie gekommen sind«, sagte er. »Darf ich fragen, was für Pläne Sie haben?«

»Ich weiß nicht, was ich machen soll«, erwiderte sie. »Mr. Gold war so liebenswürdig, mir etwas Geld zu leihen und hat mir versprochen, daß sich seine Regierung für meinen Onkel einsetzen wird.«

»Sehr schön – seine Regierung ist auch die meine«, antwortete er lächelnd.

Sie schaute überrascht auf.

»Sie sind auch Amerikaner?«

»Natürlich. Sie dachten wohl, daß jeder Amerikaner einen Cowboyhut trägt?«

Er lachte wieder, hielt aber plötzlich inne, als er ihr trauriges Gesicht sah.

»Wenn ich nur wüßte, ob mein Onkel noch am Leben ist«, flüsterte sie.

Er nickte.

»Ich kann mir denken, wie Sie das bedrücken muß«, meinte er ernst. »Ich habe vorher den Bericht in der Zeitung gelesen. Demnach besteht doch immerhin Hoffnung, daß die Leute, die ihn entführt haben, ihm nicht direkt ans Leben wollen ...«

Sie schaute zu ihm auf. Er hatte so warmherzig und freundlich gesprochen, daß sie sich immer mehr zu ihm hingezogen fühlte. Was war er wohl für ein Mensch? Er hatte soviel Geld und macht doch einen so niedergeschlagenen Eindruck.

Comstock war im Zimmer auf und ab gegangen. Jetzt blieb er ihr gegenüber stehen und sah ihr fest in die Augen.

»Miss Maple, haben Sie noch irgendwelche andere Verwandte?«

»Nein.«

»Oder gute Bekannte?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nur einige ganz flüchtige Bekanntschaften. Früher war ich in einem Pensionat in Belgien, und meinen Onkel lernte ich ja erst nach dem Tode meines Vaters vor einigen Jahren kennen.« Er nickte, sah zu Boden und gab sich dann einen Ruck.

»Ich möchte Ihnen etwas sagen, Miss Maple, das Sie wahrscheinlich sehr verwirren wird. Vorausschicken will ich, daß ich mir meiner Verantwortung durchaus bewußt bin und für Sie die größte Hochachtung und Bewunderung hege. Bitte glauben Sie mir also.«

»Ich weiß nicht, was Sie mir sagen wollen – aber ich kann Ihnen versichern, daß ich Ihnen Vertrauen schenke«, entgegnete Sie ruhig.

»Schönen Dank, Miss Maple. Es handelt sich um folgendes – ich möchte Sie heiraten.« Sie sah ihn fassungslos an und wich unwillkürlich einige Schritte zurück.

»Bitte, regen Sie sich nicht auf«, sagte er lächelnd. »Und vermuten Sie vor allem nichts Schlimmes. Hier ist die Klingel, und mein ganzes Personal ist in Rufweite.«

»Aber – Mr. Bell ...!« rief sie bestürzt.

Er hob beschwichtigend die Hand.

»Verstehen Sie mich richtig, Miss Maple. Ich möchte, daß Sie mir einen großen Gefallen tun – mir ein Opfer bringen: Sie würden Ihre volle Freiheit behalten, wenn Sie eine Ehe mit mir eingehen, ganz abgesehen von den materiellen Vorteilen, die dieser Schritt zur Folge hätte.«

»Aber wir kennen uns doch erst seit kurzem – lange nicht genug, um einen solch schwerwiegenden Entschluß zu fassen erwiderte sie leise und schaute ihn ein wenig vorwurfsvoll an. »Eine solche Ehe wäre ganz gegen meine Anschauungen. Ich kann nur einen Mann heiraten, den ich liebe.«

Sie erhob sich.

»Bitte bleiben Sie noch und hören Sie mir zu.«

Sie setzte sich wieder. Seine Stimme klang eindringlich und fast verzweifelt.

Unbeweglich saß sie da, während er redete. Nur einmal stand sie auf und ging erregt hin und her. Er sprach voll Hoffnung, aber auch voll Bitterkeit. Es wurde dunkel, und sie konnte nur noch undeutlich seine Umrisse vor dem Fenster sehen. Schließlich brach er ab – und da hatte sie endlich begriffen ...

Als er sie später zur Haustür brachte und mit ihr auf die Straße trat, war es völlig dunkel geworden. Er begleitete sie zu einem Taxi und half ihr beim Einsteigen. »Bis morgen also?«

»Ja, bis morgen«, wiederholte sie und reichte ihm die Hand.

Gold betrat den Terriers-Klub und erhielt vom Portier einen mit der Maschine geschriebenen Brief ausgehändigt, der von Comstock Bell stammte.

Er las den Brief aufmerksam durch, blieb auf dem Weg zum Schreibzimmer stehen und nahm ihn noch einmal vor. Dann steckte er ihn in die Tasche und ging sehr erstaunt in den Speisesaal, um zu Abend zu essen.

Hastig aß er, denn er war augenblicklich sehr beschäftigt. Er hatte auch nicht die geringste Lust, sich mit Helder, den er nach dem Essen im Korridor traf, zu unterhalten.

»Schön, daß ich Ihnen begegne, Mr. Gold. Ich möchte Sie nämlich dringend sprechen.«

Gold seufzte tief.

»Was wollen Sie denn von mir?«

»Ich glaube, ich kann Ihnen etwas sehr Wichtiges mitteilen – Willetts wird morgen verhaftet!«

Gold schaute ihn scharf an.

»Wer hat Ihnen denn das gesagt – und was wissen Sie überhaupt von Willetts?«

»Es tut nichts zur Sache, von wem ich es erfahren habe. Von Willetts aber weiß ich, daß er der Anführer der Bande ist, die falsches Geld in Umlauf bringt. Es sind dieselben Verbrecher, die Ihren Freund Maple entführt haben.«

»Was Sie nicht sagen!«

Wentworth Gold schaute Helder mit einem merkwürdigen Blick an.

»Die Sache ist ganz klar. Willetts wird bereits seit längerer Zeit von der Polizei wegen Falschmünzerei gesucht. Er hat ein Büro in der Stadt, das aber nur dazu dient, seine wirkliche Beschäftigung zu vertuschen.«

»Sie scheinen ja mächtig genau Bescheid zu wissen. Kennen Sie ihn denn?«

»Ich habe ihn ein paarmal gesehen und kann mich noch recht gut an ihn erinnern. Er war seinerzeit mit mir in Paris.«

»Haben Sie dort auch Comstock Bell kennengelernt?«

»Ja. Bell und Willetts gingen beide auf die Kunstakademie und haben im gleichen Atelier gearbeitet. Willetts war auf den ersten Blick ein ruhiger, recht unscheinbarer junger Mann. In Wirklichkeit hat er aber ein ziemlich unsolides Leben geführt und sich allerhand Ausschreitungen zuschulden kommen lassen. Nach jener, letzten skandalösen Geschichte, über die Sie ja Bescheid wissen, verschwand er aus Paris.«

»Und Sie behaupten, daß er der Chef einer Fälscherbande ist?«

»Ich bin mir völlig sicher, daß er mit einer solchen Bande zumindest zusammenarbeitet. Und ebenso gewiß ist es für mich, daß Bell hinter ihm steht.«

»Aber das ist doch ganz absurd! Bell besitzt ein großes Vermögen, er ist Millionär! Vielleicht hat. er in seiner Jugend einmal über die Stränge geschlagen – schließlich ist das aber noch lange kein Grund, daß er jetzt mit einem derartigen Verbrechen in Zusammenhang gebracht werden kann. Woher wissen Sie denn überhaupt, daß Willetts verhaftet werden soll?«

Helder schüttelte lächelnd den Kopf.

»Das müssen Sie selbst herausbringen«, sagte er. »Auf jeden Fall bin ich meiner Sache sicher.«

Ein Mann, der durch seine krumme Haltung und den etwas linkischen Gang auffiel, überquerte spät abends langsam den Pinsbury Square.

Es waren nur wenige Passanten auf der Straße. Ein Polizist an der Ecke folgte dem Mann mit den Blicken, allerdings weniger aus Pflichtbewußtsein als aus Langeweile.

Der Mann sah aber auch wirklich recht auffallend aus. Er trug einen langen, schwarzen Mantel und einen breiten, weichen Filzhut. Seine dunklen Haare, die sich hinten zu Locken rollten, hingen ihm bis auf den Mantelkragen. Allem Anschein nach war er ein Musiker oder sonst irgendein verkommenes Künstlergenie.

Langsam ging er auf der Broad Street entlang und bog dann in eine dunkle Seitenstraße, die zum Themseufer führte.

Wenn sich jemand die Mühe gemacht hätte, ihm zu folgen, so wären ihm wohl die vielen Umwege aufgefallen, die der Mann machte.

Als eine Kirchenuhr in der City elf schlug, schritt er gerade über den großen freien Platz hinter der Börse. Ein Mann, der langsam auf dem Gehsteig in der Thread Needle Street auf und ab ging, kam ihm halbwegs entgegen.

»Nun, Clark«, redete ihn der Mann in dem schwarzen Mantel an, »haben Sie einen Brief?«

Er sprach französisch.

»Nein, Mr. Willetts«, entgegnete der andere. »Irgendwelche Aufträge für mich?«

Auch er sprach französisch, doch mit einem deutlichen englischen Akzent.

Der Mann, der mit Willetts angeredet worden war, schüttelte den Kopf.

»Nein, heute abend nicht«, entgegnete er.

»Es sind Leute dagewesen, die nach Ihnen gefragt haben«, sagte Clark. »Man wollte von mir wissen, wo Sie wohnen.«

»Ach, es wird schon nicht so wichtig gewesen sein«, erwiderte der andere sorglos. »Sagen Sie in solchen Fällen einfach, daß ich im Ausland bin. Noch etwas?«

»Nein, Sir.«

Mit einem kurzen Kopfnicken verabschiedete sich der Mann in dem schwarzen Mantel von dem andern und entfernte sich in der Richtung nach Cheapside.

Zwei Leute folgten ihm vorsichtig. Es war nicht schwierig, ihn im Auge zu behalten; die Straßen waren menschenleer, und er ging sehr langsam.

Nach einiger Zeit hielt er ein vorbeifahrendes Taxi an.

Einer der beiden Verfolger, die sich ziemlich dicht hinter ihm hielten, machte ein paar schnelle Schritte und passierte den Mann gerade in dem Moment, als er das Fahrtziel angab.

Der Wagen fuhr ab, und die beiden blieben aufgeregt zurück.

»Er will zum amerikanischen Konsulat«, sagte der eine. »Schnell, wir müssen ein Taxi finden und ihm folgen!«

Sie liefen die Straße entlang und hatten das Glück, einem leeren Taxi zu begegnen, noch ehe die Schlußlichter des Wagens, den sie verfolgen wollten, verschwunden waren.

Sie stiegen ein, drückten dem Chauffeur einen größeren Geldschein in die Hand und konnten nach fünf Minuten mit Befriedigung konstatieren, daß es ihnen gelungen war, den Wagen, der an einer Kreuzung hatte warten müssen, einzuholen.

Als sie den Piccadilly Circus entlangfuhren, klopfte einer der Verfolger dem Chauffeur auf die Schulter.

»Halten Sie etwa fünfzig Meter vom amerikanischen Konsulat entfernt, wenn der vordere Wagen nicht weiterfährt.«

Tatsächlich verringerte der erste Wagen kurz vor dem Konsulat sein Tempo und fuhr an den Bordstein, als ob er dort parken wolle.

Es war ein schlaues Manöver. Das zweite Auto hielt gemäß, den Instruktionen, die sein Chauffeur empfangen hatte, und die beiden Männer sprangen heraus. Als sie aber auf dem Gehweg standen, sahen sie, daß der vordere Wagen plötzlich wieder anfuhr und mit quietschenden Reifen um die nächste Ecke verschwand.

Fluchend stiegen sie wieder ein und nahmen die Verfolgung von neuem auf. Diesmal hatten sie aber kein Glück; soviel sie auch kreuz und quer fuhren, der Wagen war und blieb verschwunden.

Sie bezahlten den Chauffeur und schlenderten durch die nächtlichen Straßen. Gegen helle, erleuchtete Plätze schienen sie eine Abneigung zu haben. Meistens hielten sie sich, so gut es ging, im Dunkeln.

»Er hat uns doch tatsächlich an der Nase herumgeführt!«

Der andere knurrte nur etwas Unverständliches vor sich hin. Er war viel schweigsamer als der Untersetzte, der gesprochen hatte. Auch äußerlich bildete er mit seiner großen, kräftigen Figur und der Narbe quer über dem Kinn einen Gegensatz zu ihm.

»Es ist besser, wenn wir uns jetzt wieder trennen«, sagte der Kleinere schließlich und gab seinem Begleiter nachlässig einige Geldscheine. »Ich werde jetzt versuchen, den Chef zu erreichen.«

Eine halbe Stunde später schlenderte Cornelius Helder durch die Upper Brook Street, als plötzlich der untersetzte Mann neben ihm auftauchte und mit ihm weiterging.

»Wir haben leider seine Spur verloren«, entschuldigte, er sich.

»Sie sind ein Idiot«, entgegnete Helder wütend. »Sagen Sie nur noch, Sie haben sich so auffällig betragen; daß alle Polizisten Londons auf Sie aufmerksam wurden!«

»Ich würde Ihnen raten, ein wenig freundlicher mit mir zu reden. Schließlich habe ich in der letzten Zeit sehr viel für Sie getan – viel zuviel! Meinen Sie vielleicht, es macht mir Spaß, daß in allen Zeitungen mein Steckbrief erschienen ist?«

»Deswegen brauchen Sie sich keine grauen Haare wachsen zu lassen«, entgegnete Helder. »Kein Mensch würde Sie nach der Beschreibung erkennen.«

»Na, das ist auch das einzige Gute an der Sache. Wäre ja noch schöner, wenn mich die Polente schnappte.«

»Auf jeden Fall hätten Sie es sich selbst zuzuschreiben. Vergessen Sie nicht, daß Sie lediglich den Auftrag hatten, mit dem alten Mann zu verhandeln. Sie sollten ihn nur dazu veranlassen, daß er uns seine Entdeckung gegen ein entsprechendes Honorar zur Verfügung stellt.«

»Na ja, ich bin nervös geworden«, gab der andere zu. »Sagen. Sie mal« – er packte Helder am Arm –, »Sie lassen uns doch nicht im Stich? Nehmen wir an, man würde uns verhaften – dann könnten Sie die Sache drehen, daß wir freikommen?«

»Ich glaube nicht«, entgegnete Helder kühl.

»Dann kann ich Ihnen versichern, daß wir Sie mit in die Sache hineinziehen werden!«

»Das wird Ihnen kaum gelingen, mein Lieber, In einem solchen Fall weiß ich von gar nichts, verstehen Sie? Sie sind verrückt, wenn Sie versuchen wollen, mir zu drohen. Glauben Sie bloß nicht, daß mich das auch nur im geringsten berührt. Es gibt keinerlei Beweise dafür, daß ich irgendwie mit der Entführung des alten Maple in Verbindung stehe. Wenn Sie mich hereinlegen wollen, geraten Sie also nur selbst in die Patsche.«

Als sie an die nächste Straßenlaterne kamen, schaute Helder dem anderen ins Gesicht. Der Untersetzte schwitzte vor Angst und Aufregung, seine Mundwinkel zuckten nervös.

»Ich habe mit der Sache nichts zu tun«, sagte er hartnäckig, »Carl hat das Ding gedreht, weil Sie ihm den Auftrag dazu gaben. Und er hat es aus demselben Grund getan, aus dem ich Gold umlegen sollte. Aber damit wollen Sie natürlich auch nichts zu tun haben, wie?«

Seine Stimme wurde immer lauter; es war ein Glück für die beiden, daß weit und breit kein Mensch zu sehen war.

»Ich habe es jetzt wirklich satt – am besten wird es sein, ich werfe den ganzen Krempel hin und fahre mit dem nächsten Schiff zurück.«

»Das werden Sie nicht tun«, entgegnete Helder bestimmt.

»Und ich sage« Ihnen, daß ich es tue«, drohte sein Partner. »Mir hängt die Geschichte zum Hals heraus.«

Helder lachte laut und klopfte dem andern auf den Rücken.

»Ihnen schlägt wohl das Gewissen? Das paßt gar nicht zu Ihnen. Was sollen denn Ihre Chikagoer Freunde von Ihnen denken, Billy? Also, seien Sie vernünftig. Denken Sie daran, daß wir bald noch viel mehr Geld verdienen werden. Zwei weitere Jahre in diesem Stil, dann können Sie sich das schöne Lokal in New York kaufen und jeden Sonntag nachmittag nach Coney Island fahren.«

Aber der Mann ließ sich nicht so leicht beruhigen. Zu Hause in Chikago hätte er sich sicher gefühlt, aber, hier, in einem fremden Land mit einer unangenehm rührigen Polizei!

Erst als Helder ihn in einer stillen, verschwiegenen Bar in Soho zu einigen Gläschen Whisky eingeladen hatte, fand er seine Ruhe und Selbstbeherrschung wieder. Ja, er wurde sogar wieder ganz fröhlich und mitteilsam.


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