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IX. Der weise Mann

In großen Zeitabständen, vielleicht einmal in hundert Jahren, steigen aus einer Menge von Scharlatanen und Schwindlern Magier von solcher Macht hervor, daß man sich ihrer noch erinnert, wenn die Namen von Königen und Häuptlingen längst vergessen sind.

Manche von ihnen sterben infolge eines natürlichen Ereignisses in ihrer Jugend, und ihre Kräfte bleiben unbekannt. Andere erreichen das Mannesalter und finden keine Verwendung für ihre Gaben oder behüten ihre Geheimnisse eifersüchtig vor ihren Nachbarn. Wieder andere werden mißverstanden und ganz von selbst den Wahnsinnigen zugezählt.

Aber T'chala, der weise Mann der Ochoris, steuerte in der Mitte zwischen diesen, denn er war der einzige Sohn eines Mannes, der reich an Vieh und Salz und Messingstangen war, die in jenem Lande statt baren Geldes dienen; und da er seine Mitmenschen liebte und niemand ein Leid tat und, wenn er nicht Gutes prophezeien konnte, überhaupt nicht prophezeite, näherte er sich einem Zustand der Heiligkeit. Und sogar Sanders, der jeden schief ansah, der übernatürliche Gaben für sich in Anspruch nahm, und der einen Strick oder Fesseln für jeden bereit hatte, der seinen Ruf zu Übeltaten benutzte, sogar Sanders sprach gut von ihm und kam niemals zum Oberlauf des Ochori, ohne daß er nicht der Hütte des weisen Mannes einen Besuch abgestattet und seiner Philosophie zugehört hätte.

»Nun, T'chala, was für sonderbare Dinge siehst du?« fragte er ihn eines Tages.

»Gebieter, in der Nacht sehe ich die Toten«, antwortete T'chala. »Sie wandeln von links nach rechts an mir vorüber; eine Menge Gesichter, schwarze und weiße und gelbe. Und ich habe Furcht; denn sie sind wirklich. Und Tod ist Wirklichkeit, und Leben ist nur der Traum eines kranken Mannes.«

»Was sonst siehst du?« fragte Sanders.

»Herr, gewisse Dinge kommen auf mein Gebot und reden zu mir. Aber das ist wahnwitziges Zeug, und wenn ich dir's sagte, würdest du mich zu den alten Leuten auf die Insel verbannen, wo sich mein Bruder schon aufhält.«

»Was reden diese Dinge zu dir?« fragte Sanders geduldig.

T'chala grübelte einen Augenblick, sein Kinn in die Hand gestützt.

»Sie sagen mir, das erste in der ganzen Welt sei Wahrheit, und alles Übel wachse aus der Saat der Lüge: Kriege und Morde und Schmerz und Tod.«

»Und siehst du auch manchmal M'shimba-M'shamba und die kleine grüne Eidechse?« fragte Sanders listig.

T'chala lächelte.

»Das ist die große Torheit der Welt,« sagte er, »daß die Menschen ihre Götter in Menschengestalt machen oder in der Gestalt des Übels, das sie fürchten. Und dieses ist mein großer Gedanke, daß es weder Götter gibt auf der Erde noch solche, die in den Lüften hausen oder im tiefen Wasser, sondern, daß die Erde in diesen Göttern lebt. Nun, Sandi, wirst du sagen, ich sei wirklich wahnsinnig.«

Sanders lachte leise.

»Ich glaube, du bist sehr weise, T'chala; weiser als viele weise Menschen, die ich kenne.«

Sanders schenkte dem Manne Salz und eine Dose konservierter Früchte, die jener gern aß.

Bald danach verfiel T'chala in ein Fieber; und wegen seiner großen Heiligkeit und seiner Verbindungen mit den Dämonen schlossen die Dorfbewohner, die ihn liebten – aus Furcht, daß sie seine vielen Geister und Götter beleidigten, wenn sie ihn pflegten –, daß es das beste sei, ihn sterben zu lassen. Aus diesem Grunde ließen sie T'chala ohne Essen und Trinken, und er hätte sich sicher der Prozession angeschlossen, die jede Nacht an seinem geistigen Auge vorüberwandelte, wenn ihm nicht das Weib eines Häuptlings, eine gewisse M'lema, aus reinem Widerspruchsgeist und Hochmut Essen und Trinken gebracht und ihn vom Lande der Geister zurückgeholt hätte.

Diese M'lema war eine von zwei Schwestern im Ochorilande und die Tochter des ältesten Weibes eines gewöhnlichen Mannes, der N'kema hieß. N'kema hießen alle gewöhnlichen Männer. M'lema, die ältere Schwester, war schlank und schön nach dem besonderen Maßstab des Landes, und O'fara, die jüngere, war weder schlank noch hübsch; sie war daher froh, einen ältlichen Fischer zu heiraten, der eine einsame Hütte am Rande einer Lagune besaß, die wegen der Binsen und Gräser, die an ihrer Oberfläche wuchsen, »Der Bart« genannt wurde.

O'fara genügte allen Erfordernissen ihrer Ehe mit dem alten Manne. Sie trocknete und räucherte die Fische, die er fing; sie wässerte und stampfte den Maniok für sein Brot, sie versorgte das Feld, auf dem seine Mehlpflanzen wuchsen, und kochte für ihn Früh- und Abendmahl. Für die Liebe war er zu alt; aber er war stark genug, um den Stock zu handhaben, wenn sie irgend etwas versah; denn er dachte, nach kurzer Zeit würde sie zufrieden sein, wenn man sie in Ruhe ließe, und sie würde sich glücklich schätzen, wenn sie nicht seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte.

O'fara dachte den größten Teil eines Jahres über diese Dinge nach, und dabei fand sie den Gegenstand ihrer Neigung in einem Mann aus den Wäldern, der jung und lebensfroh war. Zur richtigen Zeit kam diese Angelegenheit dem Häuptling dieses Striches zu Ohren, der ein reicher Mann war, und der O'faras Schwester geheiratet hatte. Eine Verteidigung, wie man in mehr zivilisierten Ländern sagt, gab es nicht; denn O'fara trug, als sie zum Palaver vor den Häuptling kam, alle nötigen Beweise auf ihren Hüften. Und der alte Fischer lieferte unter schallendem Gelächter der schwarzen Kriminalstudenten – denn das Ochorivolk ist ein Kannibalenvolk, und Kannibalen lachen sehr leicht – ins einzelne gehende Beweise. Am Ende des Palavers erkannte der Häuptling auf Scheidung und, da es sich hier nicht um Wiedererstattung eines Heiratskaufgeldes handelte, hatte niemand den Schaden als O'fara.

Als sie zu M'lema, ihrer reichen Schwester, kam, zeigte diese ihr, wie das Sprichwort sagt, den Weg am Feuer vorbei.

»Du hast große Schande über mich und meinen Mann gebracht!« sagte M'lema mit so lauter Stimme, daß der rittlings auf O'faras Hüften sitzende Scheidungsbeweis seine schläfrigen Augen öffnete und seine Tante ernst betrachtete. »Du bist ein böses Weib, und für dich gibt es keinen Platz in meiner Hütte.«

Deshalb ging O'fara in den Wald und schlief in einer Hütte, deren Eigentümer verstorben und die deshalb verlassen war; und hier lebte sie, und ihr Kind lernte das Laufen. Sie wußte geschickt mit der Angel umzugehen, und sie fing in den Mitternachtsstunden Fische, bis die Fischer sie erwischten. Sie lief rasch genug davon, aber einer, der schneller als die übrigen war, hing sich an ihre Fersen, als sie bald hierhin, bald dorthin lief, und brachte sie am Flußufer zum Stehen.

»Nun weiß ich, Weib, daß der Satan die Fische aus dem Fluß gescheucht hat, so daß ich und meine Brüder bis zum Isisiland fahren müssen, um einen Fang zu machen«, sagte er zu ihr.

Er fesselte sie an Hand- und Fußknöcheln (sie war zu atemlos, um sich zu wehren), und dann kamen die anderen Fischer heran. Und nachdem jeder der Männer sie mit seinem Ledergürtel geschlagen hatte, hielten sie beim Morgendämmern Rat, was man mit ihr anfangen wolle. Die Verzögerung erwies sich jedem Plan unheilvoll, denn um das steile Ufer herum kam der weiße Hulk der »Zaire«; ihre blaue Flagge mit der goldenen Krone darin hing über das das Wasser peitschende Heckrad. Und Sanders, der über ein paar weitsehende Augen verfügte und über ein noch wunderbareres Prismenglas, sah die Gruppe und schickte ein flaches Boot ans Land.

»Herr, dieses Weib scheuchte die Fische aus dem Fluß; und sie ist böse, denn als sie K'ravikis, des Fischers, Weib war, hat sie so und so gehandelt.«

»O, ko!« sagte Sanders in höflichem Erstaunen.

O'fara erhob sich steif auf ihren Füßen, denn sie litt Schmerzen.

»Sage mir, Mann,« sprach Sanders zu dem ältesten Fischer, »wie oft hast du dieses Weib geschlagen?«

Verstört riet der kleine Fischerhäuptling eine beliebige Zahl.

»Dieselbe Anzahl der Schläge sollst du erhalten und noch einmal soviel«, sagte Sanders sanft.

Er schnappte mit seinen Fingern, und Sergeant Abiboo nahm seine Jacke ab und rollte seine Ärmel auf ...

Sanders ging in den Wald, wo sich das Kind des Weibes befand, und nahm beide an Bord der »Zaire«. Eine Stunde später traf er den Häuptling des großen Dorfes, in dem sich O'faras Schwester befand, die so mit Messing-Fuß- und Armringen beladen war, daß bei jedem ihrer Schritte ein Rasseln von ihr ausging.

»Häuptling, ich sehe dich!« grüßte ihn Sanders und nahm und kostete das Salz, das der Mann in seinen Händen hielt. »Ich bringe dir dieses Weib und Kind. Sie sollen in deinem Dorfe wohnen, und keiner soll ihnen etwas tun.«

Der Häuptling war nicht entzückt davon; sein Weib, das weniger Scheu vor einem Manne hatte, wurde laut.

»O'fara ist ein übel berüchtigtes Weib,« sagte sie, »und Sandi weiß nicht, daß sie, als sie das Weib K'ravikis, des Fischers, war ...«

Sanders sah das beifällige Kopfnicken der Weiber.

»Bringt mir eine Schale Ziegenmilch!« sagte er; und als diese gebracht war, fuhr er fort: »Jedes Weib soll davon trinken. Und wenn sie außer ihrem Ehemann keinen Liebhaber hat, wird die Milch weiß bleiben, aber wenn sie einen Liebhaber hat, wird die Milch schwarz werden.«

M'lema streckte ihre Hand halb aus, zog sie dann aber zurück.

»Gebieter, das ist ein Zauber, und ich fürchte mich«, winselte sie.

Sanders hielt der scheu dastehenden Zuhörerschaft den Napf hin, aber die Weiber zuckten zurück.

Ein gezwungenes Lächeln huschte über Sanders Gesicht.

»O ihr tugendhaften Weiber!« spottete er. »Wer von euch ist tugendhaft?

Das großäugige Kind auf O'faras Rücken gab einen schwachen Laut von sich, und Sanders hielt den Napf an den Mund des Kindes.

»Seht ihr? Die Milch bleibt weiß, denn dieses Kind ist sündenlos.«

Er sah dem Häuptling ins Gesicht.

»Was soll ich mit O'fara machen?« fragte er.

Und M'lemas Ehemann sagte mit einem Donnerwettergesicht: »Laß sie hier bleiben, Sandi; sie ist sicher, bei meinem Kopfe! Und was mein Weib anbelangt, weiß ich, was ich weiß ..., aber ich werde bald noch mehr wissen!«

Wieder trafen Sanders' kalte Augen die des Häuptlings.

»In einem Monat komme ich zu dir, um Palaver zu halten, Häuptling. Ich würde dich da natürlich gern neben mir haben, aber, wenn du vor mir sitzest, werde ich Gerechtigkeit üben ...!«

Das war eine genügende Warnung für Sabaya; er begnügte sich mit dem Gebrauch eines warnenden Prügels.

Als M'lemas Mann in dieser Nacht mit seinen Leuten in den Urwald gegangen war, um Affen zu schießen, traf M'lema mit ihrem Liebhaber zusammen, einem jungen Mann, dem sie wie eine Göttin erschien. Er war ein Akasavamann und vertraut mit heiligen Dingen, denn er war ein Missionszögling und M'lema als Laienprediger begegnet; das geschah, ehe Pater Begelli herausfand, was für ein Mensch er war.

»Schleiche dich heute nacht«, sagte sie, »zu T'chala, dem weisen Mann, der ganz am Ende des Dorfes wohnt! Und da er mich gern mag – denn als er krank war, habe ich ihn immer besucht und ihm zu essen und Ziegenmilch gebracht –, wird er manches für mich tun. Sage ihm, daß Sanders mich wegen meiner Schwester O'fara gedemütigt hat, und er solle einen Bann auf O'fara legen, daß sie verwelkt und alt wird und stirbt, sie sowohl wie das Kind ihres Liebhabers.«

Bologa, der Akavasamann, war bestürzt.

»Das ist ein schlimmes Palaver«, sagte er. »Laß das Weib in Ruh', denn sie wird eines heiligen Tages hinweggenommen werden, wenn die Schafe und die Lämmer getrennt werden ..., wie uns der Gottesmann gesagt hat.«

Das Weib drängte ihn nicht; sie befahl, und gehorsam ging ihr Liebhaber zu T'chalas Hütte; er fand ihn in der Abendkühle vor seiner Hütte sitzen, seine Augen blickten wie abwesend, denn er dachte an innere Wahrheiten.

T'chala hörte zu, während Bologa sich in Allgemeinheiten erging, und während dieser ganzen Zeit blieb T'chalas Gesicht unbeweglich und ausdruckslos. Da ging der Liebhaber dorthin zurück, wo er das Weib verlassen hatte.

»Dieser Mann ist verrückt,« sagte er, »denn er redete nur von Wahrheit und Lügen, und als ich ihn fragte, ob er das machen wolle, antwortete T'chala, das sei böse, und das Böse sei nichts für einen Mann wie ihn.«

»Geh zu diesem alten Hunde zurück«, drängte M'lema, »und sage ihm, wenn Sandi kommt, dürfe er ihm kein Wort von dem erzählen, was du gesagt hast. Ich wünschte, ich hätte ihn sterben lassen.«

Bologa kehrte zu der Hütte des weisen Mannes zurück und richtete seine Botschaft aus.

»Wenn er mich fragt, muß ich sprechen«, sagte T'chala offen. »Denn eine Lüge ist wie die kleine Schlange, die entzweibricht und zu zwei Schlangen wird, so daß, wenn sie nicht totgemacht werden, die ganze Welt mit ihnen kriecht.«

M'lema konnte sich in ihrem tödlichen Schrecken nur eine Lösung ihres Problems vorstellen. Mitten in der Nacht, als T'chala schlief, ging ihr Liebhaber, der ein Mitglied der »Gelben Geister« war, zum Fluß hinunter, zu einem Platze, wo es Lehm gab. Dort knetete er einen großen Klumpen und kroch in die Hütte des alten Mannes, drückte den Lehmklumpen auf das Gesicht des Schlafenden und lag eine beträchtliche Zeit mit seinem Gewicht auf ihm, bis des weisen Mannes krampfhafte Zuckungen aufhörten. Und das, dachte M'lema, wäre das Ende seiner Weisheit. Aber, als sie am Morgen herauskam und erwartete, eine große Anzahl von Trauernden vor der Hütte des Weisen zu finden, da saß T'chala im Sonnenlicht, die Hände vor sich gefaltet und seine abwesenden Augen auf eine Wahrheit gerichtet.

Der Liebhaber hörte die Nachricht, ganz grau vor Furcht; er wäre in den Wald geflüchtet, aber T'chala ließ ihm sagen, er bedürfe seiner, und der Liebhaber, voller Angst, ging zu ihm.

»Bologa, ich sehe dich«, sprach T'chala feierlich. »Aber wegen deines bösen Tuns soll dich von Stund' an kein Mensch mehr sehen!«

Bologa, außer sich vor Schrecken, ging die Dorfstraße zurück und kam zu einer Anzahl Verwandter, unter denen sich sein Bruder befand.

»O, ko!« sagte er, »ich habe eine fürchterliche Geschichte erlebt.«

Aber sein Bruder blickte weder auf, noch antwortete er. Niemand im Dorfe schien sich der Gegenwart Bologas bewußt zu sein. Er bückte sich und berührte die Schulter des Mannes, aber seine Hand schien weder Gewicht noch Fleisch zu haben. Er schrie in seiner Furcht laut auf, aber niemand hörte ihn.

»Oh, Leute, hört!« Er schrie es laut.

Nicht ein einziger Kopf wandte sich nach ihm um.

Wie wahnsinnig raste er die Dorfstraße entlang und sah M'lema, die allein vor ihrer Hütte saß und einen brodelnden Topf überwachte.

»M'lema,« wimmerte er, »der alte Mann hat seinen Zauber auf mich geworfen.«

Sie erhob weder ihre Augen zu ihm noch ihren Kopf, und als er sie mit Angstgeheul am Arme packte, griffen seine Hände leere Luft.

Das war die Geschichte, die er erzählte, als man ihn auf die kleine Insel brachte.

»Und das Merkwürdige war,« sagte Sanders, als ihm diese Geschichte zu Ohren kam, »daß alle Leute, die Bologa sahen, schwören, er hätte sich nicht von der Vorderseite von T'chalas Hütte entfernt, sondern hätte fast eine geschlagene Stunde dort gesessen. Zweifellos war er wahnsinnig, als man ihn von dort wegführte. Suchen Sie ihn doch 'mal auf, Bones, wenn Sie das nächste Mal zu den Ochoris gehen, und sehen Sie zu, ob Sie 'was Gescheites aus ihm herausbekommen können!«

Wenn alte oder junge Leute wahnsinnig wurden, pflegte man ihnen, sofern sie nicht schon blind waren, seit undenklichen Zeiten die Augen auszustechen und sie an einem dafür passenden Platze den herumschleichenden Leoparden auszuliefern; und als Herr Bezirksamtmann Sanders diesen Mißbrauch abstellte, gab es viele alte Leute, die scharf gegen diese unverantwortliche Einmischung Widerspruch erhoben, obwohl sie vielleicht selbst in wenigen Jahren die Opfer dieser Unsitte werden konnten.

Bosambo von Ochori regierte sein Land mit einem eisernen Besen, und wehe denen, die ein von ihm erlassenes Gesetz übertraten. Denn er war sehr rasch zu Fuß und vermochte selbst den langbeinigsten seiner Krieger zu überholen; und stets hatte er seinen Bambusschild bei sich und sechs kleine Wurfspeere, die niemals ihr Ziel verfehlten. Und als er im Auftrag seines Gebieters verkündete, daß die alte Unsitte, so mit den Alten zu verfahren, tabu sei, murrten die jungen Männer und gehorchten.

Man hatte einen neuen Weg gefunden, um die betagten Verwandten loszuwerden. Auf einer breiten Halbinsel, die sich in den Fluß hinaus erstreckte, und die durch einen schmalen Landstreifen mit dem Festland verbunden war, baute man ein kleines Dorf für diese Leute. Jeden Morgen brachten dazu bestimmte Leute dem umnachteten Volk Nahrungsmittel; und eine Wache wurde auf der Halbinsel aufgestellt, um die Altersverblödeten am Übertritt auf das Festland zu verhindern. Das war ein ganz gutes System, das in dem fruchtbaren Gehirn Leutnant Tibbetts von den Königshaußas entstanden war. Aber das System hatte den Fehler, daß es diesen Verrückten Gelegenheit gab, miteinander zu verkehren und ihre verbrecherischen Ideen gegenseitig zu erörtern. Auf gemeinsame Zustimmung hin richteten sich diese Pläne gegen einen schmächtigen Jüngling, der immer, sogar im Schlaf, ein Monokel trug.

»Dieser Mann«, sagte Bologa, ein junger Bengel, aber auf Grund seiner Erfahrung im Zaubern eine Person von Bedeutung, »hat uns grausam behandelt, denn er hat uns ins Gefängnis gesteckt. Nun wurden zu meines Vaters Zeiten die betagten Männer in den Urwald gebracht, wo man sie laufen ließ und sie in einen Zustand brachte, daß sie die nachts umherschleichenden schrecklichen wilden Bestien nicht sehen konnten.«

Seine Zuhörer stimmten zu. Die sieben alten Männer und Bologa hatten ein gutes Mahl hinter sich und saßen nun im Halbkreis herum. Bis spät in die Nacht hinein schwatzten sie zwecklos über Bones; zwei der Alten schliefen ein; zwei von ihnen waren in lebhafte Unterhaltung mit den Geistern verloren, die sie heimsuchten; aber die anderen drei hörten aufmerksam zu.

»Ihr seid alt und schwach; er ist jung und stark. Aber bin ich nicht auch stark? Und kann die Kraft von acht kleinen Hunden nicht einen Leoparden bewältigen?«

Mit einiger Mühe weckten sie die zwei Schläfer auf und eröffneten ihnen ihr Vorhaben; dieses bestand kurz darin, Bones bei einem seiner Besuche zu überwältigen und danach mit ihm nach sechs verschiedenen Arten zu verfahren, denn jeder der Alten hatte darüber seine eigene Lieblingsidee. Das alles wäre vielleicht ihrem verrückten Hirn entfallen, aber unglücklicherweise kam Bones am Morgen an; er hatte ein Lächeln in seinem eckigen Gesicht, und sein großes Monokel warf das Licht der westlich wandernden Sonne zurück.

»Ah, da seid ihr ja, ihr netten, ollen Gemüter!« begrüßte sie Bones, der die »Zaire« an einem Holzplatz, drei Meilen weiter, verlassen hatte und ganz allein kam. »Glücklich und zufrieden und den Bauch voll Bohnen!«

Die Wache an dem entfernten Ende der Halbinsel war nicht auf Posten gewesen, als er dort vorbeikam; tatsächlich befand sie sich auf einem Hochzeitsfest im Dorf und hatte daher den jungen Mann weder kommen noch gehen sehen.

Der erste Gedanke an Gefahr kam Bones, als sich ein dünner und sehniger Arm um seinen Nacken schlang und zwei knorrige Knie sich plötzlich in seinen Rücken gruben. Wäre der Überfall im Freien geschehen, so wäre der Vorgang bemerkt worden, so spielte er sich in der gemeinsamen Hütte ab, als Bones in diese eintrat, um die Vorkehrungen zu besichtigen, die er für die Bequemlichkeit dieser Leute getroffen hatte.

Dabei hätte Bones ein höchst unrühmliches Ende finden können; aber das große Kriegskanu Bosambos, des Ochorikönigs, kam vorbei, und der Gesang seiner Paddler drang zu den Ohren der Wahnsinnigen; wie die Kinder ließen diese ihre Beschäftigung im Stich und liefen bis an den Rand des Wassers, um das wunderbare Kanu mit seinen rollenden Trommeln und seinem scharlachroten Sonnensegel (es war früher einmal der Vorhang, der Sanders' Schlafkabine von dessen Arbeitsraum trennte) zu sehen. Sie klatschten in die Hände zu dem prächtigen Rhythmus der vierundzwanzig Paddler, die ihre scharlachrot bemalten Paddeln zugleich, wie eine einzige Paddel, ins Wasser tauchten.

Bosambo wäre vorübergefahren, aber er bemerkte, daß sämtliche Wahnsinnige bewaffnet waren. Sein Kanu schwenkte ein, und behend sprang er an Land.

»Oh, Geisterleute, was ist das?« fragte er.

»Gebieter Bosambo, wir haben Tibbetti in jener Hütte, und wir wollen soundso mit ihm machen«, antwortete Bologa.

Und die anderen sieben nickten und wiederholten jeder sein eigenes Erledigungsverfahren.

Mit drei Schritten war Bosambo in der Hütte, hatte den Strick um den Hals des erstickenden jungen Mannes durchgeschnitten und ihn an das Tageslicht geholt.

»Gebieter, was soll ich mit diesen alten Narren und mit dem jungen Narren, der verrückter als alle anderen ist, anfangen? Sie sind verrückt und daher besser tot. Wenn du mir den Befehl gibst, werde ich sie auffordern, in die große Hütte zu kommen, und sobald einer von ihnen eintritt, wird er sterben und es nicht einmal wissen«, sagte Bosambo.

»Du bist doch ein böser, oller Mörder!« sagte Bones entrüstet. Bosambo ging hoch.

»Ich sein christlicher Mann, selbe wie Marki-Luki-Johanni. Ich kommen einmal Himmel, du gehn einmal Himmel. Wie geht dersch?«

Er gab eine verständliche Darstellung, wie er Bones einmal in einer besseren Welt begrüßen würde.

Bones hatte doch einen Schrecken von der Geschichte davongetragen, einen der schlimmsten, der sich je seiner bemächtigte, denn diese Gefahr hatte etwas gespensterhaft Häßliches an sich gehabt, das einen tieferen Eindruck auf sein Gemüt hinterließ als andere und weit schlimmere Gefahren.

Den ganzen Weg zur Station über grübelte er über die angemessenste Belohnung, die er Bosambo anbieten könne. Der Häuptling, den er deswegen um Rat gefragt, war die Offenheit selbst.

»Gib mir Geld, Gebieter! Denn jedesmal, wenn ich das Bild deines großen Königs auf einer Silbermünze sehe, werde ich ihm mehr und mehr zugetan.«

Aber Bones war anderer Meinung.

»Warum überreichen Sie ihm nicht eine mit buntem Bildschmuck versehene Dankesadresse?« schlug sein zynischer Vorgesetzter (und Hauptmann Hamilton konnte in der Tat sehr zynisch sein) vor. »Oder einen Satz Fischbestecke? Oder eine Marmoruhr mit vergoldeten Engeln oder ohne solche?«

»Bitte, lassen Sie uns nicht die Religion hereinziehen, lieber, oller Herr!« bat Bones feierlich. »Lassen Sie uns unsere schlimmen, ollen Gedanken gefälligst auf dem geraden und engen Pfade der lieben, ollen Agnostik bleiben! Bosambo ... bei allen Göttern!«

Er klatschte seine Handfläche mit seiner knochigen Hand, und eine Sekunde später war er die Stufen des Wohnhauses heruntergesprungen und lief über den sonnengedörrten Exerzierplatz. Nach einer kleinen Weile kehrte er zurück, ein Lachen im roten Gesicht; unter jedem Arm trug er ein großes Bündel Zeitschriften, die er auf den Tisch legte.

»Ich weiß jetzt, was Sie ihm geben«, sagte Hamilton; »ein Grammophon, fünf Schilling sofort und zehn Schilling jeden Monat, solange Sie leben.«

Bones schüttelte den Kopf.

»Einen schriftlichen Kursus in der Ausbildung als Geschäftsreisender ... Unterzeichnen Sie das Formular und senden Sie Geld! ...« schlug Hamilton vor.

»Falsch, oller Rater!«

»Warten Sie!« Hamilton schlug sich an die Stirn. »Vielleicht Anzug für Gentlemen, von der Stange runter ...? Oder eine elektrische Taschenlampe ... Knips' und hab' Sonnenlicht?«

»Nee, lieber, oller Offizier, Hauptmann und Freund!«

Sanders sah über seine »Times« zu ihm hinüber und versuchte es mit Raten.

»Hat es vielleicht 'was mit Farbe zu tun?«

Leutnant Tibbetts machte ein blödes Gesicht. »Wie konnten Sie das wissen, Exzellenz?«

Sanders lachte leise.

»Drei Wochen, ehe Sie den Fluß hinaufgingen, hatten Sie mich doch wegen Anstreichens meines feinen Hauses ausgepumpt,« sagte Sanders trocken, »und seit drei Wochen hatte ich mich bemüht, dieses Unheil abzuwenden.«

»Malerfarbe?« wiederholte Hamilton ungläubig.

»Schablonenmalerei!« sagte Bones und watete durch die Drucksachen.

Es nahm ihn bis zur Essenszeit in Anspruch, die folgende Ankündigung aufzufinden:

»Verschönern Sie Ihr Heim!«

»Missourimann verdient in seiner freien Zeit hundert Dollar die Woche. Sie können das auch.«

Es war eine Ankündigung von »Malen leicht gemacht«.

»Nicht ein Spielzeug, sondern ein Geld-Verdiener

»Tatsächlich, Ham«, bekannte Bones, »ich habe bereits Ausrüstung Nr. 4 bestellt; ich hoffe, lieber, oller Herr, Sie werden nichts gegen etwas Kunst haben.«

»Alles in allem halte ich es für klüger, Bosambo den ganzen Zubehör dieser Schablonenmalerei zu übergeben.« Sanders sprach mit feierlichem Ernst. »Ich zweifle nicht, daß er einen guten Gebrauch davon machen wird. Und wenn Sie, auf Ihrem Wege dorthin, T'chala sehen, geben Sie ihm eine Dose Konserven! Denn das, bei allen Himmeln, ist der einzige weise Kopf im Ochorilande.«

»Kluge Hühner legen auch in die Nesseln«, bemerkte Hamilton.

»Mit T'chala verhält es sich anders. Selbst wenn er ein Weißer wäre, würde er ein bemerkenswerter Mann sein. Dieser Mann ist ein wahrer Philosoph.«

»Sage mir, wovor ein Mensch Furcht hat, und ich werde den Wert seiner Philosophie ermessen«, antwortete der zynische Hamilton.

»T'chala hat vor nichts Furcht«, sagte Sanders.

»Gerade wie ich auch«, murmelte Bones.

Einen Monat später erklärte dieser dem gespannt aufmerkenden Oberhäuptling die Kunst und die Ausführung der Schablonenmalerei. Sie befanden sich auf der vordersten Kommandobrücke der »Zaire«, die Sanders bei Isisistadt ausgebootet hatte; so hatte Bones einen ganzen Tag für sich.

»Gebieter, das ist ein Wunder!« hauchte Bosambo. »Denn du legst diese kleinen Stücke gelben Papiers auf, und du tanzt ein paarmal mit deinem Pinsel drüber, und, siehe, da steht ein Bild von einer schönen Blume, so leibhaftig, daß ein Mann dran riechen kann.«

»Und ein Mann zu Pferde« murmelte Bones. »Vergiß ja nicht den netten, ollen Kerl auf dem netten, ollen Gaul, Bosambo! Und eine Windmühle, lieber, oller Wilder!«

Bosambo war zu sehr bezaubert, um sich zum Englisch Reden verleiten zu lassen.

»Nun wird das gesamte Ochorivolk sehen, was für ein großer Magier ich bin. Sogar T'chala, der weise Mann, kann keine Blume mit geschlossenen Augen malen«, sagte Bosambo.

Das geschah zu einer Zeit, als die Ochoris ihrem Herrn ohne jede Entschuldigung, die zu ihren Gunsten gesprochen hätte, die volle Steuerquote verweigerten. Eine Krankheit der Ziegen wurde vorgeschützt. Mehltau sollte auf das Korn gefallen und die Fische sollten nach anderen Gewässern abgewandert sein. Aber in Wahrheit herrschte im Ochorilande eine Epidemie passiver Resistenz, und diese Bewegung wurde so allgemein, daß Bosambo zögerte, Gewalt anzuwenden, um das aus diesem geizigen Volke herauszuholen, was dem Gouvernement und ihm selbst – und das besonders – zukam.

Den größten Teil einer Woche verbrachte Bosambo mit seiner wunderbaren Kiste voller Schablonen, stellte Versuche an und grübelte. Und dann schickte eines Nachts sein Lokoli die Botschaft durch das Land, die die Häuptlinge und Unterhäuptlinge zu einem großen Staatspalaver zusammenrief.

Sie kamen, obwohl zögernd, und bereiteten sich vor, die unvermeidlichen Forderungen weiterer Steuererhebung zu bekämpfen. Sie waren überrascht und entzückt, als ihnen Bosambos Vertrauensmänner vertraulich mitteilten, daß keine Steuerfrage erörtert werden solle.

Am Morgen saß Bosambo in seinem Staatsstuhl unter dem Grasdach des Palaverhauses und redete die im Halbkreis um ihn herumhockenden Zuhörer an.

»Hört gut zu, alle Leute!« bellte er los. »Sandi, der mein Freund ist, und Tibbetti, der mir wie ein Bruder ist, haben ein Palaver mit mir gehalten. Und Sandi sagte das: ›Es gibt gute Menschen im Ochoriland, und es gibt schlechte Menschen. Mache ein Zeichen auf die guten Menschen, damit ich diese belohnen kann, wenn ich sie treffe! Denn so lautet der Befehl des großen Königs, der mein Vater ist.‹«

Die Ochoris waren argwöhnisch und betroffen, aber trotzdem verstanden sie den Zweck der Markierung. Trugen nicht alle kleinen Häuptlinge Silbermünzen an ihrem Halse zum Beweis ihrer Größe? Ein alter Kerl, ein berüchtigter Sünder, der bei zwei Gelegenheiten nur um Haaresbreite dem Stricke entgangen war, stand auf und grüßte.

»Bosambo, das ist eine gute Rede!« begann er. »Obwohl Leute übel von mir gesprochen haben, liebe ich Sandi dennoch, wie ihr alle wißt. Drücke mir das Zeichen auf, damit ich in meine Stadt zurückkehre und meinen Leuten das Wunder zeige!«

»Das will ich in der Tat, Osaku,« sagte Bosambo bereitwilligst, »und die vierhundert Matakos (Münzen), die du mir für diese Ehre bezahlen mußt, und die ich an unseren Gebieter Sandi schicken werde, werden so gut wie nichts für einen Mann von deinem großen Reichtum sein.«

Osaku wand sich bei dieser Eröffnung, aber die Möglichkeiten waren zu verführerisch. Er vereinbarte dreihundert Matakos, legte sich flach auf den Bauch und gestattete Bosambo, eine wundervolle, grüne Windmühle auf sein linkes Schulterblatt zu malen.

Den ganzen Tag hindurch redete Bosambo und malte. Einige der Männer hatten keine Messingstangen mitgebracht und baten um Stundung; aber der listige Herrscher der Ochoris zeigte sich diamanthart gegen solche Bitten. Diese Verschönerungsfrage dürfte nur streng gegen Barzahlung ausgeführt werden, sagte er tatsächlich.

Es gab Zweifler unter ihnen, aber nachdem die größere Anzahl das Wunder ausgeführt sah und denen gefolgt war, die bereits bemalt und gesegnet waren, um die Rosen, die Windmühlen und die Holländer in ihren sackähnlichen Hosen besser bewundern zu können, die ihre Genossen schmückten, kehrte die Mehrzahl sofort nach Hause zurück, um sich ihre Schätze zu holen.

Viele kamen, die nicht bemalt wurden. T'chala, der weise Mann der Ochoris, ging zehn Meilen durch den Urwald, um die Malerei anzusehen. Aber als Bosambo ihn sah, schüttelte T'chala den Kopf.

»Diese Malerei ist für dummes Volk, das keine Tugenden besitzt, Gebieter Bosambo! Ich aber bin erfahren und besitze Wissen über Leben und Tod, und ich weiß, daß Leben ein Traum ist und Tod Wirklichkeit. Ich strebe weder nach Belohnung noch nach Bestrafung.«

»Ich will das für dich tun, weil ich dich gern mag,« sagte Bosambo, der das Zeugnis des weisen Mannes als Beweis seiner Zustimmung brauchte, »auch wird dir dieser Zauber langes Leben geben und eine große Sicherheit.« Er wollte auf T'chala als seinen Schüler hinweisen können, wenn Sanders ihn eines Tages zur Rechenschaft dafür ziehen sollte.

»Also«, fuhr Bosambo fort, »diese Zauberzeichen werden dir langes Leben und die größte Sicherheit geben.«

Aber T'chala lächelte würdevoll und ging.

Am dritten Tage kam der Unterhäuptling, der Gatte M'lemas, und brachte diese mit sich. Im Austausch für hundert Matakos und einen kleinen Sack Salz hatte er das Vergnügen, eine glänzende rote Kuh auf seinem Bauch zu tragen. Aber als er sein davor zurückschreckendes Weib vorschob, wischte Bosambo sich den Schweiß von der Stirn und legte seinen abgenutzten Pinsel beiseite.

»Dieses Weib werde ich nicht bemalen,« sagte er, weil er wußte, wie sehr der Häuptling in dieses Mädchen versessen war, »denn unser Gebieter Sandi hat gegen sie gesprochen.«

»Bosambo,« drängte der Häuptling, »sie ist ein Weib, und da sie ein Weib ist, hat sie keinen Verstand. Nun will ich dir tausend Matakos geben und zwei Ziegen obendrein, wenn du ihr dein schönstes Zeichen aufmalst, damit Sandi freundlich zu ihr spricht, wenn er sie sieht.«

Bosambo feilschte um eine Ziege mehr, erhielt diese und schmückte das Weib auf eine ganz neue Art.

»Bosambo,« wandte der Häuptling ein, »wie kann man diese wunderbare Zeichnung sehen, denn sie ist kein schamloses N'Gombiweib, die ohne geziemende Kleidung herumläuft.«

Bosambo erkannte die Triftigkeit dieses Grundes an und wiederholte das Muster noch einmal auf dem Nacken des Weibes.

Später kam O'fara, die arme und freundlose; aber Bosambo hatte kein Mitgefühl, und außerdem fing ihm an Farbe zu fehlen; hochmütig gab er ihr einen Wink, zu verschwinden.

»Diese hohen Geheimnisse sind nicht für dich bestimmt, O'fara. Gehe zu deinem Buschmann und sage ihm, er solle mir einen Sack Salz oder andere solche Schätze bringen, wie sie die Waldleute in der Erde vergraben!«

Die bekümmerte O'fara ging zum Dorfe und in ihre Einsamkeit zurück. Dort fand sie T'chala den Weisen, über die Wahrheit grübelnd; sie saß zu seinen Füßen nieder und erzählte ihm von ihrer Armut. T'chala war ungewöhnlich zerstreut.

»Ich sah, wie Bosambo ein Zeichen auf die Brust eines alten Mannes malte, das aussah wie ein großer Baum, und das dem Manne ein langes Leben gibt«, sagte T'chala sinnend und streifte das Mädchen mit seinem Blick. »Wessen bedarfst du, Weib, das Bosambo dir geben könnte? Du bist jung – damit besitzest du alles. Nun bin ich ein sehr alter Mann, und ich gehe niemals an einem Grab am Flußufer vorbei, ohne daß ich daran stillstehe, um zu fragen: Wo werden sie einen Platz für mich graben? – Und das Leben kommt und geht wie die Sonne. Es ist kaum Morgen, dann ist es auch schon Nacht ... ein großer roter Baum mit Zweigen, der so aussah ...«

Sie fuhr fort, ihren Mißerfolg zu beklagen, daß man sie nicht gezeichnet habe und sie so die Gunst Sandis nicht gewinnen könne.

»Das liegt nicht in meinem Begehr,« antwortete T'chala ein wenig ungeduldig für einen so heiligen Mann, »denn Sandi liebt mich um meiner Weisheit willen, und ich stehe hoch über dem gewöhnlichen Mann ... Leben ist nur ein Traum, aber gar manche lieben es, zu träumen. Und Tod ist Wirklichkeit – aber wer will noch Wirklichkeit, wenn es Träume gibt?«

Das Gerücht von der Malerei Bosambos gelangte auch zu dem kleinen Landstreifen, auf dem die Wahnsinnigen wohnten. Und Bologa der Akasavas, aufgebracht über das ihm widerfahrene Unrecht, sah hier eine Erfüllung dessen, was der Missionar versprochen hatte. Ein großer Gedanke nahm in seinem Hirn feste Gestalt an, und Bologa führte einen Plan aus. Er kroch um die Mitternachtsstunden an der schlafenden Wache vorbei, ging zu einem Fischerdorf, stahl dort ein Kanu und fuhr den Fluß hinunter, bis er zu seinem eigenen Lande kam; dort fand er, daß sich die Akasavas von einem Ende des Landes bis zum anderen in einem Zustand der Gärung befanden. Er bemerkte nicht die »Zaire«, wie diese mit Volldampf nordwärts jagte, während ihr schwarzer Schornstein Funken spie. Ihre Decke wimmelte von Soldaten, und um ihre beiden Geschütze herum waren Kartätschen in Reihen aufgestapelt, denn die scharfe Nase des Herrn Bezirksamtmann Sanders witterte Krieg.

Die Geschichte von Bosambos Malerei war wie ein Lauffeuer den Fluß hinauf und hinunter geeilt, und jeder Stamm hatte der Begünstigung der Ochoris seine eigene Auslegung gegeben. Bologa suchte den Akasavakönig auf und erklärte diesem seinen Plan.

»Der Gottesmann sagte, daß die einen als Schafe und die anderen als Ziegen gezeichnet werden sollen. Und wer anders sind die Schafe, wenn nicht die Ochoris? Denn diese waren große Feiglinge, bis Bosambo kam, wie du wohl weißt. Und das ist das Geheimnis, daß alle, die so gezeichnet wurden, die Herren unseres Volkes sein sollen, und wir sollen ihre Sklaven sein, genau wie der Gottesmann das vorhergesagt hat.«

»Das ist ein schlechtes Palaver!« antwortete der Akasavakönig, indem sich sein Gesicht verfinsterte. »Laßt uns zu diesen Schafen gehen und ein Morden anstellen!«

Sanders war nur zwanzig Meilen entfernt, als der Akasavakönig tausend Speere aus seiner eigenen Stadt mit sich nahm und im Dunkel einer regnerischen Nacht zu der ersten großen Stadt der Ochoris kam. Um Tagesanbruch rasselte der Lokoli Alarm, und Bosambo begab sich schnell an die Rettung seines verwüsteten Gebietes. Er warf seine feinste Truppe gegen das rauchende Dorf und trieb die Akasavaspeere in wilder Flucht in ihre Kanus und der »Zaire« entgegen, als sie nach der Strommitte zu paddelten. In der Hitze der Nachmittagssonne begleitete Sanders einen ernüchterten Bosambo durch die Trümmer. Eine Hütte stand aufrecht, und vor dieser saß die ungezeichnete O'fara.

»Herr, sie haben mich nicht getötet, weil ich kein Zauberzeichen an mir trug. Aber M'lema haben sie erschlagen und ihren Mann, den Häuptling, denn sie kamen bei Tagesgrauen über uns, und unsere Leute waren im Schlaf.«

»Wo befindet sich T'chala, denn das ist seine Hütte?« sagte Sanders. »Und ich weiß wohl, daß dieser weise Mann dem Untergang entronnen ist.«

Ohne ein Wort zu sagen, wandte sie sich um und ging in die Hütte, und Sanders folgte ihr.

T'chala war tot; der Messinggriff des breitklingigen Elefantenmessers, das ihn getötet hatte, ragte zwischen den Zweigen eines großen roten Baumes hervor, der roh auf seine Brust gemalt war.

»Diese Zaubermalerei habe ich ausgeführt, weil er mich darum bat, und weil er mir Kambalholz und Öl brachte und mir zeigte, wie der Zauberbaum gemacht wurde. Denn er fürchtete den Tod sehr«, sagte O'fara.


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