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V. Die Heilige

1.

Von Zeit zu Zeit kamen durch Sanders' Station Männer und Frauen, die ihr Leben der Wohlfahrt der Eingeborenen gewidmet hatten. Sanders teilte nicht das in Regierungskreisen verbreitete Vorurteil gegen Missionare; auf der anderen Seite begünstigte er sie auch nicht, weil sie, ohne es zu wissen, eine neue Obrigkeit schufen.

»Herr,« sagte ihm einmal ein frisch Bekehrter, »da ist ein neuer Herr hier, der Gott Jesus heißt, und wenn wir das tun, was ihm gefällt, brauchen wir nicht mehr zu tun, was dir gefällt.«

»Oh, Mann,« antwortete Sanders, »wenn ihr mir nicht gefallt, gefallt ihr Ihm nicht, und dann werde ich mit meinen Soldaten kommen, und das wird euch sehr leid tun; denn Er ist mein eigener Gott, und ich habe Ihn länger gekannt als ihr.«

Nach jedem sittlichen Maßstab eine abscheuliche Anmaßung, aber in den Ländern der Schwarzen, die Sanders regierte, bilden achthundert Wörter einen ausgedehnten Sprachschatz und lassen keinen Spielraum für die feinen Unterschiede in der Ausdrucksweise.

Mrs. Albert kam eines schönen Morgens an, und zwar nicht ganz unerwartet. Das Gouvernement hatte über diese Dame ein umfangreiches Aktenstück gesandt; sie war die Tochter eines Peer of the realm, eines reichsunmittelbaren, hohen Adligen, die sehr ehrenwerte Cynthia Perthwell Albert, und – sie hatte eine Vergangenheit hinter sich.

Cynthia war auf der Bühne gewesen; Cynthia war eine geschiedene Frau; Cynthia hatte ein mageres Bändchen skandalöser Memoiren geschrieben; und schließlich (die letzte Hoffnung aller, deren Bedürfnis die Öffentlichkeit ist) wurde angekündigt, daß sie den Schleier nähme. Unglücklicherweise entschied sich zu jener Zeit eine andere in der Gesellschaft sehr bekannte Erscheinung dafür, in ein Kloster zu gehen, und Cynthia widersprach dem Bericht und veröffentlichte, daß sie in die Far-Afield-Missionsgesellschaft eingetreten sei, und daß sie von nun an beabsichtige, ihr Leben dem Heiden in seiner Finsternis zu widmen.

»Ja, Herr,« erklärte Bones, »ich kenne die liebe, olle Lady. Sie hat ganze Töpfe voll Geld ... segne meine Seele! Was für ein verrücktes, olles Fraunzimmer muß sie sein, um Missionöse zu werden.«

Er stellte sich nicht vor (ebensowenig tat das Cynthia), daß in ihrem Innern eine große Sehnsucht entstanden war, die zu sieben Zehnteln aufrichtig war – ein brennender Wunsch nach Heiligkeit. Natürlich ließ sich eine so große innere Bewegung nicht immer auf ihrem höchsten Gipfel erhalten; aber in einzelnen Augenblicken gedachte Cynthia ein Niveau von Übermenschlichkeit zu erreichen, das über die Grenzen augenblicklichen Entschlusses hinaus dauern würde, und sah sich bereits gefolgt von einer Menge sie anbetender achtungswerter Eingeborener. Sie stellte sich vor, wie eingeborene Anbeter zu ihrem Schreine (den sie auf irgendeine Weise nach der Westminsterabtei zu verlegen verstand) wallfahrten würden; und in ganz verzückten Augenblicken erörterte sie sogar die Möglichkeit, daß ihre Kirche nach Rom zurückkehrte, sei es auch nur auf so lange, bis die Kanonisation der heiligen Cynthia erreicht sei. In diesen Perioden religiöser Anwandlungen war Cynthia tatsächlich sehr ernst, und sie wurde darin unterstützt durch den Charakter des Gründers und Präsidenten der Far-Afield-Mission, der ein sehr gütiger alter Herr war, und der die Fähigkeit hatte, die, mit denen er sprach, fast ebenso fromm empfinden zu lassen, wie er selbst empfand.

Cynthia hatte natürlich ihre Rückfälle.

Sie kam in der Station mit acht Koffern, vier Handkoffern und einem Toilettennecessaire aus Marokkoleder an; sie trug ein wunderbares weißes Kleid und ebensolchen Tropenhelm, in dem sie photographiert worden war, ehe sie ihr palastartiges Heim in Sunningdale verließ. Aber der Zukunftsmärtyrer- und heilige Ausdruck, den sie in den illustrierten Wochenschriften zur Schau trug, hatte sie auffällig verlassen, als Bones, der tapfer in die See hinaus gewatet war, um sie aus dem Brandungsboot zu tragen, stolperte und sie ins Wasser fallen ließ.

»Wie außerordentlich dumm von Ihnen! Sie haben mir mein Kleid verdorben«, sagte sie schnippisch. »Der Mann hätte mich mühelos an Land getragen. Warum, zur Hölle, mußten Sie sich drein mischen?«

»Halten Sie mit Ihren Anrempelungen inne, liebe, olle Missionsdame!« murmelte der erschreckte Bones. »Es befinden sich Kinder hier, liebe, olle Johanna von Orleans!«

Es waren keine Kinder anwesend außer Bones, aber, wie er später andeutete, es hätten welche anwesend sein können.

»Well, warum sind Sie so ungeschickt?«

Die honorable Cynthia sah ein, daß sie nicht »in der Rolle« war und nahm einen sanfteren Ton an. Sie stand am Strande und schüttelte ihre triefenden Unterröcke, ein Bild unheiligen Ärgers. And als sie zum Wohnhaus kam, wetterte sie los:

»Ich meine, Mr. Sanders, daß Sie wenigstens einen Wagen oder so was Ähnliches hätten an den Strand schicken können, um mich hierher zu bringen. Es war schrecklich, über diesen elenden Sand zu gehen, und der böse Junge, mit seinem ›liebe, olle Lady‹ hier und ›liebe, olle Missionöse‹ da, ist einfach unerträglich.«

Sanders blickte sie mit geduldiger Aufmerksamkeit an.

Sie war beinahe hübsch zu nennen, wenn sie auch gepudert war und ihre Lippen rot geschminkt hatte. Ihre Züge waren regelmäßig, ihre Augen schön; sie strömte einen schwachen undefinierbaren Duft aus.

»Was für Pläne haben Sie, Mrs. Albert?« fragte Sanders. »Ich vernehme, daß Sie ins Hinterland gehen wollen, um die Arbeit Frau Kleins zu übernehmen.«

»Ich übernehme niemandes Arbeit ...; ich will mich mit ihr vereinigen«, sagte Cynthia.

»Dann, fürchte ich, werden Sie sich schon in den Himmel begeben müssen«, sagte Sanders gutgelaunt. »Frau Klein starb vor drei Monaten. Sie – sie starb durch einen Unfall.«

Cynthia wurde blaß.

» Das hat man mir nicht gesagt«, antwortete sie atemlos. » Unfall ...?«

»Um die Wahrheit zu sagen, sie wurde ermordet«, sagte Sanders ruhig, und die duftende Dame suchte einen Stützpunkt am Tisch.

»Ermordet?« klang es hohl.

Sanders nickte.

»Die Eingeborenen dort sind ziemlich einfältiges Volk. Sie liebten Frau Klein so sehr, daß sie sie beim ersten Gerücht ihrer Abreise töteten; wie sie später erklärten, um ihren heiligen Leib dort zu behalten.«

Die Missionarin aus den höchsten Kreisen war sprachlos.

»Man erzählte mir ... ganz sicher ...« sagte sie zuletzt.

»Großer Gott! Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, an einen so schauderhaften Platz zu gehen.«

»Ich glaube, Sie täten besser, nach Hause zu fahren«, sagte Sanders geradezu. »Nächsten Montag läuft ein Dampfer hier an ...«

»Auf keinen Fall!« erklärte die ehrenwerte Cynthia.

Nach Hause! Der Gegenstand des Gelächters für Leute wie Julia Hawthill zu sein, die in dem wundervollen Gewand einer Novizin photographiert worden und wahrscheinlich noch im Kloster zum Heiligen Herzen (sie hatte es ermöglicht, daß sie wenigstens drei Monate dort bleiben durfte) war! Und den Photographen und Artikelschreibern und den Leuten standhalten, die sie beim Rennen in Ascot treffen und sagen würden: »Hallo, Cynthia! Ich dachte, die Kannibalen hätten Sie aufgefressen?« – Unmöglich!

Es muß doch einen hübschen Platz geben, wo ich bleiben und – und meinem Werke nachgehen kann? Mr. Billberry sagte, daß sie eine Station bei ... wie heißt sie nur ... sie fängt mit einem I an?«

»Isisi?« riet Sanders. »Kann sein! Ich glaube, Ihre Leute haben eine Nebenstation dort. Ich werde die Sache für Sie ins Lot bringen.«

Die Isisis waren um diese Zeit ein artiges Volk – ausgenommen, was die Gelben Geister anbetraf; und das nahm Sanders – für den Augenblick wenigstens – nicht zu tragisch. Er schickte Bones mit dem »Wiggle« stromauf, und die Botschaft, die zurückkam, klang vertrauenerweckend.

Der Missionar war im Begriff, eine seiner langen Reisen in den Busch zu machen, und würde zusammen mit seinem Weibe drei Monate abwesend sein. Er stellte sein nettes kleines Haus zusammen mit Laienbrüdern und Dolmetschern Cynthia zur Verfügung. An Cynthia schickte er einen langen Brief, der voller Wörter war, die (im Englischen) mit großen Anfangsbuchstaben geschrieben werden, wie Glauben, Opfer, Gnade und Seligkeit. Cynthia las den Brief zweimal, um zu entdecken, ob es im Hause eine Badegelegenheit gab.

Bones brachte sie auf das Feld ihrer Tätigkeit.

»Was Sie zu tun haben, liebe, olle Miß,« sagte er unter anderen Dingen, »ist, zu vermeiden, daß Ihre ollen, netten Beine von Moskitos gebissen werden. Nehmen Sie'n ordentlichen Whisky jede Nacht bei Sonnenuntergang und halten Sie Ihre gesegneten, ollen Ohren steif!«

»Ich wünschte, Sie redeten mich nicht immer ›liebes, olles Fräulein‹ an«, sagte Cynthia streng. »Das ist sehr anmaßend.«

»Bedaure sehr, liebe, olle Missionöse!« murmelte der kluge Bones.

Cynthia liebte ihr neues Heim nicht, obwohl sie die neue Umgebung entzückend fand. Sie verbrachte zwei Tage beim Photographieren des Dorfes und ließ sich selbst, umgeben von kleinen Kindern, die keine Kleider trugen und sonderbar rochen, von einem eingeborenen Laienmissionar photographieren.

Die Nächte waren das Schlimmste. Tagsüber konnte sie sich mit ihrer Kamera vergnügen und las sie die Bibel in der strohgedeckten Kirche; aber die Nächte waren fürchterlich finster und stille; und das Christenmädel im nächsten Zimmer schnarchte und erzählte im Traum von ihrem Liebhaber, einem gewissen M'Gara, einem Akasavafischer. Glücklicherweise verstand Cynthia nicht Bomongo, und so wußte sie nicht, daß die Skandale von Mayfair eine starke Familienähnlichkeit mit denen des Isisiflusses hatten. Denn M'Gara war ein verheirateter Mann und kein Gentleman.

Dann kam ein neues Interesse in ihr Leben; denn gerade, als sie anfing, es langweilig zu finden, schuf Cynthia einen ansehnlichen Bekehrten: Osaku, den Sohn eines großen Zauberdoktors, und selbst erfahren in aller Magie und Geisterbeschwörung. Er war ein großer Mensch. »Ein edel aussehender Wilder«, beschrieb Cynthia ihn in ihrem ersten Briefe nach Hause. »Und so schrecklich nett. Ich gab ihm ein Stück Seife – eins von denen, die wir bei Pinier in Paris gekauft haben – und jetzt geistert er förmlich um die Missionsstation herum. Anscheinend hat dieser Sanders ihn abscheulich behandelt, drohte ihm, ihn zu hängen und tötete tatsächlich den Vater des armen Osaku. Meine Teuere, diese Eingeborenen beten mich einfach an. Sie nennen mich ›Mama‹, und ich fühle mich einfach erhaben. Der Baderaum in diesem elenden kleinen Loch ist fürchterlich, aber das Bett ist bequem. Ich komme in drei Monaten auf Urlaub ...«

Er war richtig, daß Sanders Osaku gedroht und Osakus Vater, der seinerzeit ein berüchtigter Zauberer war, übel behandelt hatte.

Die Stellung eines Zauberdoktors in den Isisiländern ist im großen ganzen keine Sinekure. Zu einer früheren Zeit von Sanders Amtstätigkeit gab es eine Art Bund dieser Teufelsmänner. Sie trafen sich beim Licht des Neumondes auf der Schädelinsel, die sich nahe am Teich der Schwarzen Wasser befindet, und sie sandten eine Botschaft an Sanders und forderten einen Tribut entsprechend ihrer Größe; denn zu jenen Zeiten waren sie sehr hochmütige Leute und hielten Häuptlinge und Könige in ihrer hohlen Hand. Sanders schickte einen Tribut: einen langen Strick mit einer Schlinge am Ende, der durch eine lederne Öse lief. Er gab durch seinen Boten Anweisung, daß der Strick über den Ast eines Baumes geworfen werden solle, und bot das als den geforderten Tribut und befahl, sie sollten seine Ankunft um die erste Stunde in dieser Nacht erwarten. Als er ankam, war der Treffplatz verlassen, und der herunterbaumelnde Strick schwang im Nachtwind um die graue Asche ihrer Feuer.

Manchmal werden Leute durch Erbrecht Zauberdoktoren; manchmal ist es nur armes, verrücktes Volk, das fremde Stimmen hört; manchmal erreichen sie ihre Würde durch List – Chaku –, der Isisimann war einer von diesen. Er übte sonderbare Gebräuche im Urwald und gewann auf diese Weise Novizen für die »Leoparden«, den gefährlichsten aller Geheimbünde; und als dieser Orden vernichtet war, wurde er Vermittler für die »Gelben Geister«, einen Geheimbund, der seinen Ursprung in Nigeria hatte und sich von dem Leopardenbund nur durch die Art, wie er mordete, unterschied.

Bosambo, Häuptling der Ochoris, hatte diese Geister durch seine rohe und brutale Art, wie er einmal in eine ihrer Séancen einbrach, beleidigt und war deshalb für den Tod ausersehen. Eines Nachts, um die mitternächtige Stunde, als er schlief, kamen zwei Isisileute vom Fluß heraufgeschlichen; sie trugen einen großen Klumpen nassen Lehms, den sie geknetet hatten, bis er eine feuchte Form war. Wie zwei Schatten schlichen sie in seine Hütte, und der Stärkere ließ den Lehmklumpen über Bosambos Gesicht fallen und legte sich selbst auf ihn, während sein Gefährte schwer über Bosambos Beinen lag. Nach aller menschlichen Voraussetzung hätte Bosambo innerhalb zwei Minuten tot sein müssen, aber er besaß die Stärke von zehn Männern ...

Beim Lichte eines draußen brennenden Feuers, das man zu einer hellen Flamme geschürt hatte, verkündete der Ochorihäuptling sein Urteil über die beiden gelbgesichtigen Meuchelmörder.

»Laßt sie in ihr Land zurückgehen!« sagte er; und vier seiner Wache nahmen die Gefangenen in ihr Kanu und paddelten sie zu einer tiefen Stelle des Flusses. Hier befestigten sie sehr schwere Steine an deren Knöchel und warfen die Gefangenen ins Wasser; in dieser Nacht gab es zwei neue Gestalten auf den Geisterbergen, auf denen die Seelen der Verstorbenen in Ewigkeit wohnen.

Sandi hörte davon und zog nach Norden, Tag und Nacht unterwegs. Seine Aussprache mit Bosambo war sehr kurz; sein Aufenthalt in Chekus Dorf war unangenehm verzögert.

Tag auf Tag saß er im Palaverhaus und schnüffelte Geister aus; Nacht auf Nacht brannten die drei Palaverfeuer am Fuße des winzigen Hügels, auf dem das Palaverhaus errichtet war, bis beinahe zur Morgendämmerung, und am Ende bog Sanders in der Richtung des Zaubermannes seinen Finger krumm, und das war dessen Ende.

Zu Osaku, dessen Sohn und Nachfolger, sagte Sanders: »Ich gehe jetzt zu meinem feinen Hause am Ende des Flusses zurück, und du bleibst hier und am Leben. Nun gibt es am Fluß eine Redensart, die alle kennen und du am besten von allen: ›Männer, die still stehen, treten aus keine Dornen‹. Sei vorsichtig, wie du dich bewegst, Osaku, damit du nicht denselben Weg wie dein Vater gehst!«

Ein Jahr lang trat Osaku, Chekus Sohn, sehr vorsichtig auf. Er prophezeite, aber darin lag kein Unrecht. Sanders bekam Nachrichten von Wundern, die vorhergesagt worden waren und sich erfüllt hatten; von großen Fischschwärmen, die angekündigt und aufgefunden wurden; von Söhnen, die in Aussicht gestellt und geboren wurden; von Stürmen, die vorhergesagt wurden und zur gegebenen Zeit losbrachen; und nur, als Osaku den Tod prophezeit hatte und dieser Tod wirklich eintrat, mischte Sanders sich darein.

Er sandte nach Osaku; dieser solle in das Dorf K'Foris kommen, wo Sanders ein Palaver wegen einer Heirat abhielt; und als der große gutaussehende junge Mensch vor ihm stand, sprach Sanders:

»O Prophet, ich sehe dich! Überlaß es Sanders, der euer Vater und eure Mutter ist, weise in das Morgen zu schauen! Und das sehe ich, Osaku: An einem gewissen Tage wirst du den Tod deines Feindes voraussagen, und siehe, am Morgen wird er tot sein. Aber vor Nachtanbruch kommt Tibbetti mit Soldaten, und sie nehmen Osaku in die Tiefe des Urwaldes, wo nur die Affen leben, und dort hängt man Osaku auf, wie man seinen Vater gehängt hat. Prophezeie ich gut, Osaku?«

Osaku schlürfte mit den Füßen hin und her und zuckte mit den Zehen und ging nach Hause, voll Haß gegen den Mann mit den schrecklichen blauen Augen. Zwei Monate lang grübelte er über seine Lage, und nach Verlauf dieser Zeit lieh er sich ein halbes Dutzend Paddler von seinem Häuptling und Freund und ging zum Bezirksamt hinunter. Er kam drei Tage vor der Ankunft Cynthias an.

»Gebieter,« sagte er, »ich habe viele sonderbare Gedanken gehabt. Du bist der Vater und die Mutter deines Volkes; du trägst uns auf deinen Händen und machst uns sehr glücklich. Nun, Herr, ich bin von den Teufeln mit Gaben beschenkt worden, die meine hellen Augen alles sehen lassen, was mit der Sonne kommen wird. Und weil ich dich liebe, Sandi, will ich zu allem Volke, das auf mich hört und an mich glaubt, sprechen und ihnen sagen, wie schön du bist. Und ich will ihnen sagen, daß sie, wenn sie gut sind und ihre Steuern bezahlen und nicht ihre Speere gegeneinander fällen, sehr glücklich sein werden, daß ihr Getreide wächst und Fische in ihren Flüssen leben werden.«

»Das wird ein sehr gutes Palaver sein!« sagte Sanders und wartete auf das, was nun folgen würde.

»Aber, Herr, darin wird kein Nutzen für Osaku liegen,« fuhr der Seher fort, »da die Menschen keine reichen Geschenke für Freuden geben, an denen alle teilhaben. Nun bitte ich dich darum, Sandi, daß du mir meine Steuern wiedergibst, und daß du mir Geschenke an Zeug und anderen wundervollen Dingen machst ...«

»Geh in dein Dorf zurück, Osaku!« unterbrach Sanders ihn ungnädig. »Ich belohne Menschen, nicht durch Geben, sondern durch Nichtnehmen. Das ist eine Eigenart der Regierungen. Und dadurch, daß ich dir dein Leben gelassen habe und deine Füße frei von Ketten, habe ich dich hinlänglich belohnt. Dieses Palaver ist aus.«

Sanders erlaubte seinem zornerfüllten Besucher zwei Tage Aufenthalt, damit dessen Paddler sich ausruhen konnten, und während dieser Zeit war Osakus Gehirn geschäftig mit dem Schmieden von Racheplänen.

Besonders interessierte er sich für das merkwürdige Benehmen eines sehr langen Haußaleutnants, der ein schimmerndes Glas im Auge trug, und der gerüchtweise Sanders' Sohn war.

Jeden Morgen nach seinem Bade ging Leutnant Tibbetts zum Strand hinunter, um den Fortschritt seines Pflegekindes zu beobachten. Das lag im heißen Sande, ein großes und merkwürdig geformtes Ei. Als er es an einem solchen Morgen wieder mit Sand bedecken wollte, sah er das Ei bersten und sich eine winzige, gelbe Schnauze heraus und in das offene Tageslicht drängen. Gespannt beobachtete er, wie die dünne Eidechsengestalt herauskroch und mit heftigem Herzklopfen in den warmen Strahlen der Morgensonne lag.

Sehr behutsam hob er das kleine Geschöpf in sein Taschentuch. Es wand sich schwach, aber Bones trug sein Kind die Stufen zum Wohnhaus hinauf und legte es vor seinen Vorgesetzten.

»Basil ist angekommen – es ist ein Junge!« sagte Bones.

Kapitän Hamilton sah auf und schauerte.

»Nehmen Sie das viehische Ding vom Tisch ... guter Gott – Krokodile zum Frühstück!«

»Lieber, oller Ham,« bat Bones ernstlich, »verachten Sie nicht das niedrige, aber nötige Krokodil! Basil ist menschlich, lieber, oller Ham, ebenso wie ich; er ist eine kleine kunstvolle Laune der Natur, Ham ... wie Sie selbst auch. Basil wird bei etwas sorgsamer und zarter Pflege beweisen, daß sich auch ein netter, oller Simoonier ...«

»›Silurier‹ meinen Sie wohl?«

»Oder was auch immer es sein mag, mit seinem Eigentümer befreunden kann. Basil wird mir überall hin folgen und nachts vor meiner Tür schlafen, Ham. Du junger Bengel ... hier, wach' auf!«

Das kleine Reptil lag sehr bleich und still da; das Arbeiten seiner halb durchsichtigen Seiten war unmerklich geworden.

»Haben Sie irgendwelchen Brandy hier?« fragte Bones ängstlich.

»Ersäufen Sie's!« sagte der hartherzige Hamilton. »Wenn Sie's wieder beleben wollen, ... singen Sie ihm was vor! Eins jener alten Krokodilwiegenlieder!«

Bones ergriff den Milchkrug und goß dessen Inhalt in eine Untertasse. Er stieß die scharfe Schnauze des sterbenden Krokodils in die weiße Flüssigkeit. Das Krokodil strampelte krampfhaft, öffnete seinen Rachen, schnellte seinen Kopf herum und packte plötzlich Bones' Finger zwischen zwei Reihen nadelähnlicher Zähne.

»Autsch!« gellte Bones. »Du niederträchtige, kleine Viper ... rrrrrrruut!«

Er schüttelte es ab, und das winzige Geschöpf fiel auf den Tisch; es wandte sich mit offenem Rachen gegen Bones, während seine Flanken kräftig auf- und niedergingen.

»Beim Himmel, lieber, oller Ham ... biß in die Hand, die ihn nährte! Du olles, unartiges Insekt du! In den Fluß werf' ich dich!«

Als Bones von seinem Enterbungsgange zurückkam, fragte Hamilton sanft: »Wenn Sie Krokodile herumzutragen wünschen, Bones, würden Sie die Liebenswürdigkeit haben, dazu nicht die Zuckerzange zu benützen?«

»Bis aufs Blut gebissen, lieber, oller Herr!« Bones zitterte vor Entrüstung. »Nach allem, was ich für ihn getan!«

»Ist er ertrunken?« fragte Hamilton, die Augen wie festgeleimt auf der einen Monat alten Zeitung, die er las.

»Nein, Herr; der dreckige kleine Hund schwamm wie ein ... Frosch, Herr. Ich hoffe, er gerät in ernsthafte Mißhelligkeiten.«

Osaku war Zeuge der Aussetzung des Pflegekindes gewesen. Als er mit seinen Paddlern am Uferrand des Flusses hockte, sah er die zappelnde Gestalt in den Fluß plumpsen, und sofort begann sich in seinem Hirn eine Idee zu bilden. Was ist Prophezeiung anderes als Eingebung? Und was ist Eingebung anderes als ein selbsttätiger Sinn von Ursache und Wirkung? Es war nur ein Krokodil mehr im Flusse, nur ein schleichendes Ungeheuer mehr, um Weiber, die am Morgen zum Wasserholen an den Fluß gingen, unter Wasser zu ziehen.

Lange Zeit später, nachdem Osaku abgefahren war, kamen beunruhigende Nachrichten den Fluß herunter. Osaku prophezeite unablässig, und die Gelben Geister waren in den Akasava- und Isisiländern erschienen.

Er prophezeite, daß eine große Regenflut kommen würde; die Wolken würden drei Tage lang Wasser spritzen, und danach würde der Regen aufhören. Und dann, um Neumond herum, gäbe es eine Sintflut; die Erde würde überschwemmt sein, und aus dem Wasser käme eine Unzahl Krokodile hervor; so viele, daß sie das ganze Land bedeckten; sogar die kleinen Affen aus den Bäumen würden ihnen nicht entrinnen noch die Vögel, die fliegen. Und das alles würde kommen, weil Sandi das Volk haßte und den Fluß mit dem gelben Schrecken gefüllt hätte, der in den Nächten bellte.

Sanders hörte das Gerücht, stapelte Holz auf das Vorderdeck der »Zaire« und hielt Dampf für sofortige Abfahrt auf.

»Das alles kommt bloß von Ihrem verfluchten Experiment, Krokodile auszubrüten«, bemerkte Hamilton bitter.

Bones schloß in Geduld seine Augen.

»Seien Sie fair, lieber, oller Ham!« flehte er. »Habe ich den Regen ausgebrütet, frage ich Sie, teuerer, oller Salomon? Seien Sie ehrlich, Ham! Laden Sie gefälligst nicht alles auf den armen, alten Bones ab! Basil war eine Enttäuschung. Das kommt in den besten Familien vor, lieber, oller Hauptmann und Adjutant!«

»Es sollte mich gar nicht wundern, wenn Ihr elendes kleines Krokodil die Ursache dieser Unruhen wäre, Bones!« sagte Sanders nachdenklich. »Das einzige, was wir tun können, ist, bereit zu sein und zu hoffen, daß kein Wunder geschieht; oder, wenn es geschieht, daß es nur eine örtliche Bedeutung hat, sich nicht ausdehnt. Und in der Zwischenzeit fertig zu sein, dieses unglückliche Frauenzimmer, die Albert, aus Isisi herauszuholen.«

»Was für ein Wunder erwarten Sie denn, Herr?« fragte Hamilton überrascht.

»Krokodile!« sagte Sanders lakonisch. »Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß Bosambo mich heute morgen benachrichtigte, jedes Gewässer in den Ochoriländern wimmele davon.«

Hamilton starrte ihn an. Bones klappte zusammen, sank in einen Stuhl. »Basil war's nicht!« murmelte er schwach. »Basil hatte keine Zeit, Nachkommen zu erzeugen ...«

»Nach Berichten ist das schon einmal, vor zwölf Jahren, geschehen. Die Zoologen im Kolonialamt stützen sich auf die Theorie, daß es eine Art Krokodile gibt, die sich im Schlamm vergräbt und nur alle Jubeljahre zum Vorschein kommt ... Ich selber habe diese Kerle ausgegraben; sie lagen vier Meter tief unter dem Flußbett und waren sehr ärgerlich, als man sie aus ihrem Schlaf aufweckte«, erzählte Sanders.

Noch in dieser Nacht erschien das von Sanders gefürchtete Phänomen unmittelbar vor den Türen der Stationshäuser. Es war zwei Uhr morgens, und der Mond zeigte sich launisch, als Abdulla, der Posten vor der Hütte der Wache, etwas leise über den Exerzierplatz heranschleichen sah und es anrief. Auf den Anruf des Postens verhielt sich das Wesen lange Zeit unbeweglich, und der Posten nahm an, er habe einen Mondschatten gesehen; bis er es sich von neuem und dieses Mal auf sich zu bewegen sah und seine empfindsamen Nasenlöcher einen schwachen Moschusgeruch gewahr wurden. Da ging seine Lee-Metford-Büchse sofort hoch.

Sanders hörte den Schuß und kam, seinen Revolver in der Hand, an die Treppe. Er hörte, wie Bones' übergeschnappte Stimme von der Türe seiner Hütte aus erklang, aber Sanders befand sich zu weit ab, um das Gespräch verstehen zu können.

»Was gibt's, Herr?«

Hamilton war an der Seite des Bezirksamtmanns, die Büchse im Arm.

»Ich glaubte einen Schuß gehört zu haben. Irgend etwas stimmt nicht ...Hören Sie Bones?«

In diesem Augenblick hörten sie Bones; ein heiserer Schrei der Furcht; dann kam, aus der Richtung seiner Hütte, das Stakkatogerassel seines Brownings.

»Großer Gott! Da!« stieß Sanders hervor.

Durch eine Lücke in den Wolken warf der Mond eine plötzliche Flut von Licht über den Exerzierplatz. Drei – vier – fünf, zählte er; große Eidechsen ähnliche Wesen liefen schnell auf den Fluß zu.

Hamilton feuerte, und eins der Wesen zuckte krampfhaft, stieß ein bellendes Gebrüll des Schmerzes aus, kroch etwas weiter und lag still.

Als das geschah, fegte der größte der Flüchtlinge herum und raste unerwartet mit ungeheurer Schnelligkeit auf die Treppe des Wohnhauses zu. Hamilton und der Bezirksamtmann feuerten gleichzeitig, feuerten wieder, anscheinend ohne Erfolg. Erst als sich der lange Kopf zur Treppe heraufschob, tat der dritte Schuß seine Wirkung.

»Springender Moses!« keuchte Hamilton.

Jetzt zeigte sich in allen Hütten Licht. Die Wache feuerte auf etwas, was sie nicht sehen konnte; Hamilton schob eine andere Patrone in seine Büchse und sprang in weiten Sätzen über den Exerzierplatz auf Bones' Hütte zu.

Hamilton fand seinen Untergebenen ausgespreizt auf dem Erdboden; zuerst glaubte er, Bones sei tot, und dann, sein Bein sei gebrochen. Zwei Haußas trugen Bones in Sanders' Wohnhaus und legten ihn dort flach auf die Dielen.

»Der Satan muß ihn mit seinem Schweif getroffen haben!« bemerkte Hamilton, als er Bones Brandy durch die zusammengebissenen Zähne einflößte.

Bones öffnete die Augen.

»Nicht Basil!« murmelte er. »Armer kleiner Basil ...!«

»Wachen Sie auf, Sie Geflügelzüchter!« schnappte Hamilton, und Bones setzte sich aufrecht, rieb sich das Bein und starrte rundum.

»Es war nicht Basil«, sagte er feierlich. »Ehe ich sterbe, möchte ich eine Erklärung abgeben, die den armen kleinen Basil frei spricht von jeglicher Schuld ...«

Es dauerte eine Viertelstunde, ehe er seine fünf Sinne wieder beisammen hatte, und er hatte wenig zu erzählen, was zur Aufklärung beitragen konnte. Er hatte den Schuß gehört, war aus seiner Hütte gestürzt, hatte zwei schreckliche glitzernde Augen auf sich gerichtet gesehen und gefeuert. Das war alles, dessen er sich erinnerte.

Als es Tag wurde, kamen drei Kanus mit Dörflern aus der Nachbarschaft mit Gerüchten von Unglück und Mord. In Hütten war man eingedrungen und hatte sie zerstört. Weiber und Kinder und alte Leute waren verschwunden; aber das größte Unglück war in dem kleinen Lager geschehen, in dem das Dorf seine gemästeten Hunde hielt. Der unmittelbare Stationsbereich hatte glücklicherweise keinen Verlust zu verzeichnen.

»Wenn das schon hier geschieht,« sagte Sanders beunruhigt, »was mag dann erst am Oberen Fluß vor sich gehen?«

Sanders stand auf dem Deck der »Zaire« und sah über die schwarze, geschwollene Flut. Der Fluß wimmelte von Krokodilen; bei jeder Wendung zeigte sich das durch sie verursachte Kräuseln im Wasser. Sanders las die Familien auf und brachte sie in die Walddickichte im äußersten Mittelpunkt der Halbinsel, auf der die Station stand.

»Lassen Sie heut nacht Feuer auf dem Exerzierplatz anzünden!« befahl er. »Hamilton, Sie bleiben lieber hier zur Aufsicht! Bones werde ich mit mir zum Oberen Fluß nehmen.«

An diesem Morgen ging die »Zaire« um elf Uhr auf ihre Fahrt. Der Fluß war verlassen, kein menschliches Fahrzeug in Sicht; das war weiter nicht auffällig, da die Strömung eine Geschwindigkeit von neun bis zehn Knoten hatte. Nur sehr langsam kam er vorwärts. Er dampfte die ganze Nacht durch und hielt nur, um sein Feuerungsmaterial bei Igebidorf wieder aufzufüllen. Dort fing er an, das Unglück in seiner ganzen Ausdehnung zu begreifen. Das Dorf war eine einzige Ruine. Kaum eine Hütte, die aufrecht auf ihrem Grund stand. In der vorherigen Nacht, erzählte ihm ein Vormann unter Schauern, seien »alle Krokodile der Welt« aus dem Wasser gekommen, und welchen Schaden sie angerichtet hätten, wäre er außerstande zu sagen, da seine Leute mit Ausnahme seines Sohnes in die Wälder geflüchtet seien. Das Unglück sei sehr schwer gewesen. Er erzählte Geschichten, die einen Durchschnittsmenschen hätten erbleichen lassen; Sanders horchte mit anscheinender Gleichgültigkeit zu, lud sein Holz und setzte seine Reise fort.

Während der ganzen Fahrt flußaufwärts hatten sechs Haußascharfschützen vorn am Bug gesessen und auf jedes Krokodil geschossen, das sie sahen. Einmal an einer Flußkrümmung, stießen sie auf eine lange schmale Sandbank, die mit diesen Reptilen bedeckt war. Bones ließ die Hotchkiß-Revolverkanone in Tätigkeit treten und schickte zwei Schrapnellschüsse hinüber, die über der zappelnden Masse platzten. Innerhalb einer Sekunde war der Sandstreifen leer, bis auf zwei lahme Massen.

Er machte an dem Dorfe der Kleineren Isisi fest und fand es verlassen. Die Straßen boten den unheimlichen Anblick des nächtlichen Verheerungszugs.

Sanders dachte an die Missionarin und erbleichte.

»Gebieter, die Mammi ist fort!« sagte der Mann. »Ich ging aus dem Waldweg zu ihrem Hause, und ich sah nichts als ein totes Weib, das gespeert worden war ...«

» Gespeert?« fuhr Sanders auf.

»Jemand hat sie getötet«, berichtete der Mann zitternd. »Wer weiß, was für Teufel in solcher Nacht am Werke sind?«

Die Hütte der Missionarin lag eine (englische) Meile vom Dorf, und als Sanders dort angelangt war, fand er nichts als ein totes Mädel an der Tür von Cynthias Zimmer. Ein mächtigerer Teufel als die Riesenechsen, die aus dem Wasser kamen, hatte hier sein Wesen getrieben.

 

2.

Als der Regen andauernd weiter fiel, packte Osaku die Furcht, und er rief seine vier Jünger zusammen.

»Nun ist alles zu Ende,« sagte er; »denn Sandi wird erfahren, daß ich diesen Regen hervorgebracht habe. Und wenn ›die Schrecklichen‹ folgen, dann wird Sandi kommen und uns alle töten. Und wenn wir schon um einer solchen unbedeutenden Sache willen hängen sollen, was soll dann erst geschehen, wenn wir andere Taten ausführen? Denn kein Mensch hat mehr als ein Leben, und ob er einen mordet oder alle, das kommt dann auf eins heraus.«

In seiner langatmigen Art umschrieb er das Sprichwort, sie möchten ebensogut wegen eines Schafes wie wegen eines Lammes gehängt werden.

»Laßt uns die Jesus-Mammi auf eine gewisse Insel in dem See bringen, wo Sandi niemals hinkommt, und wo es ihm nicht einfallen wird, nachzusehen. Denn dieses Weib liebt mich und hat mir wunderbare Sachen gegeben; aber aus Furcht vor Sandi wendet sie sich von mir ab. Und ihr bringt alle, die euch je auf eurem Lager erfreut haben, und wir werden glücklich leben und einer dem anderen Zauberkünste lehren.«

Sein Gefolge, selbst durch den Dauerregen beunruhigt, zog seines Weges.

Cynthia lag in ihrer Hütte, lauschte auf das endlose Trommeln des Regens und wunderte sich, wie lange es noch dauerte, bis Sanders die Barkasse nach ihr senden würde; da hörte sie Stimmen im Vorzimmer und einen Aufschrei. Sie stand hastig auf, als auch schon die Grastüre beiseite geschoben wurde. Osaku sagte etwas in einer Sprache, die sie nicht verstand, aber die Geste seiner Hand sprach alle Sprachen.

Als sie zitternd in den dunklen Vorraum kam, trat sie auf etwas, das unter ihrem Fuße nachgab, und sie schrie auf ... Blut war an Osakus Speer, denn das schwarze Mädel, das schnarchte, wenn sie von ihrem Liebhaber träumte, schnarchte nicht mehr.

Sie gingen in den strömenden Regen hinaus, Osakus Hand immer auf ihrem Arm; sie wurde in ein schmales Kanu gestoßen, das fürchterlich schwankte. Der dampfende Paddler trieb sein Fahrzeug das Ufer entlang und bog, plötzlich wendend, in den schmalen Wasserarm ein, der zum See hinführt. Tagesanbruch brachte sie in breiteres Wasser und zu einer kleinen Insel. Das war nicht der Bestimmungsort, den Osaku in Aussicht genommen hatte, aber das Kanu war halb voll Regenwasser; und obwohl zwei Männer andauernd das Wasser entfernten, konnten sie doch nicht mit dem herunterprasselnden Regen gleichen Schritt halten.

»Hier bleiben wir, Mammi!« sagte Osaku und zog das halbtote Mädchen an Land; sie war steif, wie betäubt und starr vor Furcht.

Unter den triefenden Bäumen flocht man ein rohes Schutzdach aus Gras für sie, und darunter brachte sie duselnd und ohnmächtig den letzten Regentag zu. Der See war gestiegen, und es traten gewisse Ereignisse ein, die Osaku und seine Gefährten stark beunruhigten; denn die vom Regen durchlöcherte Seeoberfläche war mit charakteristischem Gekräusel gesäumt, und einmal sah Osaku zwei schimmernde Krokodile aus dem See watscheln und sich an Land niederlegen. Nun pflegt ein Krokodil, wenn es an Land geht, seinen Rachen nach dem Wasser gerichtet zu halten, bereit, bei dem geringsten Alarm ins Wasser zu tauchen, aber diese zwei großen Reptile drehten ihre bösartigen Schnauzen nach dem Lande zu.

Da kam Osaku ein Gedanke.

»Diese Mammi scheint einen größeren Zauber zu besitzen als wir. Ich habe von den Gottesmännern über solche Sachen gehört, und jetzt weiß ich, daß es wahr ist; die Gelben (Krokodile) sind Ju-Ju für sie; hat Tibbetti nicht eins von ihnen in seiner Hand gehalten? Wenn wir Mammi nichts Böses tun, werden sich die Biesters aus dem Staube machen. Jetzt wollen wir zu der großen Insel fahren, wo sie uns nicht erreichen können, und dann wollen wir tun, wozu wir Lust haben.«

Es befanden sich jetzt zehn Leute auf dieser Insel, die beim Steigen des Wassers immer kleiner wurde. Jeder der vier hatte seine Gefährtin mitgebracht, und von diesen war nur eine freiwillig gekommen. Durch den Nebel ihrer schreckhaften Träume hindurch hörte Cynthia die Klagen und das Jammern der übrigen Weiber und schauerte.

Während der Nacht wurde sie durch einen fürchterlichen Laut aufgeschreckt und flüchtete ins Freie. Dämmerung war nahe, und der verblassende Halbmond hing niedrig.

Schreie und hartes heiseres Bellen; das Peitschen von Gras und Gebüsch unter schrecklichen Schweifen.

 

3.

Durch einen halb wahnsinnig gewordenen Fischer kam Sanders auf die Spur. Beim ersten Sonnenstrahl kam die »Zaire« zur Insel. Bones, das Gewehr in der Hand, sprang an Land. Er begegnete keinem Anzeichen des Fürchterlichen. Nichts als zertretenes Gebüsch, abgebrochene Stämme junger Bäume und ein Blutfleck hie und da.

Cynthia allein stand da, ihre zarte Gestalt straff aufgerichtet, ein stilles Lächeln in ihrem Gesicht.

»... mich haben sie nicht angefaßt, weil ich eine Heilige bin ... Sie begreifen das natürlich, Mr. Tibbetts. Es war beinahe schrecklich, zu sehen, wie sie ins Wasser gezogen wurden, aber die bösen Dinger haben mich einfach überhaupt nicht angerührt. Ich wünschte, Sie würden einen Artikel an die Morning Post senden... Überschrift: Die heilige Cynthia!«

Sie lächelte ihn an, mit einem schattenhaften Lächeln; ihre Lippen zitterten, ihre Augen verharrten in beängstigender Starre.

»Die Eingeborenen beten mich an ..., vergessen Sie das nicht, bitte! Und möchten Sie meinem Chauffeur sagen, daß ich durchaus fertig bin, um nach Hause zu fahren?«

Und dann fiel sie in Bones' Arme, und er trug sie an Bord der »Zaire«.

Eine ganze Anzahl Leute denken, die ehrenwerte Cynthia befinde sich noch immer im dunklen Lande, und in einem Sinne haben sie recht. Aber es ist das dunkle Land, das die Menschen mit dem beschönigenden Namen »Heilanstalt« bezeichnen, und liegt im Norden Londons; dort sitzt Cynthia mit ihrem stillen Lächeln und starrem Blick und plaudert zutraulich von Krokodilen und Heiligen.


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