Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der U-Boot-Jäger

»Ich mache mir über eines Sorgen«, meinte Anthony, als der Zug von Torquay, in dem er mit Paul saß, in London-Paddington einfuhr.

»Was bedrückt dich denn, Tony? Hoffentlich nichts Wichtiges?«

»Ich zerbrach mir über Milwaukee Meg den Kopf.«

»Was ist denn mit ihr?«

»Das Schlafmittel, das ich ihr gab, wird wohl nunmehr seine Wirkung verloren haben. Gesundheitlich wird es ihr also gut gehen, wenn sie auch etwas knapp an Geld sein dürfte.«

Es war erst eine Woche her, seit er die betreffende Dame um ihre irdischen Schätze erleichtert hatte. Es war nicht die Reue über diese Tat, die ihn bedrückte.

»Ich hatte dir doch erzählt, Paul, daß Meg eine Gesellschafterin engagiert hatte, nicht wahr? Ich sah sie zwar nur einige kurze Augenblicke, aber ...«

»... sie genügten dir, wie?« vollendete Paul.

»Was soll das heißen?« fragte Anthony hochmütig.

»Nichts, mein Junge, nichts!« erklärte Paul mit unschuldiger Miene.

»Das Mädchen versuchte, mir zu helfen«, fuhr sein Freund fort, »und hat sich, allerdings unbewußt, damit in große Gefahr begeben. Ich erkundigte mich nach ihr und glaubte bestimmt, sie habe ihre Stellung bei Miss Morrison aufgegeben. Du kannst dir meine Überraschung vorstellen, als ich erfuhr, daß sie immer noch bei unserer geliebten Freundin weilt. Das gefällt mir gar nicht, denn sie hatte ja auch schon Verdacht gegen ihre Brotgeberin geschöpft. Ich riet ihr, die Stellung aufzugeben. Vielleicht hätte ich sie über alles aufgeklärt, ich befürchtete aber, daß Meg sie mir als Lockvogel entgegengesandt hatte.«

»So, so? Sie ist noch mit Meg zusammen? Merkwürdig.«

»Ja. Ich hatte jemand hingeschickt, und habe erfahren, daß es die junge Dame war, die die Opfer meines Tricks bewußtlos aufgefunden hatte.«

Der Preller hatte Sorgen. Er sagte kein Wort mehr, bis sie endlich in Brixton eintrafen, wo er seit einigen Monaten ein Haus gemietet hatte. Dann erst kam er wieder auf das Gespräch auf der Bahn zurück.

»Ich möchte meinen Kopf verwetten, daß sie nicht zur Bande gehört«, meinte er. »Der Gedanke, sie dort im Haus zurückgelassen zu haben, beunruhigt mich.«

»Wir fahren also hin, wie?« fragte Paul. Anthony nickte.

»Vor einigen Monaten habe ich einen U-Boot-Jäger erstanden, den die Regierung mit anderen Schiffen hatte versteigern lassen«, berichtete er. »Du kennst sie ja, die schnellen Boote, die uns Amerika während des Krieges geliefert hat. Es liegt für mich voll Betriebsstoff in Torquay bereit. Ich glaube aber nicht, daß wir weiter als bis Bilbao zu fahren brauchen. Uns würde ja auch eine kurze Seereise nichts schaden, denn auch in anderer Beziehung wird uns eine kleine Luftveränderung nur Vorteile bringen.« Er lachte, und Paul stimmte in sein Gelächter ein. Als sich beide wieder beruhigt hatten, fuhr Anthony fort:

»Lebensmittel und alles, was wir nötig haben, befindet sich an Bord. Sogar Marineuniformen habe ich besorgt, wenn wir sie vermutlich auch nicht brauchen werden. Pässe mit Visen für Spanien sind gleichfalls vorhanden.«

Paul seufzte. Er wußte, daß in letzter Zeit die Polizei auf ihr Treiben aufmerksam geworden war und daß unter Umständen Schwierigkeiten für sie entstehen konnten. Anthony hatte sich viele zu Feinden gemacht. Zweimal war er von seinen Opfern gesehen worden. Was lag näher als der Gedanke, daß man gegen ihn etwas zusammenbrauen würde? Aber – er hatte nicht nur Feinde, sondern auch Freunde: Freunde, die er sich durch seine Freigebigkeit erworben und gehalten hatte. Paul und Sandy, sein Bursche während des Krieges, wurden von ihm so reichlich mit Geld versehen, daß sie es vorzogen, ihr Los mit dem seinen zu verknüpfen, statt sich regelmäßig Beschäftigung zu suchen. Diener, Kammerdiener oder Sekretär, wie immer man ihre Stellung zu Anthony bezeichnen mochte – sie blieben ihm treu.

Am selben Morgen war Paul nach Torquay gefahren, um dort Ereignisse abzuwarten, von deren Entwicklung er nicht die geringste Ahnung hatte. Der Preller hatte ihn zwei Stunden lang allein gelassen, um seinen U-Boot-Jäger, den ›Flying James‹, noch einmal zu überholen.

»Vorläufig habe ich genügend Geld«, meinte Anthony, »so daß wir uns deswegen wohl kein Kopfzerbrechen zu machen brauchen. Lauter amerikanisches, das ja überall ohne weiteres genommen wird.« Plötzlich unterbrach er sich, als sei ihm eben ein unangenehmer Gedanke gekommen. »Ich habe, glaube ich, eine Dummheit gemacht, Paul«, sagte er endlich. »Ich habe das ganze Geld im Schließfach.«

»Warum machst du dir Sorgen?«

»Ich hatte keine Zeit mehr, es an einem sicheren Ort unterzubringen«, erklärte der Preller. »Bei der Sorglosigkeit, mit der ich bisher zu meinem Gelddepot ging, habe ich ganz vergessen, daß mich Meg ja auch einmal verfolgen lassen und herausbekommen könnte, wo ich meinen Raub aufbewahre.« Er lachte. »Schwamm drüber! Was mache ich mir überhaupt Kopfzerbrechen über sie; Meg ist nicht so intelligent, wenn sie auch scharf wie eine Rasierklinge sein mag.«

»Jedenfalls wird sie klüger sein müssen als die Bankleute«, meinte nun auch Paul. »So schnell geben die einem Unbekannten keine Gelegenheit, an das Vermögen der Kunden heranzukommen.«

Die beiden setzten sich zu dem von Sandy bereiteten Mahl, aber Anthony war immer noch schweigsam. Was mochte jenes Mädchen mit den hübschen grauen Augen machen, die, ungeachtet der ihr drohenden Gefahr, ihn an jenem Abend im Garten Megs gewarnt hatte? Der Preller hatte einen seiner Vertrauten zu ihr gesandt mit der Bitte, ihre gegenwärtige Stellung bei Miss Morrison aufzugeben und sich ihm anzuvertrauen. Paul wußte von diesem Brief nichts, aber auch Anthony konnte nicht ahnen, daß seine Warnung an Miss Stillington in falsche Hände, und zwar in Megs Hände, gefallen war.

Er setzte sich am nächsten Morgen zum Frühstück nieder, ohne die Ahnung kommenden Unheils von sich weisen zu können. Paul bemerkte seine nachdenkliche und sorgenvolle Miene, sagte aber nichts. Als Sandy die Speisen hereinbrachte, legte er eine Zeitung auf den Tisch.

»Das geht mir doch über die Hutschnur«, meinte er.

»Was regt dich denn so auf?« fragte ihn Anthony, der auf alles vorbereitet war.

»Hier, hast du die Todesanzeige gelesen, deine eigene Todesanzeige, Anthony?«

»Zeig her!« Er nahm Sandy die Zeitung ab.

Smith. Anthony Smith, 24 Jahre alt, verschied plötzlich nach kurzer Krankheit in seiner Wohnung, 409 Balham Road, Brixton. Die Zeitungen in den Kolonien werden gebeten, diese Nachricht nachzudrucken‹

Der ›Tote‹ legte das Blatt stirnrunzelnd auf den Tisch.

»Wie geisterhaft mich das anmutet«, sagte er. »Ich möchte nur wissen, was man mit diesem Inserat erreichen will.«

»Ruf doch den Verleger an«, riet Paul. »Er soll ein sehr netter Mann sein.«

»Ja, ich werde ihn aufsuchen, sobald wir hier mit dem Frühstück fertig sind«, erklärte Anthony. »Vielleicht kann er uns auf die Spur bringen.«

»Kann ich dir irgendwie behilflich sein?« erkundigte sich Sandy, der immer dabei war, wenn irgend etwas aufregend zu werden versprach. Den Hieb, den ihm ›Löwenzahn‹ versetzt hatte, hatte er schon lange vergessen.

»Nein, gegenwärtig nicht«, gab sein Chef zurück. »Wenn ich dich brauche, sage ich es dir schon.«

Paul fuhr Anthony im Wagen zu der Redaktion der Zeitung, die die Todesanzeige gebracht hatte, und wartete unten, während sich der Preller nach den Einsendern der Todesnachricht erkundigte. Man konnte ihm die erbetene Auskunft nicht geben, denn das Inserat war bei einer der Filialen der Zeitung aufgegeben worden. Als sich Anthony wieder zu seinem Auto zurückbegab, begegneten ihm zwei, anscheinend der Arbeiterklasse angehörige Männer, die, unter dem Bann des zu reichlich genossenen Alkohols, in einer lauten Auseinandersetzung begriffen waren. Plötzlich hob der eine von ihnen die Hand und schlug seinem Gegner ins Gesicht. Nach dem Schlag trat er zurück, um zu entkommen, und stolperte dabei über Anthony.

»Verzeihung, Sir«, rief der Trunkene aus. »Sie waren doch Zeuge, nicht wahr, daß jener mich zuerst anzugreifen versuchte?«

Anthony schob ihn zurück.

»Schade, daß er Ihnen nicht einen richtigen Hieb versetzt hatte, ehe Sie Gelegenheit fanden, mich mit Ihren genagelten Sohlen auf meine Füße zu treten«, gab er zurück. Die beiden Streitenden gingen weiter.

»Fahren wir nach Brixton zurück?« erkundigte sich Paul. Sein Freund nickte.

»Ja, es wird besser sein, auch wenn unseres Bleibens dort nicht mehr lange sein wird.«

»Warum?«

»Weil uns unsere Freunde bereits auf den Fersen sind. Verdammt noch einmal, mir gefällt diese Sache ganz und gar nicht.«

»Glaubst du, sie hat die Todesanzeige aus Ulk oder als Warnung an uns eingesetzt?«

Der Preller schüttelte den Kopf.

»Keines von beiden«, meinte er. »Sie macht derartige Sachen nicht ohne triftigen Grund.«

Als sie am ›Elephant and Castle‹ vorbeifuhren, vermißte Anthony seine Uhr.

»Sie ist verschwunden«, rief er Paul zu. Mit einem Fluch setzte er hinzu: »Was bin ich doch für ein Esel! Der ganze Streit war für mich inszeniert.«

»Was meinst du?« fragte der Freund überrascht.

»So schnell wie möglich zur Bank!« befahl sein Freund. »Der Schlüssel meines Bankschließfaches hing an der Uhrkette, und die verdammte Bande wußte das!«

Der Wagen wendete und raste über die Westminster Bridge zur Bank zurück. Als sie die Straße erreichten, in der das Bankgebäude stand, sahen sie von weitem, wie ein Auto eben um die nächste Straßenecke verschwand. Der Pförtner, der Anthony kannte, stand, als er seiner ansichtig wurde, wie vom Schlage getroffen still.

»Aber – aber – Sir?« stotterte er. »Ich dachte ...?!«

»... ich sei gestorben, nicht wahr? Ich möchte den Geschäftsführer sprechen. Wo ist er? Schnell, schnell!«

Er wurde sofort vorgelassen. Auch dieser Beamte konnte sein Erstaunen nicht ganz verbergen.

»Mr. Smith? Wo kommen Sie denn her? Ich dachte ...«

»... ich sei gestorben, nicht wahr?« wiederholte Anthony zum zweitenmal dieselbe Frage. »Was ist denn hier los?«

»Vor kaum fünf Minuten kam der Anwalt, dem Sie die Verwaltung Ihres Nachlasses übergeben hatten, mit allen Dokumenten und Schlüsseln hierher, öffnete Ihr Fach und nahm alles mit, was darin war.«

»So, so?!« meinte Anthony gedehnt.

»Die Sache stimmt wohl nicht ganz, Sir? Diebstahl?« erkundigte sich der Bankdirektor.

»Ja, aber Sie brauchen die Polizei nicht damit zu belästigen, Sir«, beruhigte ihn der Preller. »Ich werde alles selbst viel besser erledigen.« Er verließ die Bank und stieg wieder in seinen Wagen.

»Alles gestohlen«, teilte er Paul mit. »Jeder Cent ist weg.«

»Milwaukee Meg, nicht wahr?«

»Ja, sie hat das wirklich bewunderungswürdig arrangiert«, konnte Anthony sich nicht verkneifen, der Feindin ein Lob zu zollen. »Der Anwalt wurde natürlich von einem ihrer Komplizen gespielt; das Inserat sollte den Bankdirektor auf meinen Tod aufmerksam machen und ihn auf den Besuch meines Testamentsvollstreckers vorbereiten. Er erscheint mit Schlüssel und allen Dokumenten, stellt sich als Anwalt vor und schleppt alles weg. Vorzüglich, wirklich sehr gut gemacht. Aber jetzt, meine sehr verehrte Miss Morrison, alias Mrs. Yonker, alias Milwaukee Meg – jetzt nimm dich vor mir in acht.«

Er gab die Fahrt nach Brixton ganz und gar auf. Ein kleines Zimmer, das er als Büro eingerichtet hatte, um für alle Fälle gerüstet zu sein, mußte ihm auch heute dazu dienen, die Verkleidung anzulegen, die er für seine Mission brauchen würde. Nach allen Seiten gingen Telegramme ab; ein Anruf in der Wohnung Megs ergab, daß sie bereits vor zwei Tagen, unbekannt wohin, abgereist sei. Schon am nächsten Morgen erhielt der Preller Auskunft über ihr Fahrtziel, denn die Post brachte ihm einen Brief, auf Papier des Dampfers ›Obo‹ geschrieben.

›Mein lieber Mr. Smith‹, lautete das Schreiben. ›Wir befinden uns auf dem Weg nach Südamerika. Sie würden keine Schwierigkeiten haben, uns verhaften zu lassen, denn unser Schiff hat drahtlose Telegrafie. Vielleicht überlegen Sie es sich, ehe Sie die Polizei unterrichten, denn was würden Sie antworten, wenn man Sie fragte, wo Sie all das Geld, das Ihnen gestohlen worden ist, herhaben? In unserer Begleitung befindet sich das wirklich nette, junge Mädchen, das so sehr Ihre Bewunderung erregt zu haben scheint. Der rührende Brief, den Sie ihr schrieben, befindet sich in meinem Besitz oder vielmehr in dem Mr. van Deahys, der ebenso wie Sie sich außerordentlich für die junge Dame interessiert. Vielleicht treffen wir uns einmal in Südamerika. Dann werde ich die Ehre haben, Ihnen mitzuteilen, wie wundervoll einfach der ganze Film abrollte, der Ihnen Ihr gesamtes Vermögen kostete. Ihre wirklich sehr ergebene Milwaukee Meg.‹

Anthony las den Brief zweimal und reichte ihn erst dann seinem Freund.

»Was soll denn nun werden?« erkundigte sich Paul, nachdem er das Schreiben gelesen hatte.

»Warte!« Anthony rief Sandy. »Fahre, so rasch du kannst, zur Südamerikanischen Dampfschiffahrtsgesellschaft, Sandy«, gebot er ihm, »und suche ausfindig zu machen, welche Kabinen diese Bande belegt hat. Bring mir, wenn möglich, auch einen Kabinenplan des Schiffes. Wenn Miss Stillington wirklich mitgefahren ist, dann muß Meg ihren Namen ›Miss Morrison‹ beibehalten haben. Erkundige dich also nach ihr unter diesem Namen.«

Als sich Sandy auf den Weg gemacht hatte, blätterte Anthony in Lloyds Register.

»Die ›Obo‹ fährt zwölf Knoten und verließ Southampton gestern nachmittag um drei«, unterrichtete er Paul. »Hast du bemerkt, wie schön sie sich alles ausgerechnet hatte? Jetzt ist es neun; um elf Uhr dreißig fährt der nächste Zug nach Torquay. Der englische ›Riviera Expreß‹. Nein, es besteht kein Grund, sich zu sorgen.«

»Was beabsichtigst du zu unternehmen?« erkundigte sich sein Sekretär.

»Nach Bilbao zu fahren. Ehe wir aber dorthin gelangen, wird sich noch verschiedenes ereignen.«

»Hast du denn Geld? Meg hat dir doch alles weggenommen. Wenn du etwas brauchst ...«

»Nein, danke. Alles hat sie doch nicht erwischt. Ich habe immer noch etwa tausend Pfund auf der Bank liegen und werde, ehe ich sie noch verbrauchen kann, mehr haben. Ich werde einen Barscheck ausschreiben, und du kannst für mich das Geld holen.«

Nach einer halben Stunde brachte Sandy die erwarteten Berichte.

»Den Wagen kannst du in die Garage fahren, Sandy«, gebot ihm Anthony. »Um elf Uhr dreißig erwartest du mich in Paddington, rechtzeitig, um den Zug nach Torquay zu erreichen.«

Paul brachte das Geld. Dann begaben sie sich zum Bahnhof. Während der ganzen Fahrt nach Westengland sprach Anthony kaum ein Wort. Er brachte die meiste Zeit mit dem Studium von Fahrplänen und dem Kabinenplan des Dampfers ›Obo‹ zu. Um sieben Uhr abends kamen sie in Torquay an; es wurde jedoch neun, ehe sie den Mann, in dessen Obhut sich das Boot befand, ausfindig gemacht hatten. Endlich war das Boot seefertig.

Anthony übernahm den Motor, und der U-Boot-Jäger nahm mit leisem Keuchen seine Fahrt seewärts auf. Erst als sie die offene See erreicht hatten, brach Anthony das Schweigen.

»Diese Marineuniformen werden uns sehr zustatten kommen«, meinte er. »Ich glaube, die ›Obo‹ werden wir gegen Tagesanbruch sichten. Zieh dich so marineecht wie möglich an, Paul, denn du sollst als mein Erster Offizier auftreten. Sandy ist Obermaschinist. Mach die Flaggen fertig zum Signalisieren. Hast du das Signalcodebuch zur Hand, Sandy?«

»Jawohl«, entgegnete Sandy und trank in aller Ruhe seinen Kakao aus.

»Steuere dem Eddystone Leuchtturm zu. Mehr südlich. Dort wollen wir uns bis zur Dämmerung aufhalten. Wenn ich richtig gerechnet habe, werden wir bald drei Schiffe auftauchen sehen: die ›Arizona‹ nach New York, den Tramp ›Carpeto‹ und die ›Obo‹, nach Südamerika bestimmt. Ich habe mich in Lloyds Register genauestens unterrichtet und ausfindig gemacht, daß diese drei die einzigen Schiffe sind, die wir sichten werden.«

Um zwei Uhr morgens tauchte die ›Arizona‹ am Horizont auf. In der nächtlichen Stille war das Arbeiten ihrer Maschinen deutlich zu hören. Um drei zeichnete sich die ›Carpeto‹ am östlichen Horizont ab. Nach einer halben Stunde stand wieder eine Rauchwolke am Horizont: Die ›Obo‹ war aufgetaucht.

»Los, Sandy, bleib mit ihr parallel. Wir müssen sie bis heute abend im Auge behalten. Sie wird dann ungefähr in der Nähe von Land's End sein.«

Sie folgten dem Schiff den ganzen Tag über und riefen es gegen Nachmittag an, als die See von anderen Fahrzeugen frei war. Gleich darauf antwortete die ›Obo‹, und Anthony sandte ihr den Befehl: »Legen Sie bei! Wir kommen an Bord.«

Er sah aus wie ein wirklicher Kapitänleutnant. Vom Mast seines Fahrzeugs flatterte die Kriegsflagge. Gehorsam unterbrach die ›Obo‹ ihre Fahrt, und wenige Minuten später legte der U-Boot-Jäger an ihrer Seite an. Anthony rannte die ausgeworfene Leiter hinauf und begrüßte den ihn erwartenden Kapitän.

»Sie haben Passagiere an Bord, Sir«, sagte er diktatorisch. »Ich muß die Leute sehen und mit ihnen sprechen.«

»Die einzigen Passagiere, die wir an Bord haben, Sir«, entgegnete der Kapitän, »sind zwei Damen und ein Herr, die erst im letzten Augenblick an Bord kamen. Der Herr ist ein Freund unseres Reeders, sonst hätten wir die Leute, da wir vollbeladen sind und keine Passagiere nehmen, gar nicht mitgenommen. Was wollen Sie denn von ihm?«

»Er ist spionageverdächtig«, gab Anthony zurück, obwohl der Krieg seit Jahren beendet war.

»Sie sind im Salon«, berichtete der Kapitän. »Sie trinken gerade ihren Tee. Die eine junge Dame ist seekrank.«

»Eine bleiche, kaum den Kinderschuhen entwachsene Dame?« erkundigte sich Anthony.

»Ja, Sir. Ich werde Ihnen den Weg zeigen.«

Die Tür zur Kabine Miss Stillingtons war verschlossen.

»Hier wohnt die junge Dame, Sir. Ich glaube, sie ist ein bißchen ...« Er zeigte auf seine Stirn.

»Ich verstehe, aber ich muß sie trotzdem sprechen, denn sie ist es, hinter der ich her bin.«

Er warf sich gegen die Füllung, die seinem Ansturm nachgab. Das Mädchen lag in der Koje, sprang jedoch, als sie des Eindringlings ansichtig wurde, überrascht auf.

»Bitte, übernehmen Sie einen Augenblick die Bewachung der jungen Dame, Herr Kapitän«, bat der Preller. »Ich möchte die Kabinen der anderen beiden Passagiere durchsuchen.«

Die Durchsuchung wurde eingehendst durchgeführt. In der Koje Milwaukee Megs fand Anthony eine Stahlkassette, die er mit einem merkwürdig geformten Schlüssel öffnete. Er entnahm ihr eine Brieftasche, die er zärtlich in seine Tasche schob. Dann begab er sich zum Kapitän zurück.

»Bitte lassen Sie durch einen Ihrer Leute die junge Dame in mein Schiff bringen«, bat er ihn. Der Kapitän lächelte verstohlen, als er die Bezeichnung ›Schiff‹ für das Motorboot hörte, das an der Seite des großen Bruders auf den Wellen wie eine Nußschale auf und nieder tanzte.

»Ich werde mich jetzt einmal nach den anderen Passagieren umsehen«, meinte Anthony, als sich Miss Stillington auf dem Weg ins Boot befand.

Beim Abstieg in den Speisesaal begegneten ihm Milwaukee Meg und van Deahy. Das Mädchen wurde schneeweiß, als sie den Revolver bemerkte, den der Preller auf sie gerichtet hielt.

»Ich suche Sie«, verkündete ihr der Feind, »und bin weit hergekommen, um Sie zu treffen.«

»Dieser Mann ist ein Schwindler, Sir«, wandte sich Meg an den Kapitän. »Bitte schützen Sie mich.«

Anthony hatte keinerlei Absicht, Meg mit sich zu nehmen, verriet dies aber mit keiner Silbe.

»Haben Sie einen Haftbefehl, Sir?« erkundigte sich der verwirrte Kapitän.

»Nein. Ich ließ ihn versehentlich in Devonport liegen.«

»Ohne einen Haftbefehl kann ich Ihnen die Dame nicht übergeben«, erklärte der Schiffsführer.

»Er hat mich bestohlen, Sir, lassen Sie ihn nicht weg.«

Der Kapitän kratzte sich verlegen den weißen Kopf.

»Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll«, meinte er ratlos. »Ich werde mich drahtlos erkundigen, was geschehen soll.«

»Ich rate Ihnen«, sagte Anthony energisch, »nach Plymouth zurückzufahren.« Er wußte, daß der Kapitän das nicht ohne großen Zwang tun würde. »Hier ist meine Karte.«

Er händigte dem anderen die Visitenkarte ein. Widerwillig nahm sie der Kapitän entgegen. Ehe er noch bemerkte, was vorging, hatte sich Anthony umgedreht und raste nun über das Deck der Leiter zu, die in sein Boot führte.

»Los!« befahl er Sandy.

Miss Stillington saß auf einem Deckstuhl vor der Kabine, als der Preller auf das Deck seines Schiffes zurücksprang.

»He, Sir, dort unten! Kommen Sie sofort zurück!«

Es war der Kapitän, der ihm den Befehl nachgebrüllt hatte. Neben ihm stand Meg, die erregt auf ihn einsprach. Ihre Bewegungen sagten deutlicher als Worte, was der Inhalt ihrer Ausführungen war. Sandy hatte den Motor angeworfen, und die beiden Schiffe entfernten sich rasch voneinander. Paul, den Kopfhörer am Ohr, grinste über das ganze Gesicht.

»Die ›Obo‹ ruft Plymouth an«, berichtete er.

»Funke dazwischen«, befahl ihm Anthony und drehte das Steuer, bis sein Schiff die Nase direkt nach Süden gerichtet hielt.


 << zurück weiter >>