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Wie ein Fuchs in die Falle ging

»Die Wohnung Mr. Heimers, 940 Parkside, Wimbledon, wurde gestern von einem Einbrecher heimgesucht. Schmuckstücke im Wert von etwa viertausend Pfund Sterling werden vermißt. Die Polizei ist der Meinung, daß auch dieses Verbrechen auf einen Einbrecher zurückgeführt werden muß, der in Diebeskreisen unter dem Spitznamen ›Der Löwenzahn‹ bekannt ist. Das ist der siebente Einbruch in einem einzigen Monat. Die Methoden des Einbrechers waren in allen gemeldeten Fällen die gleichen. Er dringt ein, während die Hausbewohner beim Essen sitzen ... und so weiter und so weiter.«

»Und was sollen diese ›und so weiter‹ besagen?« erkundigte sich Paul, als Anthony die Vorlesung unterbrach.

»Nicht viel«, erwiderte der Preller. »Was hältst du von der Sache?«

»Meinst du, von den Einbrüchen oder von Mr. ›Löwenzahn‹ selbst? Nun, ich glaube, daß er ein sehr schlauer Fuchs ist. Das einzige, was mir bei seinen Methoden auf die Nerven fällt, ist die Gewohnheit, irgendeinem unglücklichen Dienstmädchen, das ihm bei seiner Arbeit über den Weg läuft, eins mit einem Knüppel zu versetzen.«

»Ja, klug ist er, gleichzeitig aber auch brutal«, meinte Anthony nachdenklich. »Diese Brutalität bezeugt, daß er kein sehr intelligenter Mensch sein kann, Paul Nebenbei gesagt, stimmt das, was die Zeitung angibt, nicht ganz. Nicht der siebente, sondern bereits der neunte Einbruch kommt auf sein Konto. In allen Fällen, die ich von Anfang an verfolgt habe, ist sein Trick, sein Köder, derselbe.«

»Ein Köder?« Paul war offensichtlich überrascht. »Deshalb also hast du dich mit einer solchen Ausdauer in die alten Zeitungen vertieft?«

Anthony nickte. Seit drei Tagen hatte er mit einer Sorgfalt, die einer wichtigeren Sache würdig gewesen wäre, alle Zeitungen durchgelesen, die seit Monatsfrist erschienen waren.

»Merkwürdige Dinge sind mir aufgefallen«, fuhr er fort. »Jedesmal, wenn ein Einbruch gemeldet wurde, fand sich in den einige Tage früher erschienenen Tageszeitungen in der ›Gesellschaftsrubrik‹ eine kleine Notiz mit der Mitteilung, daß Mr. und Mrs. Soundso an dem und dem Tag in ihrer Wohnung dort und dort eine Gesellschaft, einen Tanztee oder sonst etwas Ähnliches veranstalten würden. Vorige Woche brachte der ›Daily Megaphone‹ etwas von einer demnächst bei Mr. Heimer stattfindenden Gesellschaft und erwähnte dabei die wunderbare Smaragdsammlung, die der Gastgeber sein eigen nennt, oder vielmehr bis gestern abend nannte.«

»Und welche Gedankengänge löste diese Kenntnis bei dir aus?«

»Verschiedene. Der eine betrifft die Geistesverfassung des Einbrechers. Er scheint ein vorzüglicher Psychologe zu sein, der mit der Eitelkeit seiner begüterten Mitbürger rechnet und sie sich zunutze macht. Er geht von dem sehr richtigen Standpunkt aus, daß ein Mensch, der sich seines Vermögens brüstet, auch ein leichtsinniger Hüter seiner Schätze sein müsse. Hast du jemals gelesen, daß sich die Rothschilds oder die Vanderbilts über die Größe ihrer Vermögen interviewen lassen? Nein, bestimmt nicht. Sie werden demzufolge auch nicht beraubt werden. Andererseits gibt es eine gewisse Menschenklasse, meist sind es Neureiche, die es sich nicht verkneifen können, täglich der staunenden Welt Zu verkünden, daß sie soundso viel Geld oder wertvolle Juwelen im Haus liegen haben. Auf dieser Linie arbeitet unser Mr. Löwenzahn. Ich habe herausgefunden, daß bei allen Einbrüchen gerade die Stücke aus den Schätzen der Bestohlenen fehlen, die einige Tage vorher von den Opfern den Berichterstattern gegenüber als besonders wertvoll erwähnt worden waren. Nur die Sachen, die herumlagen und ohne besondere Mühe greifbar waren, hat er mitgenommen. Du weißt ja, daß es leichter ist, dem Verwalter eines Kunstmuseums Uhr und Kette zu klauen als das in seiner Verwahrung befindliche Königsszepter von 1490. Auf dieses konzentriert sich die Aufmerksamkeit des berufenen Hüters, während er den Diebstahl seiner eigenen Schmuckstücke gar nicht in Erwägung ziehen und deshalb auch nicht merken würde, ehe es zu spät ist.«

Anthony schwieg. Nachdenklich klopfte er taktmäßig auf die Lehne seines Klubsessels.

»Ich habe aber auch noch andere Theorien, doch von ihnen will ich später sprechen. Weißt du, daß ich die größte Lust hätte, mit unserem Mr. Löwenzahn einen Gang zu wagen? Gewiß, man würde ein Anlagekapital brauchen, aber der Versuch wäre das Geld wert. Gib mir mal die Zeitung! Danke! Hier sind die Inserate; sieh bitte einmal nach, ob du ein passendes Haus, möbliert und in der Nähe von Ascot gelegen, inseriert finden kannst. Etwa fünfzehn bis sechzehn Pfund wöchentlich Miete wäre mir nicht zu hoch. Die Dienerschaft muß aber mitgemietet werden können. Ich stelle mich dir hiermit als Mr. Machilatos, einen reichen griechischen Sonderling, vor. Sandy wird mich begleiten, während du zu meiner Verfügung stehen wirst. Du wirst dem neu zu gründenden Haushalt also nicht angehören, das heißt, daß ...«

»... ich in einem kleinen, obskuren Hotel wohnen und mit allen möglichen Leuten die Gewinnchancen der Ascot-Rennen besprechen soll, nicht wahr?« vervollständigte Paul den Satz und verzog sein Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse.

»Du wirst aber wenigstens die innere Befriedigung empfinden, daß die Leute, mit denen du dich unterhalten wirst, keine Ahnung haben, wer und was du bist. Darin bist du ihnen gegenüber im Vorteil, denn du weißt, wer sie sind«, gab der Preller zurück.

In der Zeitung waren drei Inserate, die für Anthonys Zweck in Frage kamen. Ein Haus in Bagshott und eines in der Nähe von Goodwood schienen passend. An die Vermieter oder deren Agenten sandte Anthony noch am selben Abend Telegramme.

Beim Abendbrot sagte er zu Paul:

»Du, höre, dieser Agent ist wirklich ein Mensch, der kein Gras unter seinen Füßen wachsen läßt.«

»Agent?« Verwundert blickte Paul den Freund an. »Wen meinst du?«

»Ich depeschierte an den Vermieter von Bagshott. Ich habe schon seinen Bescheid. Er bittet mich, ihn morgen früh, gleich nach dem Frühstück, aufzusuchen oder ihn hier zu empfangen. Ich hatte die Sache für viel schwieriger gehalten. Übrigens hätte ich mir mein Inserat ersparen können.«

»Was soll denn das nun wieder heißen? Welches Inserat?«

»Geduld, mein Freund«, gab Anthony zurück. »In ein paar Tagen sollst du alles erfahren.«

Der Agent des Hausbesitzers von Bagshott erschien am nächsten Morgen, während der Preller sich noch sein Frühstück schmecken ließ. Er warf einen Blick auf die ihm vom Diener gereichte Karte. »Mr. Roland Robyns«, las er.

Mr. Robyns war das Muster eines modernen Kaufmanns, der keine Zeit zu verlieren hat, liebenswürdig, elegant und ein wenig gesprächig.

»Ich glaube, Sir«, meinte er auf eine Frage des künftigen Mieters, »daß das Haus für den Betrag, den ich Ihnen als Miete zu berechnen hätte, halb geschenkt ist. Außerdem dürfte es gerade für Sie wundervoll passen. Sie sind Invalide, Sir, nicht wahr?«

»Leider, ja«, gab Anthony wehmütig zu.

Er saß, in Erwartung des Besuchs Mr. Robyns' noch im Schlafrock am Frühstückstisch und machte, bleich geschminkt und in sich zusammengesunken, wirklich den Eindruck, krank zu sein.

»Für Sie würde, wie ich Ihnen schon sagte, das Haus außerordentlich günstig sein«, fuhr Mr. Robyns fort. »Die Luft ist wie Sekt, und ... die Miete außerordentlich niedrig.«

Sie war es auch wirklich. Der Preller war aber von der Geringfügigkeit des Betrages kaum so überrascht, wie Mr. Robyns vermutet haben mochte, denn er ahnte ja den Zweck, den man mit der niedrigen Miete erreichen wollte.

»Wenn das Haus wirklich so nett ist, wie Sie sagen«, gab Anthony zurück, »würde ich selbstverständlich sofort mieten und schon morgen meinen Diener hinschicken.«

»Ich kann ihn selbst mitnehmen, Sir, wenn Sie wünschen«, erbot sich der Agent. »Er kann mich morgen vormittag um elf im Waterloo-Bahnhof treffen.«

Der Preller nickte zustimmend. Als der Besucher endlich gegangen war, klingelte er. Sandy erschien.

»Vergiß nicht«, mahnte er ihn, »daß ich Invalide bin und du so eine Art männliche Krankenschwester. Robyns erwartet dich auf dem Bahnsteig, und ich glaube kaum, daß du ihn nicht erkennen wirst. Er trägt eine Gardenie im Knopfloch und hat den elegantesten Zylinder auf, den ich seit langer Zeit habe bewundern dürfen.«

»Hoffentlich will er nicht von mir wissen, was dir fehlt«, meinte Sandy, der sich vor den erwarteten Fragen Mr. Robyns' fürchtete. Das Gegenteil traf ein. Der Agent bestritt die Kosten der Unterhaltung beinahe allein. Er schien einen großen Respekt vor den Mitgliedern des englischen Adels zu haben, denn er kam während seines Gesprächs immer wieder auf die zahlreichen Bekannten zurück, die er angeblich in den höheren Gesellschaftskreisen hatte.

»Ihr Herr scheint vermögend zu sein«, klopfte er auf den Busch.

Sandy gab es unumwunden zu.

»Ich dachte mir's schon«, meinte der andere.

Am selben Abend erstattete Sandy dem Preller Bericht.

»Du kannst das Haus, wenn du willst, sofort beziehen. Es ist dort wirklich herrlich, und der Mann mit dem Zylinder hat nicht gelogen, als er behauptete, es sei eine nicht wiederkehrende Gelegenheit.«

Vierzehn Tage später erschien in allen wichtigeren Londoner Tageszeitungen folgende Verlustanzeige:

VERLOREN:

›Ein kleiner Karton, enthaltend zwanzig gleichgroße Perlen. Verlustort wahrscheinlich zwischen Waterloo- und Ascot-Bahnhof. £ 500.– Belohnung dem ehrlichen Finder, wenn er das Päckchen an Mr. Machilatos, Holly Heath Lodge, Bagshott, Ascot, abliefert.‹

Eine Unmenge Leute, darunter die Polizei von Ascot, schienen sich für dieses Inserat höchlichst zu interessieren. Als die Vertreter der Polizei in Holly Heath Lodge erschienen, erfuhren sie dort, daß der Verlierer an chronischem Asthma leide und niemand empfangen könne. Sein Kammerdiener, unstreitig schottischer Abstammung, erklärte jedoch den Besuchern, daß Mr. Machilatos keineswegs den Geldverlust, sondern nur den Verlust an sich bedaure, denn er sei ein leidenschaftlicher Juwelensammler, der sich hauptsächlich auf Perlen verlegt habe. Die Polizei sei deshalb von dem Verlust nicht benachrichtigt worden, weil der kranke Herr nicht gewünscht habe, die Polizei mit seinen Angelegenheiten unnötig zu belästigen. Nein, die Bahn treffe keine Schuld.

Auch der unvermeidliche Zeitungsberichterstatter sprach vor, Mr. Machilatos empfing ihn persönlich und gab ihm mit leiser Stimme in seinem gebrochenen Englisch die gewünschten Auskünfte.

»Er wird anbeißen«, meinte der Invalide, als der Reporter gegangen war. Dann brannte er sich eine Zigarre an. »Mr. ›Löwenzahn‹ wird den Angelhaken, den ich ihm durch die Zeitung hinhalte, schlucken wie ein gefräßiger Hecht.«

»Was willst du denn mit dem ›Löwenzahn‹ anfangen, wenn du ihn in die Finger bekommst?« erkundigte sich der neugierige Sandy.

Sein Herr lächelte grimmig.

»Er wird der Ariadnefaden werden, der mich zu seinem vergrabenen Schatz führt. Fünfzig Prozent aller seiner bisherigen Beute für mich.«

»Und wenn er dich nicht hinführt?« fragte der Schotte gespannt.

»Zerbrich dir nicht unnötig den Kopf, Sandy. Er wird mich führen.«

Zwei, drei, vier, fünf Tage vergingen, ohne daß Mr. ›Löwenzahn‹ auch nur das geringste Lebenszeichen von sich gegeben hätte. Anthony hatte Befehl gegeben, die Salonfenster auch bei Nacht offenzulassen, um dem erwarteten Besucher das Eindringen so bequem wie nur möglich zu machen. Er selbst hatte sich täglich auf den Rasen vor das Haus fahren lassen, um etwaigen Beobachtern die Gewißheit zu geben, daß er wirklich krank sei. Die Woche verging, und Anthony wurde schon ungeduldig.

»Ich habe es bald satt, den Kranken zu spielen, Paul«, beklagte er sich, als ihn sein Gehilfe gegen Mitternacht, wie vereinbart, besuchte. »Ich will noch ein paar Tage warten, und wenn er dann noch nicht gekommen ist, werde ich den Fall aufs Verlustkonto schreiben und ihn aufgeben. Ich habe die Sache nicht besonders gut arrangiert. Ich hätte erst die Verlustanzeige einsetzen und dann dies Haus mieten müssen.«

»Warum?«

»Vollkommen falsche Taktik«, meinte der Preller kopfschüttelnd. »Ich sehe das jetzt erst richtig ein.«

Gegen neun Uhr begab er sich in sein Zimmer. Er ließ Sandy unten zurück. Es war die dem Besuch Pauls folgende Nacht.

Um elf wollte er Sandy ablösen, aber der lehnte ab.

»Nein, laß nur«, widersprach er. »Ich bin noch gar nicht müde. Außerdem ist Mr. Wensley« – unter diesem Namen wohnte Paul im Hotel – »in der Nähe und möchte vielleicht hereinkommen.«

»Gut«, gab Anthony nach. »Ich werde mich in meinen Lehnstuhl setzen und versuchen, ein wenig einzunicken. Wecke mich, ehe es hell wird. Wir können dann beide schlafen gehen, wie es sich für anständige Leute gehört.«

Er stieg wieder in sein Schlafzimmer hinauf und versuchte zu lesen. Er konnte sich nachher nicht erinnern, besonders müde gewesen zu sein, aber er schlief sofort ein. Das Gefühl zunehmender Kälte weckte ihn. Verschlafen öffnete er die Augen und erkannte die Ursache des kalten Luftstroms, der ihn geweckt hatte. Vor ihm stand ein Mann, dessen untere Gesichtshälfte hinter einem roten Taschentuch verborgen war. In der Rechten hielt der Besucher eine langläufige Pistole, deren Mündung keinen Zentimeter vom Kinn des Schläfers entfernt war. Das Fenster stand offen.

»Regen Sie sich nicht unnötig auf, mein Freund«, sagte der Eindringling. »Vor allen Dingen schweigen Sie, das heißt, wenn Sie noch ein wenig länger leben wollen.«

»Was wünschen Sie?« fragte ihn der Überraschte, der erst jetzt zur vollen Erkenntnis der Lage kam.

»Nur einige der Juwelen, die Sie mit solchem Sammeleifer zusammengetragen haben.«

Anthonys Blicke musterten die Entfernung vom ›Löwenzahn‹ zur Tür. Der andere hatte seine Gedanken erraten und lachte.

»Ihr Genosse befindet sich in guter Obhut«, sagte er. »Er wollte mich an der Tür zum Wintergarten abfangen, nicht wahr? Ha, ha! Ich kam nämlich durch die Haustür.«

»Wen bezeichnen Sie als meinen ›Genossen‹?« erkundigte sich der Preller, um Zeit zu gewinnen.

»Ihren Kammerdiener. Schluß mit dieser Unterhaltung! Sie haben doch sicherlich allerhand Werte im Haus, sonst würden Sie wohl kaum einen ständigen Wächter halten, wie?«

»Ja, Diamanten, Smaragden und Perlen«, meinte Anthony ironisch. »Wollen Sie die Schatzkammer sehen?«

»Sie wollen wohl Spaß machen? Wenn Sie frech werden, lege ich Ihnen einen Maulkorb um. Stehen Sie auf.«

Anthony gehorchte.

»Ehe wir uns weiter unterhalten«, sagte er, »möchte ich von Ihnen wissen, was Sie mit meinem Diener angefangen haben.«

»Ich habe ihm eins versetzt.«

»So? Nun, das ändert die Sache. Ich wollte Sie billig davonkommen lassen.«

»Lassen Sie diesen Unsinn«, drohte der Einbrecher. »Und – sprechen Sie nicht so laut! Wenn nur das Geringste geschieht, was mir nicht paßt, sende ich Sie in den ewigen Schlaf.«

Der Preller lachte.

»Ich habe gar keine Sehnsucht nach den Dienern, die ich mit dem Haus zusammen gemietet habe«, erklärte er. »Los, gehen Sie voran.«

»Nein, führen Sie mich.«

In aller Ruhe erhob sich der Preller und schritt, während ihm der ›Löwenzahn‹ die Mündung des Revolvers auf den Nacken gepreßt hielt, der Tür zu. Er befand sich bereits in deren Nähe, als er sich plötzlich umwandte, dem anderen den Revolver aus der Hand schlug und ihn höhnisch anlachte.

»Lassen Sie mich los!« brüllte der andere auf, nachdem er sich vergebens dem schmerzhaften Zugriff zu entziehen versucht hatte. »Lassen Sie los, verflucht ...«

Da traf ihn Anthonys Faust mit voller Wucht unter das Kinn, und mit einem Schmerzensschrei stürzte er zu Boden. Das erste, was der Sieger tat, war, dem Bewußtlosen die verhüllende Maske vom Gesicht zu reißen. Es war, wie er vermutet hatte, der elegante Mr. Robyns. Es würde einige Augenblicke dauern, ehe der Mann wieder zur Besinnung kommen dürfte. Der Preller raste dem Wintergarten zu, wo Sandy eben wieder zum Bewußtsein erwacht war. In aller Eile berichtete er, was geschehen war.

»Ich habe von dem Schlag gar nichts gefühlt«, erklärte Sandy. »Der Lump muß mich von hinten niedergeschlagen haben.«

»Ich hätte voraussehen können, daß er durch die Haustür kommen würde«, meinte Anthony. »Ich habe diese ganze Sache von Anfang an vermasselt. Kannst du mit hinaufkommen? Ich möchte dich bei seinem Verhör dabei haben.«

»Da kannst du deinen Kopf darauf verwetten«, gab der Mißhandelte zurück. »Wenn es sich darum handelt, dem Mann, der mich so hinterlistig niedergeschlagen hat, die Daumenschrauben anzulegen, bin ich dabei, und wenn ich aus dem Grab steigen müßte.«

Als die beiden eintraten, war Mr. Robyns eben dabei, die Augen aufzuschlagen. Er musterte seine Gegner verwundert.

»Stehen Sie auf!« befahl ihm sein Bezwinger. »Setzen Sie sich dorthin auf jenen Stuhl. Sie werden mir die Fragen beantworten, die ich jetzt an Sie stellen werde.«

»Wollen Sie die Polente holen lassen?« erkundigte sich der vorsichtige Robyns, während er sein schmerzendes Kinn rieb.

»Nein«, beruhigte ihn der Preller. »Vorläufig nicht. Aber die Sore werden Sie mit mir teilen, die Sie bisher auf Ihren Raubzügen gemacht haben, mein sehr verehrter Herr ›Löwenzahn‹. Andernfalls werden Sie etwas erleben, was Ihnen nicht sehr angenehm sein dürfte.«

»Woher wußten Sie, daß ich es war?« fragte der Mann verwundert.

»Daß Sie der ›Löwenzahn‹ waren, wußte ich schon lange. Ich habe ein wenig die Zeitungen studiert, und sie haben mir einiges Wissenswerte verraten. Ein paar Erkundigungen, die ich noch einzog, genügten, um mir klarzumachen, daß alle die Häuser, die bestohlen worden waren, von demselben tüchtigen Hausagenten vermittelt wurden. Wirklich fein hatten Sie das gemacht: Häuser teuer zu mieten, um sie dann billig Ihren Opfern weiterzugeben.«

»Ich habe in das Geschäft über achttausend Pfund stecken müssen«, beklagte sich der andere, schien aber auf seine Klugheit mehr als stolz zu sein.

»Sie hatten sie wohl immer für ein Jahr gemietet, nicht wahr?« erkundigte sich Anthony, der nicht umhin konnte, die Raffiniertheit Robyns' zu bewundern.

Mr. Robyns nickte. »Immer unter einem anderen Namen«, erklärte er. »Ich nahm natürlich nur solche Häuser, deren Besitzer mir das Untervermieten gestatteten. Das Haus in Wimbledon hat mich dreitausend Pfund gekostet, aber da ich wußte, daß Heimer eine derartige Villa suchte, kam ich ihm unter dem Namen ›Jones‹ zuvor. Darin liegt ja mein Trick: ausfindig zu machen, wer ein Haus sucht und natürlich Geld hat. Ich biete ihnen das Gesuchte zu absurd billigen Preisen. Es ist wirklich leichter, als Sie vermuten.« Er warf Anthony einen fragenden Blick zu: »Sie sagten etwas von ›Sore teilen‹?« fügte er mißtrauisch hinzu. »Sie sind doch vielleicht nicht etwa von der Polente?«

»Verdächtigen Sie nicht die arme Polizei«, rügte ihn Anthony streng. »Die Sache ist nur, Mr. Jones oder Mr. Robyns oder Mr. Löwenzahn: Irgendwo hier in der Stadt haben Sie Ihr kleines, aber wohlassortiertes Raublager, nicht wahr? Auch Ihre Bank dürfte etwas von Ihnen auf dem Konto stehen haben, wie? Sie werden sofort einen Scheck – ja, einen Barscheck – ausstellen, und zwar über zwölf tausend Pfund.«

»Warum denn gerade zwölftausend?« verwunderte sich sein Opfer.

»Weil ich die Summe aufgrund sorgfältiger Berechnungen der Erträge Ihrer Raubzüge im letzten Jahr mit insgesamt vierundzwanzigtausend Pfund eingeschätzt habe und mit fünfzig Prozent daran beteiligt sein will. Wenn Sie zahlen, glaube ich, Ihnen versprechen zu können, daß Sie ohne weitere Aderlässe davonkommen werden.« – »Und wenn ich's nicht täte?«

Der Preller lächelte. Er hatte einen Totschläger aus der Tasche gezogen und spielte nun damit. Robyns musterte das Instrument mißtrauisch und ängstlich. Unruhig bewegte er sich auf seinem Platz hin und her.

»Wenn Sie nicht einverstanden sein sollten«, beantwortete nun nach dieser stummen, aber beredten Szene der Preller die an ihn gestellte Frage, »dann wird morgen ein unbestechlicher Polizist ›Mr. Löwenzahn‹ finden, und zwar mit untrüglichen und unleugbaren Beweisen seiner bisherigen, so lohnenden nächtlichen Tätigkeit.«

Mr. Robyns atmete tief auf.

»Na, meinetwegen«, sagte er. »Aber einen Scheck kann ich Ihnen schon deshalb nicht geben, weil ich kein Scheckbuch hier habe.«

»Ich habe eines.« Anthony schloß ein Fach seines Schreibtisches auf. »Hier sind Scheckbücher jeder englischen Bank. Wählen Sie die Ihre aus. Und machen Sie schnell, denn unser Freund hier, den Sie so unsanft behandelt haben, wartet nur auf die Gelegenheit, Ihnen eins auszuwischen.«

Mr. Robyns traf unter den ihm gereichten Scheckformularen seine Wahl; füllte eines aus und unterschrieb.

Dann reichte er es finster seinem Peiniger. Anthony las es sorgfältig.

»Schön. Ein Barscheck. Sie dürfen nun hinauf in die Dachkammer. Sie werden ja wissen, wo sie liegt. Sandy, versperr die Tür hinter ihm und gib ihm, wenn er frech wird, eins auf den Schädel. Sie werden dort oben bleiben«, wandte er sich an seinen Gefangenen, »bis wir das Geld geholt haben.«

Mr. Robyns erhob sich und folgte dem rachedürstenden Sandy, der vorsorglich den Totschläger bereit hielt.

»Warten Sie mal einen Augenblick«, hielt ihn Anthony zurück, als Robyns schon die Schwelle überschreiten wollte. »Sie könnten mir die Adresse Ihres Hutlieferanten mitteilen: Ihr Zylinder imponiert mir, und ich möchte mir einen gleichen anschaffen.«


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