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15

Sie ließen im Hotel Nachricht für Faith zurück, daß sie nach ihrer Rückkehr unter keinen Umständen das Hotel wieder verlassen sollte. Außerdem wurde vereinbart, daß der Portier sofort ihre Ankunft telefonisch nach Scotland Yard melden sollte.

Die beiden fuhren mit einem Taxi zum Polizeipräsidium, dann zu dem Haus in der Charles Street. Blessington klopfte an die Haustür, aber es antwortete niemand. Auch stärkeres Pochen hatte keinen Erfolg. Schließlich nahm er einen Bund Nachschlüssel aus der Tasche und versuchte sie der Reihe nach. Der vierte paßte, und sie traten ins Haus.

Nirgends war Unordnung zu entdecken; die Räume waren einsam und verlassen. Auch eine Durchsuchung von Sands' Schlafzimmer ergab nichts Neues. Sein Schlafanzug lag sorgsam gefaltet auf dem Kissen, sein Bademantel über einem Stuhl, und darunter standen die Pantoffeln. Auf dem Schreibtisch in dem angrenzenden Arbeitszimmer fanden sie einen Stoß Quittungen, ein Scheckbuch und eine Zigarrenspitze aus Bernstein.

»öffnen Sie doch einmal den Schrank«, rief Jimmy. Dann untersuchte er schnell den Inhalt.

Er entdeckte mehrere graue und weiße Flanellhosen.

»Sands ist Amerikaner und spielt infolgedessen kein Kricket. Wir wollen einmal seine Stiefel ansehen.«

Auf einem langen Regal standen mindestens ein Dutzend Paar Schuhe und Stiefel, alle sauber geputzt.

»Zwei Paar weiße Tennisschuhe, in Amerika hergestellt«, sagte Blessington. »Die Sohlen sind nicht abgenützt. Mr. Sands spielt zwar nicht Kricket, aber er scheint Boot zu fahren. Und dadurch kommen wir auf einen Strom oder einen Fluß. Jetzt wollen wir uns einmal seine Hüte ansehen, vor allem die Strohhüte.«

»Was wollen Sie denn dadurch erreichen?«

»Strohhüte werden sehr häufig gerade an dem Platz gekauft, wo man sich zur Zeit befindet, und geben infolgedessen manchmal merkwürdige Anhaltspunkte. Zur Aufklärung sind sie oft sehr wichtig für mich gewesen.«

Als die beiden suchten, fanden sie auf dem Schrank tatsächlich drei Strohhüte.

»Der erste hier ist in London gekauft, der zweite in Maidenhead – das ist übrigens ein ziemlich großer Ort. Und der dritte stammt aus Marlow, das ist ein kleines Nest. Nun zu den Quittungen. Vielleicht finden wir da etwas.«

Er trat zum Schreibtisch und blättert die einzelnen Papiere durch. Zunächst entdeckte er nichts. Schließlich zog er eine Schublade auf, und wie er erwartet hatte, fand er hier alle Quittungen säuberlich und ordentlich nach Vierteljahren gebündelt.

»Hier wollen wir gleich einmal nachsehen«, erklärte Blessington, indem er einen kleinen Stoß aus der Schublade nahm. »Benzinrechnungen von einem Händler in Maidenhead – die anderen sind aus London. Wenn Sands aber Benzin in Maidenhead kauft, muß er ein Motorboot haben.«

»Wieso haben Sie an einen Fluß oder an Wasser gedacht?« fragte Jimmy.

»Weil ich diese Klasse von Leuten kenne, der John Sands angehört. Er treibt keinen Sport, bei dem er sich persönlich viel anstrengen muß, aber offenbar hatte er noch eine andere Passion als Autofahren. Wenn er der Autofahrer ist, der an dem Tag durch Aylesbury kam, als die Gefangene aus dem Zuchthaus entfloh, dann liegt doch die Möglichkeit nahe, daß er von seinem Landhaus nach London fuhr. Er übt in England keine berufliche Tätigkeit aus und hat nur ein paar Freunde, die natürlich von mir aufgefunden wurden. Vorsichtige Nachforschungen haben ergeben, daß John Sands ein paar Wochen außerhalb Londons weilte, bevor Margaret Maliko aus dem Gefängnis entfloh. Vielleicht entsinnen Sie sich noch: Der Oktober vor zwei Jahren war ein herrlicher Monat, bis plötzlich das Wetter umschlug. Wir wollen nach Marlow fahren; dabei kommen wir unterwegs durch Maidenhead.«

Der Inhaber der Tankstelle in Maidenhead, von dem die Rechnungen stammten, war ein gesprächiger Mann. Er kannte Mr. Sands flüchtig und sagte aus, daß er nicht nur Benzin für das Auto, sondern auch für das Motorboot geliefert habe.

»Seit einiger Zeit ist er nicht mehr hergekommen, aber ich weiß, daß er ein Haus in der Nähe von Marlow besitzt. Er kam immer aus der Richtung.«

»Wie heißt denn sein Motorboot?« fragte Blessington, der genau wußte, daß all diese kleinen Fahrzeuge einen besonderen Namen führten.

»›Money-Spinner‹. Es war eins der schnellsten auf dem Fluß hier. Ich weiß nicht, was damit passiert ist, aber ich habe es seit ungefähr zwei Jahren nicht mehr gesehen.«

Blessington nickte befriedigt.

Als sie nach Marlow kamen, machten sie die interessante Entdeckung, daß zwar niemand etwas von Mr. Sands wußte, aber; alle Leute die »Money-Spinner« kannten.

»Sie gehört einem Herrn, der ein Haus an einer Bucht hat. Seit zwölf Monaten ist das Boot aber nicht mehr hier vorbeigekommen.«

Bei ihren weiteren Nachforschungen konnten sie das Haus leicht finden, aber es war leer und nicht bewohnt. Allem Anschein nach gehörte es jetzt einem anderen. Keiner der Nachbarn kannte die Adresse des früheren Bewohners.

»Der ist schon lange Zeit fort«, erklärte der Verwalter des anliegenden Grundstücks. »Er hat das Haus aufgegeben und ist ganz nach London gezogen. Das Bootshaus benützt er auch nicht mehr.«

»Das Bootshaus?« fragte Jimmy interessiert. »Wir haben doch gar kein Bootshaus entdecken können?«

»Es liegt etwas entfernt an einer großen Bucht zwischen zwei Inseln. Sie können es von der Straße aus sehen, wenn Sie hier entlangfahren. Früher gehörte es Lord Welbourne, der hatte dort ein großes Motorboot. Aber der Wasserspiegel des Flusses sank, und seitdem konnte er das Bootshaus nicht mehr gebrauchen. Später hat es ein Herr aus London gemietet und eine Art Wochenendhaus daraus gemacht. Er hat einen Zwischenboden eingezogen; unten stellt er sein Boot ein, oben wohnt er.«

Blessington und Jimmy sahen einander an.

»Das müssen wir genauer ansehen«, sagte der Polizeiinspektor.

Sie mieteten ein flaches Boot und fuhren damit über die seichten Stellen am Ufer. Nur durch Zufall fanden sie den Eingang zu der großen Bucht, der ziemlich versteckt hinter hohem Schilf und Ried lag, und sahen das große, schöne Bootshaus. Unter den Einflüssen der Witterung hatte es allerdings etwas gelitten. Es stand teils auf dem Land, teils ruhte es auf Pfählen im Wasser. Der untere Teil war durch ein großes Tor geschlossen, das bis ins Wasser hineinreichte. Das obere Geschoß hatte mehrere Fenster ohne Gardinen; die Glasscheiben waren sehr schmutzig und seit langer Zeit nicht gereinigt worden. Der Eingang zu den oberen Räumen lag auf dem Land, und man konnte ihn auf einem Fußweg erreichen, der am Ufer der Bucht entlangführte. Sie landeten in einiger Entfernung von dem Haus und gingen den Pfad entlang. Es war ihnen beiden klar, daß sie sich einem Versteck von Mr. Sands näherten. Daher suchten sie sich auch möglichst hinter Bäumen und Sträuchern zu verbergen, damit er sie nicht sehen sollte, falls er zur Zeit selbst im Haus war. Vom Uferweg bog ein anderer Pfad ab, der direkt zur Tür des Bootshauses führte. Jetzt blieb ihnen nichts anderes übrig, als ins Freie hinauszutreten, um sich dem Hause zu nähern.

Mr. Sands beobachtete interessiert aus den nahen Sträuchern, wie die beiden herankamen.

Er hatte sich in einem großen Rhododendronbusch versteckt und hielt ein geladenes Gewehr, das er auf Jimmy Cassidy gerichtet hatte. Bei dem hellen Sonnenschein am Nachmittag konnte er gut zielen. Blessington kam hinter Jimmy her, ging zur Tür und versuchte, sie zu öffnen, fand sie aber verschlossen. Dann sah er durch eines der unteren Fenster, konnte aber im Innern nur einen leeren Raum entdecken.

»Was meinen Sie? Versuchen wir, hineinzukommen?«

Jimmy sah sich in dem verwilderten Garten um, auf dessen Wegen überall Unkraut wucherte. Dann schaute er den Weg entlang, den sie gekommen waren, und schließlich fiel sein Blick auch auf das Rhododendrongebüsch, in dem sich John Sands versteckt hielt. Eine Sekunde später blickte er hoch, als ob er es sich überlegte.

»Es wird sich nicht lohnen«, sagte er dann ruhig. »Wir sind auf der falschen Spur. Wenn wir zur Stadt zurückkehren, werden wir wahrscheinlich feststellen, daß sie entkommen ist.«

Blessington sah ihn verblüfft an.

»Ich habe mich getäuscht. Man soll doch immer nur nach Tatsachen gehen und nicht so wilde Theorien aufstellen. Ich habe mich zu sehr von meiner Phantasie leiten lassen.«

»Aber Sie meinten doch vorher –«, entgegnete der Detektiv.

Jimmy lachte.

»Ich war eben auf dem Holzweg.« Er nahm den Inspektor am Arm, und sie gingen zu ihrem Boot zurück.

»Aber –«, protestierte Blessington aufs neue.

»Gehen Sie immer geradeaus und reden Sie nichts. Wenn Sie einen Schuß hören, werfen Sie sich sofort auf den Boden. Sagen Sie, bin ich eigentlich rot geworden? Das passiert mir nämlich immer, wenn ich jemand sehe, der mit einem Gewehr auf mich zielt.«


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