Edgar Wallace
Der Mann, der seinen Namen änderte
Edgar Wallace

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19

Lady Tynewood schrak vor dem wütenden Blick des Mannes zurück. Er wandte sich um, nahm seinen Hut vom Stuhl auf und verließ schnell das Zimmer.

Alma faßte sich zuerst wieder, während Marjorie noch bleich und mit weitaufgerissenen Augen zur Tür starrte, durch die Pretoria-Smith eben verschwunden war.

»Das ist also der junge Mann, den Sie heiraten wollen?« fragte sie verächtlich. »Ein feiner Gentleman, das muß man wohl sagen. Da kann man Ihnen ja gratulieren.«

Marjorie schwieg.

Mrs. Stedman war inzwischen auch hereingekommen. Sie hatte die Szene von weitem beobachtet und war in hellster Aufregung.

»Er war aber wirklich unhöflich und roh«, sagte sie atemlos.

»Sie haben ihn wahrscheinlich dazu aufgestachelt« wandte sich Lady Tynewood heftig an Marjorie. »Oder gehört es bei den Leuten aus den Kolonien zum guten Ton, sich derartig aufzuführen?«

Marjorie machte in dieser schwierigen Lage eine merkwürdige Erfahrung. Sie mußte nun obendrein noch den Mann verteidigen, gegen den sie die größte Abneigung fühlte.

»Mr. Smith wird wahrscheinlich aus guten Gründen so gehandelt haben«, erwiderte sie langsam. »Ich dachte schon im ersten Augenblick, Ihr lange vermißter Gatte wäre zurückgekehrt, Lady Tynewood.«

Sie war gehässig, niederträchtig, grausam. Aber es war ihr im Augenblick alles gleichgültig. Sie konnte sogar wegwerfend von dem Mann sprechen, der nicht mehr am Leben war.

»Was schwätzen Sie da?« ereiferte sich Alma. »Sir James war ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle – vielmehr er ist ein Gentleman«, verbesserte sie sich schnell. »Wenn so ein junges, unerfahrenes Ding wie Sie über solche Sachen reden will, kommt natürlich nichts Gutes dabei heraus. – Aber er kam mir doch so bekannt vor – ich möchte nur wissen, ob ich ihn früher schon getroffen habe.«

Sie sah Marjorie von der Seite an.

»Sie werden ja nicht viel Freude in Ihrer Ehe haben«, sagte sie noch verächtlich und verließ dann das Zimmer.

Marjorie hatte es kaum gehört. Sie wartete nicht auf das Mittagessen, sondern ließ sofort ihr Pferd satteln und ritt zu Lord Wadham. Sie wußte, daß der Prinz schon am Morgen abgereist war, so daß sie dort ohne weiteres Besuch machen konnte. Sie fand den alten Herrn bei einem Spaziergang im Park.

»Hallo!« rief er laut. »Zum Kuckuck, was machen Sie denn schon am frühen Morgen hier?«

»Ich möchte mich trauen lassen«, sagte sie, »mit – mit einem entsetzlichen Menschen.«

»Teufel noch mal«, erwiderte er verhältnismäßig leise und schlug dann plötzlich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. »Jetzt weiß ich, wer es ist. Der betrunkene Mann, der gestern ins Hotel kam!«

Sie wurde rot.

»Ja, er ist mein Verlobter.«

»Ach, irgend so ein Johannesburg-Jones oder ein Maritzburg-Mike?«

»Pretoria-Smith.«

»Donnerwetter – aber das ist doch nicht Ihr Ernst. Wie kommen Sie bloß auf die verrückte Idee, einen Menschen von solchem Kaliber heiraten zu wollen? Ich habe ihn mir ja nicht genauer angesehen, aber ich wette, daß er einen schlechten Charakter hat. Ein Mann, der einen fertigen Anzug kauft, ist zu allem fähig, auch zu einem Mord.«

Sie lachte.

»Sie müssen ihn nicht so streng beurteilen. Vielleicht klärt sich alles noch ganz harmlos auf.« Eine Weile schwieg sie, dann wandte sie sich plötzlich wieder an ihn. »Lord Wadham«, fragte sie atemlos, »würden Sie mir einen großen Gefallen tun?«

»Für Sie tue ich alles, was in meinen Kräften steht, liebes Kind«, sagte er begeistert. »Wenn ich nicht schon eine Frau und vier Kinder hätte, würde ich Sie vom Fleck weg heiraten. Aber meine Frau ist gesund und vergnügt. Sie ist eine Wingley aus Norfolk und wird sicher neunzig Jahre alt«, fügte er schmunzelnd hinzu.

»Ich hätte Sie gern wegen der Trauung um Rat gebeten.«

»Ach, Sie wollen sich wohl sofort trauen lassen?« fragte er nachdenklich. »Na, das kann ich schon arrangieren. Aber liebes Kind, ich würde mir die Sache an Ihrer Stelle doch noch einmal reiflich überlegen. Selbst wenn Sie es –« Er zögerte. Auch er hatte schon verschiedene Gerüchte über Mrs. Stedman gehört, und er wußte, daß die Frau Spielschulden hatte. »Selbst um meinen nächsten Verwandten zu helfen, würde ich das nicht tun«, fuhr er fort. »Aber ich will Ihnen nicht das Herz schwermachen. Sie sind wahrscheinlich in einer sehr schwierigen, Situation, und ich will alles tun, um Ihnen zu helfen. Welchen Eindruck haben Sie denn von dem Mann? Haben Sie ihn schon einmal bei Tageslicht betrachtet?«

Sie lächelte ein wenig verlegen.

»Er ist eben – Pretoria-Smith«, sagte sie so gleichgültig wie möglich.

Lord Wadham rieb sich das Kinn.

»Na schön. Ich werde mich um die Heiratserlaubnis kümmern. Nennen Sie mir doch bitte die Namen.«

Sie konnte ihm auf keinen Fall sagen, daß sie den Namen ihres Verlobten nicht kannte.

»Ich werde Ihnen das alles schreiben.«

»Wenn Sie es heute noch tun, schicke ich Ihnen morgen mit der ersten Post die Lizenz zu«, sagte er freundlich.

»Wo können wir denn getraut werden?«

»Ach, in jeder Kirche. Mein Hauskaplan wird sich ein Vergnügen daraus machen, Sie zu trauen. Sie kennen doch den alten Stoneham? Ein guter Mensch. Nur schade, daß er halb blind und halb taub ist.«

Er lachte, als er an den Pfarrer dachte.

»Das ist der rechte Mann, der paßt für Sie. Er kennt Sie später überhaupt nicht wieder. Auch Ihren Mann nicht, und wenn sein Name mit großen Buchstaben auf der Stirn stände. Ja, aber wo könnte denn nun die Trauung stattfinden?« überlegte er. »Halt, das weiß ich jetzt auch«, sagte er nach einiger Zeit und klatschte vergnügt in die Hände. »Ich werde an meinen Freund Vance telegrafieren. Er ist der Rechtanwalt der Familie Tynewood. Den frage ich um Erlaubnis, daß Sie in der Schloßkapelle hier getraut werden dürfen.«

»Mr. Vance?« wiederholte sie erstaunt. »Den kenne ich auch sehr gut. Aber glauben Sie denn, daß er die Erlaubnis geben wird? Ich weiß, daß er in solchen Dingen recht eigentümlich ist.«

»Überlassen Sie das nur mir, ich bringe die Sache schon in Ordnung«, erklärte Lord Wadham. »Also, ich sorge dafür, daß die Kapelle zur Verfügung steht, und ich beschaffe den Pfarrer. Wie wäre es denn, wenn ich nun auch noch den Brautvater machte und Sie in die Ehe gäbe?«

Marjorie traten die Tränen in die Augen.

»Sie sind wirklich sehr lieb zu mir«, sagte sie mit bewegter Stimme.

Er klopfte ihr freundlich auf die Schulter.

»Es macht mir einen unheimlichen Spaß, junge Leute miteinander zu verheiraten, auch wenn ich mit dieser Trauung nicht ganz einverstanden bin. Also, sind Sie damit zufrieden, daß ich die Sache mit der Kirche und dem Pfarrer regele?«.

Sie nickte.

»Und um wieviel Uhr soll die Trauung stattfinden?«

»Darüber muß ich erst noch mit – Mr. Smith sprechen.«

Zu Hause setzte sich Marjorie verzweifelt an den Schreibtisch und schrieb kurzerhand: John Smith, Sohn von Henry und Mary Smith. Dem Vater gab sie den Beruf eines Mineningenieurs, und das Alter von Pretoria-Smith setzte sie einfach auf zweiunddreißig Jahre fest.

Sie adressierte die Mitteilung an Lord Wadham und schickte dann noch einen Brief. zu dem einzigen Gasthaus des Dorfes. Darin bat sie Smith, zu ihr zu kommen. Aber offenbar erreichte ihn diese Nachricht nicht.

Am Spätnachmittag machte sie einen Spaziergang, und bei einer Biegung des Weges sah sie plötzlich einen Mann im Gras sitzen. Er stützte den Kopf in die Hand und hatte sich weit vornüber gebeugt, so daß sein Kinn fast die Knie berührte. Als er ihre Schritte hörte, wandte er sich um. Es war Pretoria-Smith, und er sprang sofort auf.

»Es tut mir leid, daß ich mich heute so gehenließ«, sagte er etwas barsch. »Ich hätte dieser Dame gegenüber meine Fassung nicht verlieren dürfen.«

»Kennen Sie denn Lady Tynewood?«

»Ob ich sie kenne?« wiederholte er bitter. »Ja, die Frau kenne ich!«

»Sie ist doch die Gattin von Sir James Tynewood, der hier in der Gegend der größte Landbesitzer ist, obwohl er nie hier gelebt hat.«

Sie beobachtete ihn scharf, während sie sprach. Wie würde er sich verhalten, wenn er den Namen des Mannes wieder hörte, der vor Jahren auf so tragische Weise umgekommen war?

»Er wohnt nicht hier? Das ist aber seltsam. Ich halte die Gegend hier für eine der schönsten auf der ganzen Erde. Aber vielleicht kommt sie mir auch nur so herrlich vor, weil ich so lange in den traurigen Einöden von Südafrika lebte. Trotzdem ist Sir James töricht, wenn er sich diesen Genuß entgehen läßt.«

»Mr. Smith –«, es fiel ihr schwer, weiterzusprechen, »ich wollte Sie noch etwas fragen. Haben Sie etwas dagegen, daß unsere Trauung sehr bald stattfindet?«

»Nein, je eher, desto besser«, erwiderte er sofort. Er hatte das Gesicht von ihr abgewandt und schaute über das Tal hin.

»Sie müssen verstehen, daß alles so unerwartet für mich kam und daß mir der Gedanke an diese Heirat zuerst entsetzlich erschien.« Sie spielte mit dem Verschluß ihrer Handtasche und schaute ihn nicht an. »Wenn ich sage entsetzlich, so meine ich das natürlich nicht im gewöhnlichen Sinne des Wortes.«

»Das. kann ich mir gut vorstellen, und Sie haben auch vollkommen, recht. Mir selbst ging es ja nicht anders. Ich sagte Ihnen schon, daß ich ebensowenig daran dachte, mich zu verheiraten, wie der Mann im Mond. Am liebsten wollte ich ganz allein auf der Mine bleiben und in Ruhe gelassen werden. Ich war zufrieden, wenn ich meine Pfeife hatte und nachdenken konnte. Meine Gedanken waren nicht immer angenehm, aber immerhin war ich damals zufrieden im Vergleich zu jetzt.«

Sie warf ihm einen schnellen Blick zu.

»Das ist allerdings kein Kompliment für mich«, sagte sie und lachte. »Aber ich erwarte von Ihnen ja auch keine Komplimente. Sie haben also nichts dagegen, daß wir sofort heiraten?«

»Sie möchten die Sache möglichst schnell hinter sich haben«, entgegnete er und sah zu einer Kuh hinüber, die auf dem nahen Hügel weidete. »Und ich kann Ihnen wirklich keinen Vorwurf daraus machen. Ich sage Ihnen ja, mir geht es genauso. Meinetwegen kann die Trauung sofort abgehalten werden.«

»Lord Wadham hat mir den Vorschlag gemacht, uns von seinem Pfarrer trauen zu lassen. Sind Sie damit einverstanden?«

»Ach, meinen Sie den alten Stoneham? Der war ja schon früher hier im Amt – der arme Mann ist aber halb blind.«

»Kennen Sie ihn denn?« fragte sie schnell.

Er kam in Verlegenheit.

»Ich habe gehört, wie sich die Leute im Dorf über ihn unterhielten. Nein, ich kenne Lord Wadham und seinen Pfarrer nicht. Im Grunde genommen ist ja auch ein Pfarrer ebensogut wie der andere.«

»Ich habe Ihren Namen als John Smith angegeben – heißen Sie wirklich John?«

»So ähnlich. Darauf kommt es ja nicht an. Sie können mich ruhig John nennen. Dann haben Sie ja auch meine Eltern nennen müssen?«

»Ja, das habe ich auch getan. Ich habe geschrieben, daß Ihr Vater Mineningenieur ist.«

Er mußte lachen.

»Nun, das ist ganz gut. Er hat sich schließlich auch mit dem Erdboden beschäftigt – das heißt, gewöhnlich hat er nur Unkraut aus den Blumenbeeten ausgejätet. In diesem Punkt war er unerbittlich, und die Gärtner hatten große Angst vor ihm.«

»Noch eins. Es liegt doch weder Ihnen noch mir an einer großen Teilnahme der Öffentlichkeit, und es wäre besser, wenn die Hochzeit in aller Stille stattfände. Lord Wadham meinte, daß wir uns am besten in der Schloßkapelle von Tynewood trauen ließen.«

Er antwortete nicht gleich.

»Gibt es denn eine Schloßkapelle hier?« fragte er nach einer Weile.

Sie ärgerte sich, daß er sie täuschen wollte.

»Ja. Sie ist sehr hübsch. Ich hatte schon die Absicht, sie mir heute einmal anzusehen. Wollen Sie mich begleiten?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, das möchte ich eigentlich nicht tun.«

Diese Antwort hatte sie auch erwartet.

»Dann ist also alles soweit in Ordnung?« fragte sie. »Und an welchem Tag wollen Sie sich trauen lassen?«

»Mir ist jede Zeit recht.«

»Wollen wir sagen: morgen um elf?«

»Ja, das paßt mir.«

»Und – und –«, sie konnte kaum weitersprechen, »wohin wollen wir nachher gehen?«


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