Edgar Wallace
Die drei von Cordova
Edgar Wallace

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13

Der Rennplatz war außerordentlich belebt. Die Sportwelt interessierte sich sehr für das Lincoln-Rennen, und das prachtvolle Wetter hatte ein übriges getan, zahllose Besucher aus Nord und Süd zu diesem festlichen Ereignis in die altehrwürdige Bischofsstadt zu bringen.

Man sah Leute, die von der Sonne Ägyptens braun gebrannt waren, und Leute, die im Süden geweilt hatten, um dem strengen englischen Winter aus dem Wege zu gehen. Andere kamen aus Monte Carlo, wieder andere aus den Alpen zurück, wo sie Wintersport getrieben hatten.

Alle Bevölkerungsschichten waren auf dem Rennplatz vertreten: reiche und arme Menschen; kleine Kaufleute, denen der Besuch eines Rennens die schönste Erholung bedeutete; Parlamentsmitglieder, die sich an diesem Tag von ermüdenden politischen Debatten erholten; Falschspieler und allerhand Verbrecher, die nach Opfern ausschauten; Journalisten, die ihr vergnügtes Gesicht aufgesetzt hatten, und altmodisch gekleidete Landwirte in Gamaschen. Sie alle bildeten eine große Gemeinde, die dem königlichen Sport huldigten.

Kleine Stalljungen führten auf dem Sattelplatz die Pferde umher, die für das Rennen gemeldet waren. Die Nummer jedes Pferdes war in großen Ziffern an den Ärmel der Stallburschen festgesteckt.

»Sie sehen noch etwas rauh und ruppig aus«, meinte Gresham, als er die Pferde betrachtete. Die meisten hatten noch ihr Winterfell, und viele waren so wohlgenährt, daß sie unmöglich das Rennen gewinnen konnten. Er kreuzte die einzelnen Pferde auf seinem Programm an; einige kamen überhaupt nicht in Betracht.

Nach einiger Zeit fand er Lady Mary, die auch um den Sattelplatz wanderte. Sie grüßte ihn, wie ein Schiffbrüchiger ein nahendes Rettungsboot begrüßt.

»Ich bin so froh, daß ich dich getroffen habe. Ich verstehe überhaupt nichts vom Rennen.« Sie betrachtete die Pferde. »Willst du mich nicht ein wenig aufklären? Sind denn all diese Pferde gut in Form?«

»Du scheinst also doch etwas von Pferden zu wissen«, erwiderte er lächelnd. »Nein, das kann man wirklich nicht behaupten.«

»Aber dann können sie doch auch nicht gewinnen?« fragte sie erstaunt.

»Natürlich nicht.« Er lachte. »Die Besitzer machen sich darüber auch gar nichts vor. Nehmen wir einmal an, ein Trainer hätte festgestellt, daß sein Pferd nicht ganz auf der Höhe ist; er wird es dann doch zum Rennen schicken, um gewissermaßen die Leistungsfähigkeit des Tieres zu prüfen. Natürlich gewinnt fast immer das beste Pferd. Der Trainer, der ohne die geringste Gewinnchance mit diesem konkurriert, kann aber immerhin feststellen, wieviel seinem eigenen Pferd noch fehlt, bis es erstklassig ist. Insofern ist es durchaus richtig, daß er es teilnehmen läßt.«

»Ich möchte mir eigentlich ›Timbolino‹ einmal ansehen«, sagte Mary und sah auf ihr Rennprogramm. »Das ist doch das Pferd von Sir Isaac?«

Gresham nickte.

»Das war auch meine Absicht. Wir wollen einmal sehen, ob wir ihn finden können.«

In einer Ecke des Sattelplatzes entdeckten sie ›Timbolino‹ – ein großes, starkes, muskulöses Tier, soweit Horace es beurteilen konnte, denn es trug noch eine Decke.

»Wirklich, der richtige Typ für das Lincoln-Rennen«, sagte er nachdenklich. »Voriges Jahr habe ich ›Timbolino‹ in Ascot gesehen. Ich glaube, das ist der Gegner, den wir schlagen müssen.«

»Besitzt Sir Isaac viele Pferde?«

»Ach ja, er hat einige ganz gute Tiere. Er ist ein merkwürdiger Mann.«

»Wie meinst du das?«

Er zuckte die Schultern.

»Nun ja, man weiß –«

Plötzlich wurde ihm bewußt, daß es nicht fair war, von einem möglichen Rivalen schlecht zu sprechen.

Mary deutete sein Schweigen richtig.

»Wie verdient er eigentlich sein Geld?« fragte sie unvermittelt.

Er sah ihr voll ins Gesicht.

»Das weiß ich nicht. Er wird vielleicht irgendwo Güter haben.«

»Nein. – Ich frage übrigens nicht«, sagte sie schnell, »weil ich irgendein besonderes Interesse an seinem Vermögen oder an seinen Aussichten hätte. Mein ganzes Interesse liegt – anderswo.«

Sie lächelte ihn schelmisch an und änderte sofort das Gesprächsthema.

»So, nun wollen wir uns aber einmal dein eigenes, berühmtes Pferd ansehen«, schlug sie fröhlich vor.

Er führte sie zu einem der Stände, wo ›Nemesis‹ die letzte Pflege von dem Groom erhielt.

Die Stute war zierlich gebaut; sie hatte einen sehr schönen Kopf und einen schlanken Hals. Bei dem Rennen in Cambridge im vorigen Jahr hatte sie mit Leichtigkeit den vierten Platz belegt, und inzwischen hatte sie sich ständig und sicher weiterentwickelt.

Horace betrachtete sie mit kritischen Blicken. Sein geübtes Auge konnte keinen Fehler an ihr entdecken. Sie sah sehr ruhig aus und schien für ihre Aufgabe am Nachmittag auf das beste gerüstet zu sein. Gresham wußte, daß der Sieg nicht leicht zu erringen war, aber im Grunde seines Herzens hatte er nie daran gezweifelt, daß ›Nemesis‹ diesmal den ersten Preis erringen würde. Es waren noch viele andere Pferde gemeldet, die ausgesprochene Sprinter waren. Dadurch würde das Tempo voraussichtlich sehr schnell werden. Wenn ›Nemesis‹ allerdings nicht durchhalten konnte . . ., dachte er.

Am Tag zuvor, bei der Eröffnung der Rennsaison, hatte ein Pferd seines Stalles einen Preis bekommen. Das ermutigte ihn besonders, denn dieses Tier hatte, obwohl es das schwerste gewesen war, das übrige Feld doch leicht schlagen können. Dadurch erklärte sich auch, daß die Buchmacher Wetten auf ›Nemesis‹ nur noch zu niedrigeren Quoten abschließen wollten.

Gresham selbst hatte nur wenig auf sie gesetzt; er wettete überhaupt nicht hoch, obgleich er in dem Ruf stand, jährlich große Summen zu gewinnen und zu verlieren. Er widersprach diesen Gerüchten nicht, weil er über der Meinung der Leute stand.

Aber die Reduzierung der Gewinnquote auf ›Nemesis‹ hatte ernste Folgen im Zusammenhang mit ›Timbolino‹. Es war schwer, die Einsätze auf dieses Pferd zu retten, indem man auf ›Nemesis‹ setzte. Auf jeden Fall verlangte das jetzt die Anlage ungleich größerer Geldsummen.

*

Horace speiste gerade zu Mittag, als das zweite Rennen gelaufen wurde. Er hatte Lord Verlond in einer sehr gnädigen Stimmung gefunden; zum Erstaunen des jungen Mannes hatte der alte Herr seine Einladung zum Essen mit einer Selbstverständlichkeit angenommen, als ob er darauf gewartet hätte.

»Ich vermute, daß Sie nicht auch Ikey eingeladen haben?«

Lord Verlond zwinkerte mit den Augen.

»Nein, ich glaube auch nicht, daß Sir Isaac sehr mit mir einverstanden ist.«

»Das wird stimmen. Übrigens ist er Gast bei Oberst Black. Ein ganz liebenswürdiger Mann ist das. Er benahm sich so respektvoll, als ob er der jüngste Anwalt und ich eine hohe Amtsperson bei einem Schwurgericht wäre, und behandelte mich mit solcher Achtung, als ob er erwartete, daß ich ihn für seine große Zuvorkommenheit irgendwie belohne. Ikey war es sehr darum zu tun, daß Black einen guten Eindruck bei mir hinterließ.«


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