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Man wird nun erzaehlen, was dem Sohn Alles begegnet war.

Wir verloren ihn aus dem Gesicht, wie er den Kammersecretaer Damm eben nicht sanft zur Thuere hinaus geleitet hatte. Dieser hielt jedoch seine Hand fest und erbot sich zu einem Freundschaftsdienst, trotz der gegruendeten Ursache, mit Lebrecht unzufrieden zu sein. Eigentlich wollte er den Freundschaftsdienst sich freilich selbst thun, in sofern er nur hoffen durfte, seine eifersuechtige Frau beruhigt zu sehn, wenn Alles aufgehellt und seine Unschuld auf diese Weise klar gemacht sein wuerde. »Erlauben Sie«, fing er an, »maeßigen Sie einmal den Zorn und hoeren mich ruhig an. Es ist mir eingefallen, daß hier noch ein Damm lebt, vielleicht sind wir weitlaeufig verwandt, vielleicht auch nicht, ich habe nie danach gefragt. Dieser Damm sieht mir wohl danach aus, daß er als Schaefer auf die Redute gegangen sein kann, auch der Tugend Ihrer Mademoiselle Schwester Fallstricke gelegt haben – kurz, ich werde in einen Verdacht gezogen sein, der billig meinen Namensvetter haette treffen sollen. Wollen Sie, so fuehre ich Sie gleich zu ihm, da moegen Sie ihn selbst fragen.«

»Wohlan«, rief Lebrecht, »kommen Sie!«

Herr Damm sagte seiner Frau, die ihm folgte: »Sei nun so gut, mein Engel, und gehe nach Hause. Wir haben einen anderen Weg.«

Keineswegs ließ sie sich dazu vermoegen. Sie argwohnte Abreden, die ihr Mann mit einem Anderen nehmen wuerde. »Ich gehe mit«, rief sie, »will selbst hoeren, was gesprochen wird und ob wirklich Jemand anders im Spiel gewesen ist.«

»Aber, mein Engel, es wird –«

»Ich thu' es nicht anders!«

Herr Damm seufzte leise: »O haett' ich nicht geheirathet«, und gab seiner Frau den Arm. Hoeflicher haette Lebrecht das thun sollen, empfand aber keine Lust dazu, mit dieser eifersuechtigen Unheilstifterin nichts weniger als zufrieden.

Stumm ging man neben einander hin, und ein paar lange Straßen durch. Endlich sagte der Sekretaer: »Hier ist die Wohnung.«

Man erstieg zwei Treppen und klopfte an eine Thuere. In dem Zimmer saß ein junger Mann, in einem haeuslichen Anzug, gewoehnlich damal ein sogenannter Schlafrock, am Tische und schrieb. Als die Fremden eingetreten waren, stand er auf, und man gewahrte sowohl ein schoenes bluehendes Gesicht als einen langen, regelmaeßigen Wuchs. Der Sekretaer wollte zu reden anfangen, Lebrecht ward jedoch im Anblick des jungen Mannes, von welchem es ihm gleich schien, er koenne wohl der rechte sein, zu hitzig, fiel Jenem daher gleich ins Wort. »Mein Herr«, fing er an, »sind Sie im vorigen Winter in einer Schaefermaske auf der Redute gewesen?«

Mit einiger Verwunderung antwortete man ihm: »Das koennte wohl sein, aber – weshalb fragen Sie danach, mein Herr?«

»Hoerst Du, mein Engel«, fluesterte der Sekretaer, »hoerst Du?«

Lebrecht entgegnete: »Aus guten Gruenden. Haben Sie dort mit einem Maedchen, im Anzug einer Schaeferin, viel getanzt, dem Maedchen hernach Sueßigkeiten gesagt, den Seladon gespielt, und was bei solchen Gelegenheiten vorzugehen pflegt?«

»Ich sehe nicht ein, weshalb ich schuldig waere, Ihnen die Frage zu beantworten. Doch meinetwegen! Ich tanzte viel mit einer artig gewachsenen Schaeferin. Als sie sich demaskirt hatte, sah ich auch ein niedliches Gesicht – aber –«

Der kleine Herr Damm stieß die Frau mit dem Ellbogen an und fragte sie: »Haben wir's da nicht?«

»Haben Sie«, fuhr Lebrecht fort, »dem Maedchen hernach ein Billet geschrieben?«

»Mein Herr – steh ich vor Ihnen im Verhoer?«

»Ich muß um eine bestimmte Antwort bitten.«

»Und wenn ich es gethan haette, was ginge Sie es an? Wie koennen Sie mich zur Rede stellen wollen?«

»Haben Sie dem Maedchen nicht in dem Billet zugemuthet, was nicht ziemte, sind am Abend gekommen, wie das Maedchen am Fenster stand –«

»Mein Herr, ich verbitte mir alle weitere Inquisition! Verstehen Sie mich?«

»Non sum perplexus!«

Der kleine Damm sagte schnell und leise: »Mein Engel, Du hast nun wohl genug gehoert. Hier wird es Streit geben, laß uns gehn, man koennte zum Zeugen gerufen werden.« Laut rief er: »Wir empfehlen uns ganz gehorsamst«, und fueherte seine Ehegenossin, die sich demungeachtet noch etwas straeubte, ab.

»Desto besser«, sagte der junge Mann, »so sind wir allein. Aus welchem Grunde gefaellt es Ihnen, mich ausforschen zu wollen? Denken Sie, ich wurde ein Maedchen compromittlren? Da irren Sie. Und nun werde ich bitten –«

»Ich bin des Maedchens Bruder.«

»So? Nun, ergebner Diener!«

»Sie scheinen mir so ein – lucri cupidinis servens, mein Herr! Es waere mir gleich, wenn das Maedchen nicht meine Schwester waere, und ich gehoere allenfalls auch zu dem Orden. Meine Schwester ist aber ein anstaendiges Maedchen, keine, die es mit dem conjicere in amorem haelt, um nur so – Sie verstehen mich wohl –«

»Die Wahrheit zu sagen, finde ich, daß Ihre Schwester ein liebes schoenes Maedchen ist, nach ihrem Namen, ihren Eltern habe ich aber noch nicht gefragt, sie nur am Fenster gesehn, nachdem ich frueher auf der Redute ihre Bekanntschaft gemacht –«

»Ihr Billet hat die Ehre meiner Schwester beleidigt, wenn Sie es dabei nur auf eine kleine Liebelei abgesehn haben. Unglücklicherweise machten Sie aber auf meine Schwester auch Eindruck, und das finde ich nun begreiflich. Also werden Sie meiner Schwester Genugthuung geben muessen, oder mir. Ich frage: wollen Sie meine Schwester heirathen? Es werden sich einige Hindernisse vorfinden, die ich aber schon aus dem Wege raeumen will.«

»Heirathen – heirathen? Auf Ehre, daran habe ich nicht gedacht, nicht denken koennen.«

»So werden Sie an ein gladium e vagina educere denken.«

»Mit Ihrem Latein! Ich verstehe es nicht, habe mein bißchen aus frueherer Zeit vergessen.«

»Ich meine, Sie heirathen oder ziehen den Degen!«

»Wie, mein Herr, Sie wollen sich mit mir schlagen?«

»Hoc est mihi gentilitium.«

Der Andere war schon mit hochroth gluehendem Gesicht in die Nebenkammer verschwunden und eilte gleich darauf mit einem bloßen Degen zurueck. Lebrecht entbloeßte den seinigen auch schnell, und Beide hieben nun mit einer wohl conditionirten Hitze auf einander los. Wohl conditioniert durfte sie heißen, weil die Zornleidenschaft doch keinem Theil die Besonnenheit raubte. Und da Beide zugleich geschickte Fechter waren, hatte nach einem Kampf von mehreren Minuten doch Niemand eine Wunde. Lebrechts Klinge sprang nun aber in Stuecken, was ihn wehrlos machte.

Der Andere hielt ein und sagte: »Sie fechten gut.«

»Sie auch!«

»Wie konnten Sie aber ein Duell auf der Stube anfangen?«

»Sie fingen es an!«

»Ohne Sekundanten. Haett' ich den Augenblick nuetzen wollen, wo Ihre Klinge sprang, was waer aus Ihnen geworden?«

»Ich traue Ihnen nicht zu, unedel handeln zu koennen. Bei einem Maedchen ist es ein Anderes. Nun, wir muessen uns vors Thor bestellen.«

»Sekundanten dabei!«

»Wir haben ja kein Blut gesehn, und ein Duell ohne Blut, was ist das schon!«

»Hab ich mich auch mit Ihnen schlagen duerfen, mein Herr? Wer sind Sie?«

»Der Doktor Goehl.«

»Ein graduirter Mann also. Nun, wo wollen wir uns finden?«

»In der Jungfernheide. Es paßt noch, der Streit entspann sich so gut um eine Jungfer wie einst der trojanische Krieg. Wie der Koenig von Daenemark und der Koenig von Polen einmal hier gewesen sind und der Koenig von Preußen ihnen dort ein laendliches Fest gegeben hat, ist ein Gedicht darauf erschienen, mit dem Anfang: Diana, wie beglueckt ist deine Jungfernschaft, die an dem heutgen Tag drei Koenige einschließt. Haben wir uns darin bei den Ohren gehabt, kann ein Poet singen: Einen Achilles und Hektar sah ihre Umschattung.«

»Sie gefallen mir mit Ihrem jovialen Humor, auf meine Ehre!«

»Sie mir auch!«

»Ich halte es wie Sie mit dem semper lustig, nunquam traurig. Sie sehn, etwas Latein versteh ich noch.«

»Haben wir uns geschlagen, muessen wir Freunde sein.«

»Ich bin es zufrieden, Herr Doktor!«

»Also, Herr – mit wem hab ich denn das Vergnuegen?«

»Ich bin der Lieutenant Damm von der Artillerie.«

»Offizier? Nun ja, Offiziere machen es so mit den Maedchen. Offiziere und Studenten. Aber meine Schwester sagte mir: Sie haette Sie gefragt, ob Sie nicht Sekretaer waeren, und Sie haetten geantwortet: eine Art davon.«

Damm lachte. »Ich bin Adjutant, und der hat eine Art von Sekretariatsgeschaeften.«

»Darueber kam ich auf den Gedanken, der Kammersekretaer Damm haette meine Schwester in sich verliebt gemacht!«

»Ist denn Ihre Schwester wirklich in mich verliebt? Das koennte – mein Blut noch heißer machen wie es schon ist. Und ich liebe wahrhaftig Ihre Schwester genug, um sie mit Vergnuegen zu heirathen. Aber – es geht nicht.«

»Warum, wenn man fragen darf?«

»Ich bin Offizier, Subalternoffizier, habe kein Vermoegen – zwar die Aussicht auf eine gute Erbschaft, aber das steht noch weit hinaus. Und das Subalternoffiziertraktament – es reicht eben hin, wenn man gut fruehstuecken will. Die Redute, wo ich Ihre Schwester zum Erstenmal sah, kostete mir grade ein monatliches Einkommen.«

»Glauben Sie vielleicht, daß meine Schwester arm ist?«

»Ich habe es geglaubt, aber mich nur um ihre Schoenheit bekuemmert, um sonst nichts.«

»Der Kaufmann Goehl ist eben nicht der aermste in der Stadt.«

»Goehl? Ich muß schon von ihm gehoert haben. Doch weiß ich mehr vom Militaer wie von der Kaufmannschaft.«

»Zehntausend Thaler gaebe er wohl der Schwester mit.«

»Wahrhaftig? Ei, haett ich gewußt – sehn Sie, nach Geld habe ich nie heirathen wollen. Es koemmt mir – wie soll ich sagen, so faul vor. Mit meiner Batterie, wenn es wieder Krieg gaebe, wollte ich mein Glueck machen, nicht durch einen Schwarzrock, der mich mit Geldsaecken traute, wobei ich ein Frauenzimmer als Zugabe naehme.«

»Das ist nobel gedacht, aber – dann soll man anstaendigen Maedchen auch den Kopf nicht verdrehn.«

»Darin haben Sie auch recht. Und freilich aendert es die Sache, wenn man ein Maedchen auch dann liebt, wenn es Vermoegen hat. In dem Fall machte ein Maedchen an mir – meine Person abgerechnet, auf die nicht viel zu geben ist – auch keine ganz schlechte Parthie. Denn, wie gesagt, ich erbe einmal. Und habe ich eine Compagnie, eine Preußische Artillerie-Compagnie, Herr Doctor, hat meine Frau einen Mann, dem sechs Traktament, seine Beurlaubten, et cetera, jährlich 3 000 Thaler einbringen.

»Allen Respekt vor solcher Compagnie! Ich werde viele Kranke haben muessen und huebsch vornehme, soll's bei mir zu solcher Einnahme kommen.«

»Und wer staende meiner Frau dafuer, daß ich nicht einmal noch General-Lieutenant wuerde? Dann waere sie eine Excellenz wie ich.«

»So heirathen Sie Euere kuenftige Excellenz meine Schwester. Erst ist sie Ihnen fertilis ubere campus, hernach sind Sie es ihr. Erst leben Sie von ihren Zinsen mit, hernach sie von Ihrer Compagnie et cetera.«

»Der Vorschlag waere so uebel nicht. Aber – Sie koennten glauben, ich ginge zur Jungfer, weil ich nicht in die Jungfernheide wollte. Nein, nein, mein Herr Doktor! Vielleicht – wenn wir uns erst geschlagen haben.«

»Eigentlich – sollt ich denken – haetten wir uns schon geschlagen.«

»Es ist sogar Blut geflossen, wenigstens heißer geflossen, meins nehmlich, seit ich hoerte, Ihre Schwester waere in mich verliebt. Aber mich durch einen Bruder zwingen zu lassen, wie man es wohl in der Komoedie sieht, nein, das kann ich nicht.«

»Ich bitte Sie ja nur, um meiner Schwester willen, das arme Maedchen graemt sich so.«

»Graemt sich, graemt sich! Herr Doktor – ich bin bereit, jeden Augenblick! Aber die Eltern, werden die auch wollen? Es giebt zuweilen Eltern, die Schwierigkeiten machen.«

»Das waere hier auch moeglich, doch bleibt immer die Hauptfrage: ob das Maedchen will? Ist die mit Ja beantwortet, und das Maedchen hat noch einen Bruder –«

»Sie scheinen mir einer von den Bruedern, die dem Liebhaber gute Huelfe leisten wuerden.«

»Im Nothfall sogar ihm das Maedchen entfuehren helfen!«

»Da waer ich auch dabei! Ich glaube sogar, daß man eine Frau, deren Besitz viel Muehe gekostet hat, um so mehr liebt. Eine Festung einzunehmen, wo der Commandant gleich die weiße Fahne aussteckt –«

»Sie haben recht! Wir muessen ueberlegen, ich werde Sie mit allen Umstaenden bekannt machen und naechstens bewirken, daß Sie meine Schwester sprechen koennen!«

»Vortrefflich! Machen wir einen kleinen Spaziergang, nach den Linden, in den Thiergarten. Unterwegs sprechen wir davon!«

»Concedo!«

Der Lieutenant ging ins Nebengemach, um sich anzukleiden, und Jener besah waehrenddem seine in der einfachen Stube aufgehaengten Zeichnungen. Da sah man eine Festung nach Vaubans, und eine nach Coehorns Manier im Grundriß, ferner die Plaene der Schlachten von Mollwitz, Sorr, Czaslau, Hohen-Friedberg, Alle sauber ausgefuehrt.

Der Lieutenant kam zurueck in der Uniform. Sie war damal ganz blau, mit strohgelben Unterkleidern. An jeder Seite des Rocks befand sich eine dichte Reihe von uebergoldeten Knoepfen. Lange Manschetten wurden von den großen Stuelphandschuhen nach den Aermeln hinaufgedrueckt. Die Haare oben waren ein wenig gekraeuselt, an jeder Seite aber sechs Locken uebereinander, kleine duenne Cylinder von etwa zwei Zoll Laenge, mit Nadeln aufgesteckt und von Puder wie beschneit. Ein Zopf, der bis zur Spalte am Rock reichte, durfte zum militaerischen Anzug nicht fehlen, und eben so wenig ein tuechtiger Stock. Er machte theils einen Zierrath, theils hatte er eine Bestimmung, wie sie in den aeltesten Zeiten dem Szepter eigen gewesen ist, was Schiller in den Worten ausdrueckt: »Alles Regiment, muß er wissen, von dem Stock hat ausgehen muessen, und das Szepter in Koenigs Hand, ist der Stock, das ist ja bekannt.« Den dreimal aufgeschlagnen Hut umgab eine schmale goldne Tresse.

Beide schlugen ihren Weg nun nach den Linden ein, wo man in jener Zeit nicht solche schoenen Haeuser als jetzt sah, aber zwei Baumreihen mehr. Der ziemlich angenehme Fruehlingstag hatte ein Gewuehl von Lustwandelnden dahin gezogen, die sich aber weit bunter und auch, wenn man will, leuchtender und strahlender ausnahmen wie in unsern Tagen ein spazierengehendes Publikum. Denn unsre dunklen Rockfarben waren bei den Maennern damal nicht ueblich, man liebte die hellen, schreienden, roth, karmoisin, gelb, weiß u. s. w. Tressen und Stickereien, fast gaenzlich nun entfernt, ließ prangen, wer es nur vermochte. In Schuhen und Struempfen, den Hut dabei unter dem Arm, ging damal, was zur feinen Welt gezaehlt sein wollte. Man sah bei Weitem mehr Perruekken verschiedner Art wie frisirtes eignes Haar, bei Militaerpersonen ausgenommen, deren man auch eine gute Zahl hier fand. Ruecksichtlich der Farben galt dasselbe vom schoenen Geschlecht, und es wimmelte hier eben so von Reifroecken als von Gesichtern, die ihre Schoenheit durch kleine schwarze Punkte zu erheben meinten. Da sich, wie schon gesagt, die Damen von Herren am Arm fuehren ließen, folgte auch, daß man sehr vielen unter einem einspringenden Winkel daherschreitenden Paaren begegnete.

Die Reuter, welche sich an den Seiten zeigten, hatten meistens breite Tressen, zum Theil sogenannte durchbrochene oder spanische Spitzen (pointes d'Espagne) an den Hueten, bis ueber das Knie reichende Stiefel, noch um eine Handbreit weiter hinaufgehende Stiefelklappen von weißer feiner Leinwand und ledernes Beinkleid. So war das Reuterkostuem, wenn man elegant sein wollte, und das Pferd mußte eine große, und wenn man es haben konnte, sammetne Schabracke mit Gold oder Silber zieren. Die Kutschen, welche man zugleich sah, wuerden in jetziger Zeit unfoermig heißen, doch waren sie bunt genug bemalt und zum Theil mit Wappen versehn. Die Livreen der Dienerschaft waren hingegen viel reicher, und die Pferde trugen auf dem Kopfe Zierrathen von Seide oder Kameelhaar, Pompons genannt, an Form und Hoehe den Federbueschen aehnlich. Einer Kutsche, die einem Vornehmen gehoerte, trabte gewoehnlich ein Laeufer im bordirten Reifrock voraus, bei fuerstlichen waren es zweie, und hinten standen ein Paar riesenhafter Heiducken. Es mag nicht uebergangen sein, daß unsere beiden Spaziergaenger am Thore dem Regiment des Marggrafen Carl begegneten, das von den im Thiergarten vollzognen Waffenuebungen zurueckkehrte. Auf aeußere Schoenheit des Kriegers hielt man damal im ganzen Heer, der Marggraf verschwendete indeß noch hohe Summen aus eignen Mitteln, damit sein Regiment hier jedes andere uebertraefe. Er hatte fuer die Offiziere sich die reichste Uniform – mit Ausnahme der Garde – erbeten, und ungemeine Kosten auf die Werbung hochgewachsener Maenner gewandt. Der kleinste bei seiner Leibcompagnie maas fuenf Schuh und neun Zoll, und jeder trug eine vom Fuersten ihm geschenkte Taschenuhr. Alle Pfeifer und Trommelschlaeger dieses Regiments bestanden aber aus kohlschwarzen Negern, und weil ihre Zahl sich auf zweiundvierzig belief, mußte es nicht wenig Ausgaben verursacht haben, so viele Soehne der heißen Zone in Afrika zu den Ufern der Spree zu rufen. Solche Liebhabereien gehoerten zur Mode jener Zeit, doch ist zu bemerken, daß die erwaehnte keine nachgeahmte, sondern eine eigenthuemlich preußische war, waehrend wir jetzt wohl in ziemliche Verlegenheit kommen duerften, wenn wir etwas aufweisen sollten, das bei uns erfunden sei. Eine spaetere Zeit machte jener Art von Wuth, mit Soldaten zu spielen, herbe Vorwuerfe, die aber wuerden gerechter gewesen sein, wenn nicht die nehmlichen Krieger, die im Frieden gewissermaaßen Drahtpuppen glichen, im Kriege als solche Helden aufgetreten waeren, wie man sie seit griechischen und roemischen Zeiten nicht gesehn hatte, und wie auch – Alles erwogen – spaeterhin sie Napoleon keineswegs ins Feld stellte. Denn ungefaehr 100.000 Preußen schlugen sich im siebenjaehrigen Kriege mit mehr als einer halben Million Feinden, und der Erfolg ist bekannt. In diesem Verhaeltniß konnte Napoleon seinen Gegnern nicht stehn.

Aber es gab hier militaerische Spielereien, die in unsern Tagen noch weit mehr auffallen wuerden und die wenig mehr bekannt sind. Weil die Rede nun einmal von aelteren Moden (in Berlin) ist, moegen noch einige Erwaehnungen finden. Aeltere Einwohner entsinnen sich gewiß, daß noch bis zum Jahre 1806 die Trommelschlaeger im Preußischen Heere sehr bunte Roecke trugen, am meisten bei den alten Regimentern, wo ihnen die ganzen Aermel mit mehrfarbigen Schnueren benaeht waren. Es hatte einst den Grund, daß die Trommelschlaeger auch Spaßmacher und Possenreisser bei den Compagnien sein mußten, und sie erhielten deshalb eine ihrer Bestimmung entsprechende Kleidung. Es versteht sich, daß man bei ihrer Wahl auch angemessen zu verfahren, nach hellen Koepfen oder Mutterwitz zu suchen hatte. Grundsaetze spaeterer Zeiten, die sich als weisen Ernst oder verfeinerten Geschmack darstellen wollten, ließen den alten Brauch allmaehlich eingehn, zuletzt wußte man nichts mehr davon, und der buntroeckige Tambour betrug sich nicht anders wie die uebrigen Soldaten. Es mochte sittlich zu loben sein, aber sinnig waren die Altvordern dennoch gewesen. Sie hatten geurtheilt, daß Lustigmacher den uebrigen Kriegern die Beschwerden ihres Standes erleichterten, und man erfuhr im Kriege oft, daß solche Compagnien, die sich vorzueglicher Lustigmacher ruehmten, laenger auf dem Marsch aushielten und bei naechtlichem Dienst muntrer blieben wie andre. Daß man feinen Witz hier aber nicht begehren konnte, leuchtet ein.

Eine andere Spielerei war indeß so zwecklos wie geschmacklos. Man war nehmlich darauf bedacht, die Profoße oder Buettel recht auffallend zu kleiden, und zwar moeglichst unangenehm in die Augen fallend, z. B. zu falbbraunen Roecken graue Knoepfe, gruene Stiefletten, unfoermliche Huete u.s.w. Bei einigen Regimentern fuegte man aber noch einen Ungeheuern Haarbeutel hinzu, mit allerhand graeßlichen Abbildungen als Ruthen, Ketten, Galgen. Es stammte jedoch aus einer frueheren Zeit her, und ward unter Friedrichs II. Regierung abgeschafft.

Unsre Spaziergaenger kehrten am Thore wieder um, wollten das Gedraenge unter den Linden noch einmal in Augenschein nehmen. Der Lieutenant grueßte fleißig Damen, ein Beweis, daß er viele kannte, sie dankten ihm hold, was zu erkennen gab, daß er ihnen nicht mißfiel. Auf Lebrecht warf hingegen manche einen spitz laechelnden Blick, der indeß seiner Gestalt nicht gelten konnte, die keineswegs unvortheilhaft war, sondern seinem etwas seltsam erscheinenden und vernachlaeßigten Anzug.

Man ging weiter, und bald kamen ein Paar junge Maedchen, stattlich gekleidet, daher. Beide trugen breite Reifroecke, woraus folgte, daß, wenn sie mit diesen auch bis zum Beruehren sich nahe blieben, die Koerper sich doch ziemlich von einander entfernt halten mußten. Der Lieutenant sagte: »Erlauben Sie einen Augenblick!« Hierauf grueßte er die Damen, welche still standen, trat zu ihnen, und sprach mit der einen. Lebrecht blieb einige Schritte davon und betrachtete die Angeredete mit wachsender Unruhe. Sein erster Gedanke war: Ist das etwa eine Geliebte von dem Offizier, darf ich wohl zu meinem Wunsch nicht laenger stehn, denn sie ist schoener wie meine Schwester. Das Gespraech waehrte einige Minuten, desto laenger und schaerfer konnte er seinen Blick auf das geistvolle, strahlende Auge, die lieblich feinrothen Wangen, die ganze, durch Anmuth so ausgezeichnete Gestalt richten. Es duenkte ihm, seiner Schwester wegen, betrachte er diese Schoenheit so genau. Er fuehlte auch eine Anwandlung von Neid, als sie so freundlich gegen den Lieutenant sich bewies, auch mit ihm zu scherzen schien. Dies Alles brachte ihn in Verwirrung.

Das Gespraech endete, Lebrecht wuenschte, es moechte noch Stunden lang fortdauern. Jener mußte ihn rufen, er hatte sich umgedreht, sah dem reitzenden Maedchen nach. Unwillig und halb betruebt folgte er.

»Verzeihen Sie«, sagte der Offizier, »es ist meine Schwester, ich hatte ihr etwas zu sagen.«

Sehr gespannt, und mit einer freudigen Aufwallung, fragte Lebrecht: »Ihre Schwester?«

»Ich vergaß, haette Sie ihr vorstellen sollen. Kommen Sie zurueck, ich will es noch thun.«

Jener sagte: »Nein, ich – ich bin noch in meinen Reisekleidern. Es ist mir lieb, daß Sie nicht auf mich gesehn hat.«

Sie verfolgten nun den alten Weg. Der Lieutenant sprach von andern Gegenstaenden, sein Begleiter achtete nicht darauf, und gab auf Fragen unangemessene Antworten. Der Lieutenant sagte: »Sie scheinen ja mit einemmal so zerstreut!«

Lebrecht erschrak heftig, seine Wangen gluehten. »Nein«, stotterte er, »ich muß – ich hatte vergessen – man erwartet mich – erlauben Sie, daß ich mich Ihnen empfehle. Morgen nehme ich mir die Freiheit wieder –«

»Ich muß auch nach Hause«, entgegnete der Andere, und sie schieden. Lebrecht that, als wollte er in eine andre Straße einbiegen, er sah jedoch unvermerkt sich um, und als er wahrgenommen, der neue Bekannte habe sich aus dem Spaziergang entfernt, kehrte er dahin zurueck.

Er wollte die Schwester des Lieutenants wiedersehn. Dies gelang ihm noch einigemal, weil er sich auf eine Bank setzte und sie nun beim Auf- und Abgehn ins Auge fassen konnte. Immer hielt er, wenn sie nahte, ein Tuch vor das Gesicht. Endlich trennte sie sich, nicht weit von ihm, von der Begleiterin. Er hoerte sie sagen, sie waere diesen Abend eingeladen und wuerde vermuthlich daheim schon erwartet sein.

Ihm toente die Sprache sueß melodisch. Mit Ungestuem sprang er auf, um noch zu folgen, so lange als moeglich wenigstens ihr Gewand zu sehn.

Sie ging aber in ein nahes Haus, vermuthlich ihre Wohnung. Lebrecht merkte es sich genau.

Nun wollte er auch nach Hause, ueberlegend, die Eltern koennten auf sein langes Wegbleiben zuernen. Da begegneten ihm aber zwei alte Mitbrueder aus Halle. Sie waren Heute auf der Post angelangt, wollten Morgen Nachmittag weiter. »Gut«, rief der Eine, »daß wir uns noch begegnen. Wir hatten uns auf der Reise vorgenommen, in Berlin einen Abend schwaermen zu gehn, Du wolltest uns fuehren, weil wir unbekannt sind. Wo gehts hin? Das letzte gaudeamus igitur Heute!«

Lebrecht hatte ploetzlich aber die Neigung zu solchen Lustgelagen verloren, bat Jene also, das ihrige ohne ihn zu vollziehn.

Sie lachten und neckten ihn. »Bist Du schon aus einem tuechtigen Hallischen Burschen ein Philister geworden? Gewiß, Papa und Mama sind hier, da muß das Soehnchen kuschen. Gut, daß Papa und Mama nicht in Halle gewohnt haben, sonst haette es keinen besseren Kuemmeltuerken da gegeben als dich.«

Lebrecht wußte nicht, wie es kam, daß ihm diese Sprache jetzt so widrig klang. Demungeachtet wollte er's sich nicht merken lassen, theils aus einer unrichtigen Schaam, theils weil die Juenglinge seine Freunde, wenigstens lustige Freunde, waren. Er wollte nicht mit ihnen gehn, sie aber auch nicht kraenken. »Hoert, meine Herren Brueder, wir wollen diesen Abend noch vergnuegt mit einander sein, kommt mit mir zu meinen Eltern, es wird sie freuen, wenn ich ihnen ein Paar Bekannte als Gaeste mitbringe.«

»Ei was«, entgegnete Einer, »ich will an keinen Ort, wo es steif zugeht, wo ich mich geniren muß, nicht einmal von unsern alten Burschenstueckchen in Passendorf reden kann.«

»Nein, nein«, rief der Andere, »bei so einem Berliner Kaufmann zum Abendessen, bloede dasitzen wie ein Fuchs, das will ich nicht. Wir gehen nach Pommern, da wird uns die Langeweile noch genug plagen.«

Ueber die Macht der Verfuehrung hat schon Eva geklagt, auch diesmal bewaehrte sie sich, und Lebrecht folgte den Juenglingen. Doch hatte er etwas Aehnliches nie mit groeßerm Widerwillen gethan.

Die Frage, wo man hingehn sollte, wo es recht extralustig sei, konnte er ihnen aber nicht beantworten. Er war daheim streng erzogen worden, hatte ein musterhaft ordentliches Betragen geuebt, nur waehrend seines dreijaehrigen Aufenthalts auf der Hochschule hatten ihn Ueberredung, Beispiel und eigne lebhafte Gemuthsweise zu einem der ausgelassensten Juenglinge gemacht. Daher wußten Jene, obschon fremd, besser zu rathen. Sie hatten im Gasthofe sich erkundigt, und ein Wirthshaus, das auch einen Tanzsaal enthielt, war ihnen als ein Vergnuegungsort bezeichnet worden, der lustigen Juenglingen nichts zu wuenschen uebrig ließe.

Es war ihnen aus einem andern Grunde aber noch lieb, den Freund angetroffen zu haben. Sie besaßen kein Geld mehr, sollten Morgen nur, auf eine Anweisung, Einiges zum Fortsetzen ihrer Reise empfangen. Mit Goehl, dachten sie, waer es ein Anderes, er sei nun in der Heimath, der Sohn eines reichen Kaufmanns werde schon die leere Tasche wieder gefuellt haben. Er koenne wohl die Zeche heute berichtigen, haetten sie es doch bei anderen Gelegenheiten auch gethan.

In der That hatte Lebrecht aber seine Tasche noch nicht wieder gefuellt, an diesen Umstand dachte er nicht gleich und glaubte spaeterhin, die Freunde wuerden vermuthlich hier schon Zahlungen eingestrichen haben, weil sonst ihnen nicht wuerde eingefallen sein, einen Ort wie den erwaehnten zu besuchen.

Man streifte noch ein wenig umher und begab sich, als es dunkel ward, nach dem Tanzsaal. Es wurde zuerst Wein getrunken, dann Bischof, Punsch, mancherlei durcheinander. Die Freunde sangen, laermten, kamen mit anderen Anwesenden in Streit und konnten sich nicht genug wundern, heute ihren Freund so still, so untheilnehmend zu sehn. Er trank wenig, der hiesige Aufenthalt kam ihm roh und widrig vor, nur wenn die Anderen, welche die starken Getraenke zu erhitzen anfingen, in Streit geriethen, eilte er hinzu, um die Sache guetlich abzuthun.

Nach einer halben Stunde wollte er sich bereits entfernen, allein die Gefaehrten hielten ihn auf, meinten, es solle nun erst recht an ein Freudenfest gehn. »Ich habe Euren Wunsch erfuellt, liebe Freunde«, sagte er, »nun muß ich nach Hause eilen.«

Einer rief: »Sein Diener, mein Herr Fuchs, was macht der Herr Papa, was macht die Frau Mama?« Doch ließ sich Lebrecht nicht irre machen. »Habt nur die Guete«, sagte er, »und legt fuer mich aus, Morgen will ich Euch den Betrag in den Gasthof schicken.«

»Was«, hieß es dort, »Du hast kein Geld?«

»Wir auch nicht«, rief die zweite Stimme.

Dies war uebel. Die Herren besaßen weder Uhren noch sonst Werthhaltiges. Lebrecht ging zu dem Wirth, sagte ihm: »Ich bin der Sohn des Kaufmann Goehl und nehme die ganze Bezahlung auf mich. Sie werden mir schon bis Morgen Kredit geben.«

Dazu hatte der Wirth nicht die mindeste Lust, und Lebrechts Ansehn schien ihn auch wenig zum Vertrauen einzuladen. Er hatte in solchen Faellen auch abschreckende Erfahrungen gesammelt und kuendigte den Herren an, sie wuerden gleich bezahlen oder man würde ihnen die Roecke ausziehn.

Lebrecht wurde ueber eine so geringschaetzige Behandlung zwar empoert, suchte aber seinen Unmuth doch niederzuhalten und verlangte einen Boten, den er zu seinen Eltern senden koenne. Diesen wuerde ihm der Wirth auch wohl bewilligt haben, doch hoerte er Lebrechts Worte nicht mehr, weil die Andern ueber jene Drohung ihn tuechtig anließen. Zu den Feinsten gehoerte der Wirth aber auch nicht, und er rief: »Seht nur, die Jungens! Haben kein Geld und sind noch grob!«

Nun wards laut. Des Wirths Aufwaerter, fuer jedes Ereignis angewiesen, kamen mit Stoecken. Die Musensoehne hatten mehr Muth, rissen ihnen die unedlen Waffen aus den Haenden, jagten sie fort, den Wirth sogar ins Nebengemach, und ließen nun ihre Wuth an Fenstern und Glaesern aus. Ein Glueck noch, daß sie die Spiegel verschonten, die Rechnung wuerde sonst bedeutend hoeher ausgefallen sein. Lebrecht, der ueberhaupt nicht zertruemmern half, hielt sie davon zurueck.

Nach ihrer Rache triumphirend, schickten sie sich an, von dannen zu gehn, fanden aber die Thuere verschlossen. Sie wollten ihren Weg durch ein Fenster nehmen, Laden, von außen befestigt, hinderten es. Man pflog bestuerzt weiteren Rath.

Der Wirth hatte aber auch nach der nahen Wache gesandt, von der bald vier Mann erschienen. Ihnen oeffnete man die Thuere. Nun war Uebermacht, noch dazu mit Ober- und Untergewehr bewaffnete, da. Es blieb den Juenglingen nichts uebrig, als sich zur Hauptwache am neuen Markt fuehren zu lassen. Der Wirth rief ihnen nach: »Wenn Sie fünfzehn Thaler schicken, wird das Uebrige drein gehn.« Es wurde hier damit so genau nicht genommen, zehn bis zwoelf Thaler betrugen etwa Zehrung und Schaden, so konnte der Wirth mit fünfzehn schon zufrieden sein.

Zum Glueck war es bereits dunkel; die Soldaten, die noch vor dem Wachhause saßen, uebten aber doch Muthwillen, als sie die lustigen Gesellen bringen sahn, mit Worten wenigstens. Einer rief: »Barbiert sie mit geriebnem Ziegelstein«; der Andre: »Laßt sie auf dem Esel reiten!« Denn in jener Zeit stand noch ein Langohr von Holz, mit schmalem, scharfen Ruecken, vor der Wache, den oft die Soldaten zur Strafe besteigen mußten.

Die Verhafteten wurden zum Hauptmann gebracht, der ihnen ihren Aufenthalt im Stockhause, d. h. einem wohlbewachten Keller, anweisen ließ. Lebrechts Freunde warfen sich auf die harte Pritsche und schliefen bald ein, er selbst ging aber mit den bittersten Gefuehlen auf und nieder, und sann nach, was zu thun sein duerfte, daß er nicht, wie man ihn bedroht, Morgen am hellen Tage ins buergerliche Gefaengniß abgefuehrt wuerde. Endlich bat er, den Hauptmann noch einmal sprechen zu duerfen, und erzaehlte ihm offen den ganzen Hergang. Der Hauptmann entgegnete: »Ich darf eigentlich Niemanden, der einmal verhaftet ist, loslassen, doch sind Sie noch nicht weiter gemeldet, und ist es, wie Sie sagen, der Gastwirth zufrieden, wenn nur seine Forderung ihm entrichtet wird, so suchen Sie das moeglich zu machen. Ist es geschehn, will ich Sie nicht mehr zurueckhalten.«

Lebrecht durfte schreiben, ein Soldat wurde mit dem Billet abgeschickt, das Uebrige ist bekannt.

Der aeltere Sueßmilch fand sich ein, erlegte das Geld, und dessen Sohn ueberhaeufte Jenen mit franzoesischen und deutschen Lobeserhebungen. Sie waren ihm hoechst zuwider, und Lebrecht erschrak noch, den Ausspender bereits in Berlin zu finden. Man rief jenen Wirth, um das Geld in Empfang zu nehmen, und die Verhafteten mochten frei ausgehn. Lebrecht schied ziemlich kuehl von Allen.

Er empfand eine gewisse Scheu, sich nach Hause zu begeben, machte einen Umweg, der – aus einem andern Antrieb noch – ihn zu den Linden fuehrte. Vor der sich wohl gemerkten Wohnung blieb er stehn. Eben kam ein Wagen, der zwei Damen, und unter ihnen die Schwester des Lieutenants brachte. Der Mond war aufgegangen, Lebrecht erkannte sie. Nicht lange darauf hoerte er oben eine Stimme, die ihn unendlich sueß begeisterte. Es litt keinen Zweifel, daß Jene zum Klavier gesungen hatte, denn sie kam nachher ans offene Fenster. Mit diesem Eindruck ging er nun fort.

Was ihm bei seiner Heimkunft begegnete, hat man erzaehlt. Nie hatten ihn widerstreitendere Gefuehle bewegt als nun, wie er sich einsam auf seinem Zimmer befand.

Er wuethete von Reue und Verdruß ueber die aergerliche Begebenheit dieses Abends, daß er sich aber in sofern nur dabei anzuklagen hatte, als er den Zumuthungen der lockern Brueder nachgegeben, befremdete ihn ganz ungemein. Er fragte sich: Wie, wenn ich in den boesen Handel noch Gestern mich verwickelt gesehn haette? Da wuerde ich der Leidenschaftlichste von uns Dreien gewesen, das Unheil noch weit schlimmer ausgefallen sein. Wie kam es nun, daß ich Heute bei Trunk und Aufwallungen mich zu maeßigen vermochte, ich auch die ganze wueste Ergoetzlichkeit so leer und gehaeßig fand, daß ich gewiß lebelang keine aehnliche theilen werde? Ich begreife das nicht!

Daneben draengte sich aber eine Vorstellung des schoenen Maedchens, welches er Heute gesehn, nach der anderen ihm auf. Es war, als ob ihm dabei ganz neue Saiten im Herzen anklaengen. Er faßte nun auch ebensowenig, wie der Anblick eines Maedchens und ihr Gesang mit einer so wunderbaren Nachwirkung ihm das innerste Leben durchdringen konnten. Er mochte nicht schlafen, lieber seinen holden Erinnerungen und den Betrachtungen ueber ihre Gewalt nachhaengen. Erst gegen Morgen warf er sich, noch angekleidet, aufs Bett, schlief nun aber auch tief und lange.

Bei seiner Mutter hatte Doris die ganze Nacht gewacht. Sie befand sich am Morgen wieder ziemlich wohl und stand auf, um haeuslichen Verrichtungen nachzugehn. Mißlaunig war sie noch sehr und schalt Tochter und Gesinde aus. Katharine gab ihr aber den Schluessel zu einem Koffer, den man, wie sie sagte, eben gebracht haette und welcher dem Sohn gehoerte. »Hat er doch noch einen Koffer«, fragte Jene. »Wo ist er denn? Ich will doch sehn, was darinn sein mag.«

Sie oeffnete ihn. Da lagen sechs feine Oberhemden, roth gezeichnet. Nun hatte sie eine kindliche Freude. »Doch meine Waesche in Ehren gehalten«, rief sie, »und noch immer geschont! Oh, es ist doch ein guter Sohn, und den Leichtsinn wird er schon noch ablegen!«

Und aller Zorn, selbst der ueber den Auftritt vom vorigen Abend, war nun entwichen. Lebrecht hatte ihre ganze alte Gunst zurueckgewonnen. Durch solche Kleinigkeit? fragen die Leser vielleicht. Sie moegen ihre Erfahrungen aber auch fragen: ob sie oefter gesehn haben, daß der Mensch ueberhaupt durch Großes, oder Kleines mehr zu gewinnen sei? Doris hatte ihrem Bruder hier aber einen so guten Dienst erwiesen, daß sie die freundlichsten Gegenleistungen vollkommen verdiente.

Frau Goehl lobte nun auch Doris, ihres naechtlichen Wachens halber, und sagte: »Wenn Du Dich niemals wieder unterstehst, nur an einen Brief von einer Mannsperson zu denken, viel weniger des Abends mit einer Mannsperson am Fenster zu sprechen, will ich sehn, ob der liebe Himmel mir das muetterliche Herz so regieren wird, daß ich es diesmal Dir noch vergebe, wenn auch nicht gleich, doch mit der Zeit. Ich will noch denken, Du haettest aus Unerfahrenheit, aus Dummheit gefehlt, aber huete Dich vor solcher neuen schweren Suende und Missethat! Billig solltest Du wieder ins Kaminloch, um Deine ganze Strafe abzusitzen, und mit der Elle hernach Dein Geschenk noch kriegen, weil das Kaminloch aber das Zeug so schwarz macht, weil Du bei mir die Nacht gewacht hast und weil Lebrecht doch meine feinen Oberhemden noch hat, so daß ich sehe, der Himmel will mich doch wohl Freude an meinen Kindern erleben lassen, nun, so mag es diesmal noch hingehn. Aber huete Dich vor einem Brief, und finde ich Dich einen Abend nur am Fenster, koemmt die Strafe doppelt, dreifach. In den Kamin sperr' ich Dich nicht mehr, weil das Zeug da so verdorben wird, aber in den Keller, da sind Ratzen, davor hast Du solche Furcht. Es wird sich aber wohl mit den Briefen und Tuscheln am Fenster geben, weil der Braeutigam nun da ist.«

Die Tochter kueßte ihr die Hand und ging sich zu kleiden. »Wacht denn der Lebrecht, der faule Mensch, noch nicht«, fragte Frau Goehl das Maedchen, »seine Biersuppe steht ja noch am Feuer.«

Katharine hatte noch nichts von ihm vernommen. Ist er auf, hieß es weiter, soll er seine Biersuppe unten bei mir essen, ich habe viel mit ihm zu reden. Biersuppe war in diesem Hause noch immer das gewoehnliche Fruehstueck, den Kaffee sah man nur bei festlichen Gelegenheiten, wozu aber auch Weihnachten, Ostern u.s.w. gehoerten.

Nun eilte Frau Goehl zu ihrem Mann, der sich im Tuchladen befand und dem Ladendiener eben harte Verweise gab. Es war die ueble Laune, von Gestern in den heutigen Tag verpflanzt, auch klagte er noch ueber ein dumpfes Gefuehl im Kopf und Schwindel. Jene nahm ihn an der Hand und fuehrte ihn ins Wohngemach. »Der Junge taugt nicht«, fing sie nun an, »es ist kein gutes Haar an ihm, aber es ist doch unser Fleisch und Blut, und der Himmel wird wohl geben, daß er sich noch bessert. Wer weiß, wie es uns auf eine andere Art bescheert wird, was er in Halle gekostet hat. Und hat er so viele Hunderte da gekostet, muessen wir die funfzehn Thaler – wenn es schon liebes Geld ist – auch verschmerzen. Dafuer sind auch die feinen Oberhemden noch da. Und nun will ich Dir sagen, was ich noch fuer einen Gedanken habe, oder was mir der Himmel eingegeben hat, denn so was koemmt nicht von selbst. Halb und halb ist es schon richtig. Was sagst Du zu Renatchen? Waer das nicht eine Schwiegertochter fuer uns? Was, Alter, was?«

Herr Goehl rueckte verwundert mit dem Stuhl und schob das Muetzchen. »Siehst Du – siehst Du –«

»Nicht wahr, da bin ich keine Gans gewesen, wie ich das ausgeheckt habe?«

»Renatchen wird einmal was erben.«

»Nur zu stattlich geht sie mir her. Das wollt ich ihr aber wohl abgewoehnen, wenn sie erst meine Schwiegertochter waere.«

»Und am Ende – wer's haben kann – siehst Du, die heutige Welt ist nun so –«

»Waer der Lebrecht da nicht ein gemachter Mann, was?«

»Und wenn er als Doktor noch viele Kranke haette –«

»Die wird ihm der Himmel auch bescheeren – ach pfui, da haett ich mich bald versuendigt – der Himmel straft aber viele mit Krankheiten wegen ihrer Suenden, zumal die Vornehmen.«

»Und siehst Du, hat ein Doktor eine Kutsche, lassen ihn die Vornehmen am liebsten rufen. Haette der Junge aber eine reiche Frau, koennte er sich gleich Wagen und Pferde halten.«

»Bin ich dumm gewesen?«

»Hast Du denn schon –?«

»Angepocht hab ich, hingehorcht – es steht geschrieben, klopfet an, so wird euch aufgethan, man kann aus einem Wort schon merken, was die Glocke geschlagen hat – kurz; halb ist es richtig!«

»Siehst Du, das waere mir sehr lieb. Aber die Frau Muhme hat ja den Jungen noch nicht gesehn, Renatchen auch nicht –«

»Was ist da immer ein Sehen noethig! Ich habe von ihm gesprochen, und eine Mutter wird ihr Fleisch und Blut nicht verachten. Daß Lebrechtchen auch einmal ein Paar Thaler kriegt, wissen sie. Und wenn sie ihn sehn, werden sie auch sehn, daß ihm der Himmel seine gesunden Gliedmaßen bescheert hat, ein Paar rothe Backen obendrauf. Nur so liederlich muß er nicht hergehn. Darum ist mir's auch lieb, daß er Gestern Abend nicht gekommen ist und sie ihn nicht in dem wuesten Anzug gesehn haben.«

»Siehst Du aber, sie haben dafuer gehoert, daß der Junge, wie er kaum einen Fuß wieder in Berlin gesetzt hatte, schon –«

»Schweig mir davon! Warum bin ich denn krank geworden!«

»Zu arg! Muß uns bei nachtschlafender Zeit da noch ein Grenadier ins Haus gelaufen kommen!«

»Worueber hab ich mich denn so alterirt, wie ueber den Grenadier!«

»Martin ist nur ein Esel gewesen. Er haette ihn nicht hereinlassen sollen, mir es heimlich sagen, da waer Alles heimlich –«

»Ist denn Martin in seinem Leben noch was Andres gewesen wie ein Esel? Nun geschehn ist geschehn, und ich denke, die Frau Muhme wird ja auch wohl denken, Jugend hat nicht Tugend, mit der Zeit bricht man aber Rosen.«

Jetzt kam Lebrecht. Mit zweierlei Gefuehlen war er aufgewacht, von einer holdseligen und einer ihn peinigenden Erinnerung ausgegangen. Er kleidete sich indeß schnell an und eilte zu den Eltern, des Vorhabens, sie reuig um Verzeihung zu bitten.

Freilich wurde er noch, besonders vom Vater, mit unwilligen Mienen empfangen, und zwei Strafpredigten, fast zu gleicher Zeit gedonnert, ließen ihn lange nicht zu Wort koemmen. Doch wie er dazu erst kam, sprach er auch auf eine Weise, die geeignet gewesen waere, einen noch heftigeren elterlichen Zorn zu entwaffnen. Er schien, gegen Gestern, wie umwandelt, schmaehte seine Verirrungen in Halle, ohne sie nur entschuldigen zu wollen, gelobte so fest Besserung, daß er allen Glauben an die Zusage weckte, und erzaehlte die Begebenheit des gestrigen Abends auch der Wahrheit nach, so daß sich Jene ueberzeugten, er sei nicht so strafbar wie es den Anschein gehabt.

Die Mutter rief: »Aber es steht geschrieben: wenn dich die boesen Buben locken, so folge ihnen nicht – Kathrine, bringe sein Warmbier – und wer sich vom boesen Feind an einem Haar fassen laeßt – nun, ich will aber hoffen, Du wirst ihm nicht auf ewig gehoeren, weil die feinen Oberhemden noch da sind.«

Waehrend er sein Warmbier genoß, sprach er von dem Examen, das er hier noch zu bestehn haben wuerde, um die Erlaubniß, als praktischer Arzt aufzutreten, zu erlangen, wie er schon zu Halle sich darauf vorbereitet und noch mit dem groeßten Fleiß damit fortfahren wolle, was den Eltern sehr wohl gefiel.

Die Mutter hob wieder an. »Ein anderes Kleid mußt Du aber haben, so kannst Du hier nicht gehn, Lebrecht!« Das freute ihn ungemein, seit Gestern Abend lag ihm ein neuer Anzug am Herzen, er sollte nicht hoffaertig, gleichwohl nach der Mode, zierlich, etwas glaenzend auch sein. Er machte deshalb nun Vorstellungen.

»Schneide ihm Tuch von der Elle ab, mein Kind«, sagte die Mutter, »und vom feinsten, unser Schneider soll auch gleich kommen.« Es gab hier noch einigen Streit. Der Vater wollte braune Farbe, mittlere Guete, Rock, Weste und Beinkleid gleich, der Sohn hatte Lust zu Scharlach, mit einigem Gold, wuenschte eine Schabrackenweste, und schwarzseidnes Beinkleid. Herr Goehl schlug die Haende ueber dem Kopf zusammen, seine Gattin sagte ihm ins Ohr: »Die Frau Muhme haelt auf so was, er soll ja auch Renatchen gefallen.«

»Habe ich Dir nicht auch gefallen«, fragte Jener, »und bin ich wie ein Narr –«

»Ei was«, fiel sie ein, »zuweilen muß man die Wurst nach der Speckseite werfen.«

Man einigte sich endlich. Der Scharlach wurde zugestanden, aber das Gold nicht auf dem Rock, hingegen auf der Weste, die auch aus Scharlach bestehn sollte, zum Beinkleid bewilligte der Vater halbseiden Zeug. Der Hausknecht mußte zur Stelle den Schneider rufen. Der sagte indeß, er habe eben einen vollstaendigen neuen Anzug fertig, vielleicht passe er grade.

Waehrend das im Wohngemache vorfiel, hatte sich Doris nicht dahin begeben wollen, um nicht zu stoeren, sondern ihren Platz mit dem Strickstrumpf im Putzzimmer genommen. Daß sie einen Stuhl am Fenster einnahm, konnte ihr nicht zum Verbrechen gemacht werden, in sofern es Tag war und die Mutter nur ueber den abendlichen Aufenthalt am Fenster so gezuernt hatte. Einige Zerstreuung, welche die Voruebergehenden doch zu gewaehren pflegen, war ihr ohnehin noethig. Sie hatte, an ihren Braeutigam denkend, viel geweint. Auch wenn es nie einen Redutenschaefer, ein Ideal der Schaefer in Arkadien, gegeben haette, wuerde ihr der junge Sueßmilch doch fade, abgeschmackt, unertraeglich vorgekommen sein, um wie viel mehr nun. Einige Aueßerungen der Eltern ueber ihn ließen sie hoffen, daß er ihnen auch im hohen Grad mißfallen hatte und sie ihn nicht zum Eidam wuerden annehmen wollen, andere ließen sie aber das Gegentheil fuerchten. Sehnlich wuenschte sie mit Lebrecht von dem Allen zu reden.

Nach einiger Zeit kam ein Artillerieoffizier die Straße herauf. Vor Offizieren ueberhaupt hatten sie die Eltern stets wie vor solchen gewarnt, die umher gingen wie bruellende Loewen und suchten, welche Maedchen sie verschlaengen, aber sie hatte zuweilen doch bemerkt, daß es recht huebsche junge Leute darunter gaebe, die man wenigstens ansehn koenne, wenn man sonst auch, mit allem Fug, sich vor ihnen huetete. Deshalb blickte sie auch, wiewohl etwas verstohlen, dem jetzt daher tretenden entgegen und fand, daß er einen ungemein schoenen Wuchs haette, auch einen huebschen maennlichen Anstand, beides ganz anders wie Herrn Sueßmilchs Sohn. Der Offizier kam naeher. Doris sah zum Strickstrumpf hinab, aber doch wieder auf, eben als Jener sich in der Richtung des Fensters befand. Beinahe haette sie aber auch aufgeschrieen, ohne zu wissen, warum. Doch sah der Offizier auch zum Fenster her, zog schnell den Hut und verbeugte sich im Voruebergehen mit einer ueberaus freundlichen Anmuth.

Sie sprang auf, um hoeflich zu danken, ließ aber den Strickstrumpf darueber fallen und warf ihren Stuhl um. Gut, daß es die Mutter nicht hoerte und zu fragen kam, was es gaebe.

Doris hielt ein kleines inneres Selbstgespraech. Mein Himmel, wie kennt mich der? – Und – ach – der sieht ja dem Schaefer so aehnlich, wie ein Tropfen Wasser dem andern. Ach – am Ende ist er's selbst. Das waer aber ein großes Unglueck!

Von Verwirrung ergriffen, eilte sie hinaus. Dort ergriff Katharine aber ihre Hand und zog Doris in die Kueche. »Jungfer Doertchen« – es war ihre Anredeweise – hob sie an, »ich muß Ihnen was erzaehlen, noch ging es nicht. Gestern Abend sollt' ich noch Lichte holen, es waren nicht mehr genug da, ich mußte auch den Seifensieder noch 'rauspochen, er war recht grob, daß ich noch so spaet kam, und fragte mich, warum ich nicht frueher gekommen waere, aber kurz von der Sache zu reden, kam ich auf den Flur, da stand der alte Herr Sueßmilch mit dem jungen Herrn, der Heute erst gekommen ist, der die vielen Schoenflecke hat, ich habe sie wohl gesehn, wie ich durch die Stube ging, Gott bewahre, wie viel Schoenflecke, aber kurz von der Sache zu reden, wie sie nun so dastanden, sprachen sie zusammen, das ging mich nichts an, ein Dienstbote soll auch nicht neugierig sein, es schickt sich nicht, und horchen soll man gar nicht, ich habe bei meiner vorigen Herrschaft viel Verdruß darueber gehabt, ich wollte auch nicht horchen, weil ich aber nicht im Dustern bei Mannsleuten vorbeigehn wollte, man weiß ja, wie die Mannsleute sind, die lassen Einen nicht zufrieden, und dem mit seinen Schoenflecken ist gewiß nicht zu trauen, das seh ich ihm schon an, er haette mir wohl nicht viel thun koennen, war sein Vater doch da, aber es war so duster, da wollt ich doch nicht vorbei, ich haette mir eine Laterne mitnehmen koennen, warum hab ich es nicht gethan, aber kurz von der Sache zu reden, so stand ich still, stand ich und hoerte, was die Beiden sprachen, Herr Sueßmilch und der junge Herr mit den Schoenflecken, aber was sprachen sie, wovon sprachen sie, rathen Sie einmal, Jungfer Doertchen, ich dachte, ich sollte vernarren, das haett' ich nun und nimmermehr gedacht, ich dachte, es waer Ihr Liebster, dacht' ich, und ein Liebster muß doch gut von der Liebsten sprechen, dacht ich, der Liebste sprach aber schlecht von der Liebsten, sprach er, Sie gefielen ihm nicht, sagte er, er waer Ihnen nicht gut, sagte er, die mit der dicken Madam gekommen ist, mit dem großen Fischbeinrock, gefiel ihm besser, sagte er, sein Papa sollte ihm doch die verschaffen, sagte er, und der Papa hatte auch ein groß Maul, hatte er, sagte, Sie waeren nicht freundlich gegen seinen Musjeh, moechten wohl –«

»Still, still«, fiel Doris ein, »ich habe genug gehoert, ist das auch wahr?«

»Auf dem Rathhause will ich's beschwoeren!«

»Ist es wahr, soll es Dir ein neues Kamisol von Damis einbringen.«

»Da spring ich ja deckenhoch! – Aber aergern Sie sich denn nicht einmal?«

»Du haettest mir nichts Angenehmeres erzaehlen koennen.«

Doris wurde jetzt zur Mutter gerufen, um ihr den Anzug ordnen zu helfen, denn ein Ausgang in wichtiger Absicht war beschlossen. Zu dem Ende nahm sie aus dem breiten eichnen Zeugspinde im Wohngemach eine Contouche von weißlichem Moor, und einen schwarzen halbseidnen Stepprock, das schwarze Halstuch dazu war sehr klein und bescheiden, doch mit ziemlich feinen Kanten besetzt. Das Haupt sollte aber eine gruen atlaßne, mit einem langen Strich versehene und mit silbernen Lahntressen prunkende Tellermuetze verherrlichen. Wie dies Alles angelegt war, huellte sich Frau Goehl noch in ein rothes Maentelchen, oben mit Rauchwerk und einem versilberten Schloß geziert, das ein wenig unter die Hueften hinab reichte. Eh sie das Haus verließ, nahm sie das Schluesselbund und loeste einige einzelne davon ab, um sie Doris zu ueberliefern, die uebrigens wurden nicht, wie gewoehnlich, an dem Haken in den Rock gehaengt, sondern in die unter demselben umguertete lederne Tasche gesteckt. Die Tochter empfing Befehl, das Mittagessen anzuordnen, welches in einer guten Hafergruetzsuppe mit kleinen Rosinen und den Ueberbleibseln des gestrigen Abendbrots bestehn sollte. Um auch Speisebier – das Ruppiner schaeumte nicht jeden Tag – herausgeben zu koennen, erhielt die Bevollmaechtigte zugleich den Schluessel zum Keller.

Frau Goehl hatte sich kaum entfernt, als auch ihr Mann, um Boersengeschaeften nachzugehn, folgte. Er hatte sich nicht so in vollen Staat geworfen als die Hausehre, der mit einer breiten Tresse versehene Hut blieb daheim, ein einfacher mußte seine Stelle vertreten. Er beschwerte die Perruecke, von der zwei Knoten ueber die Brust und zwei andre am Ruecken hinabhingen, wenig, denn seine Kopfhoehlung war nicht steif, so daß er stark sich vorueber neigte. Weil die vordere Spitze auch, wie die uebrigen, horizontal lag, leistete sie bei Sonnenschein und Regen gute Dienste. Dabei hatte er seinen weiten braunen Plueschrock gewaehlt, an dem vor Alter die Farbe ein wenig verschossen, der aber hoechst bequem war und, bis tief hinab zugeknoepft, die Unterkleidung voellig deckte. Gestiefelt sah man Herrn Goehl nie, weil er kein Pferd bestieg oder je bestiegen hatte. Bei nicht rechtem Wohlbefinden – wie Heute immer noch auf das gestrige Aergerniß, und in der Einbildung wenigstens – pflegte er ueber seine Struempfe und Schuhe schwarztuchene Kamaschen zu ziehn, die warm hielten. Ein Paar daenische Handschuhe und das stattliche spanische Rohr vollendeten diese – ordinaire Toilette. Zur sonntaeglichen gehoerte die Wehrhaftigkeit neben dem linken Hueftbein, die aber die meisten Kaufleute nicht jeden Tag mehr anschnallten. Es hatte ein Ansehn, als richteten sie sich nach Hagedorns Wink, in der Leichenrede des reichen Kaufmanns Jost, worin es heißt: Doch rieth man ihm mit guten Fug, den ritterlichen Degen, den er an seiner Seite trug, nur Sonntags anzulegen. Puenktlich geschah es aber auch an den Sonntagen vom ganzen edlen Commercium, wobei sich die Herren Buchhaendler von selbst verstehn. Aber auch die Herren Apotheker blieben hier nicht zurueck, so daß also die, welche Arzneien (oder Roboranzen) fuer den Geist, und die, welche sie fuer den Leib verkauften, einander aehnlich sahen.

Man koennte fragen: ob sich das auf die juedischen Herren Kaufleute auch bezogen haette, die in unsern Tagen um kein Haar anders aussehn wie die an Christum glaubenden. Das mueßte jedoch verneint werden. Kein Israelit durfte in jener Zeit bewaffnet sein. Bis jetzt ließ jeder Hausvater den Bart, nach Vorschrift des alten Testaments, wachsen, und trug am Sabbath einen langen Mantel. Perruecke oder eigen getragnes Haar wurden auch abweichend geordnet, hinten rund, mit vielen Locken, woran die Juenglinge auch zu unterscheiden waren. Bei den Frauenzimmern ward es freilich so genau nicht genommen, doch durfte kein verheirathetes vom Haar etwas zeigen, und der ledigen Kopfputz unterschied sich auch durch einen gewissen Schnitt, den sie nach ihrem, nicht nach einem fremden Geschmack bisweilen abaenderten. Allein die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts – ein ueberhaupt wichtiger Zeitabschnitt, sowohl in Ruecksicht der Gebraeuche als der Meinungen – bezeichnete den Anfang einer wichtigen Periode ihres Modenwechsels. Denn um diese Zeit fingen die juengern – und auch Ansprueche auf Verfeinerung machenden – Ehemaenner an, den Bart um etwas zu verkuerzen. Das Etwas wurde zum Mehr, der Bart zum Weniger. Etwas ueber dreißig Jahre verkuerzten sie so fort, bis nichts mehr da war, und der Mantel verschwand auch. Die Juenglinge schritten etwa vierzig Jahre lang von mehreren Locken im Nacken zu wenigem, zu einer, zu einem kleinen Knauf, bis zum Zopf, der, als er bei den Christen verschwand, auch von den Ebraeerkoepfen sich losmachte.

Doris fuehlte eine Freude, ihre beiden Eltern entfernt zu sehn. Sie konnte nun gehoerig mit Lebrecht sprechen. Die Vorrichtungen zur Hafergruetzsuppe raubten wenig Zeit, sie stieg dann in den Keller und mit solcher Eile wieder hinaus, daß sie den Schluessel in der Thuere vergaß. Lebrecht war auf seinem Stuebchen, wo er die in einer Mappe mitgebrachten Hefte auspackte, um sich gleich wieder mit Studien zu befassen. Die Schwester trat zu ihm herein und schuettete ihr Herz vor ihm aus. »Du glaubst nicht, lieber Bruder«, rief sie, »welch ein abgeschmackter Laffe der Sueßmilch ist, und den soll ich nun heirathen.«

»Er taugte schon auf dem Gymnasium nicht, wo ich ihn kannte, und Gestern sah ich ihn noch spaet – ich mag mich nicht erinnern, wo – ein wahrer Trottel ist aus ihm geworden. Nein, Du sollst ihn nicht heirathen. Du hast mir einen wahrhaft schwesterlichen Dienst gethan, so muß ich auch wie ein Bruder gegen Dich handeln. Wie – das seh ich freilich noch nicht ein. Fordre ich den Haasenfuß, koemmt er nicht, – aber es wird andere Mittel geben. Doch bleibt es immer schlimm, daß er so frueh schon gekommen ist.«

»Aber ich muß Dir doch sagen, was mir Kathrine erzaehlt hat.«

Nun folgte der Bericht, den Lebrecht mit wachsendem Vergnuegen hoerte. »Bene, optime«, rief er nach seiner Vollendung, »da kann, da muß ein ehrliebendes Maedchen sagen: den Lump nehm' ich nicht. Die Eltern koennen es Dir auch nicht mehr zumuthen. – Nun hoere meine Neuigkeit. Ich habe mit Deinem Schaefer geredet, ich lobe Deinen Geschmack. Ein allerliebster junger Mann – und hat eine Schwester, die nur einmal singen duerfte, und ein wilder Baer waere gezaehmt – weißt Du aber auch, was er ist?«

»Ach – leider! Offizier.«

»Du weißt es schon?«

»Er kam vorbei und grueßte mich.«

»Wenn die Eltern das nur nicht gesehn haben. Zwar nun – er will Dich gerne sprechen.

»Um Gotteswillen nicht!«

»Will Dir sagen, daß er Dich ernst, aufrichtig, wie ein Mann von Ehre, liebt, Dich zu heirathen wuenscht.«

»Wahrhaftig? So tugendhaft denkt er doch? Nun – dann ist es ja wohl keine Suende, wenn ich ihn spreche.«

»Ich will sie am juengsten Tage auf mich nehmen. Aber in meiner Gegenwart soll es nur geschehn. Heute ist eine treffliche Gelegenheit, die so bald nicht wiederkommen moechte. Ich werde zu ihm gehn, ihn herbringen.«

»Heute schon? Lebrecht! Es wird Aufsehn bei den Nachbarn geben –«

»Wenn ich mit ihm gehe? Kann er nicht mein Bekannter sein? Und kann er nicht Tuch kaufen wollen?«

»Papa bleibt wohl ein paar Stunden weg, aber wenn Mama bald kaeme –«

»Wo ist sie denn hin?«

»Sie hat sich geputzt, wird eine Visite machen wollen.«

»Oh, da waehrt's auch ein paar Stunden! Beide Eltern aus dem Hause, das ist selten. Komme ich, werde ich freilich erst sehn, ob der Busch rein ist, und ihn noch zuruecklassen. Ist Niemand da, geh ich mit ihm auf meine Stube. Du koemmst, als wenn Du mich zu sprechen haettest, eine Schwester kann doch zu ihrem Bruder gehn. Gieb dem Maedchen im Hofe was zu thun.«

»Zum Glueck ist der Hausknecht nach Holz geschickt. Aber der Ladendiener –«

»Die Ladenthuere nach dem Flur ist ja immer zugemacht. Ich komme von der andern Seite die Straße her.«

»Aber wenn ich nun Oben bin, und Jemand von den Eltern koemmt?«

»Man giebt Acht. Der Lieutenant wird versteckt, schluepft bei Gelegenheit weg. Laß mich nur machen. Ihr sollt Euch sprechen, damit Ihr Euch naeher kennen lernt und noch prueft, ob es auch gescheut ist, Euch zu heirathen.«

»Oh, wenn's nur anginge! Ich seh es schon an den Augen, an den Mienen, daß er fuer mich paßt. Keinen bessern Mann faende ich im ganzen heiligen roemischen Reich! Hat sich mir zu Gefallen statt Damm Damoet genannt, ist das nicht ein gefaelliger Sinn? Oh, es kann auch per Sympathie geschehen, daß wir Beide so die Schaeferwelt lieben. Und das hab ich wo gelesen, gluecklichere Ehen giebt es nicht, als die per Sympathie geschlossen werden.«

»Ich hatte das nicht gleich ueberlegt, thue ein gutes Werk, wenn ich mache, daß Ihr Euch erst naeher kennt. Doch glaube ich wie Du, Ihr wuerdet ein glueckliches Paar sein. Wie Du ihm erst solchen panegyricum hieltst, dacht ich schon, das ist Maedchengeschwaetz, blinde Liebe. Aber wie ich ihn sah, gefiel er mir selbst.«

»Hoere, Lebrecht, ich will Dir einen Rath geben. Gewoehne das Lateinische Dir ab. Ihr Gelehrten habt das so an der Art, Euch unter einander mag es wohl gefallen, und ich habe auch bei Dir nichts dagegen, weil ich Deine Schwester bin, Dir gut bin. An Andern mag ich es aber nicht leiden, und so wird's andern Maedchen bei Dir auch gehn.«

»So? Ich danke Dir – es ist mir lieb, daß Du mich daran erinnerst.«

»Der Sueßmilch spricht immer halb deutsch, halb franzoesisch, pfui, das ist nicht auszustehn. Und mit dem Lateinischen ist es auch nicht besser. Freilich willst Du nicht heirathen, so ist es Dir also gleich, was die Maedchen von Dir halten.«

Lebrecht unterbrach sie: »Non sum, qualis eram«, und flog zur Thuere hinaus.

Nun gab Doris sich theils wieder haeuslichen Geschaeften, theils einem halb frohen, halb duestern Nachsinnen ueber die Hoffnungen, die Lebrecht eben in ihr weckte, hin.

Nach einer halben Stunde kam Renate, von ihrer Tante geschickt, um zu fragen, wie sich das Goehlsche Ehepaar auf die gestrigen Krankheitsanfaelle befinde? Mit Verwunderung hoerte sie, daß es damit von so unbedeutenden Folgen gewesen sei.

Die beiden Maedchen waren allein, plauderten von Neuigkeiten, Putz und dergleichen, Renate glaubte bald indeß wahrzunehmen, daß Jene von Unruhe ergriffen sei, und aeußerte sich hierueber auch mit freundlicher Theilnahme. Doris schoepfte dadurch Vertrauen und sagte offen hin, was ihr Gemueth bewegte, doch nur in sofern es den jungen Sueßmilch anging. »Sie haben mir also«, fuhr sie fort, »meinen Braeutigam abspenstig gemacht, andere Maedchen wuerden Sie darueber hassen, ich wahrlich nicht. Ich goennte Ihnen meinen Braeutigam gern – nein, das nicht, ich moechte ihn wohl verlieren, ihn aber doch nicht einer Freundin wuenschen.«

Renate entgegnete laechelnd: »Ich halte mich nicht fuer so schoen, daß ich irgend einem Maedchen in der Liebe schaden koennte, aber Sie waren schwarz, ich weiß, er sah mich zuerst, und Sie gaben sich auch, als Sie weiß erschienen, eben keine Muehe, den ersten Eindruck auszuloeschen.«

»Das wollte ich auch nicht, aus guten Gruenden.«

»Bemerkt hab ich es wohl, daß er wenigstens that, als haette ich seinen Beifall, doch war es mir hoechst gleichgueltig. Und denken Sie nur, diesen Morgen kam er schon zu uns, schwur, er koenne nicht umhin, seine Devotion solchen animablen Damen zu beweisen, machte Tanzspruenge, laechelte sich vor dem Spiegel an und sagte mir eine Menge fader, abgeschmackter Sueßigkeiten.«

»Ich bitte Sie, erzaehlen Sie es doch meinen Eltern.«

»Wenn sich eine Gelegenheit dazu findet, gern!«

»Was thaten Sie denn, was erwiederten Sie auf seine Komplimente?«

»Weil er mir so laecherlich vorkam, machte ich mir einen Scherz mit ihm, nahm die Miene an, als ob ich auch in ihn verliebt waere. Die Tante war eben bei guter Laune und zog ihn noch auf. Er steckt so voll thoerichter Eigenliebe, daß er Alles fuer baare Muenze aufnahm. Und wir hatten ihm doch Gestern hinlaenglich gezeigt, daß er uns Beiden von Herzen zuwider ist.«

»Wenn es ihn doch bewoege, sich von mir loszumachen, in der Hoffnung –«

»Nie wuerde er sie erfuellt sehn. Pfui, eine Braut zu haben, und so flattersinnig, so treulos zu handeln! Ihm ziemte eine tuechtige Bestrafung. Daß sie ihm wuerde, dazu wollte ich gern meine Hand bieten.«

»Thun Sie es durch Hoffnung, liebe Freundin, durch Hoffnung!«

»In so weit ich mich nicht dadurch binde, mit Vergnuegen. Wie ungluecklich wuerden Sie auch mit diesem Narren sein. Und eh ich solchen Mann naehme, lieber wollte ich zu einer Jungfer mit eisgrauen Haaren werden!«

So wurde hier ein kleines Complott eingefaedelt, das nicht tadelnswerth genannt werden konnte. Auf einer Seite bat die Liebe, auf der andern willigte die Freundschaft ein, und einen Narren – in dem noch ein schlechtes Herz wohnte – bestrafen zu wollen, ließ sich nicht ungerecht nennen.

Nachdem Beide noch ein Viertelstuendchen die Sache besprochen hatten, empfahl sich Renate.

Lebrecht hatte sich waehrenddem erst zu einem Haarkraeusler verfuegt, der ihm an jeder Seite fuenf zierliche fliegende Locken baute. Er verkaufte auch Haarbeutel, und Jener ließ sich einen nach dem neuesten Geschmack einbinden. Nun flog er zum Schneider. Ein Zufall wollte, daß ihm das fertige Kleid genau paßte und vortheilhaft stand. Struempfe aus weißer Seide und Saffianschuhe mußte ihm geschwind ein Lehrling holen. So ging er voellig umgewandelt aus diesem Hause.

Die Mutter hatte ihm nach der Versoehnungsszene eine Zehnthalerduete in die Hand gesteckt, so waren die Nebenkosten zu bestreiten gewesen, die groeßeren Kleidungsstuecke kamen auf des Vaters Rechnung. Er hatte mit Allem so geeilt, daß kaum darueber eine halbe Stunde entflohen war. Nun ging es spornstreichs der Wohnung des Lieutenants entgegen. Ihm war unterwegs leicht und froh, daß er seinen Renommistenaufzug von sich geworfen hatte, von dem allein der fuer die Mode zu große Degen und der unfoermliche Hut, den er jedoch nun unter dem Arme trug, uebrig waren. Er bildete sich selbst ein, die neue Ausstaffirung nur deshalb so schnell gefoerdert zu haben, weil sie in Berlin, seiner ferneren Berufsabsichten willen, so noethig sei.

Der Lieutenant war noch nicht vom Dienst nach Hause gekommen, sein Aufwaerter aber, der sich Lebrechts von Gestern erinnerte, sagte ihm, er moechte nur ins Zimmer treten und ein wenig warten, gewiß kaeme sein Herr bald.

Lebrecht that es und knuepfte ein Gespraech mit dem alten Soldaten an, der ihm ein drolliger Kautz zu sein schien. Wenige Minuten hatte es gedauert, als nach einem kurzen Anklopfen sich die Thuere oeffnete, und eine junge Dame herein trat. »Ist mein Bruder nicht zu Hause?« fragte sie.

Zum Zweitenmal bemerken wir: eine Schwester kann doch zu ihrem Bruder gehn. Und diese hatte ihn sehr noethig zu sprechen.

Der Aufwaerter versicherte, sein Herr habe gesagt, daß er gleich nach der Parade nach Hause kommen wuerde, sie muesse eben vorueber sein, Mademoiselle moechte also guetigst einen Augenblick warten.

Jetzt sah sie erst, daß noch ein Fremder sich im Zimmer befand. Lebrechts gestriger Aufzug wuerde sie veranlaßt haben umzukehren, das heutige Ansehn war dagegen nicht abschreckend. Sie trat deshalb naeher, gab dem Aufwaerter jedoch einen Wink, auch im Zimmer zu bleiben.

Lebrecht kam sich anfangs wie eine Statue vor, die sich nicht bewegen kann. Doch machte er, im hoechsten Grad verwirrt, eine sehr linke Reverenz. Die Besucherin dankte kuehl hoeflich, nahm auf einem Stuhle Platz und fragte den Soldaten um Einiges, was ihren Bruder anging.

Mit eingeengtem Athem stand Lebrecht da, konnte sie aber sehn, fortwaehrend sehn, weil die junge Dame ihm im Profil saß, doch auf ihn nicht achtete. Der Reifrock von Gestern fehlte, weit reitzender schien sie aber noch in dem einfachen Morgenanzug von niedlichem Kattun, ueber den sie ein schwarzes Seidenmaentelchen gewunden hatte. Das Haar zeigte sich noch ungepudert, dafuer aber hatte es eine glaenzend braune Farbe. Wenige Locken rollten auf die Schultern hinab. Eine aufgeschlagene weiße Florkappe war der einzige Schmuck. Aber die Schoenheit des Gesichts schien im Mangel an schimmerndem Putz unendlich gewonnen zu haben.

Lebrecht meinte, es duerfe sich wohl ziemen, die junge Dame zu unterhalten, fuehlte aber keinen Muth dazu und verwunderte sich zum Erstenmal in seinem Leben, daß man sich vor einem Maedchen fuerchten koenne. Es duenkte ihm aber auch, des Lieutenants Schwester sei etwas Anderes wie ein Maedchen, wie hoehere Natur, und ihre Naehe veredle ihn mit. Er fuehlte das, ohne es klar zu denken, und fuehlte es doch scharf, man haette sagen koennen, ihm waeren dunkle Begriffe ploetzlich hell aufgegangen.

Die Unterhaltung mit dem Soldaten endete bald aus Mangel an Stoff, und das schoene Maedchen gaehnte. Das Zeichen der Langweile erinnerte ihn, daß er sich wie ein Tropf ohne Lebensart betrage. War er in Halle an einen oeffentlichen Ort gekommen, wo es Frauenzimmer gab, hatte er es recht wohl verstanden, sie zu unterhalten, eigentlich zu wohl, denn seine Scherze waren ihnen angenehm, sie wurden aber auch nicht selten etwas ungezogen, so daß ihn das schoene Geschlecht – der wohlerzogene Theil nehmlich – bald floh. Doch hatte er immer bewiesen, daß er mit den Schoenen zu sprechen verstand, und eher zu viel als zu wenig. Und Heute nun, wie auf den Mund geschlagen! Sollte das erklaert sein, mußte wieder angenommen werden, auf jenem Stuhl sitze etwas Anderes wie ein Frauenzimmer.

Es vergingen ein paar stille Minuten, dann wandte sich die liebliche Schwester zu ihm her und fragte mit einer kleinen artigen Neigung: »Wahrscheinlich ein Freund von meinem Bruder?«

Die Bahn eines Gespraechs war geoeffnet, es lag etwas Vertrauliches in der Frage, fuer Lebrecht vollends beziehungsreich. Ihm duenkte, Gestern ziemlich des Bruders Freund geworden zu sein, und er bemuehte sich, einen Schwager aus ihm zu machen. Gelang es, ward er auch mit dem schoenen Maedchen verwandt, es schien ihm, das wuerde fuer ihn etwas Emporsteigendes, fuer das Maedchen einiges Niederschweben aus den Hoehen bezeichnen, genug, es ermuthigte ihn etwas.

Mit einer sehr artigen Verbeugung, doch bei den Worten noch etwas verwirrt, entgegnete Lebrecht: »Erst Gestern hatte ich die Ehre, ihn kennen zu lernen, doch – vielleicht kommen wir noch in sehr nahe Verhaeltnisse.«

Es hatte ihn gedraengt, gleich diesen Umstand zu beruehren. Leitete er doch etwas Annaeherndes ein.

Jene konnte aber nicht verstehn, was er gemeint hatte, frug auch nicht darum, wie sie ueberhaupt eine sehr gleichgueltige Stimmung zeigte.

Ein neues Schweigen, ein neues Wegsehn drueben, traten ein. Bald aber sagte die Harrende zum Aufwaerter: »Mein Bruder koemmt doch nicht, ich muß nun gehn.«

Die obige Versicherung ward erneut, dennoch fuerchtete Lebrecht, sie wuerde Ernst machen, und zum Theil aus empfundner Langweile. Hatte er doch bereits gesprochen, warum nicht von neuen, und in der so wichtigen holden Absicht, die Schoenheit noch hier zu fesseln. Eilig hob er wieder an: »Mademoiselle, ich hatte Gestern auch schon das Glueck, Sie zu sehn.«

»Sehr guetig!«

»Unter den Linden, wo ich mit dem Herrn Bruder ging.«

»Ich sprach ihn da, erinnre mich aber nicht –«

Damit war Lebrecht sehr zufrieden. Er warf einen ungefaehren Blick in den Spiegel, dem er jetzt, weil er etwas vorgeschritten war, gegenueber stand. Er bezeugte ihm ein verbessertes Ansehn, leistete ihm noch den nuetzlichen Dienst, ihn zu erinnern, daß weder die Natur noch die frisirenden und drappirenden Kuenste ihn so vernachlaeßigt haetten, daß er Scheu tragen muesse, sich darzustellen, vollends einer kuenftigen Verwandten. Dies wollte er nun gleich deutlicher zur Sprache bringen, um hernach desto muthiger zu sein.

»Es waere nicht unmoeglich«, sagte er von neuen, »daß Ihr Herr Bruder meine Schwester heirathete.«

Die Beruehrung des Heirathens regt junge Maedchen an sich schon auf, wiewohl verlegen. Hier trat auch noch große Verwunderung hinzu, denn etwas ihr ganz Neues hoerte die Schwester des Lieutenants. Sie haette bei ihrem – etwas fluechtigen – Bruder nicht einmal eine Neigung zum Heirathen vermuthet. Sie sagte nichts, blickte aber theils betreten laechelnd, theils staunend auf Lebrecht.

Er fuhr fort: »Meine Schwester wuerde sich sehr gluecklich dadurch fuehlen.«

Jene versetzte: »Ich habe nicht das Vergnuegen, sie zu kennen, doch muß sie wohl, nach dem Herrn Bruder zu urtheilen –« Es sollte eine Hoeflichkeit werden, es schien aber, als fiele ihr schnell noch bei, die Gabe duerfte zu stark sein, etwas von einem Wohlgefallen an diesem Bruder verrathen, das einzugestehn ihr nicht zieme. Sie hielt also inne, hatte aber auf Jenen nicht eben entmuthigend gewirkt.

Es klang zwar alltaeglich, als er nun sagte: »Und ich wuerde die Ehre haben, Mademoiselle, mit Ihnen verwandt zu werden«, und als sie entgegnete: »Die Ehre wuerde auf meiner Seite sein«, war klar: Jeder haette das sagen koennen, allein die Betonung, welche er auf jene Worte legte, klang viel anders wie gemeine Hoeflichkeit, und die ihrige mindestens etwas anders.

Weltbekannt ist das scharfe Gefuehl, welches Liebe eingiebt, so mußte Lebrecht also das Etwas schon wahrnehmen, und mit welchem Entzuecken, leuchtet ein. Aber die Maedchen ahnen ohne alle Liebe schon sehr fein, ob sie Liebe einfloeßen, und das hier anwesende machte keine Ausnahme von der Regel.

Lebrecht fuehlte nun auch Herz, mehr das Herz kund zu geben. »Mademoiselle«, rief er, wenn schon leise, »ich hatte auch schon das Glueck, Sie singen zu hoeren.«

Das duenkte Jener unglaublich.

»Gestern Abend. Ich ging noch an Ihrem Hause vorbei. Das Fenster stand offen.«

Sie erroethete. »Lieben Sie die Musik?«

»Ich blase ein wenig die Floete.«

»Mein Bruder auch.«

»Doch vom Gesang – von seiner wundergleichen Wirkung – schoepfte ich Gestern erst einen deutlichen Begriff.«

»Oh – Sie – machen mich verlegen.«

»Ich dachte erst ueber den Gesang nach. Die menschliche Stimme, sagt man, ist das schoenste von allen Instrumenten. Ich glaubte es sonst nicht, aber nun, oder auch jetzt noch nicht, wie ich das selbst nehmen will. Verzeihen Sie guetigst, ich hoerte Philosophie, Wolfische nach Leibnitz, mochte ueberhaupt mir nicht nachsagen lassen otio congelavit. Philosophie erklaert nun gern, obwohl ich jetzt nicht begreife, wie mir das Erklaeren einfallen kann, zumal das Erklaeren des Unerklaerlichen. Aber ich sagte mir Gestern Abend: Ja, die menschliche Stimme ist das schoenste aller Instrumente, aber sie ist es auch nicht, denn sie kann ueber das Menschliche hinaus toenen, hinaus erheben, ergo nicht menschlich mehr. Das ist eine richtige logische Formel. Die Stimme theilt dem Gesang dann einen gewissen Geist mit, wie Cicero will, daß ihn Dichter der Poesie geben sollen. Er nennt es: divino spiritu afflari, ach, ich bitte tausendmal um Verzeihung, daß ich ein lateinisches Citat – meine Schwester hat mich noch Heute erinnert – ich werde es zu uebersetzen die Ehre haben, es heißt: mit einem goettlichen Geist – wie druecke ich das afflari hier am angemessensten aus? – verklaeren. Die schoene Stimme verklaert nun den Gesang, zuvor aber die Schoenheit die schoene Stimme – aber wie komme ich zu solch einer Dissertation? Verzeihen Sie guetigst, ich hatte auf der Universitaet zuletzt eine Dissertation geschrieben –«

Eben trat der Lieutenant ins Zimmer. »Guten Morgen, liebe Schwester – ist Dir nicht wohl, Du bist ja so roth! Ah – mit wem hab ich die Ehre?«

»Sie kennen mich nicht mehr?«

»Sieh da, unser Doktor, und so veraendert seit Gestern? Schwester, das ist ein merkwuerdiger Doktor, ein ritterlicher, hat fuer seine Schwester gestritten, wie es ein Bayard gethan haben wuerde. Heute seh ich ihm auch an, daß er ritterlich wuerde lieben koennen.«

Beide Theile, obschon nichts weniger als bleichen Ansehens, erschienen jaehling noch mehr entflammt, die bereits aufgesprungne Schwester zog den Lieutenant schnell in eine Ecke, um ihm dort heimlich einige Worte zu sagen, die nur einen alten auswaertigen Oheim betrafen, der geschrieben hatte, und entfernte sich schnell. Vorhin empfing sie eine verwirrte Begrueßung von Lebrecht, nun mißlang die ihrige, als sie an ihm vorueberging. Umsonst bat sie der Lieutenant, noch zu weilen.

Lebrecht knuepfte schnell mit ihm eine Unterredung anderer Art an, damit er nicht von der Hinausgegangenen zu sprechen anfing, was ihn sehr betreten gemacht haben wuerde. Es gab aber noch einen Grund, mit der Nachricht zu eilen: er sei erschienen, Jenen zu seiner Schwester zu fuehren, wo er Heute und vielleicht so bald nicht wieder Gelegenheit finden koenne, sie ohne Zeugen zu sehn. »Mich ausgenommen«, fuegte Lebrecht hinzu, »ich bitte um die Ehre, gegenwaertig bleiben zu duerfen.«

Hoch erfreut rief der Lieutenant: »Augenblicklich – nur die Staatsweste noch!« Er eilte in die Kammer.

Lebrecht rief ihm nach, er moechte nicht saeumen, es duerfte sonst zu spaet sein.

Jener rief drinnen: »Nur die Staatsweste, es ist gleich geschehn!«

Die Artillerieoffiziere trugen gewoehnlich einfache Westen, bei feierlichen Gelegenheiten aber andere, mit einer goldnen, etwa einen Zoll breiten Tresse umgeben. Wie haette ein junger Mann nicht fuer eine feierliche Gelegenheit erachten sollen, was ihm hier bevorstand!

Bald erschien er, und Beide eilten von dannen. Unterwegs sagte der Lieutenant: »Freund, ich begreife nicht, was Sie so schnell umgeaendert hat! Gestern den lustigen, etwas abenteuerlichen Studentenanzug, Heute – und auch das Temperament von Gestern nicht mehr, das Sanguinische weg, oder viel mehr besaenftigt, und eine gewisse schmachtende Melancholie –«

»Sie irren – wie sollt' ich denn – ich bin nun in Berlin –«

»Fast sollt' ich glauben, Sie haetten in Berlin was gesehn – wenn man verliebt ist, nehmlich zum Erstenmal recht, das kann verwandeln.«

»Ich verliebt? Oh –«

»Und werden von neuem roth? Was Henker, da geht mir ein Licht auf! Sie waren es auf meiner Stube auch, und Gestern Nachmittag mit Einemmal so zerstreut – am Ende hat meine Schwester da eine Eroberung gemacht.«

»Sie wollen scherzen. War ich unruhig, was ich zugestehn will, so kam es daher, daß ich mich ueber mich selbst aergerte. Denn ich war so verwirrt, daß ich mich recht unbeholfen, einfaeltig, laecherlich betrug. Ich hatte sie Gestern Abend – durch einen Zufall – noch singen hoeren.«

»Auch das? Ei! Meine Schwester sieht nicht uebel aus, ihren Gesang lobten aber schon Kenner.«

»Aber ich wollte nur vom Gesang reden, von seiner Wirkung, vom – wie soll ich es nennen – Metaphysischen im Physischen, fiel da in ein pedantisches Deduziren, Dissertiren, brachte Latein zu Markt –«

»Woher kam die Verwirrung aber?«

»Oh, wie wird die Mademoiselle Schwester mich laecherlich gefunden haben!«

»Hm – vielleicht auch nicht.«

»Rasend moecht ich werden!«

»Lachen Sie doch wieder ueber meine Schwester!«

»Lachen? Anbeten – ach, was sag ich da wieder!«

»Wenn ich mich nicht betruege, haben Sie einen aehnlichen Eindruck auf sie gemacht.«

»Oh, das waere nicht moeglich!«

»Warum nicht! Haben die Maedchen kein Gefuehl? Und sind Sie nicht ein junger Mann, den – aber es paßt nicht, daß wir einander Schmeichelhaftes sagen. Uebrigens, wenn ich Ihre Schwester heirathete, koennen Sie auch die meinige –«

»So will ich Ihnen gestehn – nein, eine Frage erst! Sie waren gegen mich offen genug, mir zu sagen, daß Sie ohne Vermoegen sind. Und –«

»Meine Schwester ist auch von armen Eltern geboren.«

»Das giebt mir Muth. Nun ja, ich liebe sie, habe nun lieben gelernt.«

»Ich will ihr das noch Heute sagen.«

»Nein – doch ja, ja! – Wir sind aber nah an meiner Eltern Hause. Warten Sie einen Augenblick, ich muß voran!«

»Aha, das Terrain recognosziren.«

Lebrecht ging voraus, der Lieutenant wartete eine halbe Minute, dann eilte Jener zurueck und rief: »Noch ist Niemand, da, kommen Sie!«

Er ließ den Lieutenant zuerst in die Hausthuere treten, sah sich dabei zufaellig um und erblickte seine Mutter, die eben aus einem gegenueber stehenden Hause kam. Den Lieutenant konnte sie nicht gewahrt haben, weil sie im Heraustreten rueckwaerts auf die begleitende Nachbarin sah und Beide noch hoeflich mit einander komplimentirten. Lebrecht erschrack, folgte dem Lieutenant eilig und meldete ihm, daß ein Ueberfall drohe. »Wo versteck ich Sie nun gleich – ach, sie koemmt schon – es geht nicht mehr die Treppe hinauf – der Schluessel steckt in der Kellerthuere, nur schnell da hinab!«

Er oeffnete, der Artillerist schluepfte hinein.

»So bald als moeglich sollen Sie wieder befreit werden«, rief ihm Jener nach, »und vielleicht bringe ich Sie doch mit der Schwester zusammen.«

Die Mutter trat schon in die Hausthuere, und er ihr entgegen. »Seht doch«, rief sie, » das ist aber sauber und nett, nun sieht mein Lebrechtchen doch aus wie ein Sohn von Caspar Goehl und Com – ah pfui, wie haett' ich mich da bald versprochen. Allerliebst! Wenn sie ihn so sieht, hat er sie gleich weg – hoere, ich muß Dir gleich was sagen, hier auf dem Fleck, hab ich so was auf dem Herzen, muß es herunter. Ich habe auf eine Heirath fuer Dich gedacht, mein Sohn! Wenn Du nun Dein eigner Herr wirst, mußt Du auch Deine eigne Frau haben, wer soll Dir sonst die Wirthschaft fuehren, und bis so ein lockrer Zeisig eine Frau hat, wird er auch nicht gesetzt. Denke aber nicht, daß ich dir eine alte ausgesucht habe oder eine garstige, sie ist jung, der liebe Himmel hat ihr gesunde Gliedmaßen gegeben, sie braucht sich nicht zu schaemen, wenn sie ihr Gesicht zeigen soll, und nackend wird sie auch nicht ins Haus kommen. Da ist die Frau Muhme Kuerbiß – Du kennst sie noch nicht, weil sie erst zwei Jahre in Berlin ist, wir sind wohl so weitlaeufig verwandt, daß man es mit einem Scheffel Erbsen zusammen messen koennte, vielleicht sind wir auch gar nicht verwandt. Doch weil meiner Stiefgroßmutter Pflegekind an einen Kuerbiß verheirathet gewesen sein soll, hab ich sie, vom ersten Tag, als ich sie gesehn hatte, Frau Muhme genannt, und dazu hatte ich meine gute Ursache, weil sie eine steinreiche Frau ist. Nun – die hat ihre Bruderstochter bei sich, und die hab' ich Dir – mit dem Himmel hatte ich mich schon vor sechs Monaten darueber berathen – zu Deiner lieben Frau bestimmt. Winke hatten wir uns schon frueher darueber gegeben, alleweile komme ich aber von der Muhme und habe ihr meinen christlichen Antrag gemacht, habe fuer mein Kind um Mamsell Renatchen – sie thun vornehm, thun es nicht unter Mamsell; fragte mich die Muhme doch, warum ich noch immer mit einer Tellermuetze ginge, und meine gruene Sonntagsmuetze kostet zwoelf Thaler und manche Carcasse sechs Groschen – kurz: ich habe fuer Dich um Renatchen angehalten. Die Muhme sagte wohl erst, du waerst ja so ein Thunichtgut, davon haette man Gestern Abend noch Wunderdinge gehoert, aber ich sagte wieder: Frau Muhme, sagt' ich, er hat mir noch Heute die Hand darauf gegeben, daß er sich bekehren will. Jugend hat nicht Tugend, aber die ledige Jugend nur, haben die lustigen Pagen erst eine Frau, so fallen ihnen die wilden Hoerner auch ab. Nun, ein Wort gab das andere, und sie meinte dann: wenn Du Renatchen gefielst, und Renatchen Dir, und man saehe, daß Du ein ordentlicher Mensch wuerdest, so wollte sie es nicht verschworen haben, Dir Renatchen zu geben, und mit leeren Haenden sollte Renatchen auch nicht von ihr gehn. Ein Jahr mueßten wir aber noch warten, bis es mit Deiner Doktorschaft erst vorwaerts gegangen waere und es sich auswiese, ob Du auch was Rechtschaffenes gelernt haettest. Ja, ja, sagt' ich, so lange wollen wir auch noch warten; wir muessen ja erst sehn, ob es auch der Himmel so will. Damit Ihr Euch Beide vor der Hand aber doch einmal sehn und hernach sagen koennt, was Ihr zu einander meint, so hat uns die Frau Muhme Alle auf den Nachmittag zu einer Schaale Kaffee invitirt, und da ist nun ein Glueck, daß Du so nett und sauber herausgeputzt bist. Denn ...«

Lebrecht stand wie auf einem Kohlenfeuer da, wartete mit heißer Sehnsucht auf das Ende einer fuer ihn so peinlichen Rede; weil es sich gleichwohl noch immer nicht dazu anließ, unterbrach er sie: »Liebste Mama, unmoeglich kann ich Die heirathen!«

»Was? Du wolltest Deiner eignen Mutter Eine verschmaehn, die sie Dir selbst ausgesucht hat? Das haett' ich fuer meine Nachtwachen, wo ich mich geaengstigt habe und immer gedacht: wo soll der Junge einmal eine Frau herkriegen? Das fuer mein Laufen und Rennen, fuer mein Hinhorchen und Sprechen!«

»Ich danke Ihnen fuer die Guete Tausendmal, aber ich kann nicht, kann Ihnen auch jetzt nicht sagen, warum, mir ist das Herz zu voll!«

Bei den Worten hatte er ihre Hand gekueßt und eilte, von seiner Unruhe gejagt, die Treppe hinauf.

Frau Goehl sah ihm nach, rang die Haende, und rief: »Da steht mir mein Verstand still!«

Doris sah zur Kueche hinaus, als sie Lebrechts letzte laute Worte hoerte, und nicht mit geringem Herzpochen, denn sie meinte, der Geliebte, auf den seit einer Stunde ihre Sehnsucht hoffte, wuerde mit ihm gekommen sein. Statt seiner gewahrte sie die Mutter und wollte eilig zurueck. »Nur her, Jungfer«, hieß es, »mit Ihr hab ich auch ein Huehnchen zu pfluecken. Was muß ich alleweile von der Nachbarin drueben hoeren! In die Erde haette ich sinken moegen! Sie Gottesvergessene hat auch Bekanntschaft mit Offizieren, hilf Himmel, mit Offizieren! Ist es wahr, daß Sie einer gegrueßt hat?«

»Ich habe doch nicht dafuer gekonnt!«

»Ist es wahr, daß Sie ihm gedankt hat?«

»Ich – konnte doch nicht grob sein.«

»Ein ehrbares Maedchen soll grob sein, in der Grobheit ist Christenthum, und man kann es schon so machen, daß es nicht wie Grobheit aussieht. Man sieht geschwinde weg, oder man sieht gar nicht erst hin, so koennen sie nicht grueßen. Ich weiß auch, daß Sie noch gar freundlich gedankt hat! Wie hat mich der Himmel doch gestraft! Das Mädchen hat einen Braeutigam, durch den ihre Mutter Commerzienraethin werden soll, und hält es daneben mit einem Schaefer, einem Secretarius und einem Offizier. Wenn der Alte koemmt, soll Alles untersucht werden, und es ist nichts so klar gesponnen, es koemmt endlich an die Sonnen! Ins Kaminloch soll Sie nicht wieder, mein Zeug kostet mir Geld, aber in den Keller, und nicht auf vierundzwanzig Stunden, auf vierzehn Tage gleich, und alle Morgen zum Fruehstueck die Elle, daß Ihr die Anfechtungen, die boesen Lueste vergehn. Seht, hat Sie nicht den Schluessel auch in der Thuere stecken lassen? Haetten nicht die Diebe alles Bier stehlen koennen? Damit hat Sie schon eine exemplarische Strafe verdient! Will Sie wohl 'runter!«

Gegenreden halfen bei diesem Zorngewitter nicht mehr, Doris eilte deshalb, wie Mama die Thuere geoeffnet hatte. Sie sollte noch einen Stoß auf den Weg empfangen, und nicht mit der Hand, sie war indeß schon zu weit die Treppe hinab.

Frau Goehl wollte eben den Keller verschließen, als die beiden Herren Sueßmilch in die Hausthuere kamen. Schnell ließ sie ab, suchte Ruhe zu erzwingen und trat ihnen entgegen. Nach dem Gruß sagte der Vater: »Wir hielten es fuer unsre Schuldigkeit, uns nach Ihrem Befinden zu erkundigen, aber, Gott sei Dank, Sie sind ganz wieder wohl.«

»Et ma chere promise«, fiel der Sohn ein, »comment se porte elle?«

Frau Goehl entgegnete: »Sehr angenehm – ist nicht gefaellig, in die Stube zu spatzieren?«

»Ma promise, est ca –«

Der Vater rief: »Sage doch: Ist meine liebe Braut in der Stube?«

»Die –« erwiderte Jene betreten, »ist – im Keller, muß Bier abziehn. Die Maedchen muessen zur Wirthschaft angefuehrt werden, aber ich bitte –«

»Im Keller? Ah, ich werde ihr da meine Visite machen!«

»Warum nicht gar«, schrie Mama, ihn am Arm zurueckhaltend, »das wuerde sich schicken, da haetten die Leute was zu reden.«

»Comment Madame? Ich habe eine Oper in Paris gesehn, Didon, Didon, da ist ein vornehmer Prinz bei einer Koenigin im Keller!«

Er hatte sich losgewunden und machte die Thuer weit auf. Frau Goehl folgte, riß ihn mit kraeftigern Armen als die seinigen zurueck und rief laut: »Doerte, komm herauf!«

Sie hatte schnell ueberlegt, daß man den Angelangten die neue Gefangenschaft sorgsam verheimlichen, die Tochter also kommen muesse.

Doch ein Artillerieoffizier stieg herauf, schnell und mit gebeugtem Ruecken, so daß er die Oben befindliche respektable Gesellschaft erst sah, wie er auch voellig Oben war. In die Tiefe zurueckzueilen, war es zu spaet, man starrte ihn bereits wie ein Wunderthier an, und Frau Goehl that einen Schrei im hoechsten Diskant ihrer Stimme. Er grueßte daher die Anwesenden hoeflich und eilte zur Hausthuere hinaus.

Gleich nach ihm kam Doris, ziemlich bleich und verwirrt, auch ein wenig an allen Gliedern zitternd.

Frau Goehl konnte nur auf einen Koffer in der Naehe sinken, Worte hatte die Sprache in den naechsten Minuten nicht fuer sie. Herr Sueßmilch eilte ihr zu Huelfe, rief um Wasser, und sein Sohn lachte schadenfroh aus vollem Halse.

Doris verstand sein Lachen nicht, blickte aber mit nassen Augen zur Hoehe und sagte: »Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich nicht wußte, Unten sei schon Jemand.«

Katharine hatte Wasser gebracht, Frau Goehl war besprengt, schlug die Augen auf, sah Alle an, sprach aber noch kein Wort.

Ludwig zupfte seinen Vater am Rock, dieser begriff den Sinn des Zeichens und sagte mit Achselzucken: »Liebste Madame Goehl, unter diesen Umstaenden kann wohl aus einer Heirath zwischen unsern Kindern nichts werden.«

Ludwig that zornig. »Mon honneur«, rief er, »ventre bleu, mon honneur!«

Jener hob wieder an: »Meines Sohns Ehre wuerde nicht zugeben, und ich – doch was bedarf es vieler Worte, wo die Sache laut genug spricht. Sie werden einsehn, daß ich nicht umhin kann, das bestehende Versprechen aufzuheben.«

Frau Goehl fragte nun: »Was? Was? Mein Haus compromittiren?«

Ludwig rief: »Madame Goehl, ich gratulire aber zu dem schoenen Artilleristen, mit dem Ihre Tochter eben aus der Mine geflogen ist.«

»Schweig«, fiel der Vater ein, »aber von diesem Augenblick an bist Du nicht mehr der Braeutigam des – vestalischen Juengferchens. Madame Goehl, leben Sie wohl! – Mein Kind, Sie haben es sich allein beizumessen.«

Er ging mit einer kuehlen Verbeugung, und Ludwig folgte, nachdem er eine satirisch tiefe gemacht hatte.

Frau Goehl bruetete noch ein wenig dumpf vor sich hin, dann sagte sie mit heiserm Ton zu der Tochter: »Sie – soll mir ins Spinnhaus!«

Doris warf sich auf die Kniee und betheuerte, an diesem Auftritt unschuldig gewesen zu sein. Die Mutter stieß sie zurueck, stand auf und wankte nach ihrem Schlafgemach, wo sie sich einriegelte.

Der Lieutenant hatte im Keller nicht hoeren koennen, was man Oben sprach, und sich tiefer hinein begeben, wo es ziemlich helle war. Wie groß war sein Erstaunen, als Doris auch dahin kam! Sie wollte vor Schrecken zu Boden fallen, er mußte den Arm um sie schlingen, damit er sie noch hielt. Er glaubte indeß, Lebrecht haette sie geschickt, und sagte ihr gleich, er liebe sie wahrhaft, in ernster Absicht, wuensche ihre Hand. Doch einem Artilleristen, der ein so schoenes Maedchen im Arm hielt, wuerde es unmoeglich gewesen sein, nicht auch einen Kuß auf zwei so schoene Lippen zu druecken wie Doris sie hatte. Der Kuß schien ihr aus Feuerflammen zu bestehn, doch wand sie nun gleich sich los und wich weit von dem Lieutenant. Jetzt oeffnete sich die Thuere Oben, er meinte, Lebrecht stehe Oben, verlange, daß er kaeme. Er empfahl sich dem Maedchen schnell und stieg hinauf. Bald danach hoerte Doris ihre Mutter laut rufen und gehorchte in aengstlicher Betaeubung.

Die beiden Sueßmilch wuerden nicht so schnell von dannen gezogen sein, vielmehr noch ueberlegt haben, ob man nicht bei einem Maedchen, das einmal 25.000 Beichsthaler werth sei, zu Zeiten sehn und auch nicht sehn muesse. Es hatten sich jedoch kleine Begebenheiten zugetragen, welche sie glauben ließen, man koenne den Sperling aus der Hand fliegen lassen, da die Taube mit der Hand zu greifen sei.

Wie nehmlich Benate das Goehlsche Haus verlassen hatte, begegnete ihr der junge Sueßmilch, huepfte heran, schnitt Komplimente und kehrte um, sie dann eine Strecke begleitend. Durch ihr Betragen am Morgen – das ihn, wenn er es richtig beurtheilt haette, wuerde abgeschreckt haben, statt nun es seine laecherliche Eigenliebe fuer baare Muenze nahm – ermuthigt, hob er gleich verliebte Reden an. Er dachte auch, jetzt sei er mit ihr allein, und sie wuerde um so mehr ihm ohne Heil das Innre andeuten koennen. Nachdem sie ihn Einigemal erinnert hatte, sich der franzoesischen Sprache zu enthalten, sagte er: »Eh bien, Mademoiselle, so erlauben Sie mir eine deutsche Frage und geben Sie mich eine deutliche Antwort. Wuerden Sie mir wohl lieben koennen?«

Renate erwiederte laechelnd: »Hm – das waere nicht unmoeglich.«

»Wuerden Sie mir auch heirathen, ganz im Ernst heirathen?«

»Aber wie koennen Sie das fragen? Sie haben schon eine Braut.«

»Malheureusement! Aber ich habe sie, und auch, wenn man will, wieder nicht. Die Sache ist projektirt, aber nicht paktizirt, nichts schwarz auf weiß darueber, und ich haette Gruende –«

»Ihre Braut ist noch dazu meine gute Freundin. Waer es nicht unverantwortlich, wenn ich –«

»Wenn ich nun in einer andern Situation waere, daß Sie an nichts sich zu stoßen haetten, daß Sie nichts abhielte, wuerden Sie in dem Fall mir heirathen?«

»Nun – wenn ich keinen Anstoß faende, nichts mehr mich abhielte, und – auch noch ein wichtiger Umstand – meine Tante ihre Einwilligung gaebe – dann, ein Maedchen kann das freilich nicht recht gut sagen –«

»Bitte, sagen Sie es mir deutlich!«

»Unter den eben genannten Bedingungen wuerde ich Sie heirathen. Aber nun habe ich auch eine Bitte. Verlassen Sie mich! Es ziemt nicht, daß ich auf der Straße –«

»Oh, ich bin Ihnen viele Obligationen schuldig, Sie glauben es selbst nicht, wie scharmant Sie sind, wie incomparable! Aber Sie werden sehn, mon amour, ma tendresse, ich empfehle mir Ihnen ganz gehorsamst!«

Schnell eilte er zum Vater, ihm das zu hinterbringen. Der sagte: »Das waer Eins, aber noch nicht das Andre, und ich bleibe bei meinem Satz: Kein unreines Wasser weg, bis man das reine hat. Ich werde zu der alten Kuerbiß gehn, der auf den Zahn fuehlen.«

»Sie that Gestern wohl ein bischen moquant, Heute fruehe war sie aber entgegenkommend –«

»Nun laß nur! Warte in der Naehe!«

Er ging zur Tante, von der sich Frau Goehl kurz zuvor entfernt hatte, sagte ihr viel Artiges, und fragte sie dann: »Wuerden Sie wohl, wertheste Madame, Ihre Nichte und Pflegetochter dem wackern Sohn eines Kaufmanns geben, der nicht ohne Vermoegen ist? Ganz deutlich kann ich mich darueber noch nicht machen, der Sohn ist jung, huebsch, kam Gestern erst wieder in die Vaterstadt – kurz, ich wuenschte Ihre Meinung darueber genau –«

Der Zufall, der so gern sich in menschliche Angelegenheiten mengt, that es auch hier. Die Wittwe hoerte einen Besuch auf der Treppe kommen, antwortete daher schnell: »Wenn der Sohn meiner Renate auch gefaellt, warum nicht, mit Vergnuegen!«

Sie hatte uebrigens, der aehnlichen Umstaende willen, etwas in der Frage mißverstanden, worueber es nun zu keiner Erlaeuterung kam, weil der Besuch schon an die Thuere pochte. Der alte Sueßmilch hatte indeß genug.

Er traf wieder mit dem Sohn zusammen, und sagte diesem: »Nun wollen wir gleich zu Goehl, Theilnahme beweisen, wegen der gestrigen Unpaeßlichkeit, nach wie vor freundlich thun. Du bist gegen die Tochter zaertlich, wie sich das von selbst versteht. Ich waehle mir aber Tuch aus und bitte, daß es mir durch den Hausknecht geschickt wird. Den Kerl suche ich hernach auszuforschen, man sieht auch, wie an das Dienstmaedchen zu kommen ist. Geld ist ein guter Schluessel zu allen Kammern, wo Heimlichkeiten verwahrt sind. Gieb Acht, wir erfahren, was uns Gelegenheit giebt, mit guter Manier zu brechen. Wo nicht, dringe ich auf Vollziehung des Ehepaktes und spanne die Forderungen so hoch, daß Goehl unmoeglich einwilligen kann, helfe uns so aus dem Handel.«

Sie gingen nun und erlebten einen Auftritt, den sie ihren Absichten nicht zutraeglicher wuenschen konnten. Nach dort wohlgemuth verrichteter Loswindung sagte der Vater: »Nun gleich wieder zur Kuerbiß, wir muessen das Eisen schmieden, weil es warm ist.«

Der Besuch hatte sich entfernt, Renate war zurueckgekommen. Tante und Nichte befanden sich in verschiednen Zimmern, doch stand die Thuere dazwischen auf. Eine guenstige Gelegenheit, vermoege der sich Alt an Alt und Jung an Jung machen konnte.

Ludwig Sueßmilch erklaerte von neuen der Nichte seine Liebe und fuegte hinzu: »Ich thue es nun mit mehr Mut, weil Sie so guetig gewesen sind, mir zu deklariren, daß Sie mir auch lieben koennten. Und – ich habe die Ehre zu notifiziren, daß ich nun in einer Situation bin, wo Sie keinen Anstoß mehr zu nehmen haben, wo Sie nichts mehr abhaelt, Ihren sehr ergebenen Diener zu heirathen.«

Renate versetzte: »Wie soll ich das verstehn?«

»Es ist zwischen Mademoiselle Goehl und mir eine totale Ruptur arrivirt, wir sind auseinander gesprengt, wie mit einem Centner Pulver, denn eine Mine hat uns auseinander gesprengt, sie ist nicht mehr meine Braut, ich bin nicht mehr ihr Braeutigam. Sie hat sogar einen andern Verehrer, einen feurigen Liebhaber, er schießt mit Kanonen. Das gehoert aber nicht hieher, ich bin sie los.«

»Da – gratulire ich...« Sie wollte hinzusetzen: meiner Freundin, verschwieg es aber noch, zeigte sich, der Freundin willen, indeß froh.

»Eh bien«, rief Jener, »ich regardire, zu meiner Freude, Ihre Freude und gebe mir nun die Ehre, um Ihre Hand anzuhalten.«

Renate trat weit zurueck und fragte: »Doch wohl nur ein Scherz?«

»Wieso ein Scherz? Sie koennten noch zweifeln, daß ich sérieusement rede? Und ich habe Ihnen schon drei Stueck déclarations d'amour gemacht, will auch jetzt nicht manquiren, mich wieder zu Fueßen zu werfen.«

Sie hinderte es und sagte: »Wahrhaftig, es ist einem Maedchen sehr empfindlich, einen Korb zu geben, ich wuenschte, Sie haetten mich nicht in die widrige Notwendigkeit versetzt –«

»Haben Sie nicht gesagt: wenn Sie keinen Anstoß zu nehmen haetten, wenn nichts Ihnen abhielte, wuerden Sie mir heirathen?«

»Ersparen Sie mir und – sich die Auslegung –«

»Nun muessen Sie Wort halten. Woran haben Sie Anstoß genommen? An meiner Braut. Was hat Sie abgehalten? Die Freundschaft. Jetzt sind alle Hindernisse beseitigt, und Sie koennen thun, was die Liebe ihnen inspirirt.«

»Das moechte ich in der That duerfen, wo ich solche Inspiration fuehlte. Doch hier –«

»Wissen Sie, daß ich Sie einen Prozeß machen koennte? Weil ich auf meine alte Parthie verzichtet habe?«

»Haette ich das je Ihnen gerathen?«

»In den so distincten Repliquen auf meine Tentativen lag ein Rath. Was wollten Sie vor der Justiz antworten, wenn ich Ihnen da belangen thaete?«

»Da meine Winke, neben aller Deutlichkeit, Sie nicht zufrieden stellen, muß ich schon sagen, was ich antworten duerfte. Nehmen Sie es aber auch nicht uebel, ja nicht! Ich wuerde Sie heirathen, wenn ich keinen Anstoß zu nehmen haette, wenn mich nichts abhielte. Doch nehme ich Anstoß an Ihrem Betragen, das nicht nach meinem Geschmack, und an Ihrer Person, die mir zu klein ist. Dabei haelt Ihr Charakter mich ab, den man, wie ich glaube, nicht zu den edelmuethigen zaehlen kann. Wer eine Braut hat und sich doch um eine Andere bewirbt, rechtfertigt meinen Ausspruch –«

»Das sind Ausfluechte, schaamhafte sproede Zurueckhaltung, Sie meinen im Herzen es ganz anders –«

»Ich gebe mein Wort darauf, nein!«

»Sie sagten: es waere nicht unmoeglich, daß Sie mir lieben koennten!«

»Was waere denn unmoeglich! So koennte ich auch verblendet sein, um meinen Verstand kommen, und in solchem Zustand thun oder fuehlen, was mir jetzt – dem Himmel sei Dank, – unmoeglich ist.«

»Grausame, wenn Sie mir nicht lieben, nehm ich Gift!«

»Dazu haben Sie zu viel Verstand.«

»Ich stoße mir den Degen durch das Herz!«

»Das thut zu weh!«

Eben kam Herr Sueßmilch der Aeltere, mit einem ungemein verdrießlichen Gesicht. Auch die Tante hatte ihm ihre Einwilligung zu der gewuenschten Heirath rund abgeschlagen. »Komm, mein Sohn«, rief er »wir muessen auf andre Maasregeln denken. Ich empfehle mich, Mademoiselle!«

Sie gingen, und Renate war von Herzen froh. Doch sollte sie es nicht lange bleiben. Denn nun kam ihre Tante, und rief: »Was das auch ist! Da koemmt der alte Sueßmilch vorhin, fraegt mich, ob ich wohl dem Sohn eines wackern, vermoegenden Kaufmanns meine Nichte zugestehn wuerde? Erst Gestern sei der Sohn in die Vaterstadt zurueckgekommen. Ich dachte, er meinte den jungen Goehl, und sein Vater haette ihn abgeschickt. War die Goehl doch eben bei mir gewesen und hatte fuer ihren Sohn um Dich angehalten. Und nun meint der Sueßmilch seinen abgeschmackten –«

Renate fiel mit einer heftigen Gemuethsbewegung ein: »Madame Goehl ist hier gewesen, hat fuer ihren Sohn um mich –«

»Foermlich angehalten.«

»Und was haben Sie gesagt, liebste Tante?«

»Nun, wir stehn auf einem freundschaftlichen Fuß. Die Leute haben artiges Vermoegen, sind sparsam, werden noch viel erwerben – abgewiesen habe ich die Mutter nicht.«

»Ich sollte den Menschen heirathen, der einen so ueblen Ruf wegen seines Leichtsinns, seiner Verschwendung hat, von dem wir gestern Abend noch so viel Schlimmes hoerten? Einen Trunkenbold, der rohen, wilden Unfug angerichtet, den man auf die Wache geschleppt hat?«

»Dies wandte ich auch ein. Die Mutter sagte dagegen, er haette Besserung gelobt, wuerde die Zusage halten. Freilich mueßten wir davon erst ueberzeugt sein.«

»Liebste Tante, ich bitte, ich flehe Sie an, zwingen Sie mich nicht dazu. Mir graust schon nach der Beschreibung vor dem Goehl!«

»Von Zwang soll nicht eben die Rede sein, aber wenn man ihn Jahr und Tag geprueft haette, und die Vernunft riethe zu einer Heirath, dann hoffe ich, daß Du auch nicht so thoericht sein wuerdest, zu widerstehn.«

»O Himmel, welche schreckliche Nachricht!«

»Es giebt viele brave Maenner, die in ihrer Jugend leichtsinnig gewesen sind. Da ist es heutigen Tags nicht so genau zu nehmen. Uebrigens sagte ich: Ihr solltet einander erst kennen lernen, man mueßte sehn, ob Ihr Euch gefielt.«

»Oh, nun schoepfe ich wieder Athem. Er wird mir nicht gefallen, dafuer steh ich ein.«

»Das kann man nicht vorher wissen. Aber nun ist Goehls Tochter um ihren Braeutigam gekommen.«

»Sie wird froh sein.«

»Und mit Recht! Es ist ein sanftmuethiges, gutes Maedchen und wird einmal ein huebsches Vermoegen haben. 10.000 Thaler, heißt es, wollen ihr die Eltern gleich mitgeben, nehmlich verzinsen, das Capital soll in der Handlung bleiben. Desto besser, so kann es der Mann nicht angreifen. Da habe ich einen Gedanken – hm, ich muß der Goehl doch gleich ein Billet schreiben. Und ich werde noch Jemanden Heute zum Kaffee bitten.«

Sie ging nach ihrem Zimmer und fertigte das Billet.

Im Goehlschen Hause gab es waehrend dieser Zeit bunte Auftritte. Doris wollte zu ihrer Mutter, um ihr beizustehn, wurde aber nicht eingelassen. Nun ging sie zu Lebrecht und erzaehlte ihm mit vielen Thraenen, was sich ereignet haette. »Verdammt«, rief er, »konnte der Lieutenant nicht im Keller bleiben, bis ich ihn rief, er mich sah, meine Stimme hoerte? Und doch – ueberschwenglich gut auf der andern Seite. Du bist nun frei, ich hatte so viel nachgesonnen, wie ich das bewirken sollte, bringe aber den Lieutenant, und das zerhaut den gordischen Knoten.«

»Daß ich frei bin, kann mich auch nur, bei den vielen andern Leiden, troesten. Ach, meine Ehre! Sueßmilch wird von dem Lieutenant reden, wo er hinkoemmt, des Sohns spitze Zunge noch –«

»Recht gut! Denn koemmst Du mit dem Offizier in der Leute Mund, bleibt den Eltern auch nichts uebrig, als Dich aus der Leute Mund zu bringen. Dazu giebt es kein besseres Mittel, das einzige probate nur, eine Heirath mit ihm.«

»Oh, waere das – wollte ich gern in dem Mund von Europa, Asia, Afrika und Amerika gewesen sein. Aber ach, die Eltern thun es nicht. Ich soll ja vierzehn Tage im Keller sitzen, weil der Lieutenant nur Heute vorbeigegangen ist. Und Mama sprach hernach gar vom Spinnhause!«

»Baue nur auf mich, ich will den Zorn der Eltern schon versoehnen. Und Deinen schoenen Artillerielieutenant sollst Du zum Mann haben, dafuer steh ich ein. Mir geht es auch schlimm genug. Denke, Mama will mich mit der Nichte von der – wie heißt sie doch – verheirathen.«

»Mit Renatchen?«

»Ganz recht! Ich dachte, mich wuerde eine apoplexia sanguinea treffen.«

»Lieber Bruder, die nimm! Das ist ein liebes, gutes, verstaendiges und wahrhaftig auch sehr schoenes Maedchen!«

»Und waer sie schoener als die Prinzessin Zizizi in Rabners Maerchen, ich naehme sie nicht!«

»Lebrecht, warum denn?«

»Weil ich schon eine Andere liebe, heirathen will.«

»Da haben wir's! Ich glaubte Dir auch kein Wort, als Du Gestern sagtest, Du wolltest niemals lieben und heirathen. Das Heirathen muß man wohl lassen, wenn man nicht darf, aber das lieben – nein, das ist unmoeglich!«

Eben erschien Katharine und sagte, Herr Goehl sei da und wolle den Sohn sprechen.

»Komm mit, Schwester«, sagte Lebrecht, »ich werde schon eine Nothluege zu Deinem Besten aufs Tapet bringen muessen. Widersprich ihr nicht, bestaetige sie vielmehr, wenn es Noth thut, die fromme Judith hat noch weit aerger gelogen.«

Sie gingen hinab ins Wohnzimmer, wo Herr Goehl dem Sohn wegen Halle, wegen Gestern, wegen des heutigen Anzugs, den er luftig und geckenhaft nannte, eine umstaendliche, lange Strafpredigt hielt. Er fuehrte ihn zu den Kupferstichen, welche den verlornen Sohn darstellten, er zeigte ihm seinen Dukaten mit der schon erwaehnten Devise und machte die gehoerigen Anwendungen. Seine Frau war nicht zugegen, desto mehr konnte er seinen Redefluß ausstroemen lassen. Lebrecht hoerte gebeugt zu, kueßte ihm die Hand und rief: »Ich habe diesen Morgen schon Besserung gelobt, weil ich Gestern einen Engel gesehn, der mich auf eine andre Bahn geleitet hatte, und Heute kam die Erscheinung mir wieder zu Gesicht – doch nun etwas von meiner Schwester, guter Papa! Sie ist durch mich in unverschuldetes Unheil gerathen. Nehmen Sie doch ihrer sich an!«

»Es pflegt nicht immer zu helfen. Und etwas arg hat es die Jungfer auch gemacht. Das Histoerchen mit dem Secretarius, ei – ei!«

»Davon ist nicht die Rede. Ein Adjutant, den ich kenne, begegnet mir Gestern und sagt mir, die Artillerie waere mit ihrem Tuch nicht zufrieden, wuensche anderes, und fraegt auch, ob Sie wohl Lust haben duerften, sie mit anderm zu versehn.«

»Mit Tuch? Warum nicht! Nur einen Preis gestellt, wobei ich bestehn kann, und mir Zeit gegeben. In ein paar Monaten sollen die Ruppiner, Zuellichauer, Gruenberger Tuchmacher die Menge fertig schaffen. Es wird der Artillerie aber ja schon geliefert. Du weißt auch, wer das monopolium hat. Oh, nichts ist dem Lande schaedlicher wie monopolia. Doch hat er es einmal. Ja, wenn ich das kriegen koennte, das glaub ich –«

»Vielleicht kennt der Adjutant die Umstaende nicht genau, oder man denkt sich von den alten Verpflichtungen losmachen zu koennen, genug, ich bestellte ihn auf Heute frueh hieher. Er koemmt, als Sie nicht zu Hause sind. Meine Schwester strickt am Fenster. Er grueßt sie. Ein hoeflicher Mann, der in ein Haus gehn will, um mit Jemanden dort zu sprechen, grueßt wohl die Angehoerigen. Meine Schwester dankt und soll vierzehn Tage im Keller bei Wasser und Brot dafuer sitzen.«

»Woran denkt aber meine Frau!«

»Soll's bei der Strafe bleiben, so hab ich sie verwirkt und will auf 14 Tage hinunter.«

»Du hast ja eine gute Absicht, willst mir eine Tuchlieferung zuschanzen. Ja, wenn ich die haette! Und ein Doktor im Keller eingesperrt, pfui!«

»Noch Eins! Der Lieutenant begegnet mir. Ich nehme ihn wieder mit, bitte ihn, auf meiner Stube zu warten, bis Sie kommen wuerden. Als wir ins Haus treten, sagt' er: ›Lieber Freund, nehmen Sie es mir nicht uebel, wir excerzirten den ganzen Morgen, und ich habe einen brennenden Durst. Koennt' ich mir nicht ein Glas Wasser ausbitten?‹ Ich antwortete: ›Wir haben Ruppiner Bier, mehrere Sorten, ist es Ihnen gefaellig, so gehn wir in den Keller, da ist der Trunk frisch, und die kuehle Luft wird Ihnen wohlthun.‹ Unten war aber kein Glas, ›verzeihn Sie guetigst ein wenig‹ sagte ich und lief hinauf, eins zu holen. Waehrenddem schickt Mama die Schwester hinunter in Arrest, die Sueßmilchs machen ihre Aufwartung, da ruft sie sie wieder, und der Lieutenant koemmt auch.«

»Hm – das hat sich recht uebel getroffen. Waren sie denn Beide lange Unten?«

»Keine halbe Minute, und die ging mit Hinab- und Heraufsteigen hin.«

»Das ist noch ein Glueck – der Leute willen.«

»Und Doris soll dafuer ins Spinnhaus. Bleibt's aber dabei, geh ich hinein.«

»Warum nicht gar! Wo ist denn Mama?«

»In der Schlafkammer, hat sich eingeschlossen, laeßt Niemanden hinein.«

»Mich wird sie doch hinein lassen!«

Er ging, nannte seine Stimme, und ihm ward aufgethan. »Mein Kind«, rief er, »Doertchen ist ja noch unschuldiger wie die Sonne am Himmel, denn die soll viele Flecke haben«, und nun erzaehlte er schnell, was man ihm erzaehlt hatte. Frau Goehl hatte den Kopf verbunden, war blaß wie ein Leichnam. Aber nun erseufzte sie sich einige Erleichterung. »Wenn es so ist«, fing sie an, »und mein Lebrechtchen wird ja doch nicht luegen, er hat ja die feinen Oberhemden in Ehren gehalten –«

Katharine erschien und meldete, das Essen sei aufgetragen. Man ging, stellte sich um den Tisch, faltete die Haende, und auch Lebrecht mußte wieder sein aelteres Amt vollziehn. Es freute die Mutter ungemein, daß er sein Tischgebet nicht vergessen hatte. Sie befand sich nun wieder wohl und genoß ungemein viele Hafergruetzsuppe. »Wir wollen auch gleich zu Herrn Sueßmilch schicken«, sagte sie, »wenn er hoert, wie Alles zuging, wird er doch nicht mehr verlangen, daß sein Sohn meine Doerte sitzen lassen soll. Ich dachte schon, mit der Kommerzienraethin waer's nun vorbei, aber Nein! Die Leutchen sind sich einmal gut, Musjeh Sueßmilch wird sich auch graemen –«

Doris rief: »Der? Lassen Sie Katharinen einmal erzaehlen, was er Gestern mit seinem Vater gesprochen hat.«

Dies geschah! »Ach, die falsche, gottlose Brut«, rief Madame Goehl, »ich glaube, sie haben mir den Mund mit der Kommerzienraethin nur waessrig gemacht, und Dir mit dem Tuch, Goehl!«

»Vielleicht«, sagte dieser, »wird meiner Handlung von einer anderen Seite ein Segen winken.«

»Aber was faellt mir nun erst ein! Hilf Himmel, der boese Mensch will meine Doerthe nicht, und Lebrechtchen will er die Braut wegschnappen!«

Lebrecht rief: » Meine Braut?«

»Still, fuerchte Dich nicht, er kriegt sie nicht, ich habe das Jawort fuer Dich weg.«

»Liebste Mama, ich wollte Ihnen vorhin nicht sagen, weil Sie so boese waren –«

»Ich werde gleich wieder boese, wie Du da noch ein Wort sagst. Um drei Uhr gehn wir zum Kaffee, da wirst Du Renatchen gut, und in einem Jahr nehmt Ihr Euch.«

»Wenn ich aber schon einem andern Maedchen gut waere?«

»So kannst Du die von Punkto drei an nicht mehr leiden und wirst Renatchen gut.«

Jetzt brachte das Maedchen ein Billet. »An mich«, rief Frau Goehl, »an mich? Doch von einem Frauenzimmer? Von Mannsleuten nehm ich keine Briefe an.«

Katharine sagte: »Von der dicken Frau Muhme.«

Jene bat ihren Mann, zu lesen. Er sollte sich genau ueberzeugen, daß sie keinen verbotnen Briefwechsel unterhielt.

Er las: »Werthgeschaetzte Freundin. Da Ihr liebes Toechterchen nun keinen Braeutigam hat, moechte ich Ihnen einen Vorschlag thun, wie Sie mir einen thaten. Geben Sie das liebe Toechterchen doch meinem Brudersohn. Er erbt einmal mein bischen Armuth halb, und Renatchen halb. So kaeme das Goehlsche Vermoegen mit dem Kuerbißschen zusammen. Mein Brudersohn wird hier sein, so koennen die jungen Leutchen Alle sehn, ob sie sich gefallen. Ich habe die Ehre u.s.w.«

»Nun sage mir noch Jemand, daß Ehen nicht im Himmel geschlossen werden. Ist das nicht ein Gedanke, als wenn er vom Himmel gefallen waer?«

Doris ward bleich vor Schrecken: »Liebste Mama –«

»Will Sie wohl das Maul halten und sich in des Himmels Rathschluß fuegen!«

»Ja, Doertchen«, rief Herr Goehl, »das sag ich auch. Und Du mußt nun so bald wie moeglich unter die Haube!«

Da halfen keine Gegenreden. Nach gehaltenem Mahl und vollzogenem Putz schritt die Familie ehrbarlich zum Hause hinaus, und manche Nachbarin guckte ihr aus dem Fenster nach. Heimlich sagte Lebrecht zu Doris: »Hin muessen wir schon, der Lieutenant soll Dich aber entfuehren, und ich entfuehre seine Schwester. Es bleibt kein anderes Mittel.«

Bei Frau Kuerbiß stand der Kaffeetisch bereit. Ihr Neffe kam, verwundert, sich einmal hier eingeladen zu sehn. »Junger Mann«, sagte die Tante, »ich will Seinem lustigen Leben ein Ende machen, Ihm eine Frau geben.«

»Um Gotteswillen«, rief der Neffe, »liebste Tante! Ich – ich –«

»Wenn man nicht folgt, giebt's einmal keine Erbschaft. Mamsell Renate, hat Sie's auch gehoert?«

Jener rief: »So will ich lieber –«

Es klopfte, was ihn unterbrach. Gravitaetisch fuehrte Herr Goehl die Ehegenossin herein, und die Komplimente nahmen ihren Anfang. Traurig folgten Lebrecht und Doris, schlugen kaum die Augen auf, denn Jener wollte die unbekannterweise gehaßte Renate und Diese einen Neffen nicht sehn, der ihr, ohne daß sie ihn gesehn, so viel Abscheu eingefloeßt hatte.

Es ließ sich aber doch nicht lange vermeiden, und Lebrecht rief zuerst: »Herr Lieutenant Damm, ich habe das Vergnuegen, Sie hier zu sehn? Und – und – und –«

Frau Goehl fiel ein: »Lebrechtchen, das ist sie, um die ich fuer Dich christlich angehalten habe.«

Fast mit ihr zugleich sagte Frau Kuerbiß: »Herr Lieutenant, diese Mamsell Goehl hab' ich Ihnen zur Braut gewaehlt.«

Ob die jungen Leute nun einander gefielen, beantworte sich der Leser.


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