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Herr Goehl war ein ziemlich wohlhabender Kaufmann zu Berlin, den seine Gattin mit einem Sohn und einer Tochter beschenkt hatte. Leberecht nannten sie Jenen, und hatten ihn, nach wohlabsolvirter Unterschule, auf die Oberschule – Wolke sagte Hochschule und Hoechstschule – nach Halle gesandt, um sich zum Doktor der Arzneigelahrtheit auszubilden. Waer es nach Herrn Goehl gegangen, haette Leberecht im vaeterlichen Tuchladen Buch und Elle gefuehrt, es ging aber nach Madame Goehl, die hoeher hinaus und das Muttersoehnchen Herr Doktor angeredet hoeren wollte.

Freilich mußte sie ihn auch drei Jahre missen, was ihr einen nicht geringen Aufwand von Thraenen abnoethigte. Es gab demungeachtet einen lebhaften Briefwechsel, waehrend er sich zu Halle befand. An den Vater schrieb Leberecht selten, wohl aber an die Mutter – damals bei Honoratioren stets Mama genannt – zu der seine Kindlichkeit mehr Vertrauen hegte. Die Briefe hatten stets die naive Nachschrift: »Wenn ich kein Geld brauchte, schrieb ich nicht.« Weil dies jedoch nicht selten der Fall war, schrieb er auch oft, und eigentlich bestand der ganze Brief nur aus dem Postscript.

Von andern Seiten empfing der Vater dagegen Zuschriften aus Halle. Von Gast- und Hauswirthen, Schneidern und Schuhmachern, Pferdevermiethern und Aufwaertern, die Alle um Tilgung gewisser Rueckstaende baten. Als Korrespondentinnen traten selbst etliche Dienstmaegde auf.

Herr Goehl tobte dann, verwünschte die jetzige ruchlose Welt, versicherte, vor dreißig Jahren haette man goldene Zeiten gesehn, bezahlte indessen zuletzt. Mama seufzte still, und sie schaffte noch heimlich Rath.

Unvergleichliche Ermahnungen und Strafpredigten sandten uebrigens beide Theile nach Halle. Die vaeterlichen waren arithmetisch, daher mathematisch, folglich auf Wahrheit gestuetzt. Sie variirten das Thema: Soll's bei Dir heißen: was ein fleißiger Vater addirt, ein luederlicher Sohn subtrahirt? Die Mutter legte sich, wenn sie schrieb, Porsts Gesangbuch auf die eine, das gueldne Schatzkaestlein auf die andre Seite und schmueckte den Brief daraus mit den herrlichsten Stellen. Leberecht bekuemmerte sich aber um den klingenden, nicht den moralischen Inhalt, liebte das Ausschaelen von Dukaten, nicht das Auswaehlen von Citaten. So blieben die Abhandlungen stets werthvoll, nur ungelesen.

Zu lebhaft war der Sohn, daran hing Alles.

Mit der Tochter hatten die Eltern ihre liebe Noth im Gegensatz. Die war zu sanft. Man mußte sie peinlich sorgsam vor jungen Maennern hueten, weil sich fuerchten ließ, sie wuerde aus lauter Sanftmuth ihnen keinen Widerstand leisten. Der Vater liebte sein Toechterchen mehr wie den Sohn, dennoch sagte er oft: Geh mir nicht an die Sonne, auch an keinen Ofen, Du bist von Wachs, ich seh Dich noch schmelzen. Und die Mutter: Gieb Dir doch ein Ansehn! Klopfe einem sueßen Herrn, der Dir zu nahe koemmt, mit dem Faecher auf die Finger, oder drehe Dich, daß ihm der Fischbeinrock einen Schub giebt.

Dorothea hatte man sie bei der Taufe genannt, Doertchen riefen die Eltern sie liebreich, Doerte erzuernt, allein sie wollte Doris heißen. Wohl dem, der sich danach richtete.

Fontenelle war schuld. Er hatte die Schaefergedichte, nach Theokrit und Virgil, in Frankreich wieder in Gang gebracht, und die gehorsamen Deutschen ahmten – wie in unsern Tagen von neuem – Frankreich nach. Ohne eine Menge vergessener Dichter hatten Gellert, Geßner, Hagedorn, Kleist die liebe Jugend in Arkadiens Traumwelt gefuehrt. Fünfundzwanzig Jahre spaeter hieß es: Jeder Juengling sehnt sich zu lieben wie Werther, jedes Maedchen geliebt zu sein wie Lotte, im Jahre 1750 wollte jeder Juengling aber zum Myrtill, jedes Mädchen zur Galathee werden.

Herr Goehl aergerte sich und warf einmal die Leipziger Beitraege, die stets neue Eklogen auftischten, zum Fenster hinaus. Vor dreißig Jahren, sagte er, hatte man auch Gedichte, von Canitz, von Besser, da war doch Vernunft darin, und nicht solches dumme Zeug. Bei einem sonntaeglichen Spaziergang kam er mit den Seinigen ueber eine Wiese vor dem Thor. Ein Schaeferknecht, mit einem Strumpf in der Hand, huetete die Hammel des Fleischergewerks. Jener zeigte mit dem Finger nach ihm und rief: Siehst Du, siehst Du den schmutzigen Kerl? Das ist ein Myrtill! Sieh den garstigen Koeter, das ist ein Phylax! Ich will Dich nur einen Tag einmal hinausschicken, Du sollst ihm die Hammel bei schlimmen Wetter treiben helfen und aus seinem Kober speisen. Abends hast Du es satt, ich wette.

Es verfing nichts, Idealitaet laeßt sich nicht sobald durch Realitaet schlagen, doch mit der Zeit wohl.

Wenn uebrigens Papa auch schalt, das Toechterchen blieb doch sein Augapfel.

Leberecht, der eine Ausnahme von der Regel machte und die arkadischen Juenglinge mit keinen schmeichelhaften Namen bezeichnete, kam nun von Halle zurueck. Mit hellem Geraeusch trat er ins Vaterhaus, mit weit geoeffneten Armen flog ihm die Mutter entgegen. Sie wollte ihn eben dergestalt ans Herz druecken, daß er Ach und Weh darueber haette schreien mögen, als sie stutzte, und, einem sprachlosen Ach und Weh aehnlich, in einen Stuhl sank. Es war nachmittags um drei Uhr, man hatte ihn erwartet und seit dem Essen oft am Fenster nach ihm ausgesehn.

Herr Goehl hatte mit einer Hand die Brille aufgesetzt, um den Eintretenden genau zu besichtigen, die andere ballte er, um damit waehrend der Strafpredigt zu gestikuliren, die Leberecht hoeren sollte, gleichwohl verstummte er nun, wie er die Ehehaelfte schier ohnmaechtig sah.

Lebrecht begriff das auch nicht. Mit einem gesungenen: »Sein Diener, Herr Papa, Ihr Diener, Frau Mama« war er hereingestuermt, nun fuegte er redend hinzu: »Aber was, zum Teufel, ist Ihnen denn?«

Herr Goehl rief zornig: »Schickt es sich, wenn man wieder zu den Eltern koemmt, wie ein Landsknecht zu fluchen? Mein Kind – siehst Du, siehst Du –«

Die Mutter stammelte: »Hast Du das aus meinen erbaulichen Briefen gelernt? Aber Leberechtchen, Leberechtchen, was hast Du denn im Gesicht?«

Es war eine tuechtige Schmarre und ueber sie eben Mama erschrocken. Die lachende Antwort hieß: »Das ist ein circumflex. Hier sind noch ein Paar!«

Er streifte den Aermel auf und wies noch zwei kleinere. »Aber«, fuegte er hinzu, »andre koennen, hol mich der Teufel, wohl ein Dutzend von mir zeigen.«

»Lebrechtchen«, wimmerte Mama, »heißt das recht leben?«

»Siehst Du, so machens die Studenten«, rief Herr Goehl, »die Theologen sollen lernen, wenn ihnen einer einen Backenstreich giebt, den andern Backen auch hinzuhalten, die Juristen, wie bestraft werden muß, wer Jemandem Uebels thut, und du Schlingel bist Mediziner, sollst Wunden kuriren, nicht machen, auch Dir keine machen lassen.«

»Papa«, fiel Lebrecht ein, »es ist Ihr Glueck, daß Sie mein Papa sind, ich wollte Ihnen den Schlingel sonst – und auch jetzt muß ich mir solche Ehrentitel verbitten. Ich habe cursirt, dissertirt, disputirt, bin zum Doktor graduirt.«

Papa lief vor Unmuth hinaus, und Mama rief: »Da hast Du nun Dein schoenes Gesicht verschimpfirt.«

»Was?« fiel Lebrecht ein, »was? Da sieht die Welt gleich, daß ich ein tuechtiger, hallischer Bursch gewesen bin, der nichts auf sich sitzen ließ.«

»Aber wenn Du nun zu Kranken gerufen wirst, fuerchten sie sich, Frauen koennen sich an Dir versehen, und Kinder mit Schmarren auf die Welt bringen, der Himmel behuete sie davor! O der Alte hat wohl recht gehabt, haettst die Tuchhandlung lernen sollen.«

»Da waer ich ein Philister geworden.«

»Mit Ellen kann man sich doch nicht solchen Schaden thun wie mit den abscheulichen Degen. Aber geschehn ist geschehn, das seh ich auch wohl ein. Bitte nur den Himmel Tag und Nacht, daß er Dir die Studentensuenden vergiebt, und fuehre Dich kuenftig wie ein Christ auf.«

»Bei Gelegenheit, Mama! Aber ich brauche Geld.«

»Das sollst Du bei Gelegenheit auch haben. Ich muß den Alten nur erst wieder gut machen.«

»Er soll schon wieder gut werden, wenn er meine testimonia sieht. Die lauten, Tausend –«

»Pfui doch!«

»Lustig bin ich gewesen, aber –«

»Doch wenigstens auch fleißig? So war doch ein gutes Haar an Dir.«

»Warum nicht gar! Am Fleiß schwitzen die langsamen Alltagskoepfe. Ich habe ingenium, das laeuft Sturm auf die Wissenschaften, ein Loth ingenium ist besser wie ein Centner Fleiß.«

»Aber wie Du aussiehst! Ich dachte, Du wuerdest mit einer niedlichen Perruecke kommen.« –

»Renommisten tragen keine mehr, tragen jetzt einen Pudelkopf.«

»Aber Du wirst doch als Doktor eine aufsetzen? Die Kranken laßen sich von Dir ja nicht kuriren, wenn Du mit Deinem eignen Haar koemmst. In der Perruecke, meinen sie Alle, staecke die Weisheit.«

»Ich bin jung, liebe junge, nicht alte Moden. Gaudeamus igitur, juvenes dum sumus!«

»Und wo ist denn Dein Koffer?«

»Mama, omnia mecum porto. Da in der Mappe sind meine Hefte, sonst bring' ich nichts mit.«

»Was – Jung –«

»Mama, ich bin Doctor medicinae!«

»Wo sind die schoenen Kleider?«

»Die alten sind verkauft, die neuen versetzt.«

»Mich ruehrt der Schlag!«

»Da verordne ich einen Aderlaß, temperantia und magre Diaet, so sind Sie kurirt.«

»Und meine schoene neue Waesche, die ich selbst genaeht, selbst Stueck vor Stueck roth mit LG gezeichnet habe?«

»Steht LG darauf, gehoerte sie ja mein.«

»Aber wo ist sie?« »Besinn ich mich doch nicht gleich!«

»Ich komme um!«

»Das müssen Sie nicht thun, Mama, sonst koennen alle medizinischen Fakultaeten nicht helfen.«

Frau Goehl war hinausgelaufen, die schoene, durchgebrachte, Waesche konnte selbst ihre zaertliche Mutterliebe nicht verzeihn, wenigstens in den ersten Monaten nicht. Lebrecht dachte bei sich: Ein Sturm waer ueberstanden, es wird aber noch ein Orkan toben, wenn sie hoeren, welche Baeren außerdem in Halle angebunden sind.

Die Schwester nahte jetzt mit ihrem Willkommen, den sie stumm, in einer sanften Ruehrung ausdrueckte. »Sieh, Doertchen«, rief Jener, »bist ja recht gewachsen.«

»Doertchen – nenne mich Doris.«

»Auch Hirtenpossen im Kopf? Aber ich will verdammt sein, wenn Du nicht recht huebsch geworden bist! Es verdrießt mich, daß Du meine Schwester sein mußt. Nun hast Du gewiß Dich auch schon verliebt.«

»Jage mir keine Schaamroethe auf die Wange! Sich verlieben waere auch suendlich. Zwar – wenn ein Schaefer kaem, treu, innig, sanft und fein, der, nur aus Furcht, mich nicht genug zu lieben, mit seinem Seufzen fern mir waer geblieben, dann wollt ich nicht mehr grausam sein. – Ich sage das nicht, hab es nur wo gelesen. Ach, Bruder, und ein neues Lied hab ich von Damoet« –

»Wer ist der Patron?«

»Im Grunde – still davon – der Herr Sekretaer Damm, er pflegt sich aber Damoet zu nennen, schriftlich, nicht immer, bisweilen« –

»Unter den Liebesbriefen an Dich!«

»Bruder – wer hat Dir das gesagt, uns verrathen?«

»Niemand, ich weiß auch gar nichts!«

»So? Nun, das ist mir lieb – es ist auch kein Wort davon wahr – in meinem Leben hat er nicht an mich geschrieben – nur einmal, nein, nein, Du hast mich ganz verwirrt gemacht, ich sagte ihm, Damon klaenge sanfter, und Damoet am lieblichsten. Aber das Lied von ihm heißt: Damoetas war schon lange Zeit der schoenen Phyllis nachgegangen, noch konnte seine Zaertlichkeit nicht einen Kuß von ihr erlangen.«

Lebrecht fiel ein: »Wie ich noch Fuchs war, las ich bisweilen so was, spaeterhin nicht. Die Poeten sind heut zu Tage Narren. Zwar sind sie das, so lange die Welt steht, gewesen – und machen die Maedchen auch zu Naerrinnen. Und, zum Teufel, warum wollt Ihr denn nur Schaafhirten lieben? Warum nicht auch Ochsenhirten, et cetera? Und wenn die Poeten ihre Kupfernasen in den Homer steckten, wuerden sie auch sehn, daß in Griechenland Einer so viel galt wie der Andre.«

»Bruder – nimm es nicht uebel, Du bist gar nicht mehr so weich, sanft, hold wie als Knabe, bist recht ungezogen aus Halle gekommen. Und – fing es Dir nicht auch schon ein wenig an – im Herzen zu klopfen – ich meine, von Liebe?«

»Nein! – Nein und Ja koennt ich sagen. Doch wie Du es meinst, Nein!«

»Da beklag ich Dich wehmuethig. Sieh, meine Thraenen fließen schon aus Mitleid. Du Ungluecklicher, weißt noch nicht, was Liebe ist!«

»Laß nur! Drei Jahre immatrikulirter Studiosus –«

»Doch also? Hast Du deine Daphne, eine Chloe?«

»Ueber Studentenzaertlichkeit will ich Dir doch kein Collegium lesen.«

»Willst Du deine Schaeferin zum Traualtar fuehren?«

»Oho, ich will niemals heirathen.«

»Verschmachte nicht, wie ein Veilchen ohne Thau und Regen!«

»Dafuer laß mich sorgen! Unter allen Narrheiten, die es giebt, und ihre Zahl heißt Legion, ist keine aerger, als sich ein Weib aufbuerden.«

»Du wirst Dich todt graemen, wie ein Taeuberich, dem ein wilder Habicht sein Taeubchen nahm.«

»Damit hat es nichts auf sich. Bei Euch Maedchen ist's ein Andres. Ihr koennt nicht leben wie freie Burschen, wollt nicht gern alte Jungfern werden, obschon ich – genau erwogen – nicht einsehe, was einer alten Jungfer fehlt.«

»Alles, Liebe, Beistand, Pflege und Wonne im Alter, und was noch das Schlimmste ist, die Achtung der Welt. Stirbt sie endlich, drueckt ihr Niemand die Augen zu, es mueßte denn ihr Mops mit den Pfoten thun!«

»Liebe ist die aergste Betruegerin in der ganzen Natur! Heißt es also nicht klug, weit vom sueßen Koeder zu bleiben, damit uns nicht der Angelhaken auch trifft? Beistand hoffst Du von einem Mann? Viele geben ihr halbes Vermoegen zum Abstand, den Beistand los zu werden. Pflege und Wonne im Alter! Wohl von den Kindern? Ha, das sind die rechten. Achtung der Welt! Eine alte Jungfer darf sie ja nur wieder nicht achten, so begegnet sie ihr nach Verdienst obenein. Und das Augenzudruecken noch. Will sie mir Niemand zudruecken, moegen sie aufstehn. Kurz, bleibe ledig, Schwester! Du erbst einmal Geld, eine Arme muß sich des lieben Brots willen schon heirathen lassen.«

»O Du wirst noch einmal anders empfinden, Lebrecht!«

»Da soll mich –«

»Ich bitte Dich, schwöre nicht! Was mich betrifft – so empfinde ich – sieh mich nur nicht an, ich werde ja roth.«

»Ich weiß schon Alles, Du möchtest gern den Herrn Damm, oder Damoet heirathen.«

»Mein Himmel, wer hat Dir das gesagt?«

»Die Alten wollen nicht. Hab ich recht? – Warum wollen sie denn nicht?«

»Es ist ja nichts an der Sache, gar nichts. – Ach, Papa, wenn ich flehte, meine Zaehren seine Hand bethauten – aber Mama, Mama!«

»Da koennten die Zaehren wohl daherrauschen wie die Saale bei Giebichenstein.«

»Sieh aber, die Eltern haben mich dem jungen Sueßmilch versprochen – wohl nur so vorlaeufig, es hieß, wenn die jungen Leute sich auch gefallen wuerden.«

»Und er gefaellt Dir nicht? Das wundert mich bei dem Namen nicht.«

»Es geschah vor zwei Jahren, eh er nach Paris ging, da wußt' ich noch nicht, was Liebe ist, nun weiß ich es aber.«

»Hast es wohl schnell gelernt?«

»Waere aber Sueßmilch auch nicht, wuerde ein Sekretaer den Eltern nicht genug sein – ach, und mir ist er noch zuviel, ich wollte vergnuegt mit ihm in Huetten wohnen, die Liebe macht der Huetten Armuth reich, den Bach zu Wein und harte Fluren weich.«

»Ich danke fuer solchen Wein und solche Fluren, wenn's gefroren hat. Nun hoere, Doertchen, auch Doris meintwegen, wir wollen ein Pactum schließen. Ich helfe Dir – Rath muß sich schon finden – steh mir aber auch bei. Du sollst mir nicht in Liebessachen beistehn, nur in Baerensachen. Da nimm die Liste von den Baeren, die noch in Halle angebunden sind, ein ziemlich Rudelchen. Sprich mit Mama, daß sie mit Papa spricht, mache so, daß Papa meine Baeren losbindet, auch noch einen kleinen Affen, zu dem ich gekommen bin, ich weiß nicht wie. Fuer einen Anderen kann man besser sprechen wie fuer sich. Und ich schaffe Dir deinen – wie heißt der Kerl – Damoetas.«

»So hoere denn! Vorigen Winter ging ich mit Mama in die Redute, ich hatte sie gebeten, daß ich eine Schaeferinnentracht anziehn duerfte, weiß mit gruenen Baendchen, und ein Rosenbouquet dazu, und auf der Redute forderte mich ein Schaefer, denke nur, auch weiß und gruen, zur Menuet auf. Wir tanzten die Freimaurermenuet, die jetzt so Mode ist.«

»Ich weiß, die Graefin Bruehl in Dresden hat sie gemacht.«

»Nein, ich kann Dir nicht sagen, wie niedlich mein Schaefer tanzte.«

»Da warst Du wohl mit Haut und Haar in Arkadien.«

»Aber – gewiß war das Sympathie, Beide weiß und gruen, oder als wenn es der Himmel so gefuegt haette.« –

»Leibnitzsche harmonia praestabilita.«

»Mein Tanzen mußte ihm auch gefallen haben, denn er forderte mich gleich wieder zu einer Polonaise auf, und hernach zu einem Baspied, und wenn er mich abholte, und wieder zu meiner Mama brachte, die auf der Bank saß« –

»Und wohl gut auf Euch Acht gab?«

»Er machte mir immer so viel galante Complimente, sagte: Schoene Maske, Sie tanzen wie ein Engel, oder: Ich bin, hol mich der – das fatale Fluchen hatte er an sich wie Du –, ich bin schon verliebt in Sie und sehe Ihr Gesicht nicht einmal, was wuerde geschehn, wenn Sie sich demaskirt haetten! Endlich sagte Mama, wir wollen eine Tasse Chocolade trinken, und wir gingen hinten zum Konditor und demaskirten uns. Ich trank aber meine Tasse nicht, mir war ohnehin so heiß, waer die Chokolade noch dazugekommen – nein, ich ließ mir etwas Limonade geben. Mama sprach mit der Frau Muhme Kuerbiß, die auch da war, und nicht lange, so kam der Schaefer, war uns nachgegangen, setzte sich neben mich. Auf Ehre, sagte er, ich habe geglaubt, daß Sie so schoen waeren! Er nahm die Larve aber auch ab, und ich erschrak ordentlich, denn er war so schoen, wie ich in meinem Leben noch keine Mannsperson gesehn hatte. Erst war ich bloede und konnte nicht ein Wort sagen, aber ich weiß nicht, war mir die Limonade in den Kopf gestiegen, oder wie es kam, die Worte fingen mir endlich an zu fließen wie ein Silberbaechlein. Es haette nicht angehn koennen, waer Mama auf ihrer alten Stelle geblieben. Aber die Frau Muhme hatte Uebelkeiten, wurde ohnmaechtig und mußte in eine andere Stube gefuehrt werden. Mama ging mit und vergaß mich ueber den Schrecken. Nun war ich mit dem Schaefer allein, da that er erst sueß, hold. Ich fragte ihn nach seinem Namen. Er antwortete: Damm. Warum nennen Sie sich nicht lieber Damis, fragte ich noch einmal, oder, was noch schoener klingt, Damon, nein, Damoet, lieblicher giebt es keinen Namen. Wenn Sie es befehlen, sagte er, will ich mich Damoet nennen. Und nun bat er schmachtend, ich sollte wieder mit ihm in den Tanzsaal gehn.«

»Maedchen, Du hast es doch nicht gethan? Nemo cum diabolo jocatur impune, das heißt, laß Dich den Teufel nicht –«

»Keinen Schritt bin ich mit ihm gegangen, denn Mama kam eben zurueck, und eben fing ich auch an, nicht mehr widerstehn zu koennen. Ich mußte mit zur Frau Muhme, die brachten wir nach Hause. Ach, und es gab Schelte von Mama, es fehlte wenig, so haette sie mir eine Ohrfeige gegeben. Und ich hatte doch nichts gethan.«

»Sie wird Dir angesehn haben, daß Du was haettest thun koennen.«

»Wir gingen auch den ganzen Winter nicht mehr in die Redute. Von meinem Schaefer – ach, der jede Nacht mir im Traum erschien – hoerte und sah ich lange nichts mehr. Unter der Hand gab ich unserm Hausknecht Kommission, sich einmal nach einem Herrn Damm zu erkundigen, sagte ihm aber nicht, warum. Ich dachte, er muß doch auszufragen sein, und der Hausknecht ist nicht einfaeltig.«

»Hier ist ja der Rektor Damm, von dem habe ich eine Uebersetzung, betitelt: Des alten roemischen Prinzen Marcus Tullius Cicero Briefe, er schreibt Sohn ohne h, die ohne e, ist ein Narr in folio, ein Freigeist, aber grundgelehrt, Doctor eruditis, eruditior, illustrissimus, capacissimus, der Kerl wird doch nicht Dein Liebhaber sein?«

»Der ist ja alt, und ich hatte dem Hausknecht gesagt, er sollte sich nach einem jungen Herrn Damm erkundigen. Es dauerte auch nicht lange, so brachte er mir die Nachricht, Herr Damm stuende bei der Kammer. Im ersten Augenblick sah ich mich geschwind nach der Kammerthüre um, hernach besann ich mich aber, die churmaerksche Kammer wuerde gemeint sein.«

» Die Kammer sitzt immer in einem großen Saal, wenn Vortrag ist.«

»Nun wußt ich's doch. Er mußte mich aber im Fruehjahr einmal am Fenster gesehn haben, ich ihn aber nicht. Den andern Abend war er in einem Mantel geschlichen gekommen und hatte unsrer Kathrine ein Briefchen an mich zugesteckt, und vier Groschen, daß sie mir's heimlich geben sollte. Erst wollt' ich's nicht nehmen, hernach in Granatstüecke reißen, da fiel mir ein, es waere doch schon drei Monate seit der Redute, und weil mich der Schaefer waehrend der Zeit nicht vergessen haette, mueßte er's wohl treu meinen, wie die Hirten in Arkadia. Weil mich das so ruehrte, las ich den Brief. Hier hab ich ihn noch. Hoere:

Allerliebste Mademoiselle, oder weil Sie es lieber so hoeren, schaetzbarste Doris! Sollten Sie sich noch auf Ihren ganz gehorsamsten Damis oder Damoet von der zweiten Redute besinnen, so wuerde es mir auf Ehre das groeßte Plaisir von der Welt machen. Was mich betrifft, so ist mir seitdem zu Muthe gewesen, als ob Sie mich mit einer zwoelfpfuendigen Kanonenkugel durchs Herz geschossen haetten. Und das Verdammteste war, daß ich nicht wußte, wer Sie waren, wo Sie wohnten, nichts hatte ich erfahren, als Sie hießen Doris. Alle Tage fiel mir nun die Arie ein: Doris, o Doris, wo find ich Dich wieder, es ward aber im Januar, Februar und Maerz nichts daraus, bis ich gestern, den 31sten, Nachmittag, Sie am Fenster sitzen sah. Nun dacht ich gleich, ich muß ein Billet doux schreiben, das habe ich nun gethan, und hoffentlich wird die Magd es in Ihre sueßen Haendchen geben. Und nun bitt ich Sie um Himmelswillen, allerschoenste Mademoiselle Doris, sein Sie doch heute Abend zwischen neun und zehn ein bischen vor der Thüre, denn ich habe Ihnen etwas sehr noethiges zu sagen. Ich will die ganze Stunde vor dem Hause patroulliren, daß ich Sie gleich sehe. Mein Herz ist, als waer es voll Salpeter, Schwefel und Kohle wie eine Pulvermuehle, ich bitte Sie daher instaendig, schicken Sie nicht, weil wir heute den datum schreiben, in den April Ihren Sie adorabel findenden und

adorirenden
Damoet
weil Sie es befahlen.
Berlin,
den 1sten April
1750.

N. S. Anbei erdreiste ich mich, ein neues Liedchen gehorsamst zu uebersenden.«

Lebrecht rief: »Es muß ein fideler Bursch sein! Ob er auf der Universitaet gewesen ist? Nach dem Briefe glaub ichs nicht, die Latinitaet fehlt darin. Was machtest Du, Schwesterchen? Gingst Du vor die Thuere?«

Doris antwortete: »O behuete, er waere im Stande gewesen, zu verlangen, ich sollte mit ihm spatzieren gehn. Und wenn das Mama erfahren haette!«

»Da wuerde es geheißen haben: ad carcerem!«

»Ich sagte auch Kathrinen: sie sollte zwischen neun und zehn Uhr acht geben, und wenn mich die Sympathie etwa nach der Thuere zoege, sollte sie mich geschwinde wieder zurueckziehn, wenn ich auch boese wuerde.«

»Bene fecisti! Weit davon ist gut vorm Schuß.«

»Aber ich kam doch, ganz von ungefaehr, zwischen neun und zehn Uhr ans Fenster. Drueben hing eine Nachtigall im Bauer, die fing schon ihr Fruehlingsliedchen an, ach und Nachtigallentoene hatten mich nie so bezaubert, als seitdem ich liebte. Da wollte ich nur ein wenig –«

»Aha!«

»Es waehrte aber nicht lange, so – so –«

»Hatte der Vogel den Monsieur Damoet da?«

»Wie Du doch Alles weißt! In einen Mantel gewickelt, schlich er heran, grueßte mich sehr hoeflich und fragte mich: warum ich nicht an die Thuere gekommen waere. Ich sagte aber: es wuerde sich nicht fuer mich schicken, mit einem solchen losen Vogel von Schaefer draußen zu stehn, und wenn er mir was noethiges zu sagen haette, koennte ers am Fenster auch thun.«

»Eine Parterrwohnung hat ihr Gutes, man braucht keine Strickleiter.«

»Nun fragte er mich: ob ich nicht einmal sagen koennte, ich wollte eine gute Freundin besuchen, oder waere eingeladen, da wollte er mit einer Miethskutsche warten, mit mir nach dem Grunewald oder nach Tegel fahren. Das nahm ich ihm uebel. Sie kleiner Schalk, sagte ich, wie koennen Sie glauben, daß ich mit Ihnen in einer Miethskutsche fahren werde? Ja, wenn Papa und Mama dabei waeren, da sollt es mir ein großes Vergnuegen sein.«

»Die Strafpredigt soll er wohl gefuehlt haben.«

»Bald haett ich aber doch geweint, denn er sagte, ich waere eine Grausame. Ich faßte nun aber ein Herz und sagte: Es thut mir leid, ich bin geruehrt, es kostet mich viele Muehe, den Lauf meiner Thraenen zu hemmen. Aber ich weiß auch, was Mama mir befohlen hat. Es koemmt nun darauf an, ob Sie es ernsthaft meinen oder spaßhaft. Allen Spaß verbitte ich mir, oder ich bin grausam. Meinen Sie es aber ernsthaft, so gehn Sie zu meinem Papa, nein, erst zur Mama und halten Sie um mich an. Er wollte mich wohl heirathen, sagte er, es ginge aber doch nicht, weil er nur ein Subaltern waere. Ich weiß, was Sie sind, sagte ich, habe mich schon erkundigt, ein Sekretaer sind Sie. Ja, ja, eine Art davon, gab er zur Antwort.«

»Er wird ein Kanzelistchen sein, mit dem Sekretariustitel, und 150 Thalern Gehalt. Ich wollte doch, Schwester, Du haettest Dich in einen Andern verliebt.«

»Wer kann sich helfen, wenn das Herz – o ich habe schon Geheimbte Raethe, Praesidenten, gar Minister gesehn, und mich in keinen davon verliebt.«

»Das machte, es waren alte Herren.«

»Richtig, und mein Herz fleht um einen jungen Schaefer. Und das muß man dem Damm nun lassen, jung ist er, huebsch auch, sehr huebsch. Wenn er auch nur 150 Thaler Einkuenfte hat. Spraeche Mama mit unserm Papa, und der gaebe mir 10.000 Thaler Brautschatz –«

»Papa koennte auch seine Vorgesetzten traktiren, am rechten Ort ein Roellchen Dukaten springen laßen, so wuerde Damm bald mehr sein.«

»Zuletzt sagte er: Mit der Zeit werde ich schon was werden, allerliebste Doris, Revenuen haben wie ein Geheimbter-Rath, darauf koennen wir aber noch lange warten. Vor der Hand ist es das Gescheutste, daß wir uns lieben. Schlafen Papa und Mama schon? Ich will Sie zum Fenster herausheben, wir wollen nach einem Picknick, die ganze Nacht tanzen, und vor der Reveille sollen Sie doch wieder zum Fenster hineinsein. Da schlug ich ihm aber das Fenster vor der Nase zu.«

»Ei – es ist wohl doch so ein Luftikus. Sieh nur, so hab ich's als Student auch wohl gemacht, wer es aber meiner Schwester thut, dem brech ich den Hals, und die Ehre soll dem Monsieur Damm noch Heute widerfahren.«

»Bruder, ich bitte Dich um Gotteswillen! Ich ueberlebte es ja nicht, wenn Du – o ich kann ja so schon seit der Zeit nicht leben und nicht sterben. Er wird sich aber nach meinen Umstaenden nicht erkundigt haben, nicht einmal nach meinem Vatersnamen, auf dem Briefe stand nur: An die schoene Doris. Wenn er wueßte, daß Papa einer von den reichsten Kaufleuten in Berlin ist, wuerde er andere Saiten aufgezogen haben.

»Nicht unmoeglich! Honores mutant mores.«

»Bei Mama spielte ich ein Paarmal auf einen Sekretaer an – ob ich wohl – wenn einer kaeme – aber sie wollte nichts merken.«

»Nun, ich will zu dem Monsieur Damm gehn, untersuchen, was es fuer ein Kraeutchen ist, taugt er, muß er auch heirathen wollen, sonst werde ich ihm seine Possen anstreichen. Will er, sieht man denn, wie man auch die Eltern gewinnt. Sieh derweile auch zu meinen Baeren. Adieu, Doertchen!«

Er ging. Seinen Degen hatte er noch nicht abgelegt. In jener Zeit trug ihn jeder Musensohn, aber auch die Koeniglichen Beamten, Aerzte, Apotheker, Kaufleute, mindestens in Gala, von den Edeleuten verstand es sich noch mehr, die sich auch nie ohne Federhut zeigten.

Doris fuehlte die Regungen froher Hoffnung, wollte aber auch gegen einen so guten Bruder nicht unerkenntlich sein. Sie nahm den Strickstrumpf und eilte ins Gemach der Eltern. In gelben Saffianpantoffeln und einem gruenen Schlafrock, seinem taeglichen Hausanzug, saß der Vater am Pult und zog die Summen aus dem Buch, welche Lebrecht auf der Hochschule gekostet hatte. Weinend saß die Gattin auf dem Canapee. Ihre, mit einer Stirnbinde versehene Backenmuetze bestand aus weißem, feinen Linnen, die Contousche aus braeunlichem sogenannten Bast, die Schuerze, weiten Umfangs, aus blau bedruckter Leinwand, und der aeußere Stepprock, unter welchem sich noch fuenfe dem Auge entzogen, aus roethlichem gebluemten Moor. Dies war ein halber Staat, der heute Lebrechts Ankunft zu Ehren schimmerte. Sie ging auch mit ihm, oder einem aehnlichen, in die Wochenpredigt, der Kopfputz verwandelte sich dann blos in eine weiße Tellermuetze, mit breitem Kantenstrich. Es ist wahrzunehmen, daß sich damals die Kaufleute, der Außenseite nach, von dem uebrigen Buergerstand nicht unterschieden, es haette denn in bessern Kleidungsstoffen geschehn muessen. Erst spaeterhin ahmten sie den Adel nach, wie dieser ihnen sich wieder in den abgelegten Federhueten annaeherte.

Es war Eins, worueber sich Frau Goehl nicht zufrieden geben konnte, auf das Eine kam sie immer zurueck, oder ging vielmehr nicht davon weg. Die schoenen, zuletzt nach Halle gesandten feinen Oberhemden hatte Lebrecht durchgebracht, das wollte ihr Herz durchbrechen.

Ihr Ehemann wurde endlich mit den muehsam herausgesuchten, einzelnen Posten und ihrer Addition fertig. Das Facit ueberstieg 700 Thaler. Hatte er nun schon durch Lieferung von Tuechern nach Rußland, die man dort zur Bekleidung des Heers anwandte, und anderweitiges Glueck im Handel, bei spaerlichem Haushalt, sein Vermoegen nach und nach auf mehr als 40.000 Thaler gebracht – was ihn zu einem der reichsten Kaufleute in Berlin erhob –, so kam die Summe ihm doch so ungeheuer vor, daß er sich immer die kurzen – der Peruecke willen verschnittenen – Haare haette ausreißen moegen. Die Ehegenossin erschrak auch heftig ueber diesen Betrag, merkte aber gleich an: die letzte Waesche sei nicht einmal dabei mitgerechnet. Jener sprach vom Erklaerenlassen und vom Enterben, diese pflichtete ihm – was nicht oft geschah – bei, und fuegte hinzu: wer solche Waesche liederlich verbringen kann, Waesche, die noch kein Sohn haette tragen koennen, verdiene es nicht besser.

Die Tochter saß wie auf Kohlen und begriff wohl, daß sie, waehrend diese Ungewitter tobten, mit ihrem Papier nicht erscheinen duerfe. Es enthielt ein Verzeichnis diverser Glaeubiger, welche zusammen auch noch gegen 300 Thaler zu fordern hatten. Jene zweifelte sogar, daß sich die Mama lebelang ueber die Waesche beruhigen wuerde.


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