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Lebrecht erkundigte sich waehrenddem nach der Wohnung des Sekretaers Damm und ging zu ihm. In der Stube toente Kindergeschrei. Er pochte nur wenig an, trat gleich hinein, machte eine sehr nachlaessige Verbeugung und hob an: »Serviteur, mein Herr Damm, – aber was, zum Teufel –«

Er stutzte, weil er in dem aermlichen Zimmer drei Kindlein sah, die etwas unsauber gekleidete Hausfrau trug das vierte auf dem Arm. Ein kleines Maennchen, im Casaquin von grauer Leinwand, saß am Schreibtisch.

»Ich bin doch nicht unrecht«, hoerte man Jenen fortfahren, »hier wohnt doch der Kammersekretaer Damm –«

Die unbildliche Madonna fiel ein: »Ganz recht, ich bin die Frau Liebste.«

Nun fing Lebrecht an zu wuethen: »Was – – Sie haben eine Frau, und machen meine Schwester auf der Redute in sich verliebt? Da soll ja – wo ist Ihr Degen? –«

Die Kinder schrieen gottserbaermlich, ihre Mutter warf sich dem Ungestuemen mit Flehn und Weinen entgegen, dann aber einen zornflammenden Blick auf ihren Mann. Lebrecht ueberschrie Alles: »So laß ich meine Schwester nicht beleidigen. Er muß sich mit mir schlagen, gleich vors Thor – aber –«

Das Maennchen war aufgesprungen, doch hinter die laengere und breitere Frau, wodurch es Lebrechts Augen verdeckt ward. Sie wandte sich aber auch um und rief mit einer donnernden und schmetternden Stimme: »So komm ich hinter Seine Schliche? Treibt sich auf der Redute herum, und wir haben oft frueher die liebe Sonne im Hause als das liebe Brot? Laeuft nach Maedchen, der Suender, der Ehebrecher, und hat doch eine Frau, die sich sehn lassen darf, und sollte Gott danken – nein, es ist zu arg, zu himmelschreiend, haett ich Fritzchen nicht auf dem Arm, ich kratzte Ihm die Augen aus!«

Das Maennchen entschuldigte sich Punkt fuer Punkt, mit der Zornigen im Unisono: »Liebster Engel, liebster Schatz, ich will nicht ehrlich sein, nicht selig werden, bin ich in meinem ganzen Leben auf der Redute gewesen, und wie wuerd ich denn jetzt das Geld wegwerfen? Der Stadtknecht soll mir am hellen Mittag hundert Nasenstueber vor dem Rathhause geben, ich will nie in den Himmel kommen, wenn ich nach einem Maedchen gelaufen bin, seit ich Dich habe. Freilich bist Du eine Frau, die sich sehn lassen darf. Menagire Dich nur, und bitte den jungen Herrn doch um Alles in der Welt, daß er sich bedeuten laeßt. Es muß ja ein Irrthum sein, er wird sich in der Person irren.«

Die Kindlein schrieen noch immer dazu, nun auch Fritzchen, mit einer hellen Oberstimme im Sopran.

Lebrecht haette seine Ohren zuhalten moegen, er verstand nur etwas von Irrthum, und schrie: »Aber Madame, halten Sie nun einmal die gefluegelte Zunge an, und verstopfen Sie auch den Kleinen den Mund!«

Das Maennchen rief: »Christian, Ulrike, Lotte, Marsch in die Kammer!« Dem Befehl ward gehorcht, und das Konzert verringerte einigermaaßen seinen Effekt. Indem aber der Studiosus das Maennchen sehn wollte, und deshalb um das Weibchen ging, mißlang es noch immer, weil das Maennchen auch weiterrueckte, und dabei nun schrie: »Aus einem Duell wird nichts, mein junger Herr, ich bin ein vernuenftiger Mann, habe Frau und Kinder, respektire die Gesetze. Lassen Sie uns nur mit kaltem Blute reden, so werde ich Sie ueberfuehren, daß ich unschuldig bin.«

»Er ist nicht unschuldig«, rief Frau Damm, »er zittert mir zu viel!«

Lebrecht nahm das Wort: »So kommen Sie doch zum Vorschein, in des Teufels Namen!«

Halb nur that es das Maennchen und bat: »Um Gotteswillen, lassen Sie mich reden, maeßigen Sie Ihre Hitze!«

»Gut«, sagte Lebrecht, »aber kurz und buendig!« Dabei sah er das halbe, todtenbleiche, zitternde Maennchen an, dem die Struempfe ueber die aeußerst duennen Waden hinunter hingen und das zitternd jene Versicherungen wiederholte. Zuletzt hieß es: »Ich, ein Mann von fuenfundvierzig Jahren, der so viele Sorgen hat –«

»Nun aengstigen Sie sich nur nicht laenger«, sagte Lebrecht, »ich glaube, daß Sie unschuldig sind, es ist wohl ein qui pro quo im Spiel.«

»Er hat ihm gewinkt«, schrie Frau Damm, »nun soll's nicht wahr sein.«

»Gewiß ein qui pro quo«, wimmerte ihr Mann, und sie fiel ihm ins Wort: »Sie reden lateinisch zusammen, damit ich's nicht verstehen soll.«

Der Musensohn ward ungeduldig und sagte lachend: »Nach Ihrem Zittern sollte man Sie schuldig halten, und von meiner Schwester koennte die Regel de gustibus gelten. Aber nein, es ist, hol mich –«

Frau Damm schmetterte aber darein: »Nun sagt's der junge Herr selbst!«

»Ei behuete«, rief der Student, »es ist nicht moeglich! Aber sagen Sie mir doch: giebt es etwa noch einen Sekretaer Damm in Berlin?«

Der gegenwaertige rieb seine duerren Haende und sagte: »Daß ich nicht wueßte –«

»Alle Wetter«, hieß es drueben, »ein Sekretaer Damm soll es doch gewesen sein.«

»So ist er's ja auch gewesen«, schrie die Wuethende von neuen. »Alter schuetzt vor Thorheit nicht. Ich kenne ihn.«

Herr Damm fragte: »Mit wem habe ich denn die Ehre zu sprechen?«

Lebrecht nannte seinen Namen.

»Ah, der Herr Sohn von dem reichen Kaufmann« –

Die Ehehaelfte schrie: »Von dem reichen? Da haben wir's! Er will die reiche Kaufmannstochter heirathen. Ist er so weit mit ihr, laeßt er sich scheiden.«

Halblaut, und mit dem Finger auf seine Frau zeigend, sagte Herr Damm: »Ignorantissime pecus«, und setzte vor sich hinzu: »Ach haett' ich nicht geheirathet!«

Lebrecht sagte: »Hie illunium tempus est. Vale, Domine!«

Er ging nach Hause, wo er seine Schwester in einem Hinterstuebchen bei der Tuchniederlage fand. Sie schnitt sehr emsig Leinwand zu, fuenf Weiber saßen und naehten. Wie Lebrecht gekommen war, fuehrte sie ihn hinaus auf den Gang und sagte ihm dort: sie haette sich ueberzeugt, daß Mama der unseligen Waesche halber bis zum juengsten Gericht nicht wuerde zu beruhigen sein, es waere denn, man daechte auf ein ganz besonderes Mittel. Es sei ihr auch eins beigefallen. Kenne sie doch jene Waesche, sechs Oberhemden von Bielefelder Leinwand, sie haette ja mit daran naehen helfen. Mit Katharinen Alles berathend, waere sie darauf gefallen, schnell aehnliche Leinwand holen zu lassen, wozu sie das Geld aus ihrer Sparbuechse genommen, und zugleich sechs Naetherinnen. Mit diesen wolle sie nun die folgende Nacht hinduch sitzen, und Morgen frueh muesse ein halbes Dutzend anderer Oberhemden, genau gezeichnet wie die aelteren, fertig sein. Daß Niemand von den Eltern heute nach dem Hinterstuebchen kommen wuerde, glaube sie bestimmt, weil sie dort nichts zu thun und heute den Kopf viel zu sehr voll Wirrwar haetten. Im Nothfall wuerde Katharine aber ein Zeichen geben, und die Naetherinnen wuerden auf dem Boden versteckt. Luegen waren nun zwar suendlich, doch eine kleine, unter gewissen Umstaenden, in guter Absicht, vergaebe der Himmel wohl schon einmal. Und hier sei die Absicht, Mama zu beruhigen, ihr eine Freude zu machen, sie mit ihrem Sohn wieder auszusoehnen. Lebrecht muesse nun Morgen thun, als haette er sie bei der Frage nach seiner neuen Waesche mißverstanden, ein alter Koffer wuerde, wie von der Post, gebracht, die Oberhemden befaenden sich darin, und er gaebe vor: sie waeren ihm so lieb und werth gewesen, daß er sie bis jetzt noch nicht zum Gebrauch habe anruehren wollen. Doris fuegte hinzu: so wuerde man gewiß den Zorn der Mutter stillen, sie wuerde ihrerseits den Vater besaenftigen, und wo nicht gleich, wuerde sie, Doris, bei guter Gelegenheit die Sache mit den Baeren zu Halle in Anregung bringen. Denn vor der Hand sei damit noch nicht hineinzuplumpsen.

Lebrecht umarmte sie, fuer die schwesterliche Liebe dankend. Es geschah nicht mit vielen, sondern nur mit den nehmlichen kurzen Worten, die Herr von Muenchhausen einst dem Himmel in den Mund legte. Er hatte nehmlich eine christlich barmherzige That veruebt. Da erscholl eine Stimme vom Himmel: Muenchhausen, das vergeß ich Dir, hol mich der Teufel, nicht. Und Lebrecht rief nun: »Doertchen, das vergeß ich Dir u. s. w.«

Er kratzte jedoch seinen Kopf, als er den Wunsch aeußerte, ihr Gleiches mit Gleichem vergelten zu koennen. An seinem guten Willen, setzte er hinzu, haette es nicht gelegen, ihr dienstbar zu sein, den Erfolg koenne er indeß nicht loben. Und nun erzaehlte er halb lachend, halb aergerlich, was ihm eben mit Herrn Damm begegnet war, und endete mit den Worten: »Ich kann unmoeglich glauben, daß Du in den Philister aus Liliput vernarrt bist, die Liebe mueßte Dich denn rein blind gemacht haben. Das waere aber auch nicht unmoeglich. Exempla sunt odiosa, sonst wollte ich Dir manches von Personen erzaehlen, denen es um kein Haar besser ging.«

Die Schwester ließ sich die Gestalt beschreiben, schuettelte den Kopf, schilderte eine ganz andere, haette aber auch weinen moegen, daß es dem Bruder nicht gelungen sei, die rechte zu treffen.

Waehrenddem hatten sich ein kleiner duenner Mann und eine lange dicke Frau im Hause eingefunden und nach der Tochter vom Hause gefragt. Herr Goehl war hinausgegangen, um sich zu erkundigen, was man begehre, und hatte die Fremden ins Zimmer genoethigt.

Der kleine Mann trug jetzt eine runde, vielgelockte Perruecke aus weißer Wolle. Die von Haaren kosteten viel, mußten auch mit theuerm Puder bestaeubt werden, den man bei jenen sparte.

Wirthlichkeit hatte die, auch von Landpredigern mit schlechten Pfarren getragnen, Wollperruecken, ersonnen. Freilich wußte man ein halbes Jahrhundert spaeter noch wohlfeiler dazuzukommen, indem man das eigne Haar trug und es weder mehr frisirte noch puderte. Im Jahre 1750 wuerde man der Zeit aber mit solchem Aufzug unertraeglich vorangeeilt sein, wer darin erschienen ware, den haetten alle Gebildete sicherlich einen Ungebildeten, einen Bauer vom Dorf ohne alle Lebensart genannt. Was hieß endlich aber, das Haar unfrisirt, ungepudert und verschnitten tragen? Zum Gebrauch des sechszehnten Jahrhunderts zurueckkehren. Solche Ruecklaeufe ereignen sich nicht selten, und nicht allein bei unserer Kleidung, auch bei Religion und Philosophie, Auswahl der Regierungsformen, Poesie u.s.w. Die Kultur waehnt insgemein auf einem Flugroß zu sitzen und mit ihm der hoeheren Entwicklung unablaessig entgegenzueilen. Oft aber, und ihr unbewußt, verwandelt es sich in einen Krebs.

Das heißt, wir gehen zu dem kleinen Mann zurueck. Seine weiße Halsbinde zierte vorn eine herabhaengende Krause, die spaeterhin auch einmal wieder ans Licht trat. Demnaechst trug er einen grauen Rock und eine weiß linnene, mit Blumen geschmueckte Weste. Graue Roecke und weiße gebluemte Westen sah man fünfzig Jahre nachher auch, die Schnitte waren nur ungemein verschieden. Jener enthielt viel Tuch, hatte nur eine Reihe von Knoepfen, große, niederhaengende Auffschlaege, und bildete vorn, den Leib meistens deckend, zwei grade hinablaufende Linien. Die Weste reichte ziemlich bis ans Knie und hatte maechtig große Blumen, als Gegensatz des spaeteren kurzen Gilets, mit kleinen Verzierungen. Das Beinkleid verlangte die alte Sitte kaum sehen zu lassen, und dreißig Jahre frueher hatte man gar nichts davon gewahrt. Je weiter die Moden fortrueckten, je mehr kam davon zum Vorschein, wobei die Frommen aber auch nicht wenig von Suende und arger Welt schrien, denen auch die Soldatenuniformen, die hier einige Ausnahme machten, ein Graeuel waren. Man muß den Liebhabern der neuen altdeutschen Kleidung, die unsere Tage auf- und auch wieder ziemlich abkommen sahen, billig nachruehmen, daß sie die Modestie der Voraeltern im Auge hielten. Jener kleine Mann war ueberhaupt i.J. 1750 nicht von der neuen Welt, sonst waere die Weste um etwas kuerzer gewesen, und er haette das Beinkleid unter dem Knie mit Schnallen befestigt gehabt, wodurch um so mehr davon sichtbar geworden waere. Statt dessen zog er die rothen, aus großen, am aeußersten Ende breiten Schuhen emporsteigenden Struempfe bis ueber das Knie, wo sie noch eine Wulst bildeten. Unter demselben nun lief, ihrer Befestigung willen, ein schwarzer Riemen. Man hat in spaeteren Zeiten wenigstens roethliche Struempfe gesehn. Noch trug der kleine Mann große Manschetten und ein langes spanisches Rohr, mit einem Quastenband und silbernen Knopf. Mit noch vergroeßerten Zierrathen sieht man letztern gegenwaertig nur in der Hand eines Regimentstambours. Das Huetchen war dreimal aufgeschlagen, mit Krempen gleicher Groeße, so daß seine Flaeche einen gleichseitigen Triangel bildete.

Die Ehefrau wuerde mehr in der Mode erschienen sein, wenn sie es haette ausfuehren koennen. Eine Tellermuetze duenkte ihr nicht stattlich genug, sintemal ihr Gatte Koeniglicher Offiziant war; sollte sie ueberdem elegant, das hieß mit breiten goldnen oder silbernen Lahntressen verziert sein, kostete sie wohl zwanzig bis dreißig Thaler, was Herrn Damms Hufen auch nicht abwarfen. Sich aber das Haar in Locken frisiren und pudern zu lassen – in welchem Fall man es blos, mit Blumen oder Baendchen, mit Perlen, aechten oder unaechten, im äußersten Fall mit Juwelen verziert, trug – wuerde ihr auch zu theuer gewesen sein, daher bediente sie sich einer sogenannten Carcasse, die billig, allenfalls um sechs oder acht Groschen, zu haben, demungeachtet vornehmer als eine theure Tellermuetze war. Ehedem hatten sich die Carcassen (Kopfzeuge) mit Orgelpfeifen zur Hoehe gethuermt, und dann auch im hoeheren Preise gestanden, nun umgaben sie, eng anliegend, den Kopf und waren Oben in mehrere Falten oder Bauschen vertheilt. Sie konnten von feinem Flor, mit niederlaendischen Kanten besetzt, wohl ganz aus herrlichen Spitzen, aber auch aus Nesseltuch verfertigt sein. So war die hier in Rede stehende, sie ließ nur Oben etwas vom Haar sehn, ehrenhalber auch mit einigem Mehl beworfen. Bis sie einst wieder dahin zurueckkehrt, begreift die Nachwelt immer nicht, wie die Vorwelt solchen abgeschmackten Moden huldigen konnte. Aber laendlich, sittlich, zeitlich, sittlich. Die Tuerken begreifen nicht, wie es bei den Franken ueberhaupt Moden geben koenne, weil ihre alte fortbesteht. Und in jener Zeit, wo jedes christliche Haupt; das nicht zum niedrigsten Poebel gehoeren wollte, mit gepudertem Haar sich zeigen mußte, begriffen die Neger in Afrika, die Wilden in Amerika, deren ansichtig, keineswegs, warum sich diese Leutchen vor der Zeit scheinbar alt machten. Es ist aber zu glauben, daß einst alte Leutchen, die jung scheinen wollen, den Puder ausgesonnen haben. Denn, trug ihn die Jugend auch, unterschied sich das Alter nicht mehr. Doch weniger ist selbst fuer uns zu begreifen, aus welchem Grunde man dreißig bis vierzig Jahre spaeter rothen Puder allgemein ueblich sah, man haette ihn denn, einer mit solchen Haaren begabten vornehmen Person willen, in Paris erdacht.

Von Ohrgehaengen und Halsgeschmeide sah man nichts an Frau Damm, ein Bernsteinschnuerchen ausgenommen. Noch trug sie Contousche und Rock von rothem Calmang, und eine Mantille, das heißt, ein Maentelchen, kaum bis zum Ellbogen reichend, von ziemlich verschossenem, blauen Taffet darueber. Es war ein Staatsstueck, vorlaengst angeschafft, Prinzessinnen, Graefinnen, kurz: reiche Damen, ließen es aber aus Silber- oder Goldgespinnst darstellen, wo sie nehmlich besonders glaenzen wollten.

Die nicht Reiche hatte noch einen Muff von schwarzem Manchester vor dem Unterleib.

Ohne weitere Betrachtungen ueber diese Gewande, erzaehlt man, was sich nun begab. Die Goehlschen Eheleute waren eben nicht stolz, fuehlten sich aber so, und was zu ihnen eintrat, maaßen sie mit einem kaufmaennisch pruefenden Blick. Die Angelangten konnten durch ihre Außenhuelle wenig Ehrfurcht einfloeßen, doch spannten ihr Betragen und ihre Worte Neugier und Aufmerksamkeit, beides aber nicht auf angenehme Weise, um so mehr in der schon verdrießlichen Stimmung empfunden. Herr Damm zuckte die Schultern hoch auf, und sagte, nachdem er sich namenkundig gegeben: »Pardonniren Sie, mein Herr Goehl, es war nicht so gemeint, daß wir Ihnen und der Frau Liebsten zur Last fallen wollten, wir haben nur ein Woertchen mit dem Juengferchen Toechterchen zu reden.« Noch von der alten Welt, hieß ihm eine Kaufmannstochter Jungfer, die Ehehaelfte wollte sich jedoch moderner ausdruecken, und bekraeftigte: »Mit der Mamsell Tochter!« Aber sie legte eine gewisse hoehnische Betonung auf die beiden letzten Worte, und sagte sie erhitzten Gemueths.

Frau Goehl stemmte die Arme ein, und entgegnete: »Das werden ihre Eltern doch auch wissen koennen?«

Kopfschuettelnd nahm Herr Goehl das Wort: »Ich sollt es meinen«, ging indeß zur Thuere, und rief hinaus: »Kathrine, Doerte soll herein kommen!«

Sehr aengstlich hob der Sekretaer wieder an: »O mein Himmel, das sollte es nicht, wenn nur das liebe Juengferchen keinen Verdruß hat. Meinetwillen kann sie aber keinen haben, meinetwillen hat sie gewiß ein so reines Gewissen, als ich.«

»Nun, nun«, kreischte seine Ehewirthin gedaempft, »wir werden es sehn!«

Die Tochter vom Hause kam, sah die ihr ganz Unbekannten mit großen Augen an, mit einiger Bestuerzung aber sah sie auf die entruestet scheinenden Aeltern.

Herr Damm hatte sich ziemend gebueckt und leitete nun die Frage ein: »Mein schoenes Juengferchen, koennen Sie – vielmehr, mein – mein –«

Hier stockte er. Theils hatte er sich ueber die eigne Selbstvergessenheit entsetzt, theils ueber den zorngluehenden Blick, womit seine Gattin bereits ihn strafte. Denn schoen sollte er nichts außer ihr nennen, sie wollte allein es sein.

Doris warf ihm auch keinen ganz zufriedenen Blick entgegen, was ihn um so verwirrter machte. Denn mochten die Jungfern auch in kleineren Staedten lange noch gelten, zu Berlin wollte im Jahre 1750 vom ledigen weiblichen Geschlecht darob erhaben sein, was frisirt und gepudert einherging. Die Urenkelin unserer Doris legte im neunzehnten Jahrhundert, ihr – um es der neuen Zeit gemaeß zu nennen – Mamselthum wieder ab, ohne indeß zur Jungfer zurueckzukehren, sie begehrte nun die Fraeuleinschaft.

Doch sammelte das Maennchen die zerstreuten Gedanken, sprach nun aber noch mehr verworren. Klueger thoente zwar der Anfang: »Mein feines Juengferchen«, doch in keinem vortheilhaften Lichte erschien der Sprecher bei dem Zusatz: »Meine Frau hat so lange getobt, bis ich mit ihr hieher gegangen bin. Ach, haett ich nicht geheirathet! Das feine Juengferchen wird meine Unschuld mir nun selbst bezeugen, mein Engel! Wohlan, koennen Sie sagen, daß ich als Schaefer auf der Redute gewesen bin, dort mit Ihnen getanzt habe? Was? Sprechen Sie aufrichtig!«

Doris ruempfte das Naeschen, sah mit Hohn auf den Duerrbeinigen und antwortete: »Ich habe Sie niemals gesehn, viel weniger mit Ihnen getanzt.«

»Hoerst Du, mein Engel, hoerst Du?«

Frau Damm hatte wohl gehoert, sich aber keineswegs ueberzeugt. Ohne Ruhe war sie gekommen, der Anblick ihrer vermeintlichen Feindin machte sie noch unruhiger. Ihr schien Doris auch verlegen. Sie war es in der That. Die aufmerkenden Eltern, der angeregte Schaefer aus dem vorigen Winter, konnten es schon dahin bringen. Frau Damm warf nun die Nase, und warf die Worte hin: »Das Mamsellchen wird ihn wohl nicht verrathen, mueßte sich ja wohl schaemen. Die Frage war auch schon darnach eingerichtet, daß sie wußte, was sie antworten sollte.«

Dies klang gewaltig unzart, mußte Tochter und Eltern empoeren. »Frau Secretariussen«, hob die Mutter an.

Die Gemeinte unterbrach sie aber: »Mein Mann ist Kammer-Secretarius.«

»Gut«, hieß es drueben, »Frau Kammer-Sekretariussen, Sie fuehren sich hier ganz kurios auf. Doertchen ist vorigen Winter ein Einzigesmal auf der Redute gewesen, oefter nicht, und das war auch genug, und es wuerde gar nichts daraus geworden sein, wenn sie mich nicht so viel gequaelt haette. Mitmachen will das junge Volk nun einmal, aergert sich, wenn Andere sagen, ich bin da gewesen, und es kann nicht davon mitreden. So giebt man denn wohl einmal nach. Ich bin aber mit ihr da gewesen, Frau Kammer-Secretariussen, ich, und habe kein Auge von ihr verwandt, ausgenommen einen Augenblick, wie der Kuerbissen schlimm wurde, aber da hat sie nicht getanzt. Vorher hat sie mit einer Schaefermaske getanzt, das ist wahr, lieber Himmel, was soll eine Mutter da thun, wenn sie mit der Tochter einmal auf der Redute ist? Der Tochter einmal ein Vergnuegen goennen, und sie dabei mit keinem Auge verlassen, weiter kann sie nichts, und dies habe ich gethan. Wenn Sie aber denken, Ihr Herr Liebster war die Schaefermaske gewesen, da irren Sie sich! Es war ein junger Mensch, und nicht der Herr Liebste, ein langer Mensch, und nicht der Herr Liebste, ein huebscher Mensch, und nicht der Herr Liebste.«

Herr Damm rief, obschon etwas verdrießlich: »So hoerst Du es auch, mein Engel!«

Frau Damm hatte aber die Bisse empfunden, welche aus den Gegensaetzen auf sie gezielt, und weil sie das Spruechwort oft im Munde fuehrte: Ich dachte, was mich bisse, fand es jetzt eine passende Anwendung. Den Kopf mit einigem Ingrimm werfend, rief sie: »Seht nur, ich dachte, was mich bisse! Wenn mein Mann nur huebsch genug fuer mich ist, fuer Andere braucht er nicht huebsch zu sein, und fuer die Mamsell da nun gar nicht!«

Sehr billig schlug Frau Goehl ein helles Lachen auf, und Doris wuerde nicht ermangelt haben, mehr als beizupflichten, wenn es im Punkt des Gewissens anders gestanden haette.

Herr Damm schlug ruehmlich aber den Weg der Vernunft ein. »Komm«, sagte er, »liebster Schatz, Du bist nun beruhigt. Es thut mir ohnehin leid, daß wir hiesigen Orts laestig geworden sind, nun wollen wir uns ganz ergebenst empfehlen.«

Vernunft und Eifersucht sind aber nichts weniger als gute Freundinnen, und letztere flieht nichts hartnaeckiger als Ueberzeugung. Sie zieht einmal Pein der Gemuethsruhe vor. Darum hatte sich Jener auch in seiner Voraussehung geirrt, die Ehehaelfte fing noch von dem an, was er mit Stillschweigen uebergangen sehn wollte, damit nicht der Hausfriede hier eine Stoerung litt. »Wenn nun mein Mann«, sagte sie, »auch nicht auf der Redute gewesen ist – ich lasse ihn auch nicht bei Nachtzeit aus dem Hause bleiben, es koennte aber auch sein, daß er, waehrend ich geschlafen haette, weggeschlichen waere, und ich kenne ihn, viel Gutes ist ihm nicht zuzutraun – wenn er aber auch nicht auf der Redute gewesen ist, so wird er's doch sein, den sich das Mamsellchen Abends ans Fenster bestellt hat.«

Frau Goehl schlug die Haende ueber dem Kopf zusammen, ihr Mann, sich gern nach ihr richtend, that es auch, Beide wurden bleich ueber diese Worte, Doris aber hochroth. Es konnte wohl nicht anders sein, wie wenig die Arme auch den ihr gemachten Vorwurf verdiente.

Den Farbenwechsel gewahrend, schrie nun jene Argwoehnende um so zorniger: »Ach, das Mamsellchen wird roth! Pfui, schaemen Sie sich, einer ehrlichen Frau den Mann abspenstig machen zu wollen!«

Nichts als Dolchstiche fuehlte man drueben, blieb aber noch starr und stumm. Dem Maennchen hingegen traten dicke Schweißtropfen an die Stirn, es rang die Haendchen und rief: »Nein, solche Weiberzunge! Alles muß hinueber springen, und wenn das groeßte Unglueck daraus entstaende. Ich wollte nun so gern vom Fenster schweigen, um nicht dem Juengferchen Verdruß zuzuziehn, aber meine Frau schweigt nicht und mueßte die Welt untergehn. Was bin ich fuer ein geschlagener Mann, daß ich solche boese Frau habe! Ach, haett ich nicht geheirathet!«

Welche boese Frau wußte noch, daß sie es sei? Doch vom Mann beim rechten Namen genannt, giebt ihm ihre Form des Bestreitens ein vollgeruetteltes und geschuetteltes Maaß von Recht. Das erfuhr nun auch Herr Damm, und neben anderen Schimpfworten wurden »Suender« und »Ehebrecher« am haeufigsten wiederholt. Der ungeduldige Kaufmann fragte: Ob es Manier sei, zu anstaendigen Leuten zu kommen und sich bei ihnen so ungeschliffen zu betragen? Frau Damm that wohl, auf eine Frage zu schweigen, die sich nicht gut beantworten ließ, mit dem vollsten Ausdruck der Unschuld rief jedoch ihr Mann: »Sie haben recht, Herr Goehl, es ist keine Manier, bin ich aber schuld? Ich bitte Sie um Gotteswillen«, sagte er dann zu Doris, »erklaeren Sie nur noch, daß ich so wenig in der Nacht zu Ihnen gekommen bin, als –«

Seine Ehegenossin fiel hier ein: »Wird denn nicht wahr sein, was das Mamsellchen, das zuechtige, tugendhafte, doch selbst gesagt hat? Sie hat es zu ihrem Bruder gesagt, und der uns –«

Nun stuermte Lebrecht herein. Er hatte einen Laerm vernommen, das Ohr erst ein wenig an die Thuere gelegt und zu seinem groeßten Unwillen hoeren muessen, was hier abgehandelt ward. »Das Wetter soll ja drein schlagen«, wuethete er, »hab ich Euch darum was gesagt, daß Ihr es nachplaudern solltet und gar meiner Schwester solchen Verdruß bei den Eltern machen? Aber nein, ich habe nichts gesagt, es sind verdammte Luegen! Warte Er, Monsieur, ich werde ihn hinausbringen.« Nun faßte er den kleinen Damm und warf ihn mit ungemeiner Leichtigkeit zur Thuere hinaus. »Madame«, rief er seiner Gattin zu, »ich hoffe, Sie werden ohne meinen Beistand folgen.« Ohne zu saeumen, that sie es auch.

Frau Goehl hatte bis diesen Augenblick noch keine Worte gefunden, hingegen das Erroethen ihrer Tochter wohl bemerkt. Es schien etwas an der Sache zu sein und selbst Lebrechts uebereilte Rede die Vermuthung zu bestaetigen. Frau Goehl hielt auf Ruf, Ehre, Froemmigkeit, wie mußte sie also empoeren, was ihr zu Ohren gekommen war. Es schien allerdings nicht glaubwuerdig, ihre Tochter wuerde mit dem hagern Sekretaer einen Liebeshandel angesponnen haben, dennoch klangen die letzten festen Behauptungen der Frau seltsam genug. Man hatte indeß auch eines Schaefers in der Redute erwaehnt, dem wirklich dort erblickten hatte Frau Goehl keineswegs getraut, ihr schien hier dunkel ein Zusammenhang zu ahnen. Kaum hatten die fremden Personen das Gemach verlassen, als die Mutter nun auch im hoechsten Zorn auf Doris einging und ihr ein augenblickliches Eingestehen der Wahrheit auflegte. Vielleicht haette die Tochter ein Ablaeugnen versucht, was ihr auch des Studenten letzte Worte als das Beste angedeutet hatten, doch war sie zu bestuerzt. »Ich rufe den Himmel zum Zeugen, daß ich Niemanden bestellt habe. Gesprochen habe ich mit – mit dem Herrn von der Redute, aber nicht mit dem abscheulichen Menschen da!«

Ihr war leichter, trotz dem schwer gewordenen Gestaendniß.

»So? Also mit dem Herrn? Und wie ging es zu, daß er zu Dir ans Fenster kam?«

»Das weiß ich nicht, ich kam ja selbst nur so ans Fenster, daß ich nicht wußte, wie.«

»Luegen! Ich will die volle Wahrheit hoeren!«

»Es ist die Wahrheit. Er hatte mir geschrieben, ich sollte vor die Thuere kommen, aber ich that es absolut nicht!«

»Geschrieben? Ich falle in Ohnmacht! Du ... nimmst Briefe von Mannsleuten an, gar von jungen? Willst Du eine, ich mag nicht sagen, was, werden?«

Herr Goehl rief: »Siehst Du, mein Verstand steht mir still!«

Seine Gattin fragte: »Wo sind die Briefe?«

Die bitterlich weinende Tochter seufzte: »Es ist nur einer gewesen: Da!«

Sie hatte ihn wohl verwahrt, zog ihn aus dem Busen.

Die Mutter gab ihn ihrem Manne hin. »Da, lies, ich kann wohl Gedrucktes lesen, aber Geschriebnes nicht gut.«

Dieser waffnete sich mit einer Brille, und eilte, den Inhalt vorzutragen.

Frau Goehl kreuzigte und segnete sich. »Wie ich noch ein Maedchen war«, schrie sie, »haette ich geglaubt, die Erde mueßte sich aufthun und mich verschlingen, ließ ich mich mit einer Mannsperson in Tegel sehn, und Feuer mueßte vom Himmel fallen, fuehr ich mit einer nach dem Grunewald! ... bekenne, wie oft bist Du mit ihm da gewesen!«

Doris schwur Stein und Bein auf ein Nie, und konnte es.

Doch fand sie keinen Glauben, die Mutter holte eine Elle, hier zum mehrfachen Gebrauch bestimmt, schwang sie ueber Doris' Haupt, und gebot ihr abermal, die Wahrheit einzugestehn.

Das arme Maedchen warf sich auf die Knie, hob bittend die Haende empor und erneute jene Versicherung.

Schon sollte das messende Werkzeug hart niederfallen, als Herr Goehl weich hineingriff. Im fuerbittenden Ton sagte er: »Der Brief ist vom Ersten, Heute schreiben wir den Dritten, Vorgestern, Gestern und Heute ist Doertchen immer um uns gewesen, des Nachts hat sie in Deiner Stube geschlafen.«

»So muß sie dafür was haben, daß sie den Brief genommen hat, und mir nichts gesagt, o braun und blau« –

Der Gatte entwand ihr die Elle sanft. »Willst Du sie hergeben«, schrie Jene, »ich binde mir eine Ruthe, wie mein Arm dick, solche gottlose Kreatur« –

»Sie ist doch auch kein Kind mehr«, fiel Herr Goehl ein, »und wenigstens strafe nicht in der Hitze. Bei kaltem Blut erst, denn umsonst kann sie es freilich nicht verlangen.«

»Ich weiß schon«, hieß es drueben wieder, »was ich thue. Ins Kaminloch werde ich sie sperren, aber vierundzwanzig Stunden, und keinen Bissen zu essen, keinen Tropfen zu trinken. Und Morgen, wenn sie heraus koemmt, will ich ihr noch erst das Geschenk mit der Elle geben.«

Doris hatte sich danach zu achten. Sie sprang auf, eh sie noch sich ungestuem zur Hoehe gerissen sah, und eilte nach dem Hausflur, wo sich das sogenannte Kaminloch – von wo eigentlich die Oefen geheizt wurden – befand. Manche unsanfte Faustberuehrung an der so zarten Haut des schoenen Rueckens gab es demungeachtet von der folgenden Mutter, und ein Kniestoß, von hinterwaerts auf die Mitte der holden Gestalt angebracht, foerderte sie um so schneller in die geoeffnete Thuere. Die Flucht, oder ein Zustecken von Lebensmitteln zu vereiteln, rief Jene den Hausknecht, der ein tuechtiges Vorhaengeschloß holen mußte. Wie es sorgsam in die Krampe gefuegt war, entfernte sich die Mutter, und verwahrte den Schlüssel in ihrer mit Leder gefuetterten, an der rechten Seite ihr haengenden, Tasche.

Da drinnen saß nun die Arme nicht, sie stand, und noch dazu beklommen genug. Dichte Finsterniß umgab sie, von einem strengen, harzigen Geruch ward sie belaestigt. Schonung der Kleidungsstuecke empfahl ihr die Mutter oft, hier konnte es aber nicht fehlen, daß ihr netter Anzug von gelblichem Kattun stark mit Ruß gefaerbt wurde. Es ging den weißen feinen Haenden eben so, weil sie die Waende verschiedentlich beruehrten. Und weil sie die reichlich fließenden Thraenen dann wieder vom Gesicht tilgten, leuchtet auch ein, was den Lilien und Rosen dort begegnen mußte. Anfangs war Doris auf den Bruder heftig erzuernt, sah indeß bald auch ein, daß er mit seinem Willen sie gewiß nicht ins Unglueck gebracht, vielmehr in guter Meinung fuer sie hatte handeln wollen. Dennoch hatte sie nun den Zorn der Eltern so aufgeladen, mußte in dem engen, so unbequemen Gefaengniß hausen. Nach einiger Zeit fiel ihr jedoch bei, daß sie fuer den holden Schaefer hier schmachte, und ja eigentlich seit dem Redutenabend fuer ihn bereits geschmachtet haette. Ihre Thraenen versiegten, ihr Muth wachte auf. Seinetwillen einmal hungern und duersten, eine Nacht stehend zubringen, koenne so laestig nicht sein, wuerde sogar ein sueßes Nebengefuehl mit sich bringen, dachte sie. Erst hatte sie mit der Hoffnung sich geschmeichelt, des Vaters Fuerbitte werde sie wohl am Abend noch aus ihrem Kerker befreien, nun wuenschte sie es kaum noch, weil ihr um den Geliebten dulden ein Verdienst um den Geliebten erwerben schien. Am meisten hatte sie bis jetzt die Strafe gefuerchtet, die nach ihrer Erloesung ihr noch mit der Elle zugemessen werden sollte, denn ihre Haut war eben so empfindlich als ihr Ehrgefuehl vor dem Gesinde. Nun meinte sie hingegen, der Gedanke an den Schaefer wuerde ihr auch das, selbst Schlimmeres noch, standhaft tragen helfen. Solche Kraft giebt die Liebe.

Katharine, die ein wenig gelauscht hatte, kam an die Thuere geschlichen und fluesterte durch den kleinen, oben befindlichen, Zwischenraum. Sie nahm auch wahr, daß er, wenn man die Thuere zurueckbog, sich hinlaenglich oeffnete, um dies und das hindurch zu stecken. Die Gefangne zu troesten, versprach sie ihr, duenne Scheiben Brot und Speck schneiden und in der Daemmerung durch die Ritze ihr einhaendigen zu wollen. Doris entgegnete, sie waere keine Liebhaberin von Speck, empfinde auch eben nicht Hunger, doch etwas Durst, in diesem Betracht wuerden aber wohl keine Anstalten zu treffen sein. Jene bedauerte, nicht einen Schornsteinfeger zum Geliebten zu haben, der Rath zu schaffen im Stande sei, doch wolle sie nachsinnen, Erkundigung einziehen, vielleicht waere eine Bekannte in solcher Lage. »Warum nicht gar«, sagte die Eingesperrte, »wie koennte ich in der Leute Mund kommen, wenn es hieß, ein Schornsteinfeger waere bei mir im Kamin gewesen. Habe keine Sorge um mich, mache nur, daß die Frauen tuechtig an Lebrechts Waesche naehen, ich will mich fromm in mein Schicksal finden.« Katharine hatte aber noch einen guten Einfall. Sie wolle einen kleinen Trichter nehmen, ihn unterwaerts durch den Zwischenraum pressen. »Sie nehmen ihn Unten ins Maul«, fuegte sie hinzu, »ich gieße Oben. Was wollen Sie? Bier oder Milch?« Doris entschied fuer die Milch und bewies auch hier den Sinn einer Schaeferin.

Im Wohnzimmer ging es aber von neuen ungestuem zu. Doris hatte, indem sie das Liebesbriefchen hervorgezogen, auch unversehens das ihr von Lebrecht gegebne Papier, an demselben Ort verborgen, mit ergriffen. Ihr unbewußt, fiel es auf die Erde, wurde anfangs nicht gesehn, doch spaeterhin nahm es der Vater auf. Er las, rang die Haende, und machte der zurueckkommenden Gattin den niederschlagenden Inhalt bekannt. O welch ein Doppeljammer ueber ein so ungerathenes Kinderpaar!

»Siehst Du, der Junge ruinirt uns noch ganz«, wimmerte Herr Goehl, »an den Bettelstab kommen wir durch ihn!«

»Freilich! Wer sich aus solchen feinen Oberhemden, wie meine letzten, nichts macht, was wird der noch schonen!«

»Bis er als Doktor praktiziren darf und selbst was verdienen kann, was wird er bis dahin noch kosten! Zuerst muessen wir ihn vom Kopf bis zu den Fueßen neu kleiden. Ordentlich muß er doch aussehn. Mit dem gruenen, luftigen Studentenrock, der ledernen Weste, den Stiefeln, worin er wie ein Kutscher aussieht, kann er sich doch vor keinem vernuenftigen Menschen in Berlin zeigen.«

»Haette er noch eins von meinen feinen Oberhemden, ging es allenfalls, so aber nicht!«

»Er muß eine huebsche Perruecke haben, einen rothen Rock, einen Hut mit einer Tresse, wenn auch nicht allzu breit.«

»Andre feine Waesche kriegt er von mir nun und nimmermehr.«

»Aber siehst Du, einem Doktor, der kein Ansehn hat, bescheert der Himmel auch wenig Kranke, vornehme gar nicht, die gut bezahlen. Und so lange es nichts zu thun giebt, wird er Schulden machen, das hat er in Halle gelernt. Soll man sie bezahlen, ruinirt man sich.«

»Keinen Heller, weil er meine feinen Oberhemden verbracht hat.«

»Thut man es nicht, verklagen sie ihn, lassen ihn wohl setzen.«

»Recht, das haette er an der Waesche verdient!«

Das Gespraech drehte sich noch einige Zeit um den Sohn, ohne den Zorn der Mutter zu besaenftigen. Es wurde endlich festgestellt, daß man die noch auf der Universitaet vorhandnen Schulden durchaus nicht tilgen wolle, Lebrecht, hieß es, koenne sehn, wie er sie einst vom Gewinn durch seinen Beruf nach und nach abtruege. Einen schicklichen Anzug, weil es unumgaenglich noethig sei, wolle man ihm zwar bestellen, doch ebenfalls auf seine dereinst zu ordnende Rechnung. Essen, Trinken und Wohnung solle er vor der Hand genießen, durchaus aber ohne alles Taschengeld bleiben, so waere er nicht in den Stand gesetzt, Ausschweifungen zu vollziehn. Borgte er gleichwohl auf, solle die unausbleibliche Folge sein, daß er in den Zeitungen fuer einen Verschwender erklaert und maenniglich gewarnt wuerde, mit ihm in Geldbeziehungen zu treten. Im schlimmsten Fall sollte Lebrecht aus Berlin, bei obigen Maaßregeln aber, und wenn man zugleich Besserung verspuere, ihm der hiesige Aufenthalt gestattet sein.

Nach dieser Abhandlung kam man auf Doris zurueck und klagte zunaechst die heutige arge Welt an, in der es schon dahin gekommen sei, daß sich Maedchen unterfingen, Briefe anzunehmen, und nicht einmal von alten Mannspersonen, sogar von jungen. Wie man der nun die vom boesen Feind ihr eingegebnen suendigen Gedanken aus den Kopf bringen solle, hieß die Frage. Einiges, meinte Frau Goehl, wuerde immer das Kaminloch thun, auch der Willkommen, dem Maedchen beim Heraustreten aus dem finstern Aufenthalt ertheilt, doch nicht Alles. Das junge Volk sei heut zu Tage leichtsinnig, vergaeße eine wohlverdiente Zuechtigung auch bald. Der Gatte rieth, den zweiten Prediger des Kirchsprengels, der Beichtvater des Goehlschen Hauses war, zu bitten, daß er mit einer tuechtigen Strafpredigt der Tochter das Gewissen schaerfe. Diesen Rath fand die Mutter nicht uebel, und setzte hinzu: von nun an muesse ihr das Fenster verboten werden. Dagegen wandte Herr Goehl nichts ein.

»Wenn nur«, fuhr die Rednerin fort, und mit Bangigkeit, »Herr Sueßmilch nichts von dem ruchlosen Briefe und der Suende, die Doerte am Fenster begangen hat, erfaehrt! Die ganze Heirath koennte sich darueber zerschlagen.«

»Das ist wahr, ganz Berlin wiese mit Fingern auf sie. Aber Sueßmilch wohnt weit von uns, wer wird es ihm denn sagen. Immer waer es bei dem Allen gut, wenn man sich mit der Heirath sputete. Erfaehrt es der Mann nachher – wie so was Diesem und Jenem wohl schon begegnet sein mag –, nun so muß er schon ehrenhalber schweigen, kann sich auch – nur so zu sagen – selbst an die Nase greifen. Die Maenner sind heutigen Tags vor der Hochzeit auch keine Engel mehr.«

»Ich hoffe doch nicht, daß Du vor der Hochzeit eine Suende wirst begangen haben.«

»Hm – nun wie ich jung war, hatten wir auch andere Zeiten, da machte man die Jugend noch nicht so klug wie jetzt. Aber Monsieur Sueßmilch – der sah mir schon fluechtig genug aus, eh er nach Paris gegangen war, und in Paris lernen die jungen Leute auch nicht viel Gutes.«

»Daß sie doch in Berlin, wenn ihnen der Himmel ein Paar Thaelerchen Vermoegen bescheert hat, die Soehne immer nach Paris schicken muessen! Wie wuerd ich denn noch Geld ausgeben, daß mein Kind nicht viel Gutes lernte. Freilich kostet unser Lebrecht auch Geld genug und hat in Halle nicht viel Gutes gelernt, man siehts an den Oberhemden.«

»Sueßmilch hat seine Ursachen. Siehst Du, er hat eine Seidenfabrik, moechte gern alle Seidenwaaren bei Hofe liefern, und wer nicht franzoesisch parliren kann und Lebensart – so nach franzoesischer Art – hat, koemmt nicht fort, wenn er mit Hofdamen, Hofkavalieren und so was reden soll. Denn die thun, als wenn sie kein Wort Deutsch verstuenden, wenn sie auch in Berlin geboren sind. Im Grunde verdrießt es mich nun, daß wir der Doerte keinen franzoesischen Lehrer gehalten haben.«

»Wir haetten sie wohl gar auch nach Paris schicken sollen! Sie hat in Berlin schon gelernt, was nicht taugt.«

»Siehst Du, Sueßmilch will seinen Sohn als Compagnon annehmen, wenn er zurueckgekommen ist, und der soll denn sehn, wie er bei Hofe Geschaefte macht. Gluecken kann es ihm immer, denn heißt es, er ist in Paris gewesen, ist damit schon viel gethan. Und wie der Hof von ihm die Seidenwaaren nimmt, reißt sich auch die ganze Stadt darum.« »Wie lange ist denn der junge Sueßmilch nun in Paris gewesen?«

»Zwei Jahre. Gekostet hat er dem Alten auch was. Er klagte mir's neulich.«

»So gehts andern Eltern doch auch wie uns. Nur glaub ich nicht, daß der junge Sueßmilch auch seine feine Waesche wird verkauft haben, dazu hielt er zu viel auf seinen Leib, eh er noch weggereist war. Ich freute mich, wenn ich ihn sah. Immer wie aus dem Ei geschaelt. Lebrecht ist niemals so gewesen. Ob der Rock am Ellbogen entzwei war, ob er Dinte an den Fingern hatte oder nicht, das war ihm egal, wie er noch auf die Werdersche Schule ging. Darum hat er auch nicht in Acht genommen, was ich ihm von Bielefelder Leinwand –«

»Das muß man Doertchen lassen, so war sie von Kindesbeinen an nicht. Auch nicht ein Fleckchen mochte sie an ihrem Anzug leiden.«

»Wollte ein Maedchen nicht auf Reinlichkeit halten, waer's auch zu arg.«

»Und wenn man ihr etwas Neues machen ließ, sie zum erstenmal sich damit putzen konnte, das war eine Freude, schon als Kind!«

»Oho, da steckte schon der eitle Hochmuth auf das bischen Larve in ihr. Den haette man ihr gleich mehr austreiben sollen, mit einer huebsch eingeweichten Ruthe. Ich sage so: Heut zu Tage putzen sich die Maedchen nicht nur zuviel und machen sich dadurch huebscher als sie von Gott und Rechtswegen sein sollten, sie werden auch so noch huebscher, wie vor diesen. Jetzt heißt es immer, sie sollen grade gehn, allen Leuten frei unter die Augen sehn, freundlich sein, dazu koemmt noch, daß sie sich vor dem Rauch in der Kueche hueten, nichts Hartes anfassen wollen, nicht ohne Handschuh in die Kaelte moegen. Vor diesen mußten sie krumm gehn, mit dem Kopf wenigstens, und die Augen niederschlagen, ausgenommen, wenn sie nach dem Prediger auf der Kanzel sahn, mußten immer muerrisch sein, zumal vor Mannsleuten, nichts wie Ja und Nein antworten, und dann fleißig in die Kirche, an den Brunnen. Da konnten sie sich nun nicht so grade auswachsen, und wenn sie auch huebsche Augen hatten, sahn es die jungen Mannsleute nicht. Auch das freundliche Wesen, was die so anlockt, gewoehnten sich die Maedchen nicht an. Sie hatten keine feine Haut im Gesicht, die Haende waren sproede, hart, wohl hier und da aufgesprungen. Aber dazumal kam auch der nicht, von dem geschrieben steht: er geht umher wie ein bruellender Loewe und sucht, welchen er verschlinge.«

»Du hast recht, mein Kind, vor diesen waren die Frauenzimmer nicht so huebsch wie jetzt. Wenn ich noch bedenke, wie ich Dich heirathete – und es koemmt mir vor, als wenn sie von Jahr zu Jahr huebscher wuerden. Vorigen Sonntag, unter den Linden« –

»Ich sehe nicht ein, was Du just danach zu sehn hast, mein Kind! Doch wieder auf meine vorige Rede zu kommen, sage nur: was hat ein Maedchen davon, den Mannsleuten zu gefallen? Gefahr fuer die Ehre, Gefahr fuer die arme Seele. Ein guter Braeutigam sieht nicht aufs glatte Gesicht, er sieht auf die Tuechtigkeit, und die Frau muß dem Mann nur gefallen, sonst keinem Menschen. Und bei Leuten, welchen der Himmel ein Paar Thaelerchen bescheert hat, braucht kein Maedchen erst auf einen Braeutigam zu warten. Die Eltern suchen ihn schon aus und sehn auch besser, was sich zusammen paßt, wie ein Gruenschnabel und ein Gaenschen. Ob der junge Sueßmilch denn bald kommen mag?«

»Sein Vater erwartet ihn jeden Tag.«

Ueber diese Unterhaltung war der Abend herbeigeschlichen, Katharine brachte die angezuendete Lampe und ging wieder hinaus. Herr Goehl fragte: »Was haben wir auf den Abend, mein Kind?«

»Ueber den Wunder und Aerger habe ich noch nichts bestellt. Kathrine soll eine Biersuppe kochen, oder willst Du lieber Milchgruetze?«

»Es ist mir gleich. Wo bleibt der Junge aber, das saubre Fruechtchen? Er laeßt sich gar nicht wieder sehn.«

»Er schaemt sich, hat kein gut Gewissen. Der Oberhemdenverbringer! Am besten thaete er auch, wenn er mir in meinem Leben nicht mehr vor Augen kaeme. Meine Liebe hat er weg. Hab ich ihm Alles vergeben, das nimmermehr, denn – herein!«

Es hatte gepocht, und nun trat herein der Cantor Schmidt, seine Ehehaelfte am Arm. Jener verbeugte sich tief und devot. Diese laechelte sehr freundlich bei ihrem steifen Knix, waehrend ihr Mann von befohlen haben und ganz gehorsamst aufwarten etwas anhob. Es war nicht recht zu verstehn, in sofern die Wirthin vom Hause bei der Fremden Eintritt gleich aufgesprungen, und ihnen mit den Worten: Ei, guten Abend, wie koemmt man noch zu der Ehre, je spaeter in der Nacht, je schoenre Leute, entgegen gegangen war. Ploetzlich schwieg sie aber auch, schlug sich vor den Mund, an den Kopf, faßte sich wieder, noethigte die Frau Cantorn, das Maentelchen und den Pelzkragen – damal schon einmal ueblich – zu entfernen und Platz zu nehmen. Herr Goehl stand auch auf, entbloeßte das Haupt von seinem Muetzchen, reichte dem Cantor die Hand, und rief: »Sehr angenehm, sehr angenehm, bitte so gefaellig zu sein, Hut und Stock abzulegen.«

Waehrend es geschah und die Cantorin bereits saß, kam Frau Goehl zum Mann geeilt und fluesterte ihm schnell ins Ohr: »Ach, mein Himmel, bin ich nicht recht dumm?« Schnell beantwortete er auch die Frage: »Ja, mein Kind«, und fuhr fort: »siehst Du, wenn man so konfus ist. Nun ist keine Anstalt gemacht, es wird aber wohl noch gehn, spute Dich, und laß nur gleich die Lampe wegnehmen, zwei Lichter auf den Tisch!«

Frau Goehl eilte in die Kueche; rief: »Kathrine, Kathrine«, blieb jedoch ohne Antwort. Sie eilte in den Hof, wiederholte den Ruf, da toente ihr ein »Gleich« entgegen, und das Maedchen, so lange bei den Naetherinnen, kam geschwind.

»Ach Gott, Kathrine«, wimmerte nun die Herrin, »stelle Dir einmal vor, was ich fuer Zeug gemacht habe! Dem Sohn zu Ehren, den Abend, wenn er gekommen sein wuerde, und er hatte ja geschrieben, daß er Heute mit der Post kaeme – kurzum, ich wollte ihm zu Ehren – der Luederjahn, der mir die feinen Oberhemden verbracht hat, verdient es nicht – den Abend eine Gesellschaft hier haben. Und vorgestern ließ ich Herrn Sueßmilch bitten, und die Frau Muhme Kuerbiß, mit Renatchen, auch den Cantor Schmidt und seine Frau. Du solltest zwei Karpfen holen und Kohl zum Salat, und einen Schmoorbraten, und Aepfel zu Muß, ich koennte auch die eingemachten Pflaumen dazu geben, die noch im Hafen sind, und das haette auch Alles geschehn koennen. Ueber den Aerger aber, daß mein Sohn so luederlich geworden ist, nicht einmal die feine Waesche mehr hat, der infame Schlingel, und noch ueber einen zweiten, hatte ichs vergessen, so dumm war ich! Nun ist der Cantor schon mit seiner Frau da, die Andern werden auch kommen, haben es zusagen lassen, und –«

Katharine fiel der Haenderingenden ins Wort: »Und nun haben Sie nichts zu essen.«

»Freilich! Ist das nicht schlimm, Kathrine?«

»Ja wohl, recht schlimm!«

»Was faengt man nun an?«

»Wenn ich Alles weiß, das weiß ich nicht!«

»Ich auch nicht!«

»Wir wollen geschwind eine Biersuppe kochen und einen Eierkuchen backen.«

»Das ginge wohl bei dem Cantor, aber jetzt nicht.«

»Ein rechtes Unglueck!«

»Auch eben gar nichts im Hause. Es macht das Fruehjahr. Im Winter hatten wir das schoene Poekelfleisch.«

»Ja, wenn das noch da waere!«

»Und die herrliche Wurst!«

»Die ist alle!«

»Bald haett ich mich versuendigt, und haette gesagt: ich habe noch ein groß Stueck Fleisch, es ist aber nicht zu braten.«

»Darueber moechte sich ja ein Stein erbarmen!«

»Aber was hilft es, man muß sich helfen, wie man kann, ich weiß nun aber doch nicht zu helfen.«

»Eier haben wir ja, die giebts zum Ostern. Eine Schuessel voll harte gekocht, ich will sehn, ob nebenan im Keller Rabunzeln zu haben sind –«

»Das geht nicht!«

»Wir koennen auch Ruehrei mit Speck machen.«

»Das ginge wohl einen andern Tag, aber heute nicht. Weißt Du was, Kathrine? Warten muessen sie schon, bis sie zu essen kriegen, laufe noch hin, und hole zwei Karpfen! Da ist Geld!«

»Wenn nur so spaet noch eine Fischerfrau sitzen wird.«

»Ich denke ja wohl, mit dem Schmoorfleisch geht es nicht mehr, das wuerde nach Mitternacht erst fertig, also bringe drei Bratwuerste, zwei Kohlkoepfe, fuer zwei Groschen Provenzeroehl und fuer einen Sechser Essig, zwei kleine Zerbster Kaese, das Stueck zu vier Pfennige, bringe auch noch, Butter haben wir ja. Laufe Kathrinchen, als wenn Dir der Kopf brennte!«

Katharine lief gern, und eigentlich brannte ihr der Kopf auch, wie es die rothe Hitze an Stirn und Wangen bewies. Denn seit Doris ihr Unheil erfahren hatte, fuerchtete Katharine eine naehere Untersuchung jenes Briefes willen. Sie hatte ihn vom Boten genommen und der Tochter vom Hause eingehaendigt. Daß man es nicht gut heißen wuerde, konnte sie voraussehn.

Frau Goehl nahm aber zwei zinnerne Leuchter, steckte zwei Lichte darauf und trug sie mit eignen Haenden ins Wohngemach. Sie verließ es aber, die Lampe mitnehmend, sogleich wieder und befahl dem Hausknecht Martin, in der Putzstube den langen Tisch zu decken. Das Weißzeug mußte sie dazu aus der großen schwarzen Commode hergeben, das Zinn fand er auf dem breiten Kuechenspinde. Mit heimlichem Murren ging er an die Arbeit, weil er meinte, sie zieme eigentlich der Kathrine und nicht ihm. Auch warf er im Unmuth das schuldlose Zinn tuechtig zusammen.

Es ist der Ort, zu bemerken, daß in jener Zeit jenes Metall bei den Mittelstaenden, die sich nicht bis zu Porzellan und Silber bei Schuesseln und Tellern verstiegen, eine wichtige Rolle spielte. Tafelgeschirr, Leuchter, wozu auch die Kronen- und Wandleuchter in Saelen und Prachtzimmern gehoerten, Kaffee- und Milchkannen, Waschbecken und vielerlei noch hatte man von blankem und dem Silber doch aehnlichem, Zinn. Nun haben es laengst Fayence, Steingut, Glas, Argandsche Lampen u. s. w. dergestalt verdraengt, daß es beinahe an Saergen nur noch glaenzt. Daher ist aber auch das loebliche Zinngießergewerk, einst bedeutend, in seinem Wohlstand ungemein herabgesunken.

Man hat schon gesagt, daß sich Herr Goehl zu den reichsten Kaufleuten in Berlin zaehlte. Dennoch speisten seine Gaeste von Zinn, und keineswegs solche Gerichte wie in unsern Tagen bei einem israelitischen Bankier oder in den Restaurationen der Herren Jagor und le Boeuf.

Ohne Porzellan und Silber war man gleichwohl hier nicht. Jenes bestand aus sechs Chokoladen- und sechs Kaffeetassen, weiß und blau, weder bemalt noch mit Vergoldungen ausgestattet. Doch am Stockknopf des Herrn Goehl ersah man auch bemaltes. Ihn hatte Doris an seinem Geburtstage dem Vater verehrt und nach ihrem Geschmack auserkohren. Eine Schaeferin mit Krumstab und Huetchen, ein Lamm zur Seite, stand darauf. An Silberzeug besaß man – um vom vornehmsten anzufangen – einen reichen Beschlag am Gesangbuch der Mutter und einen dito an dem des Toechterchens, bei der Einsegnung das muetterliche Angebinde. Ferner zwoelf Eßloeffel, der zum Vorlegen war jedoch – aus Sparsamkeit – nur uebersilbert. Ferner sechs Theeloeffel, und – der wichtigste Luxusartikel – eine Zuckerdose. Ein Schnupftabacksdoeschen von Silber, ein Geschenk des Mannes, hatte die Frau vom Hause auch noch, der laengliche, in der Tasche getragene Rauchtabacksbehaelter ihres Gatten war indeß nur aus Messing verfertigt, doch artig, kunstreich. Man sah Jaeger, Hirsche, wilde Schweine und Hunde darauf.

Seine Taschenuhr schien von Gold zu sein, doch war es nur Tomback. Als guter Kaufmann haßte er todte Kapitale, und weil in jenen Zeiten eine goldne Uhr wohl funfzig Thaler und mehr kostete, war ihm ein solches Kleinod zu theuer gewesen. Das einzige Gold, was sich im Hause befand – gepraegtes in der Kasse ausgenommen –, bestand in den Trauringen des Ehepaars und einem alten Dukaten, der nie zum Handelsverkehr gehoert hatte. Es war noch ein Andenken von Goehls Vater, ein seltnes Stueck, eigentlich nur eine Schaumuenze. Das Gepraege sinnig. An einer Seite war Johannes, Christum taufend, abgebildet, und aus der Hoehe kamen die lesbaren Worte: Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Die andere Seite zeigte ein frohes Elternpaar, von muntern Kleinen umringt, mit der Inschrift: Wohl dem, der Freude an seinen Kindern erlebt. Herr Goehl trug diesen Dukaten stets im Geldbeutel und huetete sich sorgsam, ihn mit anderen auszugeben.

Wie Frau Goehl draußen ihre Anordnungen getroffen hatte, kehrte sie in das Wohngemach zurueck, doch in ziemlichen Aengsten, wie es mit dem Abendbrot ergehn duerfte. Ihr Mann saß in dem breiten, mit Leder bezognen, wohl ausgepolsterten Großvaterstuhl, schmauchte sein Pfeifchen und hatte, laut Verlangen des Cantors, das sammetne Muetzchen wieder aufgesetzt. Die Gaeste saßen vor ihm auf schwarzen Binsenstuehlen, und Frau Goehl nahm auf einem aehnlichen neben ihnen Platz.

Der Cantor war eingeladen, weil er Doris im Clavierspiel unterrichtete. Das Instrument war nicht sonderlich, gleichwohl machte es beiden Alten viel Vergnuegen, wenn Doris – leider auch nicht sonderlich – ihre Finger darauf herumtanzen ließ. Doch war ihr ein Fluegel zugesagt, wenn sie die schwere Menuet erst ohne Anstoß wuerde spielen koennen.

Das Pianoforte kannte man damal noch nicht, die Fluegel waren beliebt. Eben that sich in Berlin ein junger Kuenstler hervor, der sie wohlklingender als bisher, auch mit doppelten Claviaturen und selbst Floetenzuegen anfertigte, manches Jahrzehnd hindurch sich Ruhm erwarb. Sein Name verhallte jedoch spaeterhin, wie das Pianoforte seine Instrumente verdraengt hatte. Er nannte sich Oesterlein und war durch seine joviale Laune eben so bekannt wie durch sein Kunsttalent. Erstere vererbte er in hohem Maaß seinem Sohn, der am Hofe die Saiteninstrumente zu stimmen hatte und deshalb zu sagen pflegte: Ich gebe den Ton bei Hofe an.

Dem Cantor ging es – gewissermaaßen, doch nicht ganz – wie einst Rameau, der zu sagen pflegte: Ne me parlez de rien, je ne sais rien, je suis un ignorant, mais parlez moi de musique. Herr Schmidt konnte auch von nichts als Musik sprechen, vom Wetter nicht einmal, es haette denn in Toenen ausgedruckt sein muessen. Unter den deutschen Einwohnern Berlins war er indeß kein Licht letzter Groeße, wozu manches beitrug. Er sang einen artigen Tenor und hatte nicht allein die Musik an seiner Kirche und die Bildung des Schuelerchors im geistlichen Fach zu ordnen, sondern auch im weltlichen, dem nehmlich, ueber welches manche fromme Berliner und Berlinerinnen in mittleren Jahren schwer seufzten und behaupteten, der Graeuel wuerde noch der Stadt die Strafe des Himmels zuziehn. Die aelteren waren nicht so undultsam, was man von ihnen doch billig haette vermuthen sollen. Denn sie entsannen sich wohl, daß unter Friedrich I. Regierung schon etwas Aehnliches bestanden und keinen Fluch aus der Hoehe veranlaßt hatte. Es ist hier die waelsche Oper gemeint. Sie bedurfte auch Choere, dazu brauchte man die Schuljugend, und Herr Cantor Schmidt empfing die Aufsicht darueber. Im Anfang war die Gemeinde aeußerst schwierig, wollte nicht dulden, daß ihr Cantor und ihre Kinder eine Art von Komoedianten darstellten, und der Laerm ward zumal groß, wie Herr Schmidt selbst einst, als der heidnische Gott Apoll verkleidet, in der Maschine gesessen und eine Solostimme vorgetragen hatte. Doch wurden die Buerger nach und nach mehr aufgeklaert und gaben dann nicht allein ihre Soehne zu Griechen und Roemern hin, sondern ließen selbst ihre Toechter Priesterinnen der Venus oder Diana heucheln. Freilich thaten es nur wenige, man bedurfte aber auch deren nicht viel. Herr Schmidt kam bei dieser Gelegenheit mit den Toechtern und Soehnen Italiens, die in Deutschland allein kuenstlichen Gesang zu vollziehn wußten, in Beruehrung und merkte ihnen was ab.

Vortrefflich konnte er von Grauns Opern reden, selbst schon etwas daran kritisch tadeln. Die Triller der Madame oder Signora Astrua erhob er zum Himmel, wußte aber nicht genau, sollte er den Passagen eines Salimbeni oder Porporino den Vorzug geben. Wie spaeterhin die Harmonie, galt damal die Melodie mehr, Passagen und Triller entzueckten jedoch am meisten. Eine spaetere Mode schaffte sie groeßtentheils ab, versah aber die Musik mit so vielen Blasinstrumenten, Pauken, Janitscharenbecken u. s. w., daß sie unser Gehoer mit Schaden bedroht. Taback – damal auch nicht so allgemein ueblich wie jetzt – schmauchte der Cantor nicht, aus Furcht, seine Stimme koenne dabei leiden, vom Trinken war er hingegen ein entschiedener Freund und hoffte, ihre Kraft dadurch zu mehren. Man sah es seiner Kleidung auch an, daß er sich ueber Manches hinwegsetzte. Eine Wolkenperuecke, d.h. eine runde, hinten niederhangende, vierzig bis fünfzig Locken zaehlende forderte man von seines Gleichen, dazu einen schwarzen, vorne sich dicht schließenden Rock, mit Unterkleidern von derselben Farbe. Nur in der Kirche zeigte sich Herr Schmidt, wie er sollte, und auch nicht einmal ganz, außer derselben zierte er sich aber mit einer sogenannten Stutz- oder Schwanzperuecke, die an jeder Seite nur etwa acht Loeckchen enthielt, und einen maechtig langen Zopf am Ruecken, auch mit einem braunen, ziemlich ausgeschnittenen Rock und einem Hut mit drei Krempen, wogegen, was zum geistlichen Stand und seiner Umgebung gehoerte, verbunden war, den Hut nur zweimal aufschlagen zu lassen. Doch nahm sich Herr Schmidt wohl in Acht, in dem luftigen Aufzug Niemandem vom Consistorium zu begegnen.

Zu seiner kleinen, recht huebschen, Frau war er auf eine seltsame Weise gelangt. Er saß eines Tages und schrieb Noten, als ein Maedchen durch die Straße kam und Rettige zum Verkauf ausrief. Sie that es singend, nach einer allgemein ueblichen, nur aus zwei Toenen bestehenden Melodie, der Cantor horchte gleichwohl auf. Ihm duenkte die Stimme von besonderm Wohllaut. Eilig rief er die gute Anlage, kaufte ihr einige Rettige ab, bewog sie aber auch, gegen ein kleines Geschenk, eine Scala, die er auf der Violine ihr angab, nachzusingen. Nun war es evident, die Stimme hatte Umfang, das Maedchen musikalisches Gehoer, dahinter steckte eine Saengerin. Herr Schmidt fragte die etwa Vierzehnjaehrige, wer ihre Eltern waeren. Von einem Vater hatte sie nie gehoert, ihre Mutter, sagte sie, waere eine alte Jungfer, die nicht weit davon ein Stuebchen im Hofe bewohne und sich kuemmerlich vom Spinnen naehre. Herr Schmidt erbot sich gleich, dem Maedchen taeglich Unterricht im Singen zu geben, auf die Bedingung, daß aller Rettighandel, in Aussicht auf eine edlere Laufbahn, ende. Den Verlust wollte er noch großmuethig tragen helfen. In der That machte die Kleine Fortschritte, nach drei Jahren brachte er sie in den Opernchor, wo sie eine Vestalin darzustellen hatte. Sie that es so zu seiner Zufriedenheit, daß er, zuvor schon ein wenig verliebt in sie, nun es ganz ward und sie heirathete. 0 welche Nackenschlaege hatte der gute Mann deshalb zu tragen, er schwang sich gleichwohl darueber hinaus, und fragte seine Tadler: ob er nicht ein christlich Werk gestiftet haette? Mehrere Jahre lebte er nun schon mit ihr in der Ehe, Madame Schmidt hatte ihr Talent immer hoeher ausgebildet, sang waelsche Opernarien vom Blatt und half ihrem Mann beim Gesangunterricht.

Doris hatte keine Lust gezeigt, regelmaeßig singen zu lernen, vor sich nur traellerte sie kleine Liedchen, worunter »Damoetas war schon lange Zeit der schoenen Phyllis nachgegangen« ihr Liebling blieb. Sie trieb das Clavierspiel nur mit geringer Neigung, weil es ihr nicht im arkadischen Lichte erschien, wogegen sie, noch vor dem Zusammentreffen mit dem Redutenschaefer, immer sich einen Liebhaber wuenschte, der die Floete, das idealische Hirteninstrument, bliese.

Der Cantor Schmidt hatte jedoch eine andere Schuelerin, deren Hauptstudium Gesang war und die bei einer kraeftigen, volltoenenden Stimme auch große Lust fuehlte, es weit in dieser Kunst zu bringen. Sowohl er als seine Gattin bildeten an der Gelehrigen und begaben sich meistens beide in ihre Wohnung. Haeufig trugen die beiden Frauenzimmer Duette vor, welche der Cantor begleitete. Neuerdings hatte der Kapellmeister Graun aber die Musik zu dem lyrischen Schauspiel Britannicus vollendet, worin er fuer die Astrua eine sogenannte Bravourarie angefertigt, die Alles, was man zeither von schwieriger Ausfuehrung gekannt, weit uebertraf. Man glaubte, nur die erste Saengerin aus Italien, was jene Astrua sich zu sein duenkte, waere faehig, diese Arie rund hinrollend vorzutragen. Doch siehe da, auch die eben erwaehnte Scholarin des Cantors hatte sie dergestalt eingeuebt, daß sie kaum noch etwas daran zu wuenschen uebrig ließ. Allenthalben erzaehlte er das und bildete sich nicht wenig darauf ein.

Was er und seine Gattin indeß nun sprachen, konnte das Goehlsche Ehepaar blos zum Gaehnen bringen, weil es keine Silbe davon verstand. Gut also, daß sich bald ein anderweitiger Gast einfand, der Kaufmann und Fabrikherr Sueßmilch.

Es war ein Sechziger, lang, hager, doch immer noch ziemlich lebhaft. Seine Rede klang neu, wenn schon der Anzug laengst entflohene Tage bezeichnete. Denn es war vor Zeiten mehr als jetzt ueblich, daß alte Maenner fest auf die Kleidung hielten, die sie als Juenglinge einst getragen hatten. Schultern, Ruecken und Haupt umfloß eine aechte Allongenperruecke, deren Loeckchen auf Zweihundert steigen mochten. Ein franzoesischer Schriftsteller sagt: Die Perruecke haette ihre Racine und Corneille gehabt, diese war von solcher Art, und deshalb ziemlich theuer. In jener Zeit konnte man hier die Todten noch einiges Geld einnehmen, wenn man ihr Haar zum Schmuck der Lebendigen verkaufte, Lichtblondes war das gesuchteste, am freigebigsten bezahlte, und eine daraus verfertigte Perruecke galt oft Zwei- bis Dreihundert Thaler, gab dafuer aber auch ein stattliches Ansehn. Rock und Weste waren bei Herrn Sueßmilch von gleicher Laenge, reichten aber nicht bis ans Knie und hatten so tiefliegende Taschen, daß in grader Stellung nicht mit den Haenden hinein zu fassen war. Das Tuch war hellblau und an den Saeumen und Aufschlaegen mit, zwei Fingern breiten, goldnen Tressen besetzt, denn Herr Sueßmilch sparte an der Außenseite nichts, wußte, daß sie Eindruck mache, und verstand, den Eindruck zu nuetzen. Die Struempfe waren gruen, mit Wickeln und Kniebaendern versehn, die Schuhe mit hohen Absaetzen und breiten Schnaebeln. Seinen Degen trug er an einem Wehrgehaeng von gelben Leder, welches an der rechten Schulter ein Achselband hielt. An der Oberlippe sah man noch ein Baertchen, welches damal hie und da noch – im Buergerstand – Greise beibehielten, statt es fünfzig Jahre spaeter die Juenglinge sich wieder zuzulegen anfingen.

Er war ein gereister Mann, in England, Frankreich und Italien gewesen, kannte den Handel als Kaufmann und wußte, wie die Menschen ueberhaupt zu handeln pflegen. Damal gab es einen finanziellen und merkantilischen Zeitgeist im Staat, der dem jetzigen schnurstracks entgegen gestellt war. Man wollte so wenig Einfuhr als moeglich, so viele Ausfuhr als moeglich, so viel Geld ins Land ziehn, darin behalten als moeglich, so wenig hinaus lassen u.s.w. Die Landesstuehle, welche mit Handel, Fabrikwesen und Gewerben in Beruehrung standen, waren angewiesen, nach diesen Grundsaetzen zu verfahren und den innern Wohlstand thaetig zu befoerdern. Nun wußte Herr Sueßmilch Vorstellungen einzusenden, Ministern, Geheimen Raethen, Sekretaeren u. s. w. seine Aufwartung zu machen, und sich zu erbieten, den beabsichtigten Landesflor, im Gebiet der Seidenwaaren, immer hoher auszubringen. Laengst hatte er dadurch schon ansehnliche Unterstuetzungen, die Anlage seiner Fabrik betreffend, erhalten, wußte es aber dahin zu bringen, daß man ihn immer von neuem wieder beguenstigte. Die Einfuhr der Artikel, womit er Geschaefte machte, war untersagt, und er empfing nicht unansehnliche Praemien fuer die Waaren, die er ausgefuehrt, allenfalls auch nicht ausgefuehrt hatte. Ob er gleich einst mit wenigem Vermoegen angefangen, zaehlte man ihn doch nun zu einem der reicheren Kaufleute in Berlin, und er wuerde es noch mehr gewesen sein, haette er nicht die, welche ihm zu Beguenstigungen halfen, in anderer Art wieder beguenstigen muessen. Der einzige Sohn sollte sich nun auf Reisen auch bilden und hernach Goehls Tochter heirathen, weil sie eine gute Parthie war.

Jetzt nahm das Gespraech eine andere Wendung, und Herr Goehl konnte Theil nehmen, als die Rede von Waarenspekulationen, Preiscouranten, Nachfrage und dergleichen war. Destomehr langweilten sich der Cantor und seine Gattin. Doch waehrte es nicht lange, denn nun brachte ein Miethswagen die Frau Muhme Kuerbiß und ihre junge Nichte. Trotz einiger Unpäßlichkeit hatte Jene bei dem Familienfest nicht ausbleiben wollen.

Herr Goehl warf Pfeife und Muetzchen weg, und eilte ihr entgegen. Denn Frau Kuerbiß galt in einem kaufmaennischen Hause. Sie zaehlte, eben wie Herr Goehl, fünfzig Jahre, woraus folgte, daß Beide mit der Jahreszahl gingen. Sie hatte drei Maenner gehabt. Zuerst in frueher Jugend einen Gelbgießer. Er war geschickt, doch nur arm gewesen, als zu seinem Gluecke, unter Friedrich Wilhelm I. Regierung, in der nehmlichen Zeit, wo das Heer so ansehnlich vermehrt ward, die Bleche vor den Grenadiermuetzen und an den Patrontaschen der Soldaten aufkamen. Auch die Flinten, sonst nur schlicht mit Eisen belegt, erhielten noch manche Verzierungen aus Messing. Unser Meister sann nun auf allerhand gefaellige Modelle mit Koeniglichen Namenzuegen, Adlern, Szeptern, Pauken, Trompeten, Fahnen, Kanonen. Sie erhielten Beifall, und der Urheber mußte ganze Regimenter mit Glanz schmuecken, wobei er ein artig Stueck Geld verdiente. Nach seinem Ableben heirathete die Witwe einen Goldsticker. Dadurch war sie militaerisch avanzirt, der neue Ehemann zierte die Monturen der Offiziere mit Schleifen und Litzen, wobei es auch nicht an Gewinn fehlte. Nach einigen Jahren starb er auch, und die Witwe blieb zum zweitenmal als alleinige Erbin zurueck. Als der Krieg im Jahre 1744 ausbrach, bot ihr der Lieferant Kuerbiß, der Geld bedurfte, seine Hand. Er verstand sein Geschaeft außerordentlich. Zweimal war er nahe daran, auf die Festung zu kommen, wußte ihr gleichwohl durch seinen gescheuten Kopf zu entgehn, und hatte nach dem Frieden sein Vermoegen mehr als verdoppelt. Jetzt unternahm er eine weitlaeufige Domaenenpachtung. Im ersten Jahre hatte er in die Hauptstadt zu berichten, daß ihm ein allgemeiner Hagelschlag verderblich gewesen sei, im zweiten, daß ein allgemeines Viehsterben ihn betroffen, im dritten, daß eine allgemeine Wasserfluth ihn heimgesucht. Etwas von dem Allen hatte seine Richtigkeit, das Woertchen allgemein haette er nur nicht hinzufuegen sollen. Sonst war auf eine der Brachen wirklich etwas Hagel gefallen, ein Rind und etliche Schaafe starben ihm in der That, und im letzten nassen Fruehjahr trat der Muehlbach ueber seine Ufer. Man bewilligte ihm ansehnlichen Pachterlaß und noch sogenannte Remissionen von Belang. Die groeßte Klugheit hatte er gleichwohl nicht bei den Meldungen bewiesen, vielmehr bei den Personen, welche den Schaden pflichtmaeßig zu untersuchen hatten. Sie zeigten pflichtmaeßig an, daß Alles seine Richtigkeit habe, wobei die Entfernung, in welcher die Laendereien von der Hauptstadt lagen, zutraeglich war.

In kurzem starb der gewandte Mann indeß auch, und die Hinterbliebene, deren Vermoegen nun 50.000 Thaler ueberstieg, kehrte in ihre Vaterstadt Berlin zurueck. Sie war die reichste Witwe ihrer Zeit dort, die reichste Parthie im ganzen Buergerstande. Deshalb wimmelten aus allen Stadtvierteln auch die Freier herbei, unter diesen Grafen und Barone, auch poetische Seelen, die sie, trotz ihres halben Jahrhunderts, eine Grazie nannten. Doch lehnte Frau Kuerbiß standhaft jeden neuen Antrag ab. Sie pflegte zu sagen: aller guten Dinge waren drei, sie haette drei Maenner gehabt, damit solle es genug sein. Wen sie abschlaeglich beschied, den pflegte sie auch treuherzig zu bitten, Anderen es zu sagen, damit sich Niemand weiter umsonst bemuehe. Dies kam bald herum, und nun steuerte kein Jason mehr nach dem goldnen Vließ.

Sie war daheim geitzig, vor der Welt ließ sie aber ihr Licht ein wenig leuchten, machte auch gerne Lustbarkeiten mit und war die eigentliche Ursache gewesen, daß Frau Goehl letzthin die Redute besucht hatte, was Doris Bitten allein sonst nicht erzielt haben duerften. Kinderlos, nahm sie die Tochter ihres verstorbenen Bruders zu sich, eines armen Landpredigers, und wandte Einiges auf ihre Ausbildung. Der Bruder hatte auch noch einen Sohn nachgelassen, der sich zu Berlin befand. Er durfte sich indeß nur selten bei der Tante zeigen, weil sie ihm Leichtsinn und ueble Wirthschaft vorwarf. Aus diesem Grunde hatte man ihn bei Herrn Goehl – wo man ihn auch gar nicht kannte, nicht einmal dem Namen nach – nicht eingeladen.

Frau Kuerbiß war ungemein fett, watschelte schwerfaellig in die Thuere und sank, nach wohlangebrachten und reichlich zurueckempfangnen Complimenten, wuchtend ins Canapee, ihrentwillen so lange unbesetzt gelassen.

Sie trug ein weitfaltiges, schwarzseidenes Kleid und ein Maentelchen von rothem Moor, mit Silber durchwirkt, das man ihr gleich hoeflich abnahm. Aber auch Kleinodien waren an ihr wahrzunehmen, historische gleichsam, weil sie von ihren drei Maennern herstammten. Das Unten nur wenig gekraeuselte und Oben glatt zurueckgekaemmte Haar umliefen nehmlich zwei Schnuren Perlen, nicht gar groß, doch aecht. Sie waren einst von dem Ueberschuß an den Grenadierblechen erkauft. Den Hals zierte eine ziemlich schwere goldene Kette, noch ein Andenken vom Goldsticker, der ihren Werth an anderem Golde zu eruebrigen verstanden hatte. In den Ohren sah man Gehaenge von Rubinen, mit kleinen Diamanten eingefaßt. Ein Preußischer Husar hatte sie auf einem boehmischen Schlosse in einem Schrank gefunden und, kein Kenner, sie spottwohlfeil dem damaligen Lieferanten verkauft. Der Hauptglanz strahlte jedoch vom kleinen Finger ihrer rechten Hand. Es war ein runder Brillantring, seine hundertundfunfzig Dukaten unter Bruedern werth. Frau Kuerbiß hatte auch etwas Ausgezeichnetes besitzen wollen, nachdem man an dem Hagelschlag, Viehsterben und Wasserschaden solchen Vortheil gesehn, und ihr Mann hatte gewillfahrt. Sie blendete Alles im Zimmer, vorzueglich wenn sie, ueber Kopfweh klagend, die rechte Hand fleißig zur Stirn fuehrte.

An aeußerer Ehrfurcht mangelte es diesem Schimmer nicht, die Betrachtungen im Innern, die er jedoch veranlaßte, waren abweichend. Frau Goehl meinte bei sich: huebsch waere das, aber im Grunde doch suendige Eitelkeit, und wenn sie dereinst so was in der Hoelle abbueßen sollte, moechte sie es auf Erden lieber nicht tragen. Herr Goehl rechnete im Stillen zusammen, was ungefaehr Gold, Perlen und Edelsteine kosten duerften, welchen Zins die Summe jaehrlich tragen koenne und wie viel mithin die Frau Muhme jaehrlich aus dem Fenster wuerfe. Herr Sueßmilch tadelte den Aufwand weniger, fragte sich aber doch, ob die Frau irgend eine Absicht mit ihren Praetiosen verfolge? Dann wuerde er sie gut heißen, aber sonst nicht. Der Cantor war ganz außer sich, verglich die Brillanten mit den brillanten Passagen eines Salimbeni und Porporino, die Perlen mit dem Triller der Astrua. Seiner Hausehre fiel der Rettigkorb alter Zeiten ein, von dem sie bis zur Frau Cantorin emporgestiegen war, koennte sie aber, dachte sie, noch bis zu solchen Juwelen sich auffschwingen, dann – wollte sie gern sterben. In einem Punkt trafen jedoch Alle zusammen, jeder Theil wuenschte nehmlich, die Kleinode gehoerten ihm.

Die Nichte war ihrer Vaterschwester gefolgt, doch in der Quere. Weil es doch Heute einmal geglaenzt sein sollte, hatte Frau Kuerbiß die Hand uebers Herz gelegt und ihrer Nichte einen Reifrock mit dazu gehoeriger Andrienne, im letzten Geschmack verfertigen lassen.

Wer haette um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wohl vermuthet, den Reifrock, das wichtigste Stueck im Damenputz, den man immer mehr erweiterte, eine Zeitlang á la Barry, dann wieder á la Pompadour trug, ihn wie einen Triumph des menschlichen Erfindungsgeistes, eine Verherrlichung der weiblichen Gestalt, betrachtend, von dem sie edle Anmuth, hohe Wuerde empfing – wer haette damal vermuthet, diese erhabne Zier koenne noch allmaehlich einschwinden und zuletzt ganz aus dem Reiche der Mode entfliehn. Die elegante Welt von 1750, haette sie das ahnen duerfen, haette ohne Zweifel auch die damal noch nicht geborne Nachwelt des rohesten Ungeschmacks beschuldigt. Doch wer haette wohl der prophetischen Stimme Glauben beigemessen, die damal gesagt: Es wird eine Zeit geben, wo man keine Reifroecke und keinen Puder mehr traegt?

Daß der Reifrock nicht natuerlich war, hatte seine Richtigkeit, ist gleichwohl alle Kleidung natuerlich? Daß er, naechst Zubehoer, weil man des Zeugs in so ungemein vielen Ellen dazu bedurfte, auch theuer sein mußte, schadete den Kaeufern nur, den Fabriken war es nuetzlich. Beschwerlich mußte er allerdings sein, einmal des Stoffgewichts halber, und dann ruecksichtlich des inneren Geraestes, aus Fischbein aufgebaut, wozu sogar, der festeren Haltbarkeit willen, noch einiges Holz kam. Dies war noethig, denn in den Zeiten seiner groeßten Ausdehnung, welche um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts anzunehmen sind, breitete sich der Reifrock von jeder Huefte auf drei Schuh weit aus, von welchem Abstand an er erst sich niederwaerts woelbte, aber auch noch unter einem nach auswaerts geneigten Winkel. Es folgte, daß ein schoenes Maedchen in seiner Mitte dadurch um ein Gutes breiter als lang erschien. Beschwerden, die anderweitig Vergnuegen bringen, traegt der Mensch gern, das wissen die Liebenden, und Reifroecke wurden auch geliebt. Darum machte sich eine Dame nichts daraus, wenn sie zwar in einen Thorweg, nicht aber in eine gewoehnliche Thuere so treten konnte, wie sie es ohne ihre kuenstliche Breite vermocht haben wuerde. Es mußte mittelst einer halben Wendung geschehn, was auch vom Einsteigen in eine Kutsche galt, worin damal auch nur zwei Frauenzimmer, die sich gegenueber saßen, Platz finden konnten. Reichte eine Mannsperson der Dame den Arm, um sie zu fuehren, vermochte der ihrige den seinigen nicht abzureichen, wenn nicht die rechte Schulter vor, die linke zurueckgenommen ward, und ihnen die Hueften folgten. Die Mannsperson mußte ihrerseits sich entgegen gesetzt drehen, was einen doppelten Schiefmarsch noethig machte. Eine Dame mußte aber gefuehrt sein, damit sie bei dem ungewissen Gang, den die hohen, spitzen Absaetze der Schuhe jener Zeit veranlaßten, nicht fiel. Angenommen, es waren zwei Personen sich zuwider, so mußte ein Spaziergang beschriebener Art, etwa zu Berlin die Linden einigemal auf und ab, ziemlich ermueden. Im Fall sie jedoch in einander verliebt waren, hatten sie den besten Vorwand, sich unablaeßig anzusehn, was jetzt wieder auffallen wuerde. So hatten folglich die Seitenbewegungen auch zwei Seiten.

Man koennte beinahe vermuthen, die Tugend haette jenen beschwerlichen Damenputz erfunden. Es sang gleichwohl ein damaliger Poet von ihm:

Dieses siebenfache Bollwerk widersteht nicht stets der List, Ob es gleich durch Wallfischrippen und durch Weiten furchtbar ist.

Aber nichts besteht, Alles vergeht. Die eigensinnige Mode baut, und reißt wieder ein. Irn Jahrzehend der Fünfziger gewannen die Reifroecke ihren aeußersten Umfang, in den Sechzigern fingen sie an sich zu beschraenken, in den Siebzigern erschienen sie nur noch unter dem Namen der Considerationen, kaum noch acht bis zehn Zoll breit an jeder Huefte, in den Achtzigern war es ganz um sie geschehn. Allein man konnte sich damal noch nicht entschließen, gar nichts von einer Ausdehnung, ueber die Natur hinaus, an sich zu tragen, man brachte sie also Unten am Ruecken an. Dieser Gebrauch halte mehr Bequemes, legte kein Fischbeingeruest auf, ein halbrundes Kissen, das mit weichen Eiderdaunen gestopft sein konnte, brachte die beabsichtigte Woelbung hervor. Man nannte diese neuerfundne Schoenheit cul de Paris, und auch die gebildetste junge Dame entbloedete sich nicht, das erste, mit verschaemten Sternchen verlarvte Wort unbefangen auszusprechen. Was befiehlt, was gestattet nicht Alles die Mode!

Des Quergangs waren die Frauenzimmer nun ueberhoben, ohne alle Plagen ging es bei der neueren Ausdehnung aber auch nicht ab. Sie traten ein, wenn man sich setzen wollte, und ein Frauenzimmer fand auf einem Stuhle kaum halben Platz, den Rest bedurfte das Kissen. In den Neuntzigern endlich hatte das schoene Geschlecht den Muth, auch dies Kissen abzuwerfen, woran ohne Zweifel die franzoesische Staatsumwaelzung Theil hatte, die den Menschen der Natur Allenthalben wieder naeher bringen wollte, auch bald dem Gewand von Kos nahe kam, das nicht allzuweit mehr vom Feigenblatt der ersten Mutter stand, wie laut schon das Klima widersprach. Doch blieb auch das nicht, denn nichts besteht, Alles vergeht.

Kehren wir nun zu dem maechtigen Reifrock zurueck, den man in jener Abendgesellschaft erblickte, und der, nachdem seine Eigenthuemerin Platz genommen, an jeder Seite des Stuhls sich ausdehnte. Er bestand aus einem feuerfarbnen gebluemten Seidenstoff. Was konnte mehr Leuchten wie Feuer, und wieder so hold sein wie Blumen. Herr Sueßmilch durfte sich etwas darauf zu gut thun, aus seiner Fabrik hatte man den Stoff entnommen, der Hofschneider mußte ihm aber die jetzige Herrlichkeit geben, die es nicht an mancherlei Bauschwerk fehlen ließ. An den Ellbogen sah man lang niederhaengende, unten spitze Aermel, mit artigen Kanten verziert, die auch am Busen nicht mangelten. Ein sogenannter Latz, mit Fischbein ausgesteift, gehoerte dazu, welchen das Kleid an silberner Rundschnur festhielt. Eine Schleppe verstand sich von selbst, und die Maenner im Zimmer hueteten sich, daß ihre Fueße kein Unglueck anrichteten. Das Haar zu diesem Anzug hatte der beruehmteste Friseur der Stadt geordnet und dazu Brenneisen, Kamm, Pomadenbuechse und Puderquast sinnig gebraucht. Oben hatte er eine krause Toupirung, an jeder Seite acht Locken, und hinten einen Chignon hervorgebracht. Die Locken traegt man in unsern Tagen wieder so, nur daß sie ungepudert sind. Immer kehrt etwas von den alten Moden zurueck, und weil man gegenwaertig so bemueht ist, verschiedne politische und moralische Gewohnheiten der Vorzeit wieder einzufuehren, so steht dahin, ob man nicht einmal Puder, Reifroecke u. s. w. von neuen sehn werde.

Um den Hals ringelten sich dicke Glasperlen, die Ohrgehaenge waren vom nehmlichen Inhalt, und die Armbaender von schwarzem Sammt, mit kleinen silbernen Schnallen. Es fehlte also an Juwelen, ein Liebhaber wuerde indessen den rothen Mund der Nichte allen Rubinen, und ihre schwarzen, blitzenden Augen allen Diamanten vorgezogen haben. Auch ein hoher Wuchs, eine lebhafte Gesichtsfarbe und andere Schoenheiten noch waren hier zu loben.

Also Natur und Kunst – wenn man die Kunst nicht auch natuerlich nennen will – im Verein, um Bewunderung zu erregen. In der That hatte es Frau Kuerbiß Heute mit ihrer Nichte darauf angelegt. Denn um eines Familienfestes willen haette sie das schoene Maedchen doch wohl in keinen solchen aeußern Glanz gestellt, man dachte aber: es koenne – vielleicht – den Ursprung eines noch wichtigern veranlassen.

Renate – so hieß die Nichte – wußte nichts von dem, was ihre Pflegmutter und Frau Goehl zwar nicht als bestimmt abgeredet, demungeachtet als etwas Moegliches und nach Umstaenden Angemessenes vorlaeufig besprochen hatten. Sie fuehlte ihren Glanz, ohne eine Absicht damit zu verbinden. Auch hatte sie noch andere Ursachen, ihr Gewicht zu kennen. Obschon von armen Eltern, waren sie und ihr Bruder die vermuthlichen Erben der Frau Kuerbiß. Aber sie hatte auch Geist, weil sie manches gelesen, und nicht nur Schaeferidyllen wie Doris, sondern auch einige Buecher ernsten Inhalts, die Stoff zum Nachdenken lieferten, und solche, woraus Menschenkunde zu schoepfen war. Dahin gehoerten die frueheren Schriften Gellerts und Rabners Satyren, welche den Menschen im Allgemeinen und auch, wie ihn die Sitte der Zeit gemodelt hatte, treffend zeichneten. Renate hatte aber auch ein bedeutendes Gesangtalent und es mit eifrigem Fleiß ausgebildet, was damal in Berlin noch selten geschah. Sie war es, die dem Unterricht des Cantors so viel Ehre machte. Deshalb zeigte er auch große Freude, sie an diesem Abend hier zu sehn, obgleich der heutige Schimmer ihn abhielt, viel mit ihr zu reden, und die Frau Cantorin, die keinen Reifrock, sondern nur Contousche und Unterkleid von meergruenen Damis trug, machte dieser Schimmer ganz bloede und bange.

Doch wenn man das Gepraege eines ziemlichen Selbstgefuehls auch bei der schoenen Renate erkannte, so drueckte es sich doch keineswegs als Stolz aus. Gesuchte Bescheidenheit zeigte sie aber auch nicht, und that wohl daran.

Alle Gaeste hatten sich nun versammelt. Es war in der Ordnung, daß sie, nach dem Eintreten, zu Lebrechts Ankunft, von der sie bereits unterrichtet worden, Glueck gewuenscht und weiter um ihn gefragt hatten. Kuehl und einsylbig fiel die Antwort der Eltern aus. Sie erwarteten ihn uebrigens jeden Augenblick, und je laenger er, dem man eigentlich zu Ehren die Gesellschaft eingeladen hatte, ausblieb, je verdrießlicher mußte es Ihnen sein.

Es war ein neuer Aerger, welchen der Ungerathene ihnen Heute verursachte.

Man fragte aber auch nach Doris, zumal Renate. Die beiden Maedchen hatten einander nur etlichemal gesehn, aber doch einen Freundschaftsbund errichtet.

Es war nichts uebrig geblieben, wie eine Unpaeßlichkeit vorzuschuetzen, die man denn hoeflichst bedauerte.

Frau Goehl ließ die Gesellschaft aber fuer ihre Unterhaltung sorgen und schlich hinaus, zu sehn, ob Katharine gekommen sei und welchen Mundvorrath sie gebracht haette. Jene war ohnehin betreten genug geworden, als sie Herrn Sueßmilch in solchem Bratenrock und die Frau Muhme gar von Edelsteinen blitzend eintreten gesehn. So festlich und feierlich hatte sie das Abendbrot nicht gemeint, und nun entsprachen ihm die Karpfen und die Bratwuerste allerdings nicht recht, ein solcher Aufzug schien drei Gerichte zu bedingen.

Doch erschien eben Katharine, aber ohne Karpfen. Keine Fischerfrau war noch anzutreffen gewesen. Die Hauswirthin erhob ein Lament nach dem andern, und so kreischend, daß Herr Goehl es drinnen hoerte. Eilend begab er sich auch in die Kueche, wo seine Ehehaelfte einmal ueber das andere schrie: »Nun hat man das Haus voll Gaeste, der Tisch ist gedeckt, es wird gleich trommeln, und nichts zu Essen da!«

Herr Goehl empfahl vor Allem Stille, damit man sich nicht prostituire, und fuhr fort: »Siehst Du, mein Kind, Du weißt nur nicht Dir zu helfen. Schicke doch zum Garkoch, es wohnt ja einer nicht weit. Lasse drei Gerichte holen, das wird viel kosten, aber siehst Du, es kann nicht anders sein. Wir haben auch gutes Ruppiner Bier, aber es wird heute schon nicht helfen, ich werde einen kleinen Punsch machen muessen.«

»Was«, rief die Ehehaelfte, »der Junge kostet so schon so viel, hat mir die feine –«

»Siehst Du«, fiel der Mann ein, »ich thu' es nicht gern, werfe kein Geld unnuetz weg, aber man muß zuweilen ehrenhalber etwas verschmerzen, und sehn, wie man es auf andere Weise wieder einbringt. Martin soll Arak, Citronen und Zucker holen. Wenn nur der Blitzjunge kaeme, was moegen die Leute wohl denken? Es ist auch zu arg! Sollte sich freuen, wieder bei den Eltern zu sein, wer weiß, wo er sich herumtreibt.« »0 es ist kein gutes Haar an ihm, und seit er meine« –

»Und noch Eins! Soll Doertchen nun da sitzen bleiben, hoeren, daß Andere vergnuegt sind, keinen Punsch abkriegen?«

»Die bleibt, wo sie ist, so wahr ich lebe!«

»Siehst Du, es wuerde ihr recht geschehn, aber Renatchen hat schon gefragt, wo sie ist, will sie besuchen, man kann sie doch nicht zu ihr in den Kamin bringen. Siehst Du, man koennte sie Heute herauslassen, und Morgen wieder hinein. Ehrenhalber –«

»Nun, da ist der Schluessel! Aber wenn die Gaeste weg sind, muß sie die Nacht sitzen. Sich erst anzuziehn, hat sie nicht noethig, man hat einmal gesagt, ihr waere nicht wohl.«

Herr Goehl eilte, den Kerker zu oeffnen. »Siehst Du«, sagte er »diesmal hab ich Dich noch losgemacht, mußt Du aber wieder hinein, kann ich nicht helfen. Geh zur Gesellschaft, betrage Dich artig, ich muß noch mit Mama sprechen.«

Licht hatte er nicht mitgebracht, Doris ging also aus der Dunkelheit in die Versammlung. Hilf Himmel, welch ein Aufsehn, welch ein schroffer Gegensatz zu dem Schimmer daselbst! Der armen Befreiten war nicht allein das Kleid ueberall mit Ruß gefaerbt, sondern auch das niedliche Gesicht.

Man starrte im Anfang, dann erhob die Muhme, die noch dem Gespensterglauben treu blieb, ein Angstgeschrei. Renate hatte oft sagen hoeren, es sei ein Wahn mit uebernatuerlichen Erscheinungen, und sich auf die Hoehe des Unglaubens schwingen wollen, nun ward sie inne, noch keinen festen Fuß dort gefaßt zu haben. Die Frau Cantorin sah in der That aus wie die bleiche Ohnmacht und hatte die Augen geschlossen. Ihr Mann oeffnete dagegen weit den Mund, prallte auch weit zurueck, doch erholte er sich am Ersten noch vom allgemeinen Entsetzen, weil er Doris grueßende Stimme frueher gehoert als die Gestalt ersehn hatte. Doris war ihm auch unter den Anwesenden am meisten bekannt, und so meinte er, es muesse doch mit rechten Dingen zugehn und werde am Ende auf einen Scherz hinauslaufen. Nun sagte er lachend, aber immer noch nicht ganz ohne Zittern: »Aha, Mademoisell, Sie wollen eine Furie aus dem Orfeo sein, das ist spaßhaft, sehr spaßhaft!« Herr Sueßmilch schaemte sich jetzt, einen Augenblick auch erschrocken gewesen zu sein, und rief, sich schnell fassend: »Ei, ei, haben Sie so viele Schoenpflaesterchen aufgelegt, scharmantes kuenftiges Schwiegertoechterchen?«

Unsre Zeit begreift nicht, wie doch einst Schoenheitspflaesterchen haben ueblich sein koennen, sie waren es gleichwohl. Sie wurden bald groeßer, bald kleiner, bald mehr, bald weniger zahlreich getragen. Es galt, auszumitteln, an welcher Stelle des Gesichts sie Jedem am besten standen, ob unter dem Auge, neben der Nase, am Mund u.s.w. Das kostete oft Studium, Beirath, Erfahrung, und die Kenner wußten nach einem System davon zu sprechen, dem es nicht an auf die physiognomischen Abweichungen passenden Regeln fehlte. Im Goehlschen Hause, wo man den neuen Moden etwas spaet nachgab, konnte Doris nur die Erlaubnis herausflehn, eins ankleben zu duerfen. Papa haette zweie erlaubt, die Mode war ja auch so wohlfeil, Mama wollte aber nicht. Renate hatte es da besser. Frau Kuerbiß hatte nichts gegen dreie, wovon die Nichte eins unter dem linken Auge, das zweite neben dem rechten Nasenfluegel, und das dritte zur Abwechslung, bald hier, bald dort anzubringen pflegte. Keins uebertraf aber die Groeße einer Linse, wogegen Doris an ihrer Einheit zulegte, was sie an der Mehrheit verlor, und sie glaubte am obern Theil der rechten Wange die vortheilhafteste Wahl getroffen zu haben. Als – was vor mehreren Jahren bereits geschehn war – die kosmetische Erfindung zuerst auftrat, wurde sie heftig bekriegt. Die Geistlichen donnerten von den Kanzeln gegen die Versuendigung, weissagten, der Himmel wuerde Allen, die mit Schaeden und Wunden Spott trieben, Schaeden und Wunden zur Strafe senden. Und klagten Modenliebende ueber Fluesse, Kopfweh, riefen die Aerzt gleich: Da haben wir die Folgen der schaedlichen Pflaster. Sie unterdruecken die Ausduenstung, die zurueckgehaltne Materie wirft sich zurueck, auf Nerven, Blutgefaeße u.s.f. Weil es aber nicht half, ließ man die Sache endlich moralisch und physisch gehn, die Gattinnen und Toechter der Prediger und Aerzte erschienen selbst mit den kleinen Reitzerhoehungen, und manches Maedchen verdankte einer wohlangebrachten einen Mann.

Auf des Cantors Anmerkung und Herrn Sueßmilchs Frage kam nun die Reihe, verlegen zu sein, an Doris. Sie wußte kein Wort davon, wie sie aussah, und haette sie unter anderen Umstaenden leicht daran denken koennen, geschah es jetzt aus Verwirrung nicht. Niemand empfahl ihr auch, sich schnell zu reinigen, weil Niemand den Grund der Erscheinung kannte und auch die Frauenzimmer, die sich nun erholten, an ein scherzhaftes Maskenspiel glaubten. Waehrenddem entstand draußen ein Geraeusch, man hoerte die Fragen: »L'ami, est ce que j'ai trouvé ici la demeure de Monsieur – diable, je viens d'oublier son nom – ah, de Monsieur Goe – Goehl? Ou sont les appartemens pour les convives? Peut on entrer la? L'assemblée, ést elle deja arrivé?«

Eine Antwort vernahm man nicht, Herr Sueßmilch rief aber: »Der Tausend, da ist mein Sohn! Wird eben gekommen sein, gehoert haben, daß ich hier bin.«

Damit ging er an die Thuere, oeffnete sie, und rief: »Hier herein, mein Sohn, willkommen aus Paris!«

»Péste«, hieß es draußen wieder, »qu'el desordre ici en Allemagne! L'on n'appercoit ni Suisse, ni valet de chambre, ni laquais –«

»Komm, komm«, fiel der Alte ein, »bist wohl ein Pariser Windbeutel geworden. In diesem Hause gilt das nicht.«

»Monsieur«, ward ihm entgegnet, »pourvu que je ne me trompe pas, et que je n'ai pas oubliéétout a fait la figure – je crous, d'avoir l'honneur – d'entendre Monsieur mon cher pere. Comment?«

»Ja, ja, Monsieur le fou, nur naeher! Und sprich deutsch da drinnen.«

»C'est impossible, mon pere! Je viens d'oublier ce viel langage, cet idiome, bon pour etre adresseé aux chevaux allemands, meme pas aux chevaux français –«

»Junge, bist Du in Paris toll geworden? Nun, nun, ein wenig verdreht es jungen Leuten wohl den Kopf. Es ist mir auch so gegangen. Meinetwegen sei ein franzoesischer Narr, doch am rechten Ort. Es giebt Haeuser genug in Berlin, wo Du damit sehr gefallen wirst. Aber hier nicht. Ich glaube Niemand drinnen versteht franzoesisch, Deine Braut gewiß nicht« –

»Ma promise? Ah, je m'en souviens! Ou ést la petite drole?«

Nun flog er hinein, sich um den Vater nicht mehr bekuemmernd. Ein Duft von éau de lavande kam mit ihm ins Gemach, und Alles schaute verwundert auf das kleine, unbeschreiblich luftige Maennchen.

Es gab eine Zeit, wo man in Berlin von Muehlendammer Lords sprach, die Zeit, wo vorzugsweise den englischen Moden gehuldigt ward und junge Kaufleute die einst haeufig hier eintreffenden Englaender nachahmten. Ihr ging eine andre voran, wo das franzoesische Ideal den Rang behauptete. Damal gab es Muehlendammer Marquis, und am vollkommensten, auch nach Ansicht an Ort und Stelle, suchten die Soehne das Vorbild nachzuahmen, welche ihre Vaeter nach Paris geschickt hatten, um sie von dort, wie neu geschaffen, heimkehren zu sehn. Allerdings sollten sie Lebensklugheit, feine Sitten, hoehere Berufskenntnisse einsammeln, oft war es aber nur eitel Narrheit, was ihnen zu erbeuten gelang. Aber auch diese war nicht uebel, und der scharfsichtige Vater hatte nicht unrecht, als er dem Sohn sie nicht ganz verbot. Waere stets zu untersuchen, wodurch die Beglueckten ihr Glueck gemacht haben, wuerde man weit oefter in einer Narrheit, als einer Weisheit den Grund sehn.

Herr Sueßmilch junior hatte auf dem Scheitel eine frisierte Promenade. Die Haare waren nehmlich bis auf einen Zoll abgeschnitten, durch steife Pommade emporgerichtet, und Oben mit einem Brenneisen gekrauset, was eine entfernte Aehnlichkeit mit einem Baumgang darstellte. Fuer welche Geschoepfe der Spazierweg angelegt war, sagte der Name nicht, gab es aber wohl zu verstehn, denn welcher, als der einen Gattung haette er zu dem Behuf dienen koennen. An jeder Seite wallten nur vier Locken, statt man in Berlin deren mehrere und eine ueber der anderen trug, wogegen die Pariser Neuheit zweie in jede Reihe stellte. Bemerkenswerth sind hier die Launen der Mode. Von Zwei- bis Dreihundert, wozu man allmaehlich hinangestiegen war – und wobei es immer hieß, der gute Geschmack verlange eine groeßere Zahl –, ging es nach und nach wieder an eine Verminderung – die von neuen der gute Geschmack wollte – bis zwanzig, zehn, vier, zwei, einer, keiner. Jetzt fing man es wieder mit einigen an, und wer steht dafuer, daß man nicht allmaehlich wieder sie zu Hunderten erblicken wird. Man forsche indeß nur, ob man nicht bei Wissenschaften, Kuensten, Staatsformen u.s.w. die Geschichte von aehnlichen Modelaunen zu erzaehlen hat.

Am Ruecken hing unserm franzoesirten Berliner ein ungeheurer Haarbeutel, ein laecherlich ueberfluessig Ding, auch bald groß, bald klein, das sicher dem ersten Traeger den Namen eines Narren aufgeladen hatte, spaeterhin aber von den vernuenttigen Maennern beliebt war, und ohne welches kein wuerdevolles Auftreten bei Festlichkeiten bestehn konnte.

Der Fischbeinrock bestand aus violettfarbnen Sammet. Denn nicht nur das schoene Geschlecht – und die Laeufer der vornehmen Herren – trugen Fischbein in der Kleidung, sondern anfangs auch die Stutzer, und nach ihnen – wie immer – die erst es laesterten. In den Hueftgegenden war es so angebracht, daß es die Rockschoeße weit hinaus in die Luefte ausbreitete. Mit Tressen war dieser Rock nicht versehn, weil sie nachgrade in einige Abnahme geriethen, das Futter bestand aus weißem Atlaß, und aus den gewaltigen Aermeln quollen Manschetten, vor welchen man die Haende kaum sah. Die Weste war fleischfarben, mit Silber durchwirkt. Prachtwesten dieser Art pflegte man auch Schabracken zu nennen, die des Herrn Sueßmilch fiel ihrer ungewoehnlichen Kuerze willen aber auf, denn kaum reichte sie halb bis zum Knie, und der Ausschnitt, der sich unter einem wenig spitzen Winkel nach Unten hin oeffnete, gab selbst der Muhme, die sonst doch fuer eine Weltfrau galt, ein Aergerniß. Das schwarze Beinkleid war ueber dem Knie mit Schnallen befestigt, und die weißseidnen Struempfe hatten kunstreich ausgenaehte Zwickel. An den feinsohligen, vorn runden Schuhen befanden sich rothe Absaetze. Ueberaus klein war der uebergoldete Degen; der kleine Hut, den man seiner Flaeche halber nicht aufsetzen konnte, ward unter dem Arm getragen. Zu dem Allen war Herrn Sueßmilchs Gesicht – natuerlich etwas bleich – stark roth geschminkt, und man zaehlte fuenf Schoenheitspflaesterchen darauf, in einem wahrhaft erhabnen Styl ausgeschnitten. Das groeßere umliefen Spitzen, Strahlen aehnlich, ein anderes war halbmondfoermig, drei kleinere hatten wenige Zacken. Sonne, Mond und Sterne – vielleicht hatte er bei den dreien an den Guertel des Orion gedacht – zierten mithin dies Antlitz, auf dem Aurora auch nicht fehlte.

Im Zimmer fiel ihm Renate zuerst ins Auge und gefiel ihm zugleich einigermaaßen in dem schimmernden, feuerfarbnen Gewand. Er meinte, das sei die Braut, weil ihm die Gestalt der rechten in der That nicht recht erinnerlich war. Denn nur zweimal hatte er Doris gesehn, einmal bei der durch die beiderseitigen Eltern abgeredeten Versprechung, wobei die Herzen sich ungemein fremd blieben und Doris, nur fünfzehn Jahre zaehlend, wenig mehr als ein Kind schien, ferner, wie er, als er vor zwei Jahren nach Paris gehn wollte, sich im Goehlschen Hause noch beurlaubte.

Nun wollte er aber gegen die Braut aus manchen Gruenden verbindlich thun, erstens, um zu beweisen, er habe in Paris die alte Zurueckhaltung beim schoenen Geschlecht abgelegt und einen musterhaft galanten Damenritter aus sich entwikkelt, demnaechst aber, um den kuenftigen Schwiegervater durch Werthachtung seiner Tochter zu gewinnen. Er sollte, nach Herrn Sueßmilchs geheimen Entwurf, den Brautschatz erhoehn, ihm auch baldigst ein Suemmchen auf Abschlag einhaendigen, denn er hatte viel Geld brauchen gelernt.

Auf den Fußspitzen huepfte er zu der Schimmernden, die aufgestanden war, machte zuletzt einen Pirouettensprung, und rief: »Ah ma chere promise, que je suis enchanté, de Vous révoir! Vous avez bien gradi! Et Vos charmes, ciél, qu'ils se sont perfectionnés! Vous étes un astre du jour, il ést impossible, de fixer les regards sur Vos attraits! Beauté brillante, beauté rayonnante, souffréz, que je Vous rends mes hommages a genoux!«

Die Worte wurden mehr geschrieen als gesagt, unter den letzten vollzog der Redner aber einen Kniefall, so erschuetternd fuer das eigne Haupt, daß seinem Puder ein dichtes Woelkchen entdampfte. Die malerische Anmuth der Gebehrde verlor gleichwohl dadurch, daß schon Herr Sueßmilch senior herangeeilt war und Herrn Sueßmilch junior am Haarbeutel ergriffen hatte. Ihn daran aufhebend, rief er: »Da ist ja Deine Braut, naerrischer Kautz!« Er wandte ihn zugleich um und fuehrte ihn schnell zu Doris, die im Winkel stand und die man ueber die neue Erscheinung vergessen hatte. Der Braeutigam entsetzte sich, und bruellte wahrhaft: »Diable – viola un monstre!«

Renate, vorhin ungemein verlegen, erhob nun ein Gelaechter, und die Uebrigen folgten. Der aeltere Sueßmilch wandte sich aber zu Doris, und hob an: »Wie waer es, mein liebes Kind, wenn Sie nun, da der Braeutigam gekommen ist, die Maskerade ablegten?«

Sie faßte immer noch nicht, was in Rede sei, eilte aber zum Spiegel und stieß nun einen Schrei des Entsetzens aus. Auf gefluegelten Fueßen eilte sie auch gleich von dannen und kam heftig weinend in die Kueche, wo ihre Mutter noch Anordnungen beschaeftigten und den Vater schon der Punsch. Beide erschraken auch nicht wenig ueber Doris' Anblick, und beschuldigten sich wechselseitig, das schmaehliche Aufsehn veranlaßt zu haben. »Siehst Du«, rief Herr Goehl, »das koemmt davon, wenn man ein solches Maedchen noch in den Kamin sperrt!« Die zuernende Ehegenossin versetzte: »Aber wie dumm, wie stockdumm! Laeßt sie heraus, und besieht sie nicht erst, ueberlegt nicht, daß sich das dumme Ding voll Ruß wird gemacht haben!«

Die Bestuerzung wuchs, als die Tochter noch meldete, Herrn Sueßmilchs Sohn waere angelangt und habe sie gesehwaerzt erblickt.

»Hilf Himmel«, wimmerte Frau Goehl, »was mag der junge Mann gedacht haben!«

Ruhiger sagte der Gatte: »Es ist nun aber nichts zu thun, als daß sich Doertchen waescht, und ein anderes Kleid anzieht.«

»Na Jungfer«, hieß es drueben, »aus die Contousche und den Rock! Da ist schwarze Seife, und ein wollner Lappen! Rein gemacht, ich will das weiße Kleid holen!«

Doris ging eilig an die noethige Verrichtung. Mit ihr beschaeftigt, dachte sie nun erst ueber des jungen Sueßmilch Verhalten nach und wie schwer sie dadurch beleidigt sei, daß er sich Renaten zu Fueßen geworfen hatte. Dennoch empfand sie es eben nicht tief. Sueßmilch war ihr sonst gleichgueltig gewesen, in dem franzoesischen luftigen Betragen – dem sie nach ihrer Erziehung keinen Beifall widmen konnte – wuerde er ihr nicht gefallen haben, wenn sie den holden Redutenschaefer auch nie erblickt haette, um so weniger ließ unter den jetzigen Umstaenden sich daran denken. Sueßmilch hatte vor ihrem Anblick geschaudert, ihr Abscheu bewiesen. Die Ursache lag freilich nicht entfernt, jene Aeußerung aber, wie sie schon die weibliche Eigenliebe verwundete, that ihr, genau betrachtet, wenig mehr leid, sie wuenschte sogar, es moechte eine aehnliche statt gefunden haben, auch wenn sie nicht mit Kaminruß besudelt gewesen waere. Sie traeumte nun aber eine Moeglichkeit, der ganze Auftritt koenne eine Trennung der alten Verhaeltnisse einleiten. Sehr eng gebunden waren sie nicht, beruhten nur auf einem muendlichen Versprechen, mit welchem die beiderseitigen Eltern einst die jungen Leute zu kuenftigen Gatten bestimmten. Der alte Sueßmilch hatte damal einen gerichtlichen Vertrag vollziehn wollen, der selbst Strafsummen auf den Fall eines Ruecktritts feststellte, doch Herr Goehl hatte sich widersetzt. Weil die Sache doch mehrere Jahre noch Anstand nehmen wird, hatte er gesagt, so mag es bei einer muendlichen Abrede sein Bewenden haben. Man weiß immer nicht, was sich in Jahren ereignen kann, und wenn zur Heirath geschritten werden soll, muessen wir auch noch in Betracht ziehn, ob die jungen Leute, die bis dahin ihren Sinn auch veraendert haben koennten, einander gefallen. Und von einer Ehe, in der Mann und Frau sich im geringsten nicht lieb haben, wohl gar einander zuwider sind, halte er auch wenig.

In noch frueheren Zeiten wuerde ein Vater schwerlich auf solche Eroerterungen eingegangen sein, im Jahre 1750 hob man, wenigstens in gewissen Staenden, schon an, auch die Neigung der Kinder in einigen, wenn gleich nicht entscheidenden Betracht zu ziehn. Herrn Goehls Vorliebe zu Doris trug noch dazu bei, denn seine Gattin war nicht abgeneigt gewesen, einen Ehevertrag, wie ihn der alte Sueßmilch damal verlangt, ausfertigen zu lassen.

Doris wußte aber Alles, was geschehen war, und kannte ihres Vaters Gesinnung. In einem andern Fall duerfte auch der Schaefer einen weniger tiefen Eindruck auf sie hervorgebracht oder sie ernstere Muehe angewandt haben, ihn zeitig wieder auszutilgen. Denn wie maechtig unsere Leidenschaften auch sind, vor der unbedingten Nothwendigkeit hegen sie doch einige Ehrfurcht. Sie haette auch wohl die Annahme des Briefs verweigert oder ihn ungelesen den Eltern ueberreicht.

Nun stand Alles anders, Lebrecht hatte ihr Hoffnungen geweckt, sie wuenschte im jetzigen Augenblick sehnlichst, ihn bald sprechen, ihm die Ereignisse des Abends berichten und mit ihm weiteren Rath pflegen zu koennen. Es schien ihr, daß eine Braut, in deren Gegenwart der Verlobte sich einem andern Maedchen zu Fueßen geworfen, berechtigt sei, ihn nun auf immer zu fliehn. Hatte Renate dem jungen Sueßmilch aber im Ernst gefallen, koenne es, meinte Doris, um so erwuenschter sein. Das wuerde ihre Eltern doch empoeren, und Sueßmilch sowohl als sein Vater duerften mit Vergnuegen das aeltere Band dann aufgeloest sehn.

Sie hatte den Ruß getilgt, das weiße Kleid angelegt, doch wenige Muehe aufgewandt, Heute reitzend zu erscheinen. Es fehlte ihrem Staatsrocke auch nicht an Fischbein, ob er ihn schon in weit geringerer Menge enthielt, wie die schimmernde Renate ihn trug. Es war ihr nun eben recht, sie drueckte selbst die ausspringenden Woelbungen noch etwas herein, damit sie weniger bildlich erschienen.

Der junge Sueßmilch hatte aber, wie Doris sich entfernt, den Vater hinausgerufen, und ihm Verwunderung und Unmuth bezeugt. »Mon Dieu«, hatte er angefangen, »ést ce que je suis arrivé de Paris, pour etre joué, bafoué? On me présente une éspece de négresse, de diablesse, en disant, voila Votre promise! Et cela en présence d'une assemblée, d'une fille bien faite, dont je voudrois etre volontiérs l'amant, et qui me voit maintenant fou, dupé – «

»Ludwig«, fiel der Alte ein, »Du sollst und mußt Deutsch sprechen!«

»Ditez Louis, mon cher pere, s'il Vous plait. J'etais bien ravi en France d'etre nommé Louis, car tout le monde y parle du grand Louis, c'ést a dire Louis quatorze« –

»Ich habe selbst mein Bischen Franzoesisch meistens wieder vergessen –«

»Mais j'ai oublié –«

»Wie wirst Du Deine Muttersprache denn vergessen haben!«

»En bien – so wollen ick sehn, ob werden nock sein en état –«

»Narr, sprich ordentlich, oder ich gebe Dir, so wahr ich lebe, Eins aufs Maul!«

»Nun, ich will sehn. Aber sagen Sie mir doch, mon eher pere, was das signifiziren sollte, mit meiner Braut? Voll Kienruß ueber und ueber wie ein ramoneur de cheminée. So was ist mir doch in meinem Leben nicht arrivirt. Daß sie hat badiniren wollen, kann ich mich nicht imaginiren, es waer eine zu schmutzige badinage, ein Spaß von mauvais gout.«

»Gedanken mache ich mir auch darueber, Ludwig!«

»C'ést drole, non, ce n'ést pas drole, c'ést fiche, vilain, degoutant, éxite l'horreur. Und sie wußte ja selbst nicht, wie sie aussah, es ist nicht zu capiren, wie das zugehen thut. Beinahe möcht' ich soupponniren, sie haette einem Liebhaber ein rendez-vous im Ofen gegeben –«

»Und ich denke wieder, sie hat zur Strafe im Kamin stecken muessen. Ein so großes Maedchen. Das mußte doch einen bedeutenden Grund haben. Und es koennte wohl sein, daß sie – wie die Maedchen sind – nun ich mag nichts weiter sagen –«

»Mais, mon pere, wer ist denn die Demoiselle mit dem habillement von couleur de feu? Sie ist scharmant, sehr scharmant, beinah wie eine Parisiénne, beinah, nicht totu a fait.«

»Es ist die Nichte der dicken Frau, und die hat schoenes Vermoegen. Aber komm in die Gesellschaft, und nicht luftig gethan, bei einer Hofdame oder einem Kammerherrn thu es! Und wie gesagt, sprich Deutsch!«

Sie gingen zurueck. Doris fanden sie nicht, die mußte sich noch mit ihrer Umwandlung beschaeftigen, Herr und Frau Goehl hatten sich von ihren Verrichtungen aber einen Augenblick losgemacht, um den kuenftigen Eidam zu begrueßen. Ersterer fuhr an der Thuere so zurueck, daß er dadurch weit wieder in die Putzstube kam, wie er Herrn Sueßmilch junior ansichtig ward, der eben mit seinem Vater von der andern Seite eintrat. Dennoch schritt er von neuen vorwärts, und seine Gattin, ihm mit einer gewissen Scheu ueber die Schultern sehend, schlug die Haende zusammen. »Monsieur, mon beau pere«, hob das junge Maennchen schon wieder an – »Deutsch«, rief ihm der Vater aber sogleich darein, »Deutsch« – und es hieß nun: »Mein Herr, mein kuenftiger Herr Schwiegerpapa, permittiren Sie, daß ich Ihnen embrassire!«

Er schloß ihn auch so heftig in die Arme, daß Herr Goehl laut aufschrie. »Gott behuete und bewahre«, rief Frau Goehl. »Druecken Sie meinen Alten nur nicht gar todt, Musjeh Sueßmilch!«

»Nun, nun«, sagte der Vater, »so ein junger Mensch hat Lebhaftigkeit, und – und – von Paris koemmt das auch – allons, Herr Sohn, Madame Goehl die Hand gekueßt.«

Es sollte geschehn, die bereits ergriffene Hand ward jedoch auf den Ruecken gezogen. Nie hatte Frau Goehl diese Hoeflichkeitsform geduldet, sie war indeß ihr auch nicht angeboten worden. Doch versuchte sie, gute Miene zu dem Spiel zu machen, wie es sich darbot, und rief mit erzwungnem Laecheln: »Aber seht nur einmal! Ist nicht Musjeh Sueßmilch wie aus dem Ei geschaelt? Und so roth, wie ein Borstorfer Apfel.«

Es war noch hergebracht, einen jungen Mann, so lange er unverheirathet blieb oder kein eignes Berufsgeschaeft angefangen hatte, statt Herr Musjeh zu nennen. Woher das Wort stammte, ergab sein Klang, Deutsch war mithin der Gebrauch nicht.

Der junge Sueßmilch rief: »Bien obligé, Madame! Und ich finde, auf Seele und Seligkeit, daß Sie sich sehr conserviert haben. Ich wette, Sie sind viel aelter, wie Sie aussehn. Mais les graces ne vielleissent pas.«

Frau Goehl war mit dem Verstaendlichen und ihr Unverstaendlichen in dieser Rede wenig zufrieden. Das Letzte jedoch nur beachtend, murmelte sie vor sich: »Was? Will Gras essen?«

Es wurde nicht gehoert, denn laut rief der alte Sueßmilch dazwischen: »Kann ich ihn wohl dahin bringen, daß er die franzoesischen Brocken, die verwuenschten, nicht einmengt?«

Frau Goehl machte sich aber los, indem sie die Gesellschaft bat, die Zeit sich nicht lang werden zu lassen, nicht unguetig zu nehmen, daß ihr Mann und sie noch etwas abzuthun haetten.

Sie ging auch mit ihm hinaus. Sein Punsch war noch nicht voellig bereitet, und Katharine hatte zwar Speisen aus der Garkueche gebracht, sie waren indeß kalt, mußten von neuen gewaermt werden. Feuer brannte schon auf dem Heerd, des Punsches willen, die Speisen konnte die Magd wohl darauf stellen, und Herr Goehl seine Fabrikation in der Putzstube vollenden. Frau Goehl trug deshalb Terrine, Citronen und das Uebrige dahin, auf ihren Wink folgte der Mann. Sie hatte das Herz geruettelt voll, mußte mit ihm reden. Noch schwieg sie aber, wie er schon – leise, damit Niemand im Wohngemach es hoeren sollte – anhob: »Siehst Du, ich hab es mir vorgestellt, daß er so von Paris kommen wuerde. Wo las ich doch? – Warte – es heißt: ›Ich komme jetzt aus fremden Laendern, wo sich die Moden immer aendern, wo Tag und Nacht der Wind regiert, der hat mich auch hieher gefuehrt‹.«

»Das steht im kleinen Kalender von diesem Jahr.«

»Und in Kupfer ist ein Haasenfuß dabei gestochen, der sieht grade so aus wie der kuenftige Schwiegersohn.«

»Solche Weste! Eine Suende und Schande!«

»Wenn das so fortgeht, schneiden sie am Ende noch die Schoeße ganz ab.«

»Nun, da mueßte doch Feuer vom Himmel regnen!«

»Und ich glaube, so wahr ich ehrlich bin, er hat sich geschminkt!«

»Was? Goehl! Ne, das ist nicht wahr! Ein halb Schock Pflaster hab ich wohl im Gesicht gesehn, aber keine Schminke. Er wird noch roth von der Luft sein, koemmt von der Reise.«

»Na, ich will nicht grade streiten, haette aber geschworen –«

»Das abscheuliche Laster wird er doch nicht auch an sich haben? Die Schoenflecke ließ ich mir noch gefallen, wenn es nur nicht so viel waeren, aber Schminke, Schminke!«

»Mit welch Verdruß sind wir Heute schon heimgesucht!«

»Freilich! Mit dem Luederlichen Sohn.«

»Der Waescheverbringer! Die gottlose Tochter.«

»Die muß auch pechschwarz in die reputirliche Gesellschaft gehn.«

»Nun koemmt der Braeutigam und sieht einem Hanswurst aehnlicher wie einem Menschen!«

Nun kam jedoch Ludwigs Vater. »Kinderchen«, hob er freundlich an, »Ihr seid doch nicht boese auf meinen Sohn? Wir sind auch jung gewesen, und da soll man der Jugend etwas zu gute halten. Wie ich vor vierzig Jahren aus Paris kam, sagten die Berliner auch, ich waer ein Narr geworden, und es konnte wohl moeglich sein. Aber es giebt sich wieder, sobald man Geschaefte und Sorgen hat, zumal Frau und Kinder. Und was uns nicht gefaellt, das sehen Andre doch gern. Ich aergere mich auf der einen Seite, und auf der andern freu ich mich. So kann er auf die Lieferung von Seidenwaaren am Ersten hoffen. Und da wirds Euch doch lieb sein, wenn die Tochter einen Mann hat, der bessere Geschaefte macht wie irgend eine Handlung in der Stadt. Was?«

»Da habt Ihr auch nicht unrecht«, sagte Herr Goehl wieder vertraulich, »nur – nur –«

»Ihr wollt sagen: Bei Leuten, die so was nicht leiden koennen, muß er sich nicht so betragen. Nun, dahin wird man ihn schon bringen, denn folgsam ist er sonst, und ein gutes Herz hat er –«

Frau Goehl mengte sich ein: »Das Herz ist freilich das Beste am Menschen, ins Herz sieht der Himmel.«

Herr Sueßmilch fing wieder an: »Wenn er sich erst bei vornehmen Leuten eingeschmeichelt hat, was Einem, der wie ein franzoesischer Marquis aussieht, leicht ist, kann er wohl Eure Tuchhandlung noch mehr emporbringen, Freund!«

Herr Goehl entgegnete seufzend: »Ach, wenn das anginge! Der Lebrecht hat in Halle so viel gekostet, daß mir die Haare zu Berge stehn, wenn ich daran denke! Seht nur –«

»Nichts will ich mehr von ihm hoeren«, fiel ihm Frau Goehl ins Wort, »Du weißt warum!«

Herr Sueßmilch rief: »Das wird sich wohl finden, Mamachen! Auf die Universitaet haette ich ihn aber nicht gehn lassen. Ich denke immer: Was hab ich von einem Titel? Ich haette den Titel Kommerzienrath lange schon haben koennen, denn es fehlt mir nicht an Bekanntschaften in den Departements, aber wozu? Das Patent haette mir nur Geld gekostet –«

Schnell fiel Jene ein: »Mein Himmel, das hab ich ja noch gar nicht gewußt! Kaufleute haben zuweilen auch einen Titel? Und einen so vornehmen? Hoere, Goehl, wenn Du Herr Kommerzinrath werden koenntest, Du mueßtest mir es werden, und sollt es baare Hundert Thaler kosten.«

Herr Sueßmilch sagte: »Das waere so unmoeglich nicht. Ihr lieber Mann hat Geschaefte ins Ausland gemacht, kann nachweisen, Geld aus der Fremde herein gezogen zu haben. Hm, ich will doch mit einem Departementsrath sprechen, den ich kenne. Er ist Rath und weiß auch Rath. Was meinen Sie, Mamachen, wenn ich der Frau Kommerzienraethin gratulirte –«

Mit einem stolzen Laecheln entgegnete Mamachen: »O – glauben Sie nur nicht, daß ich auf so was stolz sein wuerde! Nein, so bin ich nicht.«

»Mein Ludwig«, fing Jener wieder an, »soll sich darum auch bemuehn, wie er mein Compagnon sein wird. Denn hat man Geschaefte bei Hofe –«

»Mein Himmel«, unterbrach ihn Frau Goehl, »da waer ja die Tochter Frau Kommerzienraethin, und die Mutter nicht. Es schickte sich doch wohl nun und nimmermehr, daß die Mutter weniger waere als ihr Kind.«

Sueßmilch versetzte laechelnd: »In diesem Falle mueßte freilich erst an das Schwiegermamachen gedacht werden. Aber ich will nur zurueck in die Gesellschaft. Es koemmt mir vor, als wenn mein Sohn etwas laut wuerde.«

Er ging und ließ das Goehlsche Ehepaar ziemlich mit dem versoehnt zurueck, was ihm an dem Heimgekehrten so mißfallen hatte. Die Aussicht, durch ihn vielleicht seine Handelsgeschaefte erweitert zu sehn, hatte fuer den kaufmaennischen Sinn des eines Theils viel zu Beherzigendes, und dem andern klang in dem Titel Frau Kommerzienraethin eine ganz neue Saite an, zeither im Gebiet der Wuensche noch nicht vernommen. Frau Goehl sah nun die ganze Verbindung mit dem Sueßmilchschen Hause in einem angenehmeren Licht und trieb Katharinen eben so froehlich zu dem, was noch in der Kueche Noth that, als ihr Mann die letzte Hand an seinen Punsch legte.


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