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Katharina II. von Rußland

Katharina II. von Rußland
Bildquelle: de.wikipedia.org

Voltaires Briefwechsel mit Katharina II.

1763–1778

Katharina II., Tochter des Fürsten August von Anhalt-Zerbst, wurde geboren 1729 in Stettin, wo ihr Vater preußischer Statthalter war, und 1745 mit Großfürst Peter, Neffen und Nachfolger der Kaiserin Elisabeth, vermählt; sie stürzte ihren unbedeutenden und rohen Gemahl, Zar Peter III., 1762, begann mit freisinnigen Reformen, denen seit 1769 eine Eroberungspolitik in den Balkanländern und Polen folgte, und starb 1796, achtzehn Jahre nach Voltaire. – Ihre Liebesverhältnisse mit Soltikow, Poniatowski, Orloff, Potemkin sind bekannt. – Welchen Anteil sie an dem Ende Peters III. gehabt hat, läßt sich nicht genau feststellen.

 

Voltaires Urteil über Katharina II. »Sur les panégyriques«.

... Wenn Peter der Große der wahre Begründer ihres Reiches war, wenn er Soldaten und Matrosen, wenn er gewissermaßen die Menschen schuf, so kann man sagen, daß Katharina II. sie beseelt hat. An ihrem Hof führte sie die schönen Künste und den Geschmack ein, diese sicheren Anzeichen der Blüte eines Reiches; sie gab ihnen Dauer auf der Grundlage der Gesetze. Sie ist der einzige Monarch der Welt, der Gelehrte aus allen Städten Europens und Asiens versammelte, damit sie mit ihr ein universelles und einheitliches Gesetzbuch herstellten. Justinian betraute nur einige Juristen mit der Aufgabe, ein Gesetzbuch zu schreiben; sie vertraut dem Volke selbst dieses große Interesse der Nation an, da sie sich mit ebensoviel Größe wie Billigkeit sagt, daß man den Menschen nur die Gesetze geben soll, die sie selbst wünschen, und weil sie voraussieht, daß die Menschen ihr eigenes Werk stets mit Verehrung umgeben werden.

In diesem Gesetzbuch ruft sie die Menschen zu jenem Mitleid, jener Menschlichkeit zurück, welche die Natur lehrt, die Tyrannei aber erstickt, schafft sie die grausam ausgeklügelten Strafen ab, die den Vergehen so gar nicht angepaßt sind, macht sie die Strafen der Schuldigen der Gesellschaft nutzbar, verbietet sie den entsetzlichen Gebrauch der Folter ... Unumschränkte Herrscherin, beklagt sie doch die Sklaverei, die sie verabscheut. Ihr Scharfsinn zeigt ihr mühelos, wie sehr diese Knechtschaft, die einst vom Norden her einen so großen Teil der Erde beherrschte, den Menschen herunterdrückt, in welchem Elend ein Volk sich hinschleppt, wenn der Ackerbau einzig von Sklaven betrieben wird ...

Sie hat erkannt, daß die große Menge, die nie für sich selbst arbeitet, sondern sich dazu geboren wähnt, der kleinen Minderzahl zu dienen, sich aus diesem Abgrund nur aufraffen kann, wenn man ihr eine hilfreiche Hand bietet. Tausend Begabungen kommen sonst ungenutzt um, keine Kunst kann gepflegt werden, eine Riesenmenge ist sich und ihren Herren gleich unnütz. Die oberen Stände, von stumpfen Sklaven schlecht bedient, sind selber Sklaven der allgemeinen Unwissenheit. Inmitten ihrer Üppigkeit – kein Trost des Lebens, kein Beistand! So waren einst die Frankenkönige und all die rohen Lehnsträger ihrer Krone ... Katharinens Seele faßte den Plan, auf einem Gebiet von mehr als 1 000 000 unsrer großen Quadratmeilen die Befreierin des Menschengeschlechts zu sein. Sie beginnt diese große Aufgabe nicht mit Zwang, sondern nur mit Vernunft. Sie fordert den hohen Adel ihres Landes auf, noch höher zu steigen, indem er über freie Menschen herrscht; sie gibt das Beispiel, indem sie die Leibeigenen ihrer Domänen freigibt; sie entreißt 500 000 Hörige der Kirche, die sie durch eine Entschädigung zu versöhnen weiß. Sie macht die Kirche achtenswert, indem sie, in dem Angesicht der ganzen Welt, sie von dem Vorwurf reinigt, die zu unterjochen, die sie belehren und trösten sollte In einem Absatz vorher hat Voltaire auch von den »hochsinnigen Unterstützungen« gesprochen, mit denen Katharina II. »die Unschuld der Calas und Sirven geehrt« hat. Die Kaiserin von Rußland trug freigebig zu den großen Kosten jener Prozesse bei. ...

 

459. Katharina II. an Voltaire.

1763.

Ich habe eine Todsünde begangen, als ich den Brief durch den Riesen So nennt sie einen Genfer von ungewöhnlicher Größe, Mr. Pictet, der ihr bei seinem Aufenthalt in Petersburg einen Brief Voltaires übergab. empfing: ich ließ einen Haufen Bittschriften liegen, verzögerte das Glück mehrerer Menschen, so ungeduldig war ich, ihn zu lesen. Und ich empfinde nicht einmal Reue darüber. In meinem Reiche gibt es keine Kasuisten, und bisher habe ich das nicht bedauert. Da ich aber fühle, wie nötig es ist, mich zur Pflicht zurückzurufen, habe ich kein besseres Mittel gefunden, als dem Wirbel, der mich fortreißt, zu gehorchen, die Feder zu ergreifen und Herrn von Voltaire sehr ernstlich zu bitten, mich nicht weiter zu loben, als ich es verdient habe. Sein und mein Ruf haben das gleiche Interesse daran. Nun wird er sagen, daß es ja nur von mir abhängt, mich seines Lobes würdig zu erweisen. In Wirklichkeit ist in diesem unermeßlichen Rußland ein Jahr nur wie ein Tag, so wie tausend Jahre vor dem Herrn. Das sei meine Entschuldigung, wenn ich noch nicht all das Gute getan habe, das ich hätte tun sollen ...

Zum erstenmal in meinem Leben bedauere ich heute, keine Verse zu machen. Ich kann auf die Ihren nur in Prosa antworten, darf Ihnen aber versichern, daß ich seit 1746 Das Jahr nach Katharinas Heirat., seit ich selbst über meine Zeit verfüge, mich Ihnen gegenüber sehr verpflichtet fühle. Vor jener Zeit las ich nur Romane; da kamen mir durch Zufall Ihre Werke in die Hand; seitdem habe ich sie ohne Unterlaß studiert und keine andern Bücher gewollt, die nicht ebenso gut geschrieben und ebenso nützlich waren. Wo sie aber finden? Ich kehrte daher immer wieder zu dem zurück, der meinen Geschmack geweckt hatte und meine liebste Zerstreuung war. Glauben Sie, mein Herr, wenn ich einige Kenntnisse besitze, so verdanke ich das Ihnen allein ...

11./22. August 1765.

460. ... Meine Devise ist eine Biene, die von Blume zu Blume fliegend, den Honig für ihren Bienenstock sammelt, mit der Unterschrift: Das Nützliche ...

... P. S. Kapuziner, die in Moskau geduldet wurden, denn die Duldung ist in diesem Reiche allgemein (nur die Jesuiten sind ausgeschlossen), Kapuziner hatten sich diesen Winter hartnäckig geweigert, einen plötzlich verstorbenen Franzosen zu begraben, unter dem Vorwand, er habe die Sakramente nicht empfangen. Abraham Chaumeix Ein Pariser, der die Enzyklopädisten denunziert hatte und dann nach Rußland gegangen war. schrieb ein Faktum gegen sie, um zu beweisen, daß sie einen Toten begraben müßten. Weder dieses Faktum noch zwei Aufforderungen der Regierung konnten die Patres zum Gehorsam bewegen. Zuletzt ließ man ihnen die Wahl, das Land zu verlassen oder den Franzosen zu begraben. Sie zogen ab, und ich schickte von hier (Petersburg) fügsamere Augustinermönche hin, die, da sie sahen, die Regierung ließe nicht mit sich spaßen, alles taten, was man verlangte. So ist Abraham Chaumeix denn in Rußland vernünftig geworden, er bekämpft den Fanatismus ...

 

461. Voltaire an Katharina II.

1765.

... Sie wirken Wunder, Madame, Sie machen Abraham Chaumeix tolerant ... freilich, was die Kapuziner betrifft, so hat Ew. Majestät wohl gefühlt, daß es nicht in Ihrer Kraft steht, sie zu Menschen zu machen, seit der heilige Franziskus sie zu Tieren gemacht hat ...

Ich bin älter, Madame, als die Stadt, die Sie beherrschen und verschönern. Ich wage hinzuzusetzen, daß ich sogar älter bin als Ihr Reich, wenn man seine Neubegründung von Peter dem Großen an rechnet Stimmt nicht ganz, da Peter der Große 1689 Alleinherrscher, Voltaire aber erst 1694 geboren wurde., dessen Werk Sie vervollkommnen. Trotzdem fühle ich, daß ich mir die Freiheit nehmen würde, der bewundernswerten Biene, die einen so ausgedehnten Bienenstock regiert, meine Huldigung darzubringen, wenn die Leiden, die mich plagen, mir armen Hummel gestatteten, meine Zelle zu verlassen ... Ich würde mich von dem Grafen Schuwaloff und seiner Gemahlin vorstellen lassen, die als Gäste in meiner kleinen Einsiedelei zu beherbergen (Ferney), ich soeben die Ehre hatte. Ew. Kaiserliche Majestät ist der Gegenstand unsrer Unterhaltung gewesen, und niemals habe ich lebhafter bedauert, nicht reisen zu können.

Darf ich sagen, Madame, daß ich ein wenig böse darüber bin, daß Sie Katharina heißen: die Heldinnen des Altertums trugen keine Heiligennamen: Homer, Virgil wären mit diesen Namen recht in Verlegenheit geraten. Sie waren nicht für den Kalender gemacht.

Aber – sei es nun Juno, Minerva, Venus oder Ceres – die sich auf der ganzen Welt besser der Poesie anbequemen – ich lege mich mit Dankbarkeit und tiefster Verehrung Ew. Kaiserlichen Majestät zu Füßen.

 

462. An Voltaire.

Petersburg, 17./28. November 1765.

... Da ich keinen Anspruch darauf zu haben glaube, besungen zu werden, will ich meinen Namen nicht gegen den der neidischen und eifersüchtigen Juno vertauschen; ich habe auch nicht Anmaßung genug, mich Minerva zu nennen; der Venus Namen mag ich nicht – die schöne Dame hat gar zu viel auf dem Kerbholz. Ich bin auch nicht Ceres, denn die Ernte in Rußland ist dieses Jahr sehr schlecht gewesen. Mein eigner Name läßt mich wenigstens auf den Beistand meiner Schutzpatronin, da wo sie ist, hoffen, und alles in allem ist er, glaube ich, der richtige für mich ...

Petersburg, 29. Juni/9. Juli 1766.

463. ... Die Wohltaten, die einige hundert Meilen von hier geschehen und die zu erwähnen es Ihnen gefällt, kommen mir nicht zu: was die Calas (an Geld) erhielten, verdanken sie ihren Freunden; Mr. Diderot verdankt den Verkauf seiner Bibliothek seinen Freunden Diderot, der kein Geld in Händen halten konnte, mußte, um seine Tochter auszustatten, seine Bibliothek verkaufen. Katharina II. erstand sie für 15 000 Fr., ließ sie ihm und fügte 50 000 Fr. als sein Bibliothekargehalt für 50 Jahre hinzu.; Ihnen aber verdanken die Calas und Sirven alles. – Dem Nächsten etwas von seinem großen Überfluß zu geben, ist nichts. Wohl aber heißt es, sich unsterblich machen, wenn man der Fürsprecher des Menschengeschlechts ist und die unterdrückte Unschuld verteidigt. Diese beiden Fälle gewinnen Ihnen eine Verehrung, wie sie solchen Wundern gebührt. Sie haben die vereinigten Feinde der Menschheit bekämpft: Aberglauben, Fanatismus, Unwissenheit, Rechtsverdrehung, die schlechten Richter, und was die einen und die andern von Macht haben Die Kaiserin schreibt als geborene Deutsche nicht in ihrer Muttersprache, und hier und da ist der Stil teils nicht ganz korrekt, teils nicht ganz klar.. Vieler Kräfte und Fähigkeiten bedarf es, um solche Hindernisse zu überwinden. Sie haben deren Besitz bewiesen, indem Sie siegten.

 

464. An die Kaiserin.

Ferney, 27. Februar 1767.

... Ich sage stets, Madame, daß es eine Zeit geben wird, in der alles Licht vom Norden kommt: Ew. Majestät mögen widersprechen, ich habe Sie zum Stern gemacht Voltaire hat sie den Nordstern (étoile du Nord) genannt., und Stern werden Sie bleiben. Die cimmrischen Schatten werden sich auf Spanien Als Land der Inquisition und Bigotterie. beschränken und sich zuletzt auch da zerstreuen ... Sie tun alles Gute, das in Ihren Kräften steht, nach außen wie nach innen. Die Weisen werden Sie bei Ihren Lebzeiten verherrlichen; leben Sie aber lange, Madame, das ist hundertmal mehr wert als alle Vergötterung. Wollen Sie Wunder tun, so versuchen Sie einzig, Ihr Klima ein wenig milder zu machen.

 

465. An Voltaire.

Kasan, 18./29. Mai 1767.

... Da bin ich in Asien; ich habe mir das mit eigenen Augen ansehen wollen. Diese Stadt beherbergt 20 verschiedene Völker, die sich in nichts gleichen. Und doch muß man ein Kleid zusammenschneidern, das allen paßt. Die allgemeinen Grundsätze schicken sich wohl für alle, aber die Einzelheiten? Und welche Einzelheiten! Ich war im Begriff zu schreiben, daß hier eine Welt zu schaffen ist, zu einigen, zu erhalten. Ich werde damit nie zu Ende kommen, auf alle Fälle ist die Aufgabe in jeder Hinsicht überwältigend.

 

466. An die Kaiserin.

Ferney, 27. Mai 1769.

... Gestatten Sie mir, ohne zu große Vermessenheit zu sagen, daß ich in allen Punkten, in denen Ihre Regierung sich auszeichnet, wie Sie gedacht habe, und all diese Dinge wie Ereignisse betrachte, die mir in gewissem Sinne persönlich geworden sind.

 

467. An Voltaire.

Petersburg, 3./14. Juli 1769.

... Unsere Gesetzgebung schreitet fort, die Arbeit geht langsam vorwärts. Das Gesetzgeben ist augenblicklich in zweite Linie getreten Katharina II. hatte ihre Eroberungspolitik gegen Türkei und Polen begonnen., doch wird das der Sache nicht schaden. Diese Gesetze werden tolerant sein, bei uns soll weder verfolgt noch getötet, noch verbrannt werden. Gott behüte uns vor einer Geschichte wie der des Chevalier la Barre Der wegen Beschmutzung eines Kreuzes hingerichtet und verbrannt wurde.. Richter, die ein ähnliches Verfahren einzuschlagen wagten, würde man (bei uns) in die Narrenhäuser stecken ...

Petersburg, 4./15. August.

468. ... Es tut mir sehr leid, daß Ihre Gesundheit meinen Wünschen nicht entspricht; wenn der Erfolg meiner Waffen zu Ihrer Genesung beitragen kann, will ich nicht verfehlen, Ihnen alles, was Gutes passiert, mitzuteilen. Bisher habe ich, Gott sei Dank, nur günstige Nachrichten. Von allen Seiten wird alles, was sich an Türken und Tataren zeigt, ordentlich gebürstet heimgeschickt; vor allem aber die polnischen Aufrührer. In kurzem hoffe ich von etwas Entscheidenderem zu hören als Scharmützeln zwischen leichten Truppen. Ich bin mit besonderer Hochachtung usw.

Katharina.

 

469. An die Kaiserin.

Ferney, 10. März 1770.

Madame, ich hätte früher die Ehre gehabt, Ew. Kaiserlichen Majestät zu danken, wäre ich nicht bedenklich krank gewesen. Ich besitze nicht die Kräfte Ihrer Untertanen; weit davon. Vor allem schmeichle ich mir damit, daß Sie die Kraft haben werden, die Türken ordentlich zu schlagen ...

Der König von Preußen hat mir soeben fünfzig sehr hübsche französische Verse geschickt; lieber wäre mir's, er schickte Ihnen 50 000 Mann, um eine Ablenkung zu bewerkstelligen, und damit Sie beide mit vereinten Kräften über Mustapha (Sultan Mustapha II.) herfielen. Die Zeitungen behaupten sämtlich, daß dieses dicke Schwein sich an die Spitze von 300 000 Mann stellen wird. Ich glaube, von dieser Rechnung wird man etwas abziehen müssen. 300 000 Mann mit allem, was an Bedienung und Nahrung für eine solche Armee nötig ist, würden etwa 500 000 Köpfe bedeuten. Das war gut zur Zeit des Cyrus und der Tomyris Szythenkönigin, die Cyrus schlug und tötete. und als König Salomon 40 000 Kriegswagen hatte, dazu 2 bis drei Milliarden barer Silberrubel, von seinen Flotten in Ophir ganz zu schweigen ...

 

470. An Voltaire.

Petersburg, 20./31. März 1770.

... Sie bitten mich, mein Herr, ohne Aufenthalt den Krieg und die Gesetze zu beendigen, damit Sie die Nachricht davon Peter dem Großen in der andern Welt bringen können: gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, daß dieses nicht die richtige Art ist, mich zu raschem Abschluß zu ermuntern. Ich bitte Sie, meinerseits, sehr eindringlich, diese Abreise so lang wie möglich aufzuschieben. Betrüben Sie doch Ihre Freunde in dieser Welt nicht denen zuliebe, die in der andern sind. Wenn da oben oder da unten jeder sich die Zeit nach eigener Wahl vertreiben und die ihm passende Gesellschaft wählen darf, werde ich mit einem ganz fertigen und nach meinen Wünschen eingerichteten Lebensplan dort ankommen. Ich hoffe im voraus, daß Sie mir täglich einige Stunden Unterhaltung gewähren werden: Heinrich IV. wird zu uns gehören und Sulli – nicht aber Mustapha.

 

471. An die Kaiserin.

Ferney, 11. August 1770.

Madame, jeder Brief, mit dem Ew. Majestät mich beehren, heilt mich von dem Fieber, das die Pariser Nachrichten mir erregen. Man behauptete, Ihre Truppen hätten überall schwere Niederlagen erlitten, hätten die Moldau und die Walachei geräumt; die Pest sei in Ihrem Heere ausgebrochen, kurz alle erdenklichen Unglücksfälle hätten den Erfolg abgelöst: Ew Majestät ist nun mein Arzt und gibt mir meine volle Gesundheit wieder. Ich werde nicht verfehlen, diese Neuigkeiten sofort weiterzugeben, so mache ich denen lange Gesichter, die mein Gesicht verdüstert hatten Die Kaiserin schrieb Voltaire die genauesten Einzelheiten über all ihre Feldzüge..

 

472. An Voltaire.

18./29. August 1770.

Mein Herr, auf die Gefahr hin, Sie zu oft zu belästigen, muß ich Ihnen mitteilen, daß ich gestern die Nachricht erhielt, Generalmajor Graf Tottleben habe den Türken die beiden, jenseits des Kaukasus gelegenen Forts Scheripan und Bagdat entrissen Die Kaiserin wußte sehr wohl, daß Voltaire das Sprachrohr Europas war. ... Ich empfehle mich Ihrer Freundschaft und Ihren Fürbitten; niemand kann deren mehr bedürfen als Ihre Favorite Ist hier unübersetzbar..

Katharina

 

473. An die Kaiserin.

Ferney, 6. November 1770.

... Was mir unsäglich leid tut, ist, daß Ihre Truppen noch nicht in Andrinopel siegreich eingezogen sind. Ew. Majestät wird sagen, daß ich ein gar stürmischer Greis bin, den nichts befriedigen kann, daß Sie vergebens, um mir Vergnügen zu machen, Mustapha alle Tage schlagen, und daß ich erst Ruhe haben werde, wenn ich Sie am Euphrat weiß – Nun wohl, Madame, das ist wahr. Mesopotamien ist ein herrliches Land, man kann sich dort in der Sänfte tragen lassen, was im November in Petersburg nicht möglich ist. Se. Kgl. Hoheit, der Prinz Heinrich ist dort. – Freilich, der ist aber auch ein Held, wennschon kein Riese. Und er verdient es, die Heldin des Nordens zu sehen, denn er ist ebenso liebenswürdig wie bedeutend als Heerführer Vgl. den Briefwechsel mit Friedrich dem Großen, auf Seite 221. Heinrich von Preußen, geb. 1726, befehligte im Siebenjährigen Kriege seit 1758 die zweite Armee, drang in Böhmen ein, entsetzte Breslau, siegte 1762 bei Freiberg und besetzte 1778 im bayrischen Erbfolgekriege Sachsen, Voltaire hatte ihn in Berlin kennen gelernt..

Ferney, 22. Dezember 1770.

 

474.

... Ich erlaube mir, Ihnen von einer in Ferney gegründeten Uhrenfabrik zu schreiben und sie Ew. Majestät zur Verfügung zu stellen, falls Sie nach Friedenschluß Mustapha die Gnade erweisen wollen, ihm eine Uhr mit Ihrem Bildnis zu schicken. Er kann davor zittern und davon doch gleichzeitig gerührt sein. Mit einem Wort, meine Uhrenfabrik steht Ihnen zu Diensten; wäre ich jung, ich begäbe mich damit selbst nach Saratow Wo Katharina auf Reisen war. ...

 

475. An Voltaire.

Petersburg, 12./23. Januar 1771

... Was die Ferneyer Fabrik betrifft, so habe ich Sie schon gebeten, uns Uhren aller Sorten für ein paar tausend Rubel zu schicken: ich nehme sie alle.

Petersburg, 3./14. März 1771.

 

476.

Mein Herr, bei der Lektüre Ihrer »Questions sur l'Encyclopédie« Eins der Werke, aus dem sich heute das »Dictionnaire Philosophique« zusammensetzt., wiederholte ich zum tausendstenmal, daß vor Ihnen niemand so geschrieben hat, wie Sie schreiben, und daß es sehr zweifelhaft ist, ob man Sie später erreichen wird ... Ihre Verse, Ihre Prosa werden nie übertroffen werden, ich betrachte sie als das Nonplusultra der französischen Literatur und halte mich daran. Hat man Sie gelesen, so kann man Sie nur wieder lesen, alle andere Lektüre aber erscheint fade.

 

477. An die Kaiserin.

Ferney, 30. April 1771.

... Indessen arbeitet meine Kolonie und benutzt die Großmut Ew. Majestät. In etwa acht Tagen werden drei, vier kleine Kisten mit Uhren im Werte von 8–80 Louisdor abgehen 160–1600 Fr.. Darunter sind einige mit Diamanten und Ihrem Bildnis, von einem ausgezeichneten Maler gemalt. Sämtliche Uhren sind gut und richtig reguliert. Man arbeitet mit all dem Eifer, den man Ihrem Dienste schuldet, und alle Preise sind um ein Drittel niedriger als in England; trotzdem hat man aber an nichts gespart.

 

478. An Voltaire.

22. Juli/2. August 1771.

... Schelten Sie Ihre Kolonisten nicht, mir zu viel Uhren geschickt zu haben Für 7–8000 Fr. statt für 3–4000.. Diese Ausgabe wird mich nicht ruinieren. Es wäre schlimm, wenn ich nicht rechtzeitig über solche kleinen Summen verfügen könnte; beurteilen Sie, bitte, meine Finanzen nicht nach denen der andern ruinierten Staaten Europas. Sie täten mir unrecht. Obgleich wir seit drei Jahren Krieg haben, gehen die Bauten und alles übrige wie in Friedenszeiten fort. Seit zwei Jahren ist keine neue Steuer aufgelegt worden ... Nehmen wir noch ein oder zwei Caffa, so ist der Krieg bezahlt.

Petersburg, 6./17. Oktober 1771.

 

479.

Mein Herr, ich kann Ihnen eine kleine Ergänzung zu dem Artikel Fanatismus liefern, der nicht übel zu dem Artikel Widersprüche passen wird, den ich mit viel Vergnügen in den »Questions sur l'Encyclopédie« gelesen habe. Es handelt sich dabei um folgendes Die Kaiserin war also gewissermaßen Voltaires Mitarbeiterin. ...

30. Januar/10. Februar 1772.

 

480.

... Sie, dem nichts entgeht, wissen, daß 500 junge Mädchen hier in einem Hause, das früher für 300 Bräute Christi bestimmt war, erzogen werden Diese Institute waren der erste Anfang der höheren Mädchenschulbildung in Rußland und für die Zeit ein bedeutender Fortschritt. Später wurde die »Institutka« freilich ebenso verlacht wie unsere »höhere Tochter«. Vgl. den Brief Voltaires an d'Argental vom 23. 9. 1765, auf Seite 116. Die jungen Mädchen machen erstaunliche Fortschritte. ... Seit zwei Wintern läßt man sie Trauer- und Lustspiele aufführen ... Ich gestehe, daß die Auswahl passender Stücke aber sehr klein ist ... In den französischen Stücken, sagt man, ist zu viel Liebe ... Andere schreiben lassen, ist unmöglich ... Was tun? Ich weiß es nicht und wende mich an Sie ... Niemand kann mir besser raten; ich bitte, helfen Sie mir.

 

481. An die Kaiserin.

Ferney, 12. März 1772.

... Man könnte, denke ich, die für junge Herzen gefährlichsten Stellen aus den gewählten Stücken streichen, das wären im »Misanthrope« vielleicht 20 und im »Avare« vielleicht 40 Verse ... Wenn Ew. Majestät der Ansicht ist, daß man ein Theater unsrer besten Autoren für die Erziehung in Ihrem Saint-Cyr zusammenstellen könnte, so will ich von Paris Trauer- und Lustspiele in losen Bogen kommen und sie mit weißen Blättern binden lassen, auf die ich die nötigen Änderungen schreiben werde, um der Tugend Ihrer jungen Mädchen nicht zu nahe zu treten.

 

482. An Voltaire.

23. März/3. April 1772.

... Ich weiß nicht, ob dieses Mädchenbataillon, wie Sie es nennen, Amazonen hervorbringen wird Anspielung Voltaires in einem frühem Brief.. Jedenfalls sind wir weit davon entfernt, Nonnen aus ihnen zu machen und sie der Bleichsucht in die Arme zu treiben, wie in Saint-Cyr, wo sie des Nachts in der Kirche plärren müssen (brailler à l'Eglise). Wir erziehen sie im Gegenteil dazu, das Glück der Familie zu machen, der sie angehören werden; wir wollen sie weder prüde noch gefallsüchtig machen, wohl aber liebenswürdig und imstande, ihre Kinder zu erziehen und ihr Haus zu versorgen ...

Den Brief Ihrer Uhrmacher habe ich bekommen, und hier schicke ich Ihnen Nüßchen, die den Keim eines Baums enthalten, den man sibirische Zeder nennt. Sie können sie in die freie Erde pflanzen lassen, sie sind nichts weniger als zart. Brauchen Sie mehr als dieses Paket, so schicke ich weitere.

 

483. An die Kaiserin.

29. Mai 1772.

... Ew. Majestät überhäufen mich mit Auszeichnungen. Ich werde die kleinen Bohnen säen, sobald die Jahreszeit es erlaubt. Diese Zedern werden vielleicht eines Tages die Genfer beschatten; jedenfalls werden unter ihrem Schatten keine Stelldichein sarmatischer Konföderierter stattfinden Anspielung auf die polnischen Wirren..

 

484. An Voltaire.

Peterhof, 25, Juni/6, Juli 1772.

Mein Herr, ich sehe mit Vergnügen aus Ihrem Brief vom 29. Mai, daß meine Zedernüßchen zu Ihnen gelangt sind: Sie werden sie in Ferney säen; ich habe das gleiche dieses Frühjahr in Zarskoje-Selo getan. Dieser Name wird Ihnen vielleicht etwas schwer auszusprechen sein; der Ort selbst jedoch scheint mir entzückend, weil ich dort pflanze und säe. Die Baronin von Thunder-ten-tronk Das westfälische Schloß, in dem Candide aufgewachsen war. hielt ihr Schloß ja auch für das schönste aller nur erdenklichen Schlösser. – Meine Zedern sind schon einen kleinen Finger hoch, und die Ihren? Ich habe augenblicklich eine närrische Vorliebe für englische Gärten, geschwungene Linien, sanfte Abhänge, Teiche in Seenform, Archipele von festem Land und verachte aufs tiefste gerade Linien und Doppelalleen. Ich hasse die Springbrunnen, die das Wasser foltern und ihm einen Lauf aufzwingen, der seiner Natur widerspricht. Die Bildsäulen sind in die Galerien und Vorzimmer verbannt, kurz, die Anglomanie herrscht in meiner Plantomanie vor. Inmitten dieser Beschäftigungen erwarte ich ruhig den Frieden ...

 

485. An die Kaiserin.

Ferney, 30. Dezember 1773.

Madame, der König von Preußen tut mir die Ehre, mir mitzuteilen, daß Ihre Armee am 10. Dezember die des Großveziers geschlagen hat ... Ich nehme an, daß ein König, wenn er Neuigkeiten mitteilt, sich niemals irrt; und in dieser Voraussetzung bin ich ebenso bereit, vor Freude zu sterben, wie ich im Begriff war, es vor Empfang dieser Nachricht aus Alter zu tun.

Tot oder lebendig, es ist recht schmerzlich, so weit von all den Großtaten Ihrer Regierung entfernt zu sein, und Mr. Diderot ist ein glücklicher Mann, der sein Glück aber verdient Diderot war in Petersburg bei der Kaiserin.. Was mich betrifft, so vergehe ich in der Verzweiflung, meine Heldin, die die der ganzen Welt sein wird, nicht gesehen und ihr meine ebenso tiefe wie unnütze Verehrung nicht persönlich ausgesprochen zu haben.

 

486. An Voltaire.

27. Dezember/7. Januar 1774.

... Ich weiß nicht, ob sie (Diderot und Grimm) sich in Petersburg langweilen, ich meinerseits könnte mich mein ganzes Leben lang mit ihnen unterhalten, ohne je überdrüssig zu werden. Ich finde, daß Diderot eine unerschöpfliche Einbildungskraft hat, und zähle ihn zu den außerordentlichsten Menschen, die es je gegeben hat.

 

487. An die Kaiserin.

9. August 1774.

Madame, ich bin wirklich an Ihrem Hof in Ungnade gefallen. Ew. Kaiserliche Majestät hat mich über Grimm oder Diderot oder irgend einem andern Günstling vergessen. Sie haben keine Rücksicht für mein Alter! Ja, wären Ew. Majestät noch eine französische Kokette. Wie kann aber eine siegreiche und gesetzgebende Kaiserin so flatterhaft sein?

 

488. An Voltaire.

13./24. August 1774.

Mein Herr, obgleich Sie sich scherzhaft darüber beklagen, an meinem Hof in Ungnade gefallen zu sein, versichere ich Ihnen, daß Sie es nicht sind. Ich habe Sie weder über Diderot, noch Grimm Diderot und Grimm hatten die Kaiserin i. J. 1773 besucht und längeren Aufenthalt bei ihr genommen. Sie hätte Diderot gern (gleich d'Alembert) dauernd an ihren Hof gefesselt; doch lehnten beide ab., noch sonst einem Günstling vergessen. Ich verehre Sie wie früher, und was man auch von mir sagen möge, ich bin weder flatterhaft noch unbeständig.

Der Marquis von Pugatscheff hat mir dieses Jahr zu raten aufgegeben Ein Räuber und Prätendent, der im Orenburger Bezirk auftrat. ...

 

489. An die Kaiserin.

Ferney, 5 Dezember 1777.

Madame, gestern erhielt ich das Pfand Ihrer Unsterblichkeit, das Gesetzbuch in deutscher Ausgabe, mit dem Ew. Kaiserliche Majestät mich zu beehren geruhen. Heute morgen schon habe ich die Übersetzung in die Sprache der Welschen beginnen lassen, es soll auch ins Chinesische übertragen werden und in alle andern Sprachen: es wird das Weltevangelium sein. Hatte ich nicht recht, vor 13 Jahren zu sagen, das Licht wurde vom Stern des Nordens kommen ...

Ich lege mich Ihnen zu Füßen und rufe bis in meinen Tod – Allah, allah, Katharina resoul, allah.

 


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