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Voltaires Briefe an verschiedene Personen

1713–1778

 

1. Voltaire an Olympe Dunoyer. Wir besitzen wenige Briefe des jugendlichen Voltaire. Die an Olympe Dunoyer gerichteten stammen aus der Konfliktzeit zwischen Vater und Sohn. Der alte Herr Arouet hatte den Poeten nach dem Haag schicken lassen, wo er dem französischen Gesandten, Herrn de Châteauneuf, nützlich sein sollte. Der Gesandte war der Bruder von Voltaires Paten, des Abbé de Châteauneuf – Im Haag verliebte sich Voltaire in Olympe Dunoyer, eine junge Protestantin, deren Mutter aus Frankreich geflohen war und sich durch literarische Produktionen aller Art, mit Vorliebe sensationelle Veröffentlichungen, zu ernähren suchte – Voltaire wollte Olympe, deren Vater Katholik war, diesem Milieu entreißen, ja dem Katholizismus wiedergeben. Der Plan zerschlug sich. Olympe heiratete später einen Herrn von Winterfeld. Voltaire bewahrte ihr ein treues Andenken.

Haag 1713.

Ich bin hier Gefangner im Namen des Königs; man kann mir wohl das Leben nehmen, nicht aber die Liebe, die ich für Sie hege. Ja, meine anbetungswürdige Herrin, heute abend sehe ich Sie, und sollte ich den Kopf aufs Schafott tragen. Um Gottes willen, sprechen Sie nicht in so verhängnisvollen Ausdrücken zu mir, wie Sie mir schreiben; Sie sollen leben und vorsichtig sein; hüten Sie sich vor Ihrer Frau Mutter wie vor Ihrem schlimmsten Feinde. Was sage ich? Hüten Sie sich vor jedermann, trauen Sie niemand; halten Sie sich fertig, sobald der Mond sichtbar wird; ich werde das Hotel inkognito verlassen, einen Wagen oder eine Chaise nehmen, wir werden wie der Wind nach Scheveningen fahren; ich werde Papier und Tinte mitbringen; wir werden unsere Briefe schreiben. Wenn Sie mich lieben, so trösten Sie sich, und rufen Sie all Ihre Kraft und Geistesgegenwart zusammen, lassen Sie sich von Ihrer Frau Mutter nichts anmerken, versuchen Sie, Ihr Bild zu haben, und rechnen Sie darauf, daß die Drohung der fürchterlichsten Qualen mich nicht verhindern wird, Ihnen zu dienen. Nein, nichts ist imstande, mich von Ihnen zu lösen: unsere Liebe ist auf Tugend gegründet und wird so lange dauern wie unser Leben ... Adieu, es gibt nichts, dem ich mich nicht für Sie aussetzte: Sie verdienen noch viel mehr. Adieu, mein liebes Herz.

Arouet Voltaire nennt sich zum ersten Male Arouet de Voltaire in der an die Herzogin von Orléans, Gattin des Regenten, gerichteten Widmung seines »Oedipus« (1718)..

An Bord einer Jacht Die nach Gent oder Antwerpen gehen sollte. Voltaire wurde wegen seiner Jugendstreiche nach Paris zurückgeschickt. Näheres über Voltaire und Olympe vgl. Schirmacher, der junge Voltaire und der junge Goethe. In der Festschrift für Heinrich Morf 1905. 19. Dezember 1713.

2. ... Ich habe in meinem kurzen Leben keine glücklicheren Augenblicke verbracht als die, in denen Sie mir schworen, meine zärtliche Neigung zu teilen. Erhalten Sie mir diese Gefühle, solange ich sie verdiene; Sie werden sie mir dann mein ganzes Leben erhalten. ... Adieu, meine liebe Herrin, ich achte Sie zu sehr, um Sie nicht immer zu lieben.

Arouet.

 

3. An die Marquise de Mimeure Madame de Mimeure war eine von Voltaires Gönnerinnen, die, gleich den Caumartin und Sully, den jungen Dichter zu sich einlud..

1715.

Ich habe, Madame, Ihr kleines Hündchen, Ihr kleines Kätzchen und Fräulein Aubert gesehen. Alles ist wohl, mit Ausnahme von Fräulein Aubert, die krank war und die, wenn sie nicht aufpaßt, für Fontainebleau keinen Busen mehr haben wird. Meiner Ansicht ist das das einzige, was ihr fehlt, und ich wünschte von ganzem Herzen, ihr Busen wäre ebenso schön und voll wie ihre Stimme ...

1717.

4. Man kann nichts gegen sein Schicksal; ich rechnete darauf, Madame, die reizende Einsamkeit, in der ich mich befinde, nur mit einem Aufenthalte in Sully zu vertauschen; nun gehen der Herzog und Madame de Sully aber nach Villars, und ob ich will oder nicht, muß ich ihnen dahin folgen. Man hat mich in meiner Einsamkeit aufgespürt, um mich zu bitten, nach Villars zu kommen, wird mich aber dort nicht um meine Ruhe bringen. Ich trage jetzt einen Mantel der Philosophie, den ich um nichts in der Welt ablegen möchte Voltaire hatte eine sehr starke Neigung für Madame de Sully empfunden, so stark, daß er darüber das Arbeiten vergaß..

 

5. An den Abbé de Chaulieu Der Abbé de Chaulieu war ein fröhliches Mitglied der fröhlichen Tempelrunde, die sich im Temple in Paris, der seit Auflösung des Templerordens (1312) den Malteserrittern gehörte, unter dem Prinzen von Vendôme, dem Großprior von Frankreich, zusammenfand. Dort blühten anakreontische Poesie, Aufklärung und Duldung. Durch seinen Paten de Châteauneuf wurde Voltaire dort eingeführt..

Sully, 20. Juni 1717.

Mein Herr, Sie mögen es immerhin ablehnen, mein Meister zu sein; was Sie auch sagen, Sie müssen es trotzdem. Ich fühle zu sehr, wie Ihre Ratschläge mir nötig sind; außerdem haben die Meister ihre Jünger stets geliebt, und das ist nicht einer der geringsten Gründe, der mich lockt, der Ihre zu sein. Ich fühle, daß man ohne etwas guten Rat und viele Fügsamkeit in großen Werken keinen Erfolg haben kann. Ich entsinne mich wohl der Kritiken, die der Großprior und Sie während eines gewissen Soupers beim Abbé de Bussi an mich richteten. Dieses Souper hat meiner Tragödie Voltaires »Oedipus«, an dem er jahrelang gearbeitet hat. sehr gut getan, und ich glaube, um etwas Ordentliches zu schreiben, brauchte ich nur vier-, fünfmal mit Ihnen zu bechern. Sokrates gab seine Stunden im Bett, Sie geben die Ihren bei Tisch, das macht die Ihren sicher lustiger als seine.

 

6. An Thieriot Thiriot oder Thieriot, der Mann mit der faulen Rippe, Voltaires Freund und Faktotum. Sie hatten sich als Rechtsbeflissene wider Willen 1714, bei Voltaires Rückkehr aus dem Haag, in der Schreibstube des Rechtsanwalts Alain getroffen und Freundschaft geschlossen. Thieriot war ein unverbesserlicher Faulpelz, dazu ein Epikureer. Voltaire suchte vergebens ihm feste Stellung und sicheres Fortkommen zu verschaffen, an dem Bohémien prallten solche Versuche ab..

1720.

Ich bin über mein Schicksal noch ungewiß und erwarte den Herzog von Sully, um meine Schritte zu lenken. Glauben Sie nur, daß ich keinen andern Wunsch hege, als viele jener stillen Tage mit Ihnen zu verbringen, wie wir sie schon so angenehm in unserer Einsamkeit verbracht haben Bei Maître Alain..

Ich habe an Herrn Fontenelle Den berühmten Stilisten, Akademiker und populären Astronomen. 1657-1757. anläßlich einer Erscheinung in der Sonne geschrieben, die gestern, am Pfingsttag, eintrat. Ich bin sehr ungeduldig, Sie zu sehen, um Ihnen diese kleine Schrift zu zeigen, die Ihre Sammlung vermehren wird ... Ist etwas Neues in Paris los, so melden Sie mir's. Ich hoffe, Sie bald in der vollen Gesundheit wiederzusehen, von der Sie mir schrieben. Da unsere Naturen ganz die gleichen, geht mir's ebenso gut wie Ihnen. Ich glaube aber, daß Sie gestern Magenschmerzen gehabt haben müssen, denn mir war ganz übel. – Adieu, ich umarme Sie von Herzen.

 

7. An den Kardinal Dubois Der Kardinal Dubois war der Premierminister des Regenten, dessen Erzieher er gewesen, zugleich Kardinal und Erzbischof von Cambrai. – In Cambrai fand ein Kongreß der europäischen Mächte statt, Voltaire, der gerade mit Madame de Rupelmonde eine philosophische Reise durch Holland machte, begab sich nach Cambrai und suchte von hier aus diplomatisch an den Kardinal Dubois zu berichten. Sein Diplomatenehrgeiz ist auch unter dem Kardinal de Fleury und dem Duc de Choiseul wieder aufgetaucht, jedoch nie nach Wunsch befriedigt worden..

Cambrai, Juli 1722.

... Monseigneur, wir sind in Ihrer Metropole angelangt, wo, wie ich glaube, alle Botschafter und alle Köche Europens sich Stelldichein gegeben haben. Es scheint, daß die deutschen Gesandten nur in Cambrai sind, um auf des Kaisers Wohl zu trinken. Von den spanischen Botschaftern hört der eine täglich zwei Messen, während der andere die Schauspielertruppe dirigiert. Die englischen Bevollmächtigten schicken viele Kuriere nach der Champagne und wenige nach London. Übrigens erwartet niemand Ew. Eminenz, man glaubt nicht, daß Sie das Palais Royal verlassen, um Ihre Schäflein hier zu besuchen.  ... Gedenken Sie manchmal, Monseigneur, eines Mannes, der in Wahrheit kein anderes Bedauern kennt, als das Ew. Eminenz nicht so oft, wie er wünscht, unterhalten zu können, und dem von allen Gnadenbeweisen, die Sie ihm zu geben vermögen, die Ehre Ihrer Konversation die schmeichelhafteste ist.

 

8. An Thieriot.

Paris, Juni 1723.

Wenn Sie sich auf dem Land (in la Rivière-Bourdet Voltaire hatte den Freund bei dem Präsidenten Bernières eingeführt. Er sollte den heimlichen Druck der »Henriade« in Rouen überwachen, machte es aber so schlecht, daß Voltaire die Sache selbst in die Hand nehmen mußte.) um meine Angelegenheiten kümmern, so vernachlässige ich die Ihren in Paris nicht. Ich habe mit Herrn Pâris Senior Der ihm befreundete Bankier. ein langes Gespräch über Sie gehabt und ihn äußerst dringlich gebeten, etwas für Sie zu tun. Ich habe positive Versprechungen von ihm und soll jetzt gleich zu ihm kommen, um eine letzte Antwort zu erhalten Der Plan zerschlug sich. ...

 

9. An die Präsidentin de Bernières Gattin des Marquis de Bernières, Präsidenten am Parlament von Rouen, eine zuverlässige Freundin Voltaires, die später auch, im Streit mit Desfontaines, für ihn eintrat.4.

Juli 1723.

Ihre Zeitung wird heute nicht lang sein, denn Ihr Berichterstatter ist sehr krank und hat jetzt das Fieber. Gesundheit gibt es für mich nur in der Einsamkeit von la Rivière Ihr Landgut in der Nähe von Rouen.. Ich glaube in der Hölle zu sein, sobald ich in diesem verfluchten Paris bin ...

 

10. An Thieriot.

Forges Stahlbad Forges in der Nähe von Rouen., 5. August 1723.

Ich muß, mein lieber Thieriot, noch zwölf Tage hier bleiben. Herr von Richelieu will hier so lange die Kur gebrauchen, und ich kann ihn in seinem Schmerz nicht verlassen; meinerseits werde ich kein Wasser mehr trinken, es bekommt mir zu schlecht. In einer Flasche von Forgeswasser ist mehr Vitriol als in einer Flasche Tinte, und offen gestanden, ich halte Tinte der Gesundheit für nicht sehr zuträglich. Wenn Herr von Richelieu Einer der ersten und einflußreichsten Adligen, Voltaires Gönner. Forges verläßt, gehe ich wieder nach la Rivière. Ich hoffe dort einige Exemplare des Abbé von Chaulieu zu finden. Ich werde Ihnen die Verse für die Herzogin von Bethune geben und Ihnen eine kleine Arbeit zeigen, die schon sehr vorgeschritten ist, und von der ich eine gute Meinung zu haben wage, da sie den unerbittlichen Herrn von Richelieu Richelieu war literarisch sehr gebildet und ein guter Kritiker. zufriedengestellt hat. Sie werden mich wohl kaum in besserer Gesundheit, sicher aber in der gleichen Freundschaft wiederfinden. Machen Sie Herrn und Frau von Bernières schon den Hof, sowie allen, die in la Rivière sind.

 

11. An die Präsidentin de Bernières.

20. Dezember 1723.

Gestern, am 19., erhielt ich Ihren letzten Brief, und ich beeile mich zu antworten, da ich kein größeres Vergnügen kenne, als Ihnen zu wiederholen, wie sehr ich mich Ihnen verpflichtet fühle. Sie, die Sie keine Kinder haben, die Sie nicht wissen, was Elternliebe ist, können sich nicht denken, welche tiefe Wirkung Ihre Güte gegen meinen kleinen Heinrich auf mich ausübt Das Epos die »Henriade«.. Die Liebe, die ich ihm widme, verblendet mich jedoch nicht so, daß ich verlange, er solle in Paris auf einem Triumphwagen mit sechs Pferden einziehen. Ein oder zwei Rosse mit Packsätteln und Körben genügen meinem Sohn. Freilich, Ihr Packwagen bringt Ihnen Ihre Möbel, und dann wird Heinrich mit Ihrem Gepäck zusammengesteckt werden können. In diesem Falle nehme ich es an, daß er Ihren Wagen benützt, will aber durchaus nicht, daß man sich allein für den kleinen Fratzen in diese Unkosten stürzt. Ich bitte Sie inständig, ihn mit möglichster Bescheidenheit und so sparsam wie möglich reisen zu lassen Voltaire hatte keine Druckerlaubnis für die »Henriade« in Paris erhalten, hatte sie daher in Rouen drucken lassen und ließ sie nun in Paris einschmuggeln..

 

12. An Thieriot.

26. September 1724.

Meine Gesundheit gestattet mir noch immer nicht, Sie zu besuchen, ich bin immer noch im Hause der Bernières Wo Voltaire einige Zimmer gemietet hatte., wo ich in Einsamkeit und Krankheit lebe, die ich aber beide durch eine mäßige Arbeit mildere, die mich zerstreut und tröstet. Die Krankheit hat mich meinen Freunden und ihren Interessen gegenüber nicht gleichgültiger gemacht. Ich habe den Herzog von Richelieu gebeten, Sie als Sekretär auf seine Botschaft mitzunehmen Der Herzog von Richelieu sollte als französischer Gesandter nach Wien gehen. ... Ich habe ihm gesagt, da ich ihm nicht so bald nach Wien folgen könnte, gäbe ich ihm die eine Hälfte meines Selbst, und die andere käme bald nach. Wenn Sie klug sind, mein lieber Thieriot, so nehmen Sie diese Stellung an, die in unserer Lage nötig und ehrenvoll ist. Sie sind nicht reich, und drei, vier Aktien der Indischen Handelsgesellschaft sind auch kein großes Vermögen Voltaire besaß jene Aktien und lag seit 1722, dem Tode seines Vaters, mit seinem Bruder Armand in Erbschaftsstreitigkeiten.. Ich weiß, daß, was ich habe, auch stets Ihnen gehören wird. Aber ich muß Ihnen sagen, daß unsere Sachen bei der Oberrechnungskammer sehr schlecht stehen und daß ich Gefahr laufe, bei meines Vaters Nachlaß leer auszugehen. Unter diesen Umständen sollten Sie eine Stellung, welche die Freundschaft Ihnen besorgt, annehmen. Und wenn sie Ihnen nur dazu dienen sollte, kostenlos und mit Gehalt die angenehmste Reise der Welt zu unternehmen, Sie bekannt zu machen, Sie Geschäftskenntnis zu lehren, Ihre Gaben zu entwickeln, wären Sie nicht schon zu glücklich? Dieser Posten kann einen Mann von Geist, der klug ist, leicht zu recht vorteilhaften Ämtern und Stellungen führen Derlei verschlug Herrn Thieriot nichts. ...

Oktober 1724.

13. Sie haben mich durch Ihre Unentschlossenheit etwas in Verlegenheit gesetzt. Sie haben mir drei, vier verschiedene Antworten für Herrn von Richelieu gegeben, der geglaubt hat, daß ich mit ihm spielte. Ich verzeihe Ihnen das alles von Herzen, da Sie bei uns bleiben. Ich tat meinen Gefühlen zu viel Gewalt an, als ich Sie um Ihrer Zukunft willen von uns loszureißen trachtete. Ihr Glück hatte mich das meine gekostet ...

 

14. An die Präsidentin de Bernières.

Paris, 23. Juli 1725.

Seit ich Ihnen schrieb, ist mir eine Unmenge Dinge passiert: das geringste ist der erneuerte Prozeß gegen meines Vaters Testament. Die Mühe, die ich mir täglich gebe, wird mich bald um das bißchen Gesundheit gebracht haben, das die Hoffnung, Sie wiederzusehen, mir eingeflößt hat. Ich führe hier das Leben eines Verdammten, während Sie und Thieriot auf Ihrem Landgut sich um nichts zu kümmern scheinen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß ich la Rivière-Bourdet wiedersehe; damit ist es aus. Für mich gibt es keine Ruhe, bis Heinrich IV. gedruckt ist ... Eine neue Ausgabe.

Paris in der Comédie française. Seit »Oedipus« (1718) war Voltaire dort bekannt., 20. August 1725.

15. Seit einem ganzen Monat bin ich von Anwälten, Quacksalbern, Druckern und Komödianten umgeben. Alle Tage wollte ich Ihnen schreiben und fand keinen Augenblick dazu. Jetzt flüchte ich mich in die Loge einer Schauspielerin, um mich dem Vergnügen, Ihnen zu schreiben, hinzugeben, just während man »Mariamne« und den »Indiscret« Ein Lustspiel Voltaires. zum zweiten Male spielt. Vorgestern, Sonnabend, wurde dieses kleine Stück mit ziemlichem Erfolg aufgeführt, doch schienen mir die Logen damit zufriedener als das Parterre. Dancourt und Legrand haben das Parterre an das Derbkomische und Rohe gewöhnt, so daß das Publikum unversehens zu der Meinung gekommen ist, kleine Einakter müßten schmutzige Possen sein statt gehobene Lustspiele, in denen nichts Anstößiges vorkommt. Das Volk ist nicht zufrieden, wenn man nur das Lachen des Geistes erzielt; es will aus vollem Halse lachen, und man bringt es nur schwer dahin, den feinen Scherz platten Zweideutigkeiten, Versailles der rue Saint-Denis, vorzuziehen ...

Versailles, September 1725.

16. Gestern um 10½ Uhr hat der König erklärt, die Prinzessin von Polen heiraten zu wollen, und er schien damit sehr zufrieden Diese Prinzessin von Polen war Maria Leczinska, die Tochter des Exkönigs Stanislaus von Polen, der bis dahin im Elsaß von einer Pension der französischen Regierung sehr kärglich gelebt hatte, als Schwiegervater Ludwigs XV. aber die Herzogtümer Lothringen und Bar erhielt. Maria Leczinska, sanft und fromm von Natur, wurde an der Seite ihres Gatten sehr unglücklich.. ... Die Hochzeitsfeierlichkeiten Ludwigs XV. tun dem armen Voltaire Abbruch. Man spricht von keiner neuen Pension, nicht einmal davon, die früheren Pensionen beizubehalten; hingegen legt man eine neue Steuer auf, um dem Fräulein Leczinska Spitzen und Stoffe kaufen zu können Sie war allerdings sehr arm und diese Heirat für ihren Vater und sie eine Versorgung. Voltaire versuchte damals, eine Pension aus der königlichen Schatulle zu erhalten. ... Seit drei Tagen bin ich in Versailles und möchte schon wieder draußen sein. La Rivière-Bourdet wird mir besser als Trianon und Marly gefallen, und ich will von nun ab keinen andern Hof als den Ihren ...

Fontainebleau, Freitag 17. September 1725.

17. Während Ludwig XV. und Marie Sophie Felicitas von Polen mit dem ganzen Hof in der italienischen Komödie sind, schließe ich, der diese ausländischen Hosen nicht leiden kann, Sie aber von ganzem Herzen liebe, mich in mein Zimmer ein, um Ihnen die kleinen Neuigkeiten vom Hofe zu melden ... Die Königin macht sich recht gut, obgleich sie gar nicht hübsch ist. Alle sind hier von ihrer Tugend und Höflichkeit entzückt. Das erste, was sie tat, war, den Prinzessinnen und Palastdamen all die prächtigen Kleinigkeiten auszuteilen, die man ihren »Korb« nennt. Es waren Schmucksachen aller Art darin, außer Diamanten. Als sie die Kassette sah, in der das alles hergerichtet war, sagte sie: Nun werde ich zum erstenmal in meinem Leben schenken können. An der Hochzeit hatte sie etwas Rot aufgelegt, gerade genug, um nicht blaß zu erscheinen. Sie fiel in der Sakristei auch einen Augenblick in Ohnmacht, doch nur zur Form. Am selben Tage war Schauspiel. Ich hatte ein kleines Zwischenspiel verfaßt, das Herr von Mortemart nicht aufführen wollte Voltaire hatte jedoch andere Gelegenheit, sich als Hofdichter zu betätigen; seine Huldigung gefiel, und er erhielt 1725 die ersehnte Pension (1500 frs. jährlich von der Königin und 2000 frs. vom Könige).. Man gab an seiner Statt »Amphytrion« und den »Arzt wider Willen« Zwei Stücke Molières. Man hätte allerdings besser wählen können. 1745, anläßlich der Heirat des Dauphins, schrieb Voltaire die »Princesse de Navarre«., was nicht allzu passend erschien. Nach dem Souper gab es Feuerwerk mit vielen Raketen und sehr wenig Erfindung und Abwechslung, dann bereitete sich der König darauf vor, uns einen Dauphin zu schenken. Im übrigen ist es hier ein Geräusch, ein Lärm, ein Gedränge, ein Tumult, die schrecklich sind. Ich werde mich wohl hüten, mich in diesen ersten Tagen des Wirrwarrs der Königin vorstellen zu lassen, sondern werde warten, bis die Menge sich verlaufen und Ihre Majestät sich etwas von der Benommenheit erholt hat, die dieser Hexensabbat ihr verursachen muß Voltaire hat stets nach dem Landleben geseufzt, das er sich seit 1759 (Ferney) auch errungen hat. Ebenso dauernd (d. h. seit 1723) hat er über seine schwankende Gesundheit geklagt..

 

18. An Thieriot.

2. August 1726.

Damit ist es nun aus, mein lieber Thieriot Voltaire schreibt von England aus, wohin er nach seiner Affäre mit dem Chevalier de Rohan verbannt worden war; vgl. Schirmacher, Voltaire, S. 180 ff., ich fürchte, daß ich Sie im Leben nicht wiedersehe. Ich bin noch sehr unentschieden, ob ich mich nach London zurückziehen soll. Ich weiß, es ist ein Land, wo alle Künste geehrt und belohnt werden, wo es wohl Unterschiede des Ranges gibt, zwischen den Menschen jedoch nur den Unterschied des Verdienstes. Es ist ein Land, wo man frei und edel denkt, ohne von knechtischer Furcht zurückgehalten zu werden. Folgte ich meiner Neigung, so siedelte ich mich dort an, und wäre es nur, um denken zu lernen. Ich weiß aber nicht, ob mein kleines, durch so viele Reisen in Unordnung geratenes Vermögen Die königlichen Jahrgehälter wurden dem Verbannten nicht ausgezahlt., ob meine Gesundheit, die mehr denn je geschwächt ist, und mein immer ausgesprochnerer Geschmack an Zurückgezogenheit mir erlauben werden, mich in das wilde Lärmen von Whitehall und London zu stürzen. Er lebte damals in Wandsworth. Ich habe sehr gute Empfehlungen für beide, und man wird mich dort recht freundlich aufnehmen; ich weiß jedoch noch nicht, ob ich die Reise machen werde. Mir bleibt im Leben nur noch zweierlei zu tun: mein Dasein, so bald ich es kann, mit Ehren aufs Spiel zu setzen Um Genugtuung von Rohan zu erhalten., und es in der unbekannten Stille zu beenden, die meiner Denkart, meinem Unglück und der Menschenkenntnis entspricht, die ich erworben habe.

 

19. An Herrn de Cideville Voltaire war mit ihm durch die Familie Bernières in Rouen bekannt geworden. Cideville war Rat am Parlament zu Rouen. Beide blieben durch viele Jahre befreundet. Voltaire erwähnt, daß Cideville zuletzt très dévot geworden sei. 1732 war Voltaire schon wieder in Frankreich..

Sonntag, 4. Januar 1732.

Meine Gesundheit ist schlechter denn je. Ich fürchte, was für mich ein entsetzlicher Schlag wäre, nicht mehr arbeiten zu können. Ich bin in einem Zustand, der mir kaum gestattet, einen Brief zu schreiben. Die Ihren (d. h. Briefe) haben mich bezaubert, mein lieber Cideville; sie sind mein Trost, wenn ich leide, und erhöhen mein Vergnügen, wenn ich welches habe. Ich werde heute unserem liebenswürdigen Formont Zensor und Mitglied der Akademie. deswegen nicht schreiben, weil ich keine Kraft dazu habe. Ich hätte ihm bereits die »Lettres anglaises« geschickt, aber folgendes hält mich zurück. Herr Abbé Rothelin Einer der königlichen Zensoren. hat mich hoffen lassen, daß ich durch Milderung gewisser Stellen eine schweigende Erlaubnis Es gab eben unter dem ancien régime alle möglichen Abstufungen der Preßfrei- oder richtiger -Unfreiheit. – Da die »Lettres sur les Anglais« oder »Lettres philosophiques« der Aufklärung dienten, von Locke, Newton, Druck- und Gewissensfreiheit sprachen, sollte ihnen kein kgl. Privileg gegeben werden. erhalten könnte, und ich weiß nicht, ob ich mein Buch verderben werde, um eine Genehmigung zu bekommen.

15. Mai 1733.

20. Mein lieber Freund, da bin ich endlich in diesem häßlichsten Viertel von Paris In der damaligen rue du Long-Pont, hinter dem heutigen Stadthaus. dem schönen Portal Von Saint-Gervais. gegenüber, in einem häßlichen Hause, vom Lärm der Glocken mehr betäubt als ein Küster, ich werde aber mit meiner Leier so viel Geräusch machen, daß der Glockenlärm mir nichts anhaben soll. Ich bin leidend; ich richte mir einen eigenen Haushalt ein; ich stehe Qualen eines Verdammten aus. Ich kaufe Trödel, ich kaufe Meerkatzen Bedeutet entweder holländische Bilder (etwa Teniers) oder chinesisches Porzellan. und Tizians, ich arbeite an meiner Oper, ich lasse »Eriphyle« und »Adelaide« Zwei neue Trauerspiele Voltaires. abschreiben, ich korrigiere, streiche aus, füge an, schmiere, der Kopf dreht sich mir. Ich muß mit Ihnen die Freuden der schönen Literatur, der Ruhe und Freundschaft kosten kommen. Formont hat seine philosophische Faulheit zu Madame Moras hingetragen. Seit tausend Jahren habe ich ihn nicht gesehen. Er tröstete mich, indem er mir von Ihnen erzählte. Adieu, ich leide zu sehr, um weiter zu schreiben.

 

Um diese Zeit beginnen Voltaires Beziehungen zur Marquise du Châtelet.

 

 

21. An Herrn de Cideville.

3. Juli 1733.

Gestern auf dem Lande, da ich weder Oper noch Trauerspiel im Kopf hatte, und während die schöne Welt Karten spielte, begann ich eine Epistel über die Verleumdung, die einer sehr liebenswürdigen und stark verleumdeten Frau Marquise du Châtelet. »L'ode sur la calomnie«. gewidmet ist. Ich schicke Ihnen das bald, als Gegengabe für Ihre Allegorie.

2. August 1733.

22. ... Ich wage Ihnen die Epistel an Emilie über die Verleumdung nicht zu schicken, da Emilie mir's verboten hat, und da, wenn Sie mir etwas verboten hätten, ich Ihnen sicher gehorchen würde. Ich werde Emilie bitten, eine Ausnahme für Sie zu machen. Wenn sie Sie kennte, schickte sie Ihnen die Epistel, von ihrer Hand geschrieben, sie würde sehen, daß Sie nicht zum gewöhnlichen Durchschnitt gehören und würde mein Urteil über Sie teilen ...

15. September 1733.

23. Die Freiheit bedeutet das Leben für einen Schriftsteller. Warum muß man die Härten der Knechtschaft in dem angenehmsten Lande der Welt erdulden, das man nicht verlassen kann, und wo es doch so gefährlich zu leben ist?

 

24. An Herrn de Formont Voltaires langjähriger Freund und kritischer Beirat in literarischen Dingen..

Paris, gegenüber Saint-Gervais, 26. Juli 1733.

Ich beabsichtige, mein lieber Formont, meinen beiden Freunden und Richtern in Rouen durch Jore Jore war Voltaires Verleger in Rouen, er druckte heimlich, wie die »Henriade«, auch die französische Ausgabe der »Lettres sur les Anglais« (die im August 1733 bereits in englischer Sprache in London erschienen waren). Jore hatte schriftlich versprochen, das gefährliche Buch nicht ohne Voltaires ausdrückliche Erlaubnis zu veröffentlichen. große Packe Verse zu schicken; einstweilen muß ich aber, glaube ich, einigen Unterricht in der Prosa bei Ihnen nehmen. Ich denke nicht, daß die »Lettres anglaises« die Mucker so bald in Furcht setzen werden. Es ist mir lieb, sie fertig zu halten, um sie bei geeigneter Gelegenheit loszulassen; ich werde aber warten, bis die Geister auf dieses Erscheinen vorbereitet sind, und werde mit dem Publikum faciles aditus et mollia fandi tempora Etwa die geeignete Stimmung und den richtigen Augenblick. suchen. Ich bitte Sie jedoch, die Briefe wieder durchzulesen. Ich glaube, nach reiflicher Prüfung Ihrerseits werden Sie Jore noch viel zu tun geben, und wir werden nicht wenige Korrekturen zu lesen haben.

 

25. An den Abbé de Sade.

Paris, 29. August 1733.

... In London ist die Übersetzung meiner »Lettres anglaises« schon vergriffen. Es ist spaßhaft, daß die Kopie vor dem Original erscheint. Glücklicherweise habe ich den Druck des französischen Manuskripts unterbrochen, denn ich fürchte die Geistlichkeit am französischen Hofe weit mehr als die anglikanische Geistlichkeit ...

Emilie ist noch immer bei Hof Die Marquise war dame de tabouret de la Reine und als vorzügliche Rechnerin am Spieltisch der Königin sehr gesucht., und diese göttliche Biene trägt ihren Honig zu den Drohnen von Versailles. Ich hingegen bleibe meist in meiner Einsamkeit Rue du Long-Pont in Paris. zwischen Poesie und Philosophie.

Montjeu bei Autun Dort fand die durch Voltaire vermittelte Heirat des Herzogs von Richelieu mit der Prinzessin von Guise statt., 24. April 1734.

26. Ich war, mein teurer Freund, in aller Ruhe hier und genoß in Frieden die Frucht meiner kleinen Unterhandlung zwischen Herrn von Richelieu und Fräulein von Guise ... als plötzlich dieser Frieden durch die betrübendsten Nachrichten gestört wurde. Diese verfluchten »Lettres anglaises« sind endlich, ohne daß man mich befragt, ohne daß man mich im mindesten benachrichtigt hat, herausgekommen. Man hat die Frechheit, meinen Namen auf den Titel zu setzen und den Brief über die Pensées de Pascal mitzudrucken, an dessen Nichtveröffentlichung mir am meisten lag ...

Ich will Jore nicht verdächtigen, mir diesen Streich gespielt zu haben Jore hatte sein Versprechen auch gehalten; die Veröffentlichung war durch den Pariser Buchdrucker Josse, dem Voltaire ein Exemplar zum Binden übergeben hatte, geschehen. Ein Beispiel der Gesetzlosigkeit in der Literatur unter dem ancien régime.; auf den geringsten Argwohn hin wanderte er sicher für den Rest seiner Tage in die Bastille. Ich bitte Sie aber, mir zu schreiben, was Sie davon wissen.

 

27. An den Grafen d'Argental Geboren 1700, gestorben 1788, Voltaires Schulkamerad und Jugendfreund, einer seiner eifrigsten Bewunderer; ein sehr gütiger und hochstehender Charakter. Parlamentsrat in Paris (die »Lettres sur les Anglais« wurden dort als gefährliches Buch denunziert), später Vertreter des Herzogtums Parma in Paris, weshalb Voltaire oft von d'Argentals »Parmesankäse« spricht..

April 1734.

Man sagt, daß Sie aus meinem Beschützer mein Richter werden sollen und daß man die »Lettres anglaises« bei Ihrem Senat denunziert hat ... Ich will so offenherzig sein, wie jemand von Ihrem Charakter es verdient. Als ich vor zwei Jahren Thieriot die Erlaubnis gab, diese unseligen Briefe zu drucken, hatte ich mich so eingerichtet, Frankreich zu verlassen und in einem freien Lande das höchste Glück ... zu genießen ... d. h. nur von den Gesetzen abzuhängen ... Einzig die Freundschaft hat mich diesem Entschluß abwendig machen können ... Sie wissen, was ich alles der hochherzigen Neigung Madame du Châtelets verdanke ... ... Alles, was ich fürchte, ist nun, daß die, welche erfahren könnten, wie dringliche Schritte Madame du Châtelet für mich unternommen hat, und deren Herz tugendhafter Neigung weniger zugänglich als das Ihre ist, der großen Freundschaft und den ehrenhaften Gefühlen, die Madame du Châtelet für mich hegt, nicht volle Gerechtigkeit widerfahren lassen ...

 

28. An Herrn de Cideville.

24. Juli 1734.

Ich komme nach einem Monat des Umherirrens in mein Nest zurück Voltaire hatte wegen der »Lettres sur les Anglais« die Flucht ergreifen müssen, die Häscher des Polizeiministers suchten ihn in Montjeu, doch war er schon fort. Er begab sich in das Heerlager von Philippsburg (Baden), wo sich der Herzog von Richelieu befand. Dann begab er sich nach Cirey, das Madame du Châtelet ihm zur Verfügung gestellt hatte. Vgl. ihren Brief an Richelieu vom 10. 5. 1735.. Dieses Nomadenleben hat mich verhindert, die Briefe, die seit lange an mich gerichtet sind, früher zu erhalten. Jetzt bekomme ich 30 auf einmal, die Ihren aber sind mir immer die liebsten. Ich finde darin das liebendste Herz zusammen mit dem richtigsten und feinsten Urteil.

 

29. An die Gräfin de la Neufville Eine Gutsnachbarin der du Châtelets..

Cirey 1734.

Ei, gnädige Frau, es scheint mir eine Ewigkeit, seit ich Sie sah. Madame du Châtelet hatte auch die Absicht, Sie zu besuchen, sobald sie in Cirey angelangt war, sie ist aber Baumeister Cirey war in sehr schlechtem baulichen Zustande. und Gärtner geworden. Sie läßt Fenster da einsetzen, wo ich Türen gemacht hätte, verwandelt Treppen in Kamine und Kamine in Treppen, läßt Linden pflanzen, wo ich Ulmen vorschlug, und hätte ich einen Gemüsegarten angelegt, sie machte sicher Blumenbeete daraus. Außerdem treibt sie Zauberei im Hause, sie verwandelt Lappen in Vorhänge und findet das Geheimnis – Cirey mit nichts zu möblieren. Diese Tätigkeit wird sie noch einige Tage hierher fesseln, ich schmeichle mir dann aber mit der Ehre, sie als Kavalier nach la Neufville begleiten zu dürfen, solange bin ich ihr Gärtnerbursche ...

 

Hier beginnen die Briefe der Marquise du Châtelet. Siehe Seite 175–186.

 

 

30. An Thieriot.

Lunéville Am Hofe des Exkönigs Stanislaus., 12. Juni 1735.

Ja, ich werde Ihnen aufpacken, bis ich Sie von Ihrer Faulheit kuriert habe. Ich werfe Ihnen weiter nicht vor, alle Tage mit Herrn de la Popelmière Ein bekannter Pariser Finanzmann, bei dem Thieriot die Fleischtöpfe Ägyptens gefunden hatte. zu soupieren, wohl aber, daß Sie darauf all Ihre Gedanken und Hoffnungen beschränken. Sie leben so, als ob der Mensch nur zum Soupieren gemacht sei und existieren überhaupt nur von 10 Uhr abends bis 2 Uhr nach Mitternacht. Kein Genüßling geht später schlafen, keine Modepuppe steht später auf als Sie. Sie bleiben in Ihrem Bau bis zur Theaterzeit, um den Rausch des letzten Soupers auszuschlafen und haben keinen Augenblick, um an sich selbst oder Ihre Freunde zu denken. So wird ein Brief eine Last für Sie; einen ganzen Monat lassen Sie auf Antwort warten und haben die Güte, sich dann noch einzubilden, daß Sie zu irgend einem Amt taugten und Ihr Glück machen könnten ...

 

31. An Herrn de Cideville.

Cirey, Juni 1735.

... Ich bin entzückt, daß Sie mit Emilie zufrieden sind Mit der an die Marquise du Châtelet gerichteten: »L'ode sur la calomnie«.. Kennten Sie sie besser, Sie würden sie bewundern. Ihre Freundin, Madame von Richelieu, folgt etwas ihren Spuren, aber nur von weitem. Sie hat die ausgezeichneten Physikstunden, die ein Künstler, mit Namen Varinge, in Lunéville gibt, gut benutzt. Ein berühmter Jesuitenprediger, Pater Dallemant genannt, hat sich einfallen lassen, diesen Stunden beizuwohnen und mit ihr über das Newtonsche System zu streiten, das sie zu verstehen beginnt, er aber gar nicht begriffen hat. Der arme Priester ist ordentlich hereingelegt und in Gegenwart einiger Engländer ausgespottet worden, die aus diesem Anlaß große Hochachtung für unsere Damen und ein wenig Mißachtung für die Wissenschaft unsrer Mönche geschöpft haben. Dieses Abenteuer verlohnt sich, erzählt zu werden ...

Cirey, 20. September 1735.

32. ... Das Gebiet der Literatur scheint mir augenblicklich mit Broschüren überschwemmt; wir befinden uns im Herbste des Geschmacks und der Zeit des Blätterfallens. Das Für und Wider Eine vom Abbé Prévost herausgegebene philosophische Zeitschrift. ist saftloser denn je, und die Bemerkungen des Abbé Desfontaines Voltaires alter Feind, der eine literarische Wochenschrift »Observations sur les écrits des modernes« herausgab. sind Beleidigungen der Vernunft, der Billigkeit und des Geschmacks, die er regelmäßig einmal die Woche veröffentlicht.

 

33. An d'Argental.

Cirey, 9. Februar 1736.

Ich bin immer noch etwas kränklich, mein lieber Freund. Madame du Châtelet las mir gestern an meinem Bette die Tusculanen des Cicero in der Sprache dieses erlauchten Schwätzers vor; und dann Popes vierte Epistel über das Glück. Wenn Sie eine Frau in Paris kennen, die ihr das nachmacht, so schreiben Sie mir's ...

 

34. An Thieriot.

4. März 1736.

Ich war krank, jetzt kommt Madame du Châtelet damit an die Reihe. Ich schreibe Ihnen in Eile an deren Bett, ... »Alzire« Voltaires neues Trauerspiel., die Widmung, das Gedicht, das Stück, bei Tag und Nacht korrigiert, kommen mit der Post. Alles ist verändert gleich einer Raupe, die über Nacht zum Schmetterling geworden ist. Sie werden sagen, daß ich mich selbst abschreibe, denn ich habe dasselbe an Monsieur d'Argental gemeldet; aber wenn Emilie krank ist, habe ich keine Phantasie ...

 

35. An d'Argental.

Paris, Hôtel d'Orléans, Mai 1736.

Es handelt sich, mein liebenswürdiger Beschützer, um das Glück meines Lebens.

Der Bailli von Froulai Ein Freund und Verteidiger Voltaires., der mich gestern besuchen kam, sagte mir, daß der ganze Zorn des Justizministers gegen mich daher käme, daß er überzeugt sei, ich hatte ihn in der Sache mit den »Lettres philosophiques« hintergangen, und daß die Ausgabe von mir sei. Erst auf meiner Reise nach Paris im letzten Jahre erfuhr ich, wie diese Auffassung zustande kommen konnte, und verfaßte eine Denkschrift darüber. Mr. Rouillé Leiter der Preßabteilung., der ganzen Geschichte müde, fragte den Herzog von Richelieu, ob dieser ihm riete, davon Gebrauch zu machen. Mr de Richelieu, dem die Sache noch überdrüssiger, ... und der außerdem überzeugt war (weil er das drollig fand), daß ich mir den Spaß gemacht hatte, das Buch zu drucken und trotz des Justizministers zu verbreiten, Mr de Richelieu, sage ich, der Ansicht, ich sei glücklich genug, in Freiheit zu sein, sagte zu Herrn Rouillé: die Geschichte ist zu Ende, was liegt daran, ob Jore oder Josse das ... Buch gedruckt hat. Voltaire mag sich ... und damit soll es gut sein. Was entstand aus dieser leichtfertigen Art, die ernsthaften Angelegenheiten eines Freundes zu behandeln? Mr. Rouillé glaubte, meine eigenen Gönner seien von meinem Unrecht, und zwar einem sehr bedenklichen Unrecht überzeugt. Der Justizminister wurde in seiner schlechten Meinung bestärkt, und das hat in letzter Linie den kränkenden Verdacht auf mich gezogen, die »Pucelle« Voltaires Spottgedicht auf Jeanne d'Arc. haben drucken zu lassen; daher das Gewitter, das mich aus Cirey vertrieben hat.

 

Hier beginnt der Briefwechsel mit Friedrich dem Großen. Siehe Seite 187–229.

 

 

36. An Thieriot.

5. September 1736.

... Wir studieren nach Kräften den göttlichen Newton. Ihr Sklaven des Vergnügens liebt nur die Opern. Ei, bei Gott, lieber kleiner Mersenne Descartes' Intimus., lieben Sie die Opern und Newton. So macht es Emilie ...

Cirey, 23 September 1736.

37. Ich hatte dieses gemeine Scheusal von Abbé Desfontaines aus der Ode über den Undank »Ode sur l'Ingratitude« herausgestrichen, aber die Übergange ließen diese Kürzung nicht zu, und da es besser ist, Desfontaines zu verderben, als meine Ode – denn wer Desfontaines Niedrigkeiten aufdeckt, verdirbt nichts –, schicke ich Ihnen die Ode ...

 

38. An Herrn de Cideville.

Cirey, 25. September 1736.

Ich werde etwas faul, lieber Freund, jedoch nicht, wenn Ihre Freundschaft an die meine appelliert. Man hatte mir fast fest versprochen, die kleine Linant bei Madame de Richelieu unterzubringen, da stirbt das Kind, das sie aufziehen sollte. Endlich habe ich bei Madame du Châtelet ausgewirkt, daß sie sie, trotzdem es ihr Überwindung kostet, nehmen will. Ich zweifle nicht daran, daß es die Kleine nicht mindere Überwindung kostet, Madame du Châtelet zu bedienen, als diese, sich von der Schwester von ihres Sohnes Hofmeister bedienen zu lassen. Solche kleine Unannehmlichkeiten muß man der Notwendigkeit halber eben in Kauf nehmen. Jedenfalls befindet sich die ganze Familie Linant nun in unserer Gegend in Stellung. Mutter, Sohn, Tochter, alle sind um Cirey herum, quia Cideville sic voluit Die Familie Linant wurde von Cideville und Voltaire protegiert. Der junge Linant war vom Schlage Thieriots, dazu eitel und voll literarischer Ansprüche. Er war auf Voltaires Empfehlung zum Hofmeister des jungen du Châtelet ernannt worden. Die Familie Linant bildete eine Gruppe unerfreulicher Schützlinge..

 

39. An Thieriot.

21. Oktober 1736.

Lügen ist nur ein Laster, wenn man damit schadet, hingegen eine große Tugend, wenn es nutzt Voltaires aufrichtige Meinung, in der ihn die Gefahren, denen jede seiner Veröffentlichungen ihn aussetzte, bestärkt hatten.. Seien Sie also tugendhafter denn je. Lügen Sie wie ein Satan, nicht schüchtern, nicht für ein Weilchen, sondern unverschämt und andauernd. Was kommt es dem boshaften Publikum darauf an, zu wissen, wer eine Croupillac Eine Person aus der Komödie Voltaires »L'enfant prodigue«. erfunden hat? Mag es sie auspfeifen, wenn sie nichts taugt, der Autor aber bleibe unbekannt. Ich beschwöre Sie darum im Namen der innigen Freundschaft, die uns seit 20 Jahren verbindet: Ersuchen Sie die Prévost und La Roque Verleger., jeden Verdacht von dem armen Autor abzulenken. Schreiben Sie ihnen ein kurzes, aber kerniges und deutliches Billett. Beraten Sie mit Berger. Haben Sie Sauveau ins Geheimnis gezogen, tun Sie das gleiche mit der Lüge. Lügt, meine Freunde, lügt, ich werde euch das bei Gelegenheit vergelten.

 

40. An den Abbé Moussinot Kanonikus von Saint-Méry in Paris, Voltaires Vertrauensmann in Geldangelegenheiten..

23. November 1736.

... Tun Sie ein gutes Werk, mein guter Jansenist, lassen Sie den jungen d'Arnaud Baculard d'Arnaud, den Voltaire viele Jahre hindurch ermutigt und unterstützt hat und mit dem er in Berlin heftig aneinandergeraten sollte. kommen. Er ist ein junger Mann, der verdient, daß man ihm hilft, geben Sie ihm aber nicht so viel, daß er auf Abwege gerät. Geben Sie ihm diesmal 18 Frank, und ermahnen Sie ihn, er solle schreiben lernen Er schrieb eine fürchterliche Hand. Vgl. Voltaires Brief vom 20. 11. 1742, auf Seite 51.. Versichern Sie ihn meiner Freundschaft, und er darf auf meine Unterstützung rechnen, wenn ich reicher bin.

 

41. An Herrn de Cideville.

Cirey, 8. Dezember 1736.

Eine Komödie; nach der Komödie Geometrie; nach der Geometrie Newtonsche Philosophie, dazwischen Krankheiten, und dazu Verfolgungen, die grausamer sind als das Fieber, und das, mein lieber Freund, semper amate, semper honorate, was mich verhindert hat, Ihnen zu schreiben ...

Wissen Sie, daß man den »Mondain« Ein sehr geistreiches und anmutiges Gedicht Voltaires, in dem er sich als »Weltling« für den Zustand der Kultur entscheidet und den Naturzustand unserer Stammeltern im Paradiese realistisch schildert. Das galt damals als Ketzerei; Voltaire mußte deshalb Ende 1736 Cirey verlassen und nach Holland fliehen. als anstößige Schrift bezeichnet hat, und hatten Sie geglaubt, daß man es wagen würde, deshalb von neuem über mich herzufallen? In welcher Zeit leben wir! ... Einem Menschen ein Verbrechen daraus zu machen, weil er sagt, daß Adam lange Nägel hatte; das ernstlich als Ketzerei zu betrachten!

 

42. An d'Argental.

Sonntag 4 Uhr morgens, Dezember 1736.

Ihre Freundin Die Marquise. Man vermied es, Namen zu nennen. Madame du Châtelet nennt in ihren Briefen an d'Argental Voltaire auch nur: Ihren Freund. war zuerst sehr erstaunt, daß ein so unschuldiges Gedicht wie der »Mondain« einigen meiner Feinde zum Vorwand dienen könne ... Ihr gerechter Schmerz hat dann den Sieg über ihren Entschluß, ihr Leben mit mir zu verbringen, davongetragen ... Wir haben Cirey verlassen und sind jetzt um 4 Uhr in Vassy, wo ich Postpferde nehme Um nach Holland zu flüchten. ... Wenn ich aber den Augenblick kommen sehe, wo ich auf immer von jemandem Abschied nehmen muß, der alles für mich geopfert hat ... der Zustand ist fürchterlich. Ich ginge mit unaussprechlicher Freude fort, ginge zum Prinzen von Preußen ... aber Ihre Freundin bricht vor mir in Tränen aus, und das zerreißt mir das Herz ...

 

43. An den Abbé Moussinot.

Cirey 1737.

Ich wiederhole Ihnen, mein lieber Freund, die Bitte, mit niemandem über meine Angelegenheiten zu reden, und vor allem zu sagen, daß ich in England bin.

... In der kritischen Lage, in der ich mich befinde, wäre es sehr unklug, wollte ich bei Pinga eine zu große Summe anlegen, die zu spät wieder flüssig würde. Geben wir jeder nur 4, 5000 Frank zum Spaß; das gleiche für Bilder, was Ihnen noch mehr Spaß machen wird. Die Wechsel der Steuerpächter stehen auf 6 %, das ist die sicherste Kapitalanlage. Amüsieren Sie sich auch damit. Kaufen Sie Aktien, dieser Artikel wird bald heruntergehen, wenigstens glaube ich es; das ist auch ein schicklicher Zeitvertreib für einen Kanonikus. Und bei all diesen Amüsements verlasse ich mich ganz auf Ihre Klugheit ... Voltaire war selbst ein kluger Geschäftsmann.

 

44. An d'Argental.

Cirey, 2. November 1737.

Mein ganzer Schmerz ist, Sie jetzt nicht umarmen und Ihnen nicht von Herzensgrund gratulieren zu können. Um ein vollkommenes Glück zu genießen, fehlt mir nur noch, der Zeuge des Ihren zu sein. Wie freue ich mich, mein lieber, verehrungswürdiger Freund, über das, was Sie getan haben! Wie erkenne ich darin Ihr empfindsames Herz, Ihr festes Urteil! ... Lassen Sie mich Ihnen die Komplimente all derer machen, die Bildung, Verstand und Liebenswürdigkeit besitzen. Du lieber Gott, wie passen Sie beide zueinander. Ich hoffe, Madame, Sie werden ebenso gütig zu mir sein, wie Monsieur d'Argental D'Argental hatte sich mit Mademoiselle Dubouchet verlobt. Sie war keine »gute Partie«, aber ihre Ehe mit d'Argental sehr glücklich. Ihr Vater war der erste Intendant des Herzogs von Berry und hatte sein Vermögen verschleudert, seiner Tochter aber eine sehr sorgfältige Erziehung geben lassen. ...

 

45. An den Abbé Moussinot.

November 1737.

Ihre Geduld, mein lieber Abbé, wird auf eine harte Probe gestellt werden, der sie, fürchte ich, vielleicht nicht gewachsen ist. Weltliche Angelegenheiten, geistliche Angelegenheiten sind der Gegenstand des langen Geschwätzes, das hier folgt ... Außerdem: zwei Ries Kanzleipapier, ebensoviel Briefpapier, alles von holländischem Papier. Zwölf Stangen spanischen Spirituslack zum Siegeln, eine kopernikanische Sphäre, eines der größten Brenngläser, meine Kupfer vom Luxembourg, zwei Globen mit Fuß, zwei Thermometer, zwei Barometer, die längsten sind die besten ... Terrinen, Retorten. Beim Einkaufen, lieber Freund, stets das Schöne und Gute, wenn es auch teuer ist, dem weniger kostbaren Mittelgut vorziehen Für das Laboratorium in Cirey..

 

46. An Thieriot.

Cirey, 27. Februar 1738.

Ich schicke Ihnen, mein lieber Freund, einen Brief für den Kronprinzen Von Preußen., als Antwort auf den, welchen Sie mir auf dem andern Wege zugestellt haben. Sein Brief enthielt einen sehr schönen Smaragd mit Brillanten, und ich sende ihm nur Worte. Seien Sie sicher, mein lieber Thieriot, daß mein Dank an ihn noch viel wärmer und energischer ausfallen wird, wenn er erst für Sie getan hat, was Sie verdienen und was ich erwarte Er gedachte, ihn Friedrich als literarischen Korrespondenten zu empfehlen, der ihm die Pariser Neuigkeiten schreiben und die neuen Bücher schicken sollte. Der Baron Grimm machte das später im großen in seiner »Correspondance littéraire«..

1. Mai 1738.

47. ... Anderer Grund zur Betrübnis. Man meldet mir, daß die holländischen Buchhändler trotz all meiner Bitten und trotz aller Unvollständigkeiten die »Eléments de la Philosophie de Newton« veröffentlichen; da mi consiglio. Seit einem Jahr war das Manuskript bei den holländischen Verlegern, bis auf einige Kapitel. Ich glaubte in Frankreich dem Herrn Justizminister schuldig zu sein, ihm das vollständige Manuskript vorzulegen. Er hat es gelesen, es mit eigener Hand mit Randbemerkungen versehen und vor allem das letzte Kapitel wenig in Übereinstimmung mit den landläufigen Anschauungen gefunden. Kaum wurde ich von den Gefühlen des Ministers unterrichtet, so unterbrach ich sofort die Weitersendung des Manuskripts an die Holländer. Vor allem ist das letzte Kapitel – Newtons theologische Überzeugungen – nicht aus meinen Händen gekommen. Sollte das unvollständige Buch durch die Übereilung der Verleger in Frankreich erscheinen und der Minister mir das zur Last legen, so wäre es leicht, durch einfache Besichtigung des Buches ihn von meiner Unterwerfung unter seinen Willen zu überzeugen.

 

48. An den Abbé Moussinot.

Cirey, Mai 1738.

... Ich möchte, mein lieber Abbé, eine hübsche kleine Uhr haben, gut oder schlecht, einfach und nur aus Silber, vor allem aber klein, mit einer Schnur aus Seide und Gold. Drei Louisdor dürften dafür genügen ... Schicken Sie mir das sofort, sofort durch die Postkutsche. Es ist ein kleines Geschenk, das ich dem Sohn des Marquis du Châtelet machen möchte; er ist ein zehnjähriges Kind, er wird sie zerbrechen, aber er will eine; und ich fürchte, man könnte mir zuvorkommen. Ich umarme Sie.

 

49. An Thieriot.

Cirey, Juni 1738.

Pater Mersenne, ich erhalte Ihren Brief vom neunten. Zuerst muß ich aber mit der großen Nichte Die älteste Tochter seiner einzigen Schwester, Madame Mignot, hatte einen Kriegskommissar, Mr. Denis, geheiratet, mit dem sie zuerst in Lille und dann in Landau (Pfalz) lebte. Die jüngere Tochter, um die es sich hier handelt, heiratete einen höheren Finanzbeamten, Mr. de Fontaine. Der ältesten gab Voltaire 30 000 frs. Mitgift, der jüngeren 25 000. anfangen, deren Glück allen literarischen Diskussionen vorzugehen hat ... Von ganzem Herzen werde ich zu ihrer Ausstattung beitragen und ihr die 25 000 Frank geben, die Sie fordern; es tut mir leid, daß Sie nicht Herr von Fontaine heißen, denn in dem Falle gäbe ich ihr viel mehr ...

 

50. An Helvetius Claude Adrien Helvetius, geboren 1715, gestorben 1771, Verfasser des Buchs »de l'Esprit«, dessen materialistische Tendenz Voltaire (1758) mißbilligte. Persönlich war der junge Helvetius ihm sehr angenehm, und er förderte den Anfänger durch Kritik..

Cirey, 24. Dezember 1738.

Mein liebes Kind, verzeihen Sie diese Anrede, die Sprache des Herzens kennt aber keine Etikette. Niemals werden Sie so viel Freundschaft und so viel Strenge erfahren. Ich schicke Ihnen Ihre Epistel mit Anmerkungen, wie Sie's gewollt haben, zurück. Sie und Ihr Werk verdienen, vollkommen zu sein. Wer mußte sich nicht für beide interessieren? Madame du Châtelet denkt wie ich; sie liebt Ihre Aufrichtigkeit und Ihren unverfälschten Charakter; sie hält unendlich viel von Ihrem Geist und findet, daß Sie eine reiche Phantasie haben. Ihr Werk erscheint ihr voll von glänzenden Diamanten. Wie weit aber von so viel Gaben und anmutigen Vorzügen zu einem allen Ansprüchen der Korrektheit genügenden Opus! ...

 

51. An Thieriot.

2. Januar 1739.

Seit 20 Jahren, mein lieber Freund, bin ich durch meine Schriften in die Öffentlichkeit getreten und als natürliche Folge davon gezwungen, die öffentliche Verleumdung abzuwehren. Seit 20 Jahren bin ich Ihr Freund ...

Heute wagt es ein allgemein wegen seiner Bosheit zu verabscheuender Mensch, dem man gerechtfertigterweise seinen Undank gegen mich vorgeworfen hat, mich als frechen Lügner zu behandeln, wenn man erklärt, daß er als Lohn für meine Dienste ein Libell gegen mich geschrieben hat. Er führt Ihr Zeugnis dafür an und veröffentlicht, daß Sie Ihren Freund verleugnen und sich schämen, noch als sein Freund zu gelten ... Wie kann er die Frechheit haben, zu sagen, daß Sie abstreiten, was Sie mir so oft gesagt und so oft geschrieben haben Die »Eléments de la Philosophie de Newton« waren erschienen; Desfontaines hatte an dem Buch hämische Kritik geübt. Voltaire, der Desfontaines früher vor den Folgen einer peinlichen Affäre gerettet und der wußte, daß dieser darauf ein Libell »l'Apologie du Sieur Voltaire« gegen ihn geschrieben hatte, wollte ihn auf dieser Untat festnageln, als Thieriot, auf dessen Aussagen und Versicherungen Voltaire baute, sich schwankend und unzuverlässig erwies. Die Präsidentin de Bernières trat bei dieser Gelegenheit sehr entschieden für Voltaire ein.?

 

52. An den Abbé Moussinot.

Cirey, 2. Januar 1739.

Ein Gemisch von kandierten Kastanien, von Cachou, von Pastillen, von Goldstücken ist derart hin und her gerüttelt und geworfen worden, daß die Schachtel zerbrochen ist. Alles, was nicht Gold ist, ist zu Pulver zerrieben worden. Fünf Louisdor haben bei dem Gemetzel das Weite gesucht und sind spurlos verschwunden. Wünsche den Herren gute Reise So schreibt nicht gerade ein Geizhals.. Wenn Sie die weiteren 50 schicken, lieber Freund, machen Sie ein wohlversiegeltes Päckchen daraus, dem das Rütteln nichts anhaben kann ...

 

53. An d'Argental.

Cirey, 18. Januar 1739.

Mein lieber Schutzengel, warum muß der Chevalier de Mouhy Charles de Fieux, Chevalier de Mouhy, ließ sich in dem Streit mit Desfontaines eine Schrift Voltaires zuschreiben., der mich nicht kennt, wie mein Bruder handeln, und Thieriot, der mir alles schuldet, sich in feigem Undank die Arme kreuzen? Was! Mouhy läuft zu Mr. Hérault Zum Polizeipräsidenten in Paris., für mich Zeugnis abzulegen, und Thieriot schweigt!

 

54. An Helvetius.

Cirey, 25. Februar 1739.

... Fürchten Sie nicht, den Parnaß durch Ihre Talente zu ehren, da Sie ja nie Ihre Pflichten vernachlässigen werden; und was für Pflichten! Sind die Aufgaben Ihrer Stellung nicht etwas recht Schwieriges für eine Seele wie die Ihre? Diese Tätigkeit wird erledigt, wie man seinen Haushaltsetat und die Ausgaben seines Hausmeisters regelt. Was, ein Generalsteuerpächter Helvetius und auch der Baron Holbach, ein anderer materialistischer Aufklärer, waren Generalsteuerpächter. hätte nicht die Freiheit zu denken? Ei, Wetter, Atticus war Generalsteuerpächter, die römischen Richter waren Generalsteuerpächter und dachten doch als Römer. Also fortgefahren, Atticus!

 

55. An d'Argental.

22. März 1740.

Friedensengel, nun, wie finden Sie diesen Anfang der Geschichte Ludwigs XIV.? Ich glaube, daraus ließe sich etwas Neues machen Ist Voltaire gelungen: die erste kulturgeschichtliche Geschichte., das zugleich der Nation zur Ehre gereichte. Wie mich diese Nation, für die ich arbeite, jedoch behandelt! ...

1. Juni 1740.

56. ... Einstweilen, hier eine Art Ode, die ich für meinen lieben König von Preußen gemacht habe. Welches Beiworts bediene ich mich da. Ein lieber König! Das ist noch nie gesagt worden. Immerhin, da ist die Ode, besser die Stanzen, gut oder schlecht, sie kommen von Herzen; und aus dem Herzen kommt auch der zärtlichste Dank für Sie, die Dankbarkeit und die achtungsvollste, unverbrüchlichste Freundschaft.

Brüssel, 12. Juli 1740.

57. ... Ich weiß noch nicht, unter uns, ob er (Friedrich von Preußen) eine königliche Freigebigkeit mit seinen andern Eigenschaften verbinden wird; dafür kann ich nicht bürgen. Philosophie, Einfachheit, unveränderliche Zärtlichkeit für die, welche er mit dem Namen Freunde beehrt, äußerste Festigkeit und reizende Sanftmut, unerschütterliche Gerechtigkeit, großer Fleiß, Liebe zu den Künsten, eigenartiges Talent: das besitzt er gewiß Friedrichs II. Freigebigkeit war sehr ungleich..

 

58. An den Abbé Moussinot.

Juli 1740.

Mein lieber Abbé, ich erfahre aus Ihrem Brief den völligen Bankerott des Generalsteuerpächters Michel; er nimmt ein gutes Stück des Meinen mit Deus dedit, Deus abstulit; sit nomen Domini benedictum Auch bei späteren Verlusten zeigte sich Voltaire sehr ruhig, vgl. Voltaires Brief v. 20. 4. 1770, auf Seite 152/53. Ich bin also ziemlich resigniert ...

Brüssel, Februar 1741.

59. Rechnen Sie auf meine Freundschaft, mein lieber Abbé Voltaire vergaß seine Freunde nicht., wenn es sich darum handelt, Ihre Bilder anzupreisen Sie haben in der Art nur gute und schöne Sachen. Der König von Preußen liebt die Watteaus, Lancrets und Paters sehr. Von allen hat er etwas; ich argwöhne jedoch, daß vier kleine Watteaus in seinem Arbeitszimmer nur ausgezeichnete Kopien sind ...

 

60. An d'Argental.

26. Februar 1741.

Wie geht es meinem Schutzengel? Verzeihung, wenn ich ihm durch seinen Bruder ein Physikbuch schicke ... Bitte, geben Sie es an Mr. de Mairan Mathematiker und lebenslänglicher Sekretär der Pariser Akademie der Wissenschaften.. Gefällt es ihm, so würde er mich erfreuen, wollte er es in der Akademie vorlesen. Ich bin ganz seiner Meinung, und ich muß wirklich überzeugt sein, um Madame du Châtelets Ansicht entgegenzutreten. Sie und ich haben schöne Kämpfe über Mr. de Mairan. Sie kann sagen: Multa passa sum propter eum Madame du Châtelet hatte sich durch den Schweizer Mathematiker Koenig vom Newtonianismus zum Leibnizianismus zurückgewandt. Wir beiden sind aber ein Beweis dafür, daß man sich sehr gut streiten kann, ohne sich zu hassen ...

Brüssel, 5 Juni 1741.

61. Wie können meine Engel, die die Herzen prüfen, glauben, daß ich ihren »Mahomet« »Mahomet ou le Fanatisme«, Voltaires neuestes Trauerspiel, von dessen Veröffentlichung die beiden d'Argental wieder neues Ungemach für Voltaire befürchteten. drucken lasse? Ich bin nicht gottlos genug, ihre Befehle zu übertreten; er wird gedruckt und in Paris nur dann gespielt werden, wenn sie es gestatten.

Paris, März 1742.

62. Die lieben Engel sind anbetungswürdig, warum kann ich nicht heute mit ihnen kommunizieren! Das wäre ein reizendes Abendmahl für mich. Madame du Châtelet ist für heute und morgen eingeladen und hat zugesagt. Ich werde meinen lieben Engeln nach ihrem Diner den Hof machen kommen. Es tut Madame du Châtelet aufrichtig leid, nicht mit ihnen soupieren zu können. Könnte sie sich frei machen, sie täte es. Oh, Reh! oh, Rebhuhn! nur in dieser Gesellschaft würde ich euch vertragen können Seit Januar 1742 waren Voltaire und die Marquise wieder im Treiben von Paris. ...

 

63. An Madame de Champbonin Eine Gutsnachbarin von Cirey. Voltaire nennt sie später in seinen Briefen »gros chat«..

Paris 1742.

Meine liebe Freundin, Paris ist ein Abgrund, wo man jene Ruhe und Sammlung der Seele verliert, ohne die das Leben ein lästiger Tumult ist. Ich lebe nicht. Ich werde von Wirbeln getragen und weit fortgerissen. Ich komme, gehe, soupiere heute an einem Ende der Stadt und morgen am andern. Aus der Gesellschaft von drei, vier guten Freunden muß man in die Oper laufen, in die Komödie, Neuigkeiten sehen, wie ein Fremder, 100 Leute am Tag umarmen und 100 Beteuerungen empfangen. Keinen Augenblick für sich, keine Zeit, um zu schreiben, zu denken, zu schlafen. Ich bin wie jener Mann des Altertums, der unter den Blumen erstickte, mit denen man ihn überschüttete ...

 

64. An den Kardinal Fleury Kanzler Ludwigs XV..

10. September 1742.

... Ich will jetzt den pflichtschuldigen Bericht über meine Reise nach Aachen Dort hatte Voltaire sich mit Friedrich II. (zum dritten Male) getroffen. 1743, auf seiner zweiten Reise nach Berlin, hatte Voltaire auch eine diplomatische Mission der Regierung. Er berichtet darüber an den Minister des Äußeren, Amelot, am 2. u. 3. 8. 1743. – Unter dem Minister des Äußeren Marquis d'Argenson, der sein Schulkamerad gewesen war, genießt Voltaire die ersehnte Hofgunst in vollstem Maße und wird im Kanzleidienst verwandt. Vgl. seinen Entwurf einer »Lettre du Roi à la Czarine«, 2. 5. 1745, und seine »Représentations aux Etats Généraux de Hollande«, September 1745. – Die Reise nach Berlin 1743 machte Voltaire auf Regierungskosten. Doch fand seine diplomatische Mission bei Friedrich II. keine Gegenliebe. Unter Choiseul, November 1759, sucht Voltaire zum letzten Male, wenigstens offiziös eine diplomatische Rolle zu spielen. Vgl. den Brief an d'Argental auf Seite 82. abstatten ... Ich hatte alle Muße, in voller Freiheit alles mit ihm zu besprechen, was Ew. Eminenz mir aufgetragen hatten, und der König sprach ebenso freimütig mit mir ... Alles, was ich zu behaupten wage, ist, daß es mir als ein leichtes erschienen ist, den Geist eines Herrschers zu gewinnen, den die Lage seiner Staaten, sein Interesse und sein Geschmack zu einem natürlichen Bundesgenossen Frankreichs machen.

 

65. An Madame de Champbonin.

Meine liebe dicke Katzenfreundin, ich habe Ihren Brief in Brüssel erhalten. Wir sind hier in den Tiefen der Barbarei, im Reiche seiner Hoheit des edlen Herrn Marquis von Trichâteau Um dessen Nachlaß die du Châtelets prozessieren mußten. Voltaires Geschäftskenntnis leistete der Familie du Châtelet hierbei bedeutende Dienste. Vgl. Voltaires Brief an Madame de Montréval, Schwester der Marquise, v. 15. 11. 1749, auf Seite 57.; es ist, meiner Treu, ein ziemlich häßliches Reich. Bleibt Madame du Châtelet lange hier, so darf sie sich die Königin der Wilden nennen. Wir sind in der erhabenen Stadt Beringhem und gehen morgen nach dem herrlichen Schloß Ham, wo man nicht sicher ist, Betten, Fenster und Türen zu finden. Trotzdem soll es hier eine Räuberbande geben. Dann sind es aber Räuber, die Buße tun, denn von zu beraubenden Leuten sehe ich nur uns hier.

 

66. An Thieriot Der inzwischen Friedrichs II. Korrespondent geworden war..

Brüssel, 9. Oktober 1742.

... Was Sie auch sagen mögen, seien Sie fest überzeugt, daß ich allein mit ihm von Ihrer Pension gesprochen habe. Augenblicklich wird kein Händler bezahlt. Sie wissen, daß die Lancrets auch nicht bezahlt worden sind. Zuletzt wird man diese Dinge aber wohl regeln und so dringende Schulden bezahlen müssen; und dann habe ich allen Anlaß zu glauben, daß Sie nicht vergessen werden. Ich gestehe, es ist sehr hart, warten zu müssen. Dieser Mann erobert rascher eine Provinz, als er einen Gläubiger bezahlt ...

 

67. An d'Arnaud Vgl. Voltaires Brief an Moussinot v. 23. 11. 1736, auf Seite 38..

Brüssel, 20. November 1742.

Mein liebes Kind in Apollo, Sie entschließen sich also endlich dazu, auf anständigem Papier leserlich zu schreiben, mit Lack zu siegeln und sogar auf gewisse Einzelheiten einzugehen? Da muß eine schöne Wandlung mit Ihnen vorgegangen sein; aber anscheinend wird Ihre Bekehrung nicht anhalten, und Sie werden wieder in die Sünde Ihrer Faulheit zurückfallen ...

 

68. An d'Argental.

Haag, im Palast des Königs von Preußen, 5. Juli 1743.

... Sind die Menschen barbarisch genug geworden, um »Julius Cäsar« nicht aufführen lassen zu wollen? Hätte man mir vor Jahren gesagt, daß es zu diesem Gipfel der Unverschämtheit kommen würde, ich hätte es nicht geglaubt Das Stück war erstens zu »shakespearisch« angehaucht, und zweitens verherrlichte es den Unabhängigkeitssinn. ... Der König von Preußen ist wirklich empört über die Verfolgungen, die ich erleide, und will mich durchaus an Berlin fesseln. Ich habe seinen Brief Madame du Châtelet und den Engeln geopfert. All dieses gilt auch für Mr. de Pont de Vesle d'Argentals Bruder., und ich küsse, wie stets, Ihre Flügel in reiner Liebe.

 

69. An Thieriot.

Cirey, 8. Mai 1744.

Ich segne Gott und den König von Preußen, weil Sie nun endlich zu den Auserwählten dieser Erde gehören sollen; man denkt daran, Sie zu bezahlen. Gestatten Sie mir jedoch, mein Tedeum für den Tag aufzusparen, wo Sie Ihr Geld in Händen haben ... Der König schreibt mir fortdauernd die reizendsten Briefe, Ihr Wechselbrief wird mir aber als sein Meisterwerk erscheinen ...

 

70. An den Präsidenten Hénault Sohn eines Generalsteuerpächters, Parlamentsrat und später Parlamentspräsident in Paris, sehr angesehen, einflußreich und gelehrt. Veröffentlicht 1744 seinen berühmten »Abrégé de l'histoire de France«, worin er gleich Voltaire die Kulturgeschichte berücksichtigte..

Champs, 14. September 1744.

... Sie wissen, mein verehrter Präsident, daß Sie Madame du Châtelet aus der größten Verlegenheit der Welt gezogen haben? Diese Verlegenheit begann in der rue Croix des Petits Champs Eine enge und verkehrsreiche Straße auch noch des heutigen Paris. und endete am Hôtel de Charost; dort stand ein Wirrwarr von 2000 Karossen in drei Reihen, und 2-3000 Leute brüllten um die Karossen herum ... Ich war mit Madame du Châtelet ... Sie, mit Diamanten bedeckt, steigt aus, ruft um Hilfe, kommt durch die Menge, ohne bestohlen noch gestoßen zu werden, betritt Ihr Haus, läßt eine Poularde vom Geflügelröster an der Ecke holen, und wir haben in aller Gemütlichkeit in dem Hause, wohin alle Sie zurückwünschten, auf Ihr Wohl getrunken ... Ich habe die »Princesse de Navarre« Voltaires dramatische Huldigung zur Hochzeitsfeier des Dauphins. in Mr. d'Argentals Händen gelassen und das Zwischenspiel »Le Temple de la Gloire«. in Herrn Rameaus.

 

71. An d'Argental.

Versailles Der Dauphin feierte seine Hochzeit mit Marie-Thérèse von Spanien. Voltaire spielte bei den Festlichkeiten eine Rolle, dank seinem Gönner, dem Marquis d'Argenson, und der Gunst der Marquise de Pompadour., 25. Februar 1745.

Der französische Hof ist ein Bienenstock, man summt dort um den König. Bei der ersten Aufführung Der »Princesse de Navarre«. war mehr Lärm als im Parterre der Komödie Comédie française.; der König schien aber zufrieden. Ich habe nur versucht, ihm zu gefallen ... Mein Stück ist schicklich Durchaus. Vgl. Voltaires Brief vom 17. 9. 1725. Damals erreichte Voltaire den Gipfel seines weltlichen Glücks in Frankreich. Im März 1746 wurde er in die Académie française gewählt, im Dezember zum Gentilhomme de la Chambre du Roi ernannt. Seit 1745 war er bereits Hofhistoriograph mit einem Jahrgehalt von 2000 frs. und hat gefallen, ohne eine Schmeichelei zu sein. Der König weiß es mir Dank ...

 

72. An den Marquis d'Argenson.
Bei der ersten Nachricht von der Schlacht bei Fontenoy Sieg der Franzosen über Österreicher und Engländer in Flandern. Voltaire, als Hofhistoriograph, besang die Schlacht in dem »Poème sur la bataille de Fontenoy«.,

Donnerstag, 13. Mai 1745, 11 Uhr abends.

Welch schönes Amt, Ihr Geschichtschreiber zu sein. Seit 300 Jahren haben die Könige von Frankreich nichts so Ruhmreiches getan. Ich bin toll vor Freude! Gute Nacht, Monseigneur.

 

73. An Dom Calmet, Abt von Senones Abtei in den Vogesen, Dom Calmet war der Genealoge der Familie du Châtelet. Voltaire besuchte ihn später von Colmar aus..

Luneville, 13. Februar 1748.

Ich ziehe, mein Herr, die Einsamkeit dem Hof und die Freunde den Königen vor. Ich hätte die größte Lust, einige Wochen mit Ihnen und Ihren Büchern zu verbringen. Ich brauche eine warme Zelle, und wenn ich etwas Kraftsuppe, etwas Hammelbraten und Eier hätte, würde ich diese glückliche und gesunde Einfachheit einer Königstafel vorziehen.

 

74. An d'Argental.

Cirey, 21. Januar 1749.

... Madame du Châtelet schickt Ihnen die zärtlichsten Grüße; sie hat die Vorrede ihres Newton fertiggemacht »Principes de la Philosophie de Newton«, eine Übersetzung des englischen Originals; die Marquise hatte sich inzwischen wieder zum Newtonianismus bekehrt., die ein Meisterwerk ist. Keiner von der Akademie der Wissenschaften könnte das besser machen. Diese Arbeit ehrt ihr Geschlecht und Frankreich. Wahrlich, ich bin von Bewunderung durchdrungen. Valete, angeli.

 

75. An den Abbé Voisenon 1708-1775, Gelehrter und Weltmann..

Lunéville, 4. September 1749.

Mein lieber Herzensabbé soll wissen, daß Madame du Châtelet, als sie nach ihrer löblichen Gewohnheit am Schreibtisch saß, sagte: »Aber ich fühle da doch etwas!« Dieses Etwas war ein kleines Mädchen, das sofort auf die Welt kam. Man hat es auf ein Geometriewerk gelegt, das gerade zur Hand war, und die Mutter ist zu Bett gegangen. Ich, der in den letzten Monaten vor ihrer Entbindung nicht wußte, was tun, habe angefangen, ganz allein ein Kind zu fabrizieren; nach 8 Tagen bin ich mit »Catilina« Eine Tragödie. niedergekommen. Es ist ein Witz der Natur, daß sie mich in acht Tagen vollbringen läßt, woran Crébillon sich 30 Jahre gemüht hat. Madame du Châtelets Entbindung erfüllt mich mit Bewunderung, die meine mit Entsetzen Vgl. die bezüglichen Briefe und Noten in dem Briefwechsel der Marquise du Châtelet und Friedrichs II. ...

Bei Bar, 14. September 1749.

76. ... Ich verlasse Mr. du Châtelet nicht, ich begleite ihn nach Cirey. Er muß dorthin, um eine schmerzliche Pflicht zu erfüllen Es handelte sich, nach dem Tode der Marquise, um die Auflösung des gemeinsamen Haushalts in Cirey, zu dem Voltaire reichlich beigetragen hat. Vgl. Voltaires Brief vom 15. 11. 1749, auf Seite 57.. So werde ich denn das Schloß wiedersehen, das die Freundschaft verschönte, und wo ich in den Armen Ihrer Freundin zu sterben hoffte.

 

77. An d'Argental.

Cirey, 21. September 1749.

... Ich vergehe in diesem Schloß; eine alte Freundin der unglücklichen Frau Der Marquise. weint hier mit mir; ich erfülle meine Pflicht Ob Voltaire damals seine Briefe an die Marquise vernichtet hat? mit dem Gatten und Sohn. Nichts ist schmerzlicher, als was ich in den letzten drei Monaten erlebte und was mit dem Tode geendet hat. Mein Zustand ist furchtbar, Sie fühlen seine ganze Bitterkeit, und Ihre schönen Seelen mildern ihn etwas ... Was wird aus mir werden, liebe Schutzengel? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich Sie beide sicherlich ebenso liebe, wie ich jene liebte ...

Cirey, 23. September 1749.

78. ... Nicht eine Geliebte habe ich verloren, sondern die Hälfte meiner selbst, eine Seele, für die die meine geschaffen, eine Freundin, der ich durch zwanzigjährige Bande verbunden war, die ich hatte aufwachsen sehen Er war allerdings mit ihrem Vater seit seinen eigenen Jünglingsjahren befreundet, aber daß er das junge Mädchen gerade aufwachsen gesehen .... Es tröstet mich, ihr Bild überall wiederzufinden, mit ihrem Gatten und Sohn von ihr zu sprechen. Der Schmerz ist eben nicht bei allen Menschen der gleiche, dieses ist der meine. Glauben Sie, ich bin in einem seltsamen Zustande ...

 

79. An d'Arnaud.

14. Oktober 1749.

Mein liebes Kind, eine Frau, die Newton übersetzt und erläutert, die eine Virgilübersetzung gemacht hat, ohne in der Unterhaltung ahnen zu lassen, daß sie so Außergewöhnliches vollbrachte; eine Frau, die nie jemanden verleumdete und nie eine Lüge sagte; eine aufmerksame und mutige Freundin, mit einem Wort, ein sehr großer Mann, von der die Durchschnittsfrauen nur ihre Diamanten und ihr Spiel Sie spielte leidenschaftlich und rechnete vorzüglich. kannten, das mein Leben lang zu beweinen, werden Sie mich nicht hindern ...

 

80. An Madame de Montréval, Schwester von Madame du Châtelet.

15. November 1749.

Gestatten Sie, gnädige Frau, daß ich Ihnen das Ergebnis der Unterredung, die ich mit Ihnen vor zwei Tagen zu haben die Ehre hatte, wieder zurückrufe. Der Marquis du Châtelet entsinnt sich, daß ich die Forderung von 40 000 Frank, einer Summe, die ihm zum Ausbau von Cirey und für andere Ausgaben geliehen war, in Anbetracht seiner Vermögenslage und der Freundschaft, mit der er mich stets beehrt hat, auf 30 000 verringerte und daß er mir beim Notar Bronod eine Verschreibung von 2000 Frank Lebensrente als Zinsen dieser 30 000 Frank gab. Sie wissen, gnädige Frau, daß ich nie einen Pfennig von dieser Rente bekommen habe, daß ich es nicht verlangte, und daß, wenn ich mehrere Jahre hintereinander Quittung darüber ausgestellt habe, ich sicherlich sehr weit entfernt gewesen bin, die Zahlung zu verlangen.

Sie wissen auch, gnädige Frau, und Mr. du Châtelet entsinnt sich dessen in freundschaftlichster Weise, daß, als ich das Glück hatte, seinen Prozeß in Brüssel zu gutem Abschluß zu bringen und ihm 200 000 Frank bares Geld zu verschaffen, ich ihn bat, für gut zu befinden, daß ich, betreffs der 30 000 Frank und der Rückstände, über die ich keine Quittungen gegeben habe, einen Vergleich mit ihm schlösse, und um reinen Tisch zwischen uns zu machen, nur eine einmalige Zahlung von 15 000 Frank erhielte. ... Ich erhielt 10 000 Frank bar ... Die übrigen 5000 Frank sollten von Madame du Châtelet für meine Wohnung in Argenteuil und zum Ankauf eines Grundstücks verwendet werden, und ich gab Madame du Châtelet eine Quittung über das Ganze.

Da die 5000 Frank ihre Verwendung nicht gefunden haben, wollen Sie, daß ich es damit ebenso mache, wie ich bisher Mr. du Châtelet gegenüber handelte ... Gut, ich werde 5000 Frank für 100 Louisdor geben ... Mir liegt mehr an der Freundschaft des Marquis du Châtelet als an 5000 Frank. Ich habe die Ehre ...

 

81. An d'Argental.

Compiègne, 26. Juni 1750.

Warum bin ich hier? Warum fahre ich weiter? Warum verließ ich euch, meine lieben Engel? Ihr seid nicht meine Wächter, da ihr mich dem Reisedämon ausliefert: video meliora proboque deteriora sequor Ich sehe und billige das Gute und tue das Schlechte, d h. Voltaire ging nach Preußen. Nach dem Tode der Marquise hatte er sich zuerst in der Abtei Senones bei Dom Calmet vergraben wollen. Dann hatte er sich zu den d'Argental geflüchtet und Weihnachten 1749 mit Madame Denis, die bereits verwitwet war, in der rue Traversière in Paris ein eigenes Haus bezogen. Als Friedrich II. ihn dann von neuem einlud – die Marquise bildete ja kein Hindernis mehr –, nahm Voltaire an. Vgl. Voltaires Brief an Friedrich II. vom 8. 5. 1750, die Geldangelegenheiten betreffend, auf Seite 209. ...

 

82. An Madame Denis.

Charlottenburg, 14. August 1750.

Das ist die Sache, mein liebes Kind: Der König von Preußen macht mich zu seinem Kammerherrn, gibt mir einen seiner Orden, 20 000 Frank Jahrgehalt, und Dir 4000 auf Lebenszeit, wenn Du nach Berlin kommen und mir dort mein Haus führen willst wie in Paris. Du hast doch mit Deinem Mann in Landau gelebt; ich schwöre Dir, Berlin ist Landau wert, und die Oper ist besser. So, und nun zieh Dein Herz zu Rate Madame Denis befragte ihren Verstand darüber, was richtiger sei, und der sagte nein. ...

Potsdam, 13. Oktober 1750.

83. Nun sind wir in dem stillen Potsdam – der Tumult der Feste ist verrauscht, meine Seele fühlt sich wohler. Es ist mir nicht unlieb, mit einem König ohne Hof und ohne Staatsrat zu leben. Allerdings, Potsdam wird von Schnurrbärten und Grenadiermützen bewohnt, doch sehe ich sie, Gott sei Dank, nicht, und arbeite friedlich beim Trommelwirbel in meinem Zimmer. Von den Diners des Königs habe ich mich gedrückt; da sind zu viel Generale und Prinzen. Ich konnte mich nicht daran gewöhnen, immer dem König in steifem Zeremoniell gegenüber zu sein und mich öffentlich zu unterhalten. Ich soupiere aber mit ihm im kleinen Kreise. Das Souper ist kürzer, lustiger und gesünder. Müßte ich alle Tage mit einem König öffentlich speisen, ich stürbe an Kummer und verdorbenem Magen ...

Potsdam, 28. Oktober 1750.

84. Ich weiß nicht, warum der König mich meines Amtes als Historiographen Frankreichs enthebt Auf diese offizielle Stellung am französischen Hofe hatte Voltaire bei seiner Abreise nach Preußen und seinem Eintritt in preußische Dienste verzichten müssen., mir jedoch mein Patent als Edelmann bei Hofe zu belassen geruht; gerade weil ich im Auslande, bin ich geeigneter, Geschichte zu schreiben, ich würde weniger einem Schmeichler gleichen, und die Freiheit, die ich genieße, würde der Wahrheit mehr Gewicht verleihen. Mein liebes Kind, um die Geschichte seines Landes zu schreiben, muß man außer Landes sein. So habe ich jetzt also zwei Herren. Der, welcher sagte, man kann nicht zween Herren dienen, hatte sicher recht; um dem nicht zu widersprechen, diene ich daher auch keinem. Ich schwöre Dir, ich liefe weg, wenn ich meine Obliegenheiten als Kammerherr, wie an andern Höfen, erfüllen müßte. Meine Obliegenheit ist aber, nichts zu tun. Ich genieße meine Muße. Täglich gebe ich dem König von Preußen eine Stunde, um seine Prosa- und poetischen Werke etwas abzurunden. Ich bin sein Grammatiker, nicht sein Kammerherr. Der Rest des Tages gehört mir, und den Abend beschließt ein angenehmes Souper ...

Berlin, im Schloß, 26. Dezember 1750.

85. Ich schreibe Dir an der Seite eines Ofens, mit schwerem Kopf und traurigem Herzen, indem ich die Blicke auf die Spree werfe; denn die Spree geht in die Elbe, die Elbe in das Meer, und das Meer nimmt die Seine auf, und unser Haus in Paris ist ziemlich nahe der Seine Rue Traversière, wo Madame Denis wohnen blieb. Nun waren die Tage gekommen, von denen wir sagen: sie gefallen uns nicht; Zank mit Baculard d'Arnaud, Streit mit Maupertuis, die Affäre mit den sächsischen Steuerscheinen. Vgl. Brief Voltaires an Friedrich II., undatiert, 1750, auf Seite 210.; und ich sage zu mir: Mein liebes Kind, warum bin ich in diesem Schloß, in diesem Zimmer, das auf die Spree geht, und nicht an unserm Kamin? ... Welche Gewissensbisse ich habe! mein liebes Kind, all mein Glück ist vergiftet! und das Leben so kurz; und wie jammervoll, sein Glück ferne von euch zu suchen, und welche Vorwürfe, wenn man es findet.

 

86. An Darget Friedrichs II. Vorleser..

Januar 1751.

Mein lieber Freund, wenn ich Ihnen schreibe, so ist das nur für Sie, nur Ihnen öffne ich mein Herz. Ich bin so krank, daß ich für meine Betrübnis kein Gefühl mehr habe. Meine Seele ist tot, und mein Leib stirbt. Ich beschwöre Sie, sich nötigenfalls dem König zu Füßen zu werfen und auszuwirken, daß ich am Ende dieses Monats bis etwa Ende Mai nach dem Marquisat Ein kleiner Landsitz in der Nähe von Potsdam. – Im Marquisat arbeitete Voltaire am »Siècle de Louis XIV.« Im Mai war er wieder in Potsdam. gehen darf. Ich kann dort allerdings nicht ohne dieselbe Güte und Großmut bestehen, die er mir hier zu erweisen geruht ... Aber versuchen Sie, mein lieber Freund, in der achtungsvollsten und zartesten Form zu erwirken, daß mein Jahrgehalt von Ende Februar bis zu meiner Rückkehr nicht mehr ausgezahlt wird. Ich ziehe es bei weitem vor, meine Gesundheit auf dem Marquisat wiederherzustellen, als Geld einzustreichen ...

 

87. An den Marschall de Richelieu Zuerst Gesandter in Wien, hatte er nachher am spanischen Erbfolgekrieg und an der Schlacht von Fontenoy teilgenommen, war 1748 Marschall geworden, machte den Feldzug nach Minorka mit, siegte bei Port Mahon, wurde aber 1758 aus Hannover vertrieben. 1696 geboren, starb er 1788. – Er war ebenso sittenlos wie einflußreich..

Berlin, 31. August 1751.

... Ich möchte Sie lieber durch Übersendung einiger Stücke des »Siècle de Louis XIV.« unterhalten ... Ich arbeite wie ein Benediktiner Am »Siècle de Louis XIV«; die Benediktiner gelten als die gelehrtesten und fleißigsten Mönche. ... Wie konnte man in Paris alles, was Madame de Montespan und Madame de Maintenon und ihre Heirat betrifft, drucken? Entweder muß man auf Geschichtschreibung verzichten oder nichts von den Tatsachen unterschlagen ...

 

88. An Madame Denis.

Berlin, 2. September 1751.

... Dieser La Mettrie La Mettrie war wegen seines Buches »L'homme machine« aus Frankreich vertrieben und von Friedrich II. aufgenommen worden. Er war der Spaßmacher. ist ein Mensch ohne Bedeutung, der nach dem Vorlesen gemütlich mit dem König plaudert. Er spricht auch mit mir vertraulich und hat mir geschworen, daß kürzlich, als er mit dem König über meine angebliche Gunst und die kleinen Eifersüchteleien Es ging unter den Männern, die Friedrichs II. nähere Umgebung bildeten, tatsächlich zu wie unter den Frauen eines Harems. redete, die daraus entstehen, der König ihm geantwortet habe. »Ich brauche ihn höchstens noch ein Jahr; man drückt die Apfelsine aus und wirft die Schale weg.«

Ich habe mir diese holden Worte wiederholen lassen, habe von neuem gefragt, und er hat von neuem beteuert. Glaubst Du es? Soll ich es glauben? Ist das möglich? ...

Potsdam, 24. Dezember 1751.

89. ... Ich hatte La Mettrie auf seinem Totenbette 1751. wegen der Orangenschale befragen mögen. Im Augenblick, wo sie vor Gott erscheinen sollte, hatte diese schöne Seele doch nicht lügen können. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß er die Wahrheit gesagt hat. Er war der verdrehteste Mensch der Welt, aber auch der harmloseste ...

Berlin, 18. Januar 1752.

90. ... Ich betaste mich, um zu sehen, ob ich noch lebe; dieser Winter ist mir noch verhängnisvoller gewesen als der vorige Voltaire betonte die Unzuträglichkeit des Klimas, um desto leichter fort zu können.. Jedoch hat man es im Winter nur in den kalten Ländern warm. Euere kleinen Pariser Kamine, wo man sich die Beine brät und im Rücken friert, sind unsere Öfen nicht wert ...

 

91. An Herrn de Cideville.

Potsdam, 3. April 1752.

Dank, mein lieber alter Freund; die Anzeige der holländischen Verleger ist eine Ente. Alle Buchhändler Europens reißen sich um den Druck des »Siècle«; um das Maß vollzumachen, übersetzt man es, ehe ich es noch durchgesehen habe. Ich lasse alles gehen und arbeite nur Tag und Nacht, um eine vollständigere und genauere Ausgabe herzustellen ... Es war damals angenehm, ein berühmter Schriftsteller zu sein.

 

92. An Madame Denis.

Potsdam, 24. Juli 1752.

Du und Deine Freunde haben durchaus recht, meine Rückkehr zu beschleunigen; ihr habt das aber nicht immer durch besondere Gelegenheit getan, und was man durch die Post schickt, ist bald verbreitet. Hätte die Trennung nur diesen Nachteil (und sie hat so viele andere!), so müßte man deshalb schon seine Familie und seine Freunde nicht verlassen. Die Einrichtung der Post ist eine schöne Sache, aber nur für Wechselbriefe. Das Herz kommt dabei nicht auf seine Kosten, ist man in der Ferne, so kann man es nicht mehr öffnen ...

Maupertuis hat unter der Hand das Gerücht verbreitet, daß ich die Werke des Königs sehr schlecht finde; er klagt mich der Verschwörung gegen eine sehr gefährliche Macht, die Eigenliebe, an; er erzählt heimlich, daß, als der König mir seine Verse zum Korrigieren schickte, ich gesagt haben soll: »Wird er es denn nicht überdrüssig, mir seine schmutzige Wäsche zum Waschen zu schicken?« Und er hält diese befremdlichen Reden vor zehn bis zwölf Personen, denen er Stillschweigen anempfiehlt ...

 

Hier beginnt Voltaires Briefwechsel mit d'Alembert. Siehe Seite 231–262.

 

 

93. An Madame Denis.

Potsdam, 9. September 1752.

Ich fange an zu fühlen, mein liebes Kind, daß ich mit einem Fuß aus Alcinens Schwester der Fee Morgane und Beiname der Armida des Ariost, hier auf Friedrich II. angewandt. Schloß bin. Ich übergebe dem Herzog von Württemberg die Fonds, die ich nach Berlin hatte kommen lassen, und er wird uns darauf eine Lebensrente für uns beide geben Voltaire lieh deutschen Fürsten und französischen Adligen Geld, das ihm in Lebensrente verzinst etwa 10 % brachte. Nur zahlten die adligen Schuldner nicht immer sehr pünktlich. Vgl. Voltaires Brief vom 30. 3. 1768, auf Seite 140. ...

Berlin, 13. Januar 1753.

94. Ich. habe dem Salomon des Nordens Friedrich II. als Neujahrsgeschenk seine Schellen und seine Pritsche Kammerherren-Stern und -Schlüssel. zurückgeschickt, die Du mir genügend vorgeworfen hast. Ich habe ihm einen achtungsvollen Brief geschrieben und um meine Entlassung gebeten. Weißt Du, was er getan hat? Er hat mir sein langes Faktotum Federstorff mit all den Sächelchen wiedergeschickt und mir geschrieben, daß er lieber mit mir als mit Maupertuis leben wolle. Fest steht, daß ich weder mit dem einen noch dem anderen leben mag Inzwischen hatte sich der Federkrieg zwischen Maupertuis, Voltaire und Friedrich II. abgespielt, der Doktor Akakia war verbrannt worden, und Ende Januar verließ Voltaire das Schloß, um eine eigene Wohnung in Berlin zu beziehen. ...

Mainz, 19. Juli 1753 Am 26. März hatte Voltaire Berlin verlassen, drei Wochen wurde er in Leipzig gefeiert, ging dann über Kassel nach Frankfurt, wo Baron von Freytag, Friedrichs II. Gesandter, ihm alle Skripturen (Briefe und besonders ein Gedichtbuch »Oeuvres de Poésies«) des Königs abfordern, eventuell seine Effekten durchsuchen und ihn bei Widerstand gefangen setzen sollte. Die Order wurde denn auch mit möglichstem Ungeschick ausgeführt. Durch eine Reihe von Zwischenfällen aufgebracht, suchte Voltaire mit Madame Denis, die am 9. Juni 1753 in Frankfurt eingetroffen war, zu entfliehen und wurde im Gasthaus zum Bockshorn militärisch bewacht. Am 7. Juli war er in Mainz. Anfang Oktober ging er nach Colmar..

95. ... Ich glaube, zu träumen und daß dies alles zur Zeit des Dionysus von Syrakus geschehen ist; ich frage mich, ob es wirklich wahr sei, daß eine Dame aus Paris, die mit einem Paß ihres Königs reist, in Frankfurt von Soldaten durch die Straßen geschleppt, ohne jede Form von Prozeß ins Gefängnis gesteckt wird, ohne Kammerfrau, ohne Bedienung, und daß vor ihrer Tür vier Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett hingestellt werden ...

Colmar, 20. Dezember 1753.

96. Ich habe etwas Ordnung in den unheimlichen Haufen von Papieren gebracht, mein liebes Kind, die ich endlich bekommen habe, und diese Anstrengung hat mich etwas angegriffen. Glaube mir, es war eine traurige Durchsicht, und diese Briefe sind keine Denkmäler der Güte der Menschen. Man nennt die Könige undankbar, es gibt aber Schriftsteller, die es viel mehr sind ...

 

97. An d'Argental.

Colmar, 15. Januar 1754.

... Ich gedenke Ihnen den ersten Band der »Annalen des Kaiserreichs« zu schicken Die er für die Markgräfin von Baireuth, Friedrichs II. Schwester, bearbeitete., sie sind nichts als ein Kolossalgemälde der Torheiten und Abscheulichkeiten des Menschengeschlechts, wie auch die Weltgeschichte Sein »Abrégé de l'Histoire Universelle«, der später zum »Essai sur les Mœurs« wurde. ... Die sachverständigen Leute sagen, daß die Annalen richtig sind, doch das ist nicht genug, ich hätte sie weniger trocken gewünscht. In Frankreich muß man gefallen, in der übrigen Welt belehren ...

Colmar Voltaire hatte sich dort behaglich eingerichtet, Madame Denis kehrte später nach Paris zurück. Voltaire kam nicht mit, weil der Hof ihn dort nicht wünschte., 21. März 1754.

98. ... Die angebliche Weltgeschichte hat den unerbittlichen Zorn der Geistlichkeit auf mich gelenkt. Der König kann von meiner Unschuld nicht unterrichtet sein, und so kommt es, daß ich nach Frankreich nur zurückgekommen bin, um eine Verfolgung zu erleiden, die mich überleben wird. Das ist meine Lage, mein lieber Engel, und man muß sich darüber keiner Täuschung hingeben ...

Senones, 12. Juni 1754.

99. ... Ich verliere meine Zeit hier nicht. Gezwungen, an der »Histoire Universelle« zu arbeiten, die zu meinem Unglück gedruckt worden ist und deren Ausgaben immer zahlreicher werden, konnte ich wesentliche Hilfsmittel nur in der Abtei Senones finden Er war ja von Cirey her mit dem Abt, Dom Calmet, befreundet und dessen Bücherei allerdings eine gute Fundgrube. Wollte er aber vielleicht auch durch seinen Aufenthalt im Kloster dem Hof seine Rechtgläubigkeit beweisen?.

 

100. An die Gräfin von Lützelburg Eine geborene von Klinglin, Voltaire hatte sie in Straßburg kennen gelernt..

Colmar, 23. Oktober 1754.

Offen gestanden, ich erwartete nicht, acht volle Stunden mit der Schwester des Königs von Preußen in Kolmar zu verbringen Wilhelmine zeigte sich Voltaire sehr geneigt. Sie hat mich mit Freundlichkeiten überhäuft und mir ein sehr schönes Geschenk gemacht. Sie hat durchaus darauf bestanden, meine Nichte zu sehen, kurz, sich bemüht, das Böse gutzumachen, das man mir im Namen ihres Bruders angetan hat. Schließen wir daraus, daß die Frauen besser sind als die Männer.

 

101. An d'Argental.

Colmar, 10. November 1754.

Wir gehen nach Lyon, mein lieber Engel, wo Herr von Richelieu Der alte Gönner. uns ein Rendezvous gibt. Ich weiß aber nicht, wie Madame Denis und ich reisen werden, denn wir sind beide krank, in Verlegenheit und in steter Angst vor dieser »Pucelle« Von der allerlei Abschriften im Umlauf waren, deren Druck Voltaire jetzt besonders fürchtete; stand er doch zwischen Tür und Angel. ...

Lyon

102. Da bin ich in Lyon. Herr von Richelieu hat es vermocht, daß ich hundert Meilen im Postwagen zurücklegte. Ich weiß nicht, wohin ich gehe, noch gehen werde ... vielleicht verbringe ich den Winter auf einem südlichen Abhang der Alpen. Ich will Ihnen gestehen, daß ich bei dem Kardinal de Tencin Dort ging Voltaire die Unmöglichkeit seiner Rückkehr nach Paris auf; Kirche und Hof wollten ihn nicht. nicht das freundliche Entgegenkommen gefunden habe, das ich von Ihrem Onkel erwartete; die Markgräfin von Baireuth hat mich besser aufgenommen und besser behandelt. Das scheint mir alles sehr unnatürlich ...

 

103. An Madame de Fontaine Seine jüngere Nichte..

Prangins, Kanton Waadt Voltaire hatte in der Schweiz, wohin er sich zu gehen entschlossen hatte, zuerst in Prangins am Genfer See bei Herrn Guyuer gewohnt, dann in einem eigenen Häuschen., 13. Februar 1755..

Du bist also ernsthaft krank gewesen, meine liebe Nichte? ... wir haben in Prangins gerade ein sehr gutes Mineralwasser zum Trinken ... Komm, und gebrauche die Kur bei uns; versuche Thieriot mitzubringen, er will mit der Postkutsche kommen, würde dabei aber gerädert und käme tot hier an ... Mein Häuschen liegt nicht in der Schweiz, sondern am Ende des Sees zwischen dem Französischen, dem Genfer, Schweizer und Savoyer Gebiet. Ich gehöre zu allen Nationen. Man hat uns überall sehr gut aufgenommen, aber unser größter Genuß ist augenblicklich unsere Einsamkeit ...

 

104. An d'Argental.

Délices Das Grundstück, das Voltaire an den Toren Genfs kaufte und das als Sommeraufenthalt dienen sollte, es kostete 87 000 frs. Madame Denis begab sich nun zu ihm, und der Pariser Haushalt wurde aufgelöst., Genf, 8. März 1755.

Meine »Delices« sind ein Grab, lieber, verehrter Freund; da sind wir, meine Krankenpflegerin und ich, an den Ufern des Genfer Sees und der Rhone, und ich werde wenigstens im eigenen Hause sterben. Freilich, es wäre recht angenehm, in einem reizenden, bequemen, geräumigen Hause, das entzückende Gärten umgeben, zu leben; doch würde ich ohne Sie, mein lieber Engel, dort leben, und das heißt wirklich, verbannt sein. Unsere Einrichtung kostet uns viel Geld und Mühen. Ich rede nur mit Maurern, Zimmerleuten, Gärtnern. Ich lasse schon meine Weinstöcke und Bäume verschneiden und kümmere mich um die Hühnerhöfe ...

 

105. An Thieriot.

Délices, 9. Mai 1755.

Ich verwünsche meine Arbeiter, lieber alter Freund, da sie Sie verhindern, den schönen und tröstlichen Plan auszuführen, selbst meine letzten Werke und meinen letzten Willen hier in Empfang zu nehmen Thieriot ließ sich seinem Paris nicht so leicht entreißen..

Ich pflanze und baue, ohne jedoch zu hoffen, daß ich meine Bäume wachsen und meine Hütte fertig sehen werde. Jetzt lasse ich eine kleine Wohnung für Madame de Fontaine herrichten, die erst nächstes Jahr fertig sein wird ... Sie aber, der weder Toilettenkabinett noch Kammerfrau nötig hat, könnten doch ein kleines Dachzimmer mit bunten Leinwandvorhängen bewohnen kommen, das die Freundschaft verschönern wurde ...

 

106. An d'Argental.

23. Juni 1755.

Mein lieber Engel, ich habe all Ihre chinesischen Briefe Voltaire arbeitete an einem neuen Theaterstück, »l'Orphelin de la Chine«. erhalten und stecke tief in dem Land, wo Sie mich hingeschickt haben. Ich habe Ihre Meerkatzen wieder in den Ofen gesteckt, und Sie sollen sie unverzüglich wieder haben. Glauben Sie, dieses Porzellan ist schwer zu brennen. Das Ende des vierten Aktes, der Anfang des fünften waren unerträglich, und den drei andern fehlte sehr viel ...

Délices, 28. Juli 1755.

107. Ich bin nicht gerade sehr entzückt, mein lieber verehrter Freund; diese ganze Geschichte mit Jeanne d'Arc ist betrüblich Andere Abschriften waren in Umlauf gesetzt worden.. Der Überbringer wird Ihnen eine Abschrift zustellen, die Sie sicher anständiger, richtiger und ansprechender finden werden als die Manuskripte, die man öffentlich verkauft. Ich beschwöre Sie, davon eine Abschrift für Madame de Fontaine zu machen, Thieriot selbst eine davon nehmen zu lassen und Ihren Freunden zu gestatten, gleichfalls für sich zu kopieren. Das ist das einzige Mittel, die Gefahr, die mich bedroht, abzuwenden. Man hat sich erlaubt, alle Lücken dieses Gedichts, das ich vor 30 Jahren begann, auszufüllen und entsetzliche Tiraden hineinzustecken, eine gegen den König habe ich selbst gesehen ...

 

108. An J. J. Rousseau.

30. August 1755.

Ich habe, mein Herr, Ihr neues Buch Rousseaus Schrift »Le progrès des arts et des sciences a-t-il contribué à améliorer ou à corrompre les mœurs?« gegen das Menschengeschlecht erhalten; ich danke Ihnen dafür. Sie werden den Menschen, denen Sie Wahrheiten sagen, gefallen, werden sie aber nicht ändern. Man kann nicht mit stärkeren Farben die Greuel der menschlichen Gesellschaft schildern, von der unsere Unwissenheit und Schwäche sich soviel Trost versprechen. Nie hat man mehr Geist darauf verwendet, uns dumm zu machen; man bekommt bei der Lektüre Ihres Werkes Lust, auf allen vieren zu kriechen. Da ich jedoch über 60 Jahre alt bin, habe ich diese Gewohnheit verloren, und ... überlasse eine so natürliche Haltung denen, die ihrer würdiger sind als Sie und ich ... Ich gestehe zu, daß die schöne Literatur und die Wissenschaften manchmal viel Böses verschulden ... Kaum hatten Ihre Freunde das »Dictionnaire Encyclopédique« begonnen, so behandelte man sie als Deisten, Atheisten, ja als Jansenisten.

Wenn ich mich zu denen zu rechnen wagte, deren Werke die Verfolgung als Lohn geerntet haben, so würde ich Ihnen zeigen, wie die Menschen mich aufs erbittertste zu verderben gesucht haben, seit ich die Tragödie »Ödipus« 1718.1 schrieb ... Gestehen Sie aber, daß das kleine persönliche Leiden sind, von denen die Gesellschaft nichts merkt. Was verschlägt es der Menschheit, wenn einige Drohnen den Honig einiger Bienen rauben? ... Von allen menschlichen Bitternissen sind diese die wenigst verhängnisvollen ...

Was aus dieser Erde stets ein Tränental gemacht hat und stets machen wird, sind die unersättliche Habgier und der unbezähmbare Hochmut der Menschen, von Thamas-Kouli-Kan, der nicht lesen konnte, bis zum Steuerbeamten, der nur zu rechnen versteht. Die schönen Wissenschaften erhalten die Seele, bessern und trösten sie; Ihnen, mein Herr, leisten sie Dienste, während Sie gegen sie schreiben ... Wenn sich also jemand über die Literatur zu beklagen hat, so bin ich es, da sie überall und stets dazu gedient hat, Verfolgung auf mich zu lenken. Man muß sie aber trotz des Mißbrauchs, der mit ihr getrieben wird, lieben, ... wie man sein Vaterland lieben muß, trotz der Ungerechtigkeiten, die es uns widerfahren läßt; wie man das höchste Wesen lieben muß, trotz des Aberglaubens und des Fanatismus, die seinen Kultus so oft schänden ...

 

109. An d'Argental.

Monrion, Voltaires Winteraufenthalt bei Lausanne. 8. Januar 1756.

Ich erhalte Ihren Brief vom 29. Dezember, mein lieber Engel, in meiner Hütte zu Monrion, die mein Winterpalast ist. Meine Predigt über Lissabon »Poème sur le désastre de Lisbonne«. Es spann sich daran eine Erörterung zwischen Voltaire und Rousseau: ersterer zweifelte an der Güte eines Gottes, der so Entsetzliches geschehen ließ, letzterer erklärte, an dem Unglück sei nur die Kultur schuld: weshalb wohnten die Menschen in 6- und 7stöckigen Häusern! war nur dazu bestimmt, Ihre Gemeinde zu erbauen, ich werfe das Brot des Lebens nicht vor die Hunde. Wenn Sie nur Thieriot mit einer Vorlesung erlaben wollen, so wird er Sie um die Erlaubnis bitten, sich bei Ihnen erbauen zu dürfen ...

 

110. An Herrn Briasson, Verleger Verleger der Enzyklopädie., Paris.

Monrion, 13. Februar 1756.

Ehe man den Artikel »français« beginnt, sollte jemand, der heiligen Eifer für das »Dictionnaire Encyclopédique« hat, sich die Mühe machen, auf der Königlichen Bibliothek Die heutige Bibliotheque Nationale. die Handschriften des 10. und 11. Jahrhunderts durchzusehen, wenn es solche in dem barbarischen Gewelsch gibt, das später die französische Sprache geworden ist. Man könnte dort vielleicht das erste Manuskript entdecken, das français für franc setzt. Es wäre doch recht interessant, die Zeit festzustellen, in der wir wilde Franzosen wurden, nachdem wir wilde Franken, wilde Gallier und wilde Kelten gewesen sind Voltaire mutete den eifrigen Enzyklopädisten nichts Geringes zu. ...

 

111. An Herrn de Cideville.

Délices, 12. April 1756.

... Genf ist nicht mehr das Genf Calvins, weit gefehlt; es ist ein Land voll wahrer Philosophen. Das rationelle Christentum Lockes ist die Religion fast aller Geistlichen und die Verehrung eines höchsten Wesens, mit der Moral verbunden, die Religion fast aller Magistratspersonen Diese Auffassung machte sich auch d'Alembert bei seinem Besuch in Genf 1756 zu eigen, und so bereitete sich das Unwetter vor, das die Enzyklopädie zu einem toten Unternehmen machen sollte. ...

 

112. An Thieriot.

Délices, 14. Oktober 1756.

Wenn Madame de la Popelinière Die Gattin des Finanzmannes. nicht diesen Winter gesund wird, muß ihr Mann ihr ein schönes Viatikum Reisegeld, Zehrpfennig. geben, damit sie im Frühjahr Äskulap Tronchin Der berühmte Genfer Arzt Tronchin, der damals schon eine Art Naturheilverfahren auf die blutarmen und überreizten Pariserinnen anwendete. aufsuchen kann. Gott liest in den Herzen, Tronchin in den Körpern. Zweimal hat er meine Nichte, Madame de Fontaine, dem Leben wiedergegeben; er hat einem Greisenbrand Einhalt getan. Madame de Muy, die vor drei Monaten sterbend nach Genf kam, hat wieder Backen und besucht mich à la Pyramide frisiert. Mir gibt er das Leben. Venite ad me, omnes qui laboratis. Er wirkt echte Wunder, freilich sind sie ebenso selten, wie die falschen häufig ...

 

113. An d'Argental.

Monrion, 6. Februar 1757.

Ich nach Petersburg gehen, mein lieber Engel! Wissen Sie nicht, daß meine kleine Einsiedelei in les Délices angenehmer ist, als der Sommerpalast der Selbstherrscherin Der Kaiserin Elisabeth von Rußland. Sie hatte Voltaire aufgefordert, an ihrem Hof die Geschichte ihres Vaters, Peters des Großen, zu schreiben.? ... Der König von Preußen hat mir von Dresden einen sehr rührenden Brief geschrieben. Ich glaube jedoch, daß ich ebensowenig nach Berlin wie nach Petersburg gehen werde, ich gefalle mir sehr gut bei meinen Schweizern und meinen Genfern.

In meinen beiden Einsiedeleien Délices und Monrion. wohne ich sehr angenehm. Man kommt mich besuchen und gestattet, daß ich als Kranker keine Besuche mache. Ich lade zu Diner und Souper ein und manchmal für die Nacht. Madame Denis führt mein Haus. Ich habe alle meine Zeit für mich, kritzle meine Geschichten, denke an Trauerspiele, und wenn ich keine Schmerzen habe, bin ich glücklich ...

 

114. An Thieriot.

Monrion, 26. März 1757.

... Ich habe mein ganzes Leben daran gearbeitet, diesen Geist der Aufklärung und Duldung zu verbreiten, der mir heute unser Jahrhundert zu kennzeichnen scheint. Dieser Geist, der die Gebildeten Europas beseelt, hat seine verheißungsvollen Wurzeln auch in diesem Lande geschlagen, wohin mich zuerst die Sorge um meine schwankende Gesundheit geführt hat, und wo Dankbarkeit und die Annehmlichkeit eines ruhigen Lebens mich festhalten ...

 

115. An den Marschall Duc de Richelieu.

Délices, 4. Juni 1757.

... Man überschüttet mich mit Briefen, die sagen, daß Le Kain der einzige Schauspieler ist, der Vergnügen macht, der einzige, der sich Mühe gibt, und auch der einzige, der nicht entsprechend belohnt wird. Man beklagt sich, daß Lichtputzer ganzen Anteil haben, der aber, welcher die Säule des Pariser Theaters ist, nur halben Anteil. Man macht mir darüber Vorwürfe, man sagt, daß Sie nichts für mich tun, weil ich nichts von Ihnen verlange; dabei bitte ich inständig. Ich gebe zu, daß Baron eine schönere Stimme hat als Le Kain und schönere Augen; aber Baron hat zwei Anteile, und soll Le Kain Hungers sterben, weil er kleine Augen hat und seine Stimme manchmal tonlos ist? Er tut, was er kann, und er macht es besser als die andern Voltaire ließ seine Freunde nicht im Stich; Richelieu war der »allmächtige Mann«, an den man sich wenden mußte. ...

 

116. An Herrn de Cideville.

Délices, 15. Juli 1757.

... Zuerst hielt man den König von Preußen durch den Sieg des Grafen Daun und die Entsetzung von Prag für verloren. Er ist aber noch im Herzen von Böhmen und Herr über den Elblauf bis Sachsen, doch glaubt man, daß er zuletzt unterliegen wird. Alle Jäger versammeln sich, um einen Sankt Hubertustag auf seine Kosten zu begehen. Franzosen, Schweden, Russen verbinden sich mit den Österreichern; wenn man so viel Feinden und Anstrengungen zu trotzen hat, kann man nur ruhmvoll unterliegen. Es ist etwas noch nicht Dagewesenes in der Geschichte, daß die europäischen Großmächte sich gegen einen Markgrafen von Brandenburg verbünden müssen. Trotz all dieses Ruhms wird er das große Unglück haben, von niemandem bedauert zu werden. Er wußte nicht, daß, als ich ihn verließ, mein Schicksal dem seinen vorzuziehen sein würde. Ich verzeihe ihm alles, außer seinen Vandalismus gegen Madame Denis. Adieu, mein lieber Freund ...

 

117. An den Grafen Schuwaloff Kammerherr der Kaiserin Elisabeth von Rußland..

Délices, 11. August 1757.

Mein Herr, ich schreibe, um Ew. Exzellenz mitzuteilen, daß ich Ihr einen Entwurf der Geschichte des russischen Kaiserreiches unter Peter dem Großen, von Michel Romanoff bis zur Schlacht bei Narva, geschickt habe. Ich habe mich mit allem versehen, was man über Peter den Großen geschrieben hat, und gestehe, daß ich nichts gefunden habe, was mir die erwünschte Aufklärung gegeben hätte. Kein Wort über die Errichtung der Manufakturen, nichts über die Flußverbindungen, die öffentlichen Arbeiten, das Münzwesen, die Rechtspflege, das Heer und die Flotte. Ich habe nur sehr dürftige Zusammenstellungen einiger Erlasse und Veröffentlichungen erhalten können, die zu dem, was Peter der Große Nützliches und Neues geschaffen hat, in keinem Verhältnis stehen. Mit einem Wort, mein Herr, was am meisten von allen Nationen gekannt zu werden verdiente, ist niemandem bekannt.

 

118. An d'Argental.

Lausanne, 5. Februar 1758.

Die Verfolgung, der die Enzyklopädie Nachdem d'Alemberts freisinniger Artikel über Genf erschienen war, vgl. Voltaires Briefwechsel mit d'Alembert, Seite 236. ausgesetzt ist, tut ein übriges, um mir meinen See reizend zu machen, ich genieße die Annehmlichkeit, eine bessere Wohnung zu haben, als drei Viertel Ihrer Wichtigtuer und gänzlich frei zu sein. Hätte ich an der Spitze der Enzyklopädie gestanden, ich wäre dahin gegangen, wo ich jetzt bin. Sie können sich also denken, ob ich nun hier bleibe! Die Literatur ist der Diebstahl; das Theater ein Zirkus, wo man den wilden Tieren vorgeworfen wird; und ein Orden für zwei Erfolge, die für gewöhnlich nur zwei Beweise schlechten Geschmacks sind, ist nur eine Narrheit mehr. Früher trugen die Hofnarren Medaillen; wahrscheinlich wird man diese jetzt austeilen.

Unsere Orden sind ausgezeichnete Soupers; wir kennen keine Kabalen, und man betrachtet es als eine sehr große Auszeichnung, zu unseren Aufführungen eingeladen zu werden In Lausanne und in Les Délices.. Die Kostüme sind prächtig und die Schauspieler nicht schlecht. Madame Denis ist in den Mutterrollen ganz vorzüglich geworden; ich bin nicht übel in den Rollen alter Narren ... Er spielte z. B. den Lusignan in »Alzire«.

Lausanne, 12. März 1758.

119. ... Sie sagen, daß Diderot ein gutmütiger Mensch sei. Ich glaube es, denn er ist naiv D. h. nicht auf seinen Vorteil bedacht, er erhielt für jeden der ersten drei Bände der Enzyklopädie 2500 frs. und dann noch eine Summe von 10 000 frs.. Je gutmütiger er aber ist, desto mehr beklage ich ihn, von den Verlegern abhängig zu sein, die durchaus keine guten Menschen sind, und den Feinden der Aufklärung als Beute zu dienen. Es ist ein Jammer, daß so verdienstvolle Partner nicht Herren ihrer Unternehmung, noch Herren ihrer Gedanken sind, das Gebäude ist daher auch halb aus Marmor, halb aus Schmutz aufgeführt ...

 

120. An den Bischof von Annecy Monseigneur Biort..

15. Dezember 1758.

Monseigneur, der Pfarrer Pfarrer Ancian. Ferney gehörte zu seinem Sprengel, und er trieb seinen Zehnten ein. eines kleinen Dorfs, Moens genannt, das meinem Sitz benachbart ist, hat gegen meine Lehnsleute in Ferney einen Prozeß angestrengt, und da er oftmals seine Pfarrei verlassen hat, um in Dijon vorstellig zu werden, ist es ihm ohne viel Mühe gelungen, Ackerbürger, die sich nur um ihre Arbeit kümmern, ins Unrecht zu setzen. Er hat ihnen 1500 Frank Unkosten aufgebürdet, während sie ihre Felder bestellten, und hat die Härte besessen, die Kosten jener Reisen, die er ihrentwegen unternommen hat, zu den Gerichtskosten zu rechnen. Sie wissen besser als ich, Monseigneur, wie sehr sich in den ersten Zeiten der Kirche die heiligen Kirchenväter gegen solche geweihten Priester erhoben, die eine Zeit, die sie dem Altar widmen sollten, zu weltlichen Geschäften benutzten. Ein Priester ist in Begleitung von Polizisten gekommen, um arme Familien zu brandschatzen, hat sie gezwungen, die einzige Wiese zu verkaufen, die all ihr Vieh ernährte, ja ihren Kindern die Milch zu entziehen. Was hätten der heilige Hieronymus, Irenäus und Augustinus dazu gesagt? Das, Monseigneur, hat der Pfarrer von Moens vor meiner Schloßtür getan, ohne zu geruhen, mich davon auch nur zu benachrichtigen. Ich habe ihm anbieten lassen, den größten Teil dessen zu bezahlen, was er von meinen Leuten fordert, und er hat geantwortet, daß ihm das nicht genügte. Sie beklagen gewiß, daß katholische Priester ein so schlechtes Beispiel geben, während sich nicht ein einziger Fall aufweisen läßt, daß protestantische Geistliche derart mit ihren Pfarrkindern im Prozeß gelegen hätten ... Das ist einer der Gründe, die den Kanton, den ich bewohne, entvölkert haben: zwei meiner Gärtner sind letztes Jahr zum Protestantismus übergetreten; das Dorf Rosières hatte 32 Häuser, und jetzt hat es nur noch eins; die Dörfer Magni und Boisi sind nur noch Wüsten; Ferney ist auf fünf Familien reduziert, die Gemeinderecht haben; und diese fünf armen Familien will ein Pfarrer zwingen, ihren Wohnsitz aufzugeben und auf dem Gebiet des blühenden Genf eine Existenz zu suchen, die man ihnen in den Hütten ihrer Väter unmöglich macht? ... Ich beschwöre Sie, bei Ihrer väterlichen Sorgfalt, den Pfarrer von Moens zu bestimmen ... daß er sich mit meinem Versprechen begnügt, das ich erfüllen werde, sobald meine armen Lehnsleute eine vorher nötige gerichtliche Formalität erledigt haben.

 

121. An Thieriot.

Schloß Tournay Im November 1758 hatte Voltaire die Grafschaft Tournay auf Lebenszeit für 35 000 frs. vom Präsidenten de Brosses gekauft. Monrion und Lausanne gab er auf, behielt aber Les Délices bis 1765. Tournay lag auf französischem Boden, doch nur eine Viertelmeile von Genf, also dicht an der Schweizer Grenze., 7. Februar 1759.

Mein alter Freund, man mag in einer Sitzung der Akademie dem Verfasser des Buches »De l'Esprit« Helvetius. vorwerfen, daß dieses Werk dem Titel nicht entspricht, daß die Kapitel über den Despotismus nicht zum Gegenstand gehören, daß er manchmal mit zu viel Emphase platte Gemeinplätze beweist, daß sein Neues nicht immer etwas Wahres ist, und daß es der Menschheit zu nahe treten heißt, wenn man Stolz, Ehrgeiz, Geiz und Freundschaft auf dieselbe Linie stellt; daß viele Zitate falsch, zu viele kindische Einflechtungen, ein Gemisch von poetisch überladenem und philosophischem Stil vorhanden sind, hingegen wenig Ordnung, viel Durcheinander, eine ärgerliche Sucht, schlechte Schriften zu loben, ein noch ärgerlicherer Ton der Überlegenheit usw. usw. In derselben Sitzung sollte man jedoch auch zugeben, daß dieses Buch voll ausgezeichneter Stellen ist ...

 

122. An d'Argental.

3. Juni 1759.

Die Flügel meiner Engel haben mich beschützt, Sie lieber, verehrter Freund, ich erhielt das Patent für Ferney unter weit günstigeren Bedingungen, als ich zu hoffen und zu fordern wagte ... Ich hätte niemals zu beanspruchen gewagt, meinen Namen auf Pergament in einem Louis unterzeichneten Patent geschrieben zu sehen Im Sommer 1759 kaufte Voltaire die an Tournay stoßende Grafschaft Ferney (im heutigen Departement de l'Ain) auf französischem Gebiet, an der Grenze des unter Berner Herrschaft stehenden Kanton Waadt. Ferney wie Tournay unterstanden der Gerichtsbarkeit des Parlaments von Burgund, Sitz in Dijon, und gehörten zur Diözese des Bischofs von Annecy, wohin das frühere Bistum Genf seit der Reformation verlegt worden war. Die Diözese Annecy umfaßte französisches und italienisches Gebiet (Savoyen). Tournay war unwohnlich, Ferney wohnlich. Dort wurde Voltaire der »Patronatsherr« und »Patriarch«. Den Grafentitel hat er nicht geführt. Friedrich II. neckt ihn deshalb einmal..

 

123. An Madame de Fontaine.

5. November 1759.

... Du mußt wissen, daß Ferney ganz fertig gebaut und unter Dach ist; ohne Eitelkeit, es ist ein Stück Architektur, das sich selbst in Italien sehen lassen könnte. Glaube aber nicht, daß ich nur auf das Angenehme geachtet habe, ich habe das Nützliche damit verbunden; Ferney ist ein Gut geworden, das 7–8000 Frank Jahresrente einbringt und im schönsten Lande Europas liegt. Rechne dazu die Annehmlichkeit, frei zu sein und keine Abgabe, welcher Art sie auch sei Allerdings, der adlige Großgrundbesitz zahlte keine Abgaben., zu zahlen ...

 

124. An d'Argental.

November 1759

(Nur für Sie)

... Könnten Sie ihm (dem Herzog von Choiseul Minister des Äußeren durch Madame de Pompadours Einfluß. nicht ... etwa folgendes sagen Wieder der alte Diplomatenehrgeiz, der aber zu nichts führte.:

Voltaire steht in regelmäßigem Briefwechsel mit Luc (Friedrich dem Großen), und wie tief Luc ihn auch verletzt habe, da Voltaire es über sich vermochte, seine Empörung so weit zu überwinden, daß er diesen brieflichen Verkehr wieder aufgenommen hat, wird er dessen noch viel mehr fähig sein, wenn es sich darum handelt, nützlich zu sein. Er steht gut mit dem Kurfürsten von der Pfalz, dem Herzog von Württemberg, dem Hause Gotha, da er mit allen drei Höfen geschäftlich zu tun gehabt hat, und man mit ihm zufrieden ist und ihm vertrauliche Briefe schreibt. Er ist der Vertraute des übergetretenen Prinzen von Hessen gewesen; er hat Verbindungen in England. All diese Beziehungen gestatten ihm, überallhin zu reisen, ohne den mindesten Argwohn zu erwecken und ohne weitere Folgen Dienste zu erweisen.

Er wurde 1743 mit heimlicher Mission zu Luc geschickt und hatte das Gluck, damals herauszufinden, daß Luc bereit war, sich mit Frankreich zu verbünden; er versprach es; der Vertrag wurde seitdem geschlossen und von dem Kardinal de Tencin unterzeichnet. Er könnte heute einen nicht minder wichtigen Dienst leisten.

Mein lieber Engel, wir brauchen jetzt den Frieden oder völlige Siege zu Land und Wasser; diese Siege sind unsicher, und der Frieden ist besser als ein kostspieliger Krieg. Man kann doch den elenden Zustand Frankreichs, besonders in bezug der Finanzen und des Handels, nicht übersehen. Schlimmer war es ja nicht beim Utrechter Frieden. Manchmal, wenn man, ohne die Würde der Krone bloßzustellen, ein Ziel erreichen will, bedient man sich eines Kapuziners, eines Pater Gautier oder selbst eines Unbekannten wie mich ... Ich sage nicht, daß ich mich vorzuschlagen wage, ... daß ich den Wünschen des Ministeriums zuvorkomme, daß ich mich würdig glaube, sie auszuführen; ich sage nur, daß Sie diese Ideen vortragen könnten und versuchen, Herrn von Choiseul dafür zu erwärmen ...

 

125. An die Marquise du Deffant.

25. April 1760.

... Nie war ich weniger tot als jetzt. Ich habe keinen freien Augenblick: die Ochsen, Kühe, Hammel, Wiesen, Gebäude und Gärten beschäftigen mich den ganzen Vormittag; der ganze Nachmittag gehört dem Studium; und nach dem Souper proben wir die Theaterstücke, die in meinem kleinen Schauspielsaal aufgeführt werden ...

 

126. An Palissot Nach dem Verbot der Enzyklopädie setzte eine scharfe Verfolgung der Aufklärer ein. Unter anderen veröffentlichte der Schriftsteller Palissot eine Komödie »Les Philosophes«, die Moral und Patriotismus der Aufklärer angriff. Sie wurde mit großem Erfolg in Paris aufgeführt. – Nur Voltaire erhielt einen besonderen Platz und wurde von Palissot als ruhmvolle Ausnahme betrachtet. Obiger Brief ist Voltaires Antwort auf diese Liebenswürdigkeiten, die darauf berechnet waren, die Aufklärer untereinander zu spalten..

Délices, 4. Juni 1760.

... Ich hege noch die Eitelkeit zu glauben, daß Sie auch mich zu der Schar armer Aufklärer gerechnet haben, die fortwährende Verschwörungen gegen den Staat anzetteln und sicherlich an all den Unglücksfällen, die uns widerfahren, schuld sind, denn ich war der erste, der in aller Form für die Attraktion eintrat ... Ich habe meinen Anteil an der höllischen Verschwörung der Enzyklopädie gehabt; die drei letzten Bände enthalten mindestens ein Dutzend Artikel von mir. Und für die folgenden hatte ich 60 weitere geplant, die die Nation verdorben und die Staatsordnung auf den Kopf gestellt hätten.

Ich bin auch einer der ersten, der dieses häßliche Wort »Humanität« gebrauchte, gegen das Sie in Ihrer Komödie einen so wackeren Ausfall machen.

So weit von mir ...

An Ihnen ist es, Ihr Gewissen zu prüfen, ob Sie recht getan haben, als Sie die Herren d'Alembert, Duclos, Diderot, Helvetius, den Chevalier de Jaucourt und tutti quanti als Diebe schilderten, die in des Nachbars Tasche stehlen lehren ...

Délices, 23. Juni 1760.

127. ... Wollen Sie, daß ich Ihnen offen sage, wie ich denke? Ihr Stück ist aufgeführt, es ist gut geschrieben, es hat Erfolg gehabt. Nun können Sie sich einen andern Ruhm erwerben, und der bestände darin, daß Sie in alle Zeitungen eine äußerst maßvolle Erklärung einrücken ließen, des Inhalts, daß Sie, nicht im Besitze des »Dictionnaire Encyclopédique«, durch ungenaue Auszüge getäuscht, dem Irrtum verfallen seien; daß Sie sich mit Recht gegen eine verderbliche Moral erhoben, seitdem aber die Stellen, in denen sie angeblich enthalten war, durchgesehen hatten; daß Sie die Vorrede zur Enzyklopädie gelesen, die ein Meisterwerk ... und daß es Ihnen eine Freude und eine Pflicht sei, der gewaltigen Arbeit ihrer Verfasser, der edlen Moral, die sich in all ihren Schriften finde, der Reinheit ihrer Sitten die volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die sie verdienen ... Dies geschah nicht, Voltaire aber, voll des jugendlichsten Feuers, antwortete auf »Les Philosophes« mit einer Komödie: »l'Ecossaise«, in der er dem Kritiker Fréron, dem Wortführer der Anti-Philosophen, seine Verdächtigungen heimzahlte.

 

128. An d'Argental.

11. Juli 1760.

Mein göttlicher Engel, bringen Sie Diderot in die Akademie; das ist der schönste Trumpf, den Sie gegen Fanatismus und Dummheit ausspielen können. Ich verspreche, daß ich in Person abzustimmen komme Die Akademie nahm Diderot auf.. Ich werde Sie umarmen und wieder in meine liebe Einsiedelei zurückkehren, nachdem ich meinen Eifer für die gute Sache an den Tag gelegt habe ...

 

129. An Mademoiselle Corneille Sie war die Tochter eines Neffen von Pierre Corneille. Pariser Schriftsteller, darunter auch Fréron, hatten von ihrer Dürftigkeit gehört, und der Dichter Le Brun hatte sich dann an Voltaire gewendet, mit der Bitte, sich des jungen Mädchens anzunehmen..

Délices, 22. November 1760.

Ihr Name, mein Fräulein, Ihr Verdienst und der Brief, mit dem Sie uns beehrten, erhöhen bei Madame Denis und mir den Wunsch, Sie bei uns aufzunehmen, und so den Vorzug, den Sie uns geben wollen, zu verdienen. Ich muß Ihnen sagen, daß wir mehrere Monate des Jahres auf einem Landsitz bei Genf verbringen; Sie werden aber alle Erleichterungen und jeden möglichen Beistand haben, um Ihre religiösen Pflichten zu erfüllen. Außerdem ist unser Hauptwohnsitz in Frankreich, eine Meile von hier, in einem sehr wohnlichen Schloß, das ich habe bauen lassen, und wo Sie es viel bequemer haben werden, als in dem Hause, von wo aus ich Ihnen zu schreiben die Ehre habe. Hier wie dort werden Sie Beschäftigung finden, sowohl mit kleinen Handarbeiten, die Ihnen gefallen mögen, wie mit Musik und Lektüre. Haben Sie Geschmack an Geographie, so werden wir einen Lehrer kommen lassen, der es als hohe Ehre empfinden wird, die Enkelin des großen Corneille etwas zu lehren; ich aber werde es als eine noch viel höhere ansehen, Sie in meinem Hause zu empfangen ...

 

130. An Thieriot.

Ferney, 13. Januar 1761.

... Die genaue Erfüllung aller religiösen Pflichten ist um so unerläßlicher, als ich über die Erziehung von Mademoiselle Corneille Rechenschaft abzulegen habe. Leider habe ich S. 164 bei Fréron In Frérons »Année litteraire«. gelesen, daß ich »Fräulein Corneille, nachdem sie das Kloster verlassen hat, von einem Seiltänzer erziehen lasse, den ich seit einem Jahre als Dutzbruder behandle, und daß Fräulein Corneille derart ja eine schöne Erziehung erhalten werde.«

Diese Verleumdungen sind um so strafbarer, als sie eine persönliche Beleidigung Mademoiselle Corneilles und vor allem Madame Denis', meiner Nichte, darstellen, die Fräulein Corneille wie eine Tochter erzieht. Meine Freunde und das Publikum werden leicht begreifen, daß Mademoiselle Corneille, da sie in meinem Hause ist, nur dann einen Mann finden kann, wenn sie absolut unantastbar dasteht. Fréron schadet ihr also in nicht mehr gut zu machender Weise, indem er fälschlich behauptet, daß ich sie von Lécluse erziehen lasse. Es ist unwahr, daß Lécluse bei mir wohnt; seit etwa sechs Monaten übt er seinen Beruf als Zahnarzt in Genf aus und hat diese Stadt nicht verlassen. Madame Denis, die ihn vor acht Monaten hatte kommen lassen, um ihr die Zähne in Ordnung zu bringen, hat ihn seitdem nicht zweimal mehr gesehen. Er arbeitet fortdauernd in Genf, wo er sehr geschätzt wird ...

 

131. An Madame de Fontaine.

Ferney, 27. Februar 1761.

... Wir lehren jetzt das Geschwisterkind von Polyeucte und Cinna D. h. die kleine Corneille. die Rechtschreibung. Wenn das Mädel aber je eine Tragödie schreibt, will ich Hans heißen, wenigstens kann sie Handarbeit machen. Ich meine, auch das ist eine der schönen Künste, denn, wie Du weißt, war Minerva eine der ersten Handarbeiterinnen der Welt Wie ihr Wettkampf im Weben mit Arachne beweist.. Nur der Beruf des Schneiders steht noch höher, da Gott selbst der erste Schneider war und Adam Hosen gemacht hatte, als er ihn mit Fußtritten in die Rückseite aus dem irdischen Paradies verstieß ...

 

132. An Duclos Lebenslänglicher Sekretär der Académie francaise, von Palissot mit angegriffen..

Ferney, 10 April 1761.

Ich versichere Ihnen, mein Herr, Sie machen mir mit der Nachricht, daß die Akademie Frankreich und Europa den Dienst erweisen wird, eine Sammlung unsrer Klassiker herauszugeben, große Freude. Die Noten der Ausgabe werden Sprache und Geschmack festlegen, zwei in meinem flatterhaften Vaterlande ziemlich unbeständige Dinge. Mir scheint, Fräulein Corneille hätte ein Recht, mir böse zu sein, wenn ich nicht den großen Corneille für mein Teil behielte. Ich bitte also die Akademie um die Erlaubnis, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen, falls noch kein andrer sie beansprucht hat Der Erlös aus dieser Ausgabe sollte der kleinen Corneille eine Mitgift sichern..

 

133. An Herrn Arnoud in Dijon.

Ferney, 6. Juli 1761.

Ich bin Ihnen, mein Herr, für die Auskunft, die Sie mir geben, verpflichtet. Ich glaubte, es sei einem Offizial Geistlicher Richter. nicht erlaubt, Laien ohne Vermittelung der königlichen Gerichtsbarkeit zu zitieren ... Der Richter von Gex ist allerdings Offizial, aber ich glaube, daß er am 8. Juni sehr zu Unrecht vorgegangen ist. Zwei Zeugen sind bereit zu erklären, daß er sie zur Ablegung von Zeugnis gegen mich bestimmen wollte. Und warum all der Lärm? Wegen eines Kreuzes, das vor einem leidlich hübschen Portal, das ich aufführen lasse, nicht stehen bleiben kann, weil es die ganze Architektur verdecken würde. Der Offizial hat durch einen armen Kerl erklären lassen, daß ich dieses Kreuz Figur genannt; durch einen andern, daß ich Pfosten gesagt hätte; und er behauptet, daß sechs von ihm verhörte Arbeiter erklärten, ich hätte von diesem zu versetzenden Holzkreuz gesagt: Nehmt mir diesen Galgen da weg. Nun haben vier von diesen Arbeitern mir vor Zeugen geschworen, daß sie nie solch eine Falschheit gesagt, sondern gerade das Gegenteil geantwortet hätten. Die beiden übrigen habe ich nicht auffinden können. Der eine wird seit vier Monaten steckbrieflich verfolgt, der andere ist des Diebstahls überführt worden Die Sache wurde durch Eingreifen des Genfer Staatsrats Tronchin (Bruder des Arztes) in Dijon am Parlament niedergeschlagen..

 

134. An die Marquise du Deffant.

22. Juli 1761.

Der Präsident Hénault, Madame, unterrichtet mich von Ihrem Eifer für Pierre Corneille Madame du Deffant war eine einflußreiche Weltdame und konnte für zahlreiche Subskribenten sorgen.. Und ich verlasse Pierre, um Ihnen zu danken, und bitte Sie, auch Madame de Luxembourg meinen Dank aussprechen zu wollen. Ich breche ein langes Schweigen; Sie müssen jedoch dem beschäftigtsten Ackersmann auf 20 Meilen in der Runde verzeihen, einem närrischen Greis, der Sümpfe austrocknet, Heideland unter den Pflug bringt, eine Kirche baut und sich zwischen zwei Petern den Großen befindet: nämlich Peter Corneille, dem Schöpfer der Tragödie, und Peter, dem Schöpfer Rußlands Voltaire arbeitete an der Geschichte Peters des Großen, vgl. Voltaires Brief vom 11. 8. 1757, auf Seite 77..

 

135. An Helvetius.

22. Juli 1761.

Mein lieber Aufklärer, Manen und Blut Corneilles danken Ihnen für Ihren edlen Eifer. Der König hat geruht zu gestatten, daß sein Name mit 200 Exemplaren an der Spitze der Subskribentenliste steht Ferner hatten unterzeichnet Friedrich II. von Preußen und Katharina II. von Rußland. – Die Ausgabe brachte Fräulein Corneille 40 000 Fr. Vermögen ein..

 

136. An Mademoiselle Clairon Die berühmte Schauspielerin kam 1762 nach Ferney, wo das Haustheater für sie wieder eingerichtet wurde..

Ferney, 7. August 1761.

Ich glaube, mein Fräulein, Ihre Begeisterung für die tragische Kunst ist auf der Höhe Ihrer großen Begabung. Und ich habe Ihnen über diese Begeisterung, die ebenso edel ist wie Ihr Spiel, viel zu sagen ...

Man hat mir mit der Hoffnung geschmeichelt, daß Sie in unsere Einsamkeit kommen könnten, da Ihre Gesundheit Mr. Tronchins bedarf. Sie würden hier nach Verdienst empfangen werden; wir haben ein hübsches Theater, das Sie in Anbetracht, denke ich, der Bewunderung und sonstigen Gefühle, die meine Nichte und ich für Sie bewahrt haben, mit Ihrem göttlichen Spiel beehren würden. Fräulein Corneille deklamiert nicht übel, und es wäre ein schöner Tag für mich, an dem ich die Enkelin des großen Corneille als Vertraute Die klassischen Stücke enthalten ja alle die bekannten »Vertrauten«-Rollen (confidente). der berühmten Mademoiselle Clairon sähe ...

 

137. An die Marquise du Deffant.

Ferney, 18. August 1761.

Ich habe Leute gekannt, Madame, die sich darüber beklagten, mit dummen Menschen leben zu müssen; und Sie beklagen sich über den Umgang mit geistreichen Leuten! Ja, wenn Sie geglaubt haben, die feine Höflichkeit und die Vorzüge eines La Fare und Saint-Aulaire, die Phantasie eines Chaulieu Auch Voltaire ein Verteidiger der guten alten Zeit! Freilich die Mitglieder der Tempelrunde, wie Chaulieu, wären geistvoll genug gewesen., den glänzenden Witz eines Duc de la Feuillade und die Tüchtigkeit eines Präsidenten Hénault Der Präsident Hénault war mit Madame du Deffant sehr befreundet. bei unseren heutigen Literaten wiederzufinden, so rate ich Ihnen, Ihre Ansprüche herunterzusetzen.

Sie haben, schreiben Sie, kein Interesse für die Politik. Das ist sicher das beste, was Sie tun können. Hätten Sie jedoch gleich mir täglich Russen, Engländer und Deutsche an Ihrem Tisch, so würden Sie um Ihrer französischen Nationalität willen etwas verlegen sein ...

 

138. An Mademoiselle Clairon.

27. August 1761.

Ich beeile mich, Ihnen zu antworten, mein Fräulein. Ich interessiere mich nicht minder als Sie für die Ehre Ihres Standes, und wenn mich etwas gegen Paris und die Fanatiker aufgebracht hat, so ist es die Unverschämtheit derer, die das Talent brandmarken wollen. Als der Pfarrer von Saint Sulpice, Languet, der falscheste und eitelste aller Menschen, Fräulein Lecouvreur das ehrliche Begräbnis verweigerte, obgleich sie seiner Kirche 1000 Frank vermachte, sagte ich zu all ihren versammelten Kollegen, daß sie nur zu erklären bräuchten, sie spielten nicht weiter, solange die Schauspieler des Königs nicht wie andere Bürger behandelt würden, die nicht die Ehre haben, dem König zu gehören. Sie versprachen das auch, taten aber nichts desgleichen. Sie zogen die Schmach und etwas Geld einer Ehre vor, die ihnen viel mehr eingebracht hätte ... Weil Mlle. Clairon unter gewissen Bedingungen nicht spielen wollte, sollte sie ins Gefängnis wandern. Voltaire war für Streik.

 

139. An den Präsidenten de Brosses Von ihm hatte Voltaire Tournay auf Lebenszeit gekauft. Der Gegenstand des Streits waren einige Klafter Holz. Voltaire behauptete, sie mit gekauft und mehr als bezahlt, de Brosses aber, sie einem Holzhändler verkauft zu haben und auf Entschädigung dringen zu müssen. Nach langem Prozessieren zahlte Voltaire 281 Fr. an die Armen von Tournay, und de Brosses fand den Händler ab..

20. Oktober 1761.

Mein Herr, Sie haben mich besucht und mir Ihre Freundschaft also nur deshalb angeboten, um das Ende meines Lebens durch Prozesse zu vergiften! Ihr Agent, Herr Girod, sagte vor einiger Zeit zu meiner Nichte, daß, wenn ich nicht auf immer für 50 000 Taler das Grundstück kaufe, das ich von Ihnen auf Lebenszeit erwarb, würden Sie sie nach meinem Tode an den Bettelstab bringen ...

Ich kaufte im Alter von 66 Jahren das kleine Gut Tournay unter den Bedingungen, die Sie stellten. Ich vertraute auf Ihre Ehre und Rechtschaffenheit. Sie diktierten den Vertrag, ich unterschrieb ihn unbesehen. Ich wußte nicht, daß dieses magere Landgut in den besten Jahren nur 1200 Frank einbringt, wußte nicht, daß Herr Chouet, Ihr Pächter, der Ihnen 3000 Frank zahlte, dort 32 000 Frank verloren hatte. Sie verlangten 35 000 Frank von mir, die ich bar auf den Tisch legte. Sie verlangten, daß ich in den ersten drei Jahren 12 000 Frank für Reparaturen ausgäbe, und ich habe deren in drei Monaten für 18 000 Frank gehabt, worüber ich die Belege habe ... Ich habe aus einem alten Kasten ein sehr wohnliches Haus gemacht, habe alles verbessert und verschönert, als ob ich für einen Sohn arbeitete ...

Ich kann aber nicht dulden ... daß Sie mir um 200 Frank einen Prozeß aufhängen, nachdem Sie von mir mehr Geld erhalten haben, als Ihr Gut wert ist.

 

140. An den Grafen Schuwaloff.

Ferney, 14. November 1761.

... Die Denkschriften, die Dupliken und Repliken sind dazu da, um in den Archiven aufbewahrt zu werden ... Man kann dem Leser diese Dokumente an die Hand geben; doch weder Polybius, Titus Livius noch Tacitus haben ihre Geschichtswerke durch diese Materialien entstellt. Die sind das Baugerüst, das nicht mehr sichtbar sein darf, wenn der Bau vollendet ist. Kurz, die große Kunst besteht darin, die Ereignisse in fesselnder Form darzubieten; das ist eine schwere Kunst, die kein Deutscher je besessen hat. Geschichtschreiber und Kompilator sind nicht dasselbe Die Komposition ist allerdings eine besonders französische Kunst, durch strenge literarische Zucht entwickelt. Sie beginnt heute leider zu schwinden. ...

 

141. An d'Argental.

Ferney, 27. März 1762.

Sie fragen, meine lieben Engel, weshalb ich mich so sehr für diesen geräderten Calas interessiere? Nun, ich bin Mensch, und ich sehe die Entrüstung der Ausländer Über diese mittelalterliche Barbarei., weiß, daß all ihre protestantischen schweizerischen Offiziere Sie bildeten mit ihren Leuten die Leibgarde der französischen Könige. erklären, daß sie nicht mehr mit ganzem Herzen für eine Nation kämpfen können, die ihre Brüder ohne jeden Beweis verurteilt ...

 

142. An Herrn de Cideville.

Délices, 4. Mai 1762.

Mein lieber, alter Freund, wir sind jetzt beide in dem Alter, wo man sich die sorgfältige Behandlung der Überreste der Maschine angelegen lassen sein muß ... Sie aber sind eine Eiche und ich ein Gebüsch. Ich wette, Sie trinken Champagner, wenn ich Milch trinke; Sie essen Rebhuhn und Turbot, wenn ich mir an dem Flügel einer Poularde genügen lassen muß. Sie gehen zu schönen Frauen, fahren zwischen Ihrem Gut und Paris einher, während ich an meine Klause gebannt bin ...

 

143. An d'Argental.

11. Juni 1762.

Meine holden Engel, ich werfe mich buchstäblich euch und dem Grafen Choiseul Minister des Äußeren und Premierminister, dessen Einfluß für Voltaire in den Calas- und Sirvenprozessen von höchstem Werte war. Vgl. die Einzelheiten über den Calasprozeß in Schirmacher, Voltaire, S. 388 ff. zu Füßen. Die Witwe Calas ist, um Gerechtigkeit zu verlangen, in Paris. Würde sie das wagen, wenn ihr Gatte schuldig wäre? Sie ist aus dem alten Hause der Montesquieu (die Montesquieu stammen aus dem Languedoc), hat den Charakter ihrer Geburt und steht weit über ihrem furchtbaren Unglück. Sie hat ihren Sohn auf das Leben verzichten und ihn sich aus Verzweiflung hängen sehen; ihren Mann, der angeklagt wurde, ihren Sohn erdrosselt zu haben, sah sie rädern, während er sterbend Gott zum Zeugen seiner Unschuld anrief; ein zweiter Sohn, als Mitschuldiger des Brudermords angeklagt, ist verbannt, an ein Stadttor geführt und durch ein anderes in ein Kloster gebracht worden; ihre beiden Töchter hat man ihr entrissen; sie selbst hat auf dem Armensünderstuhl sich gegen die Anklage, ihren Sohn umgebracht zu haben, verteidigen müssen, ist freigelassen, für unschuldig erklärt, aber ihrer Mitgift beraubt worden. Die gut unterrichteten Leute schworen auf die Unschuld der Familie. Wenn nun am Ende, trotz aller Beweise, die in meinen Händen sind, trotz der Beteuerungen, die man mir abgegeben, diese Frau sich doch etwas vorzuwerfen hat, dann soll man sie bestrafen. Ist sie hingegen, wie ich glaube, die tugendhafteste und unglücklichste aller Frauen, – im Namen der Menschheit, so beschützt sie. Möge der Graf von Choiseul sie anzuhören geruhen Die Calas waren Protestanten, daher dem katholischen Parlament von vornherein verdächtig. Der Sohn, dem als Protestanten alle liberalen Berufe verschlossen waren, hatte sich aus Verzweiflung darüber das Leben genommen, die Eltern hatten das aber anfangs geleugnet, da des Selbstmörders Leiche durch die Straßen geschleift, seine Familie entehrt und ihm das christliche Begräbnis verweigert wurde. ...

Délices, 5. Juli 1762.

144. ... Ich verlange ja nur die Veröffentlichung des Verfahrens (gegen die Calas). Man behauptet, daß diese arme Frau zuerst die Akten aus Toulouse herbeischaffen muß. Wo soll sie die finden? Wer wird ihr den Zugang zur Gerichtsschreiberei öffnen? Wie kann man von ihr verlangen, daß sie etwas ausführen soll, was nur der Kanzler oder der Staatsrat durchsetzen können? Ich kann mir nicht denken, was die Berater dieser unglücklichen Frau eigentlich bezwecken! Außerdem interessiere ich mich nicht nur für sie persönlich, sondern für das Publikum und die ganze Menschheit. Es ist nötig, daß ein solches Urteil begründet wird. Das Toulouser Parlament soll fühlen, daß es für schuldig gilt, solange es nicht bewiesen ist, daß die Calas schuldig sind. Es darf darauf rechnen, der Abscheu für einen großen Teil Europas zu sein. Diese Tragödie läßt mich alle andern Trauerspiele, auch die meinen, vergessen. Möchte die, welche sich in Deutschland abspielt, bald beendigt sein! Der Siebenjährige Krieg.

Ich danke, meine holden Engel, eurer schönen Seele noch einmal für eure schöne Tat.

14. Juli 1762.

145. ... Meine Engel, diese Sache gebe ich nur mit dem Leben auf. Während 60 Jahren habe ich Ungerechtigkeiten mit angesehen und selbst erduldet; ich will mir die Freude verschaffen, diese zunichte zu machen Die an den Calas begangene Ungerechtigkeit.. Ich will selbst auf »Cassandre« Erster Titel der später »Olympie« genannten Tragödie. verzichten, wenn ich nur das Stück meiner armen Geräderten durchsetze. Ich kenne kein fesselnderes Drama. Bei Gott, sorgt für den Erfolg der Calastragödie, trotz der Ränke der Mucker und Gascogner Toulouse liegt in der Gascogne, Hauptstadt der Haute Garonne.. Ich küsse mehr denn je euere Flügelspitzen.

 

146. An den Kardinal de Bernis (Anbei die Geschichte der Calas Voltaires Schrift »Histoire d'Elisabeth Canning et des Calas«.)

Délices, 21. Juli 1762.

Lesen Sie das, Monseigneur, ich beschwöre Sie, und sagen Sie, ob die Calas wohl schuldig sein können. Die Sache beginnt, Paris in Staunen und Rührung zu versetzen. Vielleicht läßt man es aber dabei bewenden. Es gibt entsetzliche Unglücksfälle, die man einen Augenblick bedauert und dann vergißt. Dieses Ereignis ist in Ihrer Provinz geschehen, Ew. Eminenz wird sich dafür besonders interessieren. Ich stehe dafür, daß alle Tatsachen richtig sind; um ihrer Seltsamkeit verdienen sie Ihnen dargelegt zu werden.

Hier beginnt der Briefwechsel mit Katharina II. Siehe Seite 263–283.

 

147. An Herrn de Cideville.

Ferney, 26. Januar 1763.

Denken Sie, daß wir Fräulein Corneille in wenigen Tagen mit einem jungen Dupuis von etwa 23½ Jahren verheiraten, der Dragonerkornett ist, 8000 Frank jährliche Rente aus Grundstücken bezieht – und zwar dicht an unserem Schloß – ein sehr angenehmes Äußere hat und Manieren, die nichts vom Dragoner verraten ... Beide lieben sich leidenschaftlich, und das verjüngt mich ... Gestehen Sie, mein lieber Freund, das Schicksal dieses kleinen Mädchens ist seltsam. Ich wollte, der alte Papa Corneille käme zurück, um das alles mit anzusehen und den alten Papa Voltaire zu betrachten, wie er die einzige Person, die noch seinen Namen trägt, zum Altar führt ... Voltaire hatte eine glückliche Hand, denn die jungen Mädchen, die nacheinander in seinem Hause lebten oder verkehrten, verheirateten sich alle. Freilich – Voltaire sorgte auch für »das Reelle«. – Der Vater von Mademoiselle Corneille, der eine unliebsame Zugabe war, hat Voltaire auch gar manche Unterstützung gekostet.

 

148. An Damilaville.

15. März 1763.

Mein lieber Bruder Die Anrede wird nach den Angriffen von 1760 häufig, Voltaire betonte damit seine Zugehörigkeit zu den Enzyklopädisten., es gibt also noch Gerechtigkeit und Menschlichkeit auf Erden, und die Menschen sind nicht die bösartigen Schurken, als die sie gelten.

Mir scheint, der Tag im Staatsrat Richtiger gesagt war es nur ein Teil des Staatsrats, der Conseil des Partis. Am 8. März hatte dieser Konseil sich für die Wiederaufnahme des Calasprozesses entschieden. ist ein großer Tag für die Aufklärung. Es ist der Tag Ihres Triumphes, mein lieber Bruder, denn Sie haben redlich zum Siege mitgeholfen, haben den Calas besser gedient als sonst jemand ...

 

149. An d'Argental.

8. Mai 1763.

Engel der Vernichtung, der, welcher euch Furien nannte, hatte recht. Ihr seid meine Hirten, und ihr schindet euren alten Hammel. Höret das letzte Geblök eures armen Schafs Hin und wieder fiel die Kritik der d'Argental an Voltaires Stücken auch scharf aus.: ...

 

150. An den Marquis de Chauvelin Französischer Gesandter..

Ferney, 6. Oktober 1763.

Nun bin ich wieder zum Maulwurf geworden; Ew. Exzellenz sollen wissen, daß, sobald es auf unseren schönen Bergen schneit, meine Augen eine entzückende Röte annehmen, so daß ich sehr gut bei den Quinze-Vingts Das älteste Pariser Blindenasyl (anfangs bestimmt, nur 15 – 20 Insassen aufzunehmen). figurieren könnte. Manchmal macht mir das dann einige Gewissensbisse, mich zwischen dem Jura und den Alpen angebaut und angesiedelt zu haben. Immerhin, die Sache ist nun einmal gemacht, und man muß ebensowohl gegen den Schnee wie gegen das Unglück seinen Mann stehen.

 

151. An die Marquise du Deffant.

Ferney, 11. Oktober 1763.

... Das große Unglück unseres Alters, Madame, ist, daß man an nichts mehr Geschmack findet. Eine »Pucelle« Die »Pucelle« wurde damals von den vornehmsten Damen gelesen. animiert uns wohl für eine Viertelstunde, dann fällt man aber wieder in seine Interesselosigkeit zurück; man lebt so seine Tage hin, erwartet einen Besuch, der aus Langeweile herkommt, um uns eine Neuigkeit mitzuteilen, die uns ganz gleichgültig läßt. Man hat weder Leidenschaften noch Illusionen mehr; unser Unglück ist unsere Weltkenntnis; das Herz erkaltet, und die Phantasie dient nur noch dazu, uns zu quälen ... Das war bei Voltaire doch, nur eine vorübergehende Stimmung Seine gewaltige Arbeit hat ihn vor dem Pessimismus behütet.

 

152. An d'Argental.

November 1763.

Ich schicke meinen Engeln noch ein Exemplar der »Tolérance« Voltaires »Traité de la Tolérance«, der im protestantischen Ausland auf mehr Verständnis zu rechnen hatte als in Paris. und bitte Sie sehr, es Bruder Damilaville zu übergeben. Ich habe nur sehr wenige Exemplare, und in Paris wird man noch lange keine haben. Ich schmeichle mir damit, daß der Herzog von Praslin Mitglied des Conseil des Partis, der dort den Sieg zu erringen geholfen hatte. Voltaire war mit der Familie Praslin seit lange befreundet Sein Vater war der Notar der Praslin gewesen. Ohne solche einflußreichen Beziehungen hätte Voltaire die Revision des Calasprozesses nie durchsetzen können. und meine Engel dieses Werk beschützen werden. Der Herzog von Choiseul läßt mir melden, daß er davon entzückt ist, sowie auch Madame de Grammont und Madame de Pompadour Die bei dieser Sache auf seiten der Aufklärer stand und Choiseul in seinem energischen Vorgehen unterstützte. Vielleicht wird dieses Buch eines Tages all das Gute wirken, das es heute erst im Keime andeutet Nämlich eine völlige Reform der Strafjustiz.. Der Beifall meiner Engel und ihrer Freunde wird mir von großem Gewicht sein ...

 

153. An Damilaville.

27. Januar 1764.

... Gewiß haben die Überschwemmungen manchmal die Postwagen aufgehalten, es ist aber doch nicht minder wahr, daß selbst die ersten Persönlichkeiten des Reichs Z. B. der Herzog von Choiseul. – Die königliche Post arbeitete dann mit der königlichen Zensur in einem Sinne. keine »Tolérance« durch die Post haben erhalten können. Sie wissen, daß man mir zu viel Ehre antut, wenn man mich für den Verfasser dieses Buchs hält. So etwas bringe ich nicht zustande. Ein armer Geschichtenerzähler weiß nicht genug, um so viele Kirchenväter und griechisch und hebräisch zu zitieren ...

6. Juli 1764.

154. ... Erfahren Sie, daß Gott unsere erstehende Gemeinde segnet. 300 »Mesliers« »Testament de Jean Meslier«, eine Schrift Voltaires. in einer Provinz verteilt, haben viele Bekehrungen bewirkt. Ach, wenn man mir helfen wollte! Aber die Brüder sind lau, die Brüder sind nicht einig: dieser unglückliche Rousseau gehorcht nur seiner Laune und seiner Eigenliebe. Er gehörte sicher zu denen, die die größten Dienste hätten leisten können; aber Gott hat ihn verlassen. Sein Savoyischer Vikar könnte Gutes wirken, aber der war mit einem verrückten Roman verquickt, den man nicht lesen kann Dem »Emile« – Das Glaubensbekenntnis des Vicaire Savoyard billigte Voltaire sehr.. Ich habe mich über die Übergeschnapptheit geärgert, mit der er erklärt, ich verfolgte ihn; es ist recht traurig, wenn jemand, der einige Zeit lang als unser Bruder galt, das Gerücht verbreitet, daß einer von uns ihn verfolgt. Aber was wollen Sie? Der arme Mensch, der mich beleidigt hatte, hat sich eingebildet, daß ich mich gerächt habe. Er kennt die wahren Brüder nicht. Eine der Schwächen dieses armen Narren ist es auch, daß er unverschämt lügt Auf Voltaires und Rousseaus Fehden kann hier nicht näher eingegangen werden. Ich verweise auf die betreffenden Stellen in Schirmacher, Voltaire, S 337, 342, 354 f , 376, 380 ff , 395 ff , 407 f , 491. ...

 

155. An die Marquise du Deffant.

Délices, 3. Oktober 1764.

... Ich bin nicht minder empört zu sehen, daß man mir dies kleine Buch »Traité de la Tolérance«. zuschreibt, das voll von Zitaten aus den Kirchenvätern des 2. und 3. Jahrhunderts ist. Es ist darin vom Targum der Juden Ein Werk, das die Hierarchie der Engel behandelt. die Rede; die Verleumdung hält mich also für einen Rabbiner; das ist ja ein Widersinn in sich; aber wie widersinnig das Geschwätz sei, es tut mir viel Abbruch. Sogar beim König gelte ich als Autor, das stört die Ruhe meines Alters. Die Natur hat mir schon genug Böses getan Durch häufige Krankheit., ohne daß die Menschen mir noch welches tun sollten ...

 

156. An d'Argental.

2. November 1764.

... Ich weiß, daß man jetzt in Holland eine sehr schöne Ausgabe des »Portatif« Oder »Dictionnaire Philosophique«. Vgl. Voltaires Brief an d'Alembert vom 2.10.1764, auf Seite 248. herstellt, eine durchgesehene, verbesserte und schrecklich vermehrte. Es ist ein höchst erbauliches Werk, das den edlen Seelen sehr nützlich sein wird.

Im übrigen, was kann man V. sagen, wenn V. niemandem dieses Buch gegeben hat und als erster: Hilfe, Diebe! geschrien hat, wie Harlekin, der Spitzbube? V. ist einwandfrei, V. hüllt sich in seine Unschuld; V. nimmt sich wieder der Geräderten an, sobald er nur mit einem halben Auge sehen kann ...

 

157. An Marin Königlicher Zensor in Paris..

24. November 1764.

Wenn Ihnen, mein Herr, jemals ein Schriftsteller sagen sollte, daß sein Beruf nicht der lächerlichste, gefährlichste, elendste aller Berufe ist, so haben Sie die Güte, mir den armen Tropf zu schicken. Es sind nun fast 50 Jahre her, seit ich von dem, was der Beruf einbringt, Zeugnis ablegen kann. Einer seiner Vorzüge ist, daß man mir jedes Jahr ein freches oder anstößiges Werk zugeschrieben hat. Ich bin in der Lage des berühmten Herren Arnould und des erlauchten Herrn Lehèvre, zweier braver Apotheker, deren Lebensbalsam und Kräutersäckchen täglich nachgemacht werden. Fortwährend werden elende Drogen unter meinem Namen ausgeboten Man schrieb Voltaire allerdings noch viel mehr zu, als er wirklich veröffentlichte. Vgl d'Alemberts Brief an Voltaire vom 13. 5. 1768, auf Seite 254/55. ...

 

158. An d'Argental.

29. November 1764.

... Und jetzt zu den Genfer Zänkereien In Genf waren innere Spaltungen entstanden und zwar hervorgerufen durch Rousseau, der auf sein Genfer Bürgerrecht verzichtet hatte. Die zwei Genfer Volksparteien, Kleinbürger und Neueingewanderte, die bei der Verwaltung wenig zu sagen hatten, verlangten, auf Grund des Contrat Social, ihr Menschenrecht, d. h. ihren Anteil an politischen Rechten. Ihnen gegenüber stand die aristokratische Partei der Négatifs..

Der Staatsekretär ist mir im Namen des Rats für die Unparteilichkeit und den selbstlosen Eifer danken gekommen, die ich entfaltete. Ich habe das Glück gehabt, bisher das Vertrauen beider Teile zu genießen, und meine Aufrichtigkeit ist von ihnen anerkannt worden. Aber ich merke, daß dieser Prozeß mir meine Zeit nimmt, daß ich dazu in Genf sein müßte, wo noch viel mehr Zeit daraufginge. Doch gestatten weder meine Gesundheit, noch meine Neigung, noch meine Arbeiten, daß ich die stille Klause verlasse ...

23 Dezember 1764.

159. ... Die Republik Genf ist ein kleiner, halb demokratischer halb aristokratischer Staat. Der Volksrat, den man den Rat der 1500 nennt, hat das Recht, die höchsten Beamten, Syndici genannt, abzusetzen. Jean Jacques Rousseau (damit Ihr es wißt) gehörte zum Rat der 1500. Da die Beamten, welche die Gerichtsbarkeit ausüben, sich den Spaß gemacht hatten, Jean Jacques' Bücher zu verbrennen, hetzte Jean Jacques oben von seinem Berge oder unten aus seinem Tal die Führer des Volks auf, um von den Amtspersonen Rechenschaft darüber zu fordern, wie sie die Frechheit haben konnten, die Gedanken eines Genfer Bürgers einzuäschern. Es begaben sich ihrer etwa 600 paarweise auf den Weg, je zwei und zwei, um das Ungeheuerliche des Vorgehens darzulegen, und Jean Jacques ermangelte nicht, durch sie zu erklären, daß, wenn man die Schriften eines Genfers briete, es traurig sei, daß man einem Franzosen nicht das gleiche widerfahren ließe. Ein Richter kam, mich höflich um Erlaubnis zu bitten, ein gewisses »Portatif« verbrennen zu dürfen. Ich sagte, daß ihnen das freistände, wenn sie nur meine Person nicht verbrennen wollten, und daß ich keinerlei Interesse an irgend einem »Portatif« nähme. Währenddessen ließ Jean Jacques in Holland ein dickes, langweiliges Buch drucken ... das nur in Genf gelesen werden kann; es hieß die »Lettres de la Montagne«. Darin bläst er auf das Feuer der Zwietracht und hetzt die Ständchen dieses kleinen Staats gegeneinander auf, so daß man bei der ersten Lektüre an die Möglichkeit eines Bürgerkrieges glaubte Voltaire, dessen Aufenthalt und Einfluß in Genf für Rousseau ein Dorn im Auge war, bekam in den »Lettres de la Montagne« auch einen Hieb ab. ...

 

160. An den Marquis de Sade

Ferney, 26. Dezember 1764.

... Die Parlamente haben durch Vertreibung der Jesuiten dem Orden geschadet, den einzelnen aber genutzt: sie sind erst seit ihrer Verjagung glücklich. Mein Jesuit Adam Der Jesuitenorden war durch Choiseul aus Frankreich vertrieben worden. Voltaire hatte ein solches Ordensmitglied bei sich aufgenommen. Er kannte als Jesuitenschüler Jesuitenart und freute sich, einen geistlichen Hausgenossen aufweisen zu können. war schlecht behaust, genährt und gekleidet, er hatte keinen roten Heller, und all seine Aussichten gingen auf das Jenseits. Bei mir hat er ein angenehmes zeitliches Dasein. Vielleicht möchte in einem Jahr nicht einer von diesen armen Leuten in die Kollegien, falls sie geöffnet werden, zurückkehren ...

 

161. An Herrn de Cideville.

4. Februar 1765.

D'Alembert hat ein kleines Buch über die Vernichtung der Jesuiten »La Déstruction des jésuites«. geschrieben; das ist fast das einzige gute Buch, das seit 20 Jahren erschienen ist. Es ist philosophischer als die »Provinciales« Pascals berühmte »Lettres Provinciales«. und vielleicht ebenso scharfsinnig. Dieser d'Alembert ist kein Welscher So nannte Voltaire die Fanatiker und die schlechten Schriftsteller in Frankreich., sondern ein echter Franzose ...

 

162. An Collini Voltaires langjähriger Sekretär, der ihn verließ, weil er sich mit Madame Denis nicht stellen konnte, und den Voltaire im Dienste seines erlauchten Schuldners, Karl Theodor von der Pfalz, untergebracht hatte. Collini hat sehr lesenswerte Memoiren veröffentlicht..

Ferney, 20. Februar 1765.

Mein lieber Freund, heute beginne ich mein 72stes Lebensjahr trotz meiner Bilder, die mich als etwas jünger hinstellen. Nicht mühelos habe ich dieses Alter erreicht. Fast bin ich seit zwei Monaten nicht außer Bett gekommen. Sie haben mich schon mager gekannt, jetzt bin ich ein Skelett; ich gehe in Rauch auf wie trocknes Holz, das in Flammen steht, und werde bald zu nichts geworden sein ...

 

163. An Berger Direktor der Pariser Oper..

Ferney, 25. Februar 1765.

... Sie fürchten, daß die Verbreitung dieser Fetzen Frérons »Année littéraire«. mich vor Schmerz umbringen wird? Beruhigen Sie sich, ich habe gute Verwandte, die mich in meinem hinfälligen Greisenalter nicht verlassen. Fräulein Corneille, glücklich verheiratet, ist meine Tochter geworden und umhegt mich mit Sorgfalt. Ich habe in meinem Hause einen Jesuiten, der mich in der Geduld übt Beim Schachspiel.; denn, wenn ich die Jesuiten haßte, als sie frech waren, so liebe ich sie jetzt, wo sie gedemütigt sind. Außerdem sehe ich nur zufriedene Menschen, und das verjüngt mich. Meine Bauern sind wohlhabend und erhalten nie Besuch von dem Gerichtsvollzieher mit Zwangsvollstreckungen. Ich habe, wie Herr von Pompignan Es gab zwei Pompignans, den Dichter und Marquis, und den Bischof von Puy. Mit beiden hat Voltaire in Fehde gelegen. Die Anspielung geht hier wohl auf den geistlichen Pompignan., eine hübsche Kirche erbaut, wo ich von Gott seine und Catherin Frérons Bekehrung erbitte ...

 

164. An Herrn Elie de Beaumont Der Pariser Advokat, der die Calas verteidigte., Advokat.

Ferney, 27. Februar 1765.

Meine Augen, mein Herr, können kaum noch lesen, sie können aber noch weinen, das haben Sie mir wohl bewiesen. Genießen Sie die Ehre, der Rächer der Unschuld zu sein. Diese ganze Sache bedeckt Sie mit Ruhm Jean Calas und die Seinen waren am 9. März 1765 durch die Maîtres des Requêtes in Paris (die Revision des Prozesses hatte man dem Parlament von Toulouse entzogen) freigesprochen worden..

Den Toulousern bleibt nichts, als reuig Abbitte zu tun, indem sie ihr schändliches Fest Am Jahrestag der Hinrichtung des Jean Calas. abschaffen, die Kutten der weißen, schwarzen und grauen Bußbrüder ins Feuer werfen und eine Sammlung für die Familie Calas veranstalten. Sie haben freilich mit gar seltsamen Vandalen Voltaire schreibt Wisigotts. zu tun. Hat Mr. Damilaville mit Ihnen von einer anderen Protestantenfamilie gesprochen, die in Castres in effigie hingerichtet wurde, nach der Schweiz flüchtete und durch ein Ereignis, das dem Fall Calas sehr gleicht, ins tiefste Elend gestürzt worden ist? Man glaubt, im Zeitalter der Albigenser zu sein, wenn man von all den Greueln hört, und wir sind in dem der Aufklärung; es gehen aber immer noch 100 Fanatiker auf einen Philosophen. Sagen Sie sich selbst, wie verpflichtet wir Ihnen sind.

 

165. An Damilaville.

8. März 1765.

Mein lieber Bruder, Sie schreiben mir da zwei interessante Neuigkeiten: die Calas sind freigesprochen worden, und der großmütige Elias will noch die Unschuld der Sirven verteidigen! Dieser zweite Fall scheint mir aber schwieriger zu behandeln zu sein, als der erste, da die Sirven außer Landes geflohen und in contumaciam verurteilt worden sind, da sie sich dem Gericht von neuem stellen müssen, und endlich, da sie von einem untergeordneten Richter verurteilt wurden und deshalb von Gesetzes wegen an das Parlament in Toulouse appellieren müssen. Der göttliche Elias wird entscheiden, ob man die Rechtsordnung umkehren kann und ob der Arm des Staatsrats lang genug ist, um einem Parlament eine so gewaltige Ohrfeige zu versetzen Drei Jahre hatte der Calasprozeß gedauert, und gleich darnach unternahm Voltaire die Verteidigung der Sirven. Auch die Sirven waren Protestanten, und zwar aus Castres im Bezirk des Parlaments von Toulouse. Sie waren angeklagt, eine ihrer Töchter, weil sie dem Katholizismus zuneigte, getötet zu haben. Die Sirven hatten vor Vollstreckung des Urteils fliehen können und waren in der Schweiz. Elie de Beaumont sollte auch diese Sache führen – Die »Ohrfeige« bedeutet eine Evokation, d.h. die Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Maîtres des Requêtes in Paris. ...

15. März 1765.

166. Sie haben eine schöne Seele, lieber Bruder, inmitten Ihrer Bemühungen für die Calas haben Sie noch Mitleid für die Sirven Damilaville hatte sich mit den d'Argental der Calas eifrigst angenommen.. Warum stehen nicht Leute wie Sie an der Spitze unserer Regierung ...

Ich werde eine Denkschrift herausgeben und sie Ihnen schicken. Aber diese Sirven sind weit weniger über das gegen sie eingeschlagene Verfahren unterrichtet, als die Calas es waren. Sie wissen nichts, als daß sie verurteilt worden sind und all ihr Gut verloren haben Die Sirven waren aus einem kleinem Ort, aus geringerem Stande und auch minder gebildet als die Calas. ...

 

167. An d'Argental.

17. März 1765.

Göttlicher Engel, der Schutz, den Sie den Calas gewährten, ist nicht unnütz gewesen. Sie haben wohl eine gar reine Freude genossen, als Sie den Erfolg Ihrer Güte sahen. Ein kleiner Calas Der überlebende Sohn, den Voltaire in Ferney beherbergte. war bei mir, als ich Ihren, Madame Calas' und Elias' Beaumont. Brief erhielt, dazu noch so viele andere. Der kleine Calas und ich haben Tränen der Rührung vergossen ... Es ist doch einzig und allein die Aufklärung, die solch einen Sieg erfochten hat. Wann wird sie der Hydra des Fanatismus alle Köpfe zertreten haben ...

 

168. An Damilaville.

23. März 1765.

... Sie müssen die Denkschrift über die Sirven erhalten haben Voltaires Denkschrift.. Nichts ist klarer, ihre Unschuld noch greifbarer als die der Calas. Gegen die Calas lag wenigstens der Schatten eines Verdachts vor, da der Leichnam des Sohnes im Elternhause gefunden wurde und die Eltern anfangs den Selbstmord des Unglücklichen geleugnet hatten. Hier aber ist auch nicht das leiseste Indizium zu finden. Welche Greuel, gerechter Himmel! Man entreißt Eltern eine Tochter, man schlägt das Mädchen mit Ruten, schlägt es blutig, um es katholisch zu machen; es stürzt sich in einen Brunnen, und Eltern und Geschwister werden zum Tode verurteilt! ...

 

169. An Bordes Mitglied der Akademie von Lyon..

Ferney, 23. März 1765.

... Glauben Sie mir, wir haben den Erfolg nicht ohne Anstrengung davongetragen Es hat drei Jahre voller Mühe und Arbeit bedurft, um diesen Sieg zu gewinnen. Jean Jacques hätte besser getan, seine Zeit und seine Gaben zur Rettung der Unschuld zu verwenden, statt elende Sophismen zu schreiben und mit schändlichen Mitteln sein Vaterland zu erschüttern zu suchen ...

 

170. An Marmontel Französischer Schriftsteller, 1723-1799, war auf seiten der Aufklärer..

25. März 1765.

... Die Aufklärung ist der Ibis, der die Eier des Krokodils zerstört ...

 

171. An Damilaville.

27. März 1765.

Mein lieber Bruder, in einiger Zeit werden Sie die »Philosophie de l'Histoire« Später als »Essai sur les Moeurs« erschienen. erhalten und darin Dinge finden, die ebenso wahr wie unbekannt sind. Dieses Werk ist von einem Abbé Bazin Ein erfundener Name, hinter dem Voltaire sich versteckte., der die Religion ehrt, wie er soll, nicht aber den Irrtum, die Unwissenheit und den Fanatismus ...

 

172. An d'Argental.

3. April 1765.

... Ich finde, daß die Gratifikation oder Pension, um die man den König für die armen Calas angegangen hat, auf sich warten läßt Wie bei solchen Prozessen üblich, war alle Habe der Verurteilten beschlagnahmt worden, Mme. Calas hatte nach ihrer Freisprechung um Schadenersatz gebeten. Sie erhielt vom König 12000 Fr., jede ihrer Töchter 6000 Fr., der Sohn (der bei Voltaire war) 3000 Fr. und die alte Magd der Calas auch 3000 Fr., dazu alle zusammen 6000 Fr. für Reisen und Gerichtskosten. Die Abschrift der Akten hatte 800 Fr. gekostet und war von Voltaire bezahlt worden.; ich habe ihnen daher geraten, den Vizekanzler und den Generalkontrolleur D. h. Finanzminister. ... um ihre Ansicht befragen zu lassen ... ich kann mich aber irren und verlasse mich dabei auf meine Engel, die das alles näher und besser sehen als ich. Mehr kann ich nicht diktieren, da ich mit meinen Kräften zu Ende bin. Ich sterbe mit der Pflanz- und Bauwut behaftet und mit dem Kummer, seit 12 Jahren meine Engel nicht wiedergesehen zu haben.

 

173. An Damilaville.

5. April 1765.

Alle Tage erwarte ich von Toulouse die authentische Abschrift des Urteils gegen die Familie Sirven; die Bestätigung des Urteils eines Dorfrichters Trinquier aus Mazamet, wo die Verhandlungen stattgefunden hatten. Ohne diese Abschrift war kein Verfahren einzuleiten., ein Urteil, das ohne Sachkenntnis gefällt wurde, und gegen das sich das gesamte Publikum auflehnen würde, wenn die Calas nicht sein Mitleid gänzlich in Anspruch nähmen ...

 

174. An Herrn Elie de Beaumont.

Ferney, 19. April 1765.

Beschützer der Unschuld, Besieger des Fanatismus, Beglücker der Menschheit, ich glaube, Sie haben jetzt alle Dokumente, die nötig sind, um für die arme Familie Sirven, die Sie unter Ihren Schutz nehmen wollen, einzutreten ...

Sirven hat durch dieses Ereignis all sein Hab und Gut verloren, d h. ein Vermögen von 19 000 Frank und 1500 Frank Jahreseinkommen aus seiner Stellung Sirven war Katasterbeamter und Feldmesser..

 

175. An Damilaville.

22. April 1765.

An Herrn Joaquim Deguia, Marquis de Marros, in Ascoitia bei Bayonne, Spanien. Dieses, mein lieber Bruder, ist die Adresse eines Jüngers von sehr viel Geist, der sich an mich gewandt hat, und der, wenn er könnte, den Großinquisitor verbrennen würde. Ich bitte Sie, ihm durch die Post eines der englischen Bänder Flugschriften Voltaires; vielleicht die »Histoire d'Elisabeth Canning et des Calas«, da es sich um englische Bänder handeln soll. Freilich gehörte diese Schrift nicht zu den neuesten. zu schicken, die ein Generalsteuerpächter Wohl Helvetius. Ihnen gebracht hat. Trotz des Widerstandes der anderen Fabrikanten, die die Konkurrenz fürchten, wächst diese Fabrik täglich. Und diese schmalen Bänder sind viel bequemer und leichter verkäuflich als breitere Stoffe: man gibt sie denen, die sie unterzubringen wissen. Schicken Sie auch Madame du Deffant und Madame de Coaslin eins.

Sirven ist hier bei mir. Er schreibt mühselig seine Unschuld und die westgotische Barbarei auf Welsche, Westgoten und Ostgoten, Barbaren sind Voltaires Bezeichnung für die Fanatiker aller Art..

24. April 1765.

176. ... Ich habe nicht die geringste Aufmerksamkeit für das Theatergezänk übrig. Paris mag sich damit belustigen, ich habe anderes im Kopf: der russische Edelmut Katharinas Beisteuer zum Calas- und Sirvenprozeß., die Gerechtigkeit, die den Calas widerfahren ist, die, welche den Sirven errungen werden soll, verzehren alle Kräfte meiner Seele ...

29. April 1765.

177. Die Idee eines Kupferstichs der Calas ist wundervoll. Ich bitte Sie, lieber Bruder, mich mit 12 Stichen auf die Liste der Subskribenten zu setzen. Die Sirvenaffäre muß ein ebenso großer Erfolg werden wie die der Calas; es wäre ein Verbrechen, wollte man diese Gelegenheit, den Fanatismus an den Pranger zu stellen, vorübergehen lassen Der Stich ist in Schirmacher, Voltaire, S. 392 wiedergegeben. ...

 

178. An Mademoiselle Clairon Mademoiselle Clairon und einige ihrer Kollegen hatten sich geweigert, mit einem Schauspieler Dubois zu spielen, dem man Ehrenrühriges nachsagte..

1. Mai 1765.

Der, welcher sich aufs lebhafteste für Mademoiselle Clairons Ruhm und die Hochachtung vor den schönen Künsten interessiert, bittet Sie sehr dringend, diesen Augenblick zu ergreifen, um zu erklären, daß es ein zu toller Widerspruch ist, ins For-l'Evêque Eine der Bastillen des ancien régime. geschickt zu werden, wenn man nicht spielt, und vom Bischof exkommuniziert zu werden, wenn man spielt; daß diese doppelte Schmach unerträglich ist, und daß die Welschen sich endlich entscheiden müssen. Die Schauspieler, die bei dieser Sache so viel Ehrgefühl bewiesen, werden sicher zu ihr stehen. Mag Mademoiselle Clairon nun aber Erfolg haben oder nicht, das Publikum wird sie verehren; besteigt sie jedoch die Bühne von neuem wie eine Sklavin, die in Ketten tanzen muß, so verliert sie alles Ansehen. Ich erwarte eine Festigkeit von ihr, die auf der Höhe ihrer Begabung ist und eine Epoche bezeichnen wird.

 

179. An Helvetius.

26. Juni 1765.

... Sehen Sie denn nicht, daß wir den ganzen Norden für uns haben, und daß früher oder später auch die feigen Fanatiker des Südens bezwungen werden müssen? Die Kaiserin von Rußland, der König von Polen ... der König von Preußen, Besieger des abergläubischen Österreichs, nicht wenige andere Fürsten, erheben die Fahne der Duldung und Aufklärung Die protestantischen Länder, sowie Polen unter Poniatowski, Rußland unter Katharina II. waren damals weit aufgeklärter und toleranter als Frankreich.. Seit 12 Jahren ist eine fühlbare Wandlung in den Geistern vor sich gegangen ...

 

180. An den Marquis de Villette.

1. September 1765.

... Ich kannte Mademoiselle Clairons volle Bedeutung noch nicht, hatte keinen Begriff von einem so lebendigen und vollkommenen Spiel. Ich war an das kalte Deklamieren unsrer kalten Bühnen gewohnt, ich hatte nur Schauspieler, umgeben von einem kleinen Kreise kleiner Herrchen Die Bühne war damals von Hofherren und Stutzern belagert., anderen Schauspielern Verse aufsagen hören. Mademoiselle Clairon hat mir gesagt, daß sowohl Sie wie Mademoiselle Dumesnil die Kraft, welche die Bühne zuläßt, erst entfaltet, seit der Graf von Lauraguais dem so undankbaren Publikum den Dienst erwiesen hat, mit seinem Geld die Freiheit der Bühne und die Schönheit des Schauspiels zu bezahlen. Warum hat außer ihm niemand zu dieser so nötigen Freigebigkeit beigetragen? Und warum hat das Publikum ein besseres Gedächtnis für das gehabt, was Mr. de Lauraguais sich hat zuschulden kommen lassen In dem Prozeß gegen seine Frau., statt seiner Großmut und Kunstliebe zu gedenken? Das Unrecht, das wir in unsrer Familie begehen, ist Sache der Familie, unsere Wohltaten aber sind Sache des Publikums. Alcibiades hat Torheiten begangen, er hat aber auch Nützliches getan, und daher zieht man ihn der Menge unnützer Bürger vor, die nichts Gutes und nichts Böses getan haben.

 

181. An d'Argental.

23. September 1765.

... Es scheint Sie nicht sehr zu interessieren, daß die Kaiserin von Rußland, die gute Freundin des Abbé Bazin Des angeblichen Verfassers von Voltaires »Philosophie de l'Histoire«., junge Mädchen haben wollte, die den kleinen Mädchen ihres Reichs das Französische beibrächten. Mehrere waren schon unterwegs. Der Genfer Rat hat das nicht nach seinem Geschmack gefunden und hat ohne jede Rücksicht auf die Kaiserin die Mädchen im Kanton Bern, der ihre Entführung begünstigte, anhalten lassen Wegen Katharinas II. schlechten moralischen Rufes. Die Schweizerinnen sollten an dem Petersburger Institut de demoiselles unterrichten Vgl. Katharinas Brief an Voltaire vom 30. 1. 1772, auf Seite 278.. Die erlauchte und charaktervolle Katharina wird sehr zornig sein, und ich bin es auch. Dieses Vorgehen erscheint mir roh und willkürlich ...

 

182. An Damilaville.

16. Oktober 1765.

... Die Zwistigkeiten werden in Genf bald zum Ausbruch kommen. Es ist unerläßlich, daß Sie und Ihre Freunde verbreiten, daß die Bürger gegen die Regierung recht haben Voltaire, der Aristokrat, stand hier auf Seiten der Demokratie, weil sie billige Rechte verlangte. Der Emanzipation des Kleinbürgers war er ja geneigt, die des vierten Standes hielt er aus wirtschaftlichen Gründen für unmöglich. Voltaire spielte in diesen Streitigkeiten anfangs eine Vermittlerrolle. – Da die Genfer Regierung mit den Volksparteien nicht fertig wurde, wandte sie sich dann nach Frankreich um Hilfe.. Denn sicher will das Volk nur die Freiheit, die Regierung aber eine unumschränkte Macht. Kann man sich etwas Tyrannischeres denken als die Aufhebung der Preßfreiheit? Wie darf ein Volk sich frei nennen, dem nicht gestattet wird, schriftlich zu denken? Wer die Macht in Händen hat, möchte denen, die ihm unterstehen, stets die Augen blenden; jeder Dorfrichter strebt nach Despotismus: der Durst nach Herrschaft ist eine unheilbare Krankheit ...

 

183. An d'Argental.

26. Oktober 1765.

... Zu mir kommt, wer will, ich lade niemanden ein Schloß Ferney glich einem Taubenschlag. Jeder Reisende von Bedeutung wollte den großen Mann sehen.; Madame Denis macht die Wirtin, und ich bleibe in meinem Zimmer, dazu verurteilt, Schmerzen auszustehen oder Papier zu bekritzeln. Die Besuche würden mich nur um meine Zeit bringen, ich erwidere, Gott sei Dank, keinen. Die schönen Weltdamen, die Pairs, selbst die Intendanten Turgot, Intendant des Limousin, mit dem Voltaire seit 1755 in Verkehr stand, und der ihn in Ferney besuchte. sind an meine Ungezogenheit gewohnt. In Anbetracht meines Alters und meiner Leiden kann ich nicht anders leben ...

 

184. An den Marquis d'Argence de Dirac Früherer Offizier, in der Nähe von Angoulême wohnhaft, durch Voltaire der Aufklärung gewonnen..

4. Dezember 1765.

Ich glaube, daß Sie im Begriff sind, Großvater zu werden, denn in Ihrem schönen Klima dürfte man seine Zeit nicht verlieren. Unsere kleine Dupuits hat die ihre verloren: es ist ihr eingefallen, im siebenten Monat einem kleinen Schelm, einem wahren Däumling, das Leben zu geben, der kaum zwei Stunden gelebt hat. Man war sehr in Verlegenheit zu wissen, ob er eine Seele gehabt hat. Pater Adam Voltaires Hausgenosse, der Exjesuit., der sich darauf verstehen sollte, sich aber nicht darauf versteht, war nicht zur Hand, um die Frage zu entscheiden; ein Mädchen hat ihm auf alle Fälle die Taufe gegeben, und dann ist er geradewegs ins Paradies gewandert, wohin, wie Ihr Bischof von Auch behauptet, ich nie kommen werde.

 

185. An Herrn Moreau, Direktor der Königlichen Baumschulen.

1765.

Ich habe allerdings den Gedanken, die Findelkinder und die Kinder der Armen dem Staate nutzbar zu machen, immer mit Freuden begrüßt. Ich hatte die Absicht, welche hierher kommen zu lassen und sie aufzuziehen. Leider bewohne ich ein Land, dessen Boden gerade so undankbar wie sein Anblick lachend ist. Zuerst fand ich hier nur Skrofeln und Elend. Ich habe das Glück gehabt, das Land durch Austrocknen von Sümpfen gesünder zu machen, habe Bewohner herangezogen, die Zahl der Häuser und Pflüge vermehrt. Aber die Härte des Klimas habe ich nicht besiegen können.

Der Herr Generalkontrolleur Finanzminister. hatte zum Bau des Krapp aufgefordert; nichts hat eingeschlagen. Ich habe über 20 000 Stück Bäume pflanzen lassen, die ich aus Savoyen verschrieben hatte; fast alle sind eingegangen. Viermal habe ich die Landstraße mit Nuß- und Kastanienbäumen bepflanzt, drei Viertel sind verkommen oder von den Bauern ausgerissen worden. Trotzdem habe ich mich nicht abschrecken lassen, und wie alt und unpäßlich ich auch sein mag, heute will ich pflanzen, mag ich auch morgen sterben, so werden die andern meinen Schatten genießen ...

 

186. An Damilaville.

12. Mai 1766.

Mein lieber Bruder, ich habe den Stich der Calas über mein Bett gehängt und durch das Glas Madame Calas und ihre beiden Töchter geküßt. Ich schreibe ihnen das in dem beiliegenden Briefchen. Man beklagt sich sehr über den Stich, findet, daß die Hände wie verzeichnete Vogelkrallen aussehen, die Arme wie Holzbündel. Ich jedoch bin so zufrieden, diese Familie vor meinen Augen zu haben, daß ich alles verzeihe und alles gut finde Vgl. Voltaires Brief an Damilaville vom 29. 4. 1765, auf Seite 113.. Ich tröste die Sirven, so gut ich kann, und sage ihnen, daß die erhoffte Denkschrift zu ihrer Rechtfertigung nicht lange mehr auf sich warten lassen wird Elie de Beaumont war leider inzwischen anderweitig beschäftigt. Vgl. Voltaires Brief an d'Argental vom 8. 10. 1766 auf Seite 125; an Damilaville vom 15. 12. 1766, auf Seite 126. ...

 

187. An den Baron Grimm. Verfasser der »Correspondance littéraire«, durch die er die gekrönten Häupter über die Neuerscheinungen der französischen Literatur unterrichtete, Anhänger der Aufklärung; Deutscher von Geburt. Durch seine Korrespondenz war er im Besitz der geeigneten Adressen.

Ferney, 13. Juni 1766.

Ich bitte meinen lieben Propheten um eine Gefälligkeit, mir nämlich die Namen und Adressen der vernünftigen und achtungswerten Personen Deutschlands zu geben, die ihre Großmut den Calas erwiesen haben und vielleicht bereit wären, einige Tropfen des Balsams, den sie auf die Wunden unschuldiger Opfer träufelten, auch den Sirven zukommen zu lassen.

 

188. An Damilaville.

1. Juli 1766.

Man meldet mir, mein lieber Bruder, eine seltsame Nachricht: die beiden Toren, die, wie man sagt, eine Kirche in der Pikardie entweihten, sollen bei ihrem Verhör gesagt haben, daß sie ihre Abneigung gegen unsere heiligen Mysterien aus den Büchern der Enzyklopädisten und mehrerer der heutigen Aufklärer geschöpft haben Der Fall La Barre. Vgl. Schirmacher, Voltaire, S 437 ff. Vgl. Voltaires Briefwechsel mit d'Alembert vom 16. 7. 1766, auf S. 252.. Diese Nachricht dürfte wohl von den Feinden des Lichts herrühren. Die Aufklärer sind nichts als Sittenlehrer, und jetzt klagt man sie an, die Jugend zu verderben ...! Ich bitte Sie, sich hierüber sehr genau zu unterrichten ...

 

189. An d'Argental.

Bad Rolle Da sich unter La Barres Büchern angeblich auch Voltaires »Portatif« befand und der Pariser Parlamentsrat Pasquier, als das Urteil des Seneschallgerichts von Arras (gegen La Barre) an das Pariser Parlament zur Bestätigung gegangen war, dort scharf gegen Voltaire auftrat, fürchtete dieser, es könne ein Haftbefehl gegen ihn erlassen werden und begab sich von französischem Boden auf Berner Gebiet, nach Bad Rolle im Waadtland, wo er schon früher zur Kur gewesen war., 16. Juli 1766.

Ich werfe mich Euch zu Nasen, zu Füßen, zu Flügeln, meine Engel des Himmels, und bitte Euch, mich gnädigst wissen zu lassen, ob es nichts Neues gibt Von dem Fall La Barre. La Barre selbst war am 1. Juli 1766 hingerichtet worden.. Ich beschwöre Euch, mir die Beratung der Verteidiger La Barres. zu schicken, die ein Denkmal von Edelsinn, Festigkeit und Weisheit ist und die ich sehr brauche. Habt Ihr nur ein Exemplar, und wollt Ihr es nicht verlieren, so lasse ich's abschreiben Voltaire wünschte genau unterrichtet zu sein, um auch den Fall La Barre, gleich der Calas- und Sirvenaffäre, sachlich aufnehmen zu können. und schicke es zurück ...

 

190. An Damilaville.

Genf, 25. Juli 1766.

Der König von Preußen hat soeben 500 Frank für die Sirven geschickt. Ich habe diese kleine Schenkung, zu der ihn nichts verpflichtete, um so dankbarer empfunden, als er sie nur auf meine Bitte gemacht hat und diese Wohltat durch meine Hände gegangen ist. Die Denkschrift des göttlichen Elias würde eine ganz andere Wirkung haben ... Ich zweifle keinen Augenblick, daß, wenn Sie sich mit Plato Diderot. und einigen anderen in Cleve Voltaire erschien der Aufenthalt in Paris für die Enzyklopädisten recht gefährlich. Vgl. Voltaires und Friedrichs II. Briefe vom 7. 8. und 13. 8. 1766, auf Seite 215/16. ansiedeln wollten, dieses dort unter den günstigsten Bedingungen geschähe. Man würde dort eine sehr einträgliche Druckerei einrichten und eine noch wichtigere Manufaktur, die der Wahrheit Der Aufklärung., gründen ...

 

191. An d'Argental.

15. August 1766.

Allerdings, meine lieben Engel, hat mich die lebhafteste und nachhaltigste Empörung ergriffen Über den in La Barres Prozeß zutage getretenen Fanatismus.; doch habe ich den von Ihnen angedeuteten Entschluß nicht gefaßt Selbst nach Cleve auszuwandern.. Wäre ich jünger und kräftiger, so läge da freilich keine Unmöglichkeit vor. In meinem Alter und meinem geschwächten Zustande aber verpflanzt man sich nicht mehr. Ich werde unter den von mir gepflanzten Bäumen den Augenblick abwarten, in dem ich nicht mehr von Greueln sprechen höre, die unsere Bergbären, im Vergleich zu den als Affen und Tiger verkleideten Menschen, als angenehme Gesellschaft erscheinen lassen ...

 

192. An Damilaville.

18. August 1766.

Sie haben gelogen, diese häßlichen Welschen, sie haben gelogen, diese Mörder in der Toga Die Richter La Barres.. Ich kann es Ihnen in diesem Briefe versichern: es ist eine freche Schurkerei, wenn man das »Dictionnaire Philosophique« an die Stelle des »Portier des Chartreux« Ein unanständiges Mönchsbuch. gesetzt hat, den man aus Furcht vor der Lächerlichkeit nicht zu nennen wagte. Ich weiß mit vollster Sicherheit, daß der unglückliche Jüngling, den man so empörend hingeschlachtet, nie ein philosophisches Buch in Händen gehabt hat Ist sehr wahrscheinlich. – Voltaire war über die Vorfälle in Abbeville, wo sich dies angebliche »Verbrechen« La Barres zugetragen hatte, durch die Familie seiner jüngeren Nichte, verwitweten Madame Fontaine, Marquise de Florian, die einen Besitz in der Pikardie hatte, gut unterrichtet..

8. September 1766.

193. Sie sehen, man muß sein ganzes Leben lang kämpfen, jeder Mensch, der in der Öffentlichkeit steht, wird den wilden Tieren ausgeliefert. Manchmal muß man die reißenden Bestien freilich vernichten ...

 

194. An d'Argental.

13. September 1766.

Ich müßte mich sehr irren, oder die Sirvenaffäre ist recht bedeutsam. Dieses zweite Beispiel von Gräßlichkeit muß den Fanatismus völlig in Verruf bringen. Später oder früher müssen die Menschen doch die Augen öffnen. Die Weisen freilich haben nichts Neues mehr zu lernen, aber die jungen Leute, die noch schwankend und unentschieden sind, die lernen alle Tage, und ich versichere Ihnen, wir halten von einem Ende Europas zum anderen reiche Ernte ...

 

195. An Damilaville.

19. September 1766.

Ich habe Ihnen schon von der Güte des Herzogs von Choiseul gesprochen, von der Hochherzigkeit seiner Seele, habe Ihnen gesagt, mit welchem Eifer er geruht, Mr. Chardon Maitre des Requêtes im Conseil des Partis. als Berichterstatter über die Sirvenaffäre zu fordern. Er wird hier, wie bei den Calas, unser Richter sein, glauben Sie nur, er setzt seinen Ruhm darin, gerecht und wohltätig zu sein ...

Ich weiß nicht, wie Sie mit Thieriot stehen; ich weiß nicht, wo er wohnt, und glaube, er wird gleich mir sein Leben mit Krankheit und Heilen zubringen. Das macht uns dann etwas ungleich in Erfüllung der Freundschaftspflichten. Man muß den Schwachen gegenüber aber Nachsicht walten lassen. Bitte, besorgen Sie dieses Briefchen in seine Hände ...

 

196. An die Marquise du Deffant.

Ferney, 24. September 1766.

... Ich müßte, Madame, ein Narr sein, wie Jean Jacques, um nach Wesel Oder Cleve. zu gehen. Die Sache liegt so: Da der König von Preußen mir eine Spende für die unglückliche Familie Sirven geschickt und ihnen eine Zuflucht in Wesel oder Cleve angeboten hat, dankte ich ihm pflichtschuldigst und sagte, daß ich ihm diese armen Leute, denen er seinen Schutz anbietet, gerne selbst vorgestellt hatte. Er las meinen Brief einem Sohn Mr. Tronchins vor, der Sekretär des englischen Gesandten ist. Der kleine Tronchin, der sich nicht überlegte, daß ich 73 Jahre alt bin und mein Haus nicht verlassen kann, glaubte verstanden zu haben, daß ich nach Preußen ginge, schrieb es seinem Vater, der Vater erzählte es in Paris, die Zeitungsschreiber haben viel Tinte darüber vergossen, und so schreibt man Geschichte Was man der Marquise du Deffant schrieb, erfuhr bald ganz Paris. ...

 

197. An Herrn Vernes in Genf. Protestantischer Pastor in Genf.

September 1766.

... Zwei Jahre hat es gedauert und viel inständige Mühen waren nötig, um im Languedoc die zur Rechtfertigung nötigen Dokumente zusammenzubringen. Endlich haben wir sie den Widerstrebenden entrissen. Mr. de Beaumonts Denkschrift ist schon von mehreren Advokaten unterzeichnet worden Um, derart unterstützt, an den Conseil des Partis zu gehen.; wir haben bereits einen Berichterstatter verlangt; der Herzog von Choiseul beschützt uns; er schrieb mir eigenhändig in dem letzten Brief, mit dem er mich beehrt: »Das Urteil, das an den Calas vollstreckt wurde, ist eine Wirkung der menschlichen Schwäche und hat nur eine Familie betroffen, während die Dragonaden des Herrn von Louvois das Unglück eines Jahrhunderts verursacht haben ...«

 

198. An d'Argental.

8. Oktober 1766.

... Er (Elie de Beaumont) führt noch einen anderen sehr interessanten Prozeß im Namen seiner Frau; für diesen Prozeß zittere ich aber. – Er hat das Unglück, darin die Anwendung der harten Gesetze gegen die Protestanten zu verlangen, Gesetze, deren Schärfe er nicht nur in der Calasaffäre, sondern auch in der, die ich ihm jetzt anvertraute, in so helles Licht gesetzt hat. Diese verhängnisvolle Gewohnheit der Advokaten, das Für und Wider zu verteidigen, kann ihm und der Sirvenaffäre großen Schaden tun. Aber die Sache ist nun einmal im Rollen, man muß sie ihren Gang gehen lassen ... Ich lasse mich nicht abschrecken, aber ich bin betrübt ...

 

199. An Damilaville.

12. November 1766.

... Ich schicke Ihnen einen andern Brief, den ich am 24. Oktober an Mr. Hume Über seine Beziehungen zu Rousseau. – Hume hatte sich bei seinem Aufenthalt in Paris mit Rousseau befreundet und suchte ihm 1766 in England eine angenehme Stellung zu verschaffen, als Rousseau ihn bei seiner Rückkehr dorthin begleitete. Doch ging die Freundschaft durch Rousseaus krankhaftes Wesen auseinander. geschrieben habe ... Mein Brief an Mr. Hume ist nur eine ehrliche und billige, wenn auch scherzhafte Rechtfertigung gegenüber den Anklagen eines kleinen Aufrührers, J. J. Rousseau genannt, der den König und alle seine Minister in all seinen Werken beschimpft und weniger den Pranger als das Narrenhaus verdient hat. Mein Brief an Mr. Hume rächt das Vaterland Rousseau war verbittert, gereizt, krank und kehrte ganz den Republikaner vor Königsthronen heraus. ...

15. Dezember 1766.

200. Ich habe, mein lieber Freund, Ihre Briefe vom 6. und 8. Dezember zusammen erhalten. Jeder hat eben sein Schicksal; das Ihre ist, das Böse gutzumachen, das die Nachlässigkeit der andern verursacht. Es steht fest, daß, hätte Mr. de Beaumont die Sirvenaffäre nicht 18 Monate lang liegen lassen, wir heute nicht in der schwierigen Lage wären, in der wir uns nun einmal befinden. In 14 Tagen hätte er seine Denkschrift fertigmachen können Vgl. Voltaires Brief an de Beaumont vom 16. 2. 1767, auf Seite 129/30. Damals war die Schrift endlich fertig geworden. ...

 

201. An d'Argental.

19. Dezember 1766.

Die Genfer Wirrungen ziehen auch mich in Mitleidenschaft. Ich habe einen großen Teil meines Vermögens dort; alle Kassen sind geschlossen. Ich weiß nicht, wie ich armer Teufel dazu gekommen bin, einen Hausstand zu haben, der bedeutender ist als der des Gesandten Des französischen Gesandten in Genf, Mr. Henin.. Alles in allem ernähre ich 150 Leute in Tournay und Ferney. Die füttert man aber nicht mit Alexandrinern und Bankbrüchen ...

4. Januar 1767.

202. Wie die Köche, mein lieber Freund, die Paris erst im letzten Augenblick verlassen und auf dem Weg in jeder Schenke anhalten, habe ich auch Ihren Brief vom 14. Dezember etwas spät erhalten. Meine Antwort wird gefroren ankommen, unser Thermometer zeigt 12° unter Null, eine schöne Schneefläche von etwa 80 Meilen bildet unseren Horizont, für 4 Monate bin ich in Sibirien ...

 

203. An den Marschall de Richelieu.

Ferney, 9. Januar 1767.

... Wir liegen augenblicklich mit den eigensinnigen Genfern in einem friedlichen Kriege Da die Genfer Aristokraten um Hilfe von Frankreich nachgesucht hatten, ließ Choiseul einen Truppenkordon um Genf ziehen.. Ich habe 30 Dragoner um einen Hühnerstall lagern, den man Schloß Tournay nennt ... In Ferney habe ich kein Armeekorps, ich glaube aber, daß man in diesem Kriege mehr Wein trinken als Blut vergießen wird ...

 

204. An den Duc de Choiseul über den Truppenkordon um Genf.

9. Januar 1767.

... Gestatten Sie mir die große Freiheit, Ihnen zu sagen, daß Sie vom Teufel besessen sind. Mama Denis und ich werfen uns Ihnen zu Füßen. Sie bestrafen ja nicht die Genfer, dank Gott, sondern uns. Wir sind 100 Personen in Ferney, die nichts haben, und die Genfer haben alles. Wir können heute den Generalen Ihres Heeres nicht einmal ein Mittagessen anbieten Dieser Kordon schnitt Gex von Genf ab, das Ländchen Gex gehörte seiner geographischen Lage nach aber zu Genf und nur politisch zu Frankreich, von dem es durch den Jura getrennt war. Derart war Gex in Gefahr, ausgehungert zu werden. Voltaire erhielt darauf die Erlaubnis, sich und Ferney aus Genf zu verproviantieren. ...

 

205. An Herrn d'Etallonde de Morival Der der Mitschuld an der Abbeviller Kruzifixschändung angeklagte Freund La Barres, der entfliehen hatte können..

13. Januar 1767.

Ein Mann, den Ihr Unglück aufrichtig gerührt hat und der von dem entsetzlichen Schicksal eines Ihrer Freunde La Barre. noch tief ergriffen ist, hegt den lebhaften Wunsch, Ihnen nützlich sein zu können. Haben Sie die Güte, ihn wissen zu lassen, wozu Sie sich für am geeignetsten halten. Ob Sie deutsch sprechen, ob Sie eine gute Handschrift haben, ob Sie wünschen würden, bei einem deutschen Fürsten oder einem Edelmann als Vorleser, Sekretär, Bibliothekar einzutreten; ob Sie im Dienst des Königs von Preußen sind Er stand in der Weseler Garnison., ob Sie wünschen, daß Sie Ihre Entlassung erhalten; ob man Sie ihm als Literaten empfehlen soll. In diesem Falle wäre man Ihnen dankbar, wollten Sie ihm Ihren Namen, Ihr Alter und Ihr unglückliches Schicksal kundtun. Das würde ihn rühren, denn er verabscheut die Barbaren und hat Ihre Verurteilung abscheulich gefunden Voltaire schreibt absichtlich so unbenannt..

 

206. An den Marquis de Florian Der zweite Gatte von Voltaires jüngerer Nichte..

14. Januar 1767.

... Sie wissen, daß wir augenblicklich von Truppen und Scherereien umgeben sind. Wir essen Kuhfleisch, das Pfund Brot kostet 5 Sou 2 = 20 Pfennig, damals ein Wert von 0,60., das Holz ist teurer als in Paris. Uns fehlt alles außer dem Schnee. Oh, mit der Ware konnten wir ganz Europa versehen. In meinem Garten liegt er 10 Fuß hoch und auf den Bergen 30 ... Florianet Der Sohn der Marquise, den Voltaire sehr gern hatte. hat dem Pater Adam einen reizenden Brief in Latein geschickt. Ich bitte Sie, ihn von mir auf beide Backen zu küssen.

 

207. An Damilaville.

2. Februar 1767.

Mein lieber Freund, so, nun ist Mademoiselle Calas also mit einem in seiner Art sehr angesehenen Manne Einem Herrn Duvoisin. verheiratet, das ist die Frucht Ihrer Bemühungen. Könnten wir doch auch eine der Sirvenschen Töchter so unter die Haube bringen, aber das arme Hascherl sieht nicht gerade nach Hochzeit aus Die ganze Familie war durch das Unglück tief niedergeschlagen und die Mutter bereits vor Gram gestorben. ...

 

208. An Herrn Elie de Beaumont.

Ferney, 16. Februar 1767.

Mein lieber Cicero, Sie haben dem armen Sirven Tränen der Rührung und Dankbarkeit entlockt Durch die endlich fertig gewordene Denkschrift.. Empfangen Sie von neuem meinen Dank, und fügen Sie zu all Ihren Beweisen von Güte noch den, Ihrem Freund, Mr. Target Advokat in Paris., zu sagen, wie sehr es mich rührt, daß er seine Stimme für die Sirven erheben will. Ich stehe dafür, daß Sirven sich an keinen andern als Sie wenden wird. Die Calas hatten den Beistand von 5, 6 Protestanten aus dem Languedoc; Sirven hat nur mich, er soll und muß daher auf meinen Rat und Befehl hören Trotzdem war auch er nicht immer sehr botmäßig. ...

 

209. An Le Kain.

Ferney, 23. Februar 1767.

Mein lieber Freund, das kleine Konzil zu Ferney hat dem großen Konzil des Hauses d'Argental Die d'Argental und ihr Kreis waren Voltaires Orakel in dramatischen Dingen. geantwortet. Wir finden den von Ihnen gemachten Vorschlag kalt und undurchführbar. Wir finden dieses »Ich kann nicht« an Stelle des furchtbaren »Gut, sei's drum« fade.

Wir glauben auf Grund der Erfahrung, daß dieses »Gut, sei's drum«, im Tone verzweifelter Entschlossenheit gesagt, nach einer Pause dumpfen Schweigens, die tragischste Wirkung haben muß Es handelt sich um die Tragödie »les Scythes«, die am 26. 3. 1767 aufgeführt wurde. ...

 

210. An den Marquis de Florian.

4. März 1767.

... Sie haben sicher Herrn von Beaumonts Denkschrift gelesen. Man müßte ein Herz von Stein haben, wollte man den Sirven die Evokation verweigern Da aber saß der Haken: die Sirven waren von einem Gericht erster Instanz verurteilt worden. Der Appell mußte in regelmäßigem Verfahren an das Parlament in Toulouse gehen. Diesen Mördern des Calas die Revision des Sirvenprozesses zu entreißen und sie dem Conseil des Partis in Paris zu übertragen, darin lag die Bedeutung der genannten Evokation.. Es handelt sich hier um die Ehre Frankreichs. Es ist zu schmählich, fortwährend mit so furchtbaren Anklagen zu spielen ...

 

211. An Palissot.

Ferney, 16. März 1767.

Sie haben die rechte Saite angeschlagen Palissot war »Philosoph« geworden.. Ich habe Fréret Philosoph und Historiker., Crébillon den jüngeren Dramatiker, Diderot aufheben und in die Bastille stecken und fast alle anderen verfolgen sehen: den Abbé de Prades Trefflicher Enzyklopädist, der nach Holland und Preußen fliehen mußte. behandeln, wie Arius von Athanasius behandelt worden ist; Helvetius Man entzog ihm sein Amt als Maître d'hôtel de la Reine. grausam bedrücken; Tercier Zensor, der das Buch »de l'Esprit« geprüft und genehmigt hatte, wurde all seiner Ämter verlustig erklärt. sein Amt verlieren; Marmontel Literat und Aufklärer. seines kleinen Vermögens berauben; Bret Abgesetzt, weil er Marmontels »Belisar« genehmigt hatte., der ihm beistand, absetzen und ins Elend stoßen sehen. Ich wünschte, daß diese Unglücklichen sich wenigstens verbündeten, daß diese Galeerensträflinge sich nicht mit ihren Ketten schlügen. Dieser Trost ist mir nicht geworden, und so bleibt mir nur in meiner Einsamkeit ein Leben zu beschließen, das ich den Verfolgern entziehe.

Jean Jacques, der der Literatur hätte nützen können, ist aus lächerlichem Stolz ihr Feind und durch ein schändliches Betragen ihre Schmach geworden. Ich schließe daraus, daß jeder seinen Garten bestellen soll. Ich bestelle den meinen ... Anspielung auf »Candide«.

 

212. An d'Argental.

1. April, doch ist dies kein Aprilscherz.

Soeben, mein lieber Engel, erhalte ich Ihren Brief vom 26. März. Sie haben also meine letzten Sendungen nicht erhalten? Sie haben die 40 Taler nicht eingestrichen Voltaires Schrift »L'homme aux 40 écus«., die ich Ihnen durch den Herzog von Praslin geschickt habe, oder Sie sind mit der Summe nicht zufrieden gewesen? Es ist aber dennoch wahr, daß wir im Durchschnitt nicht mehr auszugeben haben. Darauf läuft der ganze Tumult von Paris und London hinaus ... ... Sie fragen, warum ich einen Jesuiten bei mir habe; ich wollte, ich hätte zwei; und wenn man mich ärgert, lasse ich mir täglich zweimal das Abendmahl reichen. Ich will in meinem Alter nicht Märtyrer werden. Ich mag ohne Unterlaß an dem »Siècle de Louis XIV.« arbeiten, mit einer Prinzessin von Babylon Der reizende Roman Voltaires. reisen, mich mit Lust- und Trauerspielen amüsieren, Landmann und Maurer sein – man bleibt dabei, mir alle gefährlichen Neuheiten aufzuhängen. Da ist in Paris ein Baron von Holbach Aufklärer und Verfasser des »Système de la Nature«., der alle Flugschriften kommen läßt, die bei Marc Michel Rey in Amsterdam erscheinen Der bedeutendste Verlag von Aufklärungsbroschüren.. Der ist auch Jean Jacques' Verleger und schiebt sie mir wahrscheinlich unter. Es ist rein körperlich unmöglich, daß ich der Vater all dieser Rhapsodien bin; nichtsdestoweniger schreibt man sie mir zu, um sie zu verkaufen Gewiß; vieles aber war tatsächlich von Voltaire. Jedoch: wer hat, dem wird gegeben. ...

13. April 1767.

213. ... Sagen Sie dem Herzog von Choiseul an einem Dienstag Regelmäßiger Empfangstag im Auswärtigen Amt., wie sehr ich gegen ihn aufgebracht bin; er weiß nicht, welchen Schaden er mir tut. Da, wo ich das Land urbar gemacht, alles verschönert und bereichert habe, werde ich drangsaliert, das ist nicht gerecht. Ich bin auf all seine Vorschläge eingegangen, und er geruht keine meiner Bitten zu erhören Die Unruhen in Genf dauerten fort. Ein Teil der Unzufriedenen wanderte nach Ferney aus, wo Voltaire 100 Familien ansiedelte und durch Anlage einer Uhrmacherkolonie Genf Konkurrenz zu machen begann. – Er schlug dem Herzog von Choiseul auch vor, das Pays de Gex durch Anlage einer großen Fahrstraße über den Jura mit Frankreich zu verbinden und es durch diese Maßregel sowie durch die Anlage eines großen französischen Handelsplatzes am Genfer See von Genf unabhängig zu machen. – So entstand das spätere Versoix..

Rechnen Sie dazu noch die unerhörte Last, wöchentlich 50 Briefe beantworten zu müssen, die Gutsverwaltung, 20 literarische Arbeiten, die daneben laufen, und sagen Sie selbst, ob ich die Zeit habe, eine Tragödie auszufeilen ...

4. Mai 1767.

214. ... Ich befinde mich etwa in der Lage, in Gex nicht leben und es doch nicht verlassen zu können Wegen des noch bestehenden Hungerkordons.. Denken Sie, daß ich eine Kolonie in Ferney gegründet, dort Kaufleute, Künstler D. h Uhrmacher, darunter jedoch auch Emailmaler., einen Chirurgen angesiedelt habe; daß ich ihnen Häuser baue, und daß, wenn ich fortgehe, meine Kolonie zugrunde geht; daß ich aber, wenn ich bleibe, vor Hunger und Kälte umkomme. Alle Wälder sind verwüstet, das Pfund Brot kostet 5 Sou, Handel und Wandel existieren nicht mehr ...

4. Juli 1767.

215. ... Was die gerichtliche Verteidigung der Sirven betrifft, so fürchte ich, wird sie nicht durchgehen D. h. die Evokation durch den Conseil des Partis.. Der Generalprokurator von Toulouse ist in Paris und tritt lebhaft für die Rechte seiner Körperschaft Des Parlaments in Toulouse als Appellationsgericht für das Gericht erster Instanz in Mazamet, das die Sirven verurteilt hatte. ein, und dieses Recht besteht darin, die Sirven zu richten und wahrscheinlich zu verurteilen ...

13. August 1767.

216. Oh, mein Gott, man meldet mir, daß Madame d'Argental im Sterben läge. Ich hatte Ihnen einen vier Seiten langen Brief geschrieben; ich zerreiße ihn. Mir vergeht der Atem. Lebt Madame d'Argental noch? Mein lieber Engel, lassen Sie mir ein Wort durch Ihre Leute schreiben. Wir sind in tödlicher Angst. Ein Wort durch Ihre Leute, ich beschwöre Sie Es war glücklicherweise ein falsches Gerücht..

 

217. An die Marquise de Florian Die frühere Madame de Fontaine..

Ferney, 12. Oktober 1767.

... Ferney ist immer noch Hauptquartier. Wir haben den Obersten des Regiments Conti im Hause und im Dorf drei Kompagnien Also hatte auch Ferney jetzt Einquartierung.. Die Soldaten machen uns Wege, die Grenadiere pflanzen Bäume Voltaire organisierte stets nützliche Tätigkeit.. Madame Denis, die von Landau und Lille Wo sie mit dem Kriegskommissar Denis gelebt hatte. an solch lärmendes Treiben gewöhnt ist, findet sich glänzend darein. Ich bin zu leidend, um die Honneurs meines Schlosses zu machen. Ich esse nie an der großen Tafel. Müßte ich als Weltmann leben, ich wäre nach vier Tagen tot. In all dem Lärm bin ich still für mich, wie ein Einsiedler in der Menge ...

 

218. An Damilaville.

18. November 1767.

... Von allen Seiten höre ich, daß die Protestanten einen Zivilstand und rechtsgültige Eheschließung erhalten sollen. Ich wundere mich, daß Sie mir davon nichts sagen Weil dieses ein falsches Gerücht war. ...

 

219. An Marmontel.

2. Dezember 1767.

... Es tut mir recht leid, daß der Erlaß zugunsten der Protestanten nicht durchgegangen ist. Gewiß, die Hugenotten sind ebenso verrückt wie die Sorbonarden D. h. die Hauptvertreter des unduldsamen Katholizismus.; mag man aber auch für die Zwangsjacke reif sein, man ist doch Staatsbürger, und sicher, nichts wäre weiser, als jeden auf seine Weise verrückt sein zu lassen Friedrich der Große sagte: Laßt jeden auf seine Art selig werden. ...

 

220. An Herrn de Chabanon. Mitglied der Académie française.

11. Januar 1768.

... Alles scheint heute in der Welt auf Versöhnung hinzustreben, seit man die Jesuiten aus vier Reichen vertrieben hat. Die Toleranz ist in Polen wie in Rußland feierlich verkündet worden, d. h. auf 1 300 000 Quadratmeilen dieses Weltteils, so daß die Sorbonne nur noch auf den 2500 Quadratfuß recht hat, die den schönen Saal bilden, in dem sie ihre schönen Dekrete erläßt Die Verdammungsurteile über ketzerische Bücher; die Sorbonne war die theologische Fakultät der Universität Paris.. Sicher wird die Menschheit am Ende über die Sorbonne siegen. Diese Schulfüchse werden bald auf dem letzten Loche pfeifen. Es ist ein Segen, wie der gesunde Menschenverstand überall an Boden gewinnt. Mit dem guten Geschmack ist es freilich anders, der ist nur einer kleinen Schar Auserwählter gegeben Voltaire fand, der Geschmack in der Literatur sei sehr heruntergegangen..

 

221. An Marmontel.

22. Januar 1768.

... Ich höre mit großem Staunen, daß man mir ein gewisses »Diner du Comte de Boulainvilliers« Eine von Voltaires Streitschriften. zuschreibt, welches, wie allbekannt, von Saint Hyacinthe Ein Strohmann, dem die Zensur, da er verstorben war, nichts mehr anhaben konnte. herrührt, der es 1728 in Holland drucken ließ, wie alle Piraten der Literatur wissen. Ich erwarte von Ihrer Freundschaft, daß Sie ein so verleumderisches und schädliches Gerücht ersticken werden ...

 

222. An d'Argental.

23. Januar 1768.

... Ich habe um eine weitere Gunst zu bitten, und zwar für meine Katharina Kaiserin von Rußland.. Man muß sie bei den Gebildeten in Paris in guten Ruf bringen. Ich habe allen Grund zu glauben, daß die Herren von Choiseul und Praslin sie nicht gerade als die gewissenhafteste Dame der Welt betrachten. Ich weiß aber, insoweit man derlei eben wissen kann, daß sie an dem Tode ihres Trinkers von Mann keinen Anteil hat: ein Riesenkerl unter den Offizieren des Preobraschenskiregiments gab ihm bei seiner Gefangennahme einen Faustschlag, der ihm Blutspucken verursachte. Er hoffte sich dadurch zu kurieren, daß er in seinem Kerker fortwährend Punsch trank, und starb bei dieser schönen Beschäftigung Das ist durchaus möglich, denn Katharinas II. Mitschuld an dem Tode des abgesetzten Zaren – der sonst nämlich Katharina eingesperrt hätte – ist nicht erwiesen..

 

223. An Damilaville.

8. Februar 1768.

Das Unglück der Sirven ist auch das meine, ich bin von dem Schlag ganz bestürzt Der Conseil des Partis hatte die Evokation verworfen: die Sirven wurden zur Wiederaufnahme des Verfahrens an das Gericht in Mazamet und das Parlament in Toulouse verwiesen. Das sah recht bedenklich aus.. Ich verstehe wohl, daß die Form über die Sache siegen konnte. Der Staatsrat hat die alten Gebräuche geachtet. Wenn es aber Fälle gibt, mein lieber Freund, in denen die Sache über der Form stehen sollte, so sind es Fälle, in denen sich's um Menschenleben handelt ...

 

224. An den Grafen de Rochefort Leutnant der Leibgarde in Paris..

12. Februar 1768.

Gestern kam in meinem Hof ein Riesenkorb mit Champagner bei einer Schneedecke von vier Fuß an. Der Anblick dieses kräftigen Heilmittels gegen die Kälte unseres Klimas und des Alters war mir ein Beweis der Güte eines jungen Ehepaars, das in seinem Glück daran denkt, die Unglücklichen zu trösten, eine nicht gewöhnliche Tugend ...

 

225. An den Marschall Duc de Richelieu.

Ferney, 1. März 1768.

Sie haben einst einen kurzen Besuch in Ferney zu machen geruht. Madame Denis kommt, ihn zu erwidern. Ihre Gesundheit ist schlecht, und in Genf haben wir keinen Arzt, den man konsultieren kann Tronchin war inzwischen nach Paris übergesiedelt.. Außerdem haben 20 Jahre Voltaire war seit 1750 von Paris dauernd fern gewesen. der Abwesenheit meine Vermögenslage in Unordnung gebracht Weil die adligen Schuldner die fälligen Jahresrenten nicht zahlten. und die ihre nicht verbessert. Meine Pflegetochter Corneille begleitet sie nach Paris, wo sie die Stücke ihres Großonkels verhunzen sehen wird. Ich bleibe in meiner Klause, einer muß ja nach der Landwirtschaft sehen; die ist mein Trost ...

Wenn Sie gütigst veranlassen, daß die mir fällige Rente Auch Herr von Richelieu war ein säumiger Schuldner. ganz ausgezahlt wird, so werden Madame Denis und Madame Dupuits allein davon Vorteil haben. Was brauchen Frauen nicht alles! während ein alter Einsiedler nichts bedarf. Ich habe nicht einmal besondere Kutschpferde zum Ausfahren behalten. Wäre ich allein, ich brauchte gar nichts Der große Aufwand und die große Geselligkeit galten allerdings mehr Madame Denis, die an Lärm und Bewegung gewohnt war und die Ferney sonst zu einsam gefunden hätte, besonders im Winter..

 

226. An die Marquise du Deffant.

30. März 1768.

... Länger als einen Monat hatte ich französische Obersten mit ihren Offizieren hier; sie dienen dem König aber so eifrig, daß auch nicht einer die Zeit gefunden hat, Madame Denis oder mir zu schreiben. – Ich habe ein Schloß und eine Kirche erbaut und für weltliche und geistliche Werke 500 000 Frank ausgegeben. Zu guter Letzt haben erlauchte Schuldner, die da fanden, daß ein solcher Aufwand mir nicht bekömmlich sei, für gut befunden, mir die Lebensmittel abzuschneiden, um mich zu Verstand zu bringen. So ist mir denn plötzlich nur die Philosophie geblieben, deshalb habe ich Madame Denis ausgeschickt, um die großmütigen Franzosen anzugehen, und habe die großmütigen Deutschen auf mein Teil übernommen. Mein Alter von 74 Jahren und meine fortwährenden Leiden verurteilen mich zu Diät und Stille. Ein solches Leben kann Madame Denis nicht passen, die ihrer Natur Gewalt angetan hat, um mit mir auf dem Lande zu leben. Um meine schreckliche Einsamkeit zu ertragen, die, wie die Russen mir sagen, während der fünf Wintermonate schlimmer als Sibirien ist, hatte sie dauernde Zerstreuung nötig ... Kurz, sie braucht Paris, und die kleine Corneille noch mehr, da sie es nur zu einer Zeit gesehen hat, als weder ihr Alter noch ihre Stellung ihr erlaubten, es zu kennen. Es hat mich einen Entschluß gekostet, um mich von ihnen zu trennen und ihnen Vergnügungen zu verschaffen, deren erste der pflichtschuldige Besuch bei Ihnen sein wird. Das, Madame, ist die reine Wahrheit, die, nach der löblichen Gewohnheit unseres Landes, und ich glaube aller Länder, zu so viel Fabeln Anlaß gegeben hat Alle bösen Zungen hätten sich gefreut, wenn Madame Denis und ihr Onkel sich in Unfrieden getrennt hätten. Tatsächlich hatte sich Madame Denis mit ihrem Onkel wegen einer Indiskretion auseinandersetzen müssen, die der französische Schriftsteller Laharpe in Ferney beging: gastfrei dort aufgenommen, hatte er einen Gesang von Voltaires komischem Epos »la guerre de Genève« kopiert und nach Paris geschickt. Da Voltaire sich darin über die Genfer lustig machte und das Gedicht nur in Handschriften bei seinen nächsten Freunden umhergehen ließ, war ihm das sehr verdrießlich. ...

 

227. An Herrn Delaleu, Notar in Paris.

30. März 1768.

... Sie wissen, daß weder Herr von Richelieu noch die Erben der Familie Guise, noch Herr von Lezeau mich seit langem bezahlt haben. Das macht ein Loch von 8800 Frank in der Jahresrente. Der Rest, den Herr Lesueur einkassieren soll, beträgt 45 200 Frank; davon zahle ich 400 Frank an Herrn Lesueur, 1800 an den Abbé Mignot Voltaires Neffe, der Sohn seiner Schwester Mignot, der Bruder von Madame Denis und Madame de Florian., 1800 an Mme. d'Ornoi Voltaire nennt Madame de Florian so nach ihrem Landgut Ornoi in der Picardie., und zwar von heute ab und an Stelle der 1200, die sie bisher erhielt. Macht 3400 Frank, die von 45 200 Frank abgehen, bleiben 41 800 Frank.

Von diesen 41 800 brauchte ich 36 000 Frank für den Haushalt in Ferney ...

 

228. An den Bischof von Annecy.

Ferney, 15 April 1768.

... Ihr Schreiben Voltaire hatte das Abendmahl in Ferney genommen. Darauf schrieb ihm der Bischof von Annecy einen längeren Brief (vom 11. 4. 1768) und gab zu verstehen, Voltaire habe nur Komödie gespielt. Vgl. d'Alemberts Briefe an Voltaire vom 13. und 31. 5. 1768, auf S. 254–256, und den nachstehenden Brief Voltaires an d'Argental. verursacht mir große Befriedigung, hat mich aber etwas verwundert. Wie können Sie mir Dank wissen, wenn ich die Pflichten erfülle, deren Beispiel jeder Gutsherr auf seinem Besitztum zu geben hat, denen kein Christ sich entziehen soll, und die ich oft erfüllt habe? Es genügt doch nicht, seine Lehnsleute den Schrecken der Armut zu entreißen, die Eheschließungen zu fördern und soweit wie möglich zu ihrem weltlichen Glück beizutragen; nein, man soll sie auch aufrichten, und es wäre doch sonderlich, wollte ein Patronatsherr in der von ihm erbauten Kirche nicht tun, was die angeblich Reformierten auf ihre Art in ihren Kirchen tun.

 

229. An d'Argental.

22. April 1768.

Mein lieber Engel, die Gründe, die mich bestimmten, meinen offenen Tisch gegen den Tisch des heiligen Abendmahls zu vertauschen, mögen einen Exkommunizierten wie Sie ärgern; ich halte es aber für nötig, sie Ihnen mitzuteilen. Erstens habe ich diese Pflicht, wenn ich mich recht entsinne, ein oder zweimal mit Madame Denis erfüllt. Zweitens steht es um uns arme Ackerbauer nicht wie um euch Pariser große Herren, die ihr nur mittags in den Tuilerien zu promenieren habt. Ich muß in Person in meinem Sprengel das Weihbrot austeilen; ich stehe allein von meiner Art gegen 250 furchtsame Leutchen, und wenn es nur eine von den Gesetzen vorgeschriebene Handlung kostet, um ihr Gewissen zu beruhigen und sie zu erbauen, so muß man sich aus ihnen nicht 250 Feinde machen.

Drittens sitze ich zwischen zwei Bischöfen Dem Bischof von Annecy und dem Bischof von Puy.), die aus dem 14. Jahrhundert stammen; und mit den geweihten Wölfen muß man heulen.

Viertens muß man auch gut mit seinem Pfarrer stehen, selbst wenn er ein Dummkopf und ein Schuft wäre; und nach dem Brief des Advokaten Caze darf ich keine Vorsichtsmaßregel unterlassen.

Fünftens. Glauben Sie, wenn ich eine Kapuzinerprozession vorbeikommen sehe, werde ich ihr mit gezogenem Hut, selbst bei dem ärgsten Platzregen entgegengehen ...

Sechstens. Da man nicht abläßt, mir die Schriften von Saint Hyacinthe, des Exkapuziners Maubert, des Exmathuriners Dulaurent und des Herrn Robinet zuzuschreiben, die alle nicht zum Abendmahl gehen, will ich kommunizieren; und wäre ich in Abbeville, so kommunizierte ich alle 14 Tage Die Vorgänge in Abbeville hatten Voltaire sehr tief ergriffen, sein Feind Pasquier blieb ihm unvergessen, und er wollte ähnlichen Gewalttaten durch äußere Kirchlichkeit vorbeugen.. Siebentens kann man mir keine Heuchelei vorwerfen, da ich ja gar keinen Anspruch erhebe.

Achtens bitte ich Sie gnädigst, meine Gründe verbrennen zu wollen, nachdem Sie sie gebilligt oder mißbilligt haben. Lieber werde ich von Ihnen verbrannt als am Fuß der großen Freitreppe Des Pariser Justizpalais, wo die ketzerischen Bücher verbrannt wurden. – d'Argental hat Voltaires Wunsch nicht erfüllt..

 

230. An Thieriot.

1768.

... Von großen Männern kenne ich nur die, welche der Menschheit große Dienste geleistet haben ...

 

231. An Herrn de Montaudoin in Nantes Reeder in Nantes, der ein Schiff »Voltaire« genannt hatte..

Ferney, 2. Juni 1768.

Bisher habe ich mich nicht rühmen dürfen, mein kleines Boot in dieser Welt glücklich gesteuert zu haben. Da Sie jedoch geruhen, einem Ihrer Schiffe meinen Namen zu geben, werde ich von nun ab allen Stürmen trotzen. Sie tun mir eine Ehre an, die ich sicher nicht verdiene und die noch keinem Schriftsteller geworden ist. Je weniger ich dessen würdig bin, desto dankbarer bin ich ... Wäre ich jung, ich schiffte mich auf Ihrem Schiffe ein, um das Land zu suchen, das weder Fanatismus noch Verleumdung kennt ...

Die Engländer, denke ich, werden mich in allen Meeren frei passieren lassen, denn sie wissen, daß ich stets Geschmack für sie und ihre Schriften gehabt habe ...

 

232. An d'Argental.

27. Juli 1768.

... Ich habe mich noch nicht von meinem Erstaunen darüber erholt, als ich erfuhr, daß dieser fanatische Narr, der Bischof von Annecy, angeblicher Bischof von Genf Das frühere Bistum Genf war nach Annecy verlegt worden., und Sohn eines Maurers, der nichts taugte, dem König seine Briefe und meine Antworten geschickt hat. Diese Antworten sind die eines Kirchenvaters, der einen Dummkopf unterweist. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß dieser Esel noch einen Haftbefehl des Pariser Parlaments auf dem Kerbholz hat, den er sich zuzog, als er in der unteren Sainte Chapelle Die Sainte Chapelle in Paris hat einen halbunterirdisch gelegenen Teil. den lieben Gott zur Schau trug D. h. die Messe zelebrierte.. Auf alle Fälle stehe ich sehr gut mit meinem Pfarrer und erbaue mein Volk; jedermann ist mit mir zufrieden, nur die Dirnen nicht ...

 

233. An den Marquis de Villevieille.

Ferney, 26. August 1768.

... Mein lieber Marquis, von dem Atheismus kann nichts Gutes kommen. In der Physik wie der Moral ist dieses System gleich schlecht. Wenn ein gebildeter Mensch sich gegen Aberglauben und Fanatismus erhebt, die Religionsverfolgungen verabscheut und die Toleranz verbreitet, so leistet er der Menschheit einen Dienst. Welchen Dienst aber kann er durch Verbreitung des Atheismus leisten? Werden die Menschen tugendhafter sein, wenn sie nicht mehr an einen Gott, der die Tugend fordert, glauben? Sicher nicht! Ich will, daß die Fürsten und ihre Diener einen solchen Gott anerkennen, und sogar einen belohnenden und strafenden Gott. Ohne diesen Zügel wurde ich sie als Raubtiere betrachten, die mich freilich nicht fressen werden, wenn sie gerade von einem reichen Mahl kommen und es auf dem Sofa zu seiten ihrer Geliebten sanft verdauen, wohl aber, wenn sie ... Hunger haben, und denen das nicht einmal als etwas Schlechtes erscheinen wird Enthält Voltaires ganze praktische Philosophie. ...

20. Dezember 1768.

234. Nein, mein lieber Marquis, die modernen Sokratesse werden den Schierlingsbecher nicht trinken. Der Sokrates von Athen war, unter uns, ein sehr unkluger Mann, ein unerbittlicher Silbenstecher, der sich 1000 Feinde machte und der seinen Richtern sehr zur Unzeit trotzte.

Heute sind unsere Aufklärer geschickter; sie haben nicht die dumme und gefährliche Eitelkeit, ihre Schriften mit Namen zu zeichnen. Es sind unsichtbare Hände, die von einem Ende Europas zum andern den Fanatismus mit den Pfeilen der Wahrheit durchbohren Voltaire fand, es sei besser, für seine Ideen zu leben als zu sterben. – Der fanatischen Kirche gegenüber hielt er jedes Versteckspiel, jede Lüge für gerechtfertigt, da jene ja auf Täuschung, Lüge, Unwahrheit gegründet wäre. ...

 

235. An den Abbé Audra Ein freisinniger Theolog und Historiker, der sich für die Calas erklärt hatte und nun auch den Sirven helfen sollte. Er war Baron von Saint-Jus, Kanonikus in Toulouse und zugleich königlicher Professor daselbst. in Toulouse.

Ferney, 3. Januar 1769.

Es handelt sich um ein gutes Werk, mein Herr, und deshalb wende ich mich an Sie. Sie schrieben mir, das Parlament zu Toulouse beginne, die Augen zu öffnen, die meisten Richter ... bereuten die absurde Barbarei gegen die Calas. Das Parlament kann diese Barbarei gutmachen und seinen Glauben durch seine Werke betätigen. Es handelt sich jetzt darum, zu sehen, ob Sirven sich ohne Gefahr in Toulouse stellen kann ... Wird sich ein Richter finden, der den unglücklichen Sirven unter seinen Schutz nimmt?

 

236. An Gaillard Französischer Historiker..

Ferney, 23. Januar 1769.

... Sie haben Lally Den Grafen v. Lally-Tollendal, 1756 Gouverneur von Französisch-Vorderindien; übergab 1761 den Engländern Pondichery und wurde deshalb 1766 in Paris hingerichtet. also gekannt. Ich habe ihn nicht nur gekannt, sondern mit ihm bei Mr. d'Argenson 1744–46. gearbeitet, als man daran dachte, auf den Vorschlag dieses Irländers hin einen Einfall an der englischen Küste zu machen, was sich glücklicherweise für uns zerschlug. Ihn hat sicher seine üble Laune aufs Schafott geführt, er ist der einzige Mensch, dem man wegen seiner Brutalität den Kopf abgeschlagen hat ...

 

237. An Herrn de Sudre, Advokat in Toulouse.

6. Februar 1769.

... Die Sirven sind ebenso unschuldig wie die Calas. Ich hatte den Vater nach Paris geschickt, um vom Staatsrat eine Evokation zu erwirken, da diese Unglücklichen aber in contumaciam verurteilt worden sind, konnte man sie ihren natürlichen Richtern nicht entziehen ...

Sobald Sie mich mit einer Antwort beehrt haben, werde ich die Sirven abreisen lassen ... Sie werden eine Tat tun, die Ihrer würdig ist, indem Sie die Sirven mit Ihrem Rat beehren, wie Sie ja auch an der Rechtfertigung der Calas gearbeitet haben Es handelte sich ja nun darum, Bürgen und Beschützer für die Sirven in Toulouse aufzufinden. ...

 

238. An d'Argental.

27. Februar 1769.

... Nur auf mehrfache Schreiben von Toulouse hin lasse ich die Sirven sich auf den Weg machen Auch d'Argental schien es bedenklich, die Sirven in die Höhle des Löwen wandern zu lassen.; nur weil man mir mitteilte, daß ein großer Teil des Parlaments, das eine Pflanzschule unwissender Pedanten war, sich in eine Akademie von Philosophen verwandelt hat ... Marc Michel Rey Der holländische »Aufklärungsverleger«. hat diesem gewaltigen Umschwung nicht geschadet. Es handelte sich nicht darum, wie zu Luthers oder Calvins Zeiten, eine Umwälzung der Staaten zu bewirken, sondern sie im Geiste derer zu vollziehen, die die Staaten beherrschen sollen. Diese Arbeit ist in ganz Europa schon recht vorgeschritten ...

 

239. An die Marquise du Deffant.

März 1769.

... Ich lasse mir beim Mittag- und Abendessen von sehr intelligenten Vorlesern vorlesen, die mehr meine Freunde als meine Diener sind Voltaire lebte ja seit einem Jahre allein in Ferney.. Fürchtete ich nicht als Geck zu gelten, so würde ich sagen, daß ich hier ein herrliches Leben führe s war eben dort – ohne Gäste, ohne offene Tafel, ohne die weltlustige Madame Denis – für den alternden Mann recht gemütlich. Pater Adam leistete ihm Gesellschaft. ...

 

240. An d'Argental.

12. März 1769.

... Man lebt nicht lange genug. Warum leben die Karpfen länger als die Menschen? Das ist lächerlich.

23. Mai 1769.

241. ... Mit dem Frühstück Voltaire hatte zum zweiten Male das Abendmahl genommen., wiederhole ich Ihnen, ließ sich das nicht anders machen. Sie wissen ja nicht, mit welcher Wut die Verleumdung der Pfaffen über mich herfällt. Ich brauchte einen Schild, um die tödlichen Geschosse abzuwehren, die man gegen mich schleudert ...

 

242. An Herrn Elie de Beaumont.

17. August 1769.

Madame Denis, mein lieber Cicero, hat mir mitgeteilt, daß, wenn Sie so wacker die Unschuld Ihrer Klienten verteidigen, Sie mir doch ein großes Unrecht tun. Sie glauben, daß, wenn ich meine Tür vor einer Unmenge Fremder schließe Voltaire wurde buchstäblich überlaufen; besonders die reisenden Engländer waren nicht los zu werden, und seit Madame Denis in Paris weilte, war niemand mehr da, die Fremden zu empfangen, daher gab Voltaire Befehl, die Neugierigen abzuweisen., die nur aus eitler Neugier zu mir kamen, ich sie auch vor meinen Freunden schließe, vor denen, die ich verehre. Wenn Sie nach Lyon kommen, woran ich noch zweifle, will ich lieber kommen, Sie dort zu besuchen als verzichten, Sie zu sehen. Wenn Sie aber nach Genf kommen, beschwöre ich Sie, Ferney nicht zu vergessen. Sie werden mich Greis wieder beleben ...

 

243. An den Abbé Audra in Toulouse.

Ferney, 4. September 1769.

Ich begreife nicht, mein Herr, warum dieser unglückliche Sirven es so eilig hat, sich in Mazamet Dort mußte das Verfahren wieder aufgenommen werden. einsperren zu lassen, da Sie bis Sankt Martin auf dem Lande sein werden. Er soll sich ganz von Ihnen leiten lassen. Ich fürchte für seinen Verstand in einem Gefängnis, wo er wahrscheinlich lange sein wird Sirvens Geist hatte durch die vielen Aufregungen und all das Unglück eine gewisse Depression erlitten. ...

Man hat mir gemeldet, daß das Parlament schon andere Richter ernannte, um den Prozeß in erster Instanz zu revidieren. Ist diese Nachricht wahr, so ist die Genugtuung sicher; ist sie falsch, so wäre ich sehr betrübt. Ich wünschte, ich wäre imstande, die Reise nach Toulouse zu machen. Ich schmeichle mir damit, daß die Richter mich mit freundlichem Auge betrachten würden ...

 

244. An die Marquise du Deffant.

6. September 1769.

... Sie wissen, Ihre Großmama Beiname der Herzogin von Choiseul, die freilich viel jünger war als die Marquise du Deffant. hat mir einen Schuh von einem Fuß Länge geschickt Voltaire hatte die Herzogin um einen Probeschuh gebeten, da er ihr ein Paar Seidenstrümpfe schicken wollte, um für die Ferneyer Seidenfabrikation zu werben., und ich ihr ein paar seidene Strümpfe, die kaum für den Schuh einer Chinesin passen. Diese Strümpfe habe ich fabriziert, mit einem jungen Calas Dem bereits erwähnten jungen Mann. habe ich daran gearbeitet, denn ich habe das Geheimnis gefunden, in einem Land, das sieben Monate des Jahres mit Schnee bedeckt ist, Seidenwürmer zu züchten, und trotz dieses barbarischen Klimas ist meine Seide besser als die italienische. Ich wollte, daß Großmamas Gatte Der Herzog von Choiseul., der jetzt eine Kolonie in unserer Nähe gründet, sieht, daß man in unserm schrecklichen Klima doch Manufakturen haben kann ...

 

245. An d'Argental.

16. September 1769.

... Man drängt mich von allen Seiten, den Winter in Toulouse zu verbringen, allerdings kann ich den Schnee, der mich hier fünf Monate lang begräbt, nicht mehr vertragen. Es kann aber sein, daß Madame Denis die Schrecken des Winters und der Langweile doch wieder mit einem armen Greise teilen kommt, der sich nur schwer noch verpflanzen läßt Madame Denis kehrte im November 1769 nach Ferney zurück. ...

29. November 1769.

246. Sie sind der erste, mein lieber Engel, der erfahren soll, daß die Unschuld der Sirven gesiegt hat, daß die Richter ihm den Kerker geöffnet und ihm sein von der Domänenverwaltung beschlagnahmtes Vermögen freigegeben haben. Da aber doch immer ein Tropfen Bitterkeit auch dem reinsten Glück beigemischt sein muß, hat man die Kosten zwischen dem König und Sirven geteilt, was mir unsäglich lächerlich erscheint In einem Brief an Abbé Audra (30. 11. 1769) erbietet Voltaire sich, die 280 Fr., die Sirven zahlen sollte, auf sich zu übernehmen, und in einem andern Brief an denselben vom 14. 2.1770 den Töchtern, die in der Nähe von Genf waren, ein anständiges Reisegeld und dem Vater eine Summe Bargeld zu geben. ... Sirven appelliert nun an das Parlament m Toulouse ...

 

247. An d'Argental.

19. Februar 1770.

Mein lieber Engel, die achtzigjährigen Greise, die man in Genf ermordet hat, haben mich etwas ergriffen, weil Leute von 76 Jahren auch als Achtzigjährige gelten. Es gefällt mir auch nicht, daß man die schwangeren Frauen verwundet und daß man die Leute aufs Geratewohl auf der Straße umgebracht hat Die Genfer Unruhen waren wieder recht heftig ausgebrochen.. Man will auch die hängen, die sich nach Versoix zurückzuziehen gedachten, der Stadt, die Herr von Choiseul baut Eine Anzahl Genfer hatten dort Asyl gesucht.. Ich glaube nicht, daß er all dieses sehr schicklich findet. Madame Denis und ich haben vor Entsetzen geschaudert. Obgleich ich viele Tragödien geschrieben habe, erscheinen mir diese Szenen, die sich vor meiner Tür abspielen, gräßlich; das ist schlimmer, als was in Polen vorgeht Bürgerkrieg wegen Gleichstellung der Dissidenten. ...

 

Dieser und eine Anzahl der folgenden Briefe sind unterzeichnet: Voltaire, capucin indigne.

Voltaire schreibt darüber an Elie de Beaumont (6. 2. 1770): Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen meinen Segen als Kapuziner gebe. Ich habe nicht nur die Ehre, Laienpater der Kapuziner von Gex zu sein, sondern bin durch ein Dekret Sr. Hochwürden des Kapuzinergenerals dem Orden selbst einverleibt worden. Johanna, die Jungfrau, und die liebliche Agnes Sorel Hauptgestalten der »Pucelle«, in der Voltaire das Kirchliche so rücksichtslos verspottete. sind über meine neue Würde sehr verwundert. – Voltaire hatte nämlich durch den Herzog von Choiseul eine Vergünstigung für die Kapuziner in Gex erwirkt, die ihm auf diese Art dafür dankten.

 

248. An den Abbé Audra.

26. März 1770.

... Ich bin immer noch krank. Die gänzliche Rechtfertigung der Sirven Sie waren nämlich in Mazamet nicht für nichtschuldig, sondern der Fall für unentscheidbar erklärt worden. und die damit verknüpfte wesentliche Beeinträchtigung des Fanatismus werden mir besser tun, als alle Heilmittel der Welt. Man hat mich auf Eselsmilch gesetzt, ich aber zertrete lieber die Hydra ...

 

249. An Herrn de la Borde, Hofbankier Voltaire erhielt für seine gemeinnützige Tätigkeit auch Staatsunterstützung.

Ferney, 16. April 1770.

... Indem ich mehrere Genfer bei mir aufnahm, habe ich Herrn von Choiseul nicht mißfallen. In sechs Wochen haben sie Uhren fabriziert, von denen ich Herrn von Choiseul selbst eine Kiste schickte. Ich errichte eine bedeutende Fabrik; geht sie nicht, so verliere ich nur das Geld daran, das ich, ohne jeden weiteren Nutzen, dabei vorgestreckt habe ...

 

250. An den Marschall Duc de Richelieu.

Über Versoix, für Schloß Ferney Es war Voltaire eine Genugtuung, seine Post nun über Versoix statt über Genf kommen zu lassen.. 20. April 1770.

... Die Kaiserin Katharina II. tat mir die Ehre an, mir vor 14 Tagen zu schreiben, daß es ihr weder an Geld noch an Soldaten fehle. Nun, Soldaten haben wir auch in Frankreich, und was das Geld betrifft, so muß Ihr Generalkontrolleur welches haben, da er uns das unsere weggenommen hat Die teilweise Einbehaltung von Staatsrenten durch den Abbe Terrai.. Die Bombe ist über unsern Köpfen geplatzt, mir hat er 200 000 Frank genommen, die mein ganzes väterliches Erbe bildeten und die ich Herrn de la Borde Hofbankier. anvertraut hatte. Wenn dieses Opfer dem Staat nützlich ist, so will ich es, ohne zu murren, bringen ...

Mein kleines Schloß, das Sie mit Ihrem Besuch beehrten und das ich seitdem bedeutend vergrößerte, ist augenblicklich voll von Genfer Flüchtlingen, denen ich Unterstand gebe. Ich hatte Verwundete hier, denn der Krieg hat sich vor meiner Tür abgespielt. Die Republik hat meinen Verleger als Gesandten nach Versailles geschickt Cramer., ich denke, der König wird ihr seinen Buchbinder schicken, um den Frieden zwischen beiden herzustellen ...

 

251. An d'Argental.

25. April 1770.

Mein lieber Engel, man hatte mir Le Kains Tod gemeldet; nun, ich mag wohl dahingehen, da ich 77 Jahre alt und am Ende meiner Kräfte bin; Le Kain aber soll leben und meinen Kindern Leben geben D. h. Voltaires Rollen kreieren.. Gestatten Sie mir, diesen Brief an ihn durch Sie zu befördern ...

16. Mai 1770.

252. ... Sie wundern sich, mein lieber Engel, daß ich mich einen Siebenundsiebzigjährigen nenne, statt einen Sechsundsiebzigjährigen. Ja, sehen Sie denn nicht, daß es selbst unter den Fanatikern solche gibt, die keinen Achtzigjährigen verfolgen, die aber, wenn sie es könnten, einen Sechsundsiebzigjährigen in einem Weihwasserkessel zerstampfen würden! ...

 

253. An Madame Necker In deren Salon der Gedanke einer Bildsäule Voltaires von Pigalle auftauchte. Vgl Voltaires Brief an d'Alembert, 27. 4. 1770, auf Seite 258..

21. Mai 1770.

Meine gerechte Bescheidenheit, Madame, sowie meine Vernunft ließen mich den Gedanken einer Statue zuerst für einen guten Scherz halten; da die Sache aber ernsthaft ist, gestatten Sie, daß ich sie ernsthaft behandle. Ich bin 76 Jahre alt und kaum von einer schweren Krankheit aufgestanden, die mir Leib und Seele sechs Wochen lang sehr malträtiert hat. Herr Pigalle Der erwählte Bildhauer. Voltaire suchte später auf jede Art zu vereiteln, daß Pigalle einen Entwurf fertig brachte; statt still zu sitzen, trieb er Allotria oder diskutierte »Aufklärung« mit dem Künstler. soll, wie man sagt, mein Gesicht modellieren. Ja, Madame, da müßte ich wenigstens ein Gesicht haben; man kann aber kaum dessen Platz erraten. Meine Augen liegen mir 3 Zoll tief im Kopfe, meine Wangen gleichen Pergament, das schlecht über wackelnde Knochen gespannt ist. Die wenigen Zähne, die ich hatte, sind dahin. Und was ich da sage, ist keine Koketterie sondern Wahrheit. Man hat niemals einen armen Kerl in einem solchen Zustande ausgehauen. Herr Pigalle würde glauben, daß man sich mit ihm einen Scherz erlaube; und ich habe so viel Eigenliebe, daß ich nie vor ihm zu erscheinen wagte ...

 

254. An die Marquise du Deffant.

25. Mai 1770.

Ich argwöhne, Madame, daß Sie wenig Geschmack an der Metaphysik finden; es ist aber doch recht fesselnd, zu untersuchen, ob wir eine Seele haben oder nicht ... Wir gleichen jenem Schweizer Hauptmann, der vor der Schlacht in einem Gebüsch folgendermaßen betete: Mein Gott, wenn es einen gibt, Gnade meiner Seele, wenn ich eine habe ... Solche Nebensachen scheinen Sie jedoch sehr gleichgültig zu lassen; wer in der Welt lebt, verhärtet sich eben ...

 

255. An den Grafen von Schomberg.

Ferney, 28. Mai 1770.

... Ich kann seine (des Herzogs von Choiseul) Güte nicht genug anerkennen; er fördert eine Uhrenfabrik, die Genfer Emigranten bei mir gegründet haben; er hat sogar geruht, für den Absatz Erleichterungen zu schaffen Bei den Steuerabfertigungen, denn es bestanden auch zwischen den einzelnen Provinzen Zollschranken.. Die Stadt, die er in meiner Nähe baut, werde ich freilich nicht mehr sehen, doch genieße ich schon im voraus all das Gute, das er plant.

Trotz all meiner Leiden koste ich jetzt die höchste aller Freuden; ich sehe die Früchte der Aufklärung reifen: Sechzig hugenottische Künstler, die plötzlich in meinen Sprengel eingewandert sind, leben mit den Katholiken wie die Brüder. Ein Fremder würde nicht ahnen, daß in diesem kleinen Kanton zwei Religionen bestehen Das war Voltaires großer Triumph, die praktische Probe auf seine religiös-philosophischen Anschauungen. ...

 

256. An die Marquise du Deffant.

1. Juni 1770.

... Ich habe ihm (dem Herzog von Choiseul) die Denkschrift der Gemeinden der Franche Comté geschickt, die von ihren Vertretern und nicht von mir unterzeichnet ist. Ich bin kein Advokat, und die Denkschrift ist daher in der Hauptsache von Herrn Christin, Advokat in Besançon; ich habe sie etwas überarbeitet. Sie enthält die reine Wahrheit. Der Advokat im Staatsrat, der den Bericht erstatten soll, hat sie gebilligt und mehreren Richtern gegeben. Wenn es nicht gestattet ist, das unzweifelhafte Recht zu vertreten, wohin dann fliehen? Ich halte dafür, daß man sich der Sache aufs kräftigste annehmen soll, oder sie fallenlassen Die Bittschrift der Leibeignen von Saint-Claude..

 

257. An Thieriot.

Ferney, 6 Juni 1770.

Mein alter Freund, da ich seit einem Jahr keine Nachricht von Ihnen habe, weiß ich nicht, ob Sie bei den Unheilbaren Pariser Hospital. oder im Faubourg Saint-Antoine wohnen.

Ich nehme an, daß Sie den Tod Ihres Bruders erst drei Monate nachher erfahren haben und daß Sie mir in zwei Jahren melden werden, ob Sie etwas von dem Nachlaß erhalten. Es ist gut, die Geschäfte mit großen Pausen zu betreiben, dann hat man Zeit zu überlegen und tut keine falschen Schritte Thieriot hatte sich nicht geändert. ...

 

258. An Madame Necker.

Ferney, 19. Juni 1770.

... Als meine Dorfleute sahen, wie Pigalle einige Werkzeuge seiner Kunst anwendete, sagten sie: »Ei, ei, er soll seziert werden, das wird lustig sein.« So eilen, Madame, die Menschen überallhin, wo es etwas zu sehen gibt, zu den Marionetten, dem Johannisfeuer, in die Komische Oper, ins Hochamt und zu Begräbnissen

 

259. An Herrn Dupont,
Verfasser der Ephemeriden des Staatsbürgers.

Ferney, 16. Juli 1770.

... Freiheit des Gewissens und des Handels, mein Herr, sind die Angelpunkte des Wohlstands kleiner wie großer Staaten ...

 

260. An Herrn Elie de Beaumont.

Ferney, 30. Juli 1770.

... Sirven verlangt noch immer jene Entschädigung, Kapital und Zinsen, die er nur mit viel Schwierigkeiten erhalten wird Vom Parlament in Toulouse.. Ich weiß absolut nichts von dem eingeschlagenen Verfahren, weiß nur, daß wir mit einem ziemlich unzugänglichen Generalprokurator zu tun haben .

 

261. An die Herzogin de Choiseul.

Ferney, 27. August 1770.

... Vielleicht verursacht es Ihnen einige Genugtuung, zu hören, daß unsere Einwanderer das Sankt Ludwigfest Des Königs Geburtstag. feierlich begingen: ein sehr gutes Abendessen von 100 Gedecken, Illumination und Feuerwerk und endlose Hochrufe auf den König. Vielleicht berichtet der Herzog dem König nicht ungern, daß er von seinen neuen wie alten Untertanen geliebt und gefeiert wird. Ihre Namen, Madame, sind weder bei den Hochrufen noch dem Feuerwerk vergessen worden ...

 

262. An den Herzog de Choiseul.

Ferney, 7. September 1770.

Unser Wohltäter, Sie wissen wahrscheinlich, daß der König von Preußen unsern Markt beehrt hat und 18 Genfer Uhrmacherfamilien kommen läßt. Er gibt ihnen auf zwölf Jahre freie Wohnung, dazu Steuerfreiheit und schickt ihnen Lehrlinge zu, deren Lehrgeld er bezahlt.

 

263. An den Marquis de Florian.

25. Februar 1771.

Natur und Schicksal behandeln uns recht schlecht. Es ist traurig, auf einmal mit zwei so gewaltigen Mächten zu tun zu haben ... Ich armer Patient bin blind und gichtisch geworden; meine Kolonie, die aufzublühen begann, ist wie vom Blitz getroffen Der Herzog von Choiseul war durch Madame Dubarry und den Kanzler Maupeou gestürzt worden. Damit schien das Schicksal von Ferney und vor allem Versoix' besiegelt., fast im Handumdrehen vernichtet, riesige Ausgaben sind umsonst gemacht worden und verloren: wenn das alles zusammenkommt, bildet das eine Häufung von Unglück, der man nur schwer widersteht.

 

264. An den Grafen de Rochefort.

27. März 1771.

... Sie werden meine kleine Kolonie in ziemlichem Gedeihen finden, während Versoix jetzt etwas vernachlässigt wird. Mir scheint, man hat Herrn von Choiseuls Pläne etwas zu groß ausgeführt. Da muß der König 600 000 Frank für einen Hafen ausgeben, der Brest oder Toulon Ehre machen würde, in dem aber nie mehr als zwei, drei Barken verkehren dürften. Statt den Hafen an der Flußmündung anzulegen, hat man ihn höher gelegt und sich in die Lage versetzt, mit großen Kosten den Flußlauf verändern zu müssen. Und so mißlingen die schönsten Pläne, wenn man über die Anordnungen der Minister hinausgeht ...

 

265. An Herrn de Maupeou Da Maupeou ein Gegner der Parlamente war, jubelte Voltaire, der ja die Strafjustiz der Parlamente so scharf bekämpfte, ihm zu. Der Herzog und die Herzogin von Choiseul, deren Sturz durch Maupeou verursacht wurde, nahmen Voltaire diese Haltung sehr übel., Kanzler von Frankreich.

Ferney, 8. Mai 1771.

Monseigneur, darf ein unnützer Greis es wagen, Ihnen einen jungen Anwalt Christin aus Besançon. vorzustellen, dessen Familie dieses ehrenvolle Amt seit über 200 Jahren in der Franche Comté ausfüllt? Er gehört zu Ihren eifrigsten Bewunderern und ist durchaus fähig, nützliche Dienste zu leisten.

Die Sache, die er vertritt, und die Herr Chéry im Staatsrat verfolgt, verdient sicherlich, von Ihnen beurteilt zu werden. Es handelt sich darum, zu wissen, ob 12 bis 15 000 Bewohner der Franche Comté das Glück haben sollen, königliche Untertanen zu sein oder Sklaven der Canonici von Saint-Claude. Sie legen ihre Ansprüche dar, wie andere Franzosen behandelt zu werden; während die Canonici nur ihre Rechtsanmaßung an den Tag legen können ...

 

266. An Herrn Elie de Beaumont.

Ferney, 7, Juni 1771.

... Ich beschäftige mich nur mit meiner kleinen Kolonie, die mich in meiner Wüste ruiniert hat. Mr. und Madame de Choiseul unterstützten sie mit ihrer Güte und Großmut. Jetzt ist sie am Untergang. Ich habe meine Beschützer und einen großen Teil meines Vermögens verloren Durch das Vorgehen des Abbé Terrai. und werde bald das Lehen verlieren, was jedem passiert.

 

267. An den Abbé Mignot Voltaires Neffe in Paris..

Ferney, 24 Juni 1771.

... Ich gebe den Leuten nicht sechs Monate, um den Kanzler dafür zu segnen, daß er uns von 300 Prokuratoren befreit hat Er hatte die 13 alten Parlamente aufgelöst und 6 neue Conseils Supérieurs geschaffen.. Vor 24 Jahren tat der König von Preußen das gleiche, dieses Vorgehen vermehrte die Zahl der Ackerbauer und verminderte die der Raupen ...

 

268. An Herrn Lacroix, Advokat in Toulouse.

6. Dezember 1771.

Ihre Beredsamkeit, mein Herr, und Ihre Gründe haben es erreicht, daß meinem Freunde Sirven volle Gerechtigkeit geworden ist Die Strafkammer des neuen Conseil Supérieur in Toulouse sprach die Sirven frei. Drei Jahre hatte Voltaire um die Calas, sechs Jahre (1765–71) um die Sirven gerungen.. Sie haben Ruhm gewonnen und er Frieden. Das sind zwei gute Kopfpolster, auf denen man ruhig schlafen kann ...

 

269. An Madame Duvoisin Die jüngere Calas..

Schloß Ferney, 15. Januar 1772.

Dieser Brief, Madame, ist für Sie, Herrn Duvoisin und Ihre Frau Mutter. Die ganze Familie Sirven versammelte sich gestern bei mir und vergoß Freudentränen; das neue Parlament von Toulouse hatte soeben die ersten Richter In Mazamet. in die Kosten des Strafprozesses verurteilt: ähnliches ist fast noch nie geschehen. Ich betrachte dieses Urteil, das man endlich nach so langer Mühe erlangte, als eine Buße und Genugtuung. Seit zehn Jahren war die Familie flüchtig; gleich der Ihren ist sie ein denkwürdiges Beispiel der entsetzlichen Ungerechtigkeit der Menschen. Möchten Madame Calas wie ihre Kinder ihr Leben lang ein ebenso großes Glück genießen, wie sie einst großes Unglück erduldet haben. Möchte ihr Leben sich über die Grenzen des gewöhnlichen Menschenlebens ausdehnen und man nach hundert Jahren sagen: Das ist die achtungswerte Familie, die so lebenskräftig war, um als Verurteilung eines Parlaments zu dienen, das nicht mehr ist Weil durch Kanzler Maupeou abgeschafft. Näheres über Voltaire und Maupeou vgl. Schumacher, Voltaire, 470ff. ...

 

270. An Madame de Saint Julien Geborene Comtesse de La Tour du Pin, die mit Choiseul sehr befreundet war..

Ferney, 22 Januar 1772.

... Man hätte ja Frankreich verlassen müssen, wenn sie (die Parlamente) länger die Herren geblieben wären. Mr. Durey de Meynières, Präsident der Untersuchungen D. h. der Chambre des Requêtes., hatte mir vor zehn Jahren geschrieben, das Parlament würde mir nie verzeihen, in dem »Siècle de Louis XIV.« die Wahrheit gesagt zu haben Über die Rolle der Parlamente, besonders unter Ludwig XIV., ihren Fanatismus usw.. Sie wissen, wie gefährlich es ist, ein Grundstück in der Nachbarschaft eines Parlamentsrats zu haben, und welche Gefahr man läuft, wenn man gegen ihn zu Gericht gehen muß.

Rechnen Sie zu dieser Tyrannei ihre Verfolgung der Schriftsteller, die ebenso schändliche wie lächerliche Art, in der sie gegen den tugendhaften Helvetius vorgingen, endlich das Blut des Chevalier de la Barre, mit dem sie sich befleckt haben, und so viel andere Justizmorde. Überlegen Sie, daß sie bei ihren Zwistigkeiten mit der Geistlichkeit zu Mördern wurden, um als Christen zu gelten, und Sie werden sich selbst sagen, ob ich Anlaß habe, sie zu lieben. Die Sache dieser bürgerlichen Tyrannen hat sicher nichts mit der Ihres ebenso liebens- wie achtungswerten Verwandten Des Herzogs von Choiseul, der es Voltaire nicht verzieh, daß er Maupeou um seines Kampfes gegen die Parlamente willen anhing. gemeinsam.

 

271. An den Marschall Duc de Richelieu.

Ferney, 28. Januar 1772.

... Ich nehme an, daß Sie geruht haben, den Herzog von Aiguillon zugunsten meiner Kolonie zu stimmen; denn Herr d'Ogny gestattet ihr jede Art Erleichterung. Bis jetzt schlägt sie ein, und bis wir Hungers sterben, wird in meinem Dorf für die vier Weltteile gearbeitet.

Ferney, 6. April 1772.

 

272.

... Einstweilen haben Sie einen Sekretär (für die Académie française) zu ernennen. Ich weiß nicht, auf wen Sie die Augen zu werfen geruhen werden. Bedenken Sie jedoch, Monseigneur, daß mit dieser ausgezeichneten Würde eine Pension aus der königlichen Schatulle verbunden ist; daß d'Alembert arm ist, und zwar nur deshalb, weil er 50 000 Frank Jahrgehalt in Rußland ausgeschlagen hat D'Alembert erhielt die Stellung.. Er beherrscht alle Gebiete der Literatur und scheint mir die geeignetste Persönlichkeit für diese Stellung, er ist pünktlich und ausdauernd. Wenn Sie sich noch nicht gebunden haben, glaube ich, könnten Sie keine bessere Wahl treffen als Herrn d'Alembert. Aber Ihr Wille geschehe am Hofe wie in der Akademie ...

 

273. An Herrn Mallet Dupan Enzyklopädist und Professor..

Ferney, 24. April 1772.

... Ich hatte einen Freund, Mr. Audra Den Abbé Audra, der so wacker für die Calas und Sirven gewirkt hatte.), Doktor der Sorbonne, der die Sorbonne von Herzen verachtete und der in Toulouse unternommen hat, was Sie in Kassel tun. Eine Riesenmenge strömte in seine Vorlesungen. Die Schurken erzitterten und verbanden sich gegen ihn. Die Pfaffen arbeiteten heftig, daß ihm der Posten, den der Stadtrat ihm gegeben hatte, entzogen wurde. Vor Schmerz darüber starb er ...

 

274. An Madame de Saint Julien.

31. Juli 1772.

... Haben Sie die schöne Blonde, in Art der Brüsseler Spitzen, gesehen, die in unserem Dorf gefertigt werden? Die Arbeiterin, die dieses Meisterwerk gemacht hat, ist bereit darin fortzufahren und so viel Spitzen zu klöppeln, wie man will ... falls es nötig, wird sie zwölf Arbeiterinnen anstellen, und wir werden Ihnen für die Unterstützung einer neuen Industrie verpflichtet sein. Sie haben uns Glück gebracht, Madame, unsere Kolonie wächst, unsere Gewerbe vervollkommnen sich, ich muß neue Häuser bauen Die Kolonie hatte sich also gehalten; zur Uhrmacherei und Seidenweberei kam Spitzenfabrikation. ...

 

275. An den Grafen Morangiès.

Ferney, 30. Oktober 1772.

Ich bin, mein Herr, noch immer von der Gerechtigkeit Ihrer Sache sehr überzeugt, jedoch auch nicht minder von der Macht des Vorurteils gegen Sie und der Hartnäckigkeit der Intrigen. Eine zahlreiche Partei verfolgt Sie und stürzt über Sie und Ihren Anwalt her Vgl. die Einzelheiten in Schirmacher, Voltaire, S. 480. Voltaire kannte die Familie Morangiès und ergriff in diesem berühmten Skandalprozeß, den Maupeou mit seinen Conseils Supérieurs sozusagen gegen die öffentliche Meinung führte, Partei für Morangiès. Er schrieb in dieser Sache den »Essai sur les probabilités en fait de justice«. Das Publikum ging dieses Mal nicht mit ihm. ...

 

276. An den Chevalier de Lally Tollendal Der Neffe des in Paris hingerichteten Gouverneurs von Französisch-Ostindien. Vgl. die Einzelheiten in Schirmacher, Voltaire, Seite 487 ff..

24. Mai 1773.

Sie haben, mein Herr, einen mutigen Geist und ein mutiges Herz; ein Ding aber, das Sie vielleicht nicht beachteten, ist, daß Ihre Denkschrift von höchster und ergreifendster Beredsamkeit ist. Man hat mir mitgeteilt, daß der König Ihnen vor einigen Monaten eine große Gunst erwiesen hat Er hatte ihm sein geringes Vermögen freigegeben, das man nach des Onkels Tode beschlagnahmt hatte.. Sie konnten ihm Ihre Dankbarkeit nicht besser darlegen, als indem Sie die Ungerechtigkeit der Richter an den Tag brachten, die ihre mit dem Blut des Chevalier de la Barre getränkten Hände auch in das Blut Ihres Onkels tauchten. Diese Vormünder des Königs sind des Königs Feinde gewesen; Sie dienen der Gerechtigkeit, indem Sie Anklage gegen sie erheben.

 

277. An die Marquise du Deffant.

30. Juli 1773.

... Die Verwandten des Herrn von Lally, die sich in sehr schiefer und unangenehmer Lage befinden, haben sich einfallen lassen, daß ich seinem Andenken vielleicht einen Dienst leisten könnte. Sie haben mir seine Papiere geschickt; ich habe einen Riesenprozeß durcharbeiten müssen, der drei Jahre gedauert und in der traurigsten Weise geendet hat Mit dem Tode des Angeklagten. ... Da ich aber weiß, daß das Publikum sich heute gar nicht für den Prozeß Lally interessiert, daß es alles vergißt ... und man das Interesse der Welschen wieder auf irgend eine Art beleben muß, habe ich einen kleinen Abriß der Indischen Aufstände geschrieben, dessen natürlichen Abschluß die Katastrophe Lallys bildet »Fragments sur l'Inde et sur le Général Lally«. Voltaire war um so mehr für die Aufnahme dieses Prozesses zu haben, als der Parlamentsrat Pasquier, der la Barre und Voltaire so übel mitgespielt, auch die Verurteilung Lallys auf dem Gewissen hatte. ...

 

278. An den Marschall Duc de Richelieu.

Ferney, 20. September 1773.

Wie Sie mir in Ihrem letzten Brief mitzuteilen geruhten, Monseigneur, habe ich heute der Gräfin Dubarry Die neue Favoritin Ludwigs XV, von dem seit der Königin Tode (1768) die letzte Scham gewichen war. eine Uhr aus unsrer Kolonie geschickt. Wenn Sie damit zufrieden sind, hoffe ich, wird sie es auch sein; denn mein Held hat nicht nur in literarischen Dingen Geschmack ...

 

279. An den Marquis de Florian

3. Januar 1774.

... Die Denkschriften Beaumarchais' gehören zu dem Eigenartigsten, Kräftigsten, Kühnsten, Drolligsten, Interessantesten, was ich je gelesen habe, und nichts kann für seine Gegner beschämender sein. Er schlägt sich gegen zehn, zwölf Personen auf einmal und schlägt sie zu Boden, wie ein wilder Harlekin einen Trupp Wächter niederschlägt In Beaumarchais' Polemik fühlte Voltaire den verwandten Geist. Beaumarchais führte seinen berühmten Prozeß gegen den Pariser Parlamentsrat Goezmann. ...

 

280. An d'Argental

21. März 1774.

... Meine arme Statue Pigalle hatte die seltsame Idee gehabt, Voltaire in antikes Gewand zu drapieren. Nun regnete es Spottverse über das »Skelett«. hat mir so viel Feinde gemacht, daß ich jedesmal, wenn davon gesprochen wird, ganz traurig werde. Ich hatte es wohl geahnt, daß alle Skribifaxe sie bekritzeln würden und hatte das sogar Pigalle in ziemlich platten Versen geschrieben. Allemal, wenn man einen Zeitgenossen zu sehr erheben will, kann man sicher sein, viele Leute zu finden, die ihn erniedrigen möchten. Das ist immer so gewesen. Mir liegt mehr an Ihrer Freundschaft als an allen Statuen der Welt und tröstet mich über all die Beleidigungen, die diese mir zugezogen hat ...

24. Oktober 1774.

281. ... Herr Turgot Geboren 1727, gestorben 1781. Zuerst Intendant des Limousin, seit 1755 mit Voltaire befreundet, 1774 unter Ludwig XVI. Finanzminister. hat mir sagen lassen, daß er das Bittgesuch meiner Kolonie in Händen hat Um Entfernung der Steuerbeamten gegen Zahlung einer jährlichen Pauschalsumme., und ich sehe, daß er sich damit zu beschäftigen geruht, weil die Steuerpächter und Direktoren uns jetzt in Ruhe lassen. Ich werde das Resultat seiner Güte abwarten Es fiel günstig aus, da Turgot ein Mann verständiger Reformen war..

30. Dezember 1774.

282. ... Ich komme nur um Ihretwillen (nach Paris Damit hatte es noch gute Weile; erst im Februar 1778 begab sich Voltaire auf die Reise.), mein lieber Engel; den anderen wage ich mich nicht zu zeigen. Ich bin taub und blind, verbringe dreiviertel meines Tages im Bett, den Rest am Kamin. Ich muß fortdauernd eine große Mütze tragen, sonst würde mein Gehirn bloßliegen. Dreimal wöchentlich brauche ich Abführmittel und spreche mit Mühe, da ich, dank Gott, nicht mehr Zähne als Augen und Ohren habe ...

16. Januar 1775.

283. Mein lieber Engel, ich fühle die Größe Ihres Verlustes Madame d'Argentals Tod. und fühle auch, daß ich in meinem elenden Zustand nicht zu denen zählen kann, denen es vergönnt ist, durch ihre Gegenwart, Treue und Eifer Ihrer schönen Seele etwas Trost zu bieten. Es steht fest, daß, wenn ich dieses Frühjahr die nötigen Kräfte habe und ganz unbemerkt bleiben kann, ich kommen werde, mich in Ihre Arme zu werfen. Ließe sich nicht eine Art finden, daß wir uns eine Zeitlang allein sehen könnten?

 

284. An den Baron von Goltz Preußischer Gesandter in Paris. Voltaire wünschte d'Etallonde zu rehabilitieren, wie er es bei den Calas getan hatte..

Januar 1775.

Mein Herr, der König von Preußen fährt fort, Mr. d'Etallonde durch seinen Schutz zu ehren, und wir zählen auf den Ihren. Augenblicklich brauchen wir nur einen sichern Geleitsbrief, etwa in der Art wie das beiliegende Muster. Eine so kleine Gunst kann nicht verweigert werden, und es ist wesentlich für Mr. d'Etallonde, nach seiner Vaterstadt zu gehen, um dort die fehlenden Hauptdokumente zu beschaffen. Sie beweisen seine Unschuld und die höllischen Manöver, deren man sich bedient, um zwei junge und verdienstvolle Edelleute zu den fürchterlichsten Strafen zu verurteilen, die man je gegen Vatermörder angewandt hat Im la Barre-Prozeß..

 

285. An die Marquise du Deffant.

19. April 1775.

... Es ist lange her, seit ich das Glück hatte, 14 Tage mit Mr. Turgot Der ihn in Ferney besucht hatte. zu verbringen. Ich weiß nicht, was man ihm zu tun gestatten wird Turgot verlangte eine Konstitution für Frankreich, die jedem Bürger freie Ausübung seiner Religion, Freiheit der Person (keine lettres de cachet mehr), Sicherheit des Besitzes (keine willkürlichen Beschlagnahmungen) gewähren sollte. Die Steuern sollten nach Maßgabe der Steuerkraft bemessen, die Zollgrenzen zwischen den Provinzen aufgehoben, das Salzmonopol abgeschafft werden, die Frondienste der Bauern aufhören, die Zünfte, die der Entwicklung der Industrie hinderlich, eingehen; allgemeine Schulpflicht eingeführt und der Heerdienst für das Volk verringert werden.. Er steht mir aber über Colbert ... Ich fürchte für ihn nur zwei Dinge: die Geldmänner und die Gicht. Das sind zwei fürchterliche Feinde; nur die Pfaffen sind noch schlimmer.

 

286. An Christin Advokat in Besançon, der für Voltaire die Bittschriften der Hörigen von Saint-Claude ausgearbeitet hatte, die leider ohne Erfolg blieben..

14. Mai 1775.

Mein lieber Freund, es ist schade, daß Sie nicht in Ferney sind; Sie würden an dem Fest teilnehmen, das wir am Donnerstag, den 18. d. M., zu Ehren von Madame Denis' Genesung feiern. Da gibt es Infanterie und Kavalleriekompagnien, Kokarden, Pauken, Geigen und 300 Gedecke unter offenem Himmel. Sie bekommen aber ein noch schöneres Fest in der Franche Comté bereitet, wenn Sie auf immer die Ketten der von den Mönchen geknechteten Bürger gebrochen haben werden Erst die Revolution schuf hier Wandel. ...

 

287. An Dupont.

10. September 1775.

Ich möchte sagen, daß die Wohltaten Mr. Turgots Vgl Anm. 4 zu dem Brief vom 19. 4. 1775. nirgend in Frankreich so lebhaft empfunden werden wie bei uns. Wie klein wir auch sind, wir haben unsere Stände Adel, Geistlichkeit und Bürger., und die haben schon zeitig alle Maßregeln getroffen, um den freien Kornhandel Frankreich litt wegen Beschränkung des Handelsverkehrs zwischen den Provinzen oft an Hungersnöten, die in Paris mit zur Revolution führten. und die Ablösung der Frondienste zu sichern. In diesen beiden vorbereitenden Maßregeln habe ich das Heil Frankreichs erblickt Voltaire sah also in Turgot sein Ideal.) ...

 

288. An Madame de Saint Julien.

8. Oktober 1775.

Die einzig übrige Schwierigkeit Bei der Steuerbefreiung von Gex. – die aber sehr groß ist, besteht in der unerschwinglichen Summe von 40 000 Frank, welche die Generalsteuerpächter verlangen. Unsrer sehr armen und überlasteten Provinz ist es unmöglich, jährlich auch nur die Hälfte davon zu zahlen, was ich aufs nachdrücklichste vorgestellt habe In dem »Mémoire à Mr Turgot«.. Ich schmeichle mir damit, daß Mr Turgot eine so ungerechte Drangsalierung nicht zulassen wird.

 

289. An den Marquis de Thibouville.

11. Januar 1776.

... Die Herren Pariser glauben immer, die übrige Welt gleiche dem Palais Royal oder Faubourg Saint-Germain, und daß die Schweizer, wenn sie aus der Oper kommen, vor dem Souper 15–20 Freunden die Tagesneuigkeiten erzählen. – Das ist nicht meine Art zu leben. Meine Stille wird nur durch die Jubelrufe von 10–12 000 Leuten unterbrochen, die Mr. Turgot segnen Für die Steuerablösung. Die Bevölkerung hatte sich seit 1759, wo sich Voltaire in Ferney ankaufte, etwa verdoppelt..

Unser kleines Land ist gegenwärtig das einzige in Frankreich, das von den Panduren der Generalsteuerpächterei erlöst ist. Wir genießen das Glück, frei zu sein ...

 

290. An Herrn Audibert in Marseille Kaufmann in Marseille und Mitglied der Akademie von Marseille..

Ferney, 28. Februar 1776.

... Es ist traurig, mit adligen Schuldnern zu tun zu haben. Ihre Hunde, Pferde, Mätressen und Wucherer verfügen über alle ihr Einkünfte, und es bleibt nichts, um ihre Gläubiger zu bezahlen. Ich bin gezwungen, auf alle Unternehmungen in Ferney zu verzichten, und laufe Gefahr, im Elend zu sterben, weil adlige Herren auf meine Kosten leben ...

 

291. An Dupont.

Ferney, 20. März 1776.

Da unsere Stände die Steuer, welche an Stelle der Frondienste treten soll Die Turgot abgeschafft hatte., noch nicht hatten verteilen können, und da die Armut des Landes diese Steuer, vor allem aber die 30 000 Frank an die Generalsteuerpächterei, sehr drückend machte, da indessen die Landstraße von Gex nach Genf an mehreren Stellen unpassierbar geworden und nur noch eine große Kotlache war, habe ich unter dem Druck all dieser Verhältnisse die Gemeinde Ferney zusammenrufen lassen. Jeder hat etwas Geld oder seine Arbeit angeboten. Man hat von drei Sou bis zu einem Taler gegeben und eine Liste aller Geber angefertigt. Ich habe meine Karren, Pferde, Ochsen, Dienstleute, Tagelöhner und meine Beisteuer gegeben. Alle haben mit Lust gearbeitet, und in sechs Tagen war der Weg ordentlich ausgebessert ... Ich rate jedem Gutsherrn das gleiche zu tun Nicht jeder hatte Voltaires praktischen Sinn noch seinen Gemeinsinn.. Da wir die Wege benutzen, sollen wir sie auch erhalten. All unsere Tagelöhner sind bereit, in ihrem Bezirk zu arbeiten. Das Abscheuliche der Frondienste bestand darin, arme Familien, denen weder Unterhalt noch Bezahlung geboten wurde, auf drei, vier Meilen hinauszusprengen und ihnen mehrere Arbeitstage zu nehmen, die sie so gut hätten zur Bestellung ihres eignen Feldes benutzen können ...

 

292. An Devaines Erster Beamter im Finanzministerium..

17. Mai 1776.

Oh, mein Gott, Monsieur, welche Unglücksbotschaft! Vom Sturze Turgots. Frankreich war zu glücklich. Was wird aus uns? Bleiben Sie im Amte? Hätten Sie die Zeit, mich mit einer Zeile zu beruhigen? ... Ich bin wie gelähmt und verzweifelt.

 

293. An d'Argental.

27. Mai 1776.

.. Ich kann jetzt an die von Ihnen verlangten kleinen Änderungen An Voltaires Tragödie »Irène«. nicht denken. Dazu gehört ein freier Kopf, und der meine ist weit davon entfernt. Vielleicht muß ich alles, was ich geschaffen habe, zugrunde gehen sehen, und um das Maß voll zu machen, kommt zu dem Verlust der Frucht all meiner Mühen noch die Lächerlichkeit, daß ich einen nur vorübergehenden Triumph gefeiert habe In bezug auf Turgots Wirtschaftsreformen.. Zwei schöne Kolosse Choiseul und Turgot., in deren Schatten ich mich in Sicherheit wähnte, fallen und vernichten mich durch ihren Sturz. All meine Schmerzen werden durch die Unmöglichkeit, Ihnen aus so weiter Ferne mein Herz zu öffnen, noch erhöht. Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich doch nicht ganz zu bedauern bin, da ich noch immer Ihre Liebe besitze ...

Ferney, 2. Juni 1777.

 

294.

... Meine Kolonie ist so heruntergekommen, wie Pondichéri und Québec Nach den jeweiligen Belagerungen.) es waren. Mit einem Male und ohne zu wissen wie, bin ich ruiniert und habe endlich eingesehen, daß es nur Theseus, Romulus und Mr. Dupleix Admiral Dupleix, französischer Kolonisator in Vorderindien. ziemte, Städte zu bauen Es fehlte Voltaire jetzt die Protektion durch Choiseul und Turgot, die französischen Finanzen waren ungünstig, die Regierung war kopflos: das gab schlechte Aussichten für die Zukunft. ...

5. November 1777.

 

295.

... Unsere Ferneyer Hütte ist nicht dazu gemacht, daß junge Mädchen sie dauernd bewohnen. Drei haben wir bereits verheiratet, Mademoiselle Corneille, ihre Schwägerin, Mademoiselle Dupuits, und Mademoiselle de Varicour Ein schönes, armes adliges Fräulein, das Voltaire in Ferney aufgenommen hatte., die Mr. de Villette uns entführt hat. Sie hat keinen Heller, und ihr Gatte Der Marquis de Villette, Sohn der Marquise de Villette, bei der Voltaire, als sie sich mit Lord Bolingbroke vermählt hatte, viel verkehrte. macht ein ausgezeichnetes Geschäft. Er heiratet Unschuld, Tugend, Vorsicht, Geschmack für alles Gute, eine stete Gleichheit des Gemüts, tiefes Gefühl, und das alles vom Glanz der Jugend und Schönheit überstrahlt. Ich stelle mich in den Schatten Ihrer Flügel.

Der alte Kranke von Ferney.

20. April 1778.

 

296.

... In 14 Tagen muß ich hier fort Voltaire hatte am 5. 2. 1778 Ferney verlassen und war am 10. 2. in Paris eingetroffen., sonst geht in Ferney alles zugrunde Voltaire war die Seele der Kolonie, und da er nicht mehr dorthin zurückkehrte, ist auch, was Voltaire geschaffen hatte, nicht erhalten geblieben.. Im September hoffe ich dann dauernd im Schatten Ihrer Flügel, mein lieber Engel, zu verweilen.

 

297. An den Grafen Lally Sohn des Generals Lally, der Voltaire die Kassierung des Parlamentsurteils meldete, das seinen Vater zum Tode verurteilt hatte..

26. Mai 1778.

Der Sterbende Voltaire war in Paris schwer erkrankt, hatte er sich doch an Besuchen, Arbeit, Festen, Aufführungen nicht genug tun können. Dieser Besuch war seine Apotheose und sein Tod. Voltaire starb am 31. Mai 1778 im Hause des Marquis von Villette. lebt bei Verkündigung der großen Nachricht auf, er umarmt Mr. de Lally; er sieht, daß der König ein Verteidiger der Gerechtigkeit ist: so wird er zufrieden sterben.


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