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Einleitung: Abriß einer Autobiographie von Johannes Voigt


 

Autobiographie

Jeder Mensch ist seines Glückes, seines Schicksals Schmied. Ich darf mit Recht dieses Wort an die Spitze dieses kurzen Abrisses meiner Lebensschicksale stellen. Im Jahre 1786 im Kirchdorf Bettenhausen, eine Meile von Meiningen entfernt, sehr schwächlich geboren, war ich lange meinen Eltern der Gegenstand großer Sorge und man zweifelte fort und fort an meinem längeren Leben. Zum Knabenalter herangewachsen, stärkte mich tägliches Herumschweifen in Feldern und Wäldern und angemessene Tätigkeit in meiner Gesundheit mehr und mehr. Die Dorfschule kostete wenig Anstrengung, denn im Lesen, Schreiben, Rechnen und Auswendiglernen der Bibelsprüche und Gesänge war ich immer der Erste.

In meinem zwölften Lebensjahre aber sollte meine Lebensweise eine etwas ernstere werden. Mein Vater, Chirurg und als solcher in der Umgegend weit und breit gesucht, wünschte, daß ich einst seine Stelle einnehmen und vorerst als Gehilfe ihm zur Seite stehen möge. Dazu schien einige Kenntnis der lateinischen Sprache und eine gewisse Übung und Fertigkeit in schriftlichen Aufsätzen notwendig. Im Dorfe Henneberg, am Fuße der Berghöhe, auf der einst das prächtige Stammschloß der Grafen von Henneberg stand, eine kleine Meile von meinem Geburtsort entfernt, bot sich dazu Gelegenheit im Hause des älteren Bruders meines Vaters, der dort Pächter einer herzoglichen Domäne war. Sein Sohn, ein tüchtiger Musiker, dem auch etwas Latein angeflogen war, sonst in allen Dingen unwissend, wurde zu meinem Lehrer bestimmt; einen schlechteren hätte ich nirgends bekommen können.

So verließ ich zum erstenmal das väterliche Haus und es begann nun mein erster Unterricht in der lateinischen Sprache und in deutschen Stilübungen. Die völlige Planlosigkeit aber, das Widersinnige in der Lehrart und die Qual, womit der Unterricht betrieben wurde, erzeugten in mir den gründlichsten Widerwillen gegen alles Lernen solcher, wie es mir schien, völlig nutzlosen Dinge. Der Lehrer war unerbittlich streng, oft barbarisch hart, drohte selbst mit körperlicher Züchtigung und ich mußte, von Hause aus schon an strengen Gehorsam gewöhnt, mich in mein schweres Schicksal fügen. Oft indes, wenn mich der Lehrer in den alten Schloßruinen, wo ich im Sommer meinen Unterricht empfing, mit meinem Pensum stundenlang allein ließ, versteckte ich die Grammatik in ein Gebüsch, um an den alten Mauern irgendeine Spur des einstigen gräflichen Lebens, eine Zeichnung oder eine Jahreszahl aufzufinden; denn seit ich an der Bettenhäuser Dorfmauer solche Jahreszahlen aus dem Ende des 16. und 17. Jahrhunderts entdeckt, hatten sie für mich einen eigenen Reiz. Hier war mein Suchen zwar vergeblich; allein ich lernte doch auf's Genaueste alle einzelnen noch erkennbaren Räumlichkeiten des Grafenschlosses kennen und es gewann daher auch der nachmalige Unterricht über die Geschichte der alten Grafschaft Henneberg, so trocken und dürftig er auch war, für mich ein außerordentliches Interesse. Es lebte dies in mir so lebendig fort, daß ich mich auch später noch in meinen Studentenjahren mit dem Gedanken beschäftigte, eine Geschichte der Grafen von Henneberg und ihres ritterlich-gräflichen Lebens auf ihrem Stammschlosse abzufassen.

Öfter besuchte mein gestrenger Vetter mit mir den unserer Familie verwandten Schulmeister Voigt in dem nahe an Henneberg gelegenen Dörfchen Bauerbach, einen klugen und weltgewandten, damals aber schon ältlichen Mann. Von ihm hörte ich zuerst den Namen Schiller nennen, denn als sich dieser seit Dezember 1782 und Januar 1783 unter dem Namen Doktor Ritter in dem stillen, abgelegenen Bauerbach, einer Besitzung der Frau von Wolzogen, aufhielt, hatte auch Voigt mit ihm Umgang gehabt und wußte allerlei von ihm zu erzählen. Der Name Schiller war mir aber so neu und gleichgültig, daß ich von allen jenen Erzählungen nichts mehr weiß.

Mein Aufenthalt in dem schönen, mir so schwer verleideten Henneberg dauerte zum Glück nicht lange. Im Winter 1799 zog mein Vetter und ich mit ihm nach Meiningen, wo ich durch Privatstunden eines anderen Lehrers so weit vorbereitet wurde, daß ich im Juni 1800 in die untere Klasse des Gymnasiums aufgenommen werden konnte. Ich gehe über meine Schulzeit bis zu Ostern des Jahres 1806 schnell hinweg und hebe nur einige Momente hervor, die auf mein späteres Leben von Einfluß waren. Da sich mein gestrenger Vetter in der untergeordneten Schulstelle, die er angenommen, als Lehrer nicht halten und durchaus keine Autorität unter den Knaben gewinnen konnte, die Stadt also wieder verlassen mußte, ward ich bei einem pensionierten Kriegsrat, einem ehemaligen herzoglichen Prinzen-Instrukteur, in Pension untergebracht. Die leibliche Kost war bei ihm freilich nur sehr spärlich zugemessen und ich lernte jetzt zuerst, was Hunger heißt. Aber der alte Herr, der auf Gottes Erden durchaus nichts mehr zu tun hatte, machte sich ein Vergnügen daraus, mir Unterricht im Französischen zu erteilen, und weil er dabei gefunden zu haben glaubte, daß ich zu etwas besserem, als zu einem Chirurgen, geschaffen sei, wußte er meinen Vater zu bewegen, mich studieren zu lassen. Kein Mensch war glücklicher als ich.

Dieser Umstand aber gab auch meinem Fleiß einen neuen, gewaltigen Sporn. Je mehr ich manche Mitschüler in Sprachkenntnissen mir voranstehen sah, um so eifriger eilte ich ihnen nach. Der Unterricht in manchen Klassen war zwar oberflächlich und mangelhaft genug; allein als ich nach vierjährigem Privatfleiß in die oberste Klasse, damals Selecta genannt, einrückte, lernte ich in den Stunden unseres ausgezeichneten Direktors Schaubach, was gründliches Sprach- und Sachverständnis der alten römischen und griechischen Klassiker heißt. Nur in der Mathematik wollte bei mir sein Unterricht nicht anschlagen; ihm auf seine Fragen eine völlig genügende Antwort zu geben oder eine befriedigende schriftliche Arbeit zu liefern, war ich fast nie imstande. Dagegen erfreute ich ihn mit einigen meiner Mitschüler wieder durch die schnellen Fortschritte, die wir in der englischen Sprache bei ihm machten. Die Hennebergische Landesgeschichte, wie sie von einem Lehrer vorgetragen wurde, erregte in mir, wie schon erwähnt, das lebendigste Interesse, denn nun kam mir das alte Bergschloß Henneberg eigentlich erst zum Leben. Dagegen konnte ich an dem Unterricht über allgemeine Staatengeschichte durchaus keinen Gefallen finden und ich blieb darin sehr unwissend. Ich stöberte zwar zuweilen in geschichtlichen Büchern umher, aber ohne feste Anhalte, ohne Ziel und Plan. So gingen meine sechs Schuljahre vorüber. Nachdem ich in den letzten anderthalb Jahren mit zweien meiner Mitschüler vieles von Aeschylus, Sophokles, Thucydides, Horaz und Tacitus und im Deutschen manches von Goethe und Schiller, Wielands Agathon und Shakespeare in Eschenburg's Übersetzung gelesen hatte, schien mir und einem anderen meiner Mitschüler der gewöhnliche Schulgang zu langsam; wir hielten uns beide zur Universität für reif. Obgleich nach alter Schulordnung der Abgang von der Schule erst zu Michaelis 1806 hätte erfolgen dürfen, kamen wir insgeheim, ohne den Direktor davon zu benachrichtigen, beim Konsistorium, als oberste Schulbehörde, um Entlassung ein. Die Erlaubnis wurde erteilt, mit dem Auftrag an den Direktor, uns zu examinieren. Dieser aber, von Ärger und Zorn darüber außer sich, daß wir die alte Schulordnung durchbrechen wollten, weigerte sich standhaft, mit uns ein Examen zu veranstalten. Unsere Meldung dazu war ohne Erfolg. Gestützt jedoch auf die erhaltene Erlaubnis zum Abgang verließen wir die Schule oder vielmehr wir entliefen ihr, ohne examiniert zu sein. Es lag mir aber lange Zeit unsäglich schwer auf dem Herzen, den von mir so tief verehrten Direktor, dem ich so unendlich viel zu verdanken hatte, in solcher Weise erzürnt zu haben. Doch schrieb er mir in mein Stammbuch auf meine dringende Bitte beim Abschied die Worte: Forsan et haec olim meminisse juvabit.

Gegen Ende April 1806 trat ich ganz allein über den Thüringer Wald, alle meine Habseligkeiten in einem Ränzchen auf dem Rücken tragend, die Reise zu Fuß, meist noch in tiefem Schnee, nach Jena an. Hier aber ging mir nun eine ganz neue Welt auf. Nach dem Wunsch meiner mir über alles teuren, liebevollen, frommen Mutter – sie war die Tochter eines Anhängers der Herrenhuter-Gemeinde in Neudietendorf bei Gotha – war mein Vorsatz, Theologie zu studieren. Mich einst auf der Kanzel zu sehen, dachte sie sich als ihr höchstes Glück. Und die interessanten Vorlesungen des alten, ehrwürdigen Griesbach über Kirchengeschichte zogen mich bald aufs gewaltigste, zum theologischen Studium hin; doch hörte ich daneben zugleich auch philologische Vorlesungen bei Eichstädt; nur denen über Geschichte und Statistik bei dem steifen, überaus trockenen und langweiligen Professor Heinrich ward ich sehr bald untreu. Auch an Hegel's Philosophie, bei dem ich eine Zeit lang hospitierte, konnte ich keinen Geschmack finden. Die Schlacht bei Jena unterbrach meine Studien schon nach dem ersten Semester. Sie kostete mir bald das Leben, indem beim ersten Straßengefecht, dem ich neugierig von meinem Fenster aus zusehen wollte, mir eine Flintenkugel kaum eine Spanne weit am Kopf vorübersauste und in die vorstehende Wand des Nachbarhauses einschlug.

Nach einer lustigen, ganz in studentischer Weise zurückgelegten Reise mit fünfzehn Kommilitonen in die Heimat, wo ich mehrere Wochen verweilte, kehrte ich im November nach Jena zurück. Da war mittlerweile Luden als Professor der Geschichte angekommen. Ich ahnte noch nicht, welchen unendlichen Einfluß er auf mein künftiges Leben haben werde. Kaum aber hatte ich seine Einladungsschrift an die gelehrten Mitbürger der Universität »über den Vortrag der Universalgeschichte« gelesen, als ich in derselbigen Stunde noch zu ihm eilte, um mich als seinen Zuhörer zu melden. Ich war der Erste, der sich bei ihm angemeldet, und ich darf wohl sagen, ich bin wohl sechs Semester hindurch sein allertreuester Zuhörer geblieben. Er hat in dieser Zeit keine einzige Vorlesung über Geschichte, Politik oder Ästhetik gehalten, in der ich nicht zu seinen Füßen saß. Und nicht bloß diese Vorlesungen waren es, die mich immer von neuem begeisterten, ebenso mächtig wirkte auf mich die Liebenswürdigkeit seines persönlichen Umgangs, ja ich darf wohl sagen, seine Freundschaft, deren er mich mehr und mehr würdigte.

Dabei blieb ich aber meinen philologischen und theologischen Studien treu. Um jedoch mit meinen theologischen Studien möglichst bald zum Schluß zu kommen und mich dann ausschließlich mit Philologie und Geschichte zu beschäftigen, weil jetzt schon bei mir der Entschluß gereift war, mich zum Schulfach an einem Gymnasium vorzubereiten, setzte ich im Winter 1808 alle Zeit daran, die Lücken in meinen theologischen Kenntnissen soviel als möglich zu ergänzen. Ich gönnte meinem Körper kaum fünf Stunden Schlaf, und die Folge dieser unverständigen Anstrengung war eine äußerst gefährliche Krankheit, eine Brust- und Lungenentzündung, die in wenigen Tagen einen so reißenden Fortschritt nahm, daß ich am Rand des Grabes stand. Schon am vierten Tag lag ich neun Stunden lang, während der Arzt nach Weimar an den Hof gerufen war, ohne jedes äußere Zeichen des Lebens in einer tiefen Ohnmacht da, und wie man mir nachmals sagte, war die Länge meines Sarges schon abgemessen und mein Begräbnis von meinen Landsleuten besprochen. Mein Wiedererwachen war wie aus einem süßen, ruhigen Schlaf. Wie die Krankheit schnell gekommen, ging sie schnell vorüber, und bei meinen sonst so kerngesunden Körperkräften erholte ich mich von Tag zu Tag. Die Folge aber war: ich schonte mich jetzt soviel nur möglich, denn ein Rest von Brustschmerzen warnte mich lange Zeit noch jeden Tag.

Im Frühling 1808 meldete ich mich in Meiningen zum theologischen Examen und reiste zu diesem Zweck in die Heimat. Weil ich aber der einzige Gemeldete war und die geistlichen Herren nicht Lust hatten, mit mir allein ein Examen anzustellen, wurde es bis zum Herbst verschoben und fand dann, nachdem ich den Sommer in Jena meine Studien fortgesetzt, im Oktober auch statt. Es fiel für mich sehr günstig aus und ich wurde alsbald in die Kandidatenliste aufgenommen. Nun wurde auch der sehnliche Wunsch meiner innigstgeliebten Mutter erfüllt, sie sah ihren Liebling Johannes auf der Bettenhäuser Kanzel. Es war die fünfte meiner teils in der Nähe von Jena, teils in der Umgegend meines Geburtsorts gehaltenen Predigten.

Als Belohnung für diese letzte Predigt erhielt ich die vom Vater erbetene Erlaubnis, zur Fortsetzung meiner Studien nach meinem geliebten Jena zurückzukehren. Es begann das für mich sehr glückliche Jahr vom Herbst 1808 bis zum Herbst 1809. In meinen Studien war ich jetzt sozusagen ganz zügellos und ungebunden. Außer den philologischen und historischen Vorlesungen bei Luden und über Kirchen- und Dogmengeschichte bei Griesbach besuchte ich auch die bei Oken über Zoologie, bei Voigt über Physik, bei Töpfer über Pädagogik, bei Lenz über Petrefakten-Kunde. Vom studentischen Leben hatte ich mich ganz zurückgezogen. Ich hatte das Glück, öfter in die Familienkreise des Hofrats Succow, des berühmten Physikers Seebeck, deren Kinder ich unterrichtete, Ludens und Griesbachs eingeladen zu werden, bei dem ich einmal auch mit Goethe in Gesellschaft war, den ich übrigens schon früher im Sommer auf seinem Spaziergang um die Stadt sehr häufig gesehen und respektvoll gegrüßt hatte.

Im Anfang des Sommer-Semesters meldete ich mich bei Eichstädt zu einer von ihm ausgebotenen Hauslehrerstelle in Weimar. Sie wurde mir von ihm zugesagt, trotzdem aber durch seine eigene Intrigue entzogen. Davon war, wie mir mein Busenfreund Bernstein, ein Liebling Eichstädts, – starb als Professor der orientalischen Sprachen in Breslau 1860 –, entdeckte, der einzige Grund, daß ich eine philologische Vorlesung nicht mehr bei dem Herrn Hofrat, bei dem ich bisher gut angeschrieben war, sondern bei einem jüngeren Dozenten, einem Gegner Eichstädts, angenommen hatte.

Das Intriguenspiel schlug zu meinem Glück aus. Der Kanzler Niemeyer aus Halle hatte auf einer Reise, auf der er in Jena auch Griesbach besuchte, diesem mitgeteilt, daß er einen jungen Mann zu einer vakant gewordenen Lehrerstelle am Pädagogium in Halle suche. Mein hoher Gönner schlug mich dazu vor. Gerade an meinem Geburtstage – ich hatte mein 23. Lebensjahr zurückgelegt – erhielt ich das Anerbieten und nahm es freudig an, doch unter der Bedingung, daß ich zuvor die Anstalt näher kennen lernen wolle. Dies geschah auf einer Reise nach Halle. Nachdem ich dann noch einmal meine Eltern besucht, promovierte ich in Jena am 13. Oktober 1809 als Doktor der Philosophie auf Grund einer Abhandlung über Theokrit, meinen Lieblingsdichter.

So mußte ich nun das mir teuer gewordene Jena verlassen. Ich verließ es, glücklich darüber, daß ich auf diese Weise dem Hauslehrerleben entgangen war; ich verließ es aber dennoch auch mit tiefer Betrübnis, mit Schmerz über die Trennung von Männern, denen ich viel zu verdanken hatte, und mit gleichem Schmerz über die Trennung von einer anderen Persönlichkeit, an die mich die ganze Macht der Liebe fesselte. Ich fand in Halle ein ausgezeichnetes Lehrer-Kollegium und hatte das Glück, daß mir Lehrgegenstände zugewiesen wurden, die meinen Wünschen und Neigungen völlig entsprachen: Allgemeine Religionsgeschichte, Geschichte des Mittelalters und Erklärung Griechischer und Römischer Klassiker. Während der ersten Jahre meines Lebens in Halle beschäftigte mich mein Lehramt mit einer bedeutenden Zahl von Lehrstunden viel zu sehr, als daß ich an eigene Studien viel hätte denken können. Je mehr ich aber meine wenigen Mußestunden auf ein gründlicheres Studium der Geschichte des Mittelalters zu verwenden suchte, um so mehr ward mir der schroffe Widerspruch klar, in welchem die Ansichten und Urteile Griesbachs und Ludens über einzelne Erscheinungen dieser Zeit, zumal über Päpste und Papsttum einander gegenüber standen. Obgleich beide für mich gewichtige Autoritäten, beschloß ich, mich von beiden in ihren Ansichten loszusagen, um mir selbst die Frage zu lösen, was in diesen Erscheinungen historische Wahrheit sei? Ich hielt dies nur für möglich durch das Studium der Quellen selbst und begann es mit der Zeit Gregorius' VII. Mit allem Eifer las ich zuerst seine Briefe und dann alles, was ich an sonstigen Quellen über diese Zeit habhaft werden konnte. So war in mir schon im Frühling 1812 der Gedanke reif, einst diesen Papst in einer Biographie, unbekümmert um alle anderen Urteile und Ansichten, so darzustellen, wie sich mir sein Bild gestaltet hatte. Auf einer Ferienreise teilte ich in Jena diesen Plan auch Luden mit; er billigte ihn. Als dann aber die Fortsetzung meiner Reise zum Besuch meiner Eltern durch eine gewaltige Überschwemmung im Thüringer Walde unmöglich geworden war und ich, nach Jena zurückgekehrt, Luden den Grund dieser Wiederkehr mitteilte, unterbrach er mich mit den Worten: »So hat's für Sie Gott recht gemacht; kehren Sie nach Halle zurück, habilitieren Sie sich dort und fangen Sie an zu lesen. Schulmeister werden Sie, wie ich glaube, nun einmal doch nicht bleiben.« Ich folgte dem Rat und begab mich nach Halle.

Da mir bereits ein reiches Material zu Hand lag, schrieb ich sofort eine lateinische Dissertation über Gregor VII. und habilitierte mich damit als Privatdozent bei der Universität am 21. April 1812. Schon acht Tage nachher bestieg ich zum erstenmal den akademischen Katheder in einem Kollegium über die Geschichte der Kreuzzüge vor einer ansehnlichen Zuhörerzahl.

Ich wundere mich noch über die gewaltige Anstrengung, die mir, neben meinem Schulamt, diese neue Aufgabe kostete. Allein ich war von jeher ein Mann der Uhr, hielt strenge Tagesordnung und kaufte jede Stunde von 4 Uhr morgens, wo mich meine Wanduhr weckte, den Tag hindurch so teuer wie möglich aus. Schlaf bedurfte mein Körper, an frühes Aufstehen von Jugend auf gewöhnt, in der Regel nur sechs Stunden, dagegen aber eine regelmäßige tägliche Bewegung in frischer Luft, an der ich mich jetzt noch durch keine Witterungsverhältnisse hindern lasse. Dieses Geizen mit meiner Zeit, hatte es möglich gemacht, daß das Manuskript der Biographie Gregors VII. im Frühling druckfertig vor mir lag. Nun aber kostete es Mühe, meinen Erstling unter die Presse zu bringen. Von zwei Verlagshandlungen zu meinem Verdruß zurückgewiesen, wurde der gottselige Papst durch Ludens Vermittlung endlich von Bertuch in Weimar wie aus Gnaden angenommen und im Jahre 1815 in schlechtem Druck ans Licht gefördert. Er hat späterhin diejenigen, welche ihn abwiesen, dadurch beschämt, daß er in Wien sogleich nachgedruckt, dann in einer zweiten Auflage erschienen, zweimal ins Französische und einmal ins Italienische übersetzt worden ist.

Anfangs veranlaßte mein Gregor mir manchen Kummer und Ärger. Ich wurde von mehreren Rezensenten, namentlich von protestantischen Theologen, wegen meiner Ansichten vom Papst und von der Bedeutung des Papsttums heftig und scharf getadelt, vom alten J. H. Voß öffentlich als geheimer Katholik ausgeschrieen und vom Kanzler der Universität Königsberg, der nicht wußte, daß ich der Verfasser sei, mußte ich mir bei einem öffentlichen Redeakt im Jahre 1817 ins Gesicht sagen lassen: es sei jetzt sogar Jemand auf die verschrobene Idee gekommen, den Höllenpapst Gregorius VII. zu vergöttern und in einen Heiligen zu verwandeln.

Und doch zieht sich dieser mein Gregorius in einem großen Teil meines Lebens wie ein roter Faden hindurch. Er gab zuerst Anlaß, daß ich in meine jetzigen Ämter nach Königsberg gerufen wurde; er bewog im Jahre 1839 den ehrwürdigen Bischof Clemens Villecourt von la Rochelle, mit mir in Korrespondenz zu treten, mich zum Übertritt in die katholische Kirche aufzufordern und unter lockenden Aussichten zu sich nach Rochelle einzuladen; er hat mir auf meinen vielen Reisen in Süddeutschland, in München, Würzburg, Wien und auf meiner zweimaligen Reise nach Italien bei Geistlichen und Laien die freundlichste Aufnahme verschafft und meine Wünsche für literarische Zwecke allenthalben vorbereitet.

Sobald mein Gregorius erschienen war, stieg in mir der Gedanke zu einem größeren Werke, einer Geschichte unseres Vaterlandes unter den Hohenstaufen auf. Ich wußte wohl, welche große Aufgabe ich mir damit stellte; aber es entging mir zugleich auch keineswegs, daß ich sie in meiner dermaligen Lage nimmer würde lösen können. So wachte in mir immer lebendiger der Wunsch auf, mich möglichst bald meines Schulamts enthoben zu sehen. Diesen Wunsch nährte vorzüglich in mir auch der für mich so äußerst lehrreiche Umgang mit dem berühmten Staatsmann von Dohm, der den Winter 1815 – 1816 in Halle verlebte und mich bei seinen damaligen wissenschaftlichen Arbeiten mit so großem Vertrauen beehrte, daß ich auch zu ihm das unbedingteste Zutrauen gewann. Auf seinen Rat deutete ich bei Übersendung meines Gregor meinen Wunsch auch in einem Schreiben an den Minister von Schuckmann an. Bei diesem hatten nun zwar, wenn er auch meinen Fleiß im Quellenstudium anerkannte, meine Ansichten keineswegs viel Anklang gefunden; indes schien er mich doch mit den Worten vertrösten zu wollen: »man werde bei angemessener Gelegenheit auf Erfüllung meines vorgetragenen Wunsches Rücksicht nehmen.« (22. Nov. 1815.)

Das befriedigte mich sehr wenig. Ich schrieb nach einiger Zeit an den mir sehr gewogenen Staatsrat Nicolovius, daß ich Willens sei, wegen meines Planes einer Geschichte der Hohenstaufen mein Schulamt niederzulegen und eine Reise nach Italien zu unternehmen; nur möge ich versichert sein, ob ich als Nichtpreuße nach meiner Rückreise wieder auf eine geeignete Anstellung in Preußen hoffen könne. Er widerriet mir diesen Plan und gab mir die Versicherung: es werde, sobald sich eine geeignete Gelegenheit biete, auf eine akademische Anstellung für mich Bedacht genommen werden.

Diesem Rat folgend, setze ich meine Studien über die Geschichte der Hohenstaufen mit allem Eifer fort. Ein im Sommer 1816 beim Ministerium eingereichtes Gesuch um eine Anstellung in der vakant gewordenen Professur der historischen Hilfswissenschaften in Königsberg, womit die Direktorstelle am dortigen Geheimen Archiv verbunden war, schlug abermals fehl, denn die Professur war, bevor noch mein Gesuch in Berlin ankam, bereits besetzt. Da traf mich im Herbst ein schreckliches Unglück, welches mich beinahe das Leben kostete. Ein schmerzhaftes Leiden, gegen welches ich bereits allerlei Kuren überstanden hatte, meinte ein Arzt endlich dadurch zu beseitigen, daß er mir eine den Körper durchschütternde Reise auf dem ordinären Postwagen vorschrieb. In der Nähe von Naumburg aber stürzte in finsterer Nacht der Wagen auf einem Abhang um, und eine schwere Kiste, die hinter mir herrollte, schlug mir den rechten unteren Schenkel zweimal entzwei. Darauf vernachlässigte mich in Naumburg ein gewissenloser oder unwissender Arzt eine Zeitlang dergestalt, daß Brandflecken sichtbar wurden und eines Tages die Amputationsinstrumente bereits vor meinen Augen lagen. Ein ehemaliger österreichischer Feldchirurg, der dabei zu Hilfe gerufen war und die weitere Kur übernahm, rettete mich. Von acht Soldaten in einem Bette nach Halle zurückgetragen, lag ich noch Wochen danieder, ehe ich, auf Krücken gestützt, wieder etwas umherwandeln konnte. Der Winter 1816 bis 1817 ging für mich höchst jammervoll vorüber.

Um so erfreulicher waren für mich im Frühling unerwartet neue Aussichten zur Erfüllung meiner Wünsche. Luden, der einen Ruf als Professor der Geschichte an der Universität zu Greifswald erhalten, ihn aber abgelehnt hatte, meldete mir im März, daß er mich zu dieser Professur in Vorschlag gebracht habe, und riet zugleich, mich auch selbst deshalb an die dortige philosophische Fakultät zu wenden. Es geschah; allein es gingen mehrere Monate vorüber, ohne daß ich Antwort erhielt, obgleich ich anfangs Juni erfuhr, die Professur sei noch nicht besetzt. Da wurde mir in demselben Monat vom Landhofmeister und Oberpräsidenten von Preußen, Herrn von Auerswald, der meinen Gregor VII. gelesen hatte, als dem Kurator der Universität Königsberg, die Professur der historischen Hilfswissenschaften und die Direktorstelle am dortigen Geheimen Archiv in einem sehr schmeichelhaften Schreiben angetragen. Es war dieselbe Stelle, um die ich im Jahr zuvor ohne Erfolg angehalten hafte.

Ein wunderbares Spiel des Schicksals. Mit einemmal standen mir zwei Professuren vor Augen. Ich schwankte mehrere Tage zwischen der Hoffnung nach Greifswald und dem Ruf nach Königsberg. Hierhin lockten ungleich günstigere wissenschaftliche Aussichten, dorthin weit bedeutendere pekuniäre Vorteile. Indes nach Greifswald war doch immer erst nur Hoffnung, nach Königsberg hingegen volle Sicherheit. Ich sagte am 3. Juli für dieses zu.

Von meinem Plan einer Geschichte des Hohenstaufischen Kaiserhauses konnte nicht mehr die Rede sein, denn in Königsberg schien seine Ausführung unmöglich. Ich schob ihn in die Zukunft, wo sich mein Schicksal wieder ändern könne. Als mir indes die Nachricht zukam, Friedrich von Raumer befinde sich bereits zu demselben Zweck auf einer wissenschaftlichen Reise in Italien, benutzte ich meine Mußestunden im Sommer, einen schon früher verfaßten Entwurf einer Geschichte des Lombardenbundes und seines Kampfes mit Kaiser Friedrich dem Ersten, als einen Teil meiner bisherigen Studien, noch einmal umzuarbeiten. Das Werkchen wurde späterhin (1818) in Königsberg gedruckt.

Den Sommer hindurch suchte ich mich teils durch fleißige Lektüre mittelalteriger Manuskripte auf meine künftigen diplomatischen Beschäftigungen vorzubereiten, teils mich in der Geschichte Preußens zu orientieren, zu welchem Zweck ich mich nicht ohne Mühe und Ekel durch die vier Bände von Kotzebue's Preußens ältere Geschichte hindurcharbeitete. Wie oft fiel mir da die Wahrheit ein: es gibt kein so schlechtes Buch, aus dem man nicht etwas lernen kann. Mich hatte Kotzebue, der Mann der theatralischen Knalleffekte, aufs gründlichste belehrt, wie verkehrt es sei, auf seine Weise Geschichte zu schreiben oder vielmehr Geschichte zu machen. Wie ganz anders hatten mich seit Jahren die Werke Johannes Müllers begeistert. Ich hatte, was wohl selten, seine Schweizer-Geschichte bis zur letzten Zeile gelesen.

Nachdem ich in Halle eine Abhandlung über »die Notwendigkeit der Reformation« geschrieben, trat ich mit meinem Freund und bisherigen Kollegen Drumann, der als Professor der alten Literatur mit mir nach Königsberg berufen war, die elftägige Reise nach unserem neuen Bestimmungsort an. Wir erreichten ihn gegen Ende Oktober. Er machte auf uns keinen günstigen Eindruck und fast bereute ich, nicht nach Greifswald gegangen zu sein. Der Gedanke aber tröstete mich; das Schicksal, oder, um christlich zu sprechen, Gott habe es so gewollt und es so geschehen lassen.

Ich gehe jetzt über meine Lebenszeit in Königsberg, – sie umfaßt bereits dreiundvierzig Jahre – schneller hinweg. Neben meinen Vorlesungen über Universal-Geschichte, Geschichte des Mittelalters und der neueren Zeit, Geschichte Preußens und der Kreuzzüge, über Diplomatik und diplomatische Übungen, war meine wichtigste Aufgabe, in das, noch in größter Verwirrung liegende Ordensarchiv Ordnung und Zusammenhang zu bringen und die wissenschaftliche Benutzung des überaus reichen geschichtlichen Materiales durch Herstellung von sächlichen und chronologischen Registranten aufs möglichste zu erleichtern. So viel Zeit, Arbeit und Mühe aber diese Beschäftigung mehrere Jahre hindurch auch kostete, so gewann sie doch täglich für mich neuen Reiz und neues Interesse, denn es war täglich Neues und Interessantes, was mir in die Hände kam.

Im Herbst des Jahres 1818 lernte ich zuerst den Herrn von Schön, damaligen Oberpräsidenten von Westpreußen, in Marienburg, wohin ich von ihm eingeladen war, persönlich kennen. Es war bereits damit begonnen, das prachtvolle Ordenshaus womöglich in seiner alten Herrlichkeit wieder herzustellen. Wie es damals zum großen Teil noch tief in Schmutz und Schutt dalag, so war über die einstmalige Bestimmung und Bedeutung der verschiedenen inneren Räumlichkeiten alles völlig dunkel. Das außerordentliche Interesse, das ich sogleich an dem großartigen einstigen Haupthause des Deutschen Ordens gewann, und die Aufforderung Schöns bewogen mich, im Archiv alles zusammenzusuchen, was nur irgend auf Marienburg Beziehung haben konnte. Zuerst war ich so glücklich, alte Baurechnungsbücher aus dem 15. Jahrhundert aufzufinden, aus denen durch fleißiges Forschen, Zusammenstellen und Vergleichen mit den Örtlichkeiten so viel Licht hervorging, daß über die einstmalige Bestimmung jedes einzelnen Gemaches und den Zweck jeder Räumlichkeit kein Zweifel mehr übrig blieb. Nach meinen hierauf noch einige Jahre fortgesetzten Studien und Sammlungen verfaßte ich meine »Geschichte Marienburgs, der Stadt und des Haupthauses des Deutschen Ritterordens in Preußen«, die im Jahre 1824 im Druck erschien.

Marienburg gab, so lange Herr von Schön noch in Danzig blieb, den ersten Anlaß zu einer sehr lebendigen Korrespondenz mit ihm, an deren Stelle, als er nachher als Oberpräsident von Preußen seinen Wohnsitz in Königsberg nahm, ein immer vertraulicheres Verhältnis, ja ich darf sagen, wahre Freundschaft trat. Sie hat, nur einmal durch ein Mißverständnis gestört, bis an sein Lebensende fortgedauert, und ich schreibe diese Zeilen nicht ohne den herzlichsten Dank für die Belehrungen, deren ich mich von ihm, dem berühmten Staatsmann, zu erfreuen gehabt. Für alles Wissenswürdige aufs Lebendigste empfänglich, nahm er an meinen wissenschaftlichen Arbeiten regsten Anteil, zumal an meinem Plan zu einer ausführlichen Geschichte Preußens.

Noch während ich mit der Geschichte Marienburgs beschäftigt war, erwachte in mir der Gedanke einer umfassenden Geschichte Preußens von den ältesten Zeiten bis zum Untergange der Herrschaft des Deutschen Ordens. Noch mit dem Ordnen des Archivs beschäftigt, benutzte ich die ersten Jahre zu den nötigen Vorarbeiten, indem ich alles Material prüfen und sichten mußte. Im Herbst 1826 konnte ich den ersten Band dem Druck übergeben, und im Jahre 1839 erschien der neunte Band. Ich hatte, mit Hinzurechnung der Zeit zu den Vorarbeiten, auf das Werk an siebzehn Jahre der schönsten Zeit meines Lebens verwandt, legte aber auch die Feder mit der größten Erschöpfung meiner Kräfte nieder. Nie im Leben hatte ich mehr eine Erholung und ein Ausruhen von aller geistigen Arbeit bedurft. Da machte es mir unerwartet ein sehr ansehnliches Gnadengeschenk des hochseligen Königs Friedrich Wilhelm  III. als Belohnung für mein Werk möglich, das Land meiner längst gehegten Sehnsucht, Italien, zu sehen. Ich kehrte zwar gestärkt zurück; allein die Todesfälle von drei Söhnen im frischesten Alter und wiederkehrendes körperliches Leiden ließen mich Jahre lang nicht wieder zu Kräften, viel weniger zu einer heiteren Stimmung kommen. Ich durfte und konnte mich nur mit leichteren Arbeiten beschäftigen und so erschien von mir im Jahre 1841 der »Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten des Zeitalters der Reformation mit Herzog Albrecht von Preußen«; im Verlauf der Jahre verfaßte ich dann verschiedene Abhandlungen für Raumer's »historisches Taschenbuch«. Erst nachdem ich fünfmal den Badeort Kissingen besucht und durch wiederholte Reisen am Rhein und Main und im ganzen südlichen Deutschland neue Kräfte gewonnen hatte, fühlte ich mich zu einer größeren Arbeit aufgemuntert. Zuerst veranlaßte mich die Aufforderung eines jetzt noch lebenden Staatsmannes zu der kleineren Schrift »Geschichte des sogenannten Tugend-Bundes oder des sittlich-wissenschaftlichen Vereins. Nach den Original-Akten 1850.« Dann erschien im Jahre 1852 die Biographie »Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach« in zwei Bänden.

Bald darauf leitete mich das von mir geordnete reiche Material des Archivs auf den Gedanken, es zu einer Geschichte des Deutschen Ordens in Deutschland zu verarbeiten. Auf einer Reise, die ich zum zweitenmal über Steiermark, Kärnten, nach Italien und durch Tirol ausdehnte und auf der bei einem längeren Aufenthalt in München und Wien durch Benutzung der dortigen Archivschätze meine Sammlungen ansehnlich bereichert und vervollständigt wurden, gewann mein ursprünglicher Plan eine ungleich größere Erweiterung. Das Werk erschien im Jahre 1857 unter dem Titel: »Geschichte des Deutschen Ritterordens in seinen zwölf Balleien in Deutschland«.

Endlich habe ich seit dem Jahre 1836 einen Codex diplomaticus Prussicus, eine Sammlung von Urkunden zur älteren Geschichte Preußens, herausgegeben, von der in diesem Jahr der sechste Band erschienen ist.

Meine äußeren Lebensverhältnisse habe ich in diesem Abriß meiner Lebensgeschichte mit Absicht nur so wenig wie möglich berührt. Ich führe davon nur folgendes an. Im Jahre 1823 wurde ich zum ordentlichen Professor der mittleren und neueren Geschichte an der Universität Königsberg ernannt. Im Jahre 1854 wählte mich der akademische Senat zum Vertreter der Universität Königsberg im Herrenhause; am 13. Oktober 1859 wurde mir das Glück zuteil, mein fünfzigjähriges doppeltes Amts- und Doktor-Jubiläum in frischer Gesundheit feiern zu können, wobei mich Beweise der Liebe und Teilnahme von Freunden und selbst Unbekannten aus weitester Ferne erfreuten.

So blicke ich mit ruhigem und zufriedenem Auge auf meine durchlaufene Lebensbahn zurück; indem ich mit den schönen Worten schließe: Was der Mensch säet, das wird er ernten, und was dabei auch Gott tut, das ist immer wohlgetan.

(Geschrieben im November 1861.)


Der kurzen Selbstbiographie, die Voigt, – er starb anno 1863, am 23. September – kaum zwei Jahre vor seinem Hinscheiden verfaßte, ist wenig hinzuzufügen, am wenigsten ein Wort zur Empfehlung seiner hier zum erstenmal vereinigten Aufsätze. Denn würde ich versucht haben, sie der Verschollenheit zu entreißen, wenn sie mir – nach erheblichen Kürzungen, die ich gern verantworten will – nicht lesenswert dünkten auch heute noch, nicht fesselnd von der ersten bis zur letzten Zeile? Hier träumt ein Romantiker, der Eichendorff seinen Freund heißen durfte, von gestorbener Pracht und toter Herrlichkeit versunkener Tage, aber der Träumende ist ein Archivdirektor, noch dazu in der Stadt der reinen Vernunft, und darum hält das Wissen, obschon es darauf verzichtet, sich durch gelehrte Anmerkungen als solches zu dokumentieren, die Phantasie fest am Zügel, auf daß sie nicht, wie bei Poeten, irrlichteliere hin und her. So geben Vision und Zettelkasten, Pedanterie und Balladeskes diesen Aufsätzen, an denen ein Ranke »die genaue, häufig aus neuen Quellen geschöpfte Kunde« zu loben findet, ein besonderes Angesicht. Sie zeigen kein Dutzend-Antlitz, das man leicht vergessen oder noch leichter mit einem anderen verwechseln könnte, – jeder einzelne ist »sui generis«.


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