Friedrich Theodor Vischer
Nicht I, a
Friedrich Theodor Vischer

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II. Aufzug.

Erster Auftritt.

Wirthsstube. Am Tisch: Franzosenhannes. Jäckle. Harigel. Staudigel. – Aufwärterin Gretle.

Franzosenhannes. Koi Goist ist in dene Deutsche sag' e! Koi Schneid' hent se. Nȃch Paris sott mers' schicke, äll! Selt hent se Feuer im Leib, dȃ lautet's anderscht! Liberté und égalité hoißt's dȃ, dene ist älles egal. I dank's mei'm Vetter nŏ heut', daß er mi nȃch Paris hot nĕi komme lau im Jȃhr 1830 als Beckebuebe. I hau's mităg'sehe, bi mitg'sprunge. D Scheibe ĕig'schmisse, d' Laterne ĕig'schmisse, d' Waffeläde 'plendert! Nieder mit de Minister! Barrikade 'baut! d' Dächer adeckt! Piff paff! Bum, bum! 's Stadthaus g'stürmt, de König zum Teufel! D' Tulleriee plendert – Zeux rausg'schleppt! I sag' nŏ, descht e staatsmäßiges Saulebe g'wä! Wenn se nŏ keine so Viecher g'wä wäret und hättet de schäbige Geizkrage L. Philipp zum König ĕinsetzt! Jetzt ist der au ausg'fegt. Viktoria! Jetz mueß's anders hergĕh! Desmȃl bleibt mer in Deutschland net dehinte, se kommet rüber und mir sind parat, mer hilft enander. 30,000 Mann beim Beiliche sind's. Vivat, jetzt mueß 's Volk regiere! Aelle König, kleine und große Fürste – müeßt naus! D' g'moine Leut' kommet dră! Freiheit und Brod vor älle! Was Brod! Guet fresse und saufe wellet mer! De Reiche sollet sich net mäste und uns hungere lau! Aelles mueß gleich verthoilt werde, so sag' i! Vif la Replik!

Jäckle. Nŏ en Schnaps her, Gretle! – Anderscht mueß's werde, älles kurz und klŏi g'haue, was im Weg stȏt, Druf! Mer schließet es glei der Franzoseschar ă, so wie se kommt!

Harigel. Dernȃ vorwärts wie hoiligs siedigs Donnerwetter nȃch Stuegert!

Standigel. Z'airschte d' Wirthshäuser im Sturm ĕig'nomme, g'soffe! Juchhe! Dernȃ uf de reiche Leut' ihre Häuser! Dernȃ uf d' Kaufläde! Aelles Geld und Sach' furt!

Jäckle. Dernȃ uf älles los, was net mit der Hand schafft! Des sind lauter Faulenzer! Z'airschte d' Beamte! Mer braucht gar koine!

Franzosenhannes. Descht e Idee. Mer mueß Ideee han. Ich hab' mich politisch gebildet in Paris. Der wahre Staat bedarf koine Gsetz, Gsetz sind e Tyrannei. Der Staat ist eine Gesellschaft, nämlich so eine Gesellschaft, wȏ jeder thŭ kă, was er will. Und z'airschte, daß mer unsere Ideee verbreite könnet, mueß Preßfreiheit her.

Jäckle. Jȃ, drufpreßt, drufdruckt!

Standigel. Mer könnt au glei ăfange im Kloine – so e Vorpröble wär' net übel, mer könnt's wȃge, d' Freund' aus Frankreich könnet jede Tag dȃ sĕi.

Harigel. Und jetzt ist älles verdaddert.

Standigel. Wellet mer an en reiche Baure gĕ, an de Lachemeyer oder an de Banzhaf?

Jäckle. Noi, descht nex. Dă giengs letz. Und d' Baure vergrabet ihr Geld, hent kŏi volle Speiskammer und kŏin volle Keller –

Harigel. Dȃ der Wirth –

Franzosenhannes. Hắă, unsere edle neue Freund' müeßet au ebbes z'saufet vorfinde, wenn se kommet; uf d' Pfaffe mueß 's z'airschte lausgau, an de Pfarrer gȃt mer, der hȃt en volle Keller und e Speiskammer voll geräucherte Zunge und Schunke; i woiß au, er hot vor Schrecke 's Zipperle kriegt, mit dem Bürschle, em Vikare, ist mer glei fertig, der Hannes, wo em äls im Feld und Garte schafft, ist mit em Schäsle furt und d' Weibsleut schlenkert mer an d' Wand.

Jäckle. Recht hȃscht, mer wöllet glei dră, jeder nimmt en guete Prügel mit –

Harigel. Haltet nŏ, mer zahlet ganz ordentlich, daß mer nex merkt, – Gretle!

Gretle (die hinter der etwas offenen Seitenthüre gelauscht hat). Was wöllet er?

Franzosenhannes. Zahle!

(Sie zahlen und gehen ab.)

Gretle (allein). So mĕit des G'sindel! Der Herr ist net z' Haus, glei hol' i de Hausknecht und 's Nȃchbers Jakob.

 

Zweiter Auftritt.

Studirstube des Pfarrers. Pfarrer, am einen Fuß einen Pelzstiefel. Vikar.

Pfarrer. Ja, Herr Vikarius, wir müße jetzt e Wort im Ernst rede. Es steht sehr g'fährlich und mich muß grad jetzt, wo ich der Mann auf'em Platz sĕi sollt, mĕi Podagra lahm lege. Ich brauch' jemand, der mich vertritt. Ich hab' durch de Schultheiß en außerordentliche Gemeind'rath zusammeberufe, mit em Bürger-Ausschuß, es soll au der Schulmeister und der Forstwart diesmal derzu gezoge werde, man soll berathe, wie vorerst die bestmögliche Ăstalte getroffe werdet, in der Gemeind' Unordnunge abzuhalte; der Schultheiß ist, Sie wisset, e schwacher, unschlüssiger Mann, ich hab' angekündigt, ich woll' die Versammlung leite, i kann net hin, Sie müeßet mi vertrete, und ich kenn' Ihre Ăsichte net sicher, Sie habe schŏ öfters so allerhand vorbrȃcht von Reaktiŏ, Volksrecht, Grundrecht und deutscher Ĕiheit –

Vikar. Herr Dekan, erlaube Sie mir e freimüthigs Wort. I denk' nach Ihrem Standpunkt net korrekt; 's ist wȃhr. Laße Sie mich nur soviel sage: im Badische ist schŏ die Idee auftaucht, e deutsches Parlament zu berufe, das die große Frage, die jetzt alle Welt bewege, in d' Hand nemme und in Ordnung löse soll: die künftige Grundrecht des deutsche Volks, allgemeine Volksbewaffnung und die Einigung Deutschlands nach Absetzung der Schmachanstalt des deutschen Bunds. 's ist wahr, für die Ideee schwärm' i. Aber nachdem die erste Masse-Petitione ihre Wirkung gethă habe, bin i gegen alle gewaltsame Mittel, gegen alle Putsch, die werdet im Gegetheil, befürcht' i oft, die schö Bewegung verderbe, und ganz besonders bin i gege Verbrüderung mit de Franzose, die uns jetzt ihr Hilf' aufdrenget. Des sind net unsere Freund, des sind unsere Feind. Jetzt könnet mer alles andere dahig'stellt sĕi lasse und ĕifach an die nächst' Sorg' denke, daß mer im Dorf d' Ordnung aufrecht erhält. Trauet Sie mir, Herr Dekan, theilet Sie mir Ihre Gedanke mit, ich thu', was in meine Kräfte steht.

Pfarrer. Nŭ ja, 's wär' viel z' sage, i bin von der alte Schul, ich bin eben altmodisch, i kann vornerĕi und überhaupt kĕi so Gethue leide, kein so Lebetag, kĕi so Feuerjo-Wese, mir will das neu' Zeux net in Kopf, aber 's ist jetzt keine Zeit, i bin's zufriede, daß Sie in der nächste Hauptsach' meiner Meinung sind. Gehet Se jetzt glei aufs Rathhaus und –

 

Dritter Auftritt.

Vorige. Madele.

Madele (eilig herein). O Jeses, o Jeses, se sind im Keller –

Pfarrer. Wer denn? D' Franzose?

Madele. Nŏi, d' Spitzbuebe. Den ŏine han e kennt, der grad der Letzt gwe ist, der Franzose-Hannes, der Lump, er hȃt rumguckt, mi g'sĕa und an d' Wand g'schlenkert. –

Pfarrer. Ach Je, mĕi Roßwȃger, mĕi Elfinger Rißling – Au! (Nach dem Bein greifend) wieder so e Stich!

Vikar. Hier sind keine Wort z' verliere – 's ist nŏ gut, daß i mein Rappier nŏ han – den Jüngling reißt es fort mit Sturmeswehen! (Stürzt ab. Madele ihm nach.)

Pfarrer (will nacheilen). Au!

 

Vierter Auftritt.

Rathhaus. Schultheiß Läpple, Gemeindepfleger Mamele, Schulmeister Kiderle, Forstwart Mäusle, zwei Bauern (Bürger-Ausschuß) Lachenmajer und Banzhaf.

Schultheiß Läpple. Jetzt machet Eure Vorschläg'!

Schulmeister Kiderle. Jetzt ich würde dafür halten, wenn sie kommen, so sollte, da uns Gewaltmittel nicht zu Gebote stehen, eine recht bewegliche Rede an sie gehalten werden. Man müßte die Segnungen der Ordnung recht schön und rührend darstellen. Das Wort vermag viel, auch über wilde Gemüther. Die rechte Person hiefür wäre unser ehrwürdiger Seelenhirte. Er ist leider unbaß. Ich erbiete mich zu diesem Akt. Meine Parentationen haben mir einige Uebung verschafft.

Forstwart Mäusle. O Herrle, 's Sel batt net.

Gemeindepfleger Mamele. Ja, da mueß e höhere Hilf' beispringe. Ich han g'hört, es seiet vierzigtausend Mann. Rede halte nutzt nex, weltliche Waffe hent mer net, dȃ hilft nex als recht bete um himmlische Beistand. Mer mueß de Feind wegbete.

Bauer Lachenmajer. Herr G'mŏid'pfleger, dȃ fällt mer ŏi, was neulich der Bauer drübe in G'schwendlinge zum dortige Hairle g'sait hȃt beim Bittgang uf de Felder: Herr, dȃ nutzt 's Bete nex, dȃ mueß Mist her.

Bauer Banzhaf. Jetzt i mŏi, mer soll d' Feuerspritz' bereit halte; wenn se kommet, tauft mer s' recht, 's Sel küelt a.

Schultheiß Läpple. Nemlich hingege, se gȃt net.

Bauer Lachenmajer. Mer hȃt jetzt g'hairt von dene Barrikade in Berlĕ. I mŏi, mer sollt' d' Gasse sperre mit so Barrikade. Wemmer nŭ so Pflasterstŏi hättet von Stuegert, dȃ lieget immer g'nueg rum. Wenn e Gaß g'macht ist, nȃ reißt mer se wieder uf und macht so e Wasserloiting, nȃ macht mer de Grabe wieder zue, nȃ im e Weile grubelt mer wieder und macht e Gasloiting und macht dernȃ de Grabe wieder zue und so gȃts furt. Mĕi Vetter, der G'mŏidrath in Stuegert, hȃt emȃl g'sait: jetzt 's Gruble, descht ebe so unser Vergnüege. Jetzt bei uns müeßt mer ebe schnell eilich Fuere Stŏi aus em Stŏibruch hole lau, dernȃ –

Forstwart Mäusle. Jetzt was schwäzet er au, im e Dorf, des kŏine Maure hȃt, was will mer denn dȃ mit Barrikade, der Feind kann jȃ überall hinte und nebe rĕi.

Schultheis Läpple (im Kopf kratzend). Mer sind jetzt eigentlich nemlich ebe im e rȃthlose Zuestand. (Es klopft.) Herein!

 

Fünfter Auftritt.

Vorige. Vikar, einen Rappier in der Hand, zwei Bauernbursche, Michel und Jakob.

Vikar. Ihr Herre, ich komm' eilig, Ihne anzuzeige, daß eester, e sehr schlimmer Auftritt stattgefunde hat. Die vier bekannte Lumpe und Schimpfer, der Franzose-Hannes, Jäckle, Staudigel, Harigel sind ins Herr Pfarrers Keller ĕibroche, 's Madele hat Lärm g'schlage, ich bin mitem Rappier nunterg'sprunge, hab' de Jäckle, der oben an der Kellerthür' Wach' g'standen ist, umg'stoße, daß er d' Kellerstaffle nuntergrumpelt ist, hab' drunte de Franzose-Hannes am vordere Wĕifaß verwischt, schŏ b'soffe, er mueß schŏ en Rausch mit'bracht habe, hab' en glei über de Kopf g'haue, daß er umtorkelt ist, aber jetzt hat's en böse Ringkampf mit em Harigel und Staudigel gebe, der Jäckle ist au wieder auf d' Füeß komme, Drei gegen Ein, ich wär' verlore g'wese, wenn net der Michel, 's Lammwirths Hausknecht, und sĕi Nachbar Jakob mir beig'sprunge wäret, 's Lammwirths Gretle hat aufpaßt g'habt und hat die Zwei schnell zur Hilf' g'schickt, zu Drei habe mer dann d' Spitzbuben überwältigt, durch de Keller in de Holzstall g'schuckt und g'stoße und den zug'schlosse.

Michel. Ja, der Herr Vikare ist in koiner kloine G'fȃhr g'wä, der hȃt se wacker g'halte.

Jakob. Des bezeug' i au.

Vikar. Meine Person ist jetzt ohne Bedeutung. 's Erst ist jetzt: wie soll man die vier Kerle in feste Gewahrsam bringe, aus em Holzstall werde se schnell ausbroche sĕi. Sie könntet en böse Auflauf ărichte; 's sind jetzt g'nueg Köpf' im Dorf halbe narret, wer net vor Angst fast weg ist, dem zwirbelt der Kopf vom Freiheitsdusel. Ich hab' aber ohnedieß en Auftrag vom Herr Dekan. Sĕi Meinung ist, mer soll doch net über der Franzosen-Angst de Kopf verliere. Mer soll aufs Nächst' bedacht sĕi: Ordnung im Dorf z' erhalte, ohne Verzug alle g'setzte und zuverlässige Bürger versammle, ene d' Lag recht ĕidringlich vorstelle, wer irgend nŏ gut bei Kräften ist, soll sich bewaffne –

Schultheiß Läpple. Ja nemlich, hingege mit was? Mer hent jȃ koine G'wehr' und Säbel –

Forstwart Mäusle. I han zwei Flinte, der Schütz hat au eine –

Vikar. Helf, was helfe mag! Haue, Aext, Schmiedhämmer, Sense, Dreschflegel –

Bauer Lachenmajer. Krautstempfel sind au guet, dȃ geit's e Stuck, – ŭg'spitzt in Bode nĕi! –

Bauer Banzhaf. Nŭ jȃ, und überhaupt rechte dicke, große Prügel!

Schultheiß Läpple. Ja nemlich, hingege, des hent de andere, de unruhige Köpf, au!

Vikar. Die geschlossene Ordnung macht's, die hält in Respekt. Wer fest z'samme hält, in Reih und Glied tritt und bleibt, der hat de Vorsprung und imponirt. Also nur zuerst Ordnung im Dorf! Kommt der Feind, so ist's doch möglich, daß er sich in kleinere Haufe auflöst, um die einzelne Dörfer z' überfalle, dȃ ist doch z'hoffe, daß mer ebbes ausrichtet mit Standhaftigkeit, d' Weiber könntet au siedigs Wasser bereit halte, ums en auf d' Köpf z'schüttet; möglich, daß au der Feind nŏ net so schnell kommt und d' Regierung nŏ Militär schickt. Kurzum, schnell an d' Arbeit! –

Schultheiß Läpple. Ja nemlich, hingege aber, mer sott vorher ăfrȃge, ob mer au därf, beim Oberamt, und des mueß an d' Kreisregiering schreibe –

Vikar. Herr Schultheiß, jetzt um Gotteswillen mehr Muth und Entschlossenheit! Wer lang frȃgt, geht lang irr, jetzt pressirt's; bis mer lang schwätzt, sind die vier Lumpe scho ausbroche!

Forstwart Mäusle. Ihr zwei Bursch, glei mit mir, i hol' mĕi Flint', de Schütze mit seiner Flint' nimmt mer au mit, mer holet die vier Kerle und stecket s' ins Loch. Drauf schnell die groß' Glock' g'litte, d' Bürger versammelt, e Kompagnie aus de beste formirt. Ich schlag' vor: wer Soldat g'wesen ist, kommt in de erste Zug; der erst' Zug trägt Sense, der zweit' Zug Dreschflegel, Krautstempfel, Haue, Hacke, Prügel. I will d' Mannschaft so viel als möglich in der Eil' ĕiexerzire. I denk', mer wöllet de Herr Vikare bitte, daß er unser Hauptmann sĕi.

Vikar. I dank' für's Vertraue, i kann's aber net ănemme, i versteh' z' wenig. Hauptmann mueß der Herr Forstwart sĕi, weil er Unteroffizier g'wesen ist.

Forstwart Mäusle. Aber dann weigeret Se sich wenigstens net, Lieutnant z' werde. Mer brauchet en Herre von Ĕisicht und Ăsehe derzue. I möcht' lieber Ihr Untergebener, als Ihr Vorgesetzter sĕi –

Vikar. Auf de sonstige Rang kommt's jetzt net ă. I will's mĕithalb probire als Lieutnant. Ist's dene Herre so recht?

Alle. Freile! Freile! (Sie stehen auf.)

Gemeindepfleger Mamele. Ich bin e Mann des Friedens, i gang hoim und bet'.

(Alle ab.)

 

Sechster Auftritt.

Pfarrhaus, Wohnstube. Pfarrer, seine Frau, dann Luise.

Pfarrer. I fühl' mi schŏ um e Guets besser, der Fueß ist freier, seitdem man emȃl wenigstens über die vier Halunke Herr worden ist, es kommt mer wie guets Vorzeiche vor. Desmȃl hat sich der Vikar brav g'halte, i muß's zugebe, wiewohl daraus nŏ kĕi falscher logischer Schluß zoge werde darf.

Pfarrerin. Was heißt des?

Luise (schnell eintretend). 's Schäsle kommt, mer sieht's schŏ ums Eck an der Mühle fahre.

Frau Pfarrerin. Lauf em entgege bis unter d' Hausthür! (Sie ordnet schnell noch an Luisens Locken und Anzug.)

 

Siebenter Auftritt.

Vorige. Vikar.

Vikar (Luisen begegnend, wie sie schnell abgehen will). Wohi so schnell?

Luise. Der Vetter kommt, i mueß em entgege.

Vikar. So? (Luise ab.)

Pfarrer. Herr Vikar, i bin Ihne viel Dank schuldig und mueß Ihrn entschlossene Mueth belobe, i faß' mi aber für jetzt kurz, es ist kĕi Zeit, wir erwarte so ebe de Herr Vetter –

Vikar (für sich). Also jetzt, grad jetzt, wo i Dank verdient hab' und meine sollt, 's komm besser, jetzt hat mer kĕi' Zeit für mi, jetzt mueß grad der unausstehlich' Mensch komme, den soll doch au –

 

Achter Auftritt.

Die Vorigen. Luise mit dem Vetter, Odomar Klemmle.

Luise (noch außerhalb der Thüre). Darĕi, lieber Herr Vetter!

Vikar (für sich). Ja, ja, der lieb' Herr Vetter, ja freilich –

(Vetter tritt mit Luisen ein, die ihn an der Hand führt.)

Pfarrer (ihm entgegen). Nŭ, grüeß Gott, willkommen, lieber Herr Vetter! (Umarmt ihn.)

Frau Pfarrerin. Wie freut mich's, – willkomme in meim Haus, lieber Herr Vetter! Meinen mütterlichen Kuß! (Umarmt und küßt ihn.)

Vetter. Endlich! endlich! Lang ersehnter Moment! Sehe ich endlich meine theuern Verwandten! Könnte mein Vater, meine gute verstorbene Mutter bei uns sein! – Und Sie holdes, schönes Cousinchen, wir haben uns ja erst so flüchtig gegrüßt. – Gestatten Sie, versagen Sie nicht! (Küßt sie.)

Vikar (am Proscenium). Entsetzlich!

Pfarrer. Ich hab' die Ehr', Ihnen auch meinen Herrn Vikar vorzustellen, Herrn Kandidat Werner.

Vetter. Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen (reicht die Hand). –

Vikar (verbeugt sich kurz und stöckisch, reicht zögernd die Hand).

Vetter. Wohl aus der berühmten Pflanzschule von Theologen, dem sogenannten Stift hervorgegangen?

Vikar. Ich denk', kĕi Schand wär's net.

Pfarrer (schnell ablenkend). Wie bedaur' ich, lieber Herr Vetter, daß Ihr lieber Besuch in so unruhige, stürmische Tage fällt – Sie haben von dem drohenden französischen Freischar-Einfall gehört –

Vetter. Weiß, weiß! Hat mir viel zu lachen gegeben – zwei Kompagnien Preußen, wenn wir die hier hätten, da sollten Sie man seh'n –

Vikar (stark). Wege Sellem!

Vetter. Bitte, wegen welches Sellem? Wer ist der Sellem? Unbekannte Persönlichkeit!

(Es klopft.)

Pfarrer. Herein!

 

Neunter Auftritt.

Ein Unteroffizier. Die Vorigen.

Unteroffizier (grüßt militärisch). Ich hab' Befehl, dem Herrn Pfarrer diesen Quartierzettel zu überbringen.

Pfarrer (nachdem er gelesen). Guck au! 's wird en Offizier bei uns zum Quartier ăg'sagt.

Vikar (am Prosceninm). Au voll!

Pfarrer (fortfahrend). E Herr Unterlieutnant Heinrich Schmid. Nŭ, gottlob! Militärischer Schutz! Wird mehr Militär im Dorf ĕiquartirt?

Unteroffizier. Vierzig Mann, ein halber Zug. Unser Bataillon ist in der Oberamtsstadt einmarschirt, zwei Kompagnien sind auf die Dörfer vertheilt. (Grüßt militärisch. Ab.)

Pfarrer. Nŭ, wär' der Feind so nah, als mer g'meint hat, so wär' des Bataillon net so verstückelt. Mer sieht, daß emȃl vor's Erst' für innere Ordnung g'sorgt wird. Jetzt, Herr Vetter, machet Sie sich's bequem, Sie werde ausruhe wolle.

Vetter. Gern, gern, bin etwas überwacht und verschüttelt –

Frau Pfarrerin. Ihr Zimmer ist g'richtet, 's steht au Erfrischung bereit. Du, Luisle, komm, mer wollet jetzt 's ander Gaststüble für de Lieutnant richte –

(Alle ab, außer Luise, die unter der Thüre vom Vikar festgehalten wird.)

 

Zehnter Auftritt.

Vikar und Luise.

Vikar. Luisle, sei so guet und bleib' nŏ e bisle.

Luise. Laß me, ich mueß schnell fort.

Vikar. Nŏ e Frȃg' oder zwei!

Luise. Was soll's?

Vikar. Also den Berliner Windbeutel kusse?

Luise. Karl, i verbitt' mir's; mĕi Vetter ist kĕi Windbeutel, und en Kuß in Ehre kann niemand verwehre.

Vikar. Guet, schŏ guet. So stehet mer? Und jetzt kommt gar nŏ e Leutnant!

Luise. Was ist's dernȃ! D' Offizier han i immer gern g'sehe, so en Uniform ist ebbes Netts und es sind höfliche, manierliche, ritterliche Leut'.

Vikar. Jetzt im hohe Ernst! Mir ist's um Dei Seelewohl. Ich warn' Dich vor de Offizier, insonderheit vor de Leutnant. I sag' Dir nŏ, so e Leutnant, das ist ein höchst ŭsittliches Wese.

Luise. Karl, des spricht aus Dir net d' Vernunft, nŏ die dumm' Eifersucht.

Vikar. Dumm? Dumm? Des ist e Tusch.

Luise. I kann's au verbessere. Net recht ist's, mi so plȃge, und grad jetzt, wo i für Di manches leide mueß.

Vikar. Net recht ist's, mi so plȃge, grad jetzt, wo i – nŭ, i will mi net selber lobe.

Luise. Wenn e Mensch so eifersüchtig ist, bei soeme Mă kann mer sich kein Friede und kĕi Rueh verspreche. Adje!

Vikar. Des thuet wie Abschied. Wenn's sĕi mueß: Adje!

Luise. 's ist ĕis, wer de Abschied kriegt oder gibt. Adje! (Geht heftig ab.)

 

Elfter Auftritt.

Vikar allein.

Vikar. Also aus isch! Matthäi am letzte! Und so behandelt mi des Mädle, wo i grad ihr Haus, i darf sage mannhaft, gege g'fährliche Feind' vertheidigt han. – Adje! – Schöne Dag' sind's e Zeitlang g'wese in dere Liebe. O, wie sie mi 's erstmȃl kußt hat in der Gartelaub'! Wie nȃ der Pfarrer obe im Dachlade mit eme große Perspektiv erschiene ist, hat's aufg'schrauft, runterspionirt, aber z'spät – Alle die selige Stunde! O! – (Seine Stimme bricht.) Aus für immer! Nie wieder! (Weinend.) Nĕi, i zwing me nemme länger – O! O! Und sie ist erst nŏ so e, so e(laut schluchzend) saumäßig netts Mädle!
        (Man hört klopfen.)
Jerem, 's kommt ebber! 's ischt g'wieß der neu Feind, der Leutnant – (Wischt schnell die Thränen ab.) Herein!

 

Zwölfter Auftritt.

Vikar, dann Lieutenant.

Lieutenant Schmied (eintretend). Bitte um Entschuldigung, ich suche den Herrn Dekan, mich ins Quartier zu melden.

Vikar (Haltung annehmend, steif). Der Herr Dekan ist ohne Zweifel in seinem Studirzimmer, ich will – – Ja, wa –

Lieutenant. Ja, wa –

Vikar. Ja bist denn Du der Paukerle?

Lieutenant. Ja bist denn Du's, Murrle?

Vikar. Ja, wie kommst denn Du dȃher – Unter d' Soldate bist gange? Mĕi Seel hat net an Di denkt, wie der Lieutenant Schmied ăg'sagt worden ist, 's gibt so viele Schmied und mer hat jȃ Dein rechte Name in Tübinge ganz vergesse g'het, seit drei Jȃhr han e nex von Der g'hört, i han denkt, Du seist schŏ wohlb'stellter Aktuar. Warum bist denn Soldat worde?

Lieutenant. Ha, Narr, weißt, 's Studire ist mer ebe am End' z'langweilig worde.

Vikar. Ja, ja, Du bist äls lieber auf'm Haubode und in der Kneip' g'lege.

Lieutenant. Nŭ, Du hast grad au net immer g'stuhlt, bist au net de Büecher z'lieb aus em Stift austrete. – Aber was ist denn los? Du hast g'heult, – mĕist, i häbs net g'hört? Doch net aus Jammer und Angst wege der Franzoseschar? Du bist jȃ im Gegetheil au Soldat worde, ich weiß schŏ, i han schŏ von Deiner Heldethat g'hört – à propos, die vier Lumpe sind schŏ sicher beig'steckt, – und drauße han i Euer saubere Kompagnie g'sehe, e propers Korps, i mueß sage.

Vikar. Lach nŏ, mĕitwege, mir ist's net zum Lache.

Lieutenant. Ja nŭ, was gibt's denn?

Vikar. I kann's net sage.

Lieutenant. Aber i denk' mer's; i weiß schŏ, 's ist e nette Tochter im Haus. D' Vikare verliebet sich alle in d' Pfarrtochter – g'steh', dȃ hat's ebbes gebe.

Vikar. In Gottes Name, ich will Der's g'stehe. Jȃ, 's ist eine dȃ, schö, g'scheidt, lebhaft, ămuthig, se hat mĕi Herz g'wonne und i 's ihrig' – und (mit Thränen kämpfend) – jetzt ist's aus!

Lieutenant. Wȃrum denn aus?

Vikar. Ŭtreu ist se – e Kokett ist se – Ĕ Vetter ist kommee Berliner, e ächter – schwätzt em Teufel e Ohr weg – i hab' se g'warnt – umsonst, glei beim erste Grueß hat sie'n kußt und hat jetzt immer e zärtlichs Gethue mit em, – dernȃ bist Du ăg'meldet worde – d. h. eben e Offizier, i hab' jȃ net g'wißt, wer? – jetzt habe i se wieder gewarnt, jetzt hat se erst recht de Kopf aufgesetzt, hat mer trotzt und ordentlich in Aussicht g'stellt, se wöll sich von dem Offizier recht poussire lasse, drüber ist's zum Bruch komme – gut Nacht! ab und aus, und i gang jetzt fort, naus, fort!

Lieutenant. Hör', Murrle, mir scheint, Du kăst d' Mädle net behandle. Narr, so e Warnerei, des könnet se älle net leide. Gang eweg, De bist eifersüchtig – schŏ in Tübinge bist e eifersüchtigs Luder g'wese – sonst hätt's au die Paukerei net gebe – wegen em Minele in der Neckergaß; hätt' i Di net so guet ĕipaukt, der Korpsbursch hätt' Di ausg'schmiert. Ĕ hitziger Kerle bist au, kommst glei aus em Häusle – jetzt sei g'scheidt, 's wird net Alles verlore sĕi. Mer mueß net so glei weich gebe.

Vikar. Mĕist?

Lieutenant. Laß Der was sage: i will mer d' Leut' und d' Lag' emȃl ăsehe. Vielleicht i kă Der helfe. Ist der Vetter so e Windbeutel, mer wöllet e nunterdrucke, daß Dĕi Schatz sieht, wer Meister ist – i will en aufs Korn nemme, Du sekundirst, aber net z' wild – merk Der's – 's Weitere wird sich gebe. Jetzt richt Di auf, – der Liebesjammer hat Di ganz g'lähmt – Aber Donnerwetter, wie lang schwätz i, i mueß mi jȃ beim Pfarrer melde!

Vikar. Wie lang kannst denn vielleicht bleibe? Wie steht's denn mit der G'fȃhr im Land? Wirst bald wieder abmarschiereesse.

Lieutnant. Mer wisset gar nex. 's kommt mer vor, obe drobe in Stuegert hent se au de Kopf verlore. 's weiß kĕi Mensch, sollet mer de Feind sueche oder erwarte. Aber so viel ist g'wieß, jeden Augeblick kann Ordre komme, daß i wieder zum Bataillŏ ĕirücke mueß. Also, was dȃ im Haus in Deiner Sach' g'schehe soll, mueß bald g'schehe. Hellauf! D' Soldate b'sinnet sich net lang. Jetzt komm'!

(Beide Arm in Arm ab.)

 


 


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