Alfred de Vigny
Hauptmann Renauds Leben und Tod
Alfred de Vigny

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6. Empfang

Als der Hauptmann sich hier unterbrach, schaute ich nach der Zeit. Zwei Uhr nach Mitternacht war's. Er stand auf und wir gingen zu den Grenadieren. Tiefes Schweigen herrschte überall. Viele hatten sich auf ihre Tornister gesetzt und waren eingeschlafen. Wir setzten uns einige Schritte seitab auf die Brustwehr und er fuhr mit seiner Erzählung fort, nachdem er sich an der Pfeife eines Soldaten seine Zigarre angesteckt hatte. Nicht ein Haus war da, das ein Lebenszeichen von sich gab.

»Sowie ich in Paris angelangt war, wollte ich den Kaiser sehn. Gelegenheit dazu hatte ich im Hoftheater, wohin mich einer meiner früheren Kameraden, der Oberst geworden war, führte. Es war da unten in den Tuilerien. In eine kleine Loge setzten wir uns, der Kaiserloge gegenüber, und warteten. Nur erst die Könige waren im Saal. Jeder von ihnen saß in einer Loge des ersten Ranges und hatte seinen Hof um sich und vor sich auf den Galerien seine Adjutanten und vertrauten Generäle. Die Könige von Westfalen, von Sachsen und Württemberg, alle Fürsten des Rheinbundes waren im gleichen Range untergebracht. Bei ihnen stand, laut und lebhaft sprechend, Murat, König von Neapel, schüttelte seine schwarzen wie eine Mähne gelockten Haare und warf Löwenblicke um sich. Weiter oben der König von Spanien, und allein abseits der russische Gesandte, Fürst Kurakim, mit Diamanten beladenen Achselstücken. Im Parterre die Menge der Generäle, Herzöge, Prinzen, Obersten und Senatoren. Oben überall die bloßen Arme und nackten Schultern der Damen des Hofes. Die Loge, über welcher der Adler prangte, war noch leer; unaufhörlich schauten wir hin. Nach kurzer Zeit erhoben sich die Könige und blieben aufrecht stehn. Schnellen Schrittes betrat der Kaiser allein seine Loge, warf sich schnell in einen Sessel und blinzelte vor sich hin; dann erinnerte er sich, daß der ganze Saal aufrecht stand und eines Blickes harrte, jäh und übelgelaunt schüttelte er zweimal den Kopf, drehte sich schnell um und ließ Königinnen und Könige sich setzen.

Seine rotgekleideten Kammerherren standen aufrecht hinter ihm. Er sprach mit ihnen, ohne sie anzusehn, und von Zeit zu Zeit streckte er die Hand aus, um eine goldene Dose in Empfang zu nehmen, die ihm einer von ihnen gab und wieder zurücknahm. Mit einer Engelsstimme, die von einem hektischen und gefurchten Gesichte ausging, sang Crescentini »die Horatier«. Das Orchester spielte auf des Kaisers Befehl zart und leise; vielleicht wollte er wie die Lacedämonier von der Musik lieber beruhigt als angeregt werden. Er blinzelte vor sich hin und sehr häufig nach meiner Seite. Ich erkannte seine großen graugrünen Augen wieder, doch das gelbliche Fett, worin seine strengen Züge ertrunken waren, gefiel mir nicht. Seiner Gewohnheit gemäß legte er, um besser sehn zu können, seine linke Hand über das linke Auge; ich fühlte, daß er mich wiedererkannt hatte. Er drehte sich jäh um, sah nur auf die Bühne und ging bald fort. Ich stand bereits auf seinem Wege. Er ging schnell durch den Korridor und seine fetten, in weißseidene Strümpfe gepreßten Beine, sein aufgeschwemmter Leib unter seinem grünen Oberrock machten ihn mir fast unkenntlich. Kurz blieb er vor mir stehen und sagte, statt das Wort direkt an mich zu richten, zu dem mich vorstellenden Obersten:

»Warum hab' ich ihn nirgendwo gesehn? Noch Leutnant?«

»Er war seit Achtzehnhundertvier Gefangener.«

»Warum ist er nicht entflohen?«

»Ich hatte mein Ehrenwort gegeben«, erklärte ich halblaut.

»Ich mag keine Gefangenen,« sagte er, »man läßt sich töten.«

Er kehrte mir den Rücken. Wir bildeten unbeweglich Spalier; als sein ganzes Gefolge an uns vorbeigezogen war, sagte der Oberst zu mir:

»Da siehst Du nun, mein Lieber, daß Du ein Einfaltspinsel warst, bist um Deine Beförderung gekommen und man weiß Dir nicht mal Dank dafür.«


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