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V.
Malta.

Der Sohn des Fischers von Rovigno also war es, der soeben seinen Namen dem Doctor Antekirtt genannt hatte. Durch eine Fügung der Vorsehung war es Luigi Ferrato, dessen Muth und Geschicklichkeit die Dampfyacht, ihre Passagiere, die ganze Mannschaft vor einem sicheren Untergange retten sollte.

Der Doctor stand schon im Begriffe, auf Luigi zuzustürzen, um ihn in seine Arme zu schließen. Er hielt sich jedoch zurück. Denn Graf Sandorf wäre es gewesen, der sich durch dieses voreilige Wiedererkennen verrathen hätte, Graf Sandorf aber sollte für Alle todt sein, selbst für den Sohn Andrea Ferrato's.

Peter dagegen, der zu derselben Zurückhaltung und aus denselben Gründen verpflichtet war, hätte beinahe sein Versprechen vergessen, wenn nicht der Doctor ihn mit einem Blicke gewarnt haben würde. Beide stiegen in den Salon hinab, wohin Luigi zu folgen ersucht wurde.

»Seid Ihr mein Freund, so fragte ihn der Doctor, der Sohn jenes Fischers in Rovigno, der sich Andrea Ferrato nannte?

– Ja, mein Herr, antwortete Luigi.

– Habt Ihr nicht eine Schwester?

– Ja, wir wohnen bei einander in La Vallette. – Haben Sie, so setzte er zögernd hinzu, vielleicht meinen Vater gekannt?

– Ihren Vater? Nein, erwiderte der Doctor. Ihr Vater gab vor fünfzehn Jahren zwei Flüchtlingen Obdach in seinem Hause in Rovigno. Diese Flüchtlinge waren zwei meiner Freunde, welche seine Ergebenheit nicht zu retten vermochte. Doch diese Ergebenheit hat Andrea Ferrato Freiheit und Leben gekostet, er wurde nach Stein geschickt und starb dort ...

– Ohne seine That bedauert zu haben,« antwortete Luigi.

Der Doctor ergriff die Hand des jungen Fischers.

»Ich bin es, Luigi, sagte er, dem meine Freunde den Auftrag gegeben haben, die Verbindlichkeit, die gegen Euren Vater eingegangen wurde, zu lösen. Seit einer Reihe von Jahren habe ich vergebens zu erfahren versucht, was aus Euch und Eurer Schwester geworden war; allein man hatte Eure Spuren von Rovigno aus verloren. Gott sei gelobt, daß er Euch gerade zu meiner Hilfe gesandt hat. Dem Schiffe, das Ihr gerettet habt, habe ich zum Gedächtniß an Andrea den Namen »Ferrato« gegeben ... Laßt mich Euch umarmen, mein Freund!«

Während der Doctor Luigi an die Brust drückte, fühlte dieser seine Augen sich mit Thränen füllen.

Peter konnte sich angesichts dieser rührenden Scene nicht zurückhalten. Es war ihm, als zöge ihn sein ganzes Selbst mit unwiderstehlicher Gewalt zu dem jungen, fast gleichaltrigen Manne hin, dem braven Sohne des Fischers von Rovigno.

»Auch mich, auch mich! rief er mit ausgebreiteten Armen.

– Sie, mein Herr?

– Mich auch ... den Sohn Stephan Bathory's.

Der Doctor konnte es schwerlich bedauern, daß dieses Geständniß Peter entschlüpft war. Gewiß nicht. Er war überzeugt, daß Luigi Ferrato das Geheimniß bewahren würde, wie Pointe Pescade und Kap Matifu es ebenfalls gethan hatten.

Luigi wurde alsdann von Allem unterrichtet und erfuhr namentlich, welchen Zweck Doctor Antekirtt verfolgte. Nur eine Sache wurde ihm verheimlicht: der junge Fischer sollte nicht wissen, daß er vor dem Grafen Mathias Sandorf stand.

Der Doctor wollte sich unverzüglich zu Maria Ferrato führen lassen. Er brannte darauf, sie wiederzusehen, namentlich das Leben, das sie jetzt führte, kennen zu lernen, gewiß ein Leben voller Arbeit und Armuth, da der Tod Andrea's ihr den Bruder auf dem Hals gelassen hatte.

»Gut, Herr Doctor, sagte Luigi, wenn Sie wollen, gehen wir sofort an Land. Maria wird überdies meinetwegen sehr besorgt sein. Es sind nun bald achtundvierzig Stunden her, daß ich sie verlassen habe, um auf der Rhede von Melleah zu fischen, und sie glaubt vielleicht, daß mir bei dem Unwetter in dieser Nacht ein Unglück zugestoßen ist.

– Ihr liebt Eure Schwester sehr? fragte Doctor Antekirtt.

– Sie ist mir Mutter und Schwester zugleich,« erwiderte Luigi.

Gehört die hundert Kilometer von Sicilien gelegene Insel Malta zu Afrika oder zu Europa? Das ist eine Frage, deren Lösung die Geographen schon vielfach in Aufregung versetzt hat. Wie dem auch immer sei, nachdem sie von Karl V. den Johanniterrittern geschenkt worden war, die von Soliman aus Rhodos vertrieben wurden und hier den Namen Malteserritter annahmen, gehört sie jetzt den Engländern und es würde sehr schwer halten, sie diesen wieder zu nehmen.

Malta ist eine Insel, deren Länge achtundzwanzig, deren Breite sechszehn Kilometer beträgt. Ihre Hauptstadt bildet La Vallette und deren Ausläufer; es liegen noch andere Städte und Ortschaften auf der Insel, so Citta Vecchia – einer Art heiliger Stadt, die zur Zeit der Ritter der Sitz des Bischofs war – Bosquet, Dinghi, Zebug, Ita, Berkercara, Luca, Farrugi und so fort. Sehr fruchtbar in seinem östlichen, sehr dürr in seinem westlichen Theile, bietet es einen auffallenden Contrast, der sich deutlich dadurch ausdrückt, daß die Bevölkerung – im Ganzen über einmalhunderttausend Seelen – im östlichen Theile viel dichter als am entgegengesetzten Ende sitzt.

Was die Natur für diese Insel dadurch gethan hat, daß sie in das Gestade vier bis fünf Häfen – die schönsten der Welt – eingelassen hat, spottet jeder Einbildungskraft. Ueberall Wasser, überall Landspitzen, Kaps und Anhöhen, die sich zur Aufnahme von Befestigungen und Batterien eignen. Hatten schon die Ritter die Insel zu einem schwer einnehmbaren Platz gemacht, um wie viel mehr erst die Engländer, welche sie trotz des Friedens von Amiens behielten und sie geradezu uneinnehmbar machten. Kein Panzerschiff, so scheint es, wäre im Stande, den Eingang zur Großen Marse oder großen Hafen, noch weniger zum Quarantaine-Hafen oder Marse Muscetto zu erzwingen. Vorausgesetzt, daß ein solches sich nähern könnte, so würde es jetzt Zweihunderttonnengeschütze vorfinden, die mit Hilfe ihrer hydraulischen Lade- und Zielvorrichtungen ein neunhundert Kilo schweres Geschoß fünfzehn Kilometer weit schleudern können. Dies den Mächten zur Nachricht, welche mit Bedauern diese herrliche Station in den Händen der Engländer sehen, die das centrale Mittelmeer beherrscht, innerhalb welcher sämmtliche Flotten oder Geschwader des vereinigten Königreiches Platz finden können.

Natürlich gibt es Engländer in Malta. Man findet dort einen Generalgouverneur, der in dem einstigen Palast des Großmeisters des Ordens wohnt, einen Admiral, der der Chef der Marine und der Häfen ist, eine Garnison von vier- bis fünftausend Mann; doch leben auch Italiener dort, die sich daselbst gern zu Hause fühlen möchten, ferner findet man eine kosmopolitische wandernde Bevölkerung vor, wie auf Gibraltar, und namentlich Malteser.

Die Malteser sind Afrikaner. In den Häfen lenken sie ihre mit grellen Farben angestrichenen Barken; in den Straßen leiten sie ihre Fuhrwerke über Schwindel erregende Abhänge; auf den Märkten verkaufen sie Früchte, Hülsenfrüchte, Fleisch, Fische im Scheine einer kleinen, buntangestrichenen Heiligenlampe, inmitten eines betäubenden Lärms. Man könnte behaupten, daß alle diese Menschen sich gleichen mit ihrem schwarzbraunen Teint, ihren schwarzen, etwas krausen Haaren, ihren glühenden Augen und ihrer mittelgroßen, aber kräftigen Gestalt. Man möchte darauf schwören, daß die Frauen einer einzigen Familie entstammen; ihre langwimprigen Augen sind gleich groß, ihre Haare gleich dunkel, ihre Hände entzückend, ihre Füße zierlich, ihre Hüften schlank und geschmeidig, ihre Haut ist von einer Weiße, welche die Sonne unter der Falzetta, einer Art Mantel aus schwarzer Seide, nicht bräunen kann; dieser Mantel wird nach tunesischer Mode getragen, er ist allen Classen gemeinsam und dient zu gleicher Zeit als Haarschmuck, Mantille und selbst als Fächer.

Die Malteser besitzen kaufmännischen Sinn. Man trifft sie überall da, wo es etwas zu handeln gibt. Sie sind arbeitsam, ökonomisch, industriell, nüchtern, aber auch heftig, rachsüchtig, eifersüchtig, so weit man wenigstens vom niederen Volke schließen kann, das sich am meisten dem Studium des Beobachters darbietet. Sie sprechen eine Art von Patois, dem das Arabische zu Grunde liegt, ein Ueberbleibsel von der Eroberung, welche dem Niedergange des römischen Kaiserreiches folgte, eine lebhafte, bewegte, malerische Sprache, die sich vortrefflich zu Gleichnissen, Bildern, zur Poesie eignet. Die Malteser sind treffliche Seeleute, wenn man sie zu fesseln versteht, und kühne Fischer, welche die häufigen Stürme dieser Meere mit allen Gefahren vertraut gemacht haben.

Auf dieser Insel also übte Luigi sein Gewerbe jetzt mit derselben Kühnheit aus, als wenn er Malteser gewesen wäre und hier wohnte er seit fast fünfzehn Jahren mit seiner Schwester Maria.

La Vallette und seine Ausläufer wurde oben gesagt. Die Stadt besteht nämlich thatsächlich aus wenigstens sechs Städten, die um die beiden Häfen der Großen Marse und den Quarantaine-Hafen herum liegen. Floriana, La Senglea, La Cospiqua, La Vittoriosa, La Sliema, La Misida sind keine Vororte, auch keine bloßen Anhäufungen von Häusern, welche arme Leute bewohnen, sondern wirkliche Städte, mit prächtigen Wohnungen, Hotels, Kirchen, die der Hauptstadt von fünfundzwanzigtausend Menschen zur Zierde gereichen, in welcher man Paläste bewundern kann, die sich » auberges de Provence, de Castille, d'Auvergne, d'Italie und de France« nennen.

Bruder und Schwester wohnten in La Vallette selbst. Es wäre vielleicht richtiger zu sagen unter La Vallette, denn sie bewohnten eine Art unterirdisches Quartier, genannt das Manderaggio, zu dem sich der Eingang in der Strada San Marco befindet. Dort hatten sie ein Unterkommen finden können, das ihren schwachen Einkünften entsprach und hierhin führte Luigi den Doctor und Peter, sobald die Dampfyacht vor Anker gegangen war.

Alle drei stiegen am Quai aus, nachdem sie hunderte von Barken, die ihnen ihre Dienste anboten, abweisen hatten müssen. Sie durchschritten die Porta della Marina, halb betäubt von dem Spiel und Getön der Glocken, das sich wie eine klingende Luft über die Hauptstadt von Malta legt. Nachdem sie das Fort mit doppelten Kasematten passirt hatten, stiegen sie eine steile Rampe hinauf, sodann eine aus Stufen sich aufbauende schmale Straße. An den hohen Häusern mit grünlichem Vorbau und Nischen mit angezündeten Heiligenlampen vorüber gelangten sie zur Kathedrale vom heiligen Johannes, die inmitten der lärmendsten Bevölkerung der Erde gelegen ist.

Nachdem sie in der Nähe der Kathedrale den Rücken der Anhöhe erreicht, stiegen sie wieder hinunter und sie wendeten sich nunmehr dem Quarantaine-Hafen zu; dann in der Strada San Marco machten sie in halber Höhe des Abhanges vor einer Treppe Halt, die zur Rechten zu den tiefer gelegenen Theilen der Stadt hinabführt.

Das Manderaggio ist ein Stadttheil, der sich mit seinen engen Straßen, in welche die Sonne niemals hineindringt, und mit seinen hohen gelblichen Mauern, die unregelmäßig von tausenden theils vergitterten, theils offenen als Fenster dienenden Löchern durchsiebt sind, bis unter die Wälle hinzieht. Ueberall Wendeltreppen, die zu vollkommenen Cloaken führen, niedrige, feuchte, schmutzige Thüren wie in den Häusern einer Kasbah, schluchtartige Laufgräben, dunkle Tunnels, die nicht einmal den Namen von Gäßchen verdienen. Und vor allen Oeffnungen und Luftlöchern, in den schief getretenen Hausfluren, auf den wackelnden Stufen eine entsetzliche Menschheit; alte Weiber mit Hexengesichtern, Mütter mit blutleerem Antlitz, deren Blutlosigkeit durch den Mangel an frischer Luft herbeigeführt wird, in Lumpen gehüllte Mädchen jeden Alters, kränklich aussehende, halbnackte Knaben, die sich im Schlamme wälzen, Bettler, welche ihre verschiedenen, goldene Früchte tragenden Entstellungen und Wunden zur Schau stellen, Männer, Lastträger oder Fischer mit wildem Aussehen, zu allen schlechten Thaten schnell bereit – und inmitten dieses Menschengewimmels einige phlegmatische Polizisten, welche sich an diese unglaubliche Gesellschaft schon gewöhnt haben und nicht nur mit diesem Schwarm vertraut, sondern auch verwandt sind. Ein vollkommener »Hof der Wunder«, doch sichtbar inmitten befremdlicher Bauwerke, deren letzte Verästelungen in vergitterte Kellerwohnungen enden, deren Mauern die Dicke von Vorhängen besitzen und die in gleicher Tiefe mit dem Quai des Quarantaine-Hafens liegen, der von der Sonne beschienen und von der Seebrise überhaucht wird.

In einem dieser Häuser und zwar im obersten Stockwerke wohnten Maria und Luigi Ferrato. Nur zwei Kammern nannten sie ihr Eigen. Der Doctor fühlte sich von der Armuth, aber auch von dem reinlichen Aussehen dieser Wohnung eigenthümlich berührt. Man erkannte hier überall die Hand der sorgsamen Haushälterin, die einst über das Haus des Fischers von Rovigno waltete.

Als der Doctor und Peter eintraten, erhob sich Maria schnell. Dann sich dem Bruder zuwendend, rief sie:

»Mein Kind! ... Mein Luigi!«

Man begreift, welche Angst sie während des Sturmes in der vergangenen Nacht ausgestanden hatte.

Luigi umarmte die Schwester und stellte ihr seine Begleiter vor.

Der Doctor erzählte mit wenigen Worten, unter welchen Umständen Luigi sein Leben in die Schanze geschlagen hatte, um das dem Untergange geweihte Schiff zu retten und zu gleicher Zeit verwies er sie auf Peter, den Sohn Stephan Bathory's.

Während er sprach, betrachtete ihn Maria mit so großer Aufmerksamkeit, daß der Doctor einen Augenblick mit Recht befürchten konnte, sie hätte in ihm den Grafen Sandorf wiedererkannt. Doch war es nur ein flüchtiges Aufblitzen in ihren Augen gewesen, das bald wieder erlosch. Wie hätte sie ihn auch nach fünfzehn Jahren wiedererkennen sollen, ihn, der außerdem nur auf wenige Stunden der Gast ihres Vaters gewesen war.

Die Tochter von Andrea Ferrato war jetzt dreiunddreißig Jahre alt. Sie war immer noch schön zu nennen durch die Reinheit der Linien ihres Antlitzes und das Feuer ihrer großen Augen. Nur einige wenige weiße Haare, die sich in das schwarze Gelock ihres Hauptes mischten, besagten, daß sie mehr durch die Härten ihrer jetzigen Lebensweise als durch die lange Dauer derselben gelitten hatte. Das Alter war unschuldig an diesem frühzeitigen Weiß, welches seine Entstehung der Ueberanstrengung, den Sorgen und Schmerzen verdankte, die sie seit dem Tode des Fischers von Rovigno durchkostet hatte.

»Eure und Luigi's Zukunft gehören von nun an uns, mit diesen Worten schloß der Doctor seine Erzählung. Sind meine Freunde nicht die Schuldner Andrea Ferrato's geblieben? Ihr erlaubt also, Maria, daß sich Luigi von uns nicht mehr trennt?

– Mein Bruder hat in dieser Nacht nur gethan, was er thun mußte, meine Herren, antwortete Maria, und ich danke dem Himmel, daß er ihm diesen guten Gedanken eingegeben. Er ist der Sohn eines Mannes, der stets nur Eines gekannt hat, die Erfüllung seiner Pflicht.

– Und wir kennen ebenfalls nur Eines, erwiderte der Doctor, nämlich unser Recht, die Schuld der Erkenntlichkeit den Kindern desjenigen abzustatten ...«

Er hielt inne. Maria betrachtete ihn von Neuem und dieser Blick drang ihm durch und durch. Er fürchtete zuviel gesagt zu haben.

»Ihr würdet doch Luigi gewiß nicht hindern, Maria, mein Bruder zu sein? fragte Peter Bathory.

– Und Ihr selbst habt doch gewiß nichts dagegen, Maria, wenn ich Euch zu meiner Tochter mache?« setzte der Doctor hinzu und reichte Jener die Hand.

Maria mußte nun ihr Leben seit ihrem Auszuge aus Rovigno schildern, wie ihr dort das Spioniren der österreichischen Agenten das Leben unerträglich machte, warum sie den Gedanken faßte, nach Malta zu übersiedeln, woselbst Luigi Gelegenheit fand, sich zum Seemann auszubilden und nebenbei das Gewerbe als Fischer zu betreiben, wie sie die vielen Jahre zugebracht hatten, in deren Verlauf sie gegen das Elend ankämpfen mußten, denn ihre schwachen Hilfsmittel waren nur zu bald erschöpft.

Doch Luigi wetteiferte an Kühnheit und Geschicklichkeit bald mit den Maltesern, deren Ruf ein äußerst guter ist. Ein vortrefflicher Schwimmer wie sie selbst, hätte er sich mit dem berühmten Nicolo Pescei messen können, aus La Vallette gebürtig, der, wie man sagt, Depeschen von Neapel nach Palermo überbrachte, indem er das Aeolische Meer durchschwamm. Luigi besaß auch große Geschicklichkeit in der Jagd auf wilde Tauben und Gewittervögel, deren Nestern man bis in das Innere jener unermeßlichen Grotten nachgeht, welche die Brandung des Meeres so gefährlich macht. Ein kühner Fischer, hatte er sein Boot noch nie vor einem Windstoße geborgen, wenn es sich darum handelte, seine Netze oder Leinen auszuwerfen. Daher kam es auch, daß er in der vergangenen Nacht auf der Rhede von Melleah gerade Zuflucht gesucht hatte, als er die Signale der in Noth befindlichen Dampfyacht vernahm.

Doch in Malta herrscht ein so großer Ueberfluß an Seefischen, Seevögeln, Mollusken, daß ihr billiger Preis die Fischerei wenig ergiebig macht. Trotz seines Eifers hatte Luigi Mühe genug, den kleinen Haushalt mit dem Nöthigsten zu versorgen, wenngleich auch Maria ihm durch Anfertigung von Nähereien zu Hilfe kam. Daher hatte man, um das schon auf das Aeußerste beschränkte Budget nicht völlig zu belasten, eine Wohnung im Manderaggio nehmen müssen.

Während Maria ihre Geschichte erzählte, kehrte Luigi, der inzwischen in sein Zimmer gegangen war, mit einem Briefe in der Hand zu den Uebrigen zurück. Dieser enthielt die wenigen Zeilen, die Andrea Ferrato noch kurz vor seinem Tode geschrieben hatte:

»Maria, so lauteten sie, ich empfehle Dir Deinen Bruder! Er wird bald nur noch Dich auf Erden haben. Ich empfinde kein Bedauern über das, was ich gethan habe, liebe Kinder, vielleicht nur darüber, daß es mir nicht gelungen ist, die durch Aufopferung meiner Freiheit und meines Lebens zu retten, welche sich mir anvertraut hatten. Was ich gethan habe, würde ich gern nochmals thun. Vergeßt nie Euren Vater, der noch im Tode Euch seine letzten herzlichen Gefühle übermittelt.

Andrea Ferrato.«

Peter Bathory war nicht im Stande, während der Verlesung dieses Briefes seine Betrübniß zu verbergen, während der Doctor Antekirtt den Kopf abwendete, um sein Gesicht den Blicken Maria's zu entziehen.

»Luigi, sagte er dann mit absichtlicher Barschheit, Euer Boot ist heute Nacht durch den Anprall an meine Yacht in Stücke gegangen.

– Es war schon alt, Herr Doctor, erwiderte Luigi, und für jeden Anderen würde sein Verlust kein großer sein.

– Das mag sein, Luigi, doch müßt Ihr mir schon erlauben, es durch ein anderes zu ersetzen, und zwar durch das Schiff selbst, welches Ihr gerettet habt.

– Wie?

– Wollt Ihr zweiter Officier an Bord des »Ferrato« sein? Ich könnte einen jungen, thätigen Menschen und tüchtigen Seemann schon gebrauchen.

– Nimm an, Luigi, nimm an! rief Peter.

– Aber meine Schwester?

– Eure Schwester wird zu der großen Familie gehören, die meine Insel Antekirtta bewohnt, antwortete der Doctor. Euer Leben gehört für die Folge mir, und ich werde Euch so glücklich machen, daß Eure Vergangenheit nichts Bedauerliches mehr für Euch haben wird, es müßte denn der Umstand sein, daß Ihr Euren Vater verloren habt.«

Luigi hatte sich stürmisch über die Hände des Doctors gebeugt, er drückte und küßte sie, während Maria ihre Erkenntlichkeit nur durch Thränen beweisen konnte.

»Ich erwarte Euch morgen an Bord,« sagte der Doctor.

Und schnell war er zur Thür hinaus; es schien, als könnte er seine Bewegung nicht mehr meistern; Peter hatte er ein Zeichen gegeben, ihm zu folgen.

»Ah, sagte er zu ihm, es ist doch ein angenehmes Gefühl, wenn man belohnen kann.

– Ja, ein schöneres, als wenn man bestraft, meinte Peter.

– Und doch muß gestraft werden!«

Am nächsten Tage erwartete der Doctor Maria und Luigi an Bord seines Schiffes.

Kapitän Köstrik hatte inzwischen bereits seine Dispositionen dahin getroffen, daß die Beschädigungen, welche die Maschine der Dampfyacht erlitten, unverzüglich ausgebessert wurden. Dank der Beihilfe der Herren Samuel Grech und Compagnie, Schiffsagenten der Strada Levante, denen das Schiff consignirt worden war, gingen die Arbeiten schnell von Statten. Sie sollten trotzdem fünf bis sechs Tage in Anspruch nehmen, denn die Luftpumpe und der Condensator mußten vollständig auseinandergenommen werden, weil einige Röhren ungenügend functionirten. Dieser Verzug kam dem Doctor Antekirtt höchst ungelegen, denn es verlangte ihn sehnlichst, die sicilische Küste zu erreichen. Er hatte sogar eine Zeit lang die Absicht, den Schooner »Savarena« nach Malta kommen zu lassen, doch ließ er den Plan wieder fallen. Es schien ihm richtiger, sich lieber noch einige Tage zu gedulden und dann mit einem tüchtigen und gut bewaffneten Schiffe nach Sicilien zu fahren.

Vorsichtshalber und für den Fall, daß nicht vorherzusehende Zwischenfälle eintreten sollten, wurde eine Depesche mittelst des unterseeischen Kabels, welches Malta mit Antekirtta verbindet, nach der letzteren Insel befördert. Der Inhalt dieser Depesche ertheilte dem »Electric 2« den Befehl, unverzüglich an der Küste von Sicilien, in den Gewässern bei Kap Portio di Palo, zu kreuzen.

Gegen neun Uhr Früh brachte ein Boot Maria Ferrato mit ihrem Bruder an Bord. Beide wurden von dem Doctor mit Ausdrücken der herzlichsten Freude empfangen.

Luigi wurde dem Kapitän, den Quartiermeistern und der Mannschaft als zweiter Officier vorgestellt. Der Lieutenant, der bis dahin diese Stellung bekleidet hatte, sollte auf den »Electric 2« übergehen, sobald man diesen vor der südlichen Küste Siciliens angetroffen haben würde.

Wenn man Luigi betrachtete, so gab es keine Täuschung: er war ein vollkommener Seemann. Seinen Muth, seine Kühnheit kannte man; sechsunddreißig Stunden vorher hatte er sie auf der Rhede von Melleah gezeigt. Er wurde willkommen geheißen. Sein Freund Peter und Kapitän Köstrik erwiesen ihm die Honneurs beim Ansehen des Schiffes, denn er wünschte es in allen seinen Einzelheiten kennen zu lernen.

Während dieser Zeit unterhielt sich der Doctor mit Maria; er sprach mit ihr von dem Bruder in Ausdrücken, die sie tief ergreifen mußten.

»Ja, er ist der ganze Vater,« sagte sie.

Der Doctor ließ ihr die Wahl, an Bord zu bleiben, bis die geplante Expedition zu Ende geführt sein würde, oder direct nach Antekirtta zurückzukehren, wohin sie sicher geleitet werden sollte. Maria bat ihn, auf dem Schiffe die Fahrt nach Sicilien mitmachen zu dürfen. Es wurde deshalb verabredet, daß sie den Aufenthalt, den der »Ferrato« in La Valletta nehmen mußte, dazu benützen sollte, ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, ihre kleinen Habseligkeiten zu verkaufen, die kaum den Werth von Andenken für sie besaßen, kurz das flüssig zu machen, was sie besaß, so zwar, daß sie sich am Tage vor der Abfahrt in der für sie eingerichteten Kabine häuslich niederlassen konnte.

Der Doctor hatte Maria darüber nicht im Unklaren gelassen, welches seine Pläne waren, die er bis zu ihrer völligen Erfüllung verfolgen wollte. Ein Theil seines Vorhabens hatte sich nun schon dadurch verwirklicht, daß er sich über die Zukunft der Kinder von Andrea Ferrato keine Sorgen mehr zu machen hatte. Jetzt galt es noch, einerseits Silas Toronthal und Sarcany ausfindig zu machen, sodann sich Carpena's zu bemächtigen; Beides mußte geschehen. Die Spuren der beiden Ersten mußten, so rechnete man, in Sicilien wiederaufgefunden werden. Nach dem Dritten sollte dann weiter geforscht werden.

Maria bat darauf den Doctor, ihn unter vier Augen sprechen zu dürfen.

»Ich wollte Ihnen etwas mittheilen, sagte sie zu ihm, was ich bis heute meinem Bruder verbergen zu müssen glaubte. Er hätte sich jedenfalls nicht halten können, wenn er erfahren hätte, was ich weiß, und neues Unglück würde über uns hereingebrochen sein.

– Luigi besichtigt jetzt gerade die Kabinen der Mannschaft, erwiderte der Doctor. Wir wollen in den Salon hinuntergehen, Maria; dort könnt Ihr ohne Besorgniß, gehört zu werden, sprechen.«

Als sich die Thür des Salons hinter ihnen geschlossen hatte, nahmen Beide auf einem Divan Platz und Maria sagte:

»Carpena befindet sich hier, Herr Doctor!

– Auf Malta?

– Ja, seit wenigen Tagen.

– In La Vallette?

– Sogar im Manderaggio, wo wir wohnen.«

Der Doctor war sehr überrascht und sehr befriedigt zugleich von dem soeben Gehörten. Dann fragte er:

»Täuscht Ihr Euch auch nicht, Maria?

– Nein, ich täusche mich nicht. Die Gestalt dieses Menschen haftet zu genau in meinem Gedächtnisse. Ich würde ihn noch nach hundert Jahren mit unfehlbarer Sicherheit wiedererkennen ... Er ist hier.

– Luigi weiß es nicht?

– Nein, Herr Doctor, und Sie werden begreifen, warum ich meine Entdeckung vor ihm verheimlicht habe. Er würde diesen Carpena aufgesucht, ihn gereizt haben, vielleicht ...

– Ihr habt vollständig richtig gehandelt, Maria. Mir allein gehört dieser Mann. Glaubt Ihr, daß er Euch wiedererkannt hat?

– Ich weiß es nicht, Herr Doctor. Zwei- oder dreimal traf ich ihn in den Straßen des Manderaggio; er drehte sich stets mit einer mißtrauischen Aufmerksamkeit nach mir um. Wenn er mir nachgegangen ist, wenn er nach meinem Namen gefragt hat, so muß er auch wissen, wer ich bin.

– Er hat Euch nie angesprochen?

– Niemals.

– Und wißt Ihr vielleicht auch, warum er nach La Vallette gekommen ist, Maria, was er hier thut?

– Alles was ich sagen kann, ist, daß er inmitten der verworfensten Bevölkerung des Manderaggio lebt. Er verläßt kaum die verdächtigsten Wirthshäuser und sucht dort die verwegensten Banditen auf. Da er stets bei Gelde zu sein scheint, so glaube ich, daß er sich damit beschäftigt, die ihm ebenbürtigen Spitzbuben zum Eintritt in eine Verbrecherbande zu verleiten.

– Hier?

– Ich weiß es leider nicht, Herr Doctor.

– Ich werde es schon erfahren.«

Peter betrat jetzt gerade den Salon, ihm folgte der junge Fischer. Die Unterredung war also zu Ende.

»Nun, seid Ihr befriedigt von dem, was Ihr gesehen habt, Luigi? fragte Doctor Antekirtt.

– Der »Ferrato« ist ein Prachtschiff! erwiderte Luigi.

– Ich freue mich, daß er Euch gefällt, Luigi, entgegnete der Doctor, denn Ihr sollt mein zweiter Officier nur so lange bleiben, bis es die Umstände erlauben werden, Euch zum Kapitän zu machen.

– O, Herr Doctor! ...

– Lieber Luigi, meinte Peter, denke daran, daß, wenn der Doctor etwas sagt, es auch sicher geschieht.

– Gewiß geschieht es, Peter, aber sage lieber mit Gottes Hilfe.«

Maria und Luigi verabschiedeten sich vom Doctor und von Peter, um in ihre kleine Behausung zurückzukehren. Es wurde verabredet, daß Luigi seinen Dienst erst nach der Installirung seiner Schwester an Bord antreten sollte. Maria sollte deshalb nicht allein im Manderaggio zurückbleiben, so wollte es der Doctor, weil es doch möglich war, daß Carpena in ihr die Tochter von Andrea Ferrato wiedererkannt hatte.

Als Bruder und Schwester gegangen waren, ließ der Doctor Pointe Pescade kommen, mit dem er in Gegenwart Peter Bathory's sprechen wollte.

Pointe Pescade kam sofort und nahm eine Haltung an, wie sie ein Mann bewahrt, der bereit ist, einen Auftrag entgegenzunehmen und ihn auch sofort auszuführen.

»Ich bedarf Deiner, Pointe Pescade, sagte der Doctor zu ihm.

– Meiner und Kap Matifu's?

– Vorläufig Deiner allein.

– Was soll ich thun?

– Du gehst sofort an Land und begibst Dich in das Manderaggio, das ist eines der unter La Vallette belegenen Stadtviertel; dort miethest Du Dir irgend eine Wohnung, ein Zimmer oder eine Kammer, und zwar in der gewöhnlichsten Herberge.

– Verstanden.

– Von dort aus hast Du die Thätigkeit eines Mannes zu überwachen, der mir – die Sache ist sehr wichtig – nicht mehr entschwinden darf. Doch kein Mensch soll ahnen, daß wir uns kennen. Wenn es nöthig ist, verkleidest Du Dich.

– Das ist mein Fall.

– Dieser Mann soll, so hat man mir erzählt, fuhr der Doctor fort, die verwegensten Schurken des Manderaggio für baares Geld anwerben. Für wessen Rechnung oder zu welchem Zwecke er es thut, weiß man nicht. Du sollst dieses nun so schnell als möglich ausfindig machen.

– Ich werde es erfahren.

– Wenn Du erst weißt, woran Du Dich zu halten hast, so kehre nicht an Bord zurück, weil man Dir vielleicht nachgeht. Begnüge Dich damit, mir mit der Post in La Vallette ein Wort zu schreiben und gib mir ein Rendezvous am Abend am äußersten Ende der Vorstadt La Senglea. Dort wirst Du mich finden.

– Einverstanden, antwortete Pointe Pescade. Doch woran werde ich diesen Mann erkennen?

– Das wird Dir nicht schwer fallen. Du bist einsichtsvoll, mein Freund, ich rechne auf Deine Intelligenz.

– Kann ich wenigstens den Namen dieses Gentlemans erfahren?

– Er heißt Carpena.«

Kaum vernahm Peter diesen Namen, so rief er laut:

»Wie? Dieser Spanier ist hier?

– Ja! erwiderte Doctor Antekirtt; er wohnt in demselben Stadttheile, in welchem wir die Kinder von Andrea Ferrato wiedergefunden haben, den er in das Gefängniß und in den Tod geschickt hat.«

Der Doctor erzählte Alles, was Maria gesagt hatte. Pointe Pescade begriff nun auch, wie dringend nothwendig es war, Einsicht in das Spiel dieses Spaniers zu gewinnen, der ganz gewiß in diesen Diebeshöhlen von La Vallette an irgend einem Werke der Finsterniß mitarbeitete.

Eine Stunde später verließ Pointe Pescade die Yacht. Um jede Spionage zu vereiteln, im Falle er verfolgt wurde, begann er die lange Strada Reale entlang zu schlendern, welche vom Fort Sanct Elmo bis zur Floriana führt. Als der Abend anbrach, wandte er sich dem Manderaggio zu.

Um eine Bande von Schuften zusammenzustellen, die schon von Natur aus zum Morde wie zum Raube neigten, konnte man in der That keinen geeigneteren Ort finden, als diese unterirdische Stadt. Es gab dort zweifellos Leute aus aller Herren Länder, schuftige Kerle aus dem Morgen- und Abendlande, Flüchtlinge von Handelsschiffen und Deserteure der Kriegsmarine, vor Allem aber Malteser aus der Hefe des Volkes, verrufene Halsabschneider, die in ihren Adern noch das Piratenblut hatten, welches ihre Ahnen zur Zeit der Barbaresken-Raubzüge so furchtbar machte.

Carpena, beauftragt, eine Handvoll entschlossener Burschen – zu Allem entschlossener – ausfindig zu machen, konnte dort in keine Verlegenheit der Auswahl wegen kommen. Er verließ seit seiner Ankunft kaum die Schänken der am tiefsten gelegenen Straßen des Manderaggio, wo seine Kundschaft ihn zu finden wußte. Pointe Pescade hatte daher so gut wie keine Mühe, seinen Mann ausfindig zu machen; das Schwierige bei der Sache war lediglich, herauszubekommen, für wessen Rechnung der Spanier mit dem Gelde in der Hand operirte.

Das Geld gehörte augenscheinlich nicht ihm selbst. Die Prämie von fünftausend Gulden, die er sich nach den Vorfällen in Rovigno erschachert hatte, war schon längst verzehrt worden. Carpena war durch die öffentliche Meinung aus Istrien, aus allen Salinen an der Küste gejagt worden; er hatte sich daher entschlossen, ziellos durch die Welt zu streifen. Sein Geld zerfloß pfeilschnell; war er schon vor jener Heldenthat ein elender Kerl, so sank er jetzt noch tiefer.

Es wird also Niemand Wunder nehmen, ihn jetzt im Dienste einer großen Räuberbande zu erblicken, für welche er eine Anzahl Schufte anwarb, welche die durch den Strick der Gerechtigkeit leer gewordenen Plätze wieder ausfüllen sollten. Zu diesem Zwecke war er nach Malta, und besonders in den Stadttheil Manderaggio gekommen. Wohin Carpena seine Bande führen wollte, hütete er sich wohl zu sagen, denn er war seinen neu angeworbenen Genossen gegenüber sehr mißtrauisch. Denen war es übrigens gleichgiltig, ob sie es wußten oder nicht. Vorausgesetzt, daß man sie baar bezahlte, vorausgesetzt, daß man sie in eine an Diebstählen und Räubereien reiche Zukunft blicken ließ, wären sie bis ans Ende der Welt vertrauensvoll gegangen.

Es muß hier angemerkt werden, daß Carpena nicht wenig überrascht war, als er Maria in den Straßen des Manderaggio wiederfand. Trotzdem er sie fünfzehn Jahre hindurch nicht gesehen, hatte er sie auf der Stelle wiedererkannt, wie es auch bei ihr der Fall gewesen war. Er fühlte sich übrigens sehr mißgestimmt darüber, daß sie wahrscheinlich unterrichtet war von dem, was er in La Vallette zu thun beabsichtigte.

Pointe Pescade mußte also sehr schlau zu Werke gehen, um das zu erfahren, woran dem Doctor sehr viel lag und was der Spanier sorgsam hütete. Carpena wurde trotzdem bald von Jenem hinter's Licht geführt. Wie hätte ihm auch dieser frühreife junge Bandit entgehen sollen, der sich so eng an seine Person anschloß, sich in sein Vertrauen drängte, der ihn von allen Kanaillen im Manderaggio am Besten zu nehmen wußte, der sich brüstete, schon einen Actenstoß auf seine Rechnung angehäuft zu haben, dessen kleinste Seite ihm den Strick auf Malta, die Guillotine in Italien, die Garotte in Spanien einbringen mußte, der die tiefste Mißachtung vor allen den Memmen des Viertels zur Schau trug, welchen beim Anblick eines Polizisten schon schlimm wurde, kurz ein prächtiger Bursche! Carpena, der sich in dieser Gattung Menschen sehr bewandert wußte, mußte ihn zu schätzen wissen.

Aus dieser so geschickt gespielten Rolle erwuchs denn auch das Resultat, daß Pointe Pescade sein Ziel erreichte. Am Morgen des 26. August empfing Doctor Antekirtt eine Zeile, die ihm ein Rendezvous für denselben Abend am äußersten Ende der Senglea gab.

Während der letzten Tage waren die Arbeiten an Bord des »Ferrato« emsig gefördert worden. In drei Tagen längstens waren die Reparaturen beendet, Kohlen eingenommen, das Schiff konnte dann wieder in See stechen.

Am Abend begab sich der Doctor an den von Pointe Pescade bezeichneten Ort. Es war ein kleiner Arkadenplatz, nahe dem Rundengange, in der äußersten Vorstadt.

Es schlug acht Uhr. An fünfzig Personen wohl bewegten sich noch auf dem Platze, denn es wurde hier ein Markt abgehalten, der noch nicht geschlossen war.

Doctor Antekirtt spazierte zwischen den Leuten umher, Männern und Frauen; sie waren fast Alle Einheimische. Plötzlich fühlte er, daß eine Hand sich auf seinen Arm legte.

Ein gemeiner Schnapphahn in schmutzige Lumpen gekleidet und mit einem alten zerknüllten Hute bedeckt, bot ihm ein Taschentuch an mit den Worten:

»Ich habe das Ding da soeben Eurer Excellenz gestohlen. Ein anderes Mal geben Excellenz besser Acht auf Ihre Taschen.«

Pointe Pescade war's, den man in seiner angelegten Verkleidung nicht wiedererkannte.

»Ein schlechter Spaß, sagte der Doctor.

– Ein Spaß ist es, allerdings, aber ein schlechter nicht, Herr Doctor!«

Dieser erkannte jetzt Pointe Pescade und konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Dann, ohne jeden Uebergang, fragte er hastig nach Carpena.

»Er arbeitet in der That an der Anwerbung einer Handvoll der ausgefeimtesten Schurken des Manderaggio.

– Für wen?

– Für Rechnung eines gewissen Zirone.«

Des Sicilianers Zirone, des Genossen von Sarcany? Welche Verbindung konnte zwischen diesem Elenden und Carpena bestehen?

Als der Doctor genauer darüber nachdachte, fand er auch eine Erklärung für dieses merkwürdige Zusammentreffen und er täuschte sich in seinen Schlüssen nicht.

Der Verrath des Spaniers, der die Festnahme der Flüchtlinge aus dem Thurme von Pisino zur Folge hatte, konnte Sarcany nicht verborgen geblieben sein. Dieser hatte Carpena zweifellos aufsuchen lassen und ihn in den jämmerlichsten Verhältnissen gefunden. Er hatte deshalb nicht gezaudert, ihn zu einem der Agenten Zirone's zu machen, deren Dienste dieser im Interesse seiner Genossenschaft beanspruchte. Carpena bildete also die erste Etappe auf der Spur, welche der Doctor nun nicht mehr im Dunkeln zu verfolgen brauchte.

»Weißt Du, zu welchem Zwecke diese Anwerbung geschieht? fragte er Pointe Pescade.

– Für eine Bande, die auf Sicilien thätig ist.

– Auf Sicilien? Ja, ja! ... Es stimmt! ... Und wo dort?

– In den östlichen Provinzen, zwischen Syrakus und Catania.«

Der Ausgangspunkt des Unternehmens war endlich gefunden.

»Wie gelang es Dir, das zu erfahren?

– Von Carpena selbst, der mir seine Freundschaft angetragen hat und den ich Eurer Excellenz empfehle.«

Ein Nicken mit dem Kopfe bildete die ganze Antwort des Doctors.

»Du kannst jetzt an Bord zurückkehren, sagte er, und Dir ein anständigeres Gewand anlegen.

– Noch nicht, denn dieses gefällt mir gerade.

– Wieso?

– Weil ich die Ehre habe, Bandit in der Truppe des vorher genannten Zirone zu sein.

– Nimm Dich in Acht, mein Freund. Du wagst bei diesem Spiele Dein Leben ...

– In Ihren Diensten, Herr Doctor, sagte Pointe Pescade, und Ihnen schulde ich es.

– Braver Junge!

– Ich bin übrigens so ein kleiner Spitzbube, ohne mir zu schmeicheln, und ich will jene Kerle sämmtlich in meinen Sack voll Bosheit verschwinden lassen.«

Der Doctor sah ein, daß unter diesen Umständen die Beihilfe Pointe Pescade's seinem Vorhaben sehr nützen könnte. Dadurch, daß Pointe Pescade die Rolle eines Bösewichts spielte, hatte er sich das Vertrauen von Carpena zu erwerben gewußt, er kannte sogar jetzt dessen Geheimnisse, es war also gut, ihn nach Gutdünken handeln zu lassen.

Nach weiteren fünf Minuten war die Unterredung zu Ende; der Doctor und Pointe Pescade trennten sich, um nicht zusammen gesehen zu werden. Pointe Pescade ging an den Quais der Senglea entlang, nahm im großen Hafen ein Boot und kehrte auf diesem Wege in das Manderaggio zurück.

Ehe er dort wieder eintraf, war der Doctor schon auf seine Dampfyacht zurückgekehrt. Dort erzählte er Peter, was sich zugetragen. Er glaubte zugleich es vor Kap Matifu nicht verheimlichen zu dürfen, daß Pointe Pescade sich zum allgemeinen Wohle in ein äußerst gefährliches Unternehmen eingelassen hatte.

Der Hercules hob den Kopf auf und öffnete und schloß dreimal seine riesigen Hände. Dann sagte er wiederholt, wie zu sich selbst:

»Wehe, wenn ihm nur ein Haar auf dem Kopfe fehlt, nur ein Haar ...«

Die letzten Worte besagten mehr als Alles, was Kap Matifu hätte reden können, wenn er überhaupt das Talent gehabt hätte, viel Redensarten zu machen.


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