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VII.
Verwickelungen.

Vor vierzehn Jahren hatte Silas Toronthal Triest verlassen und in Ragusa, in dem prächtigen Hotel am Stradone Wohnung genommen. Als Dalmatiner war es nur natürlich, daß er daran gedacht hatte, nach seiner Aufgabe des Geschäftes sich in seinem Heimatlande niederzulassen.

Man hatte Wort gehalten und das Geheimniß der Verräther gehütet. Der Preis für den Verrath war ihnen prompt ausbezahlt worden. Aus dieser That war dem Bankier und Sarcany, seinem einstigen Agenten in Tripolis, ein bedeutendes Vermögen erwachsen.

Nach der Hinrichtung der beiden Verurtheilten im Gefängnisse von Pisino, nach der Flucht des Grafen Sandorf, der seinen Tod in den Fluthen der Adria gefunden hatte, war das Urtheil durch die Confiscation ihrer Güter vervollständigt worden. Von dem Hause und dem kleinen Landgute, welche Ladislaus Zathmar gehörten, war nichts übrig geblieben, nicht einmal so viel, um dem alten Diener die materiellen Sorgen zu erleichtern. Von dem Besitze Stephan Bathory's war ebenfalls nichts mehr vorhanden, da er, ohne Vermögen, nur von dem Ertrage seines Unterrichtes lebte. Aber Schloß Artenak und seine Dependenzen, die benachbarten Minen, die Forsten auf den nördlichen Abhängen der Karpathen, bildeten für den Grafen Mathias Sandorf einen beträchtlichen Besitz. Aus diesen Gütern wurden zwei Theile gebildet: der eine, der öffentlichen Jurisdiction unterstellt, diente dazu, die Angeber zu belohnen; der andere, unter Sequester gestellt, sollte für die Erbin des Grafen bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahre verwaltet werden. Falls dieses Kind vor diesem Alter sterben sollte, hatte ihr Antheil an den Staat zurückzufallen.

Die beiden Viertel, welche den Verräthern zu Theil geworden waren, hatten mehr als anderthalb Millionen Gulden betragen, von denen sie nach Belieben Gebrauch machen konnten.

Vorerst dachten die Genossen daran, sich zu trennen. Sarcany lag wenig daran, in der Nähe von Silas Toronthal zu sein. Dieser bestand darauf, in keiner Weise mit seinem früheren Agenten in Verbindung zu bleiben. Sarcany reiste also von Triest ab, gefolgt von Zirone, der ihn im Unglücke nicht verlassen hatte und ihn im Glücke nun gewiß nicht verlassen wollte. Beide verschwanden und der Bankier hörte nicht mehr von ihnen reden. Wohin waren sie gegangen? Jedenfalls in eine große Stadt Europas, dort, wo Niemand daran denkt, weder dem Herkommen der Leute nachzuforschen, vorausgesetzt, daß sie reich sind, noch der Quelle ihres Vermögens, vorausgesetzt, daß sie es vergeuden, ohne zu rechnen. Kurz, es war in Triest nicht mehr die Rede von den Abenteurern, wo sie schließlich auch nur von Silas Toronthal gekannt worden waren.

Der Bankier athmete nach ihrer Abreise wieder auf. Er glaubte nun nichts mehr zu fürchten zu haben von einem Manne, der ihn nach gewissen Seiten hin im Garne hielt und diese Situation stets ausnützen konnte. Wenn Sarcany für den Augenblick auch reich war, so war doch kein Verlaß auf solchen Verschwender und es anzunehmen, daß er sich wieder an seinen einstigen Mitschuldigen machen würde, sobald er sein Vermögen wieder vergeudet hatte.

Sechs Monate später liquidirte Silas Toronthal seine Geschäfte, nachdem er die Differenzen seines stark bloßgestellten Hauses ausgeglichen hatte, und er verließ Triest, um sich endgiltig in Ragusa anzusiedeln. Obwohl er keine Indiscretion des Gouverneurs zu befürchten hatte, welcher der Einzige war, der es wußte, welche Rolle er bei der Aufdeckung der Verschwörung gespielt hatte, so war das doch gerade genug für einen Mann, der nichts von seinem Ansehen einbüßen wollte und dem sein Vermögen erlaubte, ein Leben auf großem Fuße überall da zu führen, wo er sich niederzulassen wünschte.

Vielleicht wurde dieser Entschluß, Triest zu verlassen, auch noch durch einen besonderen Umstand vorgeschrieben – auf den später zurückgekommen werden muß – von dem allein Frau Toronthal und er Kenntniß hatten. Es war derselbe Umstand, der ihn – ein einziges Mal nur – mit jener Namir zusammenführte, deren Bekanntschaft mit Sarcany wir bereits gesehen haben.

Ragusa also wählte der Bankier zu seinem neuen Wohnsitze. Er hatte diese Stadt in frühester Jugend verlassen, da er weder Eltern noch Familie besaß. Man erinnerte sich seiner nicht mehr und so war es ein Fremder, der in diese Stadt einzog, woselbst er seit fast vierzig Jahren nicht wieder aufgetaucht war.

Dem reichen Manne, der unter solchen Umständen sich einführte, bereiteten die höheren Kreise Ragusas natürlich einen freundlichen Empfang. Sie kannten von ihm nur das Eine, daß er in Triest eine hervorragende Stellung bekleidet hatte. Der Bankier suchte und erstand ein Hotel in dem aristokratischen Theile der Stadt. Er führte einen großen Haushalt mit einer Schaar Diener, die sämmtlich in Ragusa erst angeworben, wurden. Er empfing und wurde empfangen. Da Niemand etwas von seiner Vergangenheit wußte, so galt er als einer der Privilegirten, welche man die Glücklichen dieser Erde nennt.

Silas Toronthal war gegen das, was man Gewissensbisse nennt, so gut wie taub. Wenn er nicht Furcht gehabt hätte, daß das Geheimniß seines gemeinen Verrathes eines Tages entdeckt werden könnte, hätte nichts sein Leben beunruhigen können.

Doch ihm zur Seite, wie ein stummer, aber lebendiger und beredter Vorwurf stand Frau Toronthal.

Diese unglückliche, gerade und rechtschaffene Frau, besaß Kenntniß von diesem elenden Complot, das drei Patrioten in den Tod getrieben hatte. Ein ihrem Gatten entschlüpftes Wort, als seine Geschäfte auf der Kippe standen, die unvorsichtig ausgesprochene Hoffnung, daß ein Theil des Sandorf'schen Vermögens ihm wieder auf die Beine helfen könnte, Unterschriften, welche er von seiner Frau erbeten hatte, alles das hatte ihm das Geständniß seiner Betheiligung an der Aufdeckung der Verschwörung von Triest abgezwungen.

Ein unüberwindliches Gefühl der Abneigung vor dem Manne, an den sie gebunden war, bemächtigte sich der Frau Toronthal, ein Gefühl, das um so verständlicher, als sie selbst Ungarin von Geburt war. Sie war aber, wie schon gesagt, eine Frau ohne moralische Stärke. Sie konnte sich nach dem Schlage, den sie erhalten, nicht wieder aufraffen. Seit jenem Ereigniß erst in Triest, dann in Ragusa lebte sie für sich allein, so weit solches möglich war und nach dem Verhältniß ihrer gesellschaftlichen Stellung. Sie erschien an den Empfangsabenden im Hotel des Stradone, weil sie es mußte und ihrem Manne gegenüber diese Verpflichtung übernommen hatte; wenn jedoch ihre Rolle als Dame von Welt ausgespielt war, so zog sie sich in das Innerste ihrer Gemächer zurück. Dort widmete sie sich ganz der Erziehung ihrer Tochter, auf welche sie alle zärtlichen Gefühle übertragen hatte und versuchte zu vergessen. Vergessen! Wenn der Mann, der bei jenem Geschehniß betheiligt gewesen war, unter demselben Dache mit ihr lebte.

Genau zwei Jahre nach ihrer Niederlassung in Ragusa sollte sich dieser Stand der Dinge noch verwickelter gestalten. Bereitete diese Verwickelung dem Bankier einen neuen Verdruß, so erblickte Frau Toronthal darin einen neuen Gegenstand des Schmerzes.

Frau Bathory, ihr Sohn und Borik waren ebenfalls von Triest nach Ragusa übersiedelt, woselbst noch einige Verwandte von ihnen am Leben waren. Die Witwe Stephan Bathory's kannte Silas Toronthal nicht; sie wußte nicht einmal, daß jemals irgend ein Zusammenhang zwischen dem Bankier und Mathias Sandorf existirt hatte. Wie hätte sie auch jemals erfahren sollen, daß dieser Mann Theil an dem Verbrechen genommen hatte, welches drei edlen Ungarn das Leben kostete, da ihr Gatte vor seinem Tode nicht mehr Gelegenheit gehabt, ihr die Namen der Elenden zu nennen, welche ihn der österreichischen Behörde verkauft hatten.

Wenn auch Frau Bathory Silas Toronthal nicht kannte, so war das doch umgekehrt in um so verstärkterem Maße der Fall. Sie in derselben Stadt zu erblicken, ihr mehrmals auf der Straße zu begegnen, zu sehen, wie sie arm war und arbeitete, um ihr Kind erziehen zu können, mußte ihm mehr als unangenehm sein. So viel ist gewiß, wenn Frau Bathory schon in Ragusa gewohnt hätte, als er sich daselbst niederlassen wollte, so würde er sofort von seinem Vorhaben abgestanden sein. Doch als die Witwe ihr bescheidenes Heim in der Marinella-Straße bezog, war sein Hotel schon gekauft, seine Einrichtung fertiggestellt, sein gesellschaftlicher Empfang angenommen und erwidert. Er konnte sich nicht dazu entschließen, seinen Wohnsitz abermals zu wechseln.

»Der Mensch gewöhnt sich an Alles,« sagte er zu sich selbst.

Und er beschloß, die Augen vor diesem lebendigen Denkmal seines Verrathes zu schließen.

Wenn Silas Toronthal die Augen schloß, so genügte das, wie es schien, um ihn auch in seinem Innern nichts sehen zu lassen.

Was dem Bankier schließlich nur unangenehm war, wurde für Frau Toronthal eine unaufhörliche Quelle des Schmerzes und der Gewissensbisse. Sie versuchte es mehrfach, der Witwe heimlich Unterstützungen zukommen zu lassen, welche nur durch ihre Arbeit ihren Lebensunterhalt erwarb, doch ihre Unterstützungen wurden stets ebenso abgewiesen wie diejenigen, welche unbekannte Freunde der Witwe aufdrangen. Die energische Frau verlangte nichts und wollte nichts empfangen.

Ein unvorhergesehener, auch unberechenbarer Umstand sollte diese Sachlage noch unerträglicher gestalten und sogar furchtbar machen durch die Verwickelungen, welche er herbeiführte.

Frau Toronthal hatte ihre volle Liebe auf ihre Tochter übertragen, welche gegen Ende des Jahres 1867, als sie und ihr Mann nach Ragusa kamen, kaum zwei und ein halbes Jahr alt war.

Sarah zählte nun fast siebzehn Jahre. Sie war eine reizende Person, die sich mehr dem ungarischen als dem dalmatinischen Typus näherte. Schwarze krause Haare, feurige Augen, die sich mit elegantem Schnitt unter der hohen Stirn zeigten, einer Stirn von »psychischer Form«, wenn man sich dieser Bezeichnung bedienen darf, welche die Handschriftendeuter der Hand beizulegen pflegen, ein wohlgeformter Mund, ein warmer Teint, eine edle, etwas über das Durchschnittsmaß große Figur – dieses Zusammenwirken von körperlichen Eigenschaften ließ keinen Blick gleichgiltig.

Namentlich aber überraschte an ihrer Person und machte auf empfindlichere Naturen einen um so nachhaltigeren Eindruck das ernste Aussehen des jungen Mädchens, das nachdenkliche Gesicht, welches stets auf der Suche nach verblichenen Erinnerungen zu sein schien. Dieser Umstand hielt ihr auch alle Diejenigen vom Leibe, welche in den Salons ihres Vaters verkehrten, und die, welche ihr mehrfach im Stradone begegneten.

Man wird es unschwer glauben, daß Sarah als Erbin eines Vermögens, welches für ungeheuer groß galt und eines Tages ganz allein an sie fallen mußte, sehr gesucht war. Es waren ihr auch schon mehrere Heiraten vorgeschlagen worden, die nach jeder Richtung hin Annehmbares boten, das junge, von der Mutter bevormundete Mädchen hatte jedoch alle Anträge bisher von der Hand gewiesen, ohne sich herbeizulassen, die Gründe für ihre Weigerung anzugeben. Silas Toronthal hatte sie in dieser Beziehung niemals weder beeinflußt noch gedrängt. Augenscheinlich hatte sich ihm der Schwiegersohn, den er brauchen konnte – er mehr als Sarah – noch nicht gezeigt.

Es gehört sich, daß zur Vollendung des Gemäldes von Sarah Toronthal ihre sehr ausgesprochene Neigung, tugendhafte und muthige Thaten zu bewundern, welche der Vaterlandsliebe verschwägert sind, hervorgehoben wird. Sie beschäftigte sich mit der Politik durchaus nicht, doch die Erzählung dessen, was ihr Vaterland anging, die demselben geweihten Opfer, die neueren Beispiele, deren sich die Geschichte ihres Landes rühmt, erregten sie tief. In dem Zufalle ihrer Geburt waren solche Gefühle kaum zu suchen – von Silas Toronthal rührten sie ganz gewiß nicht her – sie selbst also, edel und edelmüthig wie sie war, konnte sie nur in ihrem eigenen Herzen gefunden haben.

Diese Neigung erklärt auch auf ganz natürliche Weise – gerade als wäre es vorher so bestimmt worden – die sympathische Annäherung Sarah Toronthal's an Peter Bathory. Ja, eine Art Schicksalstücke, die in das Spiel des Bankiers griff, hatte sich darin gefallen, die beiden jungen Leute sich kennen lernen zu lassen. Sarah stand im zwölften Lebensjahre, als man ihr eines Tages Peter gezeigt und gesagt hatte:

»Das ist der Sohn eines Mannes, der für Ungarn gestorben ist.«

Diese Worte waren ihrem Gedächtnisse nie entschwunden.

Beide waren dann größer geworden. Sarah dachte schon an Peter, ehe dieser sie kannte. Sie sah ihn so schwermüthig und grübelnd. Wenn er auch arm war, so arbeitete er doch, um des Namens seines Vaters würdig zu werden, und sie kannte dessen ganze Geschichte.

Man weiß das Uebrige, man weiß, wie Peter Bathory seinerseits von dem Anblicke Sarah's entzückt und begeistert wurde, deren Natur mit der seinigen übereinstimmte, wie der junge Mann sie bereits mit einer innigen Liebe, die sie aber bald theilen sollte, umfaßte, ehe sie sich noch über das Gefühl klar wurde, welches in ihr aufwuchs.

Alles was Sarah Toronthal sonst noch angeht, ist gesagt, sobald man die Stellung, die sie in ihrer Familie einnahm, kennen gelernt hat.

Ihrem Vater gegenüber hielt sich Sarah stets äußerst reservirt. Niemals bemerkte man einen Zug des Herzens auf Seiten des Vaters, niemals ein kindliches Schmeicheln bei der Tochter. Bei dem Einen war es Gefühllosigkeit, bei der Anderen rührte diese Entfremdung von einer Verschiedenheit der Ansichten in allen Dingen her. Sarah besaß für ihren Vater nur die Achtung, welche die Tochter dem Vater schuldet, nichts mehr. Er ließ sie im Uebrigen nach Gefallen ihre Wege gehen, er stellte ihren Geschmacksrichtungen keine Hindernisse entgegen, er beschränkte sie nicht in ihren Werken der Mildthätigkeit, denen er sich sogar anschloß, doch nur, um damit zu prahlen. Er zeigte sich, Alles in Allem genommen, indifferent. Bei ihr war es, offen gesagt, mehr Widerwille als Abneigung.

Frau Toronthal gegenüber zeigte Sarah eine ganz andere Gesinnung. Wenn auch die Frau des Bankiers der Herrschsucht ihres Gatten sich unterordnete, der ihr wenig Ehrerbietung zeigte, so war sie wenigstens eine gutmüthige Natur und durch ihren ehrenhaften Lebenswandel, durch ihre Sorgfalt, persönlich würdig zu erscheinen, tausendmal mehr werth als jener. Frau Toronthal liebte Sarah herzlich. Unter der Zurückhaltung des jungen Mädchens hatte sie die seltensten Gaben zu entdecken gewußt. Doch diese in ihr widerhallende Neigung war gleichsam eine überspannte, Bewunderung mischte sich in ihr mit Achtung, ja fast mit ein wenig Furcht. Die Erhabenheit in dem Charakter Sarah's, ihre Geradheit und stellenweise Unbeugsamkeit konnte diese befremdliche Form der mütterlichen Liebe erklären. Die Tochter erwiderte indessen Neigung mit Neigung. Auch ohne die Bande der Blutsverwandtschaft würden die Beiden aneinander großen Gefallen gefunden haben.

Man wird also nicht weiter überrascht sein zu hören, daß Frau Toronthal die Erste war, welche ahnte, was im Geist und Herzen Sarah's vorging. Das junge Mädchen hatte mit ihr oft über Peter Bathory und seine Familie gesprochen, ohne den schmerzlichen Eindruck zu gewahren, den dieser Name auf ihre Mutter ausübte. Sobald Frau Toronthal bemerkt hatte, daß Sarah Peter liebte, sagte sie sich:

»Gott will es also doch!«

Man ahnt, welchen Sinn diese Worte aus dem Munde Frau Toronthal's hatten, doch was man noch nicht wissen kann, ist, eine wie gerechte Entschädigung für das der Familie Bathory zugefügte Unrecht die Liebe Sarah's zu Peter gewesen wäre.

Wenn Frau Bathory wirklich glauben konnte, daß diese Liebe nach den Absichten der Vorsehung entstanden war, so mußte sie, deren Seele fromm und gläubig war, auch ihren Mann zu bewegen suchen, eine Annäherung der beiden Familien zu Stande zu bringen. Ohne Sarah etwas davon zu sagen, beschloß sie, sich mit ihm über diesen Punkt auszusprechen.

Bei den ersten Worten, die seine Frau sprach, ging Silas Toronthal in einer Anwandlung von Zorn, über die er nicht Meister werden konnte, über jedes Maß hinaus. Frau Toronthal, durch die Anstrengung hinfällig, mußte sich bei seinen Drohungen schleunigst in ihr Gemach zurückziehen.

»Nehmen Sie sich in Acht, Madame! hatte er schließlich geschrieen. Wenn Sie jemals wagen, mit mir nochmals von diesem Project zu sprechen, so dürften Sie es sehr bereuen!«

Also das, was Silas Toronthal das Fatum nannte, hatte nicht nur die Familie Bathory nach Ragusa geführt, sondern auch Sarah und Peter zueinander; sie hatten sich kennen gelernt und nicht gezögert, sich ineinander zu verlieben.

Man wird sich vielleicht fragen, woher dieser große Zorn des Bankiers stammte. Hatte er vielleicht schon geheime Absichten auf die Zukunft Sarah's, welche deren Gefühle nun durchkreuzten? Mußte es ihm im Gegentheile nicht ganz lieb sein, daß den Folgen, welche eine Entdeckung seiner unwürdigen Angeberei haben mußte, schon im Voraus nach Möglichkeit entgegengearbeitet wurde? Was hätte Peter Bathory noch sagen können, wenn er der Gatte Sarah Toronthal's geworden wäre? Was hätte dann Frau Bathory unternehmen können? Es wäre allerdings eine schreckliche Situation geworden, der Sohn des Opfers verheiratet mit der Tochter des Mörders, aber schrecklich nur für sie selbst, nicht für ihn, Silas Toronthal.

Es hätte also Alles besser gestanden, wenn Sarcany nicht gewesen wäre, von dem man ohne Nachrichten war. Seine Rückkehr war immer noch möglich und eventuelle Verpflichtungen der Beiden höchst wahrscheinlich noch vorhanden. Sarcany war gewiß der Mann dazu, sich dieser zu erinnern, sobald das Glück ihm den Rücken wenden sollte.

Silas Toronthal war zweifellos sehr besorgt, was aus seinem ehemaligen Geschäftsträger in Tripolis geworden war. Seit ihrer Trennung nach der Triester Affaire hatte er von ihm nichts mehr gehört und das war nun schon an fünfzehn Jahre her. Selbst in Sicilien, wo Sarcany, wie er wußte, durch seinen Freund Zirone Verbindungen unterhielt, waren die Nachforschungen erfolglos geblieben. Und doch konnte Sarcany von einem Tage zum andern auftauchen. Daher bildete er ein fortwährendes Schreckniß für den Bankier, umsomehr, als keine Nachricht vom Tode desselben an ihn gelangte – eine Botschaft, die ihn mit lebhafter Freude erfüllt haben würde. Vielleicht hätte er dann die Möglichkeit einer Verbindung der Familie Bathory's mit der seinigen von einem anderen Gesichtspunkte aus betrachtet. Jedenfalls konnte für den Augenblick an eine solche nicht gedacht werden.

Silas Toronthal wollte seiner Frau nicht noch einmal solchen Empfang bereiten, als sie zufällig mit ihm wieder von Peter Bathory sprach. Er gab ihr übrigens keinen Aufschluß in dieser Beziehung. Er nahm sich nur vor, Sarah für die Folge strenger zu überwachen, ja, selbst beobachten zu lassen. Er nahm sich ferner vor, dem jungen Ingenieur mit Hochmuth zu begegnen, den Kopf fortzuwenden, wenn er seiner ansichtig wurde, und so zu verfahren, daß diesem jede Hoffnung benommen würde. Es gelang ihm nur zu gut, zu zeigen, daß jeder Schritt von Peter's Seite durchaus unnütz sein würde.

So lagen die Verhältnisse, als am Abend des 10. Juni der Name Sarcany's im Salon des Hotels im Stradone ausgerufen wurde, nachdem die Thür sich vor diesem unverschämten Menschen geöffnet hatte. Am Morgen desselben Tages hatte Sarcany in der Begleitung von Namir die Eisenbahn von Cattaro nach Ragusa bestiegen. Er war in einem der vornehmsten Hotels der Stadt abgestiegen, hatte eine elegante Toilette gemacht und ohne Zeit zu verlieren, sich bei seinem ehemaligen Mitschuldigen eingestellt.

Silas Toronthal empfing ihn und gab Befehl, sie nicht zu stören. Wie nahm er den Besuch auf? War er Herr genug über sich selbst, um sich nicht merken zu lassen, was er bei dem Wiedersehen empfand und spielte er sich mit ihm? Zeigte sich Sarcany von seiner Seite so befehlerischfrech wie früher? Rief er dem Bankier vielleicht übereingekommene Versprechungen, vor langer Zeit geschlossene Verträge in das Gedächtniß zurück? Sprachen sie von der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft? Niemand hätte es sagen können, denn die Unterhaltung wurde von keinem Menschen gestört.

Das Resultat aber war folgendes:

Vierundzwanzig Stunden später durchlief eine Aufsehen machende Neuigkeit die Stadt. Man sprach von der Heirat eines gewissen Sarcany – eines reichen Mannes aus Tripolis – mit Fräulein Sarah Toronthal.

Der Bankier hatte ersichtlich vor den Drohungen eines Mannes nachgeben müssen, der ihn mit einem Wort verderben konnte. Weder die Bitten seiner Frau noch Sarah's offenbares Erschrecken, deren Vater sich die alleinige Verfügung über ihre Hand anmaßte, konnten seinen Sinn ändern.

Das einzige Interesse, welches Sarcany an dem Zustandekommen seiner Heirat hatte, war von ihm vor Silas Toronthal nicht verheimlicht worden. Er war jetzt ruinirt. Der Vermögensantheil, welcher dem Bankier dazu gedient hatte, den Credit seines Hauses wiederherzustellen, hatte für den Abenteurer die fünfzehn Jahre hindurch knapp ausgereicht. Seit seiner Abreise von Triest hatte Sarcany Europa durchreist; er lebte verschwenderisch; für ihn hatten die ersten Hotels in Paris, London, Berlin, Wien und Rom nicht Fenster genug, um das Geld mit vollen Händen, je nachdem ihn eine Laune anwandelte, hinauszuwerfen. Nachdem er alle möglichen Vergnügungen ausgekostet, überließ er es den Chancen des Zufalles, seinen Ruin zu vollenden, sowohl in den Städten der Schweiz und Spaniens, wo das öffentliche Spiel noch erlaubt ist, als auch auf den grünen Tischen Monacos, welches die Grenzen Frankreichs umklammern.

Zirone war natürlich sein Helfershelfer während dieser ganzen Zeit. Dann, als sie nur noch einige tausend Gulden besaßen, waren Beide in das dem Sicilianer theure Land, den östlichen Theil Siciliens zurückgegangen. Sie blieben dort nicht unthätig und warteten die Ereignisse ab, das heißt die gelegene Zeit, um mit dem Bankier von Triest wieder in Verbindung zu kommen. Es gab in der That nichts Einfacheres, um Sarcany's Vermögen wieder herzustellen, als wenn dieser Sarah, die einzige Erbin des reichen Silas Toronthal, heiratete, der Sarcany nichts abschlagen konnte.

Eine Weigerung war unmöglich und wurde nicht einmal versucht. Es gab jedenfalls zwischen diesen beiden Männern und dem Problem, dessen Lösung sie versuchten, noch ein unbekanntes Etwas, dessen Enthüllung der Zukunft vorbehalten bleiben mußte.

Von Sarah's Seite wurde nichtsdestoweniger eine klare Erklärung gefordert. Warum verfügte ihr Vater so eigenmächtig über sie?

»Meine Ehre hängt von dieser Heirat ab, gab Silas Toronthal auf ihr Drängen zu, folglich wird sie vor sich gehen.«

Als Sarah diesen Bescheid ihrer Mutter überbrachte, fiel diese halb ohnmächtig in die Arme der Tochter und vergoß Thränen der Verzweiflung.

Silas Toronthal hatte also die Wahrheit gesagt.

Die Schließung der Ehe wurde auf den 6. Juli festgesetzt.

Man kann sich denken, welches Leben Peter Bathory in diesen drei Wochen führte. Seine Bestürzung war unbeschreiblich. Eine Beute der ohnmächtigsten Wuthanfälle, schloß er sich bald im mütterlichen Hause ein, bald eilte er aus der verwünschten Stadt und Frau Bathory mußte befürchten, ihn nicht wiederzusehen.

Womit hätte sie ihn trösten können? So lange keine Rede von Sarah's Heirat gewesen war, konnte Peter Bathory, obwohl er von ihrem Vater zurückgestoßen war, doch noch ein wenig Hoffnung hegen. War jedoch Sarah erst einmal verheiratet, dann erschloß sich ihm ein neuer, diesmal unüberbrückbarer Abgrund. Auch Doctor Antekirtt hatte Peter trotz seiner Versprechungen verlassen. Wie hatte nur, so fragte Peter sich, das junge Mädchen, das ihn liebte, deren eigenmächtige Natur er kannte, dieser Verbindung beistimmen können? Welch ein Geheimniß brütete über dem Hotel im Stradone, wo solche Dinge vor sich gingen? Peter hätte in der That besser daran gethan, Ragusa zu verlassen, die Stellungen außerhalb anzunehmen, die ihm angeboten worden waren, und weit fort von Sarah zu gehen, die man diesem Fremden, Sarcany, auslieferte.

»Nein, rief er dann wieder, es ist ganz unmöglich! ... Ich liebe sie zu sehr!«

Die Verzweiflung war also wieder in das Haus eingekehrt, welches ein schwacher Strahl des Glückes mehrere Tage hindurch erleuchtet hatte.

Der stets auf dem Posten befindliche Pointe Pescade, welcher Alles wußte, was in der Stadt vor sich ging, war einer der Ersten, die von diesen Vorgängen unterrichtet waren. Sobald er die Neuigkeit von der Heirat Sarah Toronthal's mit Sarcany erfahren hatte, schrieb er nach Cattaro. Sobald er den jämmerlichen Zustand bemerkt hatte, in welchem sich der junge Ingenieur befand – für den er sich lebhaft interessirte – machte er dem Doctor Antekirtt davon Mittheilung.

Er empfing an Stelle einer eingehenden Antwort nur die Weisung, die Vorgänge in Ragusa weiter zu beobachten und nach Cattaro zu berichten.

Je mehr man sich dem Unglückstage des 6. Juli nahte, desto mehr verschlimmerte sich der Zustand Peter Bathory's. Seine Mutter war nicht mehr im Stande, ihn zu beruhigen. Silas Toronthal's Pläne waren schlechterdings nicht zu hintertreiben. Zeigte die Hast, mit der die Heirat veröffentlicht und festgesetzt wurde, nicht offenbar, daß sie schon seit langer Zeit beschlossen war, daß Sarcany und der Bankier sich schon gekannt hatten und daß dieser »reiche Tripolitaner« einen ganz besonderen Einfluß auf den Vater Sarah's haben mußte?

Von seinen ihn völlig beherrschenden Ideen fortgerissen, beschloß Peter Bathory, acht Tage vor der angesetzten Hochzeitsfeier an Silas Toronthal zu schreiben.

Der Brief blieb ohne Antwort.

Peter versuchte, dem Bankier auf der Straße zu begegnen. Es gelang ihm nicht.

Er wollte in das Hotel selbst dringen. Man verwehrte ihm den Eingang.

Sarah und ihre Mutter waren jetzt unsichtbar. Es gab keine Möglichkeit, bis zu ihnen zu dringen.

Doch während Peter Sarah und ihren Vater nicht zu Gesicht bekam, sah er sich im Stradone mehrfach Sarcany gegenüber. Den Blick des Hasses des jungen Mannes beantwortete Sarcany nur mit der unverschämtesten Mißachtung. Peter Bathory hegte den Gedanken, ihn zu provociren, damit er sich mit ihm schlagen müßte. Doch unter welchem Vorwande und warum hätte Sarcany ein Duell annehmen sollen, welches sein Interesse am Vorabende seiner Ehe mit Sarah Toronthal zu vermeiden vorschrieb.

So vergingen noch sechs Tage. Peter verließ trotz der inständigen Bitten seiner Mutter, trotz der Bitten Borik's das Haus in der Marinella-Straße am Abend des 4. Juli. Der alte Diener versuchte, ihm zu folgen, doch er hatte ihn bald aus den Augen verloren. Peter ging auf gut Glück durch die ödesten Straßen Ragusas, an den Befestigungsmauern entlang, als ob er närrisch geworden wäre.

Eine Stunde später brachte man ihn sterbend seiner Mutter. Ein Messerstich hatte den oberen Theil des linken Lungenflügels durchbohrt.

Es war kein Zweifel möglich: Peter hatte sich in einer Anwandlung von Verzweiflung selbst tödten wollen.

Pointe Pescade eilte, sobald er das Unglück vernommen, zum Telegraphenbureau.

Nach einer Stunde war die Nachricht von dem Selbstmorde des jungen Mannes im Besitz des Doctors Antekirtt in Cattaro.

Es ist unmöglich, den Schmerz der Frau Bathory zu schildern, als sie vor ihrem Sohne, der nur noch wenige Stunden zu leben hatte, aus ihrer Ohnmacht erwachte. Doch die Energie der Mutter siegte über die Schwäche der Frau. Erst galt es zu sorgen. Thränen konnten später fließen.

Ein Arzt wurde geholt. Er kam sogleich, untersuchte den Verwundeten und lauschte auf den schwachen und pausirenden Athem seiner Brust. Er sondirte die Wunde, legte den ersten Verband an und that, was in seinen Kräften stand; allein Hoffnung konnte er nicht geben.

Fünfzehn Stunden später hatte sich der Zustand Peter's in Folge Hinzutretens einer sehr starken Blutung noch verschlechtert und sein Athem, kaum hörbar, drohte in jedem Augenblicke mit einem letzten Seufzer zu entfliehen.

Frau Bathory war auf die Knie gesunken und betete zu Gott, er möge ihr den Sohn erhalten.

Plötzlich öffnete sich die Thür des Zimmers. Doctor Antekirtt trat herein und ging auf das Bett des Sterbenden zu.

Frau Bathory wollte ihm in den Weg treten. Ein Zeichen von ihm hemmte ihren Schritt.

Der Doctor beugte sich über Peter und untersuchte ihn aufmerksam, ohne ein Wort zu sprechen. Dann betrachtete er ihn mit unwiderstehlicher Stetigkeit. Gleichsam als strömte aus seinen Augen eine magnetische Kraft, schien dieser Blick in das Gehirn zu dringen, wo die Gedanken zu erlöschen drohten, das eigene Leben mit dem eigenen Willen.

Peter drehte sich plötzlich auf die Seite. Seine Augenlider hoben sich, er sah den Doctor an ... und fiel leblos zurück.

Frau Bathory stürzte mit einem Schrei über ihren Sohn und sank dann ohnmächtig in die Arme des alten Borik.

Der Doctor schloß die Augen des jungen Todten; er richtete sich dann wieder auf und verließ das Zimmer. Man hätte ihn jenen Spruch aus den indischen Legenden murmeln hören können:

»Der Tod zerstört nicht, er macht nur unsichtbar!«


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