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Fünftes Capitel.

In welchem man sich zur Abreise vorbereitet und gegen Ende auch wirklich unter günstigsten Aussichten abfährt

Es war also ausgemacht. Vor der langen Reise zu Zweien durch das Leben, welches man Ehe nennt, sollte Godfrey eine Reise um die Erde machen, was zuweilen noch gefährlicher ist. Doch er zählte darauf, von derselben mit reicher Erfahrung zurückzukommen und, wenn er als junger Mann abreiste, als gereifter Mann heimzukehren. Er würde gesehen, beobachtet, verglichen, würde seine Wißbegierde gestillt haben. Dann war die Zeit, sich häuslich niederzulassen, glücklich am eigenen Herde zu wohnen, von dem ihn keine Versuchung wieder hinwegzubringen vermochte. Hatte er Recht oder Unrecht? Stand ihm eine gute, lehrreiche Unterrichtsstunde bevor, von der er dauernden Nutzen ziehen würde? Wir überlassen die Sorge, hierauf zu antworten, der Zukunft.

Kurz, Godfrey war begeistert.

Phina, obgleich etwas ängstlich, ließ sich doch nichts davon merken und freute sich mit ihm.

Professor Tartelett, der gewöhnlich sehr fest auf den Füßen stand und bei jedem Tanze das schönste Gleichgewicht zu erhalten wußte, hatte allen gewöhnlichen Applomb verloren und bemühte sich vergeblich, ihn wieder zu gewinnen. Er wankte auf dem Parquet seines Zimmers, als befände er sich schon auf dem Boden einer Cabine, der durch das Rollen und Schlingern des Schiffes nur einen unsicheren Halt bot.

Was Kolderup betrifft, so war er, seitdem jener Entschluß fest stand, sehr wenig mittheilsam, vorzüglich seinem Neffen gegenüber, geworden. Seine immer geschlossenen Lippen, die halb unter den Lidern versteckten Augen verriethen, daß sich eine fixe Idee gebildet hatte in diesem Kopfe, in dem sonst nur große Handelsspeculationen geboren wurden.

»Ah, Du willst reisen, murmelte er zuweilen, reisen, statt Dich zu verheiraten, statt hier zu bleiben und wie Andere glücklich zu sein! . . . Gut, gut, Du sollst reisen!«

Die nöthigen Vorbereitungen wurden unverweilt begonnen. Zunächst mußte die Frage wegen der Reisetour aufgestellt, besprochen und endgiltig festgestellt werden.

Sollte Godfrey nach Süden, nach dem Osten oder Westen ziehen? das war an erster Stelle zu entscheiden.

Wenn er einen Weg nach Süden einschlug, so würde es der »Panama to California and British Columbia« oder der »Packet Southampton Rio Janeiro« Gesellschaft zufallen, ihn nach Europa zu befördern.

Wandte er sich nach Osten, so konnte die große Pacifische Eisenbahn ihn binnen wenigen Tagen nach New-York führen, wo es mittelst der »Cunard-, Inman-, Withe-Star-Linie,« der » Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actiengesellschaft,« dem »Norddeutschen Lloyd« oder der »Transatlantique française« nicht an Gelegenheit fehlen konnte, die Küsten der Alten Welt zu erreichen.

In der Richtung nach Westen war es leicht, durch die »Steam Transoceanic Golden Age« nach Melbourne und von da mit einem der Schiffe der »Peninsular Oriental Steam Co.« nach dem Isthmus von Suez und weiter zu gelangen.

An Transportmitteln fehlte es also keineswegs, und Dank ihrer mathematischen Übereinstimmung bezüglich der Fahrpläne gestaltet sich eine Reise um die Erde allgemach zur einfachen Spaziertour eines Lustfahrers.

In dieser Weise sollte aber der Neffe und Erbe des Nabobs von San Francisco nicht durch die Welt jagen.

Nein! Kolderup besaß im Dienste seiner großartigen Handelsgeschäfte selbst eine große Flotte von Dampf- und Segelschiffen. Es wurde also beschlossen, eines dieser Fahrzeuge »zur Verfügung des jungen Godfrey Morgan zu stellen«, als beträfe es einen Prinzen von Geblüt, der zu einem Vergnügen auf Kosten seines Vaters reist.

Auf erhaltene Ordre wurde der »Dream«, ein solider Dampfer von sechshundert Tonnen mit zweihundert Pferdekraft, sofort ausgerüstet. Das Commando desselben sollte Capitän Turcotte führen, ein erprobter Seebär, der schon alle Oceane unter allen Breiten befahren hatte. Ein tüchtiger und muthiger Seemann, zählte dieser Habitus der Tornados, der Typhons und Cyklone schon vierzig Jahre zur See auf fünfzig Lebensjahre. Draußen beizulegen und dem Orcan direct die Stirne zu bieten, war nur ein Spiel für diesen »Matrosen«, der niemals von etwas gelitten hatte, außer von der »Landkrankheit«, das heißt von dem Stillliegen im Hafen. Von dem ewigen Hin- und Herschaukeln auf der Kommandobrücke eines Schiffes hatte er auch die Gewohnheit beibehalten, immer nach rechts und links, nach vor- und rückwärts zu ballanciren; er hielt den Tact des Rollens und Schlingerns eben unausgesetzt ein.

Ein zweiter Befehlshaber, ein Maschinist, vier Heizer und zwölf Matrosen, im Ganzen achtzehn Personen, sollten die Besatzung des »Dream« bilden, der, wenn er sich auch damit begnügte, in der Stunde nur acht Seemeilen zu machen, dafür andere, nicht weniger schätzbare nautische Eigenschaften besaß. Fehlte ihm auch die Schnelligkeit, um bei schwerem Wetter die Wellen zu überholen, so liefen doch auch die Wogen nicht über denselben hinweg, ein Vortheil, der die Mittelmäßigkeit seiner Fortbewegung gewiß aufwiegt, vorzüglich, wenn man nicht besondere Eile hat. Uebrigens war der »Dream« als Goëlette getakelt und konnte bei günstigem Winde mit seinen fünfhundert Quadratyards Segelzeug der Dampfkraft noch immer zu Hilfe kommen.

Man darf endlich nicht glauben, daß die Reise des »Dream« als reine Vergnügungsfahrt verlaufen sollte. Kolderup war ein viel zu praktischer Mann, um nicht bei einer Fahrt von fünfzehn- bis sechzehnhundert Meilen über alle Meere der Erde einen Gewinn in Aussicht zu nehmen. Sein Schiff sollte ohne Ladung abgehen, aber es machte ihm keine Schwierigkeit, sich in richtigem Tiefgang zu erhalten, indem es seinen »Waterballast« Behälter, welche man nach Belieben mit Wasser anfüllen kann, wenn das Schiff ungeladen läuft, um es in seiner richtigen Schwimmlinie zu erhalten. mit Wasser anfüllte, wodurch es, wenn nöthig, bis zum Bordrand versenkt werden konnte. Uebrigens sollte der »Dream« auch unterwegs Ladung nehmen und die verschiedenen Comptoirs des reichen Großhändlers besuchen, wobei er also nur von einem Handelsplatz zum andern dampfte. Keine Angst, der Capitän Turcotte konnte nicht in Verlegenheit kommen, die Kosten der Fahrt zu decken. Godfrey Morgan's Phantasie zapfte der Casse des Onkels keinen einzigen Dollar ab.

Alles das wurde bei den langdauernden, sehr geheimen Verhandlungen festgestellt, welche William W. Kolderup mit dem Capitän Turcotte hatte. Es gewann indeß den Anschein, als ob die Ordnung dieser im Grunde so einfachen Angelegenheit doch manche unvorhergesehene Schwierigkeit fand, denn der Kapitän mußte gar so zahlreiche Besuche im Cabinet seines Rheders abstatten. Wenn er von einem solchen zurückkam, hätten scharfsichtigere Leute als die Insassen des vornehmen Hauses unzweifelhaft bemerkt, daß sein Gesicht einen eigenthümlichen Ausdruck zeigte, daß seine Haare wie vom Winde emporgesträubt waren, so als hätte er mit fiebernder Hand durch dieselben gestrichen, und daß seine Person im Ganzen heftiger schlingerte und rollte als gewöhnlich. Man hätte auch bisweilen heftige Stimmen vernehmen können, welche darauf hindeuteten, daß diese Sitzungen nicht immer ganz ohne Sturm abliefen.

Das kam daher, daß Capitän Turcotte bei seiner freimüthigen Redeweise gegenüber William W. Kolderup, der ihn schätzte und zu sehr liebte, um sich von ihm keinen Widerspruch gefallen zu lassen, nicht so leicht die Segel strich.

Endlich schien Alles in's Gleis gekommen zu sein. Wer hatte nachgegeben, William W. Kolderup oder Capitän Turcotte? Wir möchten uns darüber nicht aussprechen, da uns nicht einmal das Thema jener Verhandlungen genauer bekannt ist; doch wir würden immerhin lieber auf den Capitän wetten.

Wie dem auch sei, nach achttägigen Verhandlungen schienen der Schiffseigner und der Capitän einig geworden zu sein, aber Turcotte murmelte doch mehr als einmal durch die Zähne:

»Soll mich doch der erste beste Walfisch seiner Großmutter zum Frühstück vorsetzen, wenn ich, der Capitän Turcotte, je geahnt hätte, daß ich mich einmal eines solchen Auftrages entledigen sollte!«

Mit der Ausrüstung des »Dream« ging es indeß rasch vorwärts, und sein Kapitän versäumte nichts, um denselben in Stand zu setzen, in der ersten Hälfte des Juni in See zu stechen. Er war nach allen Seiten gründlich untersucht und sein mit Mennige frisch gestrichener Untertheil hob sich durch das lebhafte Roth scharf von dem Schwarz der Seitenwände ab.

Im Hafen von San Francisco wimmelt es immer von Fahrzeugen aller Art und Nationalität. Schon viele Jahre lang hatten die Quais der Stadt, welche wie gewöhnlich längs des Strandes angelegt waren, zur Löschung und Ladung der Waaren nicht mehr ausreichen können, wenn man sich nicht beeilt hätte, künstliche Landungsplätze zu schaffen. Man trieb zu dem Zwecke starke Rothtannenstämme in den Grund und bedeckte dieselben in einer Ausdehnung von mehreren (amerikanischen) Quadratmeilen mit Planken und Pfosten, Den gewonnenen Raum hatte zwar die Bai verloren, doch diese war ja groß genug. So entstanden jene ungeheuren Flächen, welche stets mit Kisten und Ballen bedeckt sind und an denen Dampfer von beiden Oceanen, Dampfschiffe von den californischen Strömen, Klipper aus aller Herren Länder und Küstenfahrer aus Amerika in vollkommener Ordnung bequem anlegen konnten, ohne eines das andere zu streifen oder zu berühren.

An einem dieser künstlichen Quais, vor dem Ausgange der Warf Missions Street hatte auch der »Dream« sorglich vertäut gelegen, seitdem er das Werft verlassen hatte.

Es wurde nichts vernachlässigt, um den für Godfrey ausgewählten Steamer nach allen Seiten so zu versorgen, daß es unterwegs an Nichts fehlen konnte. Proviant, Reserve-Ausrüstung, Alles wurde reiflich überlegt und angeschafft. Die Takelage war in untadelhaftem Zustande, der Kessel frisch probirt, die Schraubenmaschine so gut wie neu. Für unvorgesehene Fälle, wie zur Erleichterung der Verbindung mit dem Lande, wurde auch eine schnelle und unversenkbare Dampfbarkasse mit an Bord genommen, welche im Laufe der Fahrt gute Dienste zu leisten versprach.

Am 11. Juni war endlich Alles fertig – man konnte jeden Augenblick in See gehen. Die von Capitän Turcotte zur Bedienung der Segel oder zur Führung der Maschine geworbenen Leute bildeten eine Mustermannschaft, wie man am Platz gewiß keine bessere hätte finden können. Eine ganze Heerde lebender Thiere, Agutis, Schafe, Ziegen, Hühner und Hähne u. s. w. bevölkerten das Zwischendeck; außerdem war der Nahrungsmittelvorrath noch durch eine große Anzahl Conservebüchsen der besten Marken vermehrt worden.

Die Reiseroute des »Dream« betreffend, so bildete diese ohne Zweifel einen Gegenstand der langen Konferenzen, welche William W, Kolderup und sein Capitän gehabt hatten. Alles was man davon wußte, lief darauf hinaus, daß der erste Landungsplatz Ausland, die Hauptstadt von Neuseeland, sein sollte – abgesehen von dem Falle, daß etwa Kohlenmangel, welcher vielleicht durch langes Fahren unter Dampf bei widrigem Winde eintreten könnte, es nöthig machen würde, einen der Archipele des Stillen Oceans oder einen Küstenpunkt Chinas anzulaufen.

Alle diese Einzelheiten hatten übrigens für Godfrey von der Minute an, wo er zur See ging, keine Bedeutung, und noch weniger für Tartelett, der sich den ganzen Tag mit nichts Anderem mehr beschäftigte, als mit den Wechselfällen einer Seereise, welche ja niemals ganz ausbleiben.

Nur eine Formalität war noch zu erfüllen – es mußten noch einmal verschiedene Photographien angefertigt werden.

Ein Verlobter kann sich schicklicherweise nicht auf eine lange Reise um die Welt begeben, ohne das Bildniß der Geliebten mitzunehmen und dieser umgedreht das seinige zu hinterlassen.

Godfrey überlieferte sich also im Touristencostüm den Händen der Herren Stephenson u. Cie., Photographen in der Montgomery-Street, und Phina im Promenadetoilette überließ der Sonne die Sorge, ihre reizenden, wenn auch etwas traurigen Züge auf der Platte der geschickten Operateure zu fixiren.

Auf diese Weise konnte man gewissermaßen vereinigt reisen. Phinas Porträt fand seinen ihm zukommenden Platz in der Cabine Godfreys, das Godfreys in dem Zimmer des jungen Mädchens.

Auch Tartelett, obgleich er weder verlobt war, noch mit einer Silbe daran dachte, das je zu werden, sollte sein Ebenbild dem lichtempfindlichen Papier überantworten. Trotz des Talents des Photographen blieb es diesem jedoch unmöglich, ein einigermaßen befriedigendes Negativ zu erzielen. Immer zeigte die Platte einen confusen Nebel, aus dem man unmöglich die Züge des berühmten Tanz- und Anstandslehrers herauserkennen konnte.

Das kam daher, daß der Aufzunehmende nicht dazu zu bringen war, um den Mund still zu halten – trotz aller Ermahnungen, welche in den, den Operationen dieser Art geweihten Ateliers gebräuchlich sind.

Man versuchte andere schneller wirkende Chemikalien – Momentaufnahmen; vergeblich. Tartelett rollte und schlingerte schon pränumerando, ganz wie Capitän Turcotte.

Man mußte also darauf verzichten, die Züge dieses merkwürdigen Mannes aufzubewahren. Ein unersetzliches Unglück für die Nachwelt, wenn – doch weg mit einem solchen Gedanken – wenn er, in der Meinung, nach der Alten Welt zu reisen, etwa gar nach der anderen Welt reiste, von der kein Zurückkehren ist.

Am 11. Juni war Alles parat. Der »Dream« brauchte nur die Anker zu lichten, seine Papiere, Frachtbrief und Contract, Versicherungspolice – Alles in Ordnung; zwei Tage vorher hatte der Mäkler des Hauses William W. Kolderup die letzten Papiere gesendet.

An genanntem Tage fand in dem Hotel der Montgomery-Street ein großes Frühstück statt. Man trank auf Godfreys glückliche Reise und rechtzeitige Wiederkehr.

Godfrey selbst schien ein wenig erregt und suchte das auch nicht zu verbergen. Phina erwies sich standhafter als er, Tartelett ertränkte seine Befürchtungen in verschiedenen Gläsern Champagner, deren Einwirkung auf ihn sich bis zum Augenblick der Abfahrt geltend machte. Er hatte sogar bald seine kleine Geige vergessen, die ihm noch gebracht wurde, als die Sorrtaue des »Dream« schon gelöst waren.

An Bord sagten sich Alle das letzte Lebewohl, auf dem Oberdeck wechselte man die letzten Händedrücke. Dann setzte die Maschine die Schraube einige Male in Umdrehung, wodurch der Steamer vom Quai abkam.

»Adieu, Phina!

– Adieu, Godfrey!

– Gott geleite Euch! rief der Onkel.

– Und bringe uns vorzüglich heil und gesund wieder heim! murmelte Tartelett.

– Vergiß auch nicht, Godfrey, fügte William W. Kolderup hinzu, daß der »Dream« an seinem Achter die Devise trägt: Confide, recte agens.

– Niemals Onkel Will! Adieu, Phina!

– Adieu, Godfrey!«

Der Dampfer entfernte sich, die Taschentücher wedelten, so lange er vom Quai noch in Sicht blieb und auch noch etwas darüber.

Bald war die Bai von San Francisco, die größte der Welt, durchmessen; der »Dream« glitt die enge Fahrstraße der Golden-Gate, dann pflügte sein Kiel die Wasser des Stillen Oceans; es war als ob diese Goldene Pforte sich hinter ihm geschlossen hätte


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