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Zwölftes Capitel.

Die Ausrüstung des Schiffes. – Ein Angriff von Füchsen. – Jup verwundet. – Jup in Pflege. – Jup geheilt. – Vollendung des Fahrzeuges. – Pencroff's Triumph. – Der Bonadventure. – Erster Versuch im Süden der Insel. – Ein unerwartetes Document.

———

An diesem Abende kamen die Jäger nach einer glücklichen Jagd buchstäblich mit Wild beladen zurück, und trugen, was vier Menschen überhaupt ertragen konnten. Tops Hals zierte ein Kranz von Enten, und Jup's Leib umschlossen mehrere Gürtel von Becassinen.

»Hier, sehen Sie, Herr, rief Nab, das nenn' ich seine Zeit anwenden! An Eingemachtem und Pasteten soll's uns nun nicht fehlen. Aber Einer muß mir helfen, ich zähle auf Dich, Pencroff.

– Nein, Nab, erwiderte der Seemann; mich nimmt die Ausrüstung des Schiffes noch in Anspruch; von mir wirst Du absehen müssen.

– Und Sie, Herr Harbert?

– Ich, Nab, ich muß morgen nach der Hürde gehen, antwortete der junge Mann.

– So unterstützen Sie mich also, Herr Spilett?

– Um Dir gefällig zu sein, ja, Nab, sagte der Reporter, aber ich verhehle Dir nicht, daß ich Deine Recepte, wenn Du mir solche mittheilst verrathe.

– Ganz nach Belieben, Herr Spilett, erwiderte Nab, ganz nach Belieben!«

So wurde am nächsten Tage Gedeon Spilett, Nab's neuer Gehilfe, in das Küchendepartement eingeführt. Vorher hatte ihm der Ingenieur jedoch das Resultat seiner Untersuchung vom vergangenen Tage mitgetheilt und schloß sich der Reporter ganz der Ansicht Cyrus Smith's an, daß hier, wenn er auch nichts gefunden habe, noch der Schleier eines Geheimnisses zu lüften sei.

Noch eine Woche etwa dauerte die Kälte an, während der die Colonisten das Granithaus nicht verließen, außer wenn sie die Besorgung des Hühnerhofes dazu zwang. Die Wohnung war völlig durchduftet von den Wohlgerüchen, welche Nab's und Spilett's Hantierung verbreitete; das ganze Ergebniß der Jagd in den Sümpfen wurde indeß nicht eingemacht, und da sich das Wild bei der strengen Kälte recht gut erhielt, verzehrte man die wilden Enten u.s.w. frisch und erklärte sie für vorzüglicher, als alle anderen Wasservögel der Welt.

Diese ganze Woche über arbeitete Pencroff mit Hilfe Harbert's, der die Nadel sehr geschickt regierte, mit solchem Eifer, daß die Segel zum Fahrzeuge fertig gestellt wurden, und an Hanfseilen fehlte es, Dank dem großen Vorrathe solcher aus dem Netzwerke des Ballons, ja auch nicht. Die Taue und Schnuren des Netzes bestanden alle aus vorzüglichem Gespinnste, das sich der Seemann weislich zu Nutze machte. Die Segel wurden mit starkem Saum versehen, und doch blieb noch genug übrig, Hißtaue, Strickleitern und Schoten daraus anzufertigen. Betreffs der Windevorrichtungen fabricirte Cyrus Smith auf den Rath Pencroff's und mittels der Drehbank, die er schon früher in Stand gesetzt hatte, die zu den Flaschenzügen nöthigen Holzrollen. So kam es, daß die gesammte Takelage schon eher fertig war, als das Schiff selbst.

Pencroff stellte sogar eine blau-weiß-rothe Flagge her, zu der die Färbestoffe verschiedene Pflanzen der Insel lieferten. Nur fügte er zu den siebenunddreißig Sternen, welche die siebenunddreißig Staaten der Union vorstellen, noch einen achtunddreißigsten, den für den »Staat Lincoln«, denn er betrachtete seine Insel schon als vollständig vereinigt mit der großen Republik.

»Und, sagte er, wenn sie es thatsächlich noch nicht ist, so ist sie es doch von Herzen!«

Inzwischen wurde die Flagge am Mittelfenster des Granithauses aufgezogen und die Colonisten begrüßten sie mit einem dreifachen Hurrah.

Jetzt näherte man sich auch dem Ende der kalten Jahreszeit, und schon gewann es das Ansehen, als ob dieser zweite Winter ohne ernsteren Unfall vorübergehen sollte, als das Plateau der Freien Umschau in der Nacht des 11. August fast von vollständiger Zerstörung bedroht wurde.

Nach einem wohlangewendeten Tage lagen die Colonisten in tiefstem Schlafe, als sie gegen vier Uhr Morgens durch Top's wüthendes Bellen geweckt wurden.

Dieses Mal bellte er aber nicht an der Mündung des Schachtes, sondern an der Schwelle der Thür, und drängte sich daran, als wollte er mit Gewalt hinaus. Jup seinerseits stieß wiederholt einen kurzen scharfen Schrei aus.

»Ruhe, Top!« rief Nab, der zuerst aufwachte.

Der Hund bellte nur mit verdoppelter Wuth weiter.

»Was giebt es denn?« fragte Cyrus Smith.

Nothdürftig angekleidet eilten Alle nach den Fenstern des Zimmers und öffneten diese.

Unter ihren Augen dehnte sich die Schneefläche aus, welche in der tiefdunkeln Nacht kaum weiß erschien. Die Colonisten sahen also nichts, aber sie vernahmen ein eigenthümliches Gebell in der Finsterniß. Offenbar streiften auf dem Strande eine Anzahl Thiere umher, die man jetzt nicht erkennen konnte.

»Was ist das? rief Pencroff.

– Das sind Wölfe, Jaguars oder Affen! antwortete Nab.

– Teufel, die können aber nach dem Plateau hinauskommen! sagte der Reporter.

– Und unser Hühnerhof, jammerte Harbert, unsere Anpflanzungen…

– Wie mögen sie hier herein gekommen sein? fragte Pencroff.

– Ueber das Strandbrückchen, erwiderte der Ingenieur, das Einer von uns zu schließen vergessen haben wird.

– Wirklich, gestand Spilett, ich erinnere mich es offen gelassen zu haben…

– Da haben Sie uns einen schönen Streich gespielt, Herr Spilett! bemerkte der Seemann.

– Was geschehen ist, ist geschehen, fiel Cyrus Smith ein. Ueberlegen wir lieber, was jetzt dagegen zu thun ist!«

Das waren die Fragen und Antworten, welche zwischen Cyrus Smith und seinen Genossen in aller Eile gewechselt wurden. Bestimmt hatte die Brücke als Uebergang gedient, war der Strand von einer Heerde Thiere überschwemmt, und konnten diese, mochten es nun sein, welche es wollten, längs des linken Mercy-Ufers nach dem Plateau hinauf gelangen. Man mußte ihnen also schnell zuvorkommen und sie nöthigenfalls bekämpfen.

»Doch was sind das für Thiere?« fragte man sich zum zweiten Male, als das Bellen lauter hörbar wurde.

Da erinnerte sich Harbert, dasselbe schon bei dem ersten Besuche des Rothen Flusses vernommen zu haben.

»Das sind sogenannte Feuerfüchse! sagte er.

– Vorwärts also!« drängte der Seemann.

Alle bewaffneten sich mit Aexten, Carabinern und Revolvern, eilten in den Packkorb des Aufzuges und betraten den Strand.

Diese Feuerfüchse sind sehr gefährliche Thiere, wenn sie in großer Anzahl beisammen und von Hunger gequält sind. Nichtsdestoweniger bedachten sich die Ansiedler keinen Augenblick, sich mitten unter die Bande zu stürzen, und die ersten Revolverschüsse, welche mit Blitzesschnelle durch das Dunkel leuchteten, vertrieben die Angreifer der vordersten Reihen.

Worauf es vor Allem ankam, das war, die Räuber zu hindern, das Plateau der Freien Umschau zu ersteigen, denn die Pflanzungen und der Hühnerhof wären ihnen gewiß recht angenehm gewesen, und ohne sehr beträchtlichen, vielleicht gar nicht wieder zu ersetzenden Schaden dürfte das wohl nicht abgegangen sein.

Da das Plateau aber nur längs des linken Mercy-Ufers zu erklimmen war, genügte es, den Füchsen an dem schmalen Uferlande, zwischen dem Flusse und der Granitmauer eine unübersteigliche Barrière entgegen zu stellen.

Das begriffen wohl auch Alle, und auf Befehl Cyrus Smith's begaben sie sich nach der bezeichneten Stelle, während die Feuerfüchse im Dunkeln hin und her liefen.

Cyrus Smith, Gedeon Spilett, Harbert, Pencroff und Nab stellten sich so, daß sie eine festgeschlossene Vertheidigungsmauer bildeten. Top lief mit geöffnetem Rachen den Colonisten voran, und unmittelbar nach ihm folgte Jup, der einen tüchtigen Knüttel wie eine Keule über dem Kopfe schwang.

Die Nacht war ungemein dunkel. Nur bei dem Scheine des Gewehrfeuers vermochte man die Angreifer zu unterscheiden, die wohl an hundert zählten und deren Augen wie Feuerfunken schimmerten.

»Sie dürfen nicht hindurch! rief Pencroff.

– Sie werden auch nicht hindurch kommen!« antwortete der Ingenieur entschlossen.

Wenn die Thiere aber nicht hindurch kamen, so lag es nicht daran, daß sie es nicht versucht hätten. Die Hinteren drängten die Vorderen, und es entstand ein hitziges Gefecht, das mit Revolverschüssen und Axtschlägen ausgekämpft wurde. Viele Cadaver der Füchse mußten schon auf dem Erdboden liegen, doch die Bande schien sich nicht zu vermindern, ja man hätte glauben mögen, daß sie sich immer über das Brückchen her ergänzte.

Bald befanden sich die Colonisten so zu sagen im Handgemenge, das natürlich ohne einige, zum Glück leichte Verwundungen nicht abgehen konnte. Harbert machte einmal durch seinen Revolver Nab frei, auf dessen Rücken ein Feuerfuchs wie eine Tigerkatze gesprungen war. Top kämpfte mit einer wahren Wuth, sprang den Füchsen an die Gurgel und würgte sie ab. Jup schlug mit seinem Stocke ganz unbarmherzig zu, und vergebens suchte man ihn zurückzuhalten. Jedenfalls gestattete ihm seine ausgezeichnete Sehkraft, auch diese Dunkelheit zu durchdringen, denn immer war er da, wo der Kampf am heftigsten wüthete, und stieß dann und wann einen kurzen, scharfen Schrei, bei ihm das Zeichen der größten Freude, aus. Einmal wagte er sich sogar so weit vor, daß man ihn bei dem Aufleuchten eines Revolverschusses von fünf bis sechs großen Feuerfüchsen umringt sah, denen er mit wunderbarer Kaltblütigkeit Stand hielt.

Endlich neigte sich die siegreiche Entscheidung auf Seite der Colonisten, doch erst nachdem sie zwei lange Stunden heldenhaft widerstanden hatten. Der erste Schimmer des jungen Tages veranlaßte die Angreifer zum Rückzuge, den sie nach Norden zu über die Brücke antraten, welche Nab sogleich hinter ihnen aufzog.

Als es heller geworden und das Schlachtfeld zu übersehen war, zählten die Colonisten wohl an fünfzig Leichen auf dem Strande.

»Und Jup, rief Pencroff, wo ist denn Jup?«

Jup war verschwunden. Sein Freund Nab rief nach ihm; zum ersten Male antwortete Jup nicht auf den Zuruf seines Freundes.

Jedermann beeilte sich Jup zu suchen und zitterte bei dem Gedanken, ihn unter den Todten zu finden. Man säuberte den Platz von den Cadavern, deren Blut den Schnee färbte, und wirklich wurde Jup unter einem ganzen Haufen von Feuerfüchsen gefunden, deren eingeschlagene Schädel den Beweis lieferten, daß sie der schreckliche Knüttel des unerschrockenen Thieres getroffen hatte. Der arme Jup hielt noch immer den Rest seiner zerbrochenen Waffe in der Hand; gewiß war er erst nach diesem Unfalle von der Uebermacht überwältigt worden, und tiefe Wunden klafften an seiner Brust.

»Er lebt noch, rief Nab, sich über ihn beugend.

– Und wir retten ihn, fiel der Seemann ein, wir pflegen ihn wie Einen von uns!«

Jup schien ihn zu verstehen, denn er legte seinen Kopf auf Pencroff's Schulter, um ihm zu danken.

Der Seemann war selbst verwundet, doch erwiesen sich seine Verletzungen sowohl, als auch die seiner Gefährten, nur von geringer Bedeutung, da sie sich mittels der Feuerwaffen die Angreifer immer in gemessener Entfernung zu halten vermocht hatten. Nur der Zustand des Orang-Utangs gab zu ernster Besorgniß Veranlassung.

Jup wurde von Nab und Pencroff bis zum Aufzug getragen, wobei der Aermste kaum einen leisen Seufzer hören ließ. Man beförderte ihn möglichst sanft nach dem Granithause hinauf, legte ihn dort auf einer, aus einem Bette entnommenen Matratze nieder und wusch seine Wunden mit größter Sorgfalt aus. Letztere schienen keine lebenswichtigen Organe verletzt zu haben, doch war Jup durch den Blutverlust sehr geschwächt und trat jetzt ein heftiges Wundfieber bei ihm ein.

Man bereitete ihm also nach geschehenem Verbande ein bequemes Lager, setzte ihn auf strenge Diät, »ganz wie eine wirkliche Person«, sagte Nab, und reichte ihm einige Tassen eines erfrischenden Aufgusses, zu dem die Pflanzen-Apotheke des Granithauses die nöthigen Ingredienzen lieferte.

Jup verfiel in einen unruhigen Schlaf; nach und nach wurde jedoch seine Athmung regelmäßiger, und so gönnte man ihm die größte Ruhe. Von Zeit zu Zeit kam Top, man möchte sagen auf »Fußspitzen«, an das Lager des Verwundeten, um seinen Freund zu besuchen, und schien sich sehr über die Sorgfalt zu freuen, die man jenem widmete. Eine Hand Jup's hing unter der Decke heraus, und Top leckte sie mit betrübter Miene.

Denselben Morgen noch verschritt man zur Verscharrung der Todten, welche bis nach dem fernen Westen weggefahren und dort tief eingegraben wurden.

Dieser Angriff, der von so ernsthaften Folgen sein konnte, diente den Colonisten zur Lehre, und von jetzt ab legten sie sich niemals nieder, ohne daß Einer von ihnen sich zuletzt überzeugte, daß alle Brücken aufgezogen und keine Eindringlinge zu fürchten seien.

Jup, der einige Tage über wohl zu ernsthaften Befürchtungen Anlaß gab, überwand doch wunderbar schnell sein Leiden. Seine Constitution siegte, das Fieber sank, und Gedeon Spilett, ein halber Doctor, betrachtete ihn von nun an als außer Gefahr. Am 16. August fing Jup wieder an zu essen. Nab bereitete ihm recht leckere und süße Gerichte, die der Kranke vorzüglich liebte, denn wenn er einen kleinen Fehler hatte, so war es der, etwas Feinschmecker zu sein, und Nab hatte niemals etwas gethan, ihm denselben abzugewöhnen.

»Was wollen Sie? sagte er zu Gedeon Spilett, der ihm einmal Vorwürfe machte wegen der Verwöhnung; er kennt kein anderes Vergnügen, als das der Zunge, der arme Jup, und mich macht es glücklich, ihm wenigstens auf diese Weise seine Dienste vergelten zu können!«

Nach zehntägigem Krankenlager, am 21. August, stand Meister Jup wieder auf. Seine Wunden waren vernarbt, und man konnte hoffen, daß er bald seine natürliche Gelenkigkeit und Kraft wieder gewinnen werde. Wie alle Reconvalescenten wurde auch er von fortwährendem Hunger geplagt, und der Reporter ließ ihn nach Gefallen verzehren, so viel er wollte, im Vertrauen auf den Instinct, der zwar vernünftigen Wesen abgeht, den Affen aber gewiß vor jeder Ausschreitung bewahren würde. Nab war ganz entzückt, den Appetit seines Schülers wieder erwachen zu sehen.

»Iß nur, mein Junge, sagte er zu ihm, es soll Dir an nichts fehlen! Du hast Dein Blut für uns vergossen, und mindestens muß ich Dir doch wieder zu selbigem verhelfen!«

Am 25. August erschallte plötzlich die Stimme Nab's, der seine Gefährten zusammen rief.

»Herr Cyrus, Herr Gedeon, Herr Harbert, Pencroff, kommen Sie Alle her! Kommen Sie!«

Die Colonisten folgten dem Rufe Nab's, der sich in Jup's Kammer befand.

»Was ist geschehen? fragte der Reporter.

– Sehen Sie da!« rief Nab und stieß ein helles Gelächter aus.

Und was sah man denn? Da saß Meister Jup und rauchte, ruhig und ernst wie ein Türke, an der Thür des Granithauses.

»Meine Pfeife! rief Pencroff, er hat meine Pfeife genommen. O, mein wackerer Jup, ich mache Dir ein Geschenk damit! Rauche nur, mein Freund, rauche nur!«

Gravitätisch blies Jup dicke Rauchwirbel vor sich hin, was ihm ein ganz besonderes Vergnügen zu machen schien.

Cyrus Smith schien über diesen Anblick gar nicht so sehr erstaunt und führte mehrere Beispiele von Affen an, die sich den Gebrauch des Tabaks angewöhnt hatten.

Von diesem Tage ab hatte Meister Jup aber seine Pfeife, die Ex-Pfeife des Seemannes, welche in seiner Kammer neben einigen Tabaksvorräthen hing, für sich; er stopfte sie selbst, setzte sie mit einer glühenden Kohle in Brand und schien der Glücklichste aller Vierhänder zu sein. Man begreift, daß diese Uebereinstimmung des Geschmackes die engen Freundschaftsbande zwischen Jup und Pencroff, welche den wackeren Affen und den ehrlichen Seemann schon lange verknüpften, nur noch befestigen mußte.

»Vielleicht ist es gar ein Mensch, sagte Pencroff einmal zu Nab. Würde es Dich sehr wundern, wenn er uns eines schönen Tages einmal anspräche?

– Meiner Treu, nein, erwiderte Nab. Was mich wundert, ist vielmehr, daß er nicht spricht, denn ihm fehlt ja gar nichts anderes als das Wort.

Es sollte mich kostbar amüsiren, fuhr der Seemann fort, wenn er etwa plötzlich zu mir sagte: ›Wollen wir nicht einmal die Pfeifen tauschen, Pencroff?‹

– Ja, meinte Nab, es ist ein Unglück, daß er stumm geboren ist!«

Mit dem September neigte sich der Winter zu Ende, und die Arbeiten begannen mit gewohntem Eifer.

Der Bau des Schiffes schritt jetzt rüstig vorwärts. Schon war es vollständig umplankt und man baute es nun im Innern aus, wobei es auch seine eigentlichen durch Wasserdampf genau nach dem Modell gebogenen Rippen erhielt.

Da es an Holz nicht fehlte, so schlug Pencroff dem Ingenieur vor, den Rumpf durch eine zweite Innenwand, einen sogenannten Weger, noch mehr zu sichern, und so die Haltbarkeit des ganzen Baues wesentlich zu erhöhen.

Da auch Cyrus Smith nicht wußte, was die Zukunft bringen könnte, billigte er die Idee des Seemannes, der sein Schiff so seefest als möglich herstellen wollte.

Die Auswegerung und das Verdeck wurde am 15. September beendigt. Zum Kalfatern der Fugen benutzte man eine Art aus trockenem Seetang gewonnenen Werges, das mit Fäustelschlägen in die Zwischenräume der Planken, der Innenwände und des Verdecks eingetrieben wurde; dann bestrich man diese Fugen noch mit siedendem Pech, das die Kiefern des Waldes in Ueberfülle lieferten.

Die Ausrüstung des Fahrzeuges war so einfach als möglich. Zuerst wurde es mit schweren Granitblöcken belastet, die man mittels Kalk vermauerte und von denen etwa 1200 Pfund Verwendung fanden. Ueber diesen Ballast brachte man einen Fußboden an, und darüber wurde der Raum in zwei Cajüten getheilt, an deren Langseiten sich Bänke hinzogen, die gleichzeitig als Behälter dienten. Der Fuß des Mastes stützte die Scheidewand der beiden Abtheilungen, in welche man durch zwei mit Deckeln zu verschließende Luken hinabgelangte.

Pencroff gelang es sehr leicht, einen zum Maste geeigneten Baum zu finden. Er wählte eine junge gerade Fichte, die er nur am unteren Theile passend zu bearbeiten und oben entsprechend zu stutzen brauchte. Alle Eisentheile des Mastes, Steuers und Rumpfes wurden zwar etwas schwerfällig, aber haltbar, in der Schmiede der Kamine hergestellt. Raaen, Bugspriet, Spieren u.s.w., Alles wurde in der ersten Octoberwoche vollendet, und man beschloß, das Schiff sofort durch eine Fahrt längs der Ufer der Insel zu erproben, um zu sehen, wie es sich auf dem Meere halte und wie weit man sich ihm anvertrauen dürfe.

Natürlich wurden auch jetzt die nöthigen Arbeiten nicht vernachlässigt. Die Hürde versorgte man mit Futtervorräthen und ergänzte alles Nothwendige, denn die Schaf- und Ziegenheerde hatte sich um fast hundert Junge vermehrt, welche zu ernähren und unterzubringen waren. Ebenso besuchten die Colonisten auch die Austernbank, das Kaninchengehege, die Steinkohlen- und Eisensteingruben, und verlängerten ihre Jagdzüge gelegentlich in noch unerforschte Theile des fernen Westens, die einen sehr reichen Wildstand zeigten.

Daneben entdeckte man noch weitere einheimische Pflanzen, die, wenn sie auch keinen so hohen Gebrauchswerth hatten, doch die Pflanzenvorräthe des Granithauses vermehrten. Es waren das mehrere Ficus-Arten, die einen ähnlich den am Cap vorkommenden, mit fleischigen, eßbaren Blättern, die andern mit Körnern, welche eine Art Mehl enthielten.

Am 10. October wurde das Schiff vom Stapel gelassen. Pencroff war entzückt und strahlte vor Freude, da Alles bestens von Statten ging. Man hatte das vollständig ausgerüstete Fahrzeug auf Rollen so weit an den Strand geschoben, daß es bei der Fluth flott wer den mußte, was denn auch unter dem Jubelrufe der Ansiedler geschah, und vorzüglich war es Pencroff, der bei dieser Gelegenheit keinen Mangel an Bescheidenheit sehen ließ. Sein Stolz sollte auch die Vollendung des Schiffes überdauern, da er nun zum rechtmäßigen Commandanten desselben ernannt wurde. Unter allseitiger Zustimmung ertheilte man ihm den Charakter des Kapitäns.

Um den Kapitän Pencroff zu befriedigen, mußte nun das neue Schiff zuerst getauft werden; nach langem Hin- und Herreden einigte man sich denn in dem Namen »Bonadventure«, dem Vornamen des ehrlichen Seemannes.

Sobald der Bonadventure von der Fluth erfaßt worden war, konnte man sich überzeugen, wie gut er sich in seiner Wasserlinie hielt und daß er unter jeden Verhältnissen ein tüchtiger Segler sein werde.

Uebrigens sollte noch denselben Tag ein Versuch durch eine Probefahrt nach der offenen See hinaus angestellt werden. Das Wetter war schön, die Brise frisch und das Meer leicht zu befahren, vorzüglich an der Südküste, da der Wind schon seit einer Stunde aus Nordosten wehte.

»Einschiffen! Einschiffen!« rief Kapitän Pencroff.

Vorher mußte man aber wohl noch frühstücken und auch einige Nahrungsmittel an Bord nehmen, für den Fall einer Ausdehnung des Ausfluges bis zum Abend.

Cyrus Smith trieb es wohl ebenso, dieses Fahrzeug zu erproben, zu dem die Pläne von ihm herrührten, obwohl er manchmal das und jenes nach dem Rathe des Seemannes abgeändert hatte; – aber er wiegte sich nicht in demselben Vertrauen wie Pencroff, und da Dieser von der Reise nach der Insel Tabor nicht mehr gesprochen hatte, so gab sich Cyrus Smith der Hoffnung hin, daß Jener dieselbe überhaupt aufgegeben habe. Er wollte auch bei seinem Widerspruche bleiben, zwei oder drei seiner Genossen dieser winzigen, kaum fünfzehn Tonnen haltenden Barke für eine so weite Fahrt anzuvertrauen.'

Um halb elf Uhr war alle Welt an Bord, selbst Jup und Top inbegriffen. Nab und Harbert lichteten den im Sande liegenden Anker, die Brigantine wurde gehißt, die Lincolner Flagge entfaltete sich am Maste, und der von Pencroff geführte Bonadventure stach in See.

Um aus der Unions-Bai herauszukommen, mußte man zuerst den Wind von rückwärts nehmen, und überzeugte sich, daß das Schiff hierbei recht schnell segelte.

Nach Umschiffung der Seetriftspitze und des Krallen-Caps hielt sich Pencroff dicht am Winde, um längs der Inselküste hinzufahren, und nachdem er so einige Kabellängen zurückgelegt hatte, constatirte er, daß der Bonadventure der Abweichung noch bei fünf Strich am Winde recht leidlich widerstand. Er lavirte sehr gut gegen den Wind, hatte, wie die Seeleute sagen, »Strich« und kam dabei ziemlich schnell vorwärts.

Die Passagiere des Bonadventure waren ganz entzückt; sie besaßen ein schönes Fahrzeug, das ihnen gegebenen Falles ersprießliche Dienste leisten konnte, und bei diesem herrlichen Wetter, wie dem günstigen Winde, fanden sie die Promenade höchst ergötzlich.

Pencroff segelte dem Ballonhafen gegenüber drei bis vier Meilen in die hohe See hinaus. Die Insel zeigte sich von hier aus in ihrer ganzen Ausdehnung und unter einem neuen Gesichtspunkte mit dem wechselnden Panorama der Küste vom Krallen-Cap bis zum Schlangen-Vorgebirge, ihren Außenwäldern, in denen die Coniferen charakteristisch von den andern kaum knospenden Bäumen abstachen, und dem Franklin-Berge, der das Gesammtbild beherrschte und auf dessen Spitze noch blendende Schneeflächen lagerten.

»Wie schön ist das! rief Harbert.

– Ja, unsere Insel ist schön und gut, antwortete Pencroff; ich liebe sie, wie meine arme Mutter! Sie hat uns arm und hilflos aufgenommen, und was fehlt den fünf ihr vom Himmel gefallenen Kindern wohl jetzt?

– Nichts! betheuerte Nab, nichts, Kapitän!«

Und die beiden wackeren Leute ließen zu Ehren ihrer Insel drei kräftige Hurrahs erschallen.

Inzwischen lehnte Gedeon Spilett am Fuße des Mastes und zeichnete das Panorama, das sich vor seinen Augen entrollte.

Schweigend sah Cyrus Smith ihm zu.

»Nun, Herr Cyrus, fragte ihn da Pencroff, was sagen Sie zu unserem Schiffe?

– Es scheint sich gut zu halten, antwortete der Ingenieur.

– Gut, und glauben Sie nun auch, daß man mit ihm selbst eine Reise von einiger Dauer unternehmen könne?

– Welche Reise, Pencroff?

– Zum Beispiel die nach der Insel Tabor?

– Guter Freund, erwiderte Cyrus Smith, ich bin der Meinung, daß wir im Falle der Noth niemals zaudern würden, uns dem Bonadventure, selbst für eine weitere Reise, anzuvertrauen; aber Sie wissen auch, daß ich Sie nur mit Sorge nach der Insel Tabor segeln sehe, wohin Sie keine Nothwendigkeit ruft.

– Man lernt doch seine Nachbarn gern kennen, versetzte Pencroff, der nun einmal auf seiner Idee bestand. Die Insel Tabor ist unsere Nachbarin, und zwar die einzige! Die einfache Höflichkeit verlangt schon, ihr einen Besuch abzustatten.

– Alle Wetter, fiel Gedeon Spilett ein, unser Freund Pencroff ist sattelfest in dem, was sich schickt.

– Ich bin in gar nichts sattelfest, wehrte Pencroff ab, den der Widerspruch des Ingenieurs ein wenig reizte, und der diesem doch keine Unruhe machen wollte.

– Bedenken Sie auch, Pencroff, fuhr Cyrus Smith fort, daß Sie nicht allein nach der Insel Tabor gehen können.

– Ein Mann zur Begleitung genügt mir.

– Zugegeben, antwortete der Ingenieur, Sie wagen es also, der Insel Lincoln von fünf Colonisten zwei zu entführen?

– Von Sechs, entgegnete Pencroff. Sie vergessen Jup.

– Von Sieben, fügte Nab hinzu, Top gilt ebensoviel, wie ein Anderer.

– Es ist aber nichts dabei zu wagen, Herr Cyrus, wiederholte Pencroff.

– Das ist möglich, Pencroff; doch ich sage Ihnen noch einmal, ich nenne das sich ohne Nothwendigkeit einer Gefahr aussetzen!«

Der halsstarrige Seemann schwieg und ließ das Gespräch fallen, doch nur um es bei passender Gelegenheit wieder aufzunehmen. Er dachte aber gewiß nicht daran, daß ein Zufall ihm zu Hilfe kommen und das, was jetzt vielleicht nur eine Laune von ihm war, in ein Werk der Nächstenliebe verwandeln sollte.

Der Bonadventure hatte nämlich gewendet und hielt jetzt auf den Ballonhafen zu. Es erschien von Wichtigkeit, die passirbaren Durchfahrten zwischen den Sandbänken und Klippen kennen zu lernen, um sie nöthigenfalls mit Baken zu versehen, da die kleine Bucht als Hafen für das Schiff dienen sollte.

Man war jetzt kaum eine halbe Meile von der Küste entfernt und mußte gegen den Wind aufkommen, wobei der Bonadventure auch deshalb nur sehr langsam vorwärts kam, weil die Brise, von dem hohen Lande aufgehalten, kaum noch die Segel schwellte und das spiegelglatte Meer sich nur bei einzelnen Windstößen kräuselte, welche dann und wann fühlbar wurden.

Harbert stand am Vordertheile, um den Weg anzugeben, den das Schiff in den engen Fahrstraßen einzuhalten hatte, als er plötzlich laut rief:

»Backbord, Pencroff, Backbord!

– Was ist denn los? antwortete der Seemann sich erhebend. Etwa ein Felsen?

– Nein, warte, sagte Harbert… Ich sehe so nicht gut… noch etwas Backbord… gut… noch etwas Backbord… gut… ein wenig Steuerbord ...«

Bei diesen Worten legte sich Harbert lang auf den Bordrand, tauchte den Arm schnell in's Wasser und rief, ihn wieder erhebend:

»Eine Flasche!«

In seiner Hand hielt er eine verschlossene Flasche, die er eben, wenige Kabellängen von der Küste, erhascht hatte.

Cyrus Smith nahm sie ihm ab. Ohne ein Wort zu sagen, lüftete er den Pfropfen, zog ein halbfeuchtes Papier heraus, von dem er die Worte las:

Schiffbruch… Insel Tabor: 153° westliche Länge – 37°11' südliche Breite.


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