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Neuntes Capitel.

Schlechtes Wetter. – Der hydraulische Aufzug. – Fabrikation von Fensterglas und Trinkgeschirr. – Der Brodbaum. – Häufige Besuche des Viehhofes. – Wachsthum der Heerde. – Eine Frage des Reporters. – Genaue Coordinaten der Insel Lincoln. – Ein Vorschlag Pencroff's.

———

In der ersten Woche des März änderte sich das Wetter. Schon mit Anfang des Monats trat starker Regen ein und dabei dauerte die Hitze noch unvermindert fort. Man fühlte es, daß die Atmosphäre mit Elektricität geschwängert und eine mehr oder weniger lange Periode stürmischen Wetters ernstlich zu befürchten war.

In der That grollte am 2. der Donner mit furchtbarer Gewalt. Der Wind blies aus Osten, und der Hagel schlug wie Kartätschenkugeln direct gegen die Façade des Granithauses. Die Thüre und Fensterläden mußten hermetisch verschlossen werden, sonst wäre eine Ueberschwemmung der Zimmer im Innern nicht ausgeblieben.

Als er diese Hagelkörner fallen sah, deren einige die Größe von Taubeneiern erreichten, ängstigte Pencroff nur der eine Gedanke, daß sein Kornfeld in größter Gefahr schwebe.

Er eilte sofort nach dem Felde, auf dem die Aehren schon ihre kleinen grünen Köpfe erhoben Mittels eines großen Stückes Zeug gelang es ihm, seine Ernte zu schützen. Wurde er auch dafür halb gesteinigt, so murrte er doch deshalb nicht.

Dieses schlechte Wetter hielt acht Tage lang an, während dessen der Donner in den Tiefen des Himmels fast niemals zu rollen aufhörte. In der Zeit zwischen zwei Gewittern hörte man ihn noch außerhalb der Grenzen des Horizontes, um bald wieder mit erneuter Heftigkeit loszubrechen. Der Himmel erschien fortwährend von Blitzen gestreift, die mehrmals auch Bäume der Insel trafen, unter anderen eine enorme Fichte, welche nahe dem See an der Grenze des Waldes stand.

Wiederholt schlug das elektrische Fluidum auch auf das Ufer nieder und schmolz den Sand glasartig zusammen. Bei dem Auffinden dieser Fulguriten (d.s. sogenannte Blitzröhren) kam der Ingenieur zu dem Glauben, daß es thunlich sein werde, die Fenster des Granithauses mit dichten und haltbaren Scheiben zu versehen, welche Wind, Regen und Hagel abzuhalten versprachen.

Da die Colonisten außerhalb keine dringlichen Arbeiten vorhatten, beschäftigten sie sich im Innern des Granithauses, dessen Einrichtung sich von Tag zu Tag vervollkommnete und verbesserte. Der Ingenieur baute eine einfache Drehbank, auf der er verschiedene Toiletten- und Küchengegenstände abdrehte, vor allem Knöpfe, deren Mangel sich besonders fühlbar machte. Für die Waffen, denen man die größte Sorgfalt zuwendete, war ein Gewehrgestell errichtet worden, und weder Regale noch Schränke ließen zu wünschen übrig. Man sägte, hobelte, feilte, drehte, und während dieser ganzen Zeit der schlechten Witterung hörte man nichts als das Geräusch der Werkzeuge und das Knarren der Drehbank, die einzige Antwort auf das mächtige Rollen der Donnerschläge.

Meister Jup wurde nicht vergessen und bewohnte neben dem Hauptmagazine einen eigenen Raum mit einem Lager von weicher Streu, das ihm sehr wohl zu gefallen schien.

»Dieser wackere Jup, lobte ihn Pencroff öfters, veranlaßt doch nie einen Streit oder verletzt durch vorlaute Antworten; das ist mir ein Diener ohne Gleichen, Nab, ein wahres Prachtexemplar von dienstbarem Geist!

– Mein Schüler, antwortete Nab, und bald meines Gleichen!

– O, er überflügelt Dich noch, versetzte lächelnd der Seemann, denn Du sprichst, Nab, und er schweigt!«

Es versteht sich von selbst, daß Jup denselben Dienst fortan regelmäßig versah. Er reinigte auch die Kleider, drehte den Bratspieß, fegte die Zimmer aus, schichtete Holz auf, und – was Pencroff vor Allem schmeichelte – er legte sich niemals nieder, ohne den würdigen Seemann in sein Bett einzuwickeln.

Die Gesundheit aller Mitglieder der Colonie, Zweihänder und Zweifüßer, Vierhänder und Vierfüßer, ließ nicht das Mindeste zu wünschen übrig.

Bei dieser Lebensweise in freier Luft, auf dem gesunden Boden, unter gemäßigter Zone, immer mit Kopf und Hand thätig, konnten sie gar nicht daran glauben, von einer Krankheit befallen zu werden.

Wirklich befanden sich Alle ausnehmend wohl; Harbert war seit einem Jahre um zwei Zoll gewachsen. Sein Ansehen wurde zunehmend männlicher, und er versprach körperlich und geistig ein vollkommener Mann zu werden. Dazu bemühte er sich, seine Muße zwischen den nothwendigen Arbeiten auf jede Weise nutzbringend zu verwenden, las die verschiedenen Bücher aus der gefundenen Kiste, und nach den praktischen Lectionen, welche die Sachlage selbst an die Hand gab, fand er in Cyrus Smith für die Wissenschaften, und im Reporter für die Sprachen zwei Lehrer, die sich seiner Fortbildung freundlich annahmen.

Bei dem Ingenieur wurde es fast zur fixen Idee, Alles, was er wußte, auf den jungen Mann zu übertragen, ihn ebenso durch das lebendige Beispiel, wie durch Worte zu unterrichten, und Harbert dagegen zeigte den redlichsten Fleiß in den Unterrichtsstunden seines Professors.

»Sollte ich mit Tode abgehen, so dachte Cyrus Smith, dann wird er an meine Stelle treten können!«

Das Unwetter legte sich endlich am 9. März, doch blieb der Himmel diesen ganzen letzten Sommermonat über von Wolken bedeckt. Die durch die elektrischen Entladungen gestörte Atmosphäre schien die frühere Reinheit nicht wieder finden zu können, und drei oder vier schöne Tage ausgenommen, welche Ausflüge aller Art begünstigten, gab es fortwährend Regen und Nebel.

Zu dieser Zeit warf das Quagga-Weibchen ein Junges von dem Geschlecht der Mutter, das ganz nach Wunsch gedieh. Auch in der Hürde war die Mufflonsheerde auf dieselbe Art gewachsen, und mehrere Lämmer blökten in den Schuppen zur größten Freude Harberts und Nab's, die Jeder ihre Lieblinge unter den Neugeborenen halten.

Jetzt versuchte man auch die Züchtung der Pecaris, welche vollkommen gelang; in der Nähe des Hühnerhofes wurde ein Stall errichtet, in dem sich bald mehrere Junge befanden, welche aufgezogen, d.h. durch Nab's Sorgfalt fett gemacht wurden. Meister Jup, dem es oblag, ihnen das tägliche Futter, wie das Aufwaschwasser, die Küchenabfälle u. dgl. zu bringen, entledigte sich dessen zur größten Zufriedenheit. Zwar konnte er manchmal nicht umhin, sich auf Kosten seiner kleinen Pfleglinge zu amüsiren und sie am Schwanze zu zupfen, aber das geschah nur im Scherz, nicht aus Bosheit, denn diese kleinen Ringelschwänzchen ergötzten ihn wie ein Spielzeug, und sein Instinct war nun einmal der eines Kindes.

Im Verlaufe dieses Monates erinnerte Pencroff, als er mit dem Ingenieur sprach, Cyrus Smith auch an ein Versprechen, welches zu erfüllen dieser noch nicht Zeit gefunden hatte.

»Sie sprachen einmal von einem Apparate, Herr Cyrus, der uns die vielen Stufen nach dem Granithause herauf ersparen sollte. Werden sie denselben noch in Stand setzen?

– Sie meinen damit eine Art Aufzug, antwortete Cyrus Smith.

– Meinetwegen heiße er ein Aufzug, wie Sie wollen, entgegnete der Seemann. Der Name thut mir nichts zur Sache, wenn er uns nur gestattet, ohne Anstrengung bis zu unserer Wohnung herauf zu gelangen.

– Das wird sehr leicht sein, Pencroff, aber ist es auch nützlich?

– Gewiß, Herr Cyrus, nachdem wir das Nothwendige erlangt haben, so dürfen wir wohl auch an die Bequemlichkeit denken. Für die Personen mag das ein Luxus sein, wenn sie wollen, aber für Lasten scheint es ganz unentbehrlich. Es ist nicht gar zu angenehm, mit einer schweren Ladung eine lange Strickleiter hinauf zu klettern.

– Nun gut, Pencroff, wir werden versuchen, Sie zufrieden zu stellen, erwiderte Cyrus Smith.

– Sie haben aber keine Maschine dazu.

– Wir machen eine.

– Eine Dampfmaschine?

– Nein, eine Wasserkraftmaschine.«

In der That war ja, um einen solchen Apparat zu bewegen, eine Naturkraft zur Disposition, die der Ingenieur ohne große Schwierigkeit verwenden konnte.

Dazu bedurfte es nur einer Vermehrung der kleinen Seewasserableitung, welche das Innere des Granithauses versorgte. Die zwischen Steinen und Pflanzen ausgesparte Oeffnung am oberen Theile des Abflusses wurde demgemäß erweitert, wodurch ein kräftiger Wasserfall entstand, dessen Ueberschuß in den im Innern befindlichen Brunnenschacht abfloß. Unterhalb dieses Falles brachte der Ingenieur ein Schaufelrad mit einer Welle an der Außenwand in Verbindung, um welches ein starkes Tau mit einem Packkörbe am Ende lief. So konnte man sich, da mittels eines langen Strickes, der bis zum Erdboden reichte, diese Welle in oder außer Gang zu setzen war, in dem Korbe bis zur Thür des Granithauses emporheben lassen.

Am 17. März fungirte der Aufzug zum ersten Male zu allgemeiner Zufriedenheit. Von jetzt ab wurden alle Lasten, Holz, Kohlen, Lebensmittel, die Colonisten selbst, durch diese so einfache Vorrichtung, welche die primitive Strickleiter ersetzte, aufgewunden. Top erschien über diese Verbesserung besonders erfreut, denn ihm ging natürlich Jup's Gewandtheit im Erklettern der Stufen ab, und nicht selten war er auf dem Rücken Nab's oder gar auf dem des Orang-Utangs emporgelangt.

Um diese Zeit versuchte Cyrus Smith auch Glas zu erzeugen und mußte deshalb der alte Töpferofen dem neuen Zwecke angepaßt werden. Das bot zwar unerwartete Schwierigkeiten, doch gelang es nach wiederholten mißglückten Versuchen, eine Glashütte herzustellen, welche Gedeon Spilett und Harbert, die natürlichen Gehilfen des Ingenieurs, mehrere Tage gar nicht verließen.

Die Substanzen, aus denen das Glas zusammengesetzt ist, bestehen aus Sand, Kreide und Soda (kohlensaures oder schwefelsaures Natron). Das Ufer lieferte den Sand, Seepflanzen die Soda, Feuersteine die Schwefelsäure und der Boden die zum Heizen des Ofens nöthige Steinkohle. Die Bedingungen zum Beginn der Operation waren also erfüllt.

Dasjenige Werkzeug, deren Herstellung die meiste Schwierigkeit bot, war das Glasblaserohr, eine fünf bis sechs Fuß lange eiserne Röhre, mit deren einem Ende man die geschmolzene Masse schöpft. Pencroff gelang es indessen durch Zusammenrollen eines langen dünnen Eisenbleches nach Art eines Flintenlaufes ein solches Blaserohr herzustellen, das dann auch sofort in Gebrauch genommen wurde.

Am 28. März heizte man den Ofen tüchtig an. 100 Theile Sand, 35 Theile Kreide, 40 Theile schwefelsaures Natron und 2 bis 3 Theile Kohlenpulver wurden in Schmelztiegeln aus feuerfester Erde gemischt. Als die Masse durch die bedeutende Hitze in geschmolzenen oder vielmehr teigartigen Zustand übergegangen war, »schöpfte« Cyrus Smith mit dem Rohre eine gewisse Menge dieses Teiges heraus; er drehte und wendete dieselbe auf einer vorher zurecht gemachten Metallplatte so lange, bis sie eine zum Aufblasen geeignete Form annahm; dann reichte er das Rohr Harbert und sagte ihm, er solle von dem anderen Ende aus hineinblasen.

»So, als ob man Seifenblasen machen wollte? fragte der junge Mann.

– Genau so«, antwortete der Ingenieur.

Harbert blähte die Wangen auf und blies so kräftig in das Rohr, welches er fortwährend drehte, daß sein Athem die Glasmasse aufweitete.

Zu der ersten Menge wurden sodann weitere geschmolzene Portionen hinzugefügt und zuletzt entstand eine Kugel von etwa einem Fuß Durchmesser. Cyrus Smith nahm sodann das Rohr wieder aus Harbert's Händen, schwenkte es pendelartig und verlängerte so die weiche Kugel zu einem konischen Cylinder.

Das Blasen ergab demnach einen Glascylinder mit zwei halbkugeligen Enden, die mittels eines in kaltes Wasser getauchten Messers leicht losgelöst wurden. Auf dieselbe Art und Weise zerschnitt man hierauf den Cylinder seiner ganzen Länge nach, und nachdem er durch eine zweite Erhitzung wieder schmiegsam gemacht war, wurde er auf einer Platte mittels einer Holzrolle ausgebreitet.

Die erste Fensterscheibe war hiermit fertig und die Operation nur fünfzig Mal zu wiederholen, um eben so viel Scheiben zu erzielen. Bald erglänzten nun die Fenster des Granithauses mit ihren durchsichtigen Scheiben, und wenn diese sich auch nicht durch ihre Farblosigkeit auszeichneten, so drangen doch genügende Lichtstrahlen durch sie hindurch.

Die Herstellung der Trinkgeschirre, als Gläser und Flaschen, erfolgte wirklich spielend. Man nahm eben mit ihnen vorlieb, wie sie sich am Ende des Blaserohres gestalteten. Pencroff hatte auch seinerseits einmal zu »blasen« gewünscht, aber er blies so stark, daß seine Erzeugnisse oft die wunderlichsten Formen annahmen, die er denn auch mit ungeheuchelter Freude begrüßte.

Bei Gelegenheit eines Ausfluges zu jener Jahreszeit wurde auch ein neuer Baum entdeckt, der die Bezugsquellen der Lebensmittel für die Colonie neuerdings vermehrte.

Cyrus Smith und Harbert gelangten jagend eines Tages bis in die Wälder des fernen Westens. Wie immer richtete der junge Mann tausend Fragen an den Ingenieur, welche dieser bereitwillig beantwortete. Von der Jagd gilt aber dasselbe, wie von jeder anderen Beschäftigung auf Erden: wenn man ihr nicht den nöthigen Eifer widmet, erzielt man keine sonderlichen Erfolge. Da nun Cyrus Smith kein leidenschaftlicher Jäger war und Harbert auch mehr von Chemie und Physik sprach, so entkamen heute viele Wasserschweine, Kängurus und Agutis dem Gewehre des jungen Mannes, und als der Tag sich zu Ende neigte, mußten die beiden Jäger befürchten, eine nutzlose Excursion unternommen zu haben, als Harbert plötzlich stehen blieb und freudig ausrief:

»Ach, Herr Cyrus, sehen Sie jenen Baum da?«

Er wies dabei mehr nach einem Strauche, als einem Baum, denn derselbe bestand nur aus einem einzelnen Stengel, den eine schuppige Rinde überzog und der gestreifte Blätter mit kleinen parallelen Adern trug.

»Nun, was ist's mit diesem Baume, der einer kleinen Palme nicht unähnlich aussieht? fragte Cyrus Smith.

– Es ist eine › Cycas revoluta‹, deren Abbildung sich in unserem naturwissenschaftlichen Wörterbuche befindet.

– Früchte sehe ich aber an dem Baume nicht?

– Nein, Herr Cyrus, aber sein Stamm enthält ein von Natur ganz fertig gebildetes Mehl.

– Das wäre also ein Brodbaum?

– Richtig, ein Brodbaum.

– Nun, mein Sohn, fuhr der Ingenieur fort, da wäre ja für die Zwischenzeit bis zur ersten Getreideernte ein sehr schätzbarer Fund gethan. Wir wollen uns überzeugen, und der Himmel gebe, daß Du Dich nicht getäuscht!«

Harbert hatte sich nicht getäuscht. Er brach einen Cycas-Zweig ab, der sich aus einem Maschengewebe von mehligem Mark bestehend zeigte; zwischendurch verliefen holzige Fasern, welche durch concentrische Jahresringe getrennt wurden. Das Mehl selbst erschien mit einem schleimigen Safte gemischt, der jedoch durch Pressung leicht zu entfernen sein mußte. Die Substanz in den Zellen bildete ein wirkliches Mehl von ausgezeichneter Qualität und sehr nährenden Eigenschaften, dessen Export die japanischen Gesetze ausdrücklich verbieten.

Cyrus Smith und Harbert versicherten sich durch einige Merkzeichen der Stelle, an der die Cycas wuchsen, und kehrten nach dem Granithause zurück, wo sie von ihrer schätzenswerthen Entdeckung Mittheilung machten.

Am folgenden Tage begaben sich die Ansiedler zum Einsammeln dieser Pflanzen, und Pencroff, der sich für seine Insel mehr und mehr begeisterte, sagte zu dem Ingenieur:

»Herr Cyrus, glauben Sie, daß es Inseln für Schiffbrüchige giebt?

– Was meinen Sie damit, Pencroff?

– Nun, ich meine Inseln, die ganz besonders dazu geschaffen sind, daran Schiffbruch zu leiden und auf welchen die armen Teufel doch alles Nothwendige finden.

– Das kann wohl sein, antwortete der Ingenieur lächelnd.

– Nein, mein Herr, das ist wirklich so, erwiderte Pencroff, und die Insel Lincoln ist eine solche!«

Mit einer reichlichen Ernte an Cycas-Stengeln kehrte man nach dem Granithause zurück. Der Ingenieur construirte eine Presse, um den mit dem Mehle vermischten schleimigen Saft zu entfernen, und so erhielt man von ersterem eine recht ansehnliche Menge, die sich unter Nab's geschickten Händen zu Kuchen und Puddings umwandelte. Ein eigentliches Brod aus Getreide hatte man hiermit zwar noch nicht, doch kam das Backwerk diesem ziemlich nahe.

In dieser Zeit lieferten auch die Quagga's, die Ziegen und die Schafe aus der Viehhürde der Colonie täglich die nöthige Milch.

Der Lastwagen, oder vielmehr das Wägelchen, welches jenen nun ersetzt hatte, verkehrte häufig zwischen der Ansiedelung und dem Viehhofe, und wenn Pencroff dahin fuhr, nahm er immer Jup mit und lehrte diesen fahren, wobei der Affe ebenso geschickt als vergnügt mit der Peitsche knallte.

Alles, was man begonnen hatte, gedieh also prächtig und nichts, außer dem Getrenntsein von der Heimat, gab den Colonisten Ursache zur Klage. Sie hatten sich so sehr in dieses Leben gefunden, so sehr an ihre Insel gewöhnt, daß sie deren gastlichen Boden gewiß nicht ohne Bedauern verlassen hätten.

Und doch wurzelt die Liebe zum Vaterlande so tief im Menschenherzen, daß die Ansiedler, wenn sich ein Schiff zufällig der Insel in Sicht gezeigt hätte, ohne Zweifel Signale gegeben und es angerufen haben würden, um mit ihm wegzuziehen!…. Inzwischen freuten sie sich dieser glücklichen Existenz und hatten weit mehr Furcht, als eigentliches Verlangen, dieselbe unterbrochen zu sehen.

Wer kann sich aber schmeicheln, das Glück je an sich gefesselt zu haben und seinem Wechsel enthoben zu bleiben?

Wie dem auch sei, die von den Ansiedlern nun schon über ein Jahr bewohnte Insel Lincoln war wiederholt der Gegenstand ihrer Unterhaltung, und eines Tages wurde eine Beobachtung gemacht, welche später von den eingreifendsten Folgen sein sollte. H

Der Ostersonntag, 1. April, von Cyrus Smith und seinen Genossen der Erholung und der Andacht geweiht, war ein so schöner Tag, wie es nur ein herrlicher Octobertag der nördlichen Halbkugel sein kann.

Nach dem Essen hatten sich Alle unter der Veranda am Rande des Plateaus der Freien Umschau zusammengefunden und sahen langsam den Tag versinken. Nab servirte einige Tassen Hollunderbeerenaufguß, der die Stelle des Kaffee vertrat. Man plauderte von der Insel und ihrer isolirten Lage im Stillen Ocean, als Gedeon Spilett die Frage aufwarf:

»Lieber Cyrus, haben Sie schon, seitdem Sie den in der Kiste vorgefundenen Sextanten besitzen, die geographische Lage unserer Insel genauer bestimmt?

– Nein, antwortete der Ingenieur.

– Wäre es aber nicht empfehlenswerth, das mit dem Instrumente, welches doch jedenfalls verläßlicher ist, als das früher construirte, jetzt vorzunehmen?

– Wozu, warf Pencroff ein, unsere Insel ist herrlich, wo sie auch liegen mag.

– Das bestreite ich auch nicht, entgegnete Gedeon Spilett, doch es ist sehr denkbar, daß die Unvollkommenheit der Hilfsmittel die Richtigkeit der Beobachtung gestört habe, und da es jetzt leicht ist, sich hierüber Gewißheit zu verschaffen….

– Sie haben Recht, lieber Spilett, meinte der Ingenieur, ich hätte diese Berichtigung wohl schon früher vornehmen sollen, obgleich der untergelaufene Irrthum weder in der Länge noch in der Breite fünf Grad übersteigen kann.

– Ja, wer weiß das? versetzte der Reporter, wer weiß, ob wir einem bewohnten Lande nicht weit näher sind, als wir es glauben?

– Das werden wir morgen wissen, versicherte der Ingenieur, und ohne die vielfachen Beschäftigungen, welche mir alle Muße raubten, wüßten wir es schon jetzt.

– Schön, mischte sich Pencroff noch einmal ein, der Herr Cyrus ist ein viel zu guter Beobachter, um sich getäuscht zu haben, und wenn die Insel nicht selbst davon gelaufen ist, befindet sie sich noch da, wo er sie zuerst hinversetzte!

– Wir werden ja sehen!«

Schon am folgenden Tage also stellte der Ingenieur mittels des Sextanten die nöthigen Beobachtungen an, um die früher gefundenen Coordinaten zu verificiren, und gelangte dabei zu folgenden Resultaten.

Seine erste Beobachtung hatte für die Lage der Insel Lincoln ergeben:

Westliche Länge: 150 bis 155°

Südliche Breite: 30 bis 35°.

Die zweite ergab:

Westliche Länge: 150°30'

Südliche Breite: 34°57'.

Trotz der Unvollkommenheit seiner Apparate hatte Cyrus Smith also so geschickt operirt, daß der Fehler hierbei 5° nicht überstieg.

»Jetzt, fuhr Gedeon Spilett fort, da wir außer dem Sextanten auch einen Atlas besitzen, so lassen Sie uns, lieber Cyrus, doch einmal genau nachsehen, wo die Insel Lincoln im Pacifischen Ocean liegt«

Harbert holte den, wie erwähnt, in Frankreich erschienenen Atlas herzu, dessen Nomenclatur also auch in französischer Sprache abgefaßt war.

Die Karte des Stillen Oceans wurde ausgebreitet, und der Ingenieur wollte mit dem Zirkel in der Hand die Lage der Insel zwischen den Gradlinien derselben angeben.

Plötzlich hielt er mit dem Zirkel an und sagte:

»Aber in diesem Theile des Pacifischen Oceans liegt ja schon eine Insel!

– Eine Insel? wiederholte Pencroff.

– Eben die unserige ohne Zweifel? fragte Gedeon Spilett.

– Nein, erwiderte Cyrus Smith, jene Insel ist unter 153° der Länge und 37°11' der Breite, d.h. zweiundeinhalb Grad westlicher und zwei Grad südlicher als die Insel Lincoln verzeichnet.

– Und wie heißt sie? fragte Harbert.

– Die Insel Tabor.

– Hat sie einen bedeutenden Umfang?

– Nein, sie stellt nur ein im Pacifischen Ocean verlorenes Eiland dar; das vielleicht noch keines Menschen Fuß betrat.

– Nun gut, so werden wir es besuchen, sagte Pencroff.

– Wir?

– Ja wohl, Herr Cyrus, wir erbauen eine gedeckte Barke, und ich mache mich anheischig, sie zu führen. Wie weit entfernt von der Insel Tabor befinden wir uns?

– Gegen einhundertfünfzig Meilen im Nordosten, antwortete Cyrus Smith.

– Einhundertfünfzig Meilen! Und das ist Alles? erwiderte Pencroff; mit einigermaßen günstigem Winde sind diese in achtundvierzig Stunden zurückgelegt.

– Welchen Zweck hätte das aber, fragte der Reporter.

– Das weiß man nicht und muß es abwarten!«

Angeregt durch diese Besprechung, beschloß man wirklich den Bau eines Schiffchens zu unternehmen, mit dem man sich kommenden October, mit Wiedereintritt der schönen Jahreszeit, auf das Meer hinauswagen könnte.


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