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Sechstes Capitel.

Pencroff ruft an. – Eine Nacht in den Kaminen. – Harbert's Pfeil. – Cyrus Smith's Project. – Unerwartete Lösung. – Was im Granithause geschah. – Wie ein neuer Diener in den Dienst der Colonisten tritt.

———

Ohne ein Wort zu sagen, war Cyrus Smith stehen geblieben. Seine Begleiter suchten in der Dunkelheit, eben sowohl an den Mauern der Granitwände, für den Fall, daß der Wind eine Ortsveränderung der Strickleiter veranlaßt hätte, als auch auf dem Erdboden, für den Fall, daß sie herabgefallen wäre… Doch die Leiter war und blieb verschwunden, und die Nacht zu dunkel, um zu erkennen, ob ein heftiger Windstoß sie vielleicht bis zu dem ersten Felsenabsatze hinausgeworfen habe.

»Wenn das ein Scherz sein soll, sagte Pencroff mißmuthig, so ist es ein ganz schlechter. Zu Hause anzukommen und die Treppe nicht mehr zu finden, um nach dem Zimmer gelangen zu können, ist für ermüdete Wanderer nicht gar zu ergötzlich!«

Auch Nab machte seinen Gefühlen in wiederholten Ausrufungen Luft.

»Das kann der Wind unmöglich gethan haben, bemerkte Harbert.

– Ich fange an zu glauben, daß auf der Insel Lincoln sonderbare Dinge vor sich gehen, sagte Pencroff.

– Sonderbare? antwortete Gedeon Spilett, nein, Pencroff, das geht Alles ganz natürlich zu. Während unserer Abwesenheit ist Einer gekommen, hat von unserer Behausung Besitz genommen und die Leiter in die Höhe gezogen.

– Einer gekommen? fragte verwundert der Seemann. Und wer denn?

– Nun, der Jäger, von dem das Schrotkorn herrührt. Wozu sollte das dienen, als um unser Mißgeschick zu erklären?

– Gut, wenn sich irgend Jemand da oben befindet, fuhr Pencroff mit einem leisen Fluche fort, so rufe ich ihn an, bis er antwortet.«

Mit wahrer Donnerstimme ließ der Seemann sein: »Ohe!« ertönen, das die Echos hundertfach wiedergaben. Die Colonisten lauschten und glaubten in der Höhe des Granithauses eine Art Hohngelächter zu vernehmen, dessen Ursprung ihnen unerklärlich blieb. Doch keine Stimme antwortete auf Pencroff's wiederholte laute Rufe.

Eine Sachlage, die auch die indifferentesten Menschen aufgerüttelt hätte, konnte unsere Ansiedler offenbar nicht gleichgiltig lassen. In ihrer Lage gewann jedes Vorkommniß an Gewicht, und seit den sieben Monaten, die sie die Insel bewohnten, war ihnen etwas so Auffallendes nicht zugestoßen.

Doch ob sie auch jede Anstrengung vergaßen und von dem sonderbaren Ereignisse erregt waren, sie befanden sich immer am Fuße des Granithauses, wußten nicht, was sie denken, was sie thun sollten, fragten einander, ohne sich eine Antwort geben zu können, und häuften immer eine unwahrscheinlichere Hypothese auf die andere.

Nab jammerte darüber, nicht in seine Küche zu können, und um so mehr, weil die Reisevorräthe erschöpft waren und man für den Augenblick keine Mittel hatte, sie zu ersetzen.

»Es bleibt uns nur Eins übrig, meine Freunde, begann Cyrus Smith, das ist, den Tag ruhig zu erwarten und dann den Umständen gemäß zu handeln. Wir wollen jetzt nach den Kaminen gehen, dort sind wir geschützt genug, um wenn nicht essen, so doch schlafen zu können.

– Wer ist aber der Taugenichts, der uns diesen Streich gespielt hat?« fragte Pencroff, der sich über das Abenteuer nicht beruhigen konnte, noch einmal.

Mochte das sein, wer es wollte, jetzt hatte man keinen anderen Weg, als nach dem Rathschlag des Ingenieurs nach den Kaminen zu gehen und dort den Tag zu erwarten. Inzwischen erhielt Top Ordre, unter den Fenstern des Granithauses zu bleiben, und wenn der Hund einen Befehl seines Herrn empfing, so führte er ihn ohne Widerrede aus. Der brave Wächter blieb also am Fuße der Granitwand, während sein Herr und dessen Begleiter in den Felsen Schutz suchten.

Es hieße lügen, wenn man sagen wollte, daß die Colonisten trotz ihrer Müdigkeit auf dem Sandboden der Kamine gut geschlafen hätten. Einestheils mußte dieses neue Ereigniß sie beunruhigen, ob es nur die Folgen eines Zufalls waren, dessen Ursachen sich dereinst aufklären möchten, oder im Gegentheil das Werk eines Menschen; anderntheils lagen sie auch weniger gut, als gewöhnlich. Auf jeden Fall war ihre Wohnung eingenommen und für sie ungangbar gemacht.

Das Granithaus stellte aber auch mehr als ihre Wohnung dar, es bildete gleichzeitig die Niederlage ihrer Reichthümer aller Art. Dort befand sich das ganze Material der Colonie an Waffen, Instrumenten, Werkzeugen, Schießbedarf, Lebensmitteln u.s.w. Wenn das Alles jetzt geplündert wäre, und die Ansiedler müßten ihre Arbeiten von vorn beginnen! Bei dieser bedenklichen Aussicht schlich sich immer Einer nach dem Andern von Unruhe getrieben einmal hinaus, um zu sehen, ob Top wohl aufmerksam Wache hielte. Cyrus Smith allein wartete die Entwickelung mit gewohnter Geduld ab, obwohl es gerade ihn bei seinem so scharfen Verstande besonders quälte, vor einer absolut unerklärlichen Thatsache zu stehen, und er ärgerte sich bei dem Gedanken, daß um und vielleicht über ihn sich ein Einfluß geltend machte, für den er keinen Namen hatte.

Gedeon Spilett theilte vollkommen seine Meinung, und Beide unterhielten sich wiederholt, doch nur halblaut, von diesen sonderbaren Umständen, gegenüber denen ihr Scharfsinn und ihre Erfahrung sie im Stiche ließen. Die Insel barg ohne Zweifel ein Geheimniß, aber wie sollte man zu dessen Erklärung gelangen? Harbert seinerseits wußte nicht, was er denken sollte, und hätte gern Cyrus Smith darüber gefragt. Nab kam endlich zu dem Einsehen, daß ihn die ganze Geschichte nichts angehe und nur seinen Herrn betreffe, und wenn es ihm nicht um seine ängstlicheren Gefährten zu thun gewesen wäre, hätte der wackere Neger diese Nacht ebenso gewissensruhig durchschlafen, als läge er auf seiner Stätte im Granithause.

Mehr als alle Anderen polterte aber Pencroff und gerieth nach und nach in nicht geringe Wuth. »Das ist eine Posse, rief er, das ist eine Posse, die uns gespielt worden ist. Ich liebe die Narrenstreiche nicht, und wehe dem Possenreißer, wenn er mir in die Hände fällt!«

Mit dem ersten Grauen des Tages begaben sich die Colonisten wohlbewaffnet nach dem Ufer. Das Granithaus, auf welches die Strahlen der Morgensonne fielen, mußte bald erkennbar werden, und wirklich zeigten sich die Fenster mit geschlossenen Läden noch vor fünf Uhr hinter ihrem grünen Blätterschmucke.

So weit erschien also Alles in Ordnung; ein Schrei entrang sich aber den Colonisten, als sie die bei ihrem Weggange wohlverschlossene Thür weit offen stehend sahen.

Irgend Jemand war also in das Granithaus hineingegangen, darüber konnte nun kein fernerer Zweifel sein.

Die obere Strickleiter hing wie gewöhnlich von der Thür nach dem Felsenabsatze herunter; die andere aber war bis zur Schwelle hinausgezogen.

Es lag auf der Hand, daß die Eindringlinge sich gegen jede Ueberraschung hatten sicher stellen wollen.

Wer und wieviel sie wären, ließ sich vorläufig nicht entscheiden, da sich Niemand blicken ließ.

Pencroff rief jetzt von Neuem.

Keine Antwort.

»Diese Schurken! fuhr der Seemann auf, da schlafen sie ganz ruhig, als ob sie zu Haus wären. O, Ihr Piraten, Ihr Banditen, Corsaren, Ihr Söhne John Bull's!«

Wenn Pencroff in seiner Eigenschaft als Amerikaner Jemand als einen Sohn John Bull's bezeichnete, so hatte er sich damit bis zur Grenze der Beschimpfung erhoben.

Eben wurde es vollständig Tag und erglänzte die Façade des Granithauses in den Strahlen der Sonne. Doch innerhalb wie außerhalb des Hauses blieb Alles vollkommen ruhig.

Noch einmal fragten sich die Colonisten, ob ihre Wohnung von Anderen besetzt sei oder nicht, und doch bewies die Situation leider das Erstere mit Gewißheit, und eben so sicher war es, daß die Eindringlinge, sie mochten nun sein, wer sie wollten, nicht daraus wieder fort sein konnten. Aber auf welchem Wege sollte man zu ihnen gelangen?

Harbert kam zuerst auf den Gedanken, einen Strick an einem Pfeil zu befestigen und letzteren zwischen die ersten Sprossen der Leiter zu schießen, die an der Schwelle des Einganges hing. Man mußte dann doch, ziehend an dem Stricke, die Leiter herabholen und die Verbindung zwischen dem Boden und dem Granithause wieder herstellen können. Offenbar gab es keinen anderen Ausweg, und konnte die Sache bei einigem Geschick wohl von Erfolg sein. Zum Glück waren Bogen und Pfeile in einem Nebenraume der Kamine aufbewahrt, wo sich auch einige zwanzig Faden leichten Hibiscus-Seiles befanden. Pencroff entrollte das Letztere und befestigte das eine Ende an einem gefiederten Pfeil. Harbert visirte, nachdem er sein Geschoß zurecht gemacht, genau nach dem obersten Punkte der Leiter.

Cyrus Smith, Gedeon Spilett, Pencroff und Nab waren etwas zurückgetreten, um besser beobachten zu können, was an den Fenstern des Granithauses vorging. Der Reporter bewachte mit angelegtem Carabiner die Thür.

Der Bogen schnellte zurück, der Pfeil pfiff durch die Luft, zog den Strick mit sich und traf glücklich zwischen die beiden letzten Sprossen.

Der Versuch war geglückt.

Sofort ergriff Harbert den Strick; sobald er aber anzog, um die Strickleiter zu lösen, ergriff diese plötzlich zwischen Thür und Mauer ein Arm, und zerrte sie schnell in das Granithaus zurück.

»Dreifacher Schurke! wetterte der Seemann; wenn Dich eine Kugel glücklich machen kann, sollst Du nicht lange warten.

– Aber wer ist es denn? fragte Nab.

– Wer? Hast Du es nicht gesehen?…

– Nein.

– Das war ein Affe, eine Meerkatze, ein Sapaju, ein Orang-Utang, ein Pavian, ein Gorilla! Unsere Wohnung ist von Affen eingenommen, die während unserer Abwesenheit die Leiter hinaufgeklettert sind!«

In dem Augenblick zeigten sich, fast wie um dem Seemann Recht zu geben, drei oder vier Vierhänder an den Fenstern, deren Läden sie zurückgestoßen hatten, und begrüßten die gefoppten Besitzer des Platzes mit tausend Verrenkungen und Grimassen.

»Ich wußte wohl, daß das Ganze eine Posse sei! rief Pencroff, doch der eine der Spitzbuben soll für die andern büßen.«

Der Seemann erhob sein Gewehr, zielte und gab Feuer. Alle verschwanden bis auf einen, der tödtlich getroffen auf den Strand herabstürzte.

Ob der große Affe nun ein Schimpanse war, ein Orang-Utang, ein Gorilla oder ein langarmiger Affe, jedenfalls gehörte er zu den sogenannten Anthropomorphen, die ihren Namen von der Aehnlichkeit mit dem Menschen haben. Uebrigens erklärte Harbert, es sei ein Orang-Utang, und man weiß, daß der junge Mann in der Zoologie bewandert war.

»Ein prächtiges Thier! erklärte Nab.

– Nun ja, prächtig, wie Du es willst, antwortete Pencroff, aber deshalb sehe ich noch nicht, wie wir in unsere Wohnung kommen sollen.

– Harbert ist ein guter Schütze, und sein Bogen ist ja noch da. Er mag es noch einmal versuchen.

– Schön, aber diese Affen sind Spitzbuben, meinte Pencroff, und werden sich nicht wieder an den Fenstern zeigen, um sich todt schießen zu lassen, und wenn ich bedenke, wie sie in unseren Zimmern hausen können, im Magazine…

– Nur Geduld, fiel ihm Cyrus Smith in's Wort. Diese Thiere werden uns nicht lange im Schach halten.

– Daran glaube ich erst, wenn sie wieder auf der Erde sind, antwortete der Seemann. Und wissen Sie denn, Herr Cyrus, wie viele Dutzend solcher Possenreißer da oben sind?«

Pencroff's Einwurf war freilich schwer zu beantworten, und auch das von dem jungen Mann ersonnene Hilfsmittel bot nur wenig Aussicht auf Erfolg, da das untere Ende der Strickleiter in die Thür hineingezogen worden war, so daß bei dem Anziehen des Strickes dieser reißen mußte, ohne die Strickleiter mitzubringen.

Die Situation wurde peinlich. Pencroff wüthete. Trotzdem, daß das Ganze etwas Komisches hatte, konnte er dasselbe nicht herausfinden. Jedenfalls kamen die Colonisten schon noch dazu, sich ihre Wohnung wieder zu erobern und die Eindringlinge zu vertreiben; aber wann und wie? – dies vermochte Niemand zu sagen.

Zwei Stunden verflossen, ohne daß sich die Affen wieder gezeigt hätten; anwesend waren sie jedoch bestimmt noch, denn dann und wann langte eine Pfote aus dem Fenster oder der Thür heraus, auf welche dann sofort Feuer gegeben wurde.

»Verstecken wir uns, sagte endlich der Ingenieur. Wenn die Affen glauben, daß wir fort sind, kommen sie vielleicht eher zum Vorschein. Gedeon Spilett und Harbert mögen sich hinter Felsstücken verbergen und auf Alles feuern, was sich sehen läßt.«

Man verfuhr also, und während der Reporter und der junge Mann, die anerkannt besten Schützen, sich unsichtbar für die Affen, aber in Schußweite verbargen, stiegen Nab, Pencroff und Cyrus Smith nach dem Plateau hinauf, um einiges Wild zu erlegen, denn die Frühstückszeit kam heran, und aus Mangel an Nahrungsmitteln blieb ihnen nichts Anderes übrig.

Nach Verlauf einer halben Stunde kehrten die Jäger mit einigen Felstauben zurück, die man so gut es anging zu braten versuchte. Von den Affen hatte sich Nichts gezeigt.

Gedeon Spilett und Harbert verzehrten indessen ihr Frühstück, während Top die Fenster bewachte. Nachher nahmen sie ihren Posten wieder ein.

Auch zwei Stunden später hatte sich die Lage nicht geändert. Die Vierhänder vermieden jedes Lebenszeichen, so daß man hätte glauben können, sie seien verschwunden; mehr Wahrscheinlichkeit hatte es aber für sich, daß sie sich, durch den Tod des Einen und den Knall der Feuerwaffen erschreckt, still in den Winkeln der Zimmer des Granithauses, wenn nicht gar im Magazine verhielten. Wenn man aber an die Schätze dachte, die jenes Magazin barg, so verwandelte sich die vom Ingenieur so gern empfohlene Geduld nach und nach in einen wohlberechtigten Grimm gegen die frechen Diebe.

»Die Sache ist gar so dumm, platzte endlich der Reporter heraus, und ihr Ende noch gar nicht abzusehen!

– Die Spitzbuben müssen eben verjagt werden, fuhr Pencroff fort, und wenn's ihrer Zwanzig wären, wir würden ja mit ihnen fertig; doch dazu muß man ihnen zu Leibe können! Giebt es denn gar kein Mittel, zu ihnen zu gelangen?

– Gewiß, antwortete da der Ingenieur, dem ein neuer Gedanke in den Sinn kam.

– Es giebt eins? fragte Pencroff; nun, so ist es aus Mangel eines anderen auch gut genug. Was ist's?

– Wir versuchen durch den alten Abfluß des Sees nach dem Granithause hinabzusteigen, belehrte ihn der Ingenieur.

– Ei tausend Tod und Teufel, rief der Seemann, und daran hatte ich Querkopf noch nicht gedacht!«

Ohne Zweifel erschien das als der einzige Weg, in die Wohnung einzudringen und die Affenbande daraus zu vertreiben. Die Abflußöffnung hatte man freilich mit wohlvermauerten Steinen verschlossen, die wieder ausgebrochen werden mußten; doch darüber zerbrach man sich nicht lange den Kopf. Zum Glück war Cyrus Smith's Vorhaben, die Mündung durch Erhöhung des Seeniveaus ganz zu verbergen, noch unausgeführt, denn in diesem Falle hätte die Arbeit weit mehr Zeit in Anspruch genommen.

Erst kurz nach Mittag verließen die Colonisten wohlbewaffnet und mit Aexten und Hacken versehen die Kamine, bedeuteten Top, unter den Fenstern auch ferner Wache zu stehen, und begaben sich längs des linken Ufers der Mercy auf den Weg nach dem Plateau der Freien Umschau.

Noch hatten sie keine fünfzig Schritt hinter sich, als sie den Hund wüthend bellen hörten, als ob er ihnen verzweifelt zurief.

Sie hielten an.

»Schnell zurück!« rief Pencroff.

Was sie laufen konnten, liefen sie nun wieder hinab.

An der Ecke angekommen, sahen sie, daß die Situation sich wesentlich geändert hatte.

Die Affen suchten in Folge einer unbekannten Ursache, die sie erschreckt haben mochte, eiligst zu entfliehen. Mit der Gelenkigkeit von Clowns liefen und sprangen einige derselben von einem Fenster zum anderen. Sie vergaßen sogar die Leiter wieder herabzulassen, die ihnen doch einen bequemen Ausweg geboten hätte. Sobald fünf oder sechs sich schußgerecht zeigten, gaben die Colonisten Feuer. Einige stürzten verwundet oder todt in die Zimmer zurück und heulten jämmerlich; andere fielen herab und zerschmetterten sich durch den Fall, so daß man bald nachher annehmen konnte, daß kein lebender Vierhänder sich mehr im Granithause befinde.

»Hurrah! rief Pencroff, Hurrah! Hurrah!

– Nicht soviel Hurrahs, ermahnte ihn Gedeon Spilett.

– Warum nicht? Sie sind ja Alle todt, rechtfertigte sich der Seemann.

– Zugegeben, doch damit ist für uns noch kein Mittel gewonnen, hinauf zu steigen.

– So dringen wir durch den Wasserabfluß ein! versetzte Pencroff.

– Gewiß, sagte der Ingenieur, und doch zöge ich es vor ...«

In diesem Augenblick sah man, wie als Antwort auf Cyrus Smith's noch nicht geäußerten Wunsch, die Strickleiter von der Schwelle herabgleiten und bis zur Erde rollen.

»Alle Wetter, das ist stark! rief der Seemann mit einem Blicke auf Cyrus Smith.

– Sehr stark! murmelte der Ingenieur und schwang sich auf die erste Sprosse.

– In Acht nehmen, Herr Cyrus! rief ihm Pencroff nach, wenn dort oben noch einige solche Kerle wären…

– Das werden wir bald sehen«, antwortete der Ingenieur, ohne sich aufzuhalten.

Alle folgten ihm nach, und eine Minute später langten sie an der Thürschwelle an.

Man durchsuchte Alles. Das Hauptzimmer war leer, ebenso wie das Magazin, das von der Affenbande verschont geblieben schien.

»Nun, aber die Strickleiter? fragte der Seemann, welcher Ehrenmann hat sie uns denn herunter geworfen?«

Zu gleicher Zeit ließ sich auch ein Schrei hören, und stürzte sich ein großer in dem Verbindungsgange versteckt gewesener Affe, von Nab verfolgt, in den Saal.

»Warte, Du Räuber! rief Pencroff, und wollte ihm schon mit der Axt den Schädel spalten, als Cyrus Smith ihn mit den Worten anhielt:

– Verschonen Sie ihn, Pencroff.

– Warum soll dieser Schwarze Gnade finden?

– Weil er uns die Leiter zugeworfen hat.«

Der Ingenieur sagte das mit so eigenthümlicher Stimme, daß man unklar blieb, ob er im Ernst spräche oder nicht.

Nichtsdestoweniger stürzte man sich auf den Affen, der nach kräftiger Gegenwehr niedergeworfen und gefesselt wurde.

»Was machen wir nun aus dem Burschen? fragte Pencroff.

– Einen Diener für uns!« antwortete Harbert.

Wenn er so sprach, scherzte der junge Mann keineswegs, denn er wußte, wozu man diese intelligente Race Vierhänder abzurichten vermochte.

Jetzt erst betrachteten die Colonisten ihren Gefangenen genauer. Er gehörte wirklich zu jener Species der Anthropomorphen, deren Gesichtswinkel nur wenig hinter dem der Australier und der Hottentotten zurückbleibt. Es war ein Orang-Utang, der als solcher weder die Wildheit der Paviane, noch die Tollheit der Meerkatzen, weder die Unreinlichkeit der letzteren, die Ungeduld der meisten großen Affen, noch auch die üblen Neigungen der Hundskopfaffen besaß. Von derselben Familie der Anthropomorphen erzählt man sich so vielerlei, was fast eine Art menschlicher Intelligenz bei ihnen voraussetzen läßt. Man verwendet sie zur Zurichtung des Tisches, zum Reinigen der Zimmer und der Kleidungsstücke, zum Wichsen des Schuhwerks, doch gehen sie ebenso geschickt mit Messer, Gabel und Löffel um, und trinken Wein… ganz wie der beste zweibeinige Diener.

Man weiß, daß Buffon einen solchen Affen besaß, der ihm lange Zeit treu und eifrig diente. Das im Saale des Granithauses gebunden liegende Exemplar war ein großer Bursche von sechs Fuß Höhe, recht proportionirtem Körperbau, mit breiter Brust, mittelgroßem Kopfe, einem Gesichtswinkel von beiläufig 65°, rundem Schädeldache, vorspringender Nase mit wenigen seinen, weichen und glänzenden Haaren, Alles in Allem der vollkommene Typus der Anthropomorphen. Seine etwas kleineren Augen, als die des Menschen, leuchteten lebhaft, weiß glänzten die Zähne unter dem Schnurrbarte hervor, außer welchem er auch einen gekräuselten Backenbart hatte.

»Ein netter Junge, meinte Pencroff, wenn man nur seine Sprache verstände, um mit ihm zu reden.

– Ist es Ihr Ernst, Herr, fragte Nab, diese Bestie als Diener zu behalten?

– Gewiß, Nab, erwiderte der Ingenieur lächelnd, Du brauchst darum nicht eifersüchtig zu werden!

– Und ich hoffe, er soll einen ganz vorzüglichen Diener abgeben, fügte Harbert hinzu. Er scheint noch jung zu sein, seine Erziehung wird uns leicht gelingen, und wir werden nicht nöthig haben, Gewalt anzuwenden, um ihn uns unterwürfig zu machen, noch ihm die Spitzzähne auszuziehen, wie man es sonst zu thun pflegt. An Herren, die es mit ihm gut meinen, wird er sich leicht genug anschließen.

– Nun, was an uns liegt, soll geschehen«, versicherte Pencroff, der schon all' seine Wuth gegen die Possenreißer vergessen hatte.

Dann näherte er sich dem Orang-Utang:

»Nun, mein Junge, fragte er diesen, wie geht's?«

Der Affe brummte ohne ein Zeichen von böser Laune vor sich hin.

»Wir werden uns also der Ansiedelung mit anschließen, fuhr der Seemann fort, und in Herrn Cyrus Smith's Dienste treten?«

Ein neues zustimmendes Brummen des Affen.

»Und als Lohn nur mit der darzureichenden Nahrung zufrieden sein?«

Ein drittes Brummen des Gefangenen.

»Seine Unterhaltung ist etwas einsylbig, bemerkte der Reporter.

– Gut, erwiderte Pencroff, das sind die besten Diener, die am wenigsten sprechen. Und dann, keinen Lohn? – Hörst Du, mein Junge, für den Anfang zahlen wir gar keinen Lohn, verdoppeln ihn aber später, wenn wir mit Dir zufrieden sind!«

So vermehrte sich die Colonie um ein Mitglied, das ihr noch manche Dienste leisten sollte. Bezüglich des Namens, nach dem man ihn rufen sollte, wünschte der Seemann, ihn zur Erinnerung an einen Affen, den er gekannt hatte, Jupiter, oder in Abkürzung Jup genannt zu sehen.

So wurde Meister Jup ohne weitere Formalitäten als Bewohner des Granithauses aufgenommen.


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