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Elftes Kapitel
Ein zwölfstündiger Ausflug

Um sieben Uhr morgens verließ der Leutnant Vilette mit seinen Leuten den Lagerplatz. Der Tag schien schwül und heiß zu werden, auch drohte wohl ein Gewitter, eines der heftigen Meteore, die sich über die Ebenen des Djerid nicht gerade selten entladen. Es war jetzt aber keine Zeit zu verlieren, denn von Schaller drängte mit vollem Rechte, Pointar und dessen Arbeiterrotte aufzufinden.

Selbstverständlich ritt der Wachtmeister seinen Va d'l'avant und wurde dieser wieder von Coupe-à-Cœur begleitet.

Vor dem Aufbruche hatten die Spahis ihre Pferde auch mit der voraussichtlich nötigen Menge von Nahrungsmitteln beladen.

Während der Abwesenheit des Leutnants Vilette begannen der Ingenieur und der Kapitän Hardigan mit Hilfe des Brigadiers Pistache das Lager vollends herzurichten, und auch Herr François, die vier Spahis, die nicht zur Begleitmannschaft des Leutnants Vilette gehörten, sowie die Wagenführer mußten dabei natürlich mit Hand anlegen. Die Weidegründe der Oase zeigten einen üppigen Graswuchs und wurden von einem Oued bewässert, der in das Schott mündete.

Der Ausflug des Leutnants Vilette sollte nur zwölf Stunden in Anspruch nehmen. Die Entfernung zwischen dem Kilometerstein 347 und Gizeb betrug ja nur zwanzig Kilometer. Ohne die Pferde allzusehr anzustrengen, konnte diese Strecke im Laufe des Vormittags zurückgelegt werden. Nach zweistündiger Rast mußte dann der Nachmittag hinreichen, den kleinen Reitertrupp mit Pointar, dem Vormeister des Werkplatzes, hierher zurückzuführen.

Auch Mezaki hatte man ein Pferd überlassen und erkannte ihn auf den ersten Blick als vorzüglichen Reiter, wie das ja alle Araber sind. Er trabte an der Spitze neben dem Leutnant und dem Wachtmeister hin und schlug gleich jenseits der Grenze der Oase eine Richtung nach Nordosten ein.

Eine weite, da und dort von dürftigen Baumgruppen unterbrochene Ebene, durch die sich der Bach hinschlängelte, dehnte sich hier bis über Sehweite hin aus ... eine richtige algerische »Outta« in all ihrer trostlosen Dürre. Kaum sproßten vereinzelte gelbliche Büschel Driß aus dem überhitzten Boden auf, auf dem die Sandkörner unter den Strahlen der Sonne gleich Edelsteinen erglänzten.

Dieser Teil des Djerid war vollständig öde. Auch keine Karawane zog durch ihn hin auf dem Wege nach irgendeiner bedeutenderen Stadt der Sahara oder nach Ouargla oder Mougrust an der Grenze der Wüste. Keine Wiederkäuerherde letzte sich an dem Wasser des Oued. Das tat aber Coupe-à-Cœur, den Va d'l'avant mit neidischen Blicken betrachtete, als er ihn Wassertropfen umherspritzend dahinspringen sah.

Der kleine Trupp folgte immer dem linken Ufer des Wasserlaufes, und auf eine von dem Offizier an Mezaki gerichtete Frage hatte dieser geantwortet:

»Ja, wir bleiben dicht an dem Oued bis zur Oase Gizeb, durch die er in ihrer ganzen Länge fließt.«

»Ist diese Oase bewohnt?«

»Nein«, erwiderte der Eingeborene. »Schon als wir den Flecken Zeribet verließen, mußten die nötigen Nahrungsmittel mitgenommen werden, da sich am Werkplatze bei Goleah von solchen ja nichts vorfand.«

»Pointar, euer Meister«, sagte Leutnant Vilette, »beabsichtigte also, nach der Kanalseite an der Stelle, die der Ingenieur als Treffpunkt bestimmt hatte, zurückzukehren?«

»Ja, freilich«, versicherte Mezaki, »und ich kam nur dahin, um mich zu überzeugen, ob die Berber von dort abgezogen wären oder nicht.«

»Du meinst also bestimmt, daß wir die Arbeiterschar in Gizeb antreffen werden?«

»Jawohl, da, wo ich sie verlassen habe und Pointar mich verabredetermaßen erwarten soll. Wenn wir die Pferde etwas antreiben, können wir binnen zwei Stunden an Ort und Stelle sein.«

Den Marsch bei der drückenden Hitze zu beschleunigen, das war ja nicht gut angängig, und der Wachtmeister erhob auch dagegen Einspruch. Übrigens mußte die Oase auch bei mittelmäßig schneller Gangart zu Mittag erreicht werden, und nach mehrstündigem Ausruhen konnte der Leutnant Goleah vor Anbruch der Nacht immer noch wieder erreicht haben. Je höher die Sonne freilich über die warmen Schwaden am Horizonte emporstieg, desto unerträglicher wurde die Hitze, so daß die Lungen nur noch eine glühende Luft einatmeten.

»Ei, zum Teufel, Herr Leutnant«, rief der Wachtmeister stöhnend, »seit den drei Jahren, wo ich Afrikaner bin, glaub' ich eine so tolle Hitze noch nicht erlebt zu haben. Man atmet ja nur noch das reine Feuer, und Wasser, das man verschlänge, würde im Magen am Ende ins Kochen geraten. Könnte man sich nur wenigstens, wie mein Coupe-à-Cœur, durch Herausstrecken der Zunge Erleichterung verschaffen! Sehen Sie da den roten Lappen, der ihm bis zur Brust hinunterhängt?«

»Machen Sie's doch ebenso, Wachtmeister«, sagte Leutnant Vilette lachend, »machen Sie's nur, wenn's auch nicht gerade ordonnanzmäßig ist!«

»Hu, da würde mir's bloß noch wärmer«, erwiderte Nicol. »Am besten wär's, den Mund geschlossen und den Atem anzuhalten. Doch wie soll einer das anfangen?«

»Der Tag wird nicht vorübergehen«, bemerkte der Leutnant, »ohne daß ein Gewittersturm ausgebrochen wäre.«

»Das glaub' ich auch«, stimmte ihm Mezaki bei, der als Eingeborener weniger an der außerordentlich hohen Temperatur litt, die in der Wüste so häufig vorkommt.

»Vielleicht«, setzte er hinzu, »sind wir vorher schon in Gizeb. Dort können wir unter dem Schutz der Bäume das Gewitter sich ruhig austoben lassen.«

»Das wäre allerdings wünschenswert«, antwortete der Leutnant. »Die dicken Wolken scheinen noch kaum nordwärts zu ziehen, und Wind ist bis jetzt auch noch nicht zu spüren.«

»Oho, Herr Leutnant«, rief der Wachtmeister, »diese afrikanischen Gewitter brauchen keinen Wind, die ziehen ganz allein ihres Wegs wie die Paketboote von Marseille nach Tunis! Man möchte wirklich glauben, sie hätte eine richtige Maschine im Leibe!«

Wie übermäßig aber auch die Hitze war und wie große Erschöpfung sie zur Folge haben mochte: Leutnant Vilette trieb doch zur Eile an, soweit das möglich war ... Ihm lag vor allem daran, diese Etappe, eine Strecke von zwanzig Kilometern, durch die völlig schutzlose Ebene ohne Aufenthalt zurückgelegt zu haben. Dadurch hoffte er auch, vor Ausbruch des Unwetters am Ziele zu sein, und während der Rast in Gizeb konnte sich dieses dann entladen. Die Spahis ruhten inzwischen in der Oase aus und stärkten sich mit den Nahrungsmitteln, die sie in ihrem Futtersacke mitgebracht hatten. War dann die schlimmste Mittagshitze vorüber, so würden alle, am Nachmittage gegen vier Uhr, wieder aufbrechen, und sie konnten dann vor der tiefen Dämmerung am Lagerplatze eingetroffen sein.

Die Pferde litten von diesem Marsche aber so arg, daß die Reiter sie unmöglich trabend erhalten konnten. Bei dem mehr und mehr drohenden Gewitter wurde die Luft geradezu unatembar. Die schweren, dunklen Wolken, die die Sonne hätten verschleiern können, stiegen nur sehr langsam höher, und der Leutnant hatte voraussichtlich die Oase erreicht, ehe sie am Himmel bis zum Zenit hinaufgezogen waren. Jetzt bemerkte man selbst tief unten am Horizonte noch nichts von elektrischen Entladungen, und auch das schärfste Ohr konnte kein entferntes Donnerrollen wahrnehmen.

Immer ging es weiter ... weiter, und die von der Sonne verbrannte Ebene blieb ebenso öde, wie sie ohne Grenzen zu sein schien.

»He, Arbico«, rief der Wachtmeister wiederholt den Führer, »man sieht sie ja aber gar nicht, deine verteufelte Oase? ... Die liegt wohl da oben in den Wolken, und man sieht sie erst in dem Augenblicke, wo sich diese über uns auftun.«

»Du hast dich doch in der Richtung nicht geirrt?« fragte Leutnant Vilette den Araber.

»Nein«, versicherte Mezaki, »man kann hier gar nicht fehlgehen; da man nur dem Bette des Oued bis Gizeb zu folgen braucht.«

»Wir müßten sie jetzt aber eigentlich in Sicht haben, da die Aussicht ja nach allen Seiten unbehindert ist«, bemerkte der Offizier.

»Dort ... dort draußen«, begnügte sich Mezaki zu antworten, während er mit der Hand nach dem Horizonte wies.

Wirklich wurde jetzt, etwa in der Entfernung von einer Lieue, etwas wie ein Gehölz sichtbar. Es waren das die ersten Bäume der Oase, und mit einer kurzen Strecke Galopp mußte der kleine Trupp deren Rand bald erreicht haben. Leider erschien es unmöglich, den Pferden diese letzte Anstrengung zuzumuten, und selbst Va d'l'avant hätte, wie groß auch seine Ausdauer war, eher den Namen Va d'l'arrière (rückwärts!) verdient, so mühsam schleppte des Tier sich jetzt dahin.

Erst gegen elf Uhr überschritt nun der Leutnant die Grenze der Oase.

Etwas auffallend konnte es erscheinen, daß die kleine Abteilung nicht schon längst auf der weiten Ebene bemerkt worden wäre, daß der Werkmeister und seine Leute sie nicht gesehen hätten, da diese sie doch nach der Aussage Mezakis hier in Gizeb erwarten sollten.

»Sollten sie nicht mehr hier sein?« fragte der Leutnant etwas verwundert.

»Das scheint fast so«, antwortete der Araber, der sein Erstaunen wenigstens heuchelte.

»Und warum sollten sie nicht hiergeblieben sein?« fragte der Offizier.

»Ja, das kann ich mir nicht erklären«, erwiderte Mezaki. »Gestern waren sie jedenfalls noch hier. Vielleicht haben sie aus Furcht vor dem Gewittersturme mehr Schutz in der Mitte der Oase gesucht; doch ich werde sie schon finden.«

»Bis dahin, Herr Leutnant«, meldete sich der Wachtmeister, »halte ich es wohl für angezeigt, unsere Leute ruhen zu lassen.«

»Halt!« kommandierte der Offizier.

Etwa hundert Schritt weiter hin zeigte sich eine von hohen Palmen eingeschlossene Lichtung, wo sich die Pferde recht gut lagern konnten. Daß sie daraus wegliefen, war gegenwärtig gar nicht zu befürchten, und zur Löschung des Durstes bot ihnen der an einer Seite des offenen Platzes hinfließende Oued Wasser in Überfluß. Von hier aus verlief der Bach nach Nordosten, wobei er die Oase an der nach Zeribet zu gelegenen Seite begrenzte.

Nach der Besorgung ihrer Pferde beschäftigten sich die Reiter mit sich selbst und verzehrten die einzige Mahlzeit, die hier in Gizeb genossen werden sollte.

Inzwischen hatte sich Mezaki, begleitet vom Wachtmeister, vor dem Coupe-à-Cœur herlief, längs des rechten Ufers des Oued einige hundert Schritt weit entfernt. Nach der Ansicht des Arabers sollte sich die Arbeiterrotte Pointars, die ihn zurückerwartete, voraussichtlich in der Nähe befinden.

»Und hier war es, wo du deine Genossen verlassen hast?«

»Hier an dieser Stelle«, antwortete Mezaki. »Wir lagerten schon einige-Tage in Gizeb, und wenn sie nicht gezwungen gewesen sind, nach Zeribet zurückzukehren ...«

»Alle Teufel!« wetterte Nicol. »Wenn wir uns auch noch dahin schleppen sollten!«

»Nein, das glaub' ich nicht«, meinte Mezaki. »Der Werkmeister Pointar kann nicht weit von hier sein.«

»Vorläufig wollen wir jedenfalls nach dem Halteplatze zurückkehren«, sagte der Wachtmeister. »Der Leutnant könnte sich wegen unseres längeren Ausbleibens beunruhigen, und übrigens wollen wir endlich auch etwas essen. Später kann die Oase abgesucht werden, und wenn die Arbeiter hier noch aufzufinden sind, dann werden wir schon mit ihnen fertig werden.«

Dann wendete er sich an seinen Hund.

»Na, du witterst nichts, Coupe-à-Cœur?«

Das Tier hob bei der Stimme seines Herrn den Kopf in die Höhe.

»Such ... such ...!« wiederholte dieser.

Der Hund sprang nur hier und da umher, nichts verriet aber, daß er auf irgendwelche Fährte gestoßen sei. Dann sperrte er das Maul weit auf, eine Andeutung, die der Wachtmeister nicht mißverstehen konnte.

»Ja, ja«, sagte dieser ... »weiß schon, was du sagen willst: Du kommst vor Hunger um und würdest gern etwas zu verzehren haben ... ich übrigens ebenfalls. Ich habe den Magen sogar in den Fersen! Doch gleichviel; wenn sich aber Pointar mit seinen Leuten hier aufgehalten hat, ist es doch wunderlich, daß Coupe-à-Cœur von ihnen keine Spur aufgefunden hätte!«

Der Araber und er traten nun längs des Oued den Rückweg an. Als Leutnant Vilette von der Lage der Dinge unterrichtet worden war, schien er darüber nicht weniger zu erstaunen als vorher Nicol.

»Du bist wirklich sicher«, fragte er Mezaki, »dich nicht geirrt zu haben?«

»Nein, gewiß nicht; denn um nach der als Kilometer dreihundertsiebenundvierzig bezeichneten Stelle zu kommen, bin ich dem nämlichen Wege gefolgt wie heute hierher.«

»Und das ist hier die Oase Gizeb?«

»Jawohl, Gizeb«, versicherte der Araber; immer neben dem Oued, der nach dem Melrhir fließt, hingehend, konnte ich mich gar nicht täuschen.«

»Wo sollten dann aber Pointar und seine Arbeiterabteilung sein?«

»Jedenfalls an einer anderen Stelle des Waldes, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß sie nach Zeribet zurückgekehrt wären.«

»Nach Verlauf einer Stunde«, antwortete noch Leutnant Vilette, »wollen wir die ganze Oase absuchen.«

Mezaki holte aus seinem Futterbeutel die mitgebrachten Lebensmittel hervor, setzte sich etwas abseits an den Rand des Oued und begann zu essen.

Der Leutnant und der Wachtmeister nahmen, an eine Dattelpalme gelehnt, ihre Mahlzeit zusammen ein, und der Hund schnappte begierig nach den Stücken, die sein Herr ihm hinwarf.

»Auffallend bleibt es doch«, meinte Nicol, »daß wir hier keinen Menschen gesehen und keine Spur eines Lagers entdeckt haben.«

»Und Coupe-à-Cœur hat auch nichts aufgespürt?«

»Nicht das geringste.«

»Sagen Sie mir, Nicol«, fuhr der Leutnant mit einem kurzen Seitenblick auf den Araber fort, »hätten wir vielleicht Ursache, dem Mezaki zu mißtrauen?«

»Ja, Herr Leutnant, wir wissen freilich nicht, woher er zu uns kam und wer und was der Bursche eigentlich ist. Anfänglich ist er mir etwas verdächtig vorgekommen, und ich habe daraus auch kein Hehl gemacht. Nachher aber und bis jetzt ist mir nichts aufgefallen, was ihn verdächtig erscheinen ließe, und welches Interesse hätte er auch daran, uns zu täuschen? Warum sollte er uns hierher nach Gizeb geführt haben, wenn Pointar und dessen Leute wirklich nicht hier gewesen wären? Ich weiß wohl, diesen Teufeln von Arbicos ist niemals ganz zu trauen. Nun ist der aber doch aus freien Stücken gleich nach unserem Eintreffen in Goleah zu uns gekommen. Den Ingenieur mußte er schon früher gesehen haben, da er ihn sofort wiedererkannte. Nein, alles spricht dafür, daß er zu den von der Kanalgesellschaft angeworbenen Arabern gehört hatte.«

Der Leutnant ließ Nicol ruhig ausreden, da dessen Auffassung der Sache im ganzen ja annehmbar war. Und doch mußte es mindestens seltsam erscheinen, daß die Oase von Gizeb sich völlig verlassen erwies, während hier nach der Aussage des Arabers zahlreiche Arbeiter vereinigt gewesen sein sollten. Befand sich Pointar gestern, wenn auch nur mit einem Teile seiner Leute, noch hier, warum hatte er dann die Rückkehr Mezakis nicht abgewartet? Warum war er der kleinen Spahitruppe, die er doch schon von weit her hatte bemerken müssen, nicht entgegengekommen? Und wenn er sich tiefer in den Palmenwald zurückgezogen hatte, war er dazu überhaupt und wodurch denn genötigt gewesen? Ließ sich vielleicht gar annehmen, daß er wieder bis Zeribet zurückgewichen wäre, und mußte der Leutnant seine Nachforschungen dann bis dahin ausdehnen? Nein, das jedenfalls nicht. War es erst festgestellt, daß sich Pointar mit seinen Leuten nicht hier befand, so galt es nur, sich dem Ingenieur und dem Kapitän Hardigan so schnell wie möglich wieder anzuschließen. Hier war kein Zögern am Platze. Welches Ergebnis sein Zug nach Gizeb auch haben mochte, am Abend mußte der Leutnant nach dem Lagerplatze wieder zurückgekehrt sein.

Gegen halb zwei Uhr erhob sich der Leutnant Vilette, als er sich gestärkt und genügend ausgeruht hatte. Zunächst betrachtete er den Himmel, an dem die Wolken immer weiter heraufgezogen waren.

»Bevor wir aufbrechen«, wandte er sich dann an den Araber, »will ich die Oase durchsuchen, und du wirst uns dabei führen.«

»Wie Sie wünschen«, antwortete Mezaki, der sich gleich zum Gehen zurechtmachte.

»Wachtmeister«, fügte der Offizier seinen Worten hinzu, »nehmen Sie noch zwei unserer Leute, und auch Sie werden uns begleiten. Die anderen mögen hier warten.«

»Zu Befehl, Herr Leutnant«, erwiderte Nicol, während er schon zwei Spahis heranwinkte.

Was Coupe-à-Cœur betraf, war es ja selbstverständlich, daß er seinem Herrn folgte; dazu bedurfte es keiner Aufforderung.

Mezaki, der dem Offizier und seinen Leuten vorausritt, schlug eine Richtung nach Norden ein. Damit entfernte man sich von dem Oued, rückwärts wollte man sich dagegen an dessen rechtem Ufer halten, womit dann die Oase in ihrer ganzen Ausdehnung besichtigt war. Ihre Ausdehnung überschritt übrigens nicht fünfundzwanzig bis dreißig Hektar, und, von seßhaften Eingeborenen niemals bewohnt, diente sie eigentlich nur als Raststelle für die Karawanen, die von Biskra nach der Küste zogen.

Eine halbe Stunde lang zog der Offizier mit seinem Führer in derselben Richtung weiter. Das Gezweig der Bäume war nicht so dicht, daß es den Ausblick nach dem Himmel verhindert hätte, an dem sich schwerfällig dicke Dunstmassen hinwälzten, die jetzt schon den Zenit erreichten. Vom Horizonte her vernahm man das dumpfe Grollen des Donners, und im Norden zuckten dann und wann grelle Blitzstrahlen auf.

An der Grenze der Oase nach dieser Seite angekommen, machte der Leutnant halt. Vor ihm dehnte sich in gelblichem Scheine die totenstille, öde Wüste aus.

War die Arbeiterrotte von Gizeb, wo sie Mezaki seiner Aussage nach gestern verlassen hatte, wieder abgezogen, so mußte sie jetzt schon weit entfernt sein, ob Pointar nun den Weg nach Zeribet oder den nach Nefta eingeschlagen hatte. Immerhin mußte festgestellt werden, ob er – so wenig die Wahrscheinlichkeit dafür sprach – an irgendeiner anderen Stelle der Oase gelagert hätte, und deshalb wurden auf dem Rückwege zum Oued die Nachsuchungen noch weiter fortgesetzt.

Noch eine Stunde lang ritten der Offizier und seine Leute zwischen den Bäumen hin, doch ohne eine Spur von einem Lagerplatze zu entdecken. Der Araber schien darüber sehr erstaunt zu sein, doch auf jeden fragenden Blick, der sich auf ihn richtete, antwortete er unabänderlich:

»Sie waren aber hier ... noch gestern ... der Werkmeister und die anderen. Pointar selbst hat mich ja nach Goleah geschickt ... sie können erst seit diesem Morgen weg sein.«

»Und wohin hätten sie sich, deiner Meinung nach, gewendet?« fragte der Leutnant Vilette.

»Doch wohl nach dem Werkplatze ...«

»Da müßten wir ihnen aber auf unserem Wege hierher begegnet sein ...«

»Nein, das nicht, wenigstens wenn sie nicht am Oued hingegangen sind.«

»Warum sollten sie denn einen anderen Weg gewählt haben als wir?«

Mezaki blieb hierauf die Antwort schuldig.

Als der Offizier nach dem Halteplatze zurückkam, war es fast um vier. Die Nachsuchungen waren erfolglos gewesen; auch der Hund hatte keinerlei Fährte aufgespürt. Allem Anschein nach war die Oase seit langer Zeit von niemand, weder von der Arbeiterabteilung noch von dem Personal einer Kafila, betreten worden.

Der Wachtmeister, der einen ihn erfüllenden Gedanken nicht mehr unterdrücken konnte, näherte sich Mezaki und sah ihm gerade ins Gesicht.

»He, Arbico«, sagte er, »du hast uns doch nicht etwa hinters Licht geführt?«

Ohne die Augen vor dem Blicke des Wachtmeisters niederzuschlagen, machte Mezaki mit den Schultern nur eine so verächtliche Bewegung, daß Nicol ihn am liebsten gleich an der Gurgel gepackt hätte, wenn der Leutnant Vilette nicht dazwischengetreten wäre.

»Ruhig, Nicol, ruhig!« rief er. »Wir kehren jetzt nach Goleah zurück, und Mezaki wird uns dahin folgen.«

»Aber zwischen zwei Mann ...«

»Ich bin bereit«, antwortete der Araber kühl, und wenn sein Auge zuerst im Zorne aufgeblitzt hatte, so gewann er doch bald wieder die gewohnte Ruhe.

Die Pferde, die sich auf dem Weideplatze gesättigt und ihren Durst mit dem Wasser aus dem Oued gelöscht hatten, waren jetzt wieder kräftig genug, die Strecke, die Gizeb vom Melrhir trennte, zurückzulegen. Die kleine Truppe erreichte ihr Ziel also jedenfalls noch vor Anbruch der Nacht.

Um vier Uhr vierzig Minuten gab der Leutnant das Zeichen zum Abmarsch. Der Wachtmeister ritt neben ihm, und dem Araber wurde ein Platz zwischen zwei Spahis angewiesen, die ihn scharf im Auge behielten. Hierzu sei erwähnt, daß die Kameraden Nicols jetzt dessen Verdacht bezüglich Mezakis teilten, und wenn der Offizier es sich auch nicht merken lassen wollte, erfüllte ihn doch ohne Zweifel dasselbe Mißtrauen gegen den Eingeborenen. Ihm lag auch daran, bei dem Ingenieur und dem Kapitän Hardigan möglichst bald wieder einzutreffen. Dann sollte entschieden werden, was zunächst zu tun sei, da die Arbeiter morgen doch nicht wieder eingestellt werden konnten.

Die Pferde trabten ziemlich schnell dahin. Offenbar wirkte auf sie das Gewitter ein, das nun bald losbrechen mußte. In der Luft lag eine starke elektrische Spannung, und jetzt reichten die Wolken von einem Horizont zum anderen. Überall zuckten sich kreuzende Blitze, die das Himmelsgewölbe zu zerreißen schienen, und immer krachte der trockene, knatternde Donner, der den Wüstenebenen eigen ist, wo er kein Echo findet, das ihn an- und abschwellend wiederholte. Übrigens hatte sich noch kein Windhauch spüren lassen und war noch kein Regentropfen gefallen. Man erstickte fast in der schwülen Atmosphäre, wo die Lungen nur eine glühheiße Luft atmeten.

Verschlimmerte sich der Zustand des Wetters nicht beträchtlich, so glaubte Leutnant Vilette immerhin, daß er mit seinen Leuten den Rückweg, zwar unter großer Anstrengung, doch ohne wesentliche Verzögerung zurücklegen würde. Am meisten war nur zu befürchten, daß das Gewitter einen Sturm zur Folge haben könnte. Wo sollte man gegen das Wüten des Windes und gegen einen Regenguß in dieser dürren Ebene, in der kein einziger Baum aufragte, den geringsten Schutz finden?

Vor allem galt es also, den Kilometerstein 347 so bald wie möglich zu erreichen. Die Pferde waren aber leider nicht imstande, dem Antreiben ihrer Reiter zu entsprechen, obgleich sie es, freilich vergeblich, versuchten. Zuweilen blieben sie sogar gänzlich stehen, als wären ihre Hufe an den Boden gefesselt, trotzdem daß ihre Seiten unter den Sporen bluteten. Doch auch die Menschen fühlten sich bald erschöpft und außerstande, die letzten Kilometer des Weges zu überwinden. Selbst der sonst so ausdauernde Va d'l'avant war mit seinen Kräften zu Ende, und bei jedem Schritte fürchtete sein Herr, ihn auf dem glühenden Sande des Erdbodens zusammensinken zu sehen.

Immerhin waren unter den anfeuernden Zurufen des Leutnants gegen sechs Uhr abends drei Viertel des Weges zurückgelegt. Wäre die am westlichen Horizonte schon tief stehende Sonne nicht von einer dicken Wolkenwand verhüllt gewesen, so hätte man in der Entfernung einer Lieue jetzt schon die glitzernden Effloreszenzen des Melrhir sehen müssen. An seiner Grenze zeigten sich schon undeutlich die Baumdickichte der Oase, und angenommen, es bedürfte noch einer Stunde, sie zu erreichen, so konnte es doch noch nicht völlig Nacht sein, wenn die kleine Truppe bei den ersten Bäumen anlangte.

»Vorwärts, Kameraden!« rief der Leutnant wiederholt. »Nur noch eine letzte Anstrengung!«

So willig und ausdauernd die Mannschaften aber auch waren, sah er doch den Zeitpunkt herannahen, wo die kleine Reiterschar in Unordnung kommen würde. Schon jetzt blieben einzelne Leute bisweilen zurück, und um sie nicht ihrem Schicksal zu überlassen, war man gezwungen, auf die Nachzügler zu warten.

Es schien wirklich wünschenswert, daß das schon so lange drohende Unwetter in anderer Weise als nur mit Blitz und Donner zum Ausbruche käme. Besser war es auf jeden Fall, wenn der Wind die Luft leichter atembar machte und die mächtigen Dunstmassen sich zu Regen verwandelten. An der Luft ... an der Luft fehlt es am meisten, und die Lungen arbeiteten nur unzulänglich in der erstickenden Atmosphäre.

Endlich erhob sich der Wind, doch gleich mit der Heftigkeit, die man beim Vorhandensein großer Elektrizitätsmengen in der Luft zu beobachten pflegt. Überdies kam es zu einander entgegengesetzten Luftströmen, die da, wo sie aufeinanderprallten, furchtbare Wirbel bildeten. Ein betäubendes Geräusch, ein Pfeifen von kaum glaublicher Schärfe, begleitete noch das Krachen und Knattern des Donners. Da noch kein Regen den Staub auf der Erde festhielt, entstand eine ungeheure Windhose, die sich unter dem Einflüsse des elektrischen Fluidums mit entsetzlicher Geschwindigkeit drehte und deren saugendem Zuge kaum jemand zu widerstehen vermochte. Man hörte auch das Kreischen der von dem Wirbel gepackten Vögel, von denen sich selbst die stärksten nicht daraus zu befreien vermochten.

Die Pferde befanden sich gerade in der Bahn dieser Trombe. Von ihr wurden sie eins von dem anderen weggerissen, und mehrere Reiter waren bald aus dem Sattel geworfen. Keiner sah, keiner hörte mehr den anderen, aller Zusammenhang war zerrissen. Die Windhose hüllte alles ein, während sie langsam nach den südlichen Ebenen des Djerid abzog.

Über die Richtung, der der Leutnant Vilette unter diesen Umständen folgte, konnte er sich nicht im geringsten Rechenschaft geben. Wahrscheinlich waren seine Leute und er weiter nach dem Schott hin, doch nicht gerade auf den Lagerplatz zugetrieben worden. Zum Glück stürzte jetzt bald ein gewaltiger Platzregen herab, und die vom Sturme gejagte Trombe zerriß inmitten der schon recht starken Dunkelheit.

Die kleine Abteilung war inzwischen aber ganz zerstreut worden; sie mußte sich erst, und das war ziemlich schwierig, wieder sammeln. Beim Aufleuchten der Blitze hatte der Leutnant aber sehen können, daß die Oase nur noch etwa einen Kilometer im Südosten entfernt lag.

Nach vielfach wiederholten Rufen, wenn es eben etwas stiller war, hatten sich Reiter und Pferd endlich wieder zusammengefunden, als der Wachtmeister plötzlich rief:

»Doch wo ist denn der Arbico?«

Die mit Mezakis Überwachung betrauten beiden Spahis konnten darüber keine Auskunft geben. Was aus ihm geworden war, wußten sie nicht, da alle drei auseinandergerissen worden waren, als sie in den Bereich der Trombe gerieten.

»Der Schurke! ... Er ist davongelaufen!« wetterte der Wachtmeister. »Davongelaufen und sein Pferd, oder vielmehr unser Pferd, mit ihm! Er hat uns getäuscht, der Arbico, getäuscht ... betrogen ...!«

Der Offizier schwieg in Gedanken versunken still.

Da ertönte plötzlich ein wütendes Gebell, und ehe Nicol nur daran denken konnte, seinen Hund zurückzuhalten, jagte dieser schon in tollen Sprüngen auf das Schott zu.

»Hierher ... Coupe-à-Cœur ... hierher!« rief der Wachtmeister sehr beunruhigt.

Doch ob das Tier nicht mehr hatte hören können oder vielleicht nicht hören wollen, jedenfalls verschwand es bald inmitten der Dunkelheit.

Wahrscheinlich hatte Coupe-à-Cœur die Fährte Mezakis entdeckt und eilte diesem jetzt nach, Nicol hätte seinem geschwächten Pferde aber nicht zumuten können, die Verfolgung des Eingeborenen aufzunehmen.

Da drängte sich dem Leutnant Vilette die Frage auf, ob hier nicht ein Unglück geschehen sein könnte, ob in der Zeit, wo er sich nach Gizeb begab, der Ingenieur, der Kapitän Hardigan und die in Goleah zurückgebliebenen Mannschaften nicht von schwerer Gefahr bedrängt gewesen wären. Das unerklärliche Verschwinden des Arabers ließ ja alle Vermutungen als annehmbar erscheinen, denn die weggerittene Abteilung hatte es ja, worauf Nicol wiederholt hinwies, mit einem Verräter zu tun gehabt.

»Nach dem Lagerplatze!« kommandierte Leutnant Vilette. »Und so schnell wie möglich!«

Zur Zeit wütete das Gewitter noch immer weiter, während sich der Wind, wie wir schon sahen, fast ganz gelegt hatte. Der Platzregen aber, der an Heftigkeit eher noch zunahm, hatte viele breite Löcher und Spalten im Erdboden aufgerissen. Dazu war es nun, wie man sagt, pechschwarze Nacht, obgleich die Sonne kaum hinter dem Horizonte versunken war.

Nach der Oase konnte man also nur unter großer Beschwerde vordringen, und obendrein verriet kein Lichtschein die Stelle des Lagerplatzes.

Und doch war das eine Vorsichtsmaßregel, die der Ingenieur gewiß nicht vernachlässigt hätte, da ihm ein Lichtschein das letzte Stück Weg erleichtern mußte. An Brennmaterial fehlte es ja nicht; dürres Holz gab es in der Oase in Überfluß. Trotz des Windes und des Regens hätte man gewiß ein Feuer erhalten können, dessen Schein doch schon in einiger Entfernung sichtbar gewesen wäre, und die kleine Truppe mußte jetzt wenigstens bis auf einen halben Kilometer an den Lagerplatz herangekommen sein. Den Leutnant Vilette beschlichen recht unheimliche Befürchtungen, Befürchtungen, die auch der Wachtmeister hegte und denen er dem Offizier gegenüber Worte verlieh.

»Nur vorwärts, vorwärts«, antwortete dieser, »und Gott gebe, daß wir nicht zu spät kommen!«

Die von den Reitern eingehaltene Richtung war aber nicht die ganz richtige gewesen, und so erreichten sie das Schott ziemlich weit an der linken Seite der Oase. So mußten sie an deren Nordgrenze nach Osten zurückkehren, und es wurde halb neun Uhr, ehe sie am Ende des Melrhir haltmachten.

Bisher hatte sich noch kein Mensch blicken lassen, obgleich die Spahis ihre Anwesenheit durch laute Rufe kundgaben.

Wenige Minuten später erreichte der Leutnant die Waldblöße, wo die Wagen stehen und die Zelte aufgeschlagen sein sollten ...

Noch immer zeigte sich niemand, weder Herr von Schaller noch der Kapitän oder einer der bei ihnen zurückgebliebenen Leute.

Man rief ... feuerte mehrere Gewehre ab ... keine Antwort ließ sich hören. Einige harzige Zweige wurden angezündet, die ihren bleichen Schein auf die Bäume umher warfen ...

Von Zelten war kein einziges da, und an den Wagen zeigte es sich deutlich, daß diese geplündert und unbrauchbar gemacht worden waren. Die Maultiere, die die Wagen zogen, die Pferde des Kapitäns Hardigan und seiner Leute ... alles war verschwunden.

Das Lager mußte also überfallen worden sein, und Mezaki hatte nur die Hand im Spiele gehabt, um den neuen Angriff an dieser Stelle dadurch zu erleichtern, daß er den Leutnant Vilette mit mehreren Spahis nach Gizeb zu verlocken wußte.

Selbstverständlich war der Araber nicht wiederaufgetaucht. Was Coupe-à-Cœur betraf, so rief ihn der Wachtmeister vergeblich, und alle Stunden der Nacht vergingen, ohne daß er am Lagerplatz von Goleah wieder erschien.


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