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Fünftes Kapitel
Die Karawane

Wie Herr von Schaller vor der Versammlung im Kasino angekündigt hatte, sollten die Arbeiten nach der Rückkehr der betreffenden Expedition planmäßig und kräftig in Angriff genommen und die Gewässer des Golfs nach Durchstechung der Uferhöhe von Gabes durch den neuen Kanal eingelassen werden. Vorher war es jedoch unerläßlich, sich an Ort und Stelle zu überzeugen, was von den alten Arbeiten noch übrig war, und dazu erschien es geboten, den ganzen einschlägigen Teil des Djerid zu bereisen, der Linie des ersten Kanals bis zur Einmündung in das Schott Rharsa, der des zweiten von diesem Schott an bis zum Schott Melrhir zu folgen und um dieses eine Rundfahrt zu machen, um die Plätze für die verschiedenen Häfen des Saharameeres endgültig auszuwählen.

Zur Abfindung der Compagnie franco-étrangère für die ihr vom Staate überlassenen zwei Millionen fünfmal hunderttausend Hektar Land und zum Rückkauf der von der erwähnten Gesellschaft schon ausgeführten Arbeiten von den Gläubigern sowie des Materialvorrates, der noch auf Werkplätzen lagerte, hatte sich eine kapitalkräftige Gesellschaft unter der Direktion eines Verwaltungsrates mit dem Sitze in Paris gebildet. Das Publikum schien die von der neuen Gesellschaft emittierten Aktien und Pfandbriefe gern zu erwerben. An der Börse blieben sie hoch im Kurse schon wegen des finanziellen Erfolges bei ähnlichen großen Unternehmungen und bei öffentlichen Arbeiten, die so häufig zum Vorteil der leitenden Persönlichkeiten ausgefallen waren. Die Zukunft dieses Riesenwerkes, eines der größten gegen Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, schien also in jeder Beziehung gesichert zu sein.

Der Oberingenieur der neuen Gesellschaft war eben jener von Schaller, der den im Vorhergehenden wiedergegebenen Vortrag über die Geschichte der früher zum Teil ausgeführten, zum Teil nur geplanten Arbeiten gehalten hatte. Auch die Expedition zur Feststellung der augenblicklichen Lage der Dinge sollte von ihm angeführt werden.

Der vierzigjährige von Schaller war ein Mann von mittlerer Größe mit einem tüchtigen Kopfe – mehr ein Dickkopf, um den Volksausdruck zu gebrauchen. Seine Haare waren kurz geschoren, dabei hatte er einen gelbrötlichen Schnurrbart, einen festgeschlossenen Mund mit schmalen Lippen, lebhafte Augen und etwas stechenden Blick. Seine breiten Schultern, kräftigen Gliedmaßen und seine hochgewölbte Brust, in der die Lunge sich bequem ausdehnte und zusammenzog wie eine Hochdruckmaschine in gutgelüftetem, großem Raume, alles deutete auf eine felsenfeste Gesundheit. Geistig war der Ingenieur mindestens ebensogut wie körperlich veranlagt. Von der Zentralschule mit sehr gutem Zeugnis abgegangen, hatten schon seine ersten Arbeiten eine gewisse Aufmerksamkeit erregt, und er kam auf seiner Bahn bald sozusagen im Geschwindschritt vorwärts. Mehr als bei jedem anderen war sein Sinnen und Trachten auf das Positive gerichtet. Ein überlegender, methodischer, ein – wenn die Bezeichnung zulässig ist – mathematischer Geist, ließ er sich nie von einer Illusion gefangennehmen. Günstige und ungünstige Aussichten einer Sachlage oder eines Geschäftes schätzte er, wie man von ihm sagte, »mit einer bis zur zehnten Dezimale reichenden Genauigkeit ab«. Er brachte alles in Zahlen, zergliederte alles in Gleichungen, und wenn der Sinn der Phantasie je einem menschlichen Wesen versagt war, so traf das zu auf diesen Ziffernmenschen, diesen Algebramenschen, dem es übertragen war, die ungeheuren Arbeiten zur Schaffung eines Saharameeres zum guten Ende zu führen.

Von dem Augenblicke an, wo von Schaller nach nüchternem und eingehendstem Studium des Projektes Roudaires dieses für ausführbar erklärt hatte, war das auch unbedingt der Fall, und es konnte gar nicht zweifelhaft sein, daß unter seiner Leitung kein Rechenfehler, weder bezüglich der materiellen noch der finanziellen Seite, zutage trat. »Da von Schaller die Sache in die Hand genommen hat, erklärten alle, die den Ingenieur kannten, muß sie gut sein!«, und alles ließ auch vermuten, daß sie sich nicht täuschten.

Von Schaller hatte der Grenzlinie des zukünftigen Meeres folgen und sich überzeugen wollen, daß nichts die Strömung des Wassers durch den ersten Kanal bis zum Rharsa und durch den zweiten bis zum Melrhir behinderte, und ebenso wollte er die höheren Ufer und die flachen Gestade besichtigen, zwischen denen sich die flüssige Masse von achtundzwanzig Milliarden Tonnen ansammeln sollte. Ein Kammerdiener oder vielmehr ein »Offiziersbursche«, denn er hätte diese Bezeichnung, noch besser vielleicht die einer »Ordonnanz«, gerechtfertigt, wenn er nicht Zivilist gewesen wäre, begleitete den Ingenieur. Pünktlich, methodisch, sozusagen »militärisch gedrillt«, obgleich er niemals gedient hatte, war François der Mann, der seinem Herrn paßte. Von guter Gesundheit, ertrug er ohne ein Wort der Klage die größten Anstrengungen, und daran hatte es ihm in den zehn Jahren seiner Dienstleistung bei dem Ingenieur wahrlich nicht gefehlt. Er sprach nur wenig, wenn er aber mit den Worten geizte, so geschah es zum Nutzen seiner Gedanken. Dabei ein Mann mit ruhiger Überlegung, schätzte ihn von Schaller wie ein vollkommenes Präzisionsinstrument. Er war nüchtern, verschwiegen und reinlich – keine vierundzwanzig Stunden hätte er dahingehen lassen, ohne sich rasiert zu haben. Auch trug er weder Schnurr- noch Backenbart, und niemals, selbst unter den schwierigsten Umständen, hatte er die tägliche Säuberung des Gesichtes versäumt.

Selbstverständlich wurden für die von dem Oberingenieur der französischen Gesellschaft des Saharameeres organisierte Expedition die nötigen Schutzmaßregeln getroffen. Von Schaller wäre es die reinste Unklugheit gewesen, sich nur zu zweien – sein Diener und er – durch das Djerid hinauszuwagen. In dem unaufhörlich von Nomaden durchstreiften Gebiete waren die Straßen nicht einmal für ganze Karawanen sicher. Wie hätte man die dreisten Überfälle Hadjars und seiner Rotte vergessen können, und unlängst war der blutgierige Häuptling nach seiner Gefangennahme und Einkerkerung ja entflohen, bevor eine gerechte Verurteilung, die ihn erwartete, das Land von dem frechen Räuber befreit hatte. Daß er seine Raubzüge wiederaufnehmen würde, war ja vorauszusehen.

Obendrein waren ihm die Verhältnisse gegenwärtig besonders günstig. Es fehlte gar nicht viel daran, daß die Araber des Südens von Algerien und Tunesien und noch mehr die seßhaften und nomadisierenden Bewohner des Djerid das Unternehmen des Kapitäns Roudaire ohne Widerspruch hingenommen hätten, damit war ja die Zerstörung mehrerer Oasen des Rharsa und des Melrhir verknüpft.

Die Landeigentümer waren zwar entschädigt worden, zugegeben, doch immerhin in einer sie nicht befriedigenden Weise. Sicherlich waren dabei gewisse Interessen verletzt worden, und die Eigentümer empfanden einen tiefen Haß bei dem Gedanken, daß ihre fruchtbaren Touals bald unter dem aus der Kleinen Syrte hereinflutenden Wasser verschwinden sollten. Und jetzt mußte man zu den Volksstämmen, die von der Neuordnung der Dinge in ihren Gewohnheiten gestört wurden, vor allem die Tuareg rechnen, die jeden Augenblick bereit waren, ihr abenteuerliches Leben als Karawanenplünderer wiederaufzunehmen. Was wurde denn aus ihnen, wenn zwischen den Schotts und den Sebchas keine Straßen mehr vorhanden waren, wenn der Handel nicht mehr durch Kafilas betrieben wurde, die seit undenklichen Zeiten durch die Wüste zwischen Biskra und Gabes zogen? Dann trat ja an deren Stelle eine Flottille von Goeletten, Chebels, Tartanen, Briggs und Dreimastern, von Segel- und Dampfschiffen und dazu noch eine ganze Baharia oder Eingeborenenmarine, die die Waren nach dem Süden der Berge von Aures beförderte. Wie hätten die Tuareg aber daran denken können, diese Fahrzeuge anzugreifen? Nein, das bedeutete ihren baldigen Ruin und ebenso den der Hammama, der Souafa, der Beni-Zid, Nememcha und der Omaghama, lauter Stämmen, die nur von Raub und Plünderung lebten.

Besonders unter dieser Bevölkerung herrschte also eine dumpfe Gärung, und deren Imams hetzten sie noch zum vollen Aufruhr auf. Wiederholt wurden die bei der Aushebung des Kanals beschäftigten arabischen Arbeiter von wütenden Banden überfallen, so daß zu ihrem Schutze algerische Truppen herangezogen werden mußten.

»Mit welchem Rechte« – so predigten die Marabuts – »wollen jene Fremden unsere Oasen, unsere Ebenen in ein Meer verwandeln? Warum maßen sie sich an, das umzugestalten, was die Natur geschaffen hat? Ist denn das Mittelländische Meer nicht groß genug, daß Sie es unternehmen, ihm auch noch das Gebiet unserer Schotts hinzuzufügen? Die Rumihs mögen auf jenem umhersegeln, soviel sie wollen, wenn ihnen das Vergnügen macht, wir aber, wir sind Kinder des festen Landes, und das Djerid ist dazu bestimmt, von Kafilas durchzogen, nicht aber von Schiffen befahren zu werden. Nein, diese Fremdlinge müssen ausgerottet werden, ehe sie unser Land, das Land unserer Väter, durch den Einbruch des Meeres ertränkt haben.«

Diese immer zunehmende Bewegung hatte ihr Teil auch an dem Zusammenbruche der Compagnie franco-étrangère gehabt; im Laufe der Zeit schien sie sich jedoch infolge der Einstellung der Arbeiten beruhigt zu haben, doch lebte die Überflutung der Wüste durch das Meer in der Erinnerung der Bewohner des Djerid ungeschwächt weiter. Sorgsam erhalten durch die Tuareg, seitdem sich diese im Süden des Arad eingenistet hatten, sowie durch die Hadjis oder die zurückgekehrten Mekkapilger, die es liebten, dem Durchstiche des Suezkanals den Verlust der Unabhängigkeit ihrer Glaubensgenossen in Ägypten schuld zu geben, wuchs sich diese Aussicht bei allen zu einer Besorgnis aus, die mit dem muselmanischen Fatalismus doch so wenig übereinstimmte. Die verlassenen Anlagen mit ihrem phantastischen Material von riesigen Baggern mit ungeheuren Hebeln, die wie mächtige Arme aussahen, die Erdschöpfeimer, die man mit einem gewissen Rechte mit Bodenbuhlerinnen verglichen hatte ... alles das spielte eine fabelhafte Rolle in den Erzählungen der Improvisatoren des Landes, dessen Bewohner seit den Märchen von »Tausendundeiner Nacht« und den vielen arabischen, persischen und türkischen Wundergeschichten nach solchen Schilderungen sehr lüstern waren.

Diese Erzählungen hielten in den Köpfen der Eingeborenen die Schauermär von dem Einbruch des Meeres lebendig, indem sie die Erinnerungen der Vorfahren auffrischten.

Da kann es denn kaum auffallen, daß Hadjar vor seiner Verhaftung und dessen Parteigänger zu der Zeit, von der wir hier schreiben, an vielerlei Überfällen beteiligt gewesen waren.

Die Expedition des Ingenieurs sollte unter dem Schutze eines Geleites von Spahis vor sich gehen, die vom Kapitän Hardigan und vom Leutnant Vilette befehligt wurden, und eine bessere Wahl hätte man gar nicht treffen können.

Der Kapitän Hardigan stand im kräftigsten Alter – er zählte kaum zweiunddreißig Jahre –, dabei war er geistig geweckt, kühn, doch von einer Kühnheit, die die kluge Erwägung nicht ausschloß, gewöhnt an die Unbilden des afrikanischen Klimas und von einer Ausdauer, von der er bei verschiedenen Feldzügen schon unbestreitbare Beweise geliefert hatte. Er war ein Offizier im vollsten Sinne des Wortes, ein Militär mit Leib und Seele, der in dieser Welt keinen anderen Beruf als den des Soldaten kannte. Übrigens unverheiratet und sogar ohne nähere Verwandte, galt ihm das Regiment als seine Familie und betrachtete er seine Kameraden als Brüder. Beim Regimente achtete man ihn nicht allein, nein, man liebte ihn, und was seine Untergebenen betraf, wären diese, aus Zuneigung ebenso wie aus Dankbarkeit, für ihn zu jedem Opfer bereit gewesen. Er konnte alles von ihnen erwarten, da er alles von den Leuten verlangen konnte.

Was den Leutnant Vilette angeht, wird es genügen, zu sagen, daß dieser, mutig wie sein Kapitän, energisch und entschlossen wie dieser und auch ein ebenso unermüdlicher und vortrefflicher Reiter, schon bei früheren Expeditionen Proben seiner Tüchtigkeit abgelegt hatte. Ein stets zuverlässiger Offizier, stammte der junge Mann aus einer reichen Fabrikantenfamilie, und jedenfalls stand ihm eine glänzende Zukunft bevor. Er war aus der Kavallerieschule von Saumur hervorgegangen und stieg jedenfalls bald zu höheren Dienstgraden auf.

Der Leutnant Vilette sollte zufällig gerade nach Frankreich zurückgerufen werden, als die Expedition durch das Djerid beschlossen worden war. Sobald er aber erfuhr, daß diese unter dem Befehle Hardigans stehen würde, suchte er sofort seinen Vorgesetzten auf.

»Herr Kapitän«, sagte er, »ich würde gerade jetzt gern bei Ihnen bleiben ...«

»Und ich es ebenso gern sehen, wenn Sie bei mir blieben«, antwortete Hardigan in gleichem, gut kameradschaftlichem Tone.«

»Meine Rückkehr nach Frankreich könnte doch ebensogut nach zwei Monaten erfolgen ...«

»Oh, ebensogut, lieber Vilette, ja sogar noch besser, denn dann brächten Sie die neuesten Mitteilungen über das Saharameer mit nach Hause.«

»Ganz recht, Herr Kapitän, und wir werden ja diese algerischen Schotts doch zum letztenmal sehen, bevor sie unter dem Wasser verschwinden.«

»Ein Verschwinden, das höchstwahrscheinlich so lange bestehen wird wie das alte Afrika selbst«, antwortete Hardigan, »das heißt so lange, wie es unsere Erde gibt.«

»Das darf man wohl annehmen, Herr Kapitän. Nun also, es ist abgemacht: Ich werde das Vergnügen haben, an diesem kleinen Feldzuge, zweifelsohne nur einem einfachen Spazierritte, teilzunehmen?«

»Einem einfachen Spazierritte, wie Sie sagen, lieber Vilette, vor allem, seit wir das Land von dem Unholde Hadjar befreit haben ...«

»Ein Fang, der Ihnen alle Ehre macht, Herr Kapitän.«

»Und Ihnen, lieber Leutnant, nicht minder!«

Natürlich fand dieses Gespräch zwischen dem Kapitän Hardigan und dem Leutnant Vilette zu einer Zeit statt, wo der Tuareghäuptling noch nicht aus dem Bordj von Gabes entflohen war. Nach seinem Entweichen aber lag es nahe, neue Überfälle und Angriffe zu befürchten, ja es würde jenem sogar ein leichtes sein, einen Aufstand aller der Stämme anzuzetteln, deren Lebensbedingungen durch das Binnenmeer verändert werden mußten.

Die Expedition mußte als bei ihrem Zuge durch das Ser Djerid auf ihrer Hut sein, und der Kapitän Hardigan würde das gewiß nicht vernachlässigen.

Daß der Wachtmeister Nicol nicht zur Begleitmannschaft gehört hätte, wäre doch gar zu erstaunlich gewesen. Wo der Kapitän Hardigan hinging, da mußte der Wachtmeister selbstverständlich dabeisein. Er war bei dem Treffen beteiligt gewesen, das zur Gefangennahme Hadjars geführt hatte, und so mußte er also auch bei der Expedition sein, bei der sein Kapitän vielleicht nochmals mit den Tuareg ins Handgemenge kommen konnte.

Der fünfunddreißigjährige Unteroffizier hatte, immer bei demselben Spahiregimente, schon mehrere Dienstperioden hinter sich. Die Doppelgalons des Wachtmeisters genügten seinem Ehrgeize. Er verlangte ja nach weiter nichts, als nach endlicher Verabschiedung von seiner reichlich verdienten Pension leben zu können, doch auch das nur so spät wie möglich. Ein Soldat von unerschütterlicher Ausdauer, der sich gegebenenfalls auch selbst zu helfen wußte, kannte Nicol nichts als die Disziplin. Diese bildete für ihn das höchste Gesetz des Lebens, und er hätte sie am liebsten für das Zivil ebenso eingeführt gesehen wie für das Militär. Wenn er aber zugab, daß der Mensch nur geschaffen sei, um unter der Fahne zu dienen, so erschien ihm dieser doch nur unvollkommen, wenn ihm nicht, was ihm noch fehlte, durch das Pferd verliehen wäre.

So pflegte er gern zu sagen:

»Va d'l'avant und ich, wir sind nur eins: ich sein Kopf, er meine Beine. Ihr werdet doch zugeben, daß Pferdebeine für den Marsch weit besser geeignet sind als Menschenbeine. Und auch wenn wir deren vier hätten – wir haben aber nur zwei –, müßten wir zur gleichen Leistung doch mindestens sechs haben!«

Da sieht man, daß der Wachtmeister jedenfalls die Tausendfüßler beneidete. Doch einerlei, sein Pferd und er waren wie füreinander geschaffen.

Nicol, ein Mann von übermittlerer Größe mit breiten Schultern und gut entwickelter Brust, hatte es verstanden, mager zu bleiben, und hätte sich eher jeder Kasteiung unterzogen, als sich dick und fett werden zu sehen. Ja, er hätte sich für die unglücklichste Kreatur gehalten, wenn bei ihm die leichteste Erscheinung von Embonpoint zutage getreten wäre. Dadurch, daß er seinen blauen Rock fest zuschnallte und die Knöpfe seines Dolmans immer in die Knopflöcher zwängte, wußte er schon jede Fettablagerung zu hintertreiben, wenn es bei seiner trockenen Konstitution überhaupt zur Bildung einer solchen gekommen wäre. Nicol war ein ausgesprochener Rotkopf mit kurzgeschnittenen Haaren, dichtem Kinn- und starkem Schnurrbart, mit grauen, immer umherrollenden Augen und so scharfem Sehvermögen, daß er wie eine Schwalbe noch fünfzig Schritt weit eine Fliege erkennen konnte, was die aufrichtigste Bewunderung des Brigadiers Pistache erregte.

Eine lustige Natur, dieser Bursche, und in seinem sechzigsten Jahre das gewiß noch ebenso wie jetzt im fünfundzwanzigsten, einer, der nie über Hunger klagte, wenn die tägliche Ration auch einmal ein paar Stunden ausblieb, sowenig wie über Durst, selbst wenn die Quellen in den grenzenlosen, von der Sonne der Sahara ausgedörrten Ebenen immer seltener wurden. Es war eben einer jener glücklichen Provenzalen, der gleichmäßig heiter blieb und für den der Wachtmeister Nicol »eine kleine Schwäche« hatte. Man sah beide auch sehr häufig zusammen, und während der ganzen Expedition folgte der eine gewiß stets den Fußstapfen des anderen. Fügen wir noch hinzu, daß die Begleitmannschaft aus einer gewissen Anzahl Spahis bestehen sollte, daß Kamele und Maulesel unter der Führung von Eingeborenen bestimmt waren, das Lagermaterial und die Lebensmittelvorräte der kleinen Truppe zu transportieren, so hat der Leser damit die gesamte Begleitung des Ingenieurs von Schaller kennengelernt.

Ist auch nicht weiter von der besonderen Art der Pferde zu reden, die die Offiziere und die Mannschaft ritten, so muß hier doch das des Wachtmeisters Nicol erwähnt werden und ebenso dessen Hund, der ihn treu wie sein Schatten überallhin begleitete.

Daß das Pferd von seinem Herrn den bezeichnenden Namen Va d'l'avant (etwa »Vorwärts« oder »Voraus«) bekommen hatte, erklärt sich ja von selbst. Es rechtfertigte diesen schon dadurch, daß es immer nahe am Durchgehen war, stets die anderen überholen wollte, und es bedurfte eines so guten Reiters wie Nicols, sich mit ihm in Reih und Glied zu halten. Wir wissen jedoch schon, daß Roß und Reiter einander vortrefflich verstanden.

Wenn es aber zulässig erscheint, daß ein Pferd Va d'l'avant heißt, wie hat dann ein Hund den Namen Coupe-à-Cœur (etwa: rot, Herz gestochen!) erhalten können? Hatte dieser Hund vielleicht die Eigenschaften eines Munito oder anderer Berühmtheiten aus dem Hundegeschlechte? Trat er etwa gelegentlich in einem Jahrmarktszirkus auf oder spielte er öffentlich Karten?

Nein, der Begleiter Nicols und Va d'l'avants konnte sich keiner solchen gesellschaftlichen Talente rühmen. Es war nur ein mutiges und treues Tier, das dem Regimente Ehre machte und von allen, von den Offizieren wie von der Mannschaft, geliebt, gepflegt und gehätschelt wurde. Sein wirklicher Herr und Gebieter war jedoch der Wachtmeister wie Va d'l'avant sein vertrautester Freund.

Nicol liebte nun über alle Maßen das Kartenspiel Rams, es war tatsächlich seine einzige Leidenschaft, der er in den Mußestunden des Garnisonlebens frönte: Er konnte sich nicht vorstellen, daß es für einfache Sterbliche einen unterhaltenderen Zeitvertreib gäbe. Bei seiner großen Fertigkeit darin konnte er sich auch vieler Siege rühmen, die ihm schließlich den Spitznamen »Marschall Rams« eingetragen hatten, worauf er nicht wenig stolz war.

Zwei Jahre vorher hatte Nicol nun einen ganz besonders glücklichen Schlag gemacht, dessen er sich gern erinnerte. Er saß damals mit zwei Kameraden in einem Café in Tunis an einem Tische, worauf die zweiunddreißig Kartenblätter ausgebreitet lagen. Es war eine lange Sitzung gewesen, die auffällig zugunsten seiner Freunde verlaufen war, während ihn das Glück und seine gewohnte Meisterschaft völlig verlassen hatten. Jeder der drei Spieler hatte schon drei Partien gewonnen; es war die höchste Zeit, ins Quartier zurückzukehren ... nur noch eine letzte Partie sollte den endlichen Sieg entscheiden. Marschall Rams ahnte schon, daß er diese nicht gewinnen würde, er saß nun heute einmal im Pech. Die Spieler hatten jeder nur noch eine Karte in der Hand; seine beiden Gegner legten auf: Herzdame ... Herzkönig ... da waren sie voller Hoffnung. Sie konnten wohl annehmen, daß das Herzas, der höchste Trumpf, sich noch unter den elf Karten des Talons befände.

»Herz gestochen!« rief Nicol mit weithin schallender Stimme und schlug dabei so heftig auf den Tisch, daß seine Karte bis in die Mitte des Zimmers flog.

Wer hob sie ihm aber vorsichtig auf ... wer brachte sie ihm zwischen den Zähnen wieder? ... Das war der Hund, der bis zu diesem denkwürdigen Tage Misto geheißen hatte.

»Danke schön, Kamerad, danke«, rief der Wachtmeister, auf seinen doppelten Sieg ebenso stolz, als wenn er zwei Fahnen des Feindes erobert hätte. »Coupe-à-Cœur, hörst du? Ich habe die höchsten Blätter von Herz gestochen!«

Der Hund bellte freudig zustimmend.

»Jawohl, Herz gestochen«, wiederholte Nicol, »und nun bist du nicht mehr Misto, nein, du nennst dich von heute an ... nun ja: Coupe-à-Cœur! Gefällt dir das?«

Ohne Zweifel gefiel ihm der Name, dem prächtigen Tiere, denn es sprang lustig umher und dann mit einem Satze auf die Knie seines Herrn, der dadurch beinahe umgeworfen worden wäre.

Und Misto hatte seinen alten Namen bald vergessen und hörte auf den neuen, Coupe-à-Cœur, der seitdem im Regiment so ehrenhaft bekannt war.

Selbstverständlich wurde das Projekt einer neuen Expedition vom Wachtmeister Nicol und vom Brigadier Pistache mit größter Befriedigung begrüßt. Jedenfalls würde es aber auch Va d'l'avant und Coupe-à-Cœur keine geringere Freude bereiten;

Am Abend vor dem Aufbruche führte der Wachtmeister in Gegenwart des Brigadiers noch ein »Gespräch« mit den beiden Unzertrennlichen, ein Gespräch, das jeden Zweifel in jener Beziehung verscheuchte.

»Na, mein alter Va d'l'avant«, begann Nicol, den Hals des Pferdes streichelnd, »morgen ziehen wir also wieder ins Feld!«

Allem Anscheine nach verstand Va d'l'avant, was sein Herr sagte, denn er fing an, freudig zu wiehern, und Coupe-à-Cœur antwortete darauf mit einem so lustigen Gebell, daß man sich über dessen Bedeutung gar nicht täuschen konnte.

»Jaja, mein braver Hund, du wirst natürlich auch mit dabeisein!« setzte der Wachtmeister hinzu, während Coupe-à-Cœur umhersprang, als wollte er einen Satz auf Va d'l'avants Rücken machen. Es kam wirklich dann und wann vor, daß er auf dessen Sattel sprang, und das Pferd schien nicht weniger erfreut, den Hund zu tragen, wie dieser, sich von ihm tragen zu lassen.

»Nun ja doch ... morgen geht's aus Gabes fort«, redete der Wachtmeister weiter auf die Tiere ein, »morgen ziehen wir hinaus nach den Schotts! ... Ich hoffe, ihr werdet beide zum Abmarsch fertig sein und niemals hinter den anderen zurückbleiben!«

Neues Wiehern und neues Bellen als Antwort auf die Mahnung.

»Da fällt mir ein«, nahm Nicol wieder das Wort, »daß ja der Teufelskerl, der Hadjar, heimlich ausgerissen ist ... dieser verwünschte Targi, den wir doch gefangen hatten!«

Wenn Va d'l'avant und Coupe-à-Cœur das noch nicht wußten, so hatten sie es jetzt erfahren. Ah ... dieser Schurke von Targi hatte sich vorläufig gerettet.

»Na, ihr, meine alten Kameraden«, erklärte der Wachtmeister, »es ist recht leicht möglich, daß wir den Burschen, den Hadjar, da draußen treffen, und dann heißt es, ihn einholen und dingfest machen!«

Coupe-à-Cœur war schon bereit, hinauszustürmen, und Va d'l'avant wartete nur, von seinem Herrn bestiegen zu werden, um jenem zu folgen.

»Nur etwas Geduld! ... Morgen ... morgen!« wiederholte der Wachtmeister, während er zurücktrat.

Zur Zeit, wo die Tiere sprechen könnten und ohne Zweifel weniger Dummheiten sagen würden als die Menschen, hätten Va d'l'avant und Coupe-à-Cœur jedenfalls geantwortet:

»Also morgen, Wachtmeister, morgen!«


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