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Viertes Kapitel
Das Saharameer

Nach höflicher Begrüßung der Anwesenden, die seiner Einladung gefolgt waren, und nach Darbringung seines Dankes an die französischen und tunesischen Offiziere und Beamten, die neben hervorragenden Persönlichkeiten von Gabes der Versammlung beiwohnten, richtete Herr von Schaller an diese folgende Worte:

»Jedermann«, meine Herren, »wird zugeben müssen, daß infolge der Fortschritte der Wissenschaften die Verbindung der Geschichte und der Legende mehr und mehr unhaltbar geworden ist. Die eine muß untergehen, um der anderen das Feld zu räumen. Die Legende ist das Gebiet der Dichter, die Geschichte das der Gelehrten, und beide haben ja auch ihre eigene Anhängerschaft. Bei voller Anerkennung des Verdienstes oder Wertes der Legende muß ich sie heute doch ins Reich der Phantasie verweisen und kann nur Tatsachen in Rechnung ziehen, die durch streng wissenschaftliche Beobachtungen bestätigt sind.«

Der neue Saal des Kasinos in Gabes hätte kaum eine Zuhörerschaft aufnehmen können, die besser geeignet gewesen wäre, den interessanten Darlegungen des Vortragenden zu folgen. Bei den Anwesenden herrschte schon im voraus eine günstige Stimmung bezüglich des Projektes, das eben erörtert werden sollte. Nur einige Eingeborene, die sich Zutritt zu verschaffen gewußt hatten, bewahrten eine überlegene Zurückhaltung. Das geplante Unternehmen, über dessen Geschichte sich von Schaller eben verbreiten wollte, wurde ja von den seßhaften wie von den nomadisierenden Stämmen des Djerid schon seit einem halben Jahrhundert mit scheelen Augen angesehen.

»Wir mögen gern anerkennen«, fuhr von Schaller fort, »daß die Alten sehr phantasiereiche Leute gewesen sind, und die Geschichtsschreiber früherer Zeiten haben, wenn auch unbewußt, in ihrem Banne gestanden und Geschichte geschrieben, die nur auf Überlieferungen fußte. Es hat den Anschein, als ob sie sich für ihre Berichte hätten von rein mythologischen Eingebungen begeistern lassen.

Ich erinnere Sie, meine Herren, nur an das, was uns Herodot, Pomponius Melas und Ptolemäus hinterlassen haben. Der erste spricht in seiner ›Völkergeschichte‹ von einem Lande, das bis zu dem in die Bai gleichen Namens mündenden Flusse Triton reichte. Er erzählt, als eine Episode aus der Argonautenfahrt, daß Jasons Schiff, von Stürmen an die libysche Küste verschlagen, nach Westen bis in den sogenannten tritonischen See getrieben wurde, dessen westliches Ufer unsichtbar war. Danach müßte man also schließen, daß der genannte See jener Zeit mit dem Meere in Verbindung gestanden habe. In seiner ›Umschiffung des Mittelländischen Meeres‹ berichtet übrigens Scylax dasselbe über diesen ausgedehnten, ringsum von libyschen Volksstämmen bewohnten See, der an der Stelle der heutigen Sebchas und Schotts gelegen haben müßte, mit der Kleinen Syrte aber nur durch einen schmalen Kanal in Verbindung gestanden hätte.

Nach Herodot war es Pomponius Melas, der, fast zu Anfang der christlichen Zeitrechnung, des großen tritonischen Sees – auch See der Pallas genannt – erwähnt, dessen Verbindungsglied mit der Kleinen Syrte, dem heutigen Golfe von Gabes, infolge der Niveausenkung seines Wassers – diese selbst eine Folge starker Verdunstung – allmählich verschwunden wäre.

Da der Wasserstand, nach dem Berichte des Ptolemäus, unausgesetzt niedrigrer wurde, hätte sich das Wasser schließlich nach einzelnen Senkungsgebieten zurückgezogen, nach dem Triton- oder Pallassee und nach dem libyschen und dem Schildkrötensee, das sind die jetzigen algerischen Schotts Melrhir und Rharsa und die tunesischen Sebchas Djerid und Fedjedj.

Darunter, meine Herren, mag nun Wahres und Falsches, gewiß mehr vom zweiten sein, denn die Legenden des Altertums sind an Zuverlässigkeit mit der heutigen Wissenschaft nicht zu vergleichen. Nein, Jasons Schiff hat nicht nach jenem Binnensee verschlagen werden können, der niemals mit der Kleinen Syrte in Verbindung stand, und über deren Uferhöhen wäre es nur hinweggekommen, wenn es die mächtigen Flügel des Ikarus, des abenteuerlustigen Sohnes des Dädalus, gehabt hätte. Alle Beobachtungen ausgangs des neunzehnten Jahrhunderts haben unwiderleglich ergeben, daß ein das ganze Gebiet der Sebchas und Schotts bedeckendes Meer niemals existiert haben kann, denn die Hälfte dieser Depressionen erhebt sich um fünfzehn bis zwanzig Meter über das Niveau des Golfes von Gabes und vorzüglich über die Gebietsteile, die der Küste näher liegen, und niemals könnte dieses Meer eine Länge von hundert Lieues (fast 400 km) gehabt haben, die ihm allzu phantastische Geister zugewiesen hatten.

Immerhin, meine Herren, erschien es, bei weiser Beschränkung auf die Größenverhältnisse, die sich aus der Natur der Gebiete der Schotts, und Sebchas ergeben, keineswegs unmöglich, den Plan eines vom Golfe von Gabes aus gespeisten Saharameeres zur Ausführung zu bringen.

Darauf kam auch das Projekt hinaus, das mehrere unternehmende, doch nicht genug praktische Gelehrte entworfen hatten und das, nachdem es wiederholt Abänderungen erfahren hatte, doch nicht zum guten Ende geführt werden konnte. Seine Geschichte ist es, die ich Ihnen ebenso ins Gedächtnis zurückzurufen wünschte, wie die vergeblichen Versuche und die bitteren Enttäuschungen, die ihm jahrelang vorbehalten waren.«

Im Auditorium machte sich eine beifällige Bewegung bemerkbar, und als der Vortragende nach einer in großem Maßstabe ausgeführten Karte wies, die neben ihm an der Wand hing, da wandten sich dieser alle Blicke zu. Die Karte zeigte die südlichen Teile von Tunis und Algerien, etwa in der Höhe des 43. Breitengrades, während sie vom 3. bis zum 8. Längengrade (von Paris) reichte.

Darauf sah man die großen Senkungsgebiete im Südosten von Biskra, eine Gesamtdarstellung der algerischen, tiefer als das Niveau des Mittelländischen Meeres gelegenen Schotts, die unter dem Namen derer von Melrhir und von Rharsa zusammengefaßt werden. Am Ende des zweitgenannten Schotts war beim 7. Meridian der unvollendete Kanal angedeutet, der es mit der Kleinen Syrte verbinden sollte.

Nördlich davon, im tunesischen Teile, lagen die Ebenen, wo die Stämme der Hammama hausten, südlich aber, im algerischen Teile, das ausgedehnte Gebiet der Dünen. Genau ihrer Lage entsprechend waren die wichtigsten Städte und Ortschaften der Gegend angezeichnet: Gabes am Ufer seines Golfes, La Hamma auf der rechten Seite am neuen Kanal und fast am Ende des Schotts Fedjedj, ferner Limagnes, Softim, Bou-Abdallah und Bechia auf der Landzunge, die sich zwischen dem Fedjedj und dem Djerid hinstreckt, weiter Sedada, Kri, Hamma, Tozeur und Nefta, zwischen dem Djerid und dem Rharsa sah man Chebeka im Norden und Bir Klebia im Westen von diesem, endlich Zeribet, Aïn Naga, Tahir Rassu, Mraier und Fagussa in der Nachbarschaft der im Westen der Schotts geplanten Transsaharischen Bahnlinie.

Die Anwesenden konnten auf der Karte also das ganze Gebiet der Depressionen übersehen, von denen Rharsa und Melrhir vollständig überflutet werden konnten und das neue afrikanische Binnenmeer bilden sollten.

»Daß die Natur aber«, fuhr Schaller fort, »die Senkungsgebiete gerade da hatte entstehen lassen, wo sie die Gewässer der Kleinen Syrte leicht erreichen konnten, das ließ sich erst durch eine mühsame und sorgfältige Nivellierung der betreffenden Landesteile nachweisen. Bei einer Expedition durch die Wüste Sahara im Jahre 1872 behaupteten übrigens der Senator von Oran, Pomel, und der Grubeningenieur Rocard, daß diese Arbeit wegen der eigenen Natur der Schotts gar nicht ausführbar wäre. Der Stabskapitän Roudaire, von dem überhaupt die erste Anregung zu dem außerordentlichen Unternehmen ausgegangen war, leitete 1874 dessen Wiederaufnahme dann unter aussichtsvolleren Bedingungen aufs neue ein.«

Allseitiger Beifall begrüßte den Namen dieses französischen Offiziers, wie das schon früher der Fall gewesen war und wohl für immer sein wird. Neben seinem Namen müssen aber auch die des damaligen Vorsitzenden des Ministerrates de Freycinets und des Kanalbauers Ferdinand Lesseps genannt werden, die den riesigen Plan später durch ihre Empfehlung unterstützten.

»Auf diesen weit zurückliegenden Zeitpunkt, meine Herren«, nahm der Vortragende wieder das Wort, »ist die erste wissenschaftliche Durchforschung des Gebietes zurückzuführen, das im Norden, und dreißig Kilometer südlich von Biskra, durch die Berge von Aures begrenzt wird. Im Jahre 1874 war es, wo der kühne Offizier den Plan eines Binnenmeeres studierte, dem er nachher alle seine Kräfte widmen sollte. Konnte aber irgend jemand voraussehen, daß sich ihm so zahllose Hindernisse entgegenstellen würden, daß es seiner Tatkraft nicht gelang, darüber zu triumphieren? Wie dem auch sein mochte, unsere Pflicht ist und bleibt es, dem mutigen und gelehrten Mann die Ehre zu geben, die ihm gebührt.«

Nach den ersten Studien des eigentlichen Vaters dieses Unternehmens betraute der Minister des öffentlichen Unterrichts den Kapitän Roudaire offiziell mit verschiedenen wissenschaftlichen Missionen, die alle auf die Erforschung des in Betracht kommenden Gebietes hinausliefen. Dabei wurden zuverlässige geodätische Messungen ausgeführt, die es erlaubten, die Bodengestaltung dieses Teiles des Djerid festzustellen.

Jetzt mußte die Legende der Wirklichkeit weichen: Die Gegend, in der man ein ehemals vorhandenes, mit der Kleinen Syrte in Verbindung stehendes Meer angenommen hatte, konnte ein solches niemals gebildet haben. Die Bodensenke, die man von der Uferwand bei Gabes bis zu den letzten algerischen Schotts durchweg für überflutbar angesehen hatte, war das nur in verhältnismäßig beschränktem Umfange. Konnte das Saharameer aber auch die ihm von der öffentlichen Meinung früher angedichtete Ausdehnung niemals erhalten, so war das doch noch kein Grund, das Projekt gänzlich aufzugeben.

»Anfänglich, meine Herren«, sagte Schaller, »hatte man glauben können, daß dieses Meer eine Fläche von fünfzehntausend Quadratkilometern bedecken würde. Von dieser Zahl mußten aber schon fünftausend für die tunesischen Sebchas abgezogen werden, deren Niveau das des Mittelländischen Meeres übersteigt. Tatsächlich bleiben aber, nach den Untersuchungen und Messungen des Kapitäns Roudaire, nur achttausend Quadratkilometer übrig, die von dem Gebiete der Schotts Rharsa und Melrhir unter Wasser gesetzt werden können. Deren Oberfläche liegt durchschnittlich siebenundzwanzig Meter tiefer als die des Golfs von Gabes.«

Schaller wies hierbei mit einem Stabe nach den betreffenden Stellen auf der Wandkarte hin, wo er den Zuhörern diesen Teil des alten Libyens vor Augen führte.

Zuerst, im Gebiete der Sebchas und von der Küste ausgehend, deutete er auf die höher als das Meer liegenden Teile, deren niedrigster 15,52 Meter und deren höchster 31,45 Meter darüber aufragt. Diese höchste Stelle befindet sich nahe dem Küstenwall von Gabes. Weiter nach Westen hin trifft man auf die ersten Vertiefungen erst in der Bodensenke des Schotts Rharsa, hundertneunzig Kilometer vom Meere, auf eine Strecke von vierundsiebzig Kilometern. Dann steigt der Boden gegen dreißig Kilometer weit wieder an bis zu dem Schott Melrhir, das sich in der Ausdehnung von hundertzehn Kilometern zum größten Teile überfluten ließe. Hier kreuzt sich dann, in der Entfernung von dreihundertsiebzig Kilometern vom Golfe von Gabes, der Breitengrad mit dem Meridian von 3 Grad 40 Minuten.

»Das, meine Herren«, fuhr Schaller fort, »sind die Ergebnisse der geodätischen Untersuchungen dieser Landesteile. Nun erhebt sich freilich die Frage, ob es gegenüber der Möglichkeit, achttausend Kilometer vertieft liegenden Erdboden, dem man aus dem Golfe von Gabes Wasser zuführen könnte ... ob es infolge der Natur des Bodens nicht die menschliche Kraft übersteige, deshalb einen hundertfünfundvierzig Kilometer langen Kanal auszuheben. Nach sehr zahlreichen Sondierungen meinte das der Kapitän Roudaire nicht. Hier handelte es sich ja, wie Maxime Helene in einem beachtenswerten Artikel ausgesprochen hat, nicht um die Herstellung eines Kanals durch eine sandige Wüstenei wie bei Suez und auch nicht um die Durchbrechung von Kalkgebirgen wie in Panama und Korinth ... eine solche Festigkeit zeigt der Erdboden hier nirgends ... es bedarf nur der Abtragung einer salzhaltigen Kruste, und mittels der Dränage kann der Boden darunter für die zu bewältigende Arbeit hinreichend trockengelegt werden. Ja selbst auf der Küstenerhebung, die Gabes von der ersten Sebcha trennt, das heißt auf eine Strecke von siebzehn Kilometern, ist nur eine dreißig Meter dicke Kalkschicht mit der Spitzhaue zu durchbrechen. Die ganze übrige Arbeit ginge dagegen in lockerem Erdreich vor sich.«

Der Vortragende verbreitete sich hierauf eingehend über die Vorteile, die das große Unternehmen nach Roudaire zur Folge haben werde. In erster Linie würde das Klima von Algerien und von Tunis eine willkommene Verbesserung erfahren. Unter dem Einflusse der Südwinde würden die durch die Verdunstung des neuen Binnenmeeres gebildeten Wolken der ganzen Gegend zum Nutzen des Ertrages der Landwirtschaft wohltätige Regen zuführen. Ferner würden die Bodensenken der tunesischen Sebchas des Djerid und des Fedjedj sowie die algerischen Schotts von Rharsa und von Melrhir, die gegenwärtig nur Sümpfe bilden, unter der tiefen Wasserschicht ihre Gesundheitsgefährlichkeit verlieren. Und welche Handelsvorteile müßte das von Menschenhand veränderte Gebiet nach diesen physischen Verbesserungen gewinnen! Mit vollem Recht wies Roudaire dabei auf folgende Erscheinungen hin: Das Land im Süden des Aures und des Atlas werde neue Wege erhalten, wo die Sicherheit der Karawanen besser gewährleistet sei, der durch eine Flotte unterstützte Handel werde einen neuen Aufschwung nehmen in dem ganzen Landesteile, der jetzt wegen der Bodendepressionen fast unzugänglich wäre, und die Truppen, die dann südlich von Biskra ausgeschifft werden könnten, würden durch die Verstärkung des französischen Einflusses die Ruhe in diesem Teile Afrikas sichern.

»Und dennoch wollten«, fuhr der Redner fort, »nachdem der Plan eines Binnenmeeres mit so peinlicher Sorgfalt studiert und ausgearbeitet war und trotz der unleugbaren Genauigkeit der geodätischen Vorarbeiten, zahlreiche Widersacher noch immer die Vorteile ableugnen, die dem Lande durch dieses großartige Unternehmen zufallen müssen.«

Schaller beleuchtete dann einen nach dem andern die Einwände, die in Aufsätzen in verschiedenen Journalen zu der Zeit erhoben worden waren, wo gegen das Werk des Kapitäns Roudaire ein Krieg bis aufs Messer begonnen hatte.

Zunächst, so behauptete man, wäre die Länge des Kanales, der den Schotts von Rharsa und von Melrhir das Wasser aus dem Golfe von Gabes zuführen sollte, und das Fassungsvermögen des neuen Meeres, achtundzwanzig Milliarden Kubikmeter, so groß, daß die Bodensenkungen niemals ausgefüllt werden könnten.

Ferner wies man darauf hin, daß das Salzwasser des Saharameeres nach und nach durch die Erde nach den benachbarten Oasen vordringen werde, und wenn es dann durch Kapillaranziehung bis zu deren Oberfläche aufstiege, würde es die ausgedehnten Dattelwälder, den Reichtum des Landes, zum Absterben bringen.

Weiter haben wieder andere – übrigens ganz ernsthaft zu nehmende – Kritiker versichert, das Meerwasser würde nie bis zu den Depressionen vordringen, sondern auf dem Wege durch den Kanal vollständig verdunsten. Und doch hat sich in Ägypten unter den sengenden Strahlen einer Sonne, die der der Sahara gewiß gleichkommt, der auch für unausfüllbar verschriene Menzalethsee ohne Schwierigkeiten anfüllen lassen, obwohl die Kanalbreite nur hundert Meter betrug.

Weiter hat man die Unmöglichkeit oder mindestens die überaus kostspieligen Schwierigkeiten hervorgehoben, die die Durchstechung des Kanales erfahren würde. Zuverlässige Untersuchungen haben aber ergeben, daß der Erdboden von der Uferhöhe bei Gabes an bis zu den ersten Depressionen so weich und locker ist, daß die Sonde zuweilen durch ihr eigenes Gewicht darin einsank.

Die schlimmsten Voraussagungen, die von den Verlästerern des Werkes ausgingen, waren jedoch folgende:

Infolge der Flachheit der Ränder der Schotts würden sich diese bald in Sümpfe, in ebenso viele Krankheitsherde verwandeln, die die ganze Umgebung zu verseuchen drohten. Vorherrschend wehten auch die Winde statt von Süden, wie die Urheber des Planes anführten, vielmehr aus Norden. Der durch die Verdunstung des neuen Binnenmeeres hervorgerufene Regen würde also keineswegs den Feldern in Algerien und Tunis zugute kommen, sondern zweck- und nutzlos auf die ungeheueren sandigen Ebenen der großen Wüste niederfallen.

Die ungünstigen Urteile bilden gleichsam den Ausgangspunkt einer traurigen Periode, in der sich vielerlei ereignete, das den Gedanken an ein drohendes Unheil in Ländern wachrufen mußte, wo der Fatalismus ja unangefochten herrscht, Ereignisse, die eine recht trübe Erinnerung bei allen hinterlassen haben, die damals in Tunis lebten.

Die Pläne des Kommandanten Roudaire hatten die Phantasie der einen auf Abwege geführt und die Spekulationswut der anderen erregt. Von Lesseps, der das als einer der ersten voraussah, hatte sich der Sache warm bis zu dem Zeitpunkte angenommen, wo er wegen der Durchstechung der Landenge von Panama davon abgelenkt wurde.

Alles das war, sowenig es verhältnismäßig bedeutete, doch nicht vorgekommen, ohne die Phantasie der seßhaften und der nomadisierenden Bewohner der betreffenden Landesteile zu erhitzen. Diese sahen schon ganz Südalgerien in der Hand der Rumihs und glaubten das Ende ihrer Sicherheit und Unabhängigkeit damit gekommen. Der Einbruch des Meeres in ihre Einöden müsse ihrer langjährigen Herrschaft ein Ende machen. Bei allen Stämmen trat denn auch bald eine dumpfe Erbitterung zutage wegen der Befürchtung eines Eingriffes in ihre Vorrechte, mindestens in die, die sie sich anmaßten.

Unter diesen Umständen erlag der ohnehin geschwächte Kapitän Roudaire mehr der Enttäuschung als einer Krankheit, und das von ihm erträumte Werk verfiel in langen Schlummer, bis einige Jahre später der von den Amerikanern angekaufte Panamakanal, 1904, fremde Ingenieure und Kapitalisten veranlaßte, seine Pläne wiederaufzunehmen. Diese gründeten nun eine Gesellschaft, die sich unter dem Namen Compagnie franco-étrangère organisierte, um die Arbeiten sofort einzuleiten und zum Nutzen Tunesiens – als Folge davon auch zum Gedeihen Algeriens – zum guten Ende zu führen.

Je mehr sich der Gedanke eines Vordringens in die Sahara der Geister bemächtigt hatte, gewann eine Bewegung in diesem Sinne, die in Westalgerien, in Oranien, entstand, desto mehr Anhänger, je mehr das von Roudaire aufgegebene Projekt in Vergessenheit geraten war. Schon reichte die Staatseisenbahn über Beni-Ounif hinaus bis zur Oase Figuig und gestaltete sich scheinbar immer mehr zu einer Transsaharischen Linie.

»Es ist nicht meines Amtes«, fuhr von Schaller fort, »hier rückblickende Betrachtungen über das Vorgehen jener Gesellschaft anzustellen, auch nicht über die Tatkraft, die sie entwickelte, oder über die umfangreichen Arbeiten, die sie mit mehr Kühnheit als klarer Überlegung unternahm. Sie operierte, wie allbekannt, gleichzeitig auf einem sehr ausgedehnten Gebiete und beschäftigte sich, da sie von den Erfolgen überzeugt war, gleich mit allerlei, z. B. mit der Einrichtung einer Art Forstverwaltung, die die Aufgabe erhielt, die Dünen im Norden der Schotts durch Maßnahmen zu befestigen gleich denen, durch die man in Frankreich, in les Landes (einem Departement am Biskayischen Meerbusen mit langen, breiten Heidestrecken), die Küsten gegen die Angriffe des Meeres und des Flugsandes erfolgreich geschützt hatte. Vor der Ausführung ihrer eigentlichen Pläne erschien es der Gesellschaft notwendig, ja unerläßlich, die schon vorhandenen oder noch zu gründenden Städte ebenso wie die Oasen vor Überraschungen des zukünftigen Meeres zu bewahren, das gewiß kein stilles Gewässer sein würde, so daß es ratsam erschien, schon im voraus damit zu rechnen. Gleichzeitig machte sich ein ganzes Netz hydraulischer Arbeiten nötig zur Schonung der trinkbaren Gewässer der Oueds und der Rhiss. Jede Verletzung der Gewohnheiten und Interessen der Eingeborenen mußte ja möglichst vermieden werden, sonst stand der Erfolg des Ganzen auf dem Spiele. Ebenso empfahl es sich, von vornherein geeignete Häfen nicht nur auszugraben, sondern fertig herzustellen, deren sich die Schiffahrt sofort mit Nutzen bedienen könnte.

Infolge dieser überall gleichzeitig begonnenen Arbeiten und der großen Ansammlung von Arbeitern waren plötzlich provisorische Ortschaften da aus dem Boden hervorgewachsen, wo sozusagen tags vorher noch vollständige Einsamkeit herrschte. Die wenn auch innerlich erregten Nomaden wurden schon durch die Zahl der Arbeiter im Zaume gehalten. Die Ingenieure leisteten das menschenmögliche, und ihre unerschöpflichen Kenntnisse imponierten dieser Masse von Menschen, die unter ihrer Leitung arbeitete und ihnen unbegrenztes Vertrauen schenkte.

Jenerzeit begann der Süden von Tunis sich zu einem wahren menschlichen Bienenstocke zu verwandeln, wo sich keiner wegen der Zukunft sorgte und wo Spekulanten jedes Schlags, Mercanti, fahrende Händler usw. sich bemühten, jene ersten Pioniere gehörig zu schröpfen, die bei der unzulänglichen Zufuhr aus dem Lande selbst gezwungen waren, ihrer Selbsterhaltung wegen den Lieferanten in die Hände zu fallen, die wer weiß woher gekommen waren, denen man aber überall begegnet, wo ein solcher Menschenzusammenschluß stattfindet.

Und über dem Ganzen schwebte, abgesehen von den unentbehrlichen materiellen Bedürfnissen, eine wohl geahnte, doch nicht sichtbare Gefahr, die Empfindung einer unbestimmten Bedrohung, so etwas Ähnliches wie die unklare Ängstlichkeit vor atmosphärischen Revolutionen, die hier eine große, von der ungeheuren Einöde umringte Masse erfüllte, einer Einöde, worin etwas aufkeimte, was niemand kannte, jedenfalls etwas Geheimnisvolles in sozusagen unbegrenztem Umkreise, wo man kein lebendes Wesen, weder Mensch noch Tier, sah und alles dem Auge ebenso wie dem Ohre unerreichbar zu sein schien.

Infolge mangelnder Voraussicht und falscher Berechnungen, meine Herren, blieb denn auch der Zusammenbruch nicht lange aus: Die Compagnie franco-étrangère sah sich genötigt, ihre Arbeiten zu beschränken und dann überhaupt einzustellen. Seit dieser Zeit liegen die Dinge nun so, wie sie damals waren, und mein Hauptzweck ist es hier, Sie von der Möglichkeit einer Wiederaufnahme dieser Arbeiten zu überzeugen. Die Compagnie franco-étrangère hatte alles mit einem Male in Angriff genommen, neben den verschiedensten notwendigen Arbeiten verirrte sie sich gleich auf Spekulationen, und viele von Ihnen werden sich noch des traurigen Tages erinnern, wo sie ihren Konkurs anmelden mußte, ohne ihr umfassendes Programm durchgeführt zu haben. Die Karten, worauf ich Sie eben hinwies, lassen die von der Gesellschaft begonnenen Arbeiten erkennen. Diese unvollendeten Arbeiten sind aber noch vorhanden; das konservierende Klima Afrikas hat ihnen sicherlich nicht Schaden getan oder sie zerstört, und für eine neue Gesellschaft empfiehlt es sich von selbst, sie gegen eine noch festzustellende Abfindungssumme verständig zum Vorteil unseres Unternehmens auszunutzen. Unerläßlich ist hierzu nur, alles eingehend zu besichtigen und dann zu erwägen, was damit anzufangen sei. Zu dieser Besichtigung habe ich mich nun entschlossen, zunächst allein, später aber in Gemeinschaft mit erfahrenen Ingenieuren, doch immer unter dem Schutze einer ausreichenden Eskorte, zur Gewährleistung unserer eigenen Sicherheit ebenso wie der der schon vorhandenen oder noch zu errichtenden Werkplätze und ihrer Arbeitskräfte. Diese Rundreise werden wir, dessen dürfen Sie sicher sein, in der kürzesten Zeit zurückzulegen suchen.

Ich hege jedoch keine besonders ernsten Befürchtungen bezüglich der Feindseligkeit der Eingeborenen, trotz des erschwerenden Umstandes, daß jetzt in den südlichen Landesteilen einzelne Tuaregrotten aufgetreten sind, ja das könnte vielleicht noch der Allgemeinheit zum Vorteil gereichen. Die Beduinen der Wüste haben sich zwar bei der Durchstechung der Landenge von Suez tätig beteiligt, und augenblicklich scheinen sie ruhig zu sein; sie halten aber die Augen offen, und man darf ihrer scheinbaren Untätigkeit nicht zu weit über den Weg trauen. Jedenfalls, glauben Sie das getrost, werden wir aber mit einem tapferen und erfahrenen Soldaten wie dem Kapitän Hardigan, der sich auf die von ihm befehligte Mannschaft verlassen kann und mit den Sitten und Gewohnheiten der seltsamen Bewohner jener Gebiete vertraut ist, nichts zu befürchten haben. Nach der Rückkehr denken wir Ihnen unsere sorgfältigen Beobachtungen mitzuteilen und mit strengster Genauigkeit einen Plan für die Vollendung der Arbeiten vorzulegen. Dann können Sie teilnehmen an dem Ruhm und, ich wage es zu sagen, an den wohltätigen Folgen eines großen ebenso glückverheißenden wie patriotischen Werkes, das zwar in seinen Anfängen abfällig beurteilt wurde, das wir aber, dank Ihrer Mitwirkung, durchführen werden zur Ehre und zum Gedeihen des Vaterlandes, das uns unterstützen und dem es, wie schon im südlichen Oranien, gelingen wird, die jetzt noch feindlichen Stämme zu den treuesten und zuverlässigsten Wächtern unseres unvergleichlichen Sieges über die Natur umzuwandeln.

Sie wissen, meine Herren, wer ich bin, und wissen auch, welche Hilfskräfte ich für das große Werk mitbringe, finanzielle und intellektuelle Hilfskräfte, die in inniger Verbindung alle Hindernisse überwinden werden. Um die neue Gesellschaft geschart, werden wir den Erfolg für uns haben, und – ich stehe Ihnen dafür ein – auch da, wo es unseren weniger gut gerüsteten Vorgängern mißlungen ist. Das war es, was ich Ihnen vor meiner Abreise nach dem Süden sagen wollte. Mit Vertrauen auf unseren Erfolg und eine nie erschlaffende Energie, an der Sie wohl nicht zweifeln, wird sich alles von selbst machen. Hundert Jahre nach der Entfaltung der französischen Flagge auf der Kasbah von Algier werden wir eine französische Flottille das Saharameer befahren und unsere Posten in der Wüste mit allem Bedarf versorgen sehen!«


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