Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Capitel

Der Archipel in Flammen.

Die Insel Scio – seit jener Zeit übrigens allgemein Chio genannt – liegt im ägäischen Meere, westlich vom Golfe von Smyrna und nahe der Küste Kleinasiens. Mit Lesbos und Samos im Süden gehört sie zu den, im Osten des Archipels gelegenen Sporaden. Ihr Umfang beträgt volle vierzig Lieues. Der Berg Pelineus jetzt der Elias-Berg, der sie beherrscht, ragt bis zu einer Höhe von zweitausendfünfhundert Fuß über die Meeresfläche empor.

Von den bedeutenden Städten, welche sich auf der Insel vorfinden, wie Volysso. Pitys, Delphinium, Leuconia, Kaukasia, ist doch ihre Hauptstadt Scio die entschieden wichtigste. Hier hatte der Oberst Fabvier am 30. October 1827 ein kleines Expeditionscorps gelandet, dessen Stärke sich auf siebenhundert reguläre Truppen, zweihundert Reiter und eintausendfünfhundert Irreguläre, die von den Scioten besoldet wurden, belief, und welches zehn Haubitzen und sechs Kanonen mit sich führte.

Die Intervention der europäischen Mächte hatte auch nach der Schlacht bei Navarin die griechische Frage ihrer endgiltigen Lösung noch nicht zugeführt.

England, Frankreich, Rußland wollten dem neuen Königreiche nur die Grenzen zugestehen, welche der Aufstand selbst noch niemals überschritten hatte. Diese Beschränkung sagte aber der hellenischen Landesregierung keineswegs zu. Diese beanspruchte außer dem ganzen festländischen Griechenland auch die Inseln Kreta und Scio als nothwendige Bestandtheile ihrer Autonomie. Und so wie Miaulis Kreta als Angriffsobject und Ducas das Festland als solches wählte, landete Fabvier in Maurolimena, auf der Insel Scio, an oben genanntem Tage.

Man begreift recht wohl, daß die Hellenen den Türken diese schöne Insel, das herrlichste Juwel der Kette der Sporaden, zu entreißen wünschten. Ihr Himmel – wohl der reinste von ganz Kleinasien – verleiht ihr ein wundervolles Klima, ohne übermäßige Hitze und ohne zu strenge Kälte. Hier erfrischt fast stets eine mäßige Brise die Luft und macht die Insel zu einer der gesündesten des ganzen Archipels. In einem Lobgesang, den man Homer zuschreibt – welchen Scio übrigens als Landeskind betrachtet – nennt der Dichter sie »sehr fett.« Gegen Westen hin erzeugt sie den köstlichsten Wein, der mit den besten Gewächsen des Alterthums wetteifert, und einen Honig, der getrost mit dem des Hymettos in die Schranken treten kann. An der Ostseite reist sie Orangen und Citronen, deren vorzüglicher Ruf bis nach dem Westen Europas reicht. Nach Süden hin ist sie bedeckt mit verschiedenen Mastixarten, welche das kostbare Harz Mastix liefern, das in der Malerei, wie in der Arzneikunst so vielfache Verwendung findet. Endlich gedeihen in dieser von Gott gesegneten Gegend Feigen-, Dattel-, Mandel-, Granat- und Oelbäume, außer den schönsten Baumarten der gemäßigten Zone Europas.

Diese Insel also wollte die Nationalregierung mit dem neuen Königreich verbunden wissen, und deshalb hatte es der muthige Fabvier, trotz der vielen Kränkungen, die er von Denen erfahren, für welche er sein Blut zu opfern bereit war, unternommen, dieselbe zu erobern.

Während der letzten Monate dieses Jahres hatten die Türken übrigens nie aufgehört, auf der ganzen hellenischen Halbinsel zu morden und zu rauben, und das noch zwei Tage vorher, ehe Capo d'Istria in Nauplia landete.

Die Ankunft dieses Diplomaten sollte den inneren Streitigkeiten der Griechen ein Ende machen und die Regierungsgewalt in einer einzigen Hand vereinigen. Trotzdem aber Rußland sechs Monate später dem Sultan den Krieg erklärte und damit der Aufrichtung des neuen Königreichs zu Hilfe kam, hielt Ibrahim noch immer den mittleren Theil und die Küstenstädte des Peloponnes besetzt. Und wenn er sich acht Monate später, am 6. Juli 1828, anschickte, das Land zu verlassen, dem er soviel Unheil zugefügt, wenn im September des nämlichen Jahres auch kein Aegypter mehr auf griechischem Boden stand, so verheerten diese wilden Horden doch noch immer eine Zeit lang das unglückliche Morea.

Da nun die Türken und deren Verbündete noch verschiedene Städte der Küste in ihrer Gewalt hatten, und zwar im Peloponnes wie in Kreta, so ist es nicht zu verwundern, daß die benachbarten Meere noch vielfach von Seeräubern belästigt wurden. Wenn der Schaden, den sie den Fahrzeugen zufügten, welche den Handelsverkehr von einer Insel zur andern vermittelten, ein beträchtlicher war, so wurden die Führer der griechischen Flottillen, wie Miaulis, Canaris und Tsamados nicht müde, jene zu verfolgen. Jene Bösewichte waren jedoch ebenso zahlreich, wie schwer zu erreichen, und es konnte Niemand mit einiger Sicherheit sich auf jene Meere hinauswagen. Von Kreta bis zur Insel Metelin, von Rhodus bis Negroponte stand der ganze Archipel in Flammen.

Jetzt tummelten sich die, von dem Auswurfe aller Nationen gebildeten Banden in der Nachbarschaft der Insel umher und suchten dem Pascha zu Hilfe zu kommen, der in der Citadelle eingeschlossen war, welche Oberst Fabvier eben jetzt unter den ungünstigsten Bedingungen zu belagern anfing.

Der Leser erinnert sich, daß die Großhändler der Ionischen Inseln in ihrem Schrecken über diesen Zustand der Verhältnisse, die alle Stapelplätze der Levante gleichmäßig in Mitleidenschaft zogen, zusammengetreten waren, um eine Corvette auszurüsten, mit dem Auftrage, jene Piraten überall zu verfolgen.

Vor nun fünf Wochen hatte die »Syphanta« Korfu verlassen, um die Meere des Archipels zu säubern. Zwei oder drei Gelegenheiten, aus denen sie glücklich hervorgegangen war, wie die Aufbringung verschiedener, mit Recht als verdächtig angesehener Schiffe, konnten sie nur ermuthigen, das begonnene Werk eifrig fortzusetzen. Ihr Befehlshaber Stradena, der wiederholt in den Gewässern von Psara, Skyros, Zea, Lemnos, Paros und Santorin auftauchte, erfüllte seine Aufgabe mit ebenso viel Kühnheit als Erfolg. Es schien allein, als sollte es ihm nie gelingen, dem geradezu unnahbaren »Sacratif« zu begegnen, dessen Erscheinen sich überall durch die blutigsten Gräuelthaten kennzeichnete. Wohl hörte man sehr oft von ihm reden, aber nie und nirgends war er selbst zu sehen.

Vor höchstens vierzehn Tagen, gegen den 13. November, war auch die »Syphanta« in der Umgebung von Scio bemerkt worden. An eben jenem Tage gelang es auch noch, im Hafen der Insel gefangene Seeräuber einzuliefern, und Fabvier machte mit den Verbrechern den gebührenden kurzen Proceß und knüpfte diese Burschen auf.

Seit jener Zeit vernahm man aber nichts von der Corvette; Niemand vermochte zu sagen, in welchen Gegenden sie jetzt den Piraten des Archipels nachspürte; ja, man fing allmählich an, wegen derselben ängstlich zu werden. In diesen meist sehr beschränkten Gewässern, in welchen so viele Inseln und Eilande liegen und sich deshalb auch sehr viele Hafenplätze bieten, war es sonst sehr selten gewesen, daß die Anwesenheit dieses Schiffes nicht von da oder dort her gemeldet worden wäre.

Unter diesen Verhältnissen traf nun Henry d'Albaret in Scio ein, nachdem er Korfu acht Tage vorher verlassen hatte. Hier stieß er wieder zu seinem früheren Commandanten, um sich auf's Neue an dem Kampfe gegen die Türken zu betheiligen.

Das Verschwinden Hadjine Elizundo's hatte ihn auf das Schmerzlichste berührt. Das junge Mädchen wies also Nicolas Starkos als einen ihr unwürdigen Schurken ab, aber sie entzog sich auch ihm, der ihr Herz besaß, als seiner unwürdig. Welch' Geheimniß mochte nun dem Allen zu Grunde liegen? Wo sollte er nach demselben forschen? In ihrem früheren Leben, in ihr selbst, die so sanft, so rein erschien? Nein, sicherlich nicht! Vielleicht in dem Leben ihres Vaters? Doch welcher Zusammenhang konnte bestehen zwischen dem Banquier Elizundo und dem Capitän Starkos?

Wer hätte solche Fragen zu beantworten vermocht? Das Bankhaus stand völlig verödet. Jedenfalls hatte Xaris es gleichzeitig mit dem jungen Mädchen verlassen.

Henry d'Albaret konnte nur auf sich selbst zählen, um die Geheimnisse der Familie Elizundo zu enträthseln.

Er kam zunächst auf den Gedanken, die Stadt Korfu und dann die ganze Insel zu durchsuchen. Vielleicht hatte Hadjine an irgend einem versteckten Punkte Zuflucht gesucht und gefunden. Es gibt in der That nicht wenig auf der Insel verstreute Dörfer, wo es leicht genug sein mußte, sich sicher zu verbergen. Wer sich der Welt entziehen und von ihr vergessen sein will, dem bieten Benizze, Santa Decca, Leucimne und zwanzig andere geeignete Ortschaften dazu die beste Gelegenheit. Henry d'Albaret durchstreifte alle Straßen und Wege, forschte selbst in den geringsten Weilern nach einer Spur des jungen Mädchens.... Er fand nichts... nichts!

Da erhielt er eine Andeutung, daß Hadjine Elizundo die Insel Korfu vielleicht ganz verlassen haben könne. In dem kleinen Hafen Alipa, im Westnordwesten der Insel, theilte man ihm mit, daß eine leichte Speronare, nachdem sie kurze Zeit lang zwei Passagiere erwartet, auf deren Kosten dieselbe gemiethet war, erst unlängst in See gestochen sei.

Alles in Allem war das am Ende eine nur unbestimmte Nachricht. Eine gewisse Uebereinstimmung der Thatsachen und der Zeit flößten aber dem jungen Officier bald nur noch weitere Befürchtungen ein.

Als er nämlich nach Korfu zurückkehrte, hörte er, daß auch die Sacoleve den Hafen verlassen habe. Was hierbei in's Gewicht fiel, war der Umstand, daß diese Abfahrt mit demselben Tage zusammenfiel, an dem auch Hadjine Elizundo verschwunden war. Sollte er einen gewissen Zusammenhang zwischen beiden Vorfällen annehmen? War das junge Mädchen, die ja sammt Xaris in eine ihr gelegte Schlinge gefallen sein konnte, vielleicht mit Gewalt entführt worden? Befand sie sich jetzt vielleicht gar in der Hand des Capitäns der »Karysta«?

Dieser Gedanke brach Henry d'Albaret fast das Herz. Doch was sollte er beginnen? An welchem Ende der Welt hätte er nach Nicolas Starkos forschen sollen? Wer war überhaupt dieser Abenteurer? Die »Karysta«, von der Niemand wußte, woher sie kam, noch wohin sie ging, konnte mit Recht als verdächtiges Schiff betrachtet werden. Sobald er sich jedoch von dem ersten Schreck etwas erholt, wies der junge Officier jeden solchen Gedanken entschieden ab. Da Hadjine Elizundo seiner unwürdig zu sein erklärte und ihn auch nicht mehr wiedersehen wollte, war es ja ganz natürlich, daß sie sich unter dem Schutze Xaris' freiwillig entfernt haben würde.

Nun, wenn es so lag, hoffte Henry d'Albaret auch, sie noch wiederzufinden. Vielleicht hatte ihre Vaterlandsliebe sie getrieben, an dem Kampfe theilzunehmen, in dem das Loos ihrer Heimat entschieden werden sollte.

Vielleicht hatte sie das ungeheure Vermögen, über welches sie jetzt verfügen konnte, zum Besten des Unabhängigkeitskrieges als Opfer darbringen wollen. Warum sollte sie auch einer Bobolina, Modena, einer Andronika und so vielen Anderen, für die sie eine unbegrenzte Bewunderung hegte, nicht auf den nämlichen Schauplatz nachgefolgt sein?

Jedenfalls hatte Henry d'Albaret die Ueberzeugung gewonnen, daß Hadjine Elizundo sich in und auf Korfu nicht mehr befinde, und deshalb beschloß er denn, sich dem Corps der Philhellenen wieder anzuschließen Oberst Fabvier befand sich mit seinen regulären Truppen eben auf Scio; zu diesem wollte er sich begeben. So verließ er also die Ionischen Inseln, eilte durch das nördliche Griechenland, wobei ihn der Weg an den Golfen von Patras und Lepante vorbeiführte, schiffte sich im Golf von Aegina ein, entging nur mit genauer Noth einigen Seeräubern, welche die Umgebung der Cykladen unsicher machten, und kam nach schneller Ueberfahrt in Scio an. Fabvier bereitete dem jungen Officier einen sehr herzlichen Empfang, welcher den zweifellosen Beweis lieferte, in wie hoher Achtung dieser bei ihm stand. Der tapfere Kriegsmann sah in ihm nicht nur einen verläßlichen Waffengefährten, sondern auch einen vertrauten Freund, dem er, was ihn bedrückte- und das war nicht wenig – ohne Anstand mittheilen konnte. Der Mangel an Disciplin bei den irregulären Schaaren, welche einen sehr bedeutenden Theil des Expeditionscorps bildeten, der geringe Sold, der noch dazu schlecht ausbezahlt wurde, die Verlegenheiten, welche die Scioten selbst ihm bereiteten, Alles das durchkreuzte und verlangsamte seine Operationen.

Die Belagerung der Citadelle von Scio hatte indeß ihren Anfang genommen. Henry d'Albaret traf gerade noch zur rechten Zeit ein, um an den Annäherungsarbeiten, dem Ausheben der Parallelen, theilzunehmen. Zweimal hatten die verbündeten Mächte dem Oberst Fabvier zwar bedeutet, seine Belagerungsarbeiten einzustellen; dieser trug jenen Zumuthungen aber, gestützt auf die unverholene Zustimmung der griechischen Nationalregierung, kein Gehör, sondern setzte sein Werk unbeirrt fort.

Bald erweiterte sich die Belagerung des Platzes auch noch zu einer Art Blockade desselben, freilich zu einer so unzulänglich geschlossenen, daß die Belagerten trotzdem noch immer Zufuhr an Proviant und Kriegsbedarf erhalten konnten. Vielleicht würde es Fabvier aber dennoch gelungen sein, sich der Citadelle zu bemächtigen, wenn seine Truppenmacht, welche der Hunger tagtäglich weiter schwächte, sich nicht, um zu plündern und um Nahrung zu finden, über die ganze Insel zerstreut hätte. Unter diesen Umständen wurde es einer, aus fünf Fahrzeugen bestehenden ottomanischen Flottille möglich, den Türken eine Verstärkung von zweitausend Mann zuzuführen, indem sie sich den Zugang nach dem Hafen von Scio mit Gewalt öffnete. Bald darauf erschien allerdings Miaulis mit seinem Geschwader, um dem Oberst Fabvier zu Hilfe zu kommen, doch da war es zu spät, und er mußte unverrichteter Sache umkehren.

Mit dem griechischen Admiral waren auch einige Fahrzeuge eingetroffen, welche eine gewisse Anzahl Freiwillige als Verstärkung des Expeditionscorps von Scio mitbrachten.

Ihnen hatte sich auch eine Frau angeschlossen.

Nachdem sie bis zur letzten Stunde im Peloponnes gegen die Schaaren Ibrahim's gekämpft, wollte Andronika, die schon den Anfang des Krieges mitgemacht, auch bei der Beendigung desselben nicht fehlen. Deshalb war sie mit nach Scio gekommen, entschlossen, wenn es sein mußte, sich für diese Insel, welche die Griechen ihrem neuen Königreiche angeschlossen wissen wollten, auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern. Ihr wäre das gleich einer Wiedervergeltung für die Unthaten erschienen, welche ihr unwürdiger Sohn, gelegentlich der Metzeleien des Jahres 1822, an der nämlichen Stelle begangen hatte.

Jener Zeit hatte der Sultan die Insel Scio mit dem schrecklichen Bannfluche: »Feuer, Stahl und Knechtschaft« belastet. Der Kapudan-Pascha Kara-Ali war mit der Durchführung dieser Drohung betraut. Er entledigte sich seines Auftrags voll und ganz. Seine blutgierigen wilden Horden setzten sich auf der Insel fest. Männliche Personen unter zwölf und weibliche über vierzig Jahre wurden ohne Erbarmen hingemordet. Der zur Sclaverei verdammte Ueberrest sollte nach den Märkten von Smyrna und der Berberei abgeführt werden. Unter der Hand von dreißigtausend Türken wurde die ganze Insel durch Feuer verheert und durch Blut überschwemmt. Dreiundzwanzigtausend Scioten waren getödtet, siebenundvierzigtausend zum Verkauf zurückgestellt worden.

Hierbei war es, wo Nicolas Starkos die Hand im Spiele gehabt hatte Nachdem seine Spießgesellen und er selbst sich zügellos an Mord und Plünderung betheiligt, wußten sie sich auch den Löwenantheil an dem schmachvollen Schacher zu sichern, der die Menschen heerdenweise der ottomanischen Habgier überlieferte. Die Schiffe dieses elenden Renegaten waren es, welche zum Transport der Tausende von Unglücklichen nach den Küsten Kleinasiens und Afrikas dienten.

Im Zusammenhange mit diesen schmählichen Operationen stand auch die Geschäftsverbindung, welche Nicolas Starkos mit Elizundo in Berührung brachte; von ihnen rührten die ungeheuren Erträgnisse her, deren größerer Theil dem Vater Hadjines zugefallen war.

Andronika wußte übrigens gar zu gut, welchen Antheil Nicolas Starkos an den Massenschlächtereien von Scio gehabt, welche Rolle er in dieser entsetzlichen Tragödie gespielt hatte. Das war auch die innere Veranlassung gewesen, sich nach den Stätten zu begeben, wo man ihr gewiß hundertmal geflucht hätte, wenn es bekannt gewesen wäre, daß sie die Mutter jenes Verruchten war. Auf dieser Insel in den mörderischen Kampf zu ziehen, ihr Herzblut zu vergießen für die Sache der Scioten, das erschien ihr wie eine Wiedervergeltung, wie die erhabenste Sühne der Verbrechen ihres Sohnes.

Von der Stunde an, wo Andronika auf Scio den Fuß an's Land setzte, konnte es natürlich kaum ausbleiben, daß sie und Henry d'Albaret sich an einem oder dem anderen Tage begegneten. Wirklich sah sich Andronika kurze Zeit nach ihrer Ankunft, am 15. Januar, unerwartet dem jungen Officier gegenüber, der ihr auf dem Schlachtfelde von Chaidari das Leben gerettet hatte.

Da ging sie mit geöffneten Armen auf diesen zu und rief:

»Henry d'Albaret!

– Sie... Andronika... Sie! sagte der junge Officier. Sie... muß ich hier wiederfinden?

– Ja, antwortete das heldenmüthige Weib. Ist denn mein Platz nicht da, wo es gegen die frechen Unterdrücker noch zu kämpfen gilt?

– Andronika, erwiderte Henry d'Albaret, Sie können stolz sein auf Ihr Vaterland, stolz auf dessen Kinder, die es mit Ihnen vertheidigt haben! Nicht lange, und kein einziger türkischer Soldat steht mehr auf dem Boden Griechenlands.

– Ich weiß es, Henry d'Albaret, und Gott erweise mir die Gnade, nur diesen schönen Tag noch mit zu erleben!«

Im weiteren Verlaufe des Gesprächs theilte ihm Andronika nun mit, wie sie die Zeit, nachdem Beide nach der Schlacht von Chaidari einander aus dem Gesicht verloren, verbracht hatte. Sie schilderte ihre Fahrt nach Magne, ihrer engeren Heimat, die sie zum letzten Male wiederzusehen sich gesehnt hatte, um sich dann der Armee im Peloponnes anzuschließen, bis sie sich hierher nach Scio wandte.

Henry d'Albaret erzählte ihr dann seinerseits, unter welchen Verhältnissen er nach Korfu zurück und dort in Berührung mit dem Banquier Elizundo gekommen sei, und erwähnte dann seiner schon festgesetzten und dann aufgehobenen Vermählung, wie des Verschwindens Hadjines, die er eines Tages doch noch wiederzufinden hoffe.

»Ja, Henry d'Albaret, wenn Sie auch noch nicht wissen, welches Geheimniß auf dem Leben dieses jungen Mädchens lastet, so muß sie Ihrer doch jedenfalls würdig sein! Ja, Sie werden sie wiedersehen, werden so glücklich sein, wie Sie es Beide so sehr verdienen.

– Doch sagen Sie mir, Andronika, fragte Henry d'Albaret, kannten Sie nicht etwa jenen Banquier Elizundo?

– Nein, erklärte Andronika. Woher sollte ich ihn kennen, und wie kommen Sie zu dieser auffälligen Frage?

– Ich hatte mehrmals Gelegenheit, Ihres Namens vor demselben Erwähnung zu thun, antwortete der junge Officier, und dieser Name erregte allemal seine ganz besondere Aufmerksamkeit. Eines Tages erkundigte er sich bei mir sogar, ob ich nicht wüßte, was seit unserer Trennung aus Ihnen geworden sei.

– Ich kenne ihn weder von Person, Henry d'Albaret, noch ist der Name des Banquiers Elizundo jemals von mir ausgesprochen worden.

– Dann obwaltet auch hier ein Geheimniß, das ich nicht zu durchschauen vermag und das nun, da Elizundo todt ist, wohl auch niemals entschleiert werden wird.«

Henry d'Albaret versank in Schweigen. Die Erinnerung an Korfu erwachte wieder lebhafter in ihm. Er dachte unwillkürlich an Alles, was er dort und seit seinem Aufenthalt daselbst gelitten, an Alles, was er fern von Hadjine noch zu erdulden haben werde.

Dann wendete er sich wieder an Andronika.

»Wenn dieser Krieg nun zu Ende ist, was denken Sie dann zu beginnen? fragte er diese.

– Gott wird mir's gewähren, antwortete sie mit rührender Frömmigkeit, mich aus dieser Welt abzuberufen, aus dieser Welt, in welcher gelebt zu haben ich nur Gewissensbisse empfinde.

– Gewissensbisse, Andronika?

– Ja!«

Die bedauernswerthe Mutter wollte damit ausdrücken, daß schon ihr Leben überhaupt ein Unglück gewesen sei, da sie einen solchen Sohn geboren hatte.

Sie gab jedoch diesem Gedanken nicht weiter nach, sondern fuhr fort:

»Sie freilich, Henry d'Albaret, Sie sind noch jung und Gott hat Ihnen noch lange Tage vorbehalten. Wenden Sie dieselben dazu an, Diejenige wieder zu finden, die Sie verloren, und... welche Sie herzinnig liebt.

– Ja, Andronika, ich werde sie überall suchen, aber überall auch den hassenswerthen Rivalen, der sich zwischen sie und mich gedrängt hat.

– Wer war dieser Mann? fragte Andronika.

– Ein Capitän, der Befehlshaber eines mir nicht weiter bekannten, aber verdächtig erscheinenden Schiffes, erklärte ihr Henry d'Albaret, und der übrigens Korfu gleich nach dem Verschwinden Hadjines verlassen hat.

– Und sein Name?...

– Nicolas Starkos!

– Er!...«

Noch ein Wort mehr, und ihr Geheimniß wäre verrathen gewesen. Andronika hätte sich als die Mutter jenes Starkos bekannt.

Der von Henry d'Albaret so ganz unerwartet aus gesprochene Name hatte auf sie eine wahrhaft erschütternde Wirkung. Eine so energische Natur sie sonst auch war, machte sie der Name ihres Sohnes doch vor Schreck erbleichen. Alles Unglück, welches dem jungen Officier, welches dem Manne widerfahren war, der sie mit eigener Lebensgefahr vom drohenden Tode gerettet, rührte nur her von Nicolas Starkos.

Henry d'Albaret konnte begreiflicherweise nicht unbemerkt bleiben, welche Wirkung der Name Starkos' auf Andronika ausübte, und es kann nicht auffallen, daß er nach der Ursache derselben weiter forschte.

»Was ist Ihnen?... Was fehlt Ihnen? rief er. Warum diese Erregung bei dem Namen des Capitäns der »Karysta«?... Reden Sie!... Kennen Sie wohl den, der ihn trägt?

– Nein, Henry d'Albaret, nein! antwortete Andronika, welche wider ihren Willen stotterte.

– Doch... Sie kennen ihn!... Andronika, ich flehe Sie an, mir zu sagen, wer dieser Mann ist... was er treibt... wo er sich augenblicklich befindet... wo ich ihn auffinden könnte!

– Ich weiß es nicht!

– Nein, Sie wissen es!... Sie wissen es, Andronika, und weigern sich nur, es mir... mir... zu verrathen. Vielleicht könnten Sie mich durch ein einziges Wort auf seine Spur, vielleicht auf die Hadjines leiten... Sie weigern sich zu sprechen!

– Henry d'Albaret, antwortete Andronika mit einer Stimme, deren Sicherheit sie nicht mehr Lügen strafen konnte, ich weiß nichts! Mir ist unbekannt, wo jener Capitän sich aufhält.... Ich kenne Nicolas Starkos nicht!«

Mit diesen Worten verließ sie den jungen Officier, der in tiefster Erregung stehen blieb.

Welche Mühe er aber nach dieser Minute auch anwandte, um Andronika noch einmal zu begegnen, nie wollte es ihm gelingen. Offenbar hatte sie Scio verlassen und sich nach dem Festlande Griechenlands zurückbegeben. Henry d'Albaret mußte jede Hoffnung aufgeben, sie wiederzufinden.

Die Operationen des Oberst Fabvier sollten übrigens bald zu Ende gehen, ohne zu einem wirklichen Erfolge geführt zu haben.

In dem Expeditionscorps nahm die Desertion der Mannschaften immer größere Verhältnisse an; trotz der Bitten ihrer Officiere liefen die Soldaten davon und gingen zu Schiff, um die Insel zu verlassen. Die Artilleristen, auf welche Fabvier am sichersten zählen zu dürfen glaubte, ließen ihre Kanonen im Stiche. Gegenüber einer so allgemeinen Entmuthigung, welche sich zuletzt auch der Besten bemächtigte, war nichts anzufangen.

Die Belagerung mußte also aufgehoben und die Rückkehr nach Syra, von wo diese unglückliche Expedition ausgegangen war, eingeleitet werden, und hier erwarteten den Oberst Fabvier für seinen heldenmüthigen Widerstand nichts als Vorwürfe, nichts als Beweise des schwärzesten Undanks.

Henry d'Albaret hatte sich vorgenommen, Scio zu gleicher Zeit mit seinem Befehlshaber zu verlassen. Nach welcher Stelle des Archipels sollte er aber seine Nachforschungen richten? Noch wußte er darüber gar nichts, als ein unvorhergesehener Zwischenfall ihm plötzlich jeden Zweifel löste.

Am Vorabend des Tages, wo er sich nach Griechenland einschiffen wollte, traf mit der Post ein Brief für ihn ein.

Der mit dem Poststempel von Korfu versehene, an den Capitän Henry d'Albaret gerichtete Brief enthielt nur die Mittheilung:

»Im Stabe der Corvette »Syphanta« ist ein Platz zu besetzen. Würde es dem Capitän Henry d'Albaret genehm sein, sich an Bord einzuschiffen und den gegen Sacratif und die Piraten des Archipels begonnenen Zug weiter fortzusetzen?

»Die »Syphanta« wird sich während der ersten Tage des Monats März in der Nähe des Caps Anapomera im Norden der Insel aufhalten und ein Boot derselben wird stets in der Bucht von Ora, am Fuße obigen Caps, bereit liegen.

»Möge der Capitän Henry d'Albaret thun, was ihm sein Patriotismus zu thun eingibt!«.

Eine Unterschrift fand sich ebensowenig, wie ihm die Handschrift bekannt war. Nichts konnte dem jungen Officier auch nur entfernt andeuten, woher dieser Brief wohl käme. Jedenfalls brachte ihm derselbe Nachricht von der Corvette, von der man schon seit einiger Zeit nichts mehr gehört hatte.

Für Henry d'Albaret bot sich damit ferner eine Gelegenheit, zu seinem eigentlichen Berufe als Seemann zurückzukehren. Endlich wurde es ihm möglich, jenen Sacratif zu verfolgen, vielleicht den Archipel von ihm zu befreien, vielleicht auch – und das übte auf seinen Entschluß natürlich keinen unbedeutenden Einfluß – in diesen Gegenden des Meeres Nicolas Starkos mit seiner Sacoleve zu begegnen. Henry d'Albaret's Entscheidung war also sehr bald getroffen, er wollte den Vorschlag annehmen, der ihm in dem anonymen Briefe gemacht wurde, und als der Oberst Fabvier eben an Bord ging, um nach Syra zurückzusegeln, nahm er noch von diesem Abschied; dann miethete er ein leichtes Boot und begab sich nach der Nordseite der Insel.

Die Fahrt konnte nicht von langer Dauer sein, vorzüglich bei dem eben herrschenden Landwinde, der von Südwesten her wehte. Das Boot kam am Hafen von Coloquinta, zwischen den Inseln Anoffai und dem Cap Pampaca, vorüber. Von diesem Cap aus wendete es sich nach dem von Ora und folgte nun der Küste, um die gleichnamige Bucht zu erreichen.

Hier ging Henry d'Albaret am Nachmittag des 1. März an's Land.

Am Fuße der Felsen vertaut, schaukelte ein Boot, das seiner wartete; etwas weiter draußen lag eine Corvette aufgebraßt.

»Ich bin der Capitän d'Albaret, begann der junge Officier zu dem Schieman, der das Boot befehligte.

– Will der Herr Capitän Henry d'Albaret sich an Bord begeben? fragte der Schiemann.

– Sofort.«

Das Boot stieß ab. Getrieben von seinen sechs Rudern durchflog es schnell die kleine Entfernung, die dasselbe von der Corvette trennte – höchstens eine Seemeile.

Sobald Henry d'Albaret über die Treppe an Steuerbord mittschiffs an der »Syphanta« erschienen war, ertönte ein langer schriller Pfiff; gleich darauf donnerte ein Kanonenschuß, dem noch zwei andere in kurzen Zwischenräumen folgten. Und in dem Augenblicke, wo der junge Officier zuerst den Fuß auf das Deck des Fahrzeugs setzte, präsentirte die gesammte Mannschaft die Waffen und die Farben Korfus stiegen nach dem Ende der Gaffel empor.

Dann trat der zweite Officier der Corvette vor die Front der Leute und sagte mit lauter Stimme, so daß er Allen verständlich sein mußte:

»Die Officiere und Mannschaften der »Syphanta« schätzen sich glücklich, ihren Befehlshaber Henry d'Albaret an Bord begrüßen zu dürfen!«


 << zurück weiter >>