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Sechstes Capitel

Auf die Piraten des Archipels.

Die von der Sacoleve eingehaltene nordnordwestliche Richtung gestattete ihr, das malerische Gewirr der Ionischen Inseln zu verfolgen, von denen man nie die eine aus dem Gesicht verliert, ohne die nächste schon vor Augen zu haben.

Zum Glück für sie verrieth die »Karysta« mit ihrem Aussehen eines ehrbaren levantinischen Fahrzeugs, das halb einer Lustyacht und halb einem Handelsschiffe glich, nichts von ihrer wahren Natur; sonst wär's wohl nicht zu wagen gewesen, daß ihr Capitän sich bis unter die Kanonen britischer Forts und kühn zwischen die Fregatten des Vereinigten Königreichs begab.

Nur fünfzehn Seemeilen etwa trennen Arkadien von der Insel Zante, der Blume der Levante, wie sie die Italiener poetisch nennen. Vom Hintergrunde des Golfs, den die »Karysta« eben durchfurchte, gewahrte man sogar die grünen Gipfel des Berges Scopos, an dessen Seiten sich dichte Wälder von Oliven und Orangen hinziehen, welche an Stelle der von Homer und Virgil befangenen prächtigen Waldungen getreten sind.

Der Wind stand günstig; eine mäßige Brise wehte vom Lande her aus Südosten. Mit verstärktem Segelwerk am Großmast und am Besan durchschnitt die Sacoleve hurtig das Gewässer von Zante, das jetzt fast so still lag, wie die Fläche eines Binnensees.

Gegen Abend kam sie in Sicht der Hauptstadt vorüber, welche den Namen der Insel trägt. Es ist das eine hübsche, italienische Stadt, welche auf dem Besitzthum Zakyntha's, eines Sohnes des Trojaners Dardanus, aufblühte. Vom Bord der »Karysta« konnte man jetzt nur die Leuchtfeuer der Stadt sehen welche sich etwa eine halbe Meile lang am Rande einer kreisförmigen Bucht hinzieht.

Diese in verschiedenen Höhenlagen angebrachten Feuer, welche von dem Hafendamme an bis zum Dachfirst des Schlosses von venetianischem Ursprung hinausreichten, machten den Eindruck eines ungeheuren Sternbildes, dessen Hauptlichtpunkte die Stelle der Renaissance-Paläste der großen Straße und die der Domkirche St. Denis von Zakyntha bezeichneten.

Mit der Bevölkerung, welche durch vielfache Berührung mit Venetianern, Franzosen und Russen erheblich verändert ist, konnte Nicolas Starkos nicht jene Handelsbeziehungen haben, die ihn mit den Türken im Peloponnes verknüpften. Hier hatte er also auch kein Signal für die Hafenwächter zu geben und brauchte nicht erst zu landen an dieser Insel, welche die Heimat von zwei berühmten Dichtern ist, die des Italieners Hugo Foscolo, etwa gegen Ende des 18. Jahrhunderts, und des Salomos, einer der Zierden des neuen Griechenlands.

Die »Karysta« durchsegelte also den schmalen Meeresarm, der Zante von Achaïa und Elis scheidet. Wohl so manches Ohr an Bord fühlte sich verletzt durch die Gesänge, welche in Form von Barcarolen vom Lido herüberschallten. Doch man mußte sich wohl oder übel beruhigen. Die Sacoleve glitt inmitten dieser italienischen Lieder hin, und am folgenden Morgen befand sie sich gegenüber dem Hafen von Patras, bei dem tiefen Landeinschnitte, welcher den Golf von Lepante bis zum Isthmus von Korinth fortsetzt.

Nicolas Starkos stand jetzt auf dem Vordertheil der »Karysta.« Sein Blick überflog die Küste von Akarnanien längs der nördlichen Begrenzung des Golfs. An diese Oertlichkeiten knüpften sich große und unvergeßliche Erinnerungen, welche das Herz eines Kindes Griechenlands hätten erregen müssen, wenn dieser verlorene Sohn seiner Heimat dieselbe nicht schon seit langem verleugnet und verrathen hätte.

»Missolunghi! rief da Skopelo, die Hand in der Richtung nach Nordosten ausstreckend. Verwünschtes Volk da! Leute, die sich eher in die Luft sprengen lassen, als daß sie sich ergeben!«

Hier wäre zwei Jahre vorher allerdings für Aufkäufer von Gefangenen und Verkäufer von Sclaven nichts zu machen gewesen. Nach zehnmonatlichem Kampfe hatten die Bewohner von Missolunghi, welche von Strapazen erschöpft und von Hunger fast getödtet waren, statt sich auf eine Capitulation mit Ibrahim einzulassen, Stadt und Festung entschlossen in die Luft gesprengt. Männer, Frauen und Kinder, Alles fiel der Explosion zum Opfer, von der nicht einmal die Sieger selbst verschont blieben.

Im letztvergangenen Jahre wiederum war am nämlichen Platze, wo Marco Botsaris seine letzte Ruhestätte fand, ein Held aus dem Unabhängigkeitskriege entmuthigt und verzweifelnd gestorben, der Lord Byron, dessen Ueberreste nachher in Westminster beigesetzt wurden. Nur sein Herz ist zurückgeblieben auf dem Boden Griechenlands, das er so sehr liebte und das nach seinem Ableben die Freiheit errang.

Nicolas Starkos beantwortete obige Bemerkung Skopelo's nur durch eine unwillkürliche Bewegung. Bald entfernte sich die Sacoleve aus dem Golfe von Patras und hielt auf Kephalonia zu.

Bei dem eben herrschenden Winde bedurfte es nur weniger Stunden, um die Entfernung, welche Kephalonia von der Insel Zante trennt, zu durchmessen.

Die »Karysta« hatte übrigens keine Veranlassung, Argostoli, die Hauptstadt, anzulaufen, deren wenn auch ziemlich seichter Hafen doch einer der besten für Fahrzeuge von mittlerem Tonnengehalte ist. Sie steuerte vielmehr kühn in die recht beschränkten Canäle, welche deren Ostküste begrenzen, und gegen halb sieben Uhr Abends erreichte sie Thiaki, das alte Ithaka.

Diese Insel von acht Meilen Länge bei einundeinerhalben Meile Breite, welche ganz besonders felsig ist und einen wildromantischen Anblick bietet, dabei viel Baumöl und Wein erzeugt, zählt etwa tausend Einwohner. Ohne in späterer Zeit von geschichtlicher Bedeutung zu sein, trägt sie doch aus dem Alterthum her einen weit berühmten Namen als Vaterland des Ulysses und der Penelope, an welche man Erinnerungen noch heute vielfach findet, so auf dem Gipfel des Anogi, in den Tiefen der Höhle des Berges Sanct Stephan, wie am Fuß des Rabenfelsens, von dem die poetischen Wellen der Quelle Arethusa's ausgingen.

Bei der einbrechenden Nacht war das Land des Sohnes des Laertes gegen fünfzehn Meilen jenseits des Vorgebirges von Kephalonia im Schatten verschwunden. Während der Nacht bog die »Karysta« etwas mehr in's offene Meer ab, um die enge Straße zu vermeiden, welche die Nordspitze Ithakas von der Südspitze Santa Mauras trennt, und segelte etwa zwei Meilen vom Ufer an der Nordseite dieser Insel vorbei.

Bei dem hellen Mondlicht hätte man wenigstens deutlich eine weißliche Uferwand erkennen können, welche die Wasserfläche um hundertachtzig Fuß überragt, den »Sprung von Leukate«, den Sappho und Artemisia berühmt machten. Von dieser Insel, welche auch den Namen Leukate führt, war beim Aufgang der Sonne nur noch ein schwacher Streifen am Horizonte zu sehen, und die Sacoleve steuerte, der albanischen Küste folgend, jetzt mit vollen Segeln auf die Insel Korfu zu.

Noch waren etwa zwanzig Meilen im Laufe des Tages zurückzulegen, wenn Nicolas Starkos vor Einbruch der Nacht in den Gewässern der Hauptstadt dieser Insel eintreffen wollte.

Die schnelle »Karysta« brauchte zu diesem Wege nicht lange Zeit, führte jetzt auch so viel Segel, daß ihr flacher Bord fast die Wasserfläche streifte. Die Brise hatte bemerkbar aufgefrischt. Der Steuermann mußte also alle Aufmerksamkeit darauf wenden, bei dem ungeheuren Drucke der vielen Segel einen Unfall zu vermeiden. Zum Glück waren die Masten solid, die Takelage fast neu und in vortrefflichem Zustande. So wurde denn kein Reef eingezogen, kein Stück Leinwand entfernt.

Die Sacoleve stürmte vorwärts, als handle es sich um einen internationalen »Match«, um den Preis der größten Schnelligkeit eines Schiffes.

So kam man in Sicht der kleinen Insel Paxo vorüber. Schon traten im Norden die ersten Höhenzüge von Korfu zu Tage. Zur Linken verlief die albanische Küste mit den vielen Zacken und Einschnitten der Akrokeraunischen Bergzüge. Auf den überhaupt ziemlich belebten Gewässern des Ionischen Meeres erschienen auch mehrere Kriegsschiffe mit englischer oder türkischer Flagge. Die »Karysta« bemühte sich nicht im Mindesten, denselben aus dem Wege zu gehen. Hätte ein Signal sie zum Beilegen aufgefordert, so würde sie ohne Zögern gehorcht haben, da sie weder Ladung noch Papiere an Bord führte, welche den eigentlichen Charakter des Schiffes hätten verrathen können.

Um vier Uhr Nachmittags wendete sich die Sacoleve ein wenig in den Wind, um in die, das Festland von der Insel Korfu scheidende Meerenge einzulaufen. Die Schoten wurden eingezogen, der Steuermann wendete um ein Quart und umsegelte so das Cap Bianco am südlichen Ende der Insel.

Dieser südliche Theil des Canals ist mit mehr Reizen geschmückt als der nördliche Theil. Schon hierdurch bildet er einen glücklichen Gegensatz zu der fast uncultivirten, halb wilden Küste Albaniens. Einige Meilen weiterhin erweitert sich die Wasserstraße durch das Zurückweichen der korfiotischen Küste. Die Sacoleve konnte also schneller in schräger Richtung darüber hinfahren. Diese tiefen und sich oft wiederholenden Einbuchtungen sind es, welche der Insel einen Umfang von fünfundsechzig Lieues geben, obwohl sie in ihrer größten Länge deren nur zwanzig und in der größten Breite nur sechs mißt.

Gegen fünf Uhr passirte die »Karysta« nahe dem Eilande des Ulysses die Oeffnung, welche den See Kalikiopulo, den alten hyllaïschen Hafen, mit dem Meere in Verbindung setzt. Dann folgte sie den Linien dieser reizenden »Cannone«, welche mit Aloes und Agaven bepflanzt und immer von Wagen und Reitern belebt ist, die eine Meile südlich von der Stadt gleichzeitig mit der erquickenden Seeluft das herrliche Panorama genießen, dessen Horizont an der anderen Seite des Canals die albanische Küste abschließt.

So glitt sie an der Bai von Kardakio und den dieselbe beherrschenden Ruinen vorüber, weiter vor dem Sommerpalaste der Lordcommissäre, ließ die Bai von Kastrades, auf der die gleichnamige Vorstadt liegt, zur Linken, ebenso die Strada Marina, welche weniger eine Straße, als eine Promenade ist, und kam so zuletzt an dem Gefängniß, dem alten Fort Salvator, und den ersten Häusern der korfiotischen Hauptstadt vorbei. Dann umschiffte die »Karysta« das Cap Sidero, welches die Citadelle trägt, eine kleine Militärstadt von hinreichender Größe, um die Residenz des Commandanten, die Wohnungen für seine Officiere, ein Krankenhaus und eine griechische Kirche zu umschließen, aus der die Engländer ein protestantisches Gotteshaus gemacht haben

Endlich umsegelte der Capitän Starkos, sich nach Westen wendend, die Landspitze San Nicolo, und nachdem er an dem Ufer vorübergekommen, hinter welchem sich die Gebäude des nördlichen Theils der Stadt erheben, ging er eine halbe Kabellänge vom Molo vor Anker.

Das Boot wurde niedergelassen, Nicolas Starkos und Skopelo nahmen darin Platz – nicht ohne daß der Capitän in seinen Gürtel eines jener kurzklingigen, aber breiten Messer gesteckt, welche in den Provinzen Messeniens gewöhnlich getragen werden. Beide landeten beim Sanitätsamte und legten ihre Papiere vor, die sich in vollkommener Ordnung befanden.

Sie waren damit frei, überall hin nach Belieben zu gehen, und verabredeten nur noch, sich um elf Uhr zu treffen und an Bord zurückzukehren.

Skopelo, der alles Nöthige für die »Karysta« zu besorgen hatte, begab sich nach dem mehr handeltreibenden Theile der Stadt, welcher sehr eng gewundene Gassen mit italienischen Namen, Handelsläden unter Bogengängen und überhaupt das ganze bunte Gewühl eines neapolitanischen Stadtviertels aufweist.

Nicolas Starkos wollte den Abend benützen, um Neuigkeiten zu erlauschen. Er wandte sich also nach der Esplanade, dem eleganten Theil der korfiotischen Stadt.

Diese Esplanade – ursprünglich ein Exercierplatz – die an den Seiten mit schönen Bäumen umsäumt ist, liegt zwischen der eigentlichen Stadt und der Citadelle, von der sie ein breiter Wallgraben trennt. Fremdlinge und Einheimische lustwandelten hier, als würde eben ein Fest begangen, in großer Menge hin und her. Stafetten eilten nach dem an der Nordseite des Platzes vom General Maitland erbauten Palaste und kamen daraus wieder durch das Sanct Georgen- oder Sanct Michaelsthor, welche seine in weißen Steinen errichtete Façade flankiren. Zwischen dem Palaste des Gouverneurs und der Citadelle, deren Zugbrücke gegenüber dem Standbilde des Marschalls Schulemburg jetzt niedergelassen war, wurden fast unausgesetzt Nachrichten und Meldungen ausgetauscht.

Nicolas Starkos mischte sich unter die Menschenmenge. Er erkannte sehr bald, daß dieselbe unter dem Einflusse einer außergewöhnlichen Erregung stand. Da er nicht der Mann dazu war, Fragen zu stellen, begnügte er sich mit dem Zuhören. Vorzüglich fiel ihm dabei auf, daß ein gewisser Name – der Name Sacratif – unter allen plaudernden Gruppen mit sehr wenig schmeichelhaften Zuthaten sehr oft wiederholt wurde.

Dieser Name schien auch seine Neugier einigermaßen zu reizen; nachdem er jedoch leicht mit den Achseln gezuckt, ging er die Esplanade weiter hinab bis zur Terrasse, welche dieselbe am Meeresstrande abschließt.

Dort hatte eine Anzahl Neugieriger in der Umgebung eines kleinen kreisrunden Tempels Platz genommen, der erst unlängst zum Andenken an Sir Thomas Maitland erbaut worden war. Einige Jahre später wurde in der Nähe ein Obelisk zu Ehren eines seiner Nachfolger, des Sir Howard Douglas, errichtet, um als Pendant zu dem vor dem Regierungspalaste schon früher aufgestellten Denkmale des dermaligen Lord-Obercommissärs Frederik Adam zu dienen. Wahrscheinlich würden die Straßen und Plätze Korfus, wenn die englische Schutzherrschaft nicht durch die Zurückgabe der Ionischen Inseln an das Königreich Griechenland ein Ende gefunden hätte, mit den Statuen seiner Statthalter allmählich vollgepfropft worden sein. Obgleich die Korfioten aber kaum daran dachten, diese mit ehernen und marmornen Standbildern getriebene Verschwendung zu tadeln, so mochte doch so Mancher von ihnen die Verwaltungsfehler der englischen Statthalter unter der früheren Regierungsweise lebhaft beklagen.

Wenn hierüber auch die abweichendsten Meinungen herrschten, wenn es unter siebzigtausend Bewohnern, welche das alte Korcyra zählte, und unter den zwanzigtausend Einwohnern seiner Hauptstadt orthodoxe Christen, griechische Christen und in großer Anzahl auch Juden gab, welche jener Zeit ein besonderes Stadtviertel, eine Art Ghetto bevölkerten, wenn unter diesen städtischen Vertretern so mannigfaltiger Rassen sehr verschiedene, durch wechselnde Lebensinteressen bedingte Ansichten zutage traten, so schien eben heute doch jede Meinungsverschiedenheit gewissermaßen verschmolzen zu sein in einem Alle beherrschenden Gedanken, in der Verwünschung des Namens, der immer wieder auf Aller Lippen schwebte:

»Sacratif! Sacratif! Tod und Verderben über Sacratif!«

Ob die Aufundabgehenden nun englischer, italienischer oder griechischer Zunge waren, ob die Aussprache dieses verabscheuten Namens wie immer wechselte, so blieben die Verwünschungen, womit man ihn überhäufte, doch immer der Ausdruck derselben Empfindung, des Abscheus und des Schreckens.

Nicolas Starkos hörte immer zu, sagte aber nichts. Von der Höhe der Terrasse aus konnten seine Augen bequem einen großen Theil des Canals von Korfu überfliegen der gleich einem Binnensee bis zu den, von der untergehenden Sonne vergoldeten Bergeshäuptern Albaniens geschlossen schien.

Bei einer Wendung nach der Seite des Hafens bemerkte der Capitän der »Karysta«, daß daselbst ein besonders reges Leben herrschte. Zahlreiche Boote ruderten nach den Kriegsschiffen zu. Zwischen diesen Schiffen und dem auf dem höchsten Punkte der Citadelle errichteten Flaggenmaste wurden fleißig Signale gewechselt, während die Festungswerke mit ihren Batterien und Casematten hinter einer Wand riesiger Cacteen fast verschwanden.

Offenbar – ein Seemann konnte darüber ja nicht im Unklaren bleiben – bereiteten sich ein oder mehrere Schiffe vor, von Korfu auszulaufen. Wenn das der Fall war, so verdiente die korfiotische Bevölkerung das Zeugniß, daß sie daran sehr lebhaften Antheil nahm.

Schon war indessen die Sonne hinter den hohen Bergen der Insel verschwunden, und bei der in jenen Breiten nur kurze Zeit dauernden Dämmerung mußte es bald völlig dunkel werden.

Nicolas Starkos hielt es also für gerathen, die Terrasse zu verlassen. Er begab sich deshalb nach der Esplanade zurück, wo noch eine Menge Zuschauer verblieben, welche die Empfindung der Neugier daselbst zurückhielt. Dann wendete er sich gelassenen Schrittes nach dem Bogengange der Häuserreihe, welche sich an der Westseite des Exercierplatzes hinzieht.

Hier fehlte es nicht an hell erleuchteten Cafés und auch nicht an ganzen Reihen auf dem Fußstege aufgestellter und schon von vielen Consumenten eingenommener Stühle. Doch fand man bald heraus, daß diese mehr »conversirten« als »consumirten«, wenn man letzteres, noch zu moderne Wort überhaupt auf die Korfioten vor fünfzig Jahren anwenden kann.

Nicolas Starkos setzte sich an einen kleinen Tisch in der wohlerwogenen Absicht, kein Wort von den Gesprächen zu verlieren, die an den Nachbartischen geführt wurden.

»Wahrhaftig, äußerte ein Rheder von der Strada Marina, es gibt jetzt keine Sicherheit mehr für den friedlichen Handel, und man kann kaum noch wagen, eine werthvollere Ladung nach den Stapelplätzen der Levante abzusenden

– Und sehr bald, fügte sein Gegenüber – ein langer Engländer, der wie ihr Parlamentspräsident immer auf einem Baumwollballen zu sitzen schien – hinzu, wird man nicht einen Mann mehr finden, der bereit wäre, an Bord der Schiffe des Archipels Dienste zu nehmen.

– O, dieser Sacratif!... Dieser Sacratif! erscholl es aus verschiedenen Gruppen mit wirklichem Abscheu.

– Ein Name, der ganz dazu geschaffen ist, Einem die Kehle zu verrenken, dachte der Inhaber des Cafés, und der doch eine Erquickung sehr wünschenswerth machen muß.

– Um wieviel Uhr soll die Abfahrt der »Syphanta« stattfinden? fragte der Kaufmann.

– Um acht Uhr, belehrte ihn der Korfiot. Freilich, setzte er mit einem, nicht gar so viel Zutrauen verrathenden Tone hinzu, mit dem Abfahren ist es nicht gethan, es gilt auch seinen Zweck zu erfüllen.

– Das wird geschehen! rief ein anderer Korfiot dazwischen. Niemand soll sagen können, ein Seeräuber habe sie in Schach halten können, wie die Marine Englands...

– Und die Marine Griechenlands, die Marine Frankreichs und die Marine Italiens! bemerkte phlegmatisch ein englischer Officier, der bei dieser Gelegenheit wenigstens auch den übrigen in Frage kommenden Staaten etwas anhängen wollte.

– Doch, fuhr der Kaufmann sich erhebend fort, die Zeit verstreicht, und wenn wir dem Auslaufen der »Syphanta« beiwohnen wollen, müssen wir uns nun wohl nach der Esplanade begeben.

– Nein, entgegnete der Andere, es eilt noch nicht. Uebrigens wird die Abfahrt der »Syphanta« durch einen Kanonenschuß verkündigt werden.«

Die Herren setzten also ihr Gespräch, eigentlich nur ihre Verwünschungen des Uebelthäters Sacratif, noch weiter fort.

Jetzt hielt Nicolas Starkos den Augenblick für günstig, sich ebenfalls einzumischen, und er fragte, ohne daß Jemand an seiner Aussprache in ihm hätte einen Griechen aus den südlichsten Provinzen erkennen können, indem er sich an seine Tischnachbarn wendete:

»Darf ich mir erlauben, meine Herren, an Sie die Frage zu richten, welche Bewandtniß es mit dieser »Syphanta« hat, die heute in Aller Munde ist?

– Es ist das eine Corvette, mein Herr, eine Corvette, welche von einer Gesellschaft englischer, französischer und korsiotischer Großhändler angekauft, mit einer aus diesen verschiedenen Nationalitäten gewählten Bemannung versehen wurde, und welche unter dem Befehle des tapferen Capitäns Stradena zum Auslaufen fertig liegt. Vielleicht gelingt ihr, was die Kriegsschiffe Englands und Frankreichs nicht durchzuführen vermochten.

– Ah, es ist ein bewaffnetes Schiff, welches absegelt. Und nach welchen Meeren, wenn ich bitten darf?

– Nach denen, wo ihm die Möglichkeit geboten ist, den berüchtigten Sacratif zu treffen, einzufangen und aufzubaumeln.

– Da muß ich Sie weiter bitten, fuhr Nicolas Starkos fort, mir auch zu sagen, wer und was jener berüchtigte Sacratif ist?

– Sie fragen, wer jener Sacratif ist!« rief verblüfft der Korfiot, den der Engländer noch unterstützte, indem er seine Antwort mit einem »Aoh!« der Verwunderung illustrirte.

Thatsächlich mußte allerdings ein Mann, der nicht wußte, wer Sacratif war, und das noch obendrein mitten in der Stadt Korfu, wo jener Name in Aller Munde war, als eine Wundererscheinung betrachtet werden.

Der Capitän bemerkte auch sofort die Wirkung, welche seine Unkenntniß hervorbrachte, und beeilte sich also, eine Erklärung hinzuzufügen.

»Ich bin hier gänzlich fremd, meine Herren, sagte er, und eben erst eingetroffen von Zara, das heißt von einem entlegenen Punkte des Adriatischen Meeres, so daß ich mich bezüglich der Ereignisse auf den Ionischen Inseln nicht auf dem Laufenden befinde.

– Sagen Sie lieber bezüglich der Vorgänge im ganzen Archipel, rief der Korfiot, denn in der That ist es der ganze Archipel, den Sacratif zum Schauplatz seiner schändlichen Seeräubereien erwählt hat.

– Ah, sagte Nicolas Starkos, es handelt sich um einen Seeräuber...

– Um einen Piraten, einen Seeräuber frechster Art! erklärte der lange Engländer. Ja, Sacratif verdient diese Bezeichnungen und alle, welche noch erfunden werden könnten, solche Uebelthäter zu brandmarken!«

Der Engländer rang einen Augenblick keuchend nach Athem.

»Was mich erstaunen macht, mein Herr, fuhr er dann fort, ist, daß man noch einem Europäer begegnen kann, der nicht schon weiß, was jener Sacratif ist.

– Verzeihen Sie, erwiderte Nicolas Starkos, dieser Name selbst ist mir nicht ganz unbekannt geblieben, das dürfen Sie glauben; ich wußte aber nicht, daß er es war, der die Stadt in fieberhafte Bewegung setzte. Ist Korfu etwa von einem Ueberfalle dieses Piraten bedroht?

– Das sollte er einmal wagen! rief der Kaufmann. Er wird niemals so unbesonnen sein, einen Fuß auf unsere Insel zu setzen!

– Ah... wirklich? antwortete der Capitän der »Karysta«.

– Gewiß, mein Herr, und wenn er's thäte, wär' ihm der Galgen sicher. Ja, auf allen Punkten der Insel würden die Galgen wie Pilze aus der Erde aufschießen, um ihn beim Vorüberkommen aufzuschnappen.

– Woher dann aber die allgemeine Aufregung? fragte Nicolas Starkos. Ich bin erst seit kaum einer Stunde hier angelangt und kann die sich kundgebende Erregung nicht begreifen...

– Der Grund derselben, mein Herr, unterbrach ihn der Engländer, ist folgender: Zwei Kauffahrteischiffe, der »Tree Brothers« und der »Carnatic«, sind vor etwa einem Monat von Sacratif abgefangen und die Ueberlebenden der beiden Besatzungen Mann für Mann auf den Märkten von Tripolis verkauft worden.

O, erwiderte Nicolas Starkos, das ist eine schlimme Geschichte, die der Sacratif schwer zu büßen haben dürfte.

– Auf diese Veranlassung traten nun hier verschiedene Großhändler zusammen, um eine Kriegscorvette auszurüsten – einen vortrefflichen Segler – welche eine auserlesene Besatzung führt und von einem unerschrockenen Seemanne, dem Capitän Stradena, befehligt wird, der auf jenen Sacratif Jagd machen soll. Diesmal ist zu hoffen, daß der Pirat, welcher den ganzen Handel des Archipels lahm legt, seinem Schicksale nicht entgeht.

– Das möchte ihm wohl nur schwer gelingen, stimmte Nicolas Starkos bei.

– Und, erläuterte der englische Großhändler, wenn Sie heute die Stadt in Bewegung sehen, wenn fast die ganze Bevölkerung nach der Esplanade zusammengeströmt ist, so geschah das, um dem Ankerlichten der »Syphanta« beizuwohnen, der ein vieltausendstimmiges Hurrah nachtönen wird, wenn sie den Canal von Korfu hinabsegelt.«

Nicolas Starkos wußte nun offenbar Alles, was er zu wissen wünschte. Er bedankte sich für die erhaltene Aufklärung; dann stand er auf, um sich von Neuem unter die Menge zu mischen, welche auf der Esplanade hin und her wogte.

Was jene Engländer und Korfioten ihm mitgetheilt hatten, war in keiner Weise übertrieben, im Gegentheil nur allzu wahr. Seit einigen Jahren schon verübte Sacratif bei seinen Plündereien die scheußlichsten Gewaltthätigkeiten. Eine große Anzahl von Handelsfahrzeugen aller Nationen war schon von diesem ebenso verwegenen, wie blutgierigen Seeräuber überfallen worden. Niemand hätte sagen können, woher er kam, welchem Lande er entstamme oder ob er sich von den, an den Küsten der Barbarei hausenden Seeräubern nur zeitweise getrennt hatte. Alles das wußte Keiner, und Keiner hatte es vorher gewußt. Niemand hatte ihn gesehen, nicht ein Einziger war heimgekehrt von Denen, die je unter das Feuer seiner Kanonen geriethen, da Alle entweder hingemordet oder als Sclaven verkauft wurden. Selbst die Schiffe, die er benützte, hätte Niemand bezeichnen können. Er ging unausgesetzt von dem einen auf ein anderes. Seine Angriffe erfolgten einmal mit einer schnell segelnden levantinischen Brigg, dann wieder mit einer jener flüchtigen Corvetten, welche kein anderes Schiff einholen konnte, stets aber unter schwarzer Flagge. Erkannte er sich bei gelegentlicher Begegnung unbedingt als den schwächeren Theil, so verschwand er im Handumdrehen, wie man zu sagen pflegt. Und in welcher weltvergessenen Bucht des Archipels hätte man ihn dann aufsuchen sollen? Gerade er kannte die geheimsten und für jedes andere Schiff gefahrdrohendsten Wasserstraßen dieser Küsten, deren Hydrographie jener Zeit noch sehr viel zu wünschen übrig ließ.

Wenn der Räuber Sacratif ein guter Seemann war, so zeichnete er sich nicht minder bei jedem Ueberfalle aus. Immer unterstützt von Mannschaften, welche vor nichts zurückschreckten, vergaß er niemals, ihnen des »Teufels Antheil« zukommen zu lassen, das heißt ihnen einige Stunden zum Morden und Plündern freizugeben. So folgten ihm denn die Leute, wohin er sie auch führen mochte, und vollzogen seine Befehle, welcher Art diese auch waren. Alle wären für ihn in den Tod gegangen. Die Bedrohung mit der fürchterlichsten Strafe hätte sie nicht dazu gebracht, ihren Führer zu verrathen, der eine wirkliche Zaubermacht über sie ausübte.

Wenn solche Leute ein Schiff überfielen, konnte es natürlich kaum widerstehen, vorzüglich ein einfaches Handelsfahrzeug, dem es an hinreichenden Vertheidigungsmitteln fehlte.

Wäre Sacratif, trotz seiner Aufmerksamkeit und Schlauheit, einmal von einem Kriegsschiff überrascht worden, so hätte er sich gewiß lieber in die Luft gesprengt, als gefangen gegeben. Man erzählte von ihm sogar, er habe einmal bei ähnlicher Gelegenheit als ihm die Geschosse ausgegangen waren, seine Kanonen mit den abgeschnittenen Köpfen der Gefallenen geladen, welche auf seinem Deck umherlagen.

Das war der Mann, den zu verfolgen die »Syphanta« ausgeschickt wurde, das der schreckliche Seeräuber, dessen verfluchter Name in der korfiotischen Hauptstadt so allgemeine Aufregung hervorgerufen hatte.

Da krachte ein Schuß. Eine weiße Rauchwolke, durchzuckt von einem hellen Blitze, erhob sich von einem der Wälle der Festung. Es war das Signal zur Abfahrt. Die »Syphanta« lichtete die Anker und setzte sich den Canal von Korfu hinab in Bewegung, um sich nach den mehr südlich gelegenen Gewässern des Ionischen Meeres zu begeben.

Die ganze Menschenmenge drängte nach dem Rande der Esplanade, nach der Terrasse des Standbildes Sir Maitland's hin.

Nicolas Starkos, den vielleicht eine gebieterischere Empfindung als die der bloßen Neugier mit fortriß, befand sich bald unter der ersten Reihe der Zuschauer.

Beim hellen Lichte des Mondes wurde die Corvette mit ihren Positionsfeuern allmählich mehr und mehr sichtbar. Sie segelte scharf bei dem Winde, um bequem am Cap Bianco vorüberzukommen, welches sich im Süden der Insel vorschiebt. Von der Citadelle krachte ein zweiter Kanonenschuß, gleich darauf ein dritter, und diesen antworteten drei Schüsse, welche die Stückpforten der »Syphanta« erhellten. Den Donner der Geschütze übertönten fast noch die tausendstimmigen Hurrahs, deren letzte noch bis zur Corvette drangen, als diese schon die Bai von Kardakio übersegelte.

Dann wurde Alles still. Die Menschenmenge, welche sich in den verschiedenen Straßen der Vorstadt Kastrades zerstreute, räumte das Feld für die wenigen Wanderer, welche aus geschäftlichen Interessen oder nur zum Vergnügen noch auf der Esplanade zurückblieben.

Noch eine Stunde lang verweilte Nicolas Starkos in Gedanken versunken auf dem jetzt fast verlassenen, weiten Exercierplatze. In seinem Hirn und in seinem Herzen war es deshalb aber nicht ruhig geworden. Seine Augen leuchteten auf von jenem Feuer, das die Lider kaum zu verbergen vermochten. Wie durch eine unwillkürliche Bewegung starrte sein Blick in der Richtung der Corvette hinaus, welche eben hinter den letzten, undeutlich erkennbaren Landmassen der Insel verschwand.

Erst als die Thurmuhr der Sanct Spiridion-Kirche elf schlug, dachte Nicolas Starkos an die Verabredung, Skopelo in der Nähe des Gesundheitsamtes wieder zu treffen. Er durchschritt also die Straßen des Stadtviertels, welche nach dem Neuen Fort führen, und gelangte in kurzer Zeit nach dem Quai.

Hier wartete Skopelo schon auf ihn.

Der Capitän der Sacoleve trat auf diesen zu und sagte:

»Die Corvette »Syphanta« ist eben ausgelaufen.

– Ah, erwiderte Skopelo.

– Ja... um Sacratif zu verfolgen!

– Diese oder eine beliebige Andere, das ist ja gleichgiltig!« antwortete einfach Skopelo, während er nach der Gig hinwies, die sich am Fuße der Landungstreppe, auf den letzten Wellen der Brandung schaukelte.

Einige Minuten später erreichte das leichte Boot die »Karysta« und Nicolas Starkos sprang an Bord mit den Worten:

»Morgen also bei Elizundo!«


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