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XV.

Worin man den Finger Enogates einen Kreis beschreiben sehen wird, und welche Folgen diese unschuldige Spielerei haben sollte.

 

Am 12. August herrschte in dem Hause der Rue des Hautes-Salles in Saint-Malo helle Freude. Inmitten eines zahlreichen Geleites von Freunden und Bekannten hatte am Morgen gegen zehn Uhr ein Brautpaar dasselbe in vollem Hochzeitsstaat verlassen.

Erst hatte die Mairie und dann die Kirche die ganze Gesellschaft bestens aufgenommen. In der Mairie wurde vom Standesbeamten eine hübsche Anrede gehalten, in der Kirche eine ergreifende Predigt über das interessante Thema, das für den Reverend Tyrcomel niemals Bedeutung gewinnen konnte. Dann hatten alle das Brautpaar, das eben durch standesamtliche und kirchliche Trauung zu einem Ehepaare geworden war, nach der Wohnung zurückbegleitet.

Um in Anbetracht der unglaublichen Schwierigkeiten, die sich dieser Eheschließung entgegengestellt hatten, jedem Irrthume vorzubeugen, erklären wir hiermit, daß die beiden Gatten Enogate und Juhel waren.

Juhel hatte also weder eine Prinzessin, noch eine Herzogin oder eine Baronesse, und Enogate ebenso keinen Prinzen, keinen Herzog und auch keinen Baron geheiratet. Wegen Mangels der nöthigen Zahl von Millionen hatten sich die Wünsche ihres Onkels nicht verkörpert. Hoffentlich fühlten sie sich darum nicht weniger glücklich.

Außer den beiden meist interessierten Personen strahlten auch noch zwei andre vor Freude: einerseits Nanon, die nun das Glück ihrer Tochter gesichert wußte, andrerseits Gildas Tregomain, dessen hübscher Rock, blaue Beinkleider, Seidenhut und weiße Handschuhe verriethen, daß er seinem jungen Freunde Juhel als Trauzeuge gedient hatte.

Nun wohl ... doch warum geschieht des Pierre-Servan-Malo hierbei gar keine Erwähnung?

So wollen wir von ihm und von denen reden, die bei dem anstrengenden, gefährlichen Zuge nach einem unerreichbaren Schatze betheiligt waren.

Eine Stunde nach der Auffindung der letzten Notiz auf dem Eilande Nummer drei, die mit einer ungeheuern Enttäuschung und mit schier grenzenloser Verzweiflung endigte, waren die Passagiere des »Kroon« wieder an Bord zurückgekehrt. Meister Antifer wurde dabei auf den Armen der zu diesem Zwecke herbeigerufenen Matrosen davongetragen.

Ließ nicht alles befürchten, daß er unter dieser letzten Katastrophe den Verstand eingebüßt habe? ... Ja, und doch entging er diesem Unglück, obwohl es für ihn vielleicht besser gewesen wäre, wenn er sich der Dinge der Welt niemals wieder bewußt wurde! Seine Niedergeschlagenheit war so groß, seine Trauer so tief, daß weder Juhel noch Tregomain ihm ein Wort zu entlocken vermochte.

Die Rückreise ging nun zu Wasser und zu Land so schnell wie möglich vor sich. Der »Kroon« brachte seine Passagiere nach Hammerfest, der Dampfer vom Nordcap landete sie in Bergen. Da die Eisenbahn von Drontheim nach Christiania noch nicht im Gange war, mußten sie sich nach der norwegischen Hauptstadt mittelst Wagens begeben. Ein Dampfer führte sie dann nach Kopenhagen, und die Eisenbahnen Dänemarks, Deutschlands, Hollands, Belgiens und Frankreichs brachten sie erst nach Paris und dann nach Saint-Malo.

In Paris nahmen Meister Antifer und der Banquier Zambuco, sehr unzufrieden mit einander, Abschied. Fräulein Talisma Zambuco blieb voraussichtlich ihr Leben lang unvermählt. Jedenfalls stand es nicht in den Sternen geschrieben, daß es Pierre-Servan-Malo wäre, der sie aus dieser peinlichen Lage erlöste, gegen die sie seit so vielen Jahren ankämpfte. Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß der auf den Meister Antifer entfallende Antheil an den von Zambuco vorschußweise bestrittenen Reisekosten, und der war nicht gerade gering, vollständig gedeckt wurde. Der Verkauf des Diamanten ließ aber doch noch eine ansehnliche Summe für die Tasche des Malouins übrig. Nach dieser Seite hin hatte er also wenigstens über keine Verluste zu klagen.

Der Notar Ben Omar verlangte, was ihm zukam, gar nicht.

»Und nun scheert Euch zum Teufel! rief ihm Meister Antifer als Lebewohl zu.

– Und sucht gut mit ihm auszukommen!« glaubte der Frachtschiffer, wie zum Troste, hinzusetzen zu müssen.

Ben Omar eilte auf kürzestem Wege nach Alexandria und schwor sich, daß ihn niemand wieder bewegen sollte, einem Schatze nachzulaufen.

Am nächsten Tage waren Meister Antifer, Gildas Tregomain und Juhel wieder in Saint-Malo zurück. Und welchen Empfang fanden sie hier bei ihren Landsleuten! ... Er gestaltete sich höchst sympathisch, obwohl gewisse Spottvögel sich nicht enthalten konnten, die Reisenden, die ganz oder beinahe Dickhänse geblieben waren wie vorher, weidlich aufzuziehen.

Nanon und Enogate hatten nur süße Trostesworte für ihren Bruder, Onkel, Neffen und Freund. Alle umarmten sich, daß sie beinahe erstickten, und im Hause begann nun das altgewohnte Leben aufs neue.

Jetzt verweigerte auch Meister Antifer, außer Stande, seinen Neffen und seine Nichte mit der geträumten Millionenmitgift auszustatten, seine Zustimmung zu deren Heirat nicht mehr, ertheilte sie aber doch nur mit den liebenswürdigen Worten:

»So mögen Sie in Gottes Namen thun, was sie nicht lassen können; mich laßt aber bei der ganzen Geschichte in Ruhe!«

Damit mußte man sich zufrieden geben, und nun ging's an die Vorbereitungen zur Hochzeit. Meister Antifer betheiligte sich nicht dabei. Er verließ kaum noch sein Zimmer, wo er Tag und Nacht unzählige Kiesel zermalmte, immer eine Beute dumpfen Zornes, der bei der ersten Gelegenheit auszubrechen drohte.

Auch die Eheschließung fand statt, ohne daß er sich bestimmen ließ, ihr selbst beizuwohnen. Gildas Tregomain's Zureden blieb fruchtlos, er genierte sich sogar nicht im mindesten, diesem zu sagen:

»Du thust unrecht, lieber Freund!

– Möglich.

– Du machst den Kindern nur Kummer ... ich erwarte von Dir ...

– Und ich bitte Dich, mich ungeschoren zu lassen, Frachtschiffer!«

Endlich wurden Enogate und Juhel getraut, und statt zweier Zimmer im Hause der Rue des Hautes-Salles hatten sie nun darin nur noch ein einziges inne. Wenn sie es verließen, geschah es nur, um mit Nanon beim besten der Menschen, ihrem Freunde Tregomain, ein Stündchen zu verplaudern. Hier sprachen sie häufig von Meister Antifer und beklagten es, ihn immer in so erregtem und traurigem Zustande zu sehen. Er ging nicht mehr aus, vertrug sich mit keinem Menschen mehr. Jetzt war es vorbei mit den Spaziergängen, die er sonst, das Pfeifchen im Munde, alltäglich auf den Wällen oder den Hafenquais unternahm. Es sah aus, als schämte er sich vor den Leuten.

»Ich fürchte, seine Gesundheit wird darunter leiden, sagte Enogate, deren schöne Augen sich verschleierten, wenn sie von ihrem Onkel sprach.

– Ich auch, mein liebes Kind, antwortete Nanon, und jeden Tag bitte ich Gott, daß er meinem armen Bruder wieder etwas Ruhe schenken möge.

– Abscheulicher Pascha! rief Juhel. Er hatte es wohl so nöthig, uns seine Millionen in den Weg zu werfen.

– Und noch dazu Millionen, die wir nicht einmal gefunden haben, antwortete Gildas Tregomain. Und doch ... sie sind vorhanden ... irgendwo, und wenn wir die letzten Angaben vollständig hätten lesen können ...«

Eines Tages sagte der Frachtschiffer zu Juhel:

»Weißt Du, was ich denke, mein Junge?

– Nun, was denken Sie, Herr Tregomain?

– Daß Dein Onkel weniger aus Rand und Band wäre, wenn er den Ort, wo der Schatz liegt, erfahren hätte, selbst wenn er ihn nicht in die Hände bekam.

– Vielleicht haben Sie recht, Herr Tregomain. Was ihn bedrückt, ist, daß er das Schriftstück mit der Angabe der Lage des vierten Eilands in der Hand hatte, ohne dessen letzte Zeilen enträthseln zu können.

– Und das wäre nun die letzte Anstrengung gewesen! antwortete der Frachtschiffer. Das Document ließ darüber keinen Zweifel übrig ...

– Mein Onkel hat es auch aufbewahrt, und läßt es kaum aus den Augen. Immer und immer wieder bemüht er sich, es zu lesen ...

– Verlorne Liebesmüh', mein Junge, leider müssen wir uns damit bescheiden! Der Schatz Kamylk-Paschas wird nie ... niemals gefunden werden!«

Das war wohl höchst wahrscheinlich.

Wir fügen hier ein, daß einige Tage nach der Hochzeit Nachricht eintraf, was aus dem elenden Saouk geworden war. Wenn der Schurke dem Meister Antifer und den andern in Spitzbergen nicht zuvorkommen konnte, lag das daran, daß er sich in Glasgow hatte erwischen lassen, und zwar gerade, als er nach den arktischen Gegenden absegeln wollte. Daß die Tyrcomel'sche Angelegenheit, der Ueberfall, von dem sich der Geistliche nur langsam erholte, vielen Staub aufgewirbelt hatte, ist ja erklärlich, ebenso wie die Verhältnisse, unter denen die berühmte Breite von seinen Schultern abgelesen wurde. Das setzte natürlich die Polizei von Edinburg in ungewöhnliche Bewegung und es wurden alle Maßregeln getroffen, den Verbrecher zu entdecken, von dem der Clergyman ja eine ganz genaue Personalbeschreibung geliefert hatte.

Am Morgen des Ueberfalls hatte sich Saouk, ohne erst nach Gibb's Royal Hotel zurückzukehren, in den Zug nach Glasgow geworfen. Hier hoffte er ein Schiff nach Bergen oder nach Drontheim zu finden. Statt sich an der Ostküste von Schottland einzuschiffen, wie es Meister Antifer gethan hatte, wollte er von der Westküste aus abdampfen. Die Weglänge war dabei ziemlich die gleiche und er rechnete darauf, das Ziel vor den rechtmäßigen Erben Kamylk-Paschas zu erreichen.

Zu seinem Unglück mußte er in Glasgow eine ganze Woche warten, ehe sich ihm eine passende Fahrgelegenheit bot, und zum Glück für die Gerechtigkeit auf Erden wurde er noch angehalten, als er endlich an Bord gehen wollte. Auf der Stelle verhaftet, verurtheilte man ihn zu mehrjährigem Gefängnisse – was ihm eine Reise nach Spitzbergen ersparte, eine Reise übrigens, die ihm auch keinen Nutzen gebracht hätte.

Von den ersten Nachforschungen im Golfe von Oman bis zu den letzten im Polarmeere, alles zusammengenommen, ergab sich also, daß der Schatz unwiderruflich da vergraben blieb, wo ihn sein verfolgter Eigenthümer in den Eingeweiden einer kleinen Insel verborgen hatte, und folglich gab es nur einen Menschen, einen einzigen, der sich nicht zu beklagen brauchte, im Gegentheil, dem Himmel danken konnte: das war der Reverend Tyrcomel. Nur zu einem Francs das Stück gerechnet, wie viele Millionen Sünden hätten in dieser Welt begangen werden können, wenn sich die Millionen des Paschas über die gebrechliche Menschheit verbreiteten!

Inzwischen verging die Zeit. Juhel und Enogate hätten sich eines ungetrübten Glücks zu erfreuen gehabt, wenn der beklagenswerthe Zustand ihres Onkels nicht gewesen wäre. Andrerseits sah der junge Kapitän nicht ohne Bangen die Stunde herannahen, wo er seine geliebte Frau, seine Familie, seine Freunde würde verlassen müssen. Der Bau des Dreimasters für das Haus Le Baillif schritt immer weiter vor, und bekanntlich war Juhel zum Obersteuermann auf demselben ausersehen. Für sein Alter eine recht hübsche Stellung. Noch sechs Monate, und dann sollte er draußen auf dem weiten Meere nach Indien schwimmen.

Juhel unterhielt sich hierüber öfters mit Enogate. Die junge Frau wurde ganz traurig bei dem Gedanken, sich von ihrem Manne trennen zu sollen. In den Seehäfen ist man so etwas indeß schon mehr gewöhnt. Enogate gab ihren Besorgnissen auch weniger in Bezug auf ihre Person, als auf den Onkel Antifer Ausdruck. Für seinen Neffen mußte es ja ebenfalls ein nicht geringer Kummer sein, ihn in diesem Zustand zu verlassen, und wer weiß, ob er ihn noch wieder sehen sollte ...

Dann und wann kam Juhel auch auf das unvollständige Schriftstück, auf die letzten nicht leserlichen Zeilen des Dokuments zurück. Diese Zeilen enthielten ja den Anfang eines Satzes, an den er bis zum Besessensein denken mußte.

Der Satz begann: »Es genügt die Weiterführung.« ...

Und dann die Worte: »Eiland ... gelegen ... geometr ... Gesetz ... Pole ...«

Um welches geometrische Gesetz handelte es sich da? Verband es etwa die verschiedenen Eilande miteinander? Sollte der Pascha sie nicht ganz willkürlich gewählt haben? War es nicht nur eine reine Laune, daß er sie nach einander in den Golf von Oman, nach der Ma-Yumbabai und nach Spitzbergen geführt hatte? Wollte der reiche Aegypter, der sich gern mit Mathematik beschäftigte, dabei vielleicht gleichzeitig ein zu lösendes Problem aufstellen?

Konnte man, was das Wort »Pol« betraf, wohl daran denken, daß damit das Ende der Erdachse gemeint sei? Nein, hundertmal nein! Doch welchen Sinn hatte es dann?

Juhel zermarterte sich den Kopf, zu einer Lösung zu kommen, die ihm niemals gelingen wollte.

»Pol ... Pol ... hierin liegt vielleicht der Knoten!« wiederholte er öfters.

Häufig sprach er auch mit dem Frachtschiffer darüber, und Gildas Tregomain redete Juhel eher zu, über die Sache weiter nachzudenken, da er an dem Vorhandensein der Millionen ganz und gar nicht mehr zweifelte.

»Na, krank zu machen brauchst Du Dich aber nicht, mein Junge, um diesen Rebus zu lösen ...

– O, Herr Tregomain, es geschieht ja nicht sinnlich, das versichere ich Ihnen! Mir ist der ganze Schatz keinen Deut Werth! Es geschieht um meines Onkels willen ...

– Ja, ja, Deines Onkels, Juhel! ... Die Sache ist ja hart für ihn! Das Document so ... unter den Augen ... gehabt zu haben und ... es ... nicht haben lesen können! Du hast also noch keine Spur entdeckt?

– Nein, Herr Tregomain, es findet sich jedoch das Wort »geometr« in dem Satze, und wahrscheinlich verweist das Document auf eine gewisse geometrische Beziehung. Und dann: »Es genügt die Weiterführung ...«

Wessen? ...

»Da steckt's! ... Ja, wessen? wiederholte der Frachtschiffer.

– Und vorzüglich das Wort »Pol«, dessen Sinn ich hier gar nicht verstehen kann!

– Wie schade, mein Junge, daß ich von so etwas rein gar nichts verstehe! ... Da könnte ich Dir sonst zu steuern helfen!«

Zwei Monate verstrichen. Im geistigen Zustande des Meister Antifer und bezüglich der Lösung des Problems hatte sich nicht das geringste verändert.

Am 15. Oktober befanden sich Enogate und Juhel vor dem Frühstück in ihrem Zimmer. Es war etwas kalt. Im Kamin loderte ein lustiges Feuer.

Die junge Frau, deren Hände in denen Juhels lagen, sah ihren Gatten schweigend an. Als sie seine gedrückte Stimmung bemerkte, sagte sie, um ihn auf andre Gedanken zu bringen:

»Lieber Juhel, begann sie, Du hast mir ja während Eurer unglücklichen Reise oft geschrieben. Ich habe Deine Briefe aufgehoben und lese sie immer und immer wieder.

– Sie erwecken in uns nur traurige Erinnerungen, mein Herz ...

– Ja wohl ... und doch achtete ich darauf, sie aufzubewahren ... und das wird auch stets der Fall sein. Diese Briefe haben mir aber nicht alles sagen können, was Euch begegnete, und die Reise selbst hast Du mir niemals ins einzelne eingehend geschildert. Willst Du mir heute davon erzählen?

– Was könnte das nützen?

– Es wird mir Vergnügen bereiten! Ich denke mir da, ich wäre mit Dir zu Schiffe ... in der Eisenbahn ... unter der Karawane ...

– Ja, mein Herzblättchen, da brauchten wir aber eine Karte, um Dir unsre Kreuz- und Querzüge Punkt für Punkt zeigen zu können?

– Nun, da steht ja eine Erdkugel ... Genügt sie nicht dazu?

– Vollkommen.«

Enogate holte von Juhels Schreibtisch eine mit Metallfuß versehene Erdkugel und stellte sie auf den Tisch vor dem Kamin.

Da Juhel sah, daß es Enogate Vergnügen bereiten würde, setzte er sich neben sie, drehte ihnen an dem Globus die Seite mit Europa zu und sagte, indem er den Finger über Saint-Malo aufsetzte:

»Nun denn, vorwärts!«

Die beiden einander genäherten Köpfe berührten sich, und es ist wohl nicht zu verwundern, wenn zwischen den verschiedenen Punkten dieser Reiseroute dann und wann ein Kuß ausgetauscht wurde.

Mit dem ersten Satze sprang Juhel von Frankreich nach Aegypten, wo Meister Antifer und seine Begleiter nach Suez gekommen waren, dann glitt sein Finger über das Rothe Meer und den Indischen Ocean und hielt im Staate des Imans von Mascat an.

»Ah, Mascat! ... Das liegt also hier, sagte Enogate, und das Eiland Nummer eins wohl nahe dabei?

– Ja, natürlich, ein Stück draußen im Golfe!«

Durch eine Drehung des Globus gelangte Juhel dann nach Tunis, wo sie den Banquier Zambuco abgeholt hatten. Er überschritt das ganze Mittelmeer, verweilte ein wenig in Dakar, durchschnitt den Aequator, ging an der Küste Afrikas herunter und hielt wieder über der Ma-Yumbabai an.

»Hier liegt wohl das Eiland Nummer zwei? fragte Enogate.

– Ganz recht, mein Frauchen.«

Nun mußte er wieder längs Afrikas hinauf, ganz Europa übergleiten und über Edinburg stehen bleiben, wo sie mit dem Reverend Tyrcomel in Berührung gekommen waren. Sich endlich nach Norden wendend, ruhte der Finger der beiden Gatten auf den verlassenen Felsen von Spitzbergen.

»Hier ist also das Eiland Nummer drei!« rief Enogate.

– Ja, meine Liebe, das Eiland Nummer drei, wo uns von dieser großen dummen Reise die ärgste Enttäuschung erwartete!«

Die Erdkugel betrachtend saß Enogate ganz still und stumm da.

»Wie ist Euer Pascha aber darauf gekommen, sagte sie, diese drei Eilande eins nach dem andern zu wählen?

– Das wissen wir eben nicht und werden es ohne Zweifel niemals wissen!

– Niemals? ...

– Und doch müssen jene drei Eilande, wenn dem letzten Dokument zu glauben ist, durch irgend ein geometrisches Gesetz mit einander verbunden sein ... Da ist auch das Wort »Pol«, das mir Kopfschmerzen macht ...«

Während er so sprach und sich sozusagen auf Fragen, die er schon oft aufgeworfen, selbst antwortete, versank Juhel in eine Art Träumerei. In diesem Augenblick schien es, als ob er mit allen Kräften seines Geistes arbeitete, um das dunkle Geheimniß zu enthüllen.

Während er darüber nachsann, hatte sich Enogate dem Globus genähert und ergötzte sich daran, mit dem Finger der ganzen Linie, die ihr Juhel bezeichnet hatte, nachzugleiten. Ihr Zeigefinger ruhte dabei zuerst auf Mascat, dann war er, einen Bogen beschreibend, nach Ma-Yumba gekommen, nachher, unter Verlängerung desselben Bogens, hinauf nach Spitzbergen, und wenn sie den gleichen Bogen noch weiter folgte, führte er sie nach dem Punkte der Abreise zurück.

»Ei sieh, rief sie lächelnd, das giebt ja einen Kreis ... Ihr seid rundherum gefahren ...

– Rund herum? ...

– Ja ... bester Freund ... Einen vollen Kreisbogen ... eine Rundreise ...

– Rundreise!« rief Juhel.

Er hatte sich erhoben, that im Zimmer einige Schritte auf und ab, und wiederholte:

»Einen Kreisbogen ... einen Kreisbogen! ...«

Darauf kommt er an den Tisch zurück ... er ergreift die Erdkugel ... Jetzt beschreibt sein Finger noch einmal die Kreislinie auf dieser und er stößt einen Schrei aus ...

Erschreckt starrt ihn Enogate an. War er toll geworden ... er auch ... wie sein Onkel? ... Sie sieht ihn zitternd an ... Thränen füllen ihre Augen ...

Da stößt Juhel einen zweiten Aufschrei aus.

»Gefunden ... gefunden! ...

– Was denn?

– Das Eiland Nummer vier!«

Der junge Kapitän ist wohl nicht mehr recht bei Verstand ... Das Eiland Nummer vier? Unmöglich?

»Herr Tregomain, Herr Tregomain!« ruft Juhel, der das Fenster öffnet und dem Nachbar zuwinkt.

Dann tritt er noch einmal an den Globus, er fragt ihn ... man möchte sagen, er unterhält sich mit der Pappkugel ...

Eine Minute später ist der Frachtschiffer im Zimmer, und der junge Kapitän schreit ihm ins Gesicht:

»Gefunden! ...

– Ja, was hast Du denn gefunden, mein Junge?

– Ich habe herausgefunden, wie die drei Eilande geometrisch zusammenhängen, und welche Stelle das Eiland Nummer vier einnehmen muß ...

– Ist das menschenmöglich!« erwidert Gildas Tregomain.

Und wenn er sich jetzt Juhel ansieht, kommt es ihm wie Enogate vor, als ob der junge Kapitän übergeschnappt wäre.

»Nein, nein, ruft Juhel, der ihn verstanden hat, nein ... ich habe meinen Verstand richtig beisammen! ... Hört nur zu ...

– Ich höre!

– Die drei Eilande liegen im Umfange eines und desselben Kreises. Schön! Nun denken wir uns diese in einer Ebene gelegen und verbinden je zwei mit einer geraden Linie, der Linie, »deren Weiterführung genügt«, wie das Document sagt, und errichten wir einen Perpendikel in der Mitte dieser beiden Linien ... die beiden Perpendikel schneiden sich dann im Mittelpunkte des Kreises, und in diesem Mittelpunkte – diesem »Pol«, da es sich um eine Kugelschaale handelt – liegt das gesuchte Eiland Nummer vier!«

Man erkennt, es war eine sehr einfache geometrische Aufgabe, eine einfache Laune Kamylk-Paschas, die er im Einverständniß mit dem Kapitän Zô ins Praktische übersetzt haben wollte! Und wenn Juhel die Lösung nicht eher gefunden hatte, so lag es nur daran, daß er nicht bemerkt hatte, daß die drei Eilande drei Punkte auf dem nämlichen Kreise einnahmen.

Der hübsche Finger Enogates war es gewesen, der diesen dreimal gebenedeiten Kreisumfang beschrieben und dadurch die Lösung des Räthsels ermöglicht hatte!

»Sollte man's für möglich halten! rief der Frachtschiffer immer wieder.

– Es ist aber doch so, Herr Tregomain, sehen Sie nur ordentlich hin, so müssen Sie sich davon auch überzeugen!«

Den Frachtschiffer vor den Globus drängend, bezeichnete er darauf die Linie, in der die drei Eilande lagen, wobei er über folgende Punkte kam, die Kamylk-Pascha hätte ebensogut wählen können: Mascat, Bab-el-Mandeb-Straße, Aequator, Ma-Yumba, Inseln des Grünen Vorgebirges, Wendekreis des Krebses, Cap Farewell auf Grönland, Südostinsel von Spitzbergen, Admiralitätsinseln, Karisches Meer, Tobolsk in Sibirien, Herat in Persien. Hatte Juhel also Recht, so mußte das Eiland Nummer vier den Mittelpunkt dieses Kreises einnehmen, und wenn das für einen Kreis in der Ebene richtig ist, so gilt das in diesem Falle auch für eine Kugelschaale, deren Pol den Mittelpunkt bildet.

Gildas Tregomain wußte nicht, woran er war, der junge Kapitän lief hin und her, umarmte den Globus, küßte aber auch die beiden Wangen Enogates, die jedenfalls verlockender waren, als die bedruckte Pappkugel.

»Sie ist es, die das gefunden hat, Herr Tregomain ... und ohne sie ... wär' ich niemals auf diesen Gedanken gekommen! ...«

Und während er sich ganz seiner Freude überließ, fühlte sich Gildas Tregomain ebenfalls von einem » Delirium jubilans« befallen. Seine Beine schlenkerten nach der Seite, sein Rumpf wiegte sich hin und her, seine Arme bildeten einen Bogen mit der Grazie einer zweihundert Kilo schweren Sylphide, er rollt von Backbord zu Steuerbord, mehr als jemals die »Charmante Amélie« zwischen den Ufern der Rance, oder die »Portalegre« mit ihrer Elephantenladung, und singt mit entsetzlicher Stimme das Jubellied Pierre-Servan-Malos:

Ich habe seinen Me...
Mo me!
Ich habe seinen ri...
Ro ri!
Ich habe seinen ri... ich habe seinen Meridian!

Hienieden hat jedoch alles ein Ende.

»Wir müssen meinem Onkel Mittheilung machen, sagte Enogate.

– Ihm? ... erwiderte Gildas Tregomain. Ist es rathsam, daß er etwas davon erfährt?

– Ja, das verdient überlegt zu werden!« erklärte Juhel.

Man rief Nanon herbei. Die alte Bretagnerin wurde mit einigen Worten über die Sachlage unterrichtet, und als Juhel sie fragte, wie sie sich ihrem Bruder gegenüber verhalten sollten, antwortete sie:

»Wir dürfen ihm nichts verhehlen.

– Wenn ihm aber doch nur eine Enttäuschung bevorstände, warf Enogate ein, würde mein armer Onkel diese ertragen können?

– Eine Enttäuschung? ... rief der Frachtschiffer. Nein, diesmal nicht! ...

– Das letzte Document weist ausdrücklich darauf hin, setzte Juhel hinzu, daß der Schatz auf dem Eiland Nummer vier vergraben liegt, und dieses Eiland befindet sich im Mittelpunkte des Kreises, längs welchen wir gereist sind. Auch ich behaupte, daß diesmal ...

– Ich werde meinen Bruder holen,« unterbrach ihn Nanon.

Einen Augenblick darauf trat Meister Antifer in Juhels Zimmer ein. Immer derselbe: unsteten Blickes, düstern, sorgenvollen Gesichtes.

»Was giebt es?«

Er fragte das in jenem dumpf grollenden Tone, in dem man einen Funken fortwährenden Ingrimmes glühen fühlte.

Juhel berichtete ihm, was vorgegangen, wie das geometrische Bindeglied der drei Eilande gefunden worden war, und aus welchen Gründen das Eiland Nummer vier nothwendiger Weise den Mittelpunkt jenes Kreises einnehmen müsse.

Zum größten Erstaunen Aller gerieth Meister Antifer hierdurch ganz und gar nicht in seine gewöhnliche nervöse Erregung. Er zuckte nicht mit dem Munde. Man hätte sagen mögen, er erwartete diese Mittheilung, sie hätte früher oder später kommen müssen und sie wäre nur ganz natürlich.

»Wo liegt dieser Mittelpunkt, Juhel?« begnügte er sich zu fragen.

Das war in der That jetzt das interessanteste.

Juhel stellte den Globus mitten auf den Tisch. Ein biegsames Lineal und eine Reißfeder in der Hand, verband er, als operirte er auf ebener Fläche, durch eine Linie Mascat mit Ma-Yumba und durch eine zweite Ma-Yumba mit Spitzbergen. Auf der Mitte dieser beiden Linien errichtete er dann zwei Perpendikel, deren Kreuzungspunkt genau in der Mitte des Kreises lag.

Dieser Punkt fiel in das Mittelmeer zwischen Sicilien und dem Cap Bon, ganz in die Nähe der Insel Pantellaria.

»Hier, lieber Onkel, hier!« erklärte Juhel.

Und nachdem er sorgfältig die Parallele und den Meridian des Punktes abgelesen, sagte er mit sicherer Stimme:

»Siebenunddreißig Grad sechsundzwanzig Minuten nördlicher Breite und zehn Grad dreiunddreißig Minuten östlicher Länge von Paris.

– Giebt es denn da aber auch ein Eiland? fragte Gildas Tregomain.

– Es muß eins daselbst vorhanden sein, versicherte Juhel.

– Ob eins dort liegt ... das will ich glauben, Frachtschiffer, ließ sich Meister Antifer vernehmen, ... ob eines dort liegt! Ah, tausend Millionen Milliarden Billionen Wetter, das fehlte gerade noch!«

Und nach diesem Schwure, den er so furchtbar laut hervortrompetete, daß die Fensterscheiben erzitterten, verließ er Enogates Zimmer, schloß sich in das seinige ein und wurde den ganzen Tag über nicht wieder gesehen.


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