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III.

Worin Meister Antifer sich einem so unsinnigen Vorschlage gegenüber sieht, daß er die Flucht ergreift, um nicht darauf antworten zu müssen.

 

»Kann ich den Banquier Zambuco sprechen?

– Wenn in Geschäften, ja.

– Es handelt sich um Geschäftsangelegenheiten.

– Ihr Name?

– Melden Sie einen Ausländer, das genügt.«

Diese Fragen und Antworten wurden zwischen Meister Antifer und einem bejahrten, griesgrämigen Eingebornen (in schlechtem Französisch) gewechselt, der in einem engen, durch ein Drahtgitter in zwei Hälften getheilten Comptoir am Pulte hockte.

Der Malouin hatte seinen Namen nicht nennen wollen, weil er die Wirkung dieses Namens zu beobachten wünschte, wenn er vor den Banquier hintrat und sagte:

»Ich bin Antifer, der Sohn Thomas Antifer's, aus Saint Malo!«

Eine Minute darauf sah er sich in ein Cabinet ohne Gardinen, mit weißgetünchten Wänden und vom Lampenruß geschwärzter Decke eingeführt, dessen ganze Ausstattung in einem Geldschranke, einem Cylinderbureau, einem Tische und zwei Schemeln bestand.

Vor dem Tische saß der Banquier. Die beiden Erben Kamylk-Paschas befanden sich jetzt also Auge in Auge gegenüber.

Ohne aufzustehen, schob Zambuco mit Daumen und Mittelfinger die große rundglasige Brille auf der Papageiennase zurecht und fragte, kaum den Kopf aufrichtend, in einem Französisch, das dem Bewohner von Languedoc oder der Provence ganz gut angestanden hätte:

»Mit wem habe ich die Ehre ...

– Mit dem Küstenschiffs-Kapitän Antifer,« antwortete der Malouin, überzeugt, daß diese fünf Worte einen Aufschrei Zambuco's und dessen Emporschnellen vom Stuhle zur Folge haben müßten. Statt dessen lautete die kurze Antwort aber nur:

»Sie ... endlich!«

Der Banquier fuhr weder in die Höhe, noch kam ein Aufschrei aus seinem zusammengekniffenen Munde. Ein aufmerksamer Beobachter hätte jedoch bemerkt, daß hinter der Brille ein Blitz aufleuchtete – ein Blitz, den die niedersinkenden Augenlider sofort verhüllten.

»Ich sagte Ihnen, daß ich der Meister Antifer bin.

– Hab' es schon verstanden.

– Antifer, Pierre-Servan-Malo, Sohn des Thomas Antifer aus Saint Malo ... Ille et Villaine ... Bretagne ... Frankreich ...

– Besitzen sie einen auf mich gezogenen Creditbrief? fragte der Banquier, ohne daß seine Stimme die leiseste Erregung verrieth.

– Einen Creditbrief? ... Ja! erwiderte Meister Antifer, ganz außer Fassung über den mehr als kühlen Empfang. Einen Creditbrief auf hundert Millionen.

– So geben Sie ihn her!« erwiderte Zambuco nachlässig, als handelte es sich um eine Sache von wenigen Piastern.

Der Malouin fühlte sich plötzlich aus dem Sattel gehoben. Wie? Seit zwanzig Jahren war dieser phlegmatische Banquier unterrichtet, daß er einst seinen Antheil an einem kaum glaublichen Schatze erhalten, daß eines Tages ein gewisser Antifer erscheinen würde, um ihm diesen, so zu sagen, ins Haus zu tragen, und er ließ sich in diesem Augenblicke gar nicht aus der Ruhe bringen? Er gab kein Zeichen des Erstaunens, der Befriedigung von sich? ... Sollte das Document einen Fehler enthalten haben? ... Hätte er sich an jemand anders als an diesen tunesischen Malteser zu wenden? ... War der Banquier Zambuco nicht der Besitzer der Breite, die die Eroberung des zweiten Eilandes ermöglichen sollte? ...

Vom Kopf bis zu den Füßen durchrieselte den enttäuschten Miterben ein erkältender Schauer. Das Blut stürmte ihm zum Herzen zurück, so daß er kaum Zeit gewann, sich niederzusetzen.

Ohne eine Bewegung, ihm beizuspringen, betrachtete der Banquier ihn durch die Brille, während um seine Lippen ein leichtes Zucken spielte. Wenn er sich nicht bemüht hätte, sie zurückzuhalten, wären ihm die Worte entflohen:

»Nicht sehr stark, der Matrose hier!«

Das bedeutete: »Mit dem ist leicht fertig zu werden!«

Pierre-Servan-Malo hatte sich inzwischen gefaßt. Nachdem er sich mit dem Taschentuche das Gesicht abgetrocknet hatte, fragte er, mit der großen Hand kräftig auf den Tisch schlagend:

»Sie sind doch der Banquier Zambuco?

– Ja ... in Tunis der einzige dieses Namens.

– Und Sie haben mich nicht erwartet? ...

– Nein.

– War Ihnen mein Erscheinen nicht längst angekündigt? ...

– Wie sollte das geschehen sein? ...

– Durch den Brief eines gewissen Pascha ...

– Eines Pascha? warf der Banquier dazwischen. Briefe von Paschas hab' ich schon Hunderte erhalten ...

– Kamylk-Pascha ... aus Kairo? ...

– Daß ich nicht wüßte.«

Dieses ganze Spiel Zambuco's ging darauf hinaus, daß Meister Antifer sich ihm völlig offenbaren und ihm seine Waare, das heißt seine Länge, anbieten sollte, ohne daß er seine Breite dafür anbot.

Immerhin sah er bei Nennung des Namens Kamylk-Paschas so aus, als ob ihm dieser Name nicht unbekannt wäre. Er suchte im Schranke seines Gedächtnisses nach.

»Halt, warten Sie, sagte er, die Brille anders rückend. Kamylk-Pascha ... von Kairo? ...

– Ja, erklärte Meister Antifer, eine Art ägyptischer Rothschild, der ein ungeheures Vermögen in Gold, Diamanten und Edelsteinen besaß ...

– Richtig, dessen entsinn' ich mich ...

– Und der Sie benachrichtigt haben muß, daß die Hälfte dieses Vermögens eines Tages Ihnen zufallen solle ...

– Sie haben recht, Herr Antifer, ich muß den betreffenden Brief irgendwo aufgehoben haben ...

– Wie ... irgendwo! ... Sie wissen nicht einmal, wo er ist? ...

– O, bei mir kommt nichts weg ... Ich werd' ihn schon wiederfinden.«

Bei dieser Antwort verriethen die Haltung des Meisters Antifer und seine sich zusammenballenden Hände deutlich, daß er den Banquier den Hals umdrehen würde, wenn der Brief sich nicht wiederfand.

»Das muß einer sagen, Herr Zambuco, sagte er, sich mit Mühe bemeisternd, Ihre Ruhe ist zum toll werden! ... Sie sprechen von dieser Geschichte mit einer Gleichgiltigkeit ...

– Pah! ... machte der Banquier.

– Wie ... was ... pah! ... Wenn sich's um hundert Millionen handelt ...«

Um die Lippen Zambuco's flog nur ein verächtliches Lächeln. Der Mann machte sich aus einer Million so viel wie aus einer Orangenschale oder aus einem Citronenkern.

»Hah, der Spitzbube! dachte Antifer, der ist doch schon hundertfacher Millionär!

In diesem Augenblick lenkte der Banquier das Gespräch jedoch auf ein andres Gebiet, um zu erfahren, was er noch nicht wußte, das heißt in Folge welcher Verkettung der Verhältnisse er den Besuch dieses Malouin erhielte. So begann er in sehr ungläubigem Tone und während er die Brillengläser mit einem Taschentuchzipfel abwischte:

»Glauben Sie denn übrigens im Ernste an diese Geschichte mit dem Schatze?

– Ob ich daran glaube! Wie ich an die heilige Dreieinigkeit in drei Personen glaube!«

Das versicherte er mit einer Ueberzeugung, mit einer Glaubensfestigkeit, die nur ein bretonischer Bretagner auszudrücken vermag.

Darauf erzählte er alles Vorhergegangene, unter welchen Umständen sein Vater im Jahre 1799 dem Pascha das Leben gerettet habe, wie 1842 in Saint Malo ein geheimnißvoller Brief eingetroffen sei, der die Stelle des Schatzes auf dem zu suchenden Eilande bezeichnte; wie er, Antifer, das nur ihm allein bekannte Geheimniß von seinem sterbenden Vater erhalten und er zwanzig volle Jahre auf das Erscheinen des angekündigten Boten gewartet habe. Dann schilderte er das Zusammentreffen mit Ben Omar, der ihm die ersehnte Länge gebracht hätte ... u. s. w., die Reise, in Begleitung seines Neffen Juhel und seines Freundes Tregomain, nach dem Golfe von Oman und schließlich, daß sich an der mit einem Doppel- K bezeichnten Stelle nur ein Kasten mit einem Document darin gefunden hätte, das die Länge eines zweiten Eilandes angab, die er, Antifer, dem Banquier Zambuco in Tunis mitzutheilen habe, der wiederum die Breite besitzen würde, die zur Lagebestimmung des zweiten Eilandes unentbehrlich wäre.

So gleichgiltig er sich zu sein stellte, hatte der Banquier diesen Bericht doch mit gespanntester Aufmerksamkeit angehört. Ein leichtes Zittern der Finger verrieth seine innere Erregung. Als Meister Antifer, dem dicke Schweißtropfen von der Stirn fielen, geendigt hatte, begnügte sich Zambuco zu sagen:

»Ja ... wirklich ... das Vorhandensein des Schatzes scheint hierdurch außer Zweifel zu stehen. Welches Interesse konnte aber Kamylk-Pascha daran haben, in dieser merkwürdigen Weise zu verfahren? ...«

In der That, dieses Interesse war nicht sofort zu begreifen.

»Was man davon denken soll, antwortete Meister Antifer, das ist ... doch zunächst, Herr Zambuco, sind Sie an den Kreuz- und Querzügen des Paschas in irgend einer Weise betheiligt gewesen? ... Haben auch Sie ihm irgend welchen Dienst erweisen können?

– Gewiß ... sogar einen großen.

– Bei welcher Gelegenheit?

– Als er sein Vermögen zu Gelde machen wollte, während er noch in Kairo wohnte, wo ich mich jener Zeit ebenfalls aufhielt.

– Nun ja ... das Eine ist klar ... er hat an der Hebung des Schatzes die zwei Personen betheiligen wollen, denen er eine gewisse Dankbarkeit schuldig zu sein glaubte ... Sie ... und an Stelle meines Vaters ... mich.

– Und warum nicht noch Andre? bemerkte der Banquier.

– Herr, sagen Sie das nicht! rief Meister Antifer, der den Tisch durch einen gewaltigen Faustschlag erschütterte. Es ist schon an Zweien genug ... eigentlich zu viel ...

– Ja freilich, bestätigte der Banquier. Doch ich bitte noch um eine gefällige Erklärung. Warum hat Sie jener Notar von Alexandria bei ihren Nachsuchungen begleitet?

– Eine Clausel des Testaments sichert ihm eine Provision unter der ausdrücklichen Bestimmung zu, daß er persönlich der Hebung jenes Schatzes beiwohnt ...

– Und wie viel beträgt jene Provision?

– Ein Procent.

– Ein Procent! ... Der Spitzbube!

– Der Spitzbube! ... Ja, das ist für ihn der rechte Name, rief Meister Antifer, und glauben Sie mir, ich hab' ihm diesen auch nicht vorenthalten!«

Das war also eine Qualifikation, über die die beiden Erben wunderbar übereinstimmten, und so wenig interessiert der Banquier Zambuco auch bei der ganzen Sache zu erscheinen suchte, darf man doch glauben, daß jenes Wort ihm aus dem Herzen kam.

»Nun, fuhr der Malouin fort, sind Sie in die Sachlage eingeweiht, und ich sehe keinen Grund, warum wir beide nicht ganz offen gegen einander handeln sollten.«

Der Banquier rührte sich nicht.

»Ich besitze die auf dem Eilande Nummer eins gefundne Länge, fuhr Meister Antifer fort, und Sie müssen im Besitz der Breite des Eilandes Nummer zwei sein ...

– Nun ... ja ... antwortete Zambuco etwas zögernd.

– Warum gaben Sie sich dann, als ich hierher kam und meinen Namen nannte, den Anschein, als wüßten Sie von der ganzen Sache gar nichts?

– Ganz einfach, weil ich mich nicht dem ersten besten in die Hände geben wollte. Sie konnten auch ein Eindringling sein, Herr Antifer. Zürnen Sie darüber nicht, ich wünschte sicher zu gehen ... Da Sie aber das Document haben, das Sie beauftragt, sich mit mir in Beziehung zu setzen ...

– Das hab' ich allerdings.

– So zeigen Sie mir's.

– Einen Augenblick, Herr Zambuco – eine Hand wäscht die andre. Sie, haben Sie denn den Brief von Kamylk-Pascha?

– Gewiß hab' ich den.

– Nun also ... Brief gegen Document. Der Austausch muß in aller Ordnung und gegenseitig erfolgen.

– Meinetwegen!« erklärte der Banquier.

Er trat zu dem Geldschranke, ließ dessen geheimen Mechanismus spielen, machte alles aber so langsam, daß Meister Antifer ganz aus dem Häuschen kam.

Warum diese eigenthümlichen Manieren? Wollte Zambuco es vielleicht Ben Omar in Saint Malo nachmachen und den Malouin seines Geheimnisses berauben, wie es der Notar früher – vergeblich! – versucht hatte?

Das war ja gegenüber einem Manne, der seine Waare nicht ohne Bezahlung hinzugeben entschlossen war, so gut wie unmöglich. Der Banquier hatte aber ein schon lange reiflich erwogenes Project, das, im Falle des Gelingens, die Millionen Kamylk-Paschas seiner Familie – das heißt ihm – sichern mußte, ein Project, das unerläßlicherweise verlangte, daß sein Miterbe Witwer oder Hagestolz war.

Während er noch die Rosetten an seinem Geldschranke einschnappen ließ, fragte er deshalb mit etwas zitternder Stimme:

»Sie sind wohl nicht verheiratet? ...

– Nein, Herr Zambuco, und deß freue ich mich jeden Morgen und jeden Abend neu.«

Der letzte Theil der Antwort rief ein Stirnrunzeln des Banquiers hervor, der mit seinem heimlichen Plan herausrücken wollte.

Zambuco hatte natürlich, das glaubten in Tunis alle, eine Familie. Diese bestand jedoch, wie bereits mitgetheilt, nur aus einer Schwester. Fräulein Talisma Zambuco führte in Malta ein sehr bescheidnes Leben von einer Pension, die ihr Bruder ihr ausgesetzt hatte. Allein – und das darf nicht unerwähnt bleiben – sie lebte daselbst schon seit siebenundvierzig Jahren, also bald einem halben Jahrhundert. Nie hatte sie Gelegenheit gehabt, sich zu vermählen, erstens weil sie in Bezug auf Schönheit, Verstand, Geist und Vermögen zu wünschen übrig ließ, und dann, weil ihr Bruder noch keinen Mann für sie gefunden hatte, und die Freier dachten gar nicht daran, sich von selbst einzustellen.

Zambuco rechnete indeß fest darauf, daß seine Schwester sich einmal verheiraten würde. Mit wem, großer Gott? ... Nun eben mit jenem Antifer, dessen Besuch er seit zwanzig Jahren erwartete und der die Sehnsucht des alten Mädchens stillen sollte, wenn er Witwer oder noch Junggeselle war. Mit Abschluß dieser Ehe wären die Millionen der Familie verblieben und Fräulein Talisma Zambuco hätte mit ihrem langen Warten nichts verloren gehabt. Es versteht sich, daß sie gänzlich von ihrem Bruder abhing und einen von diesem vorgeschlagenen Gatten mit geschlossenen Augen annehmen würde.

Eine andre Frage war es freilich, ob auch der Malouin die seinigen schließen würde, um diese antike Malteserin zu ehelichen. Der Banquier zweifelte daran nicht, denn er glaubte sich in der Lage, seinem Miterben nach Gefallen Vorschriften machen zu können. Uebrigens haben gerade Seeleute gar nicht das Recht, wählerisch zu sein – so meinte er wenigstens.

Schöne Aussichten für unsern Pierre-Servan-Malo, der besser daran gethan hätte, auf dem Frachtschiffe des Freundes Tregomain zwischen den lieblichen Ufern der Rance hinzufahren, als sich in eine solche Galeere zu begeben.

Das Spiel, das der Banquier spielte, liegt jetzt klar zu Tage. Nichts konnte einfacher und besser durchdacht sein. Er wollte seine Beute nur im Austausch gegen das Opfer des Meister Antifer – wohlverstanden, das durch die unlösliche eheliche Verbindung des Malouin mit Fräulein Talisma Zambuco – ausliefern.

Ganz zuerst – bevor er den Brief Kamylk-Paschas dem Geldschrank entnahm und als er schon den Schlüssel an diesen steckte – schien er noch zu überlegen und setzte sich noch einmal nieder.

Die Augen des Meister Antifer schleuderten einen zweifachen Blitz, wie solche unter gewissen atmosphärischen Verhältnissen, wenn die Luft mit Elektricität überladen ist, vorkommen.

»Was erwarten Sie noch, fragte er.

– Ich überlege nur noch etwas, antwortete der Banquier.

– Und was, wenn ich bitten darf?

– Glauben Sie, daß unsre Ansprüche in dieser Angelegenheit ganz gleichwerthig sind?

– Gewiß ... das sind sie natürlich.

– Ja, ich ... ich denk' das nicht.

– Und warum?

– Weil es Ihr Vater gewesen ist, der den Pascha jenen Liebesdienst geleistet hat, und nicht Sie, während ich ... ich es in eigner Person war, der ...«

Meister Antifer unterbrach ihn und der durch den Doppelblitz angekündigte Donnerschlag krachte nieder.

»Was zum Teufel, Herr Zambuco, könnten Sie wohl glauben, mit einem Kapitän der Küstenschiffahrt Fangball spielen zu können? ... Sind die Rechte meines Vaters nicht auch die meinigen, da ich sein einziger Erbe bin? ... Ja oder nein, wollen Sie dem Willen des Testators nachkommen? ...

– Ich werde thun, was mir gefällt!« antwortete der Banquier kurz und trocken.

Meister Antifer packte den Tisch, um nicht an die Decke zu fahren, nachdem er mit dem Fuße seinen Schemel umgestoßen hatte.

»Sie sehen doch ein, daß Sie ohne mich nichts beginnen können! erklärte der Malteser.

– Und Sie nichts ohne mich!« versetzte der Malouin.

Das Gespräch wurde hitziger. Der eine war scharlachroth vor Wuth, der andre bleicher als gewöhnlich, doch seiner vollständig Herr.

»Wollen Sie mir Ihre Breite geben? schrie Meister Antifer auf dem Gipfel der Erregung.

– Fangen Sie doch mit Ihrer Länge an, erwiderte der Banquier.

– Niemals!

– Wie Sie wollen.

– Hier ist mein Dokument, heulte Meister Antifer, indem er sein Portefeuille aus der Tasche zog.

– Behalten Sie es nur ... Ich kann damit nichts anfangen!

– Sie wissen damit nichts anzufangen? Vergessen Sie denn, daß es sich um hundert Millionen handelt?

– Um hundert Millionen ... ganz richtig.

– Und daß diese verloren sind, wenn wir die Lage des Eilandes nicht feststellen, wo sie verscharrt wurden?

– Pah!« ... pustete der Banquier.

Er machte dabei wieder eine so wegwerfende Miene, daß der andre, der sich nicht mehr bemustern konnte, sich in Stellung setzte, ihm an die Kehle zu springen ... dem Elenden, der es abschlug, hundert Millionen einzucassieren – ohne daß ein andrer davon Nutzen hatte.

Vielleicht niemals war der Wucherer Zambuco, der in seinem langen Leben so manchen armen Teufel moralisch erwürgt hatte, so nahe daran gewesen, physisch erwürgt zu werden, denn er sagte, wieder einlenkend:

»Es gäbe vielleicht ein Mittel, sich zu arrangieren!«

Meister Antifer klappte die Hände wieder zu und steckte sie in die Tasche, um weniger versucht zu sein, von ihnen Gebrauch zu machen.

»Mein Herr, fuhr der Banquier fort, ich bin reich, habe sehr geringe Bedürfnisse, und fünfzig oder auch hundert Millionen würden an meiner gewohnten Lebensweise nichts zu ändern vermögen. Ich habe aber eine Leidenschaft, nämlich die, Goldsäcke über Goldsäcke zu häufen, und ich gestehe, der Schatz Kamylk-Paschas würde in meinem Geldschranke eine recht hübsche Rolle spielen. Seit mir nun das Vorhandensein jenes Schatzes bekannt ist, hab' ich keinen andern Gedanken gehabt, als in den Besitz des Ganzen zu kommen.

– Sehen Sie einmal an, Herr Zambuco.

– Warten Sie!

– Und der mir zukommende Theil? ...

– Ihr Theil? ... Ja, ließe sich das, wenn sie ihn auch erhielten, nicht so einrichten, daß er in meiner Familie bliebe?

– Dann wäre dies aber nicht die meinige ...

– Nach Belieben, ich zwinge Sie zu nichts.

– Nun keine solchen Umstände, Herr Lavierer, erklären Sie sich!

– Ich habe eine Schwester, Fräulein Talisma ...

– Mein Compliment!

– Sie wohnt in Malta.

– Desto besser für sie, wenn das Klima dort ihr zusagt.

– Sie zählt siebenvierzig Jahre, ist aber für ihr Alter eine noch recht ansehnliche Person.

– Das wundert mich nicht, wenn Sie Ihnen ähnelt.

– Nun also ... da Sie unvermählt sind ... können Sie da nicht meine Schwester heiraten?

– Ihre Schwester heiraten? ... rief Pierre-Servan-Malo, dessen schon erhitztes Gesicht jetzt purpurroth wurde.

– Ja wohl, sie heiraten, wiederholte der Banquier in dem entschiedenen Tone, der keinen Widerspruch zuläßt. Durch diese Verbindung würden die fünfzig Millionen von der einen und die fünfzig Millionen von der andern Seite in meiner Familie bleiben.

– Herr Zambuco, erwiderte Meister Antifer, der den Kiesel im Munde umherwarf, wie die Brandung die Strandkiesel hin und her kollert.

– Herr Zambuco ...

– Herr Antifer ...

– Ist's Ihnen ernst ... mit diesem Vorschlag?

– So ernst, wie irgend etwas, und wenn Sie sich weigern, meine Schwester zur Frau zu nehmen, so schwöre ich Ihnen zu, ist es zwischen uns aus, und Sie können getrost wieder nach Frankreich zurücksegeln!«

Ein dumpfes Grollen wurde vernehmbar. Meister Antifer war am Ersticken. Er griff nach seinem Halstuche, nahm den Hut, öffnete die Thür des Cabinets und lief über den Hof, und dann, sich wie ein Toller geberdend, die Straße hinab.

Saouk, der noch immer gewartet hatte, folgte ihm, sehr beunruhigt, den Mann so aufgeregt zu sehen, vorsichtig nach.

Am Hotel angelangt, stürzte der Malouin geradezu in die Hausflur. Als er dann den Freund und den Neffen in einem Nebenraume des Speisesaales sitzen sah, rief er ihnen polternd zu:

»Der Elende! ... Wißt Ihr, was er wollte? ...

– Dich doch nicht umbringen? ... fragte Tregomain.

– Etwas schlimmeres als das! ... Er will, daß ich seine Schwester zur Frau nehme!«


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