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Bücher der Spitalchronika

I

Vierzehn Tage, oder eine Woche, wo die Poeten von sich reden gemacht haben auf verschiedene Art, wie mans von ihnen gewohnt ist: junge Poeten ausgezeichnet von alten (sagen wir, durch die Vermittelung einer Boulevardzeitung), ein wahrer Dichter dekoriert! ein andrer, Ironiker und gleichsam im voraus gerächt, im Spital gestorben und ... nach einem Dichter, der im Spital gestorben, eine Straße von Paris benannt, auf Grund eines Gemeinderatbeschlusses der »Stadt des Lichts«!

Die Presse sprach in würdiger Weise von Maurice Mac-Nab, dem hochoriginellen, dessen Verlust so allgemein beklagt wird; anderseits applaudiert die ganze literarische Welt der Auszeichnung, die Maurice Bouchor zuteil wurde, dem Schöpfer so vieler entzückender und tiefgründiger Werke, und die Benjamins des Parnassismus, die von ihren viel älteren Brüdern gekrönt wurden, sind natürlich ebenso stolz auf das äußere Zeichen des Erfolgs wie vergnügt über den unverhofften Goldfund. Ich will auch diese würdigen Jünglinge ihrem Glück überlassen und das zuständige Publikum seiner gerechten Befriedigung angesichts des Ratsbeschlusses, der den wackeren Sänger der »Aurore« und der »Symboles« ehrt, und will mich in dieser ersten »Spitalchronik« lediglich mit der Hégésippe Moreau-Straße beschäftigen.

»Neue Straße«, heißt es in der offiziellen Urkunde. Und ich sage bravo! Es wäre nicht schicklich gewesen, wenn der Name eines Dichters, besonders eines Mannes, wie er war, mit dem Arom von Anmut und Jugend, die in ihrer Blüte hingemäht wurden, irgendwelche banale oder triviale Aufschrift eines öffentlichen Verkehrswegs ersetzt hätte.

Und was die andere Möglichkeit anlangt, daß man eine berühmte oder doch durch die Überlieferung geheiligte Benennung zu seinen Gunsten hätte ändern können, so war es ein guter Gedanke, nicht die Erinnerung an einen liebenswürdigen Geist hierzu dienen zu lassen, den schon die bloße Vorstellung einer solchen Brutalität trostlos gemacht hätte...

Hégésippe Moreau, eine heute schon etwas verblichene Erscheinung, war, alles in allem genommen, als Poet von keiner Schule abhängig. Ohne Zweifel läßt die Mehrzahl seiner Verse durch eine gewisse Zusammenhanglosigkeit ein bißchen den Einfluß des literarischen Milieus spüren, in dem er lebte. Aber was hätte er machen sollen, als junger Zeitgenosse von Berühmtheiten, die sich so vielfach widersprachen? Man mag auch seine Romantik bedauerlich finden, die mehr auf Barthélemy und de Méry fußte als auf den großen Meistern, ebenso seine allzu zahlreichen und herzlich schwachen Nachahmungen des alten Béranger; doch »La Voulzie«, »Un quart d'heure de dévotion«, »La Fermière«, »Jean de Paris«, auch noch andere Gedichte, so frisch, so schwungvoll, im Ausdruck behend und kraftvoll zugleich, endlich die »Contes à ma soeur« von einer so seltenen Keuschheit und einer womöglich noch selteneren Zartsinnigkeit: all das sind Sachen, die bleiben werden, und die auch reichlich genügen, dem armen Hégésippe ein freundliches und schmerzliches Andenken zu sichern.

Sainte-Beuve liebte und schätzte ihn, Felix Pyat fand zu seinem Lob hinreißende Worte, um derentwillen man dem wilden Revolutionär – so arg er als Schriftsteller deklamierte, was für ein intuitiver Künstler war er doch dabei! – die Überfülle von Ketzereien wie auch seine ästhetischen Verbrechen – und was für welche! – verzeihen kann. Baudelaire erhob ja wohl einige – nach meiner bescheidenen Meinung allzu strenge – Einwände gegen die Huldigungen, deren Gegenstand sein Name schon bei seinen Lebzeiten war. Er wirft ihm, außer anderen Delikten, vor, in die »Democ-rocratie« verfallen zu sein, und geht so weit, ihn allen Ernstes als Taugenichts zu behandeln. Er vergißt dabei, daß Villon, wiewohl er ein Straßenbummler schlimmster Sorte gewesen, darum nicht weniger unser aller Vater und Meister bleibt; er vergißt auch, daß das Leben nicht so ganz rosig war für diese glühende und zartfühlende, daher leicht reizbare Seele. Was seinen Tod im Spital betrifft, so gestatte man mir, ihn nicht über Gebühr zu beklagen. Experto crede Roberto: die Gesellschaft, unter welchem politischen Regime auch immer sie stehen mag – man lese nur Stello! – ist nicht für Glorifikation der Poeten, die oft genug, wenn nicht immer, ihren positiven Gesetzen widerstreiten oder wenigstens sehr häufig ihren gebieterischesten Gepflogenheiten, ob diese nun gut sind oder schlecht – eher schlecht, muß ich sagen. Also:

»Gesellschaft, deren Starrsinn ich
So zugesetzt,
Wie sollst du mich
Verhätscheln jetzt?«

wie ein anderer Taugenichts gesagt hat: und mir scheint, der bin ich selbst.

Und, auf der andern Seite: wenngleich der Dichter ebensosehr, wenn nicht noch mehr als irgendeiner nach Luxus und Wohlstand giert, schätzt er seine Freiheit doch höher ein als selbst das Behagen, als selbst das gute Auskommen eines Dutzendmenschen, das auch nur durch das geringste Zugeständnis an den Herdenbrauch erkauft werden müßte. So daß das Spital, am Ende seines Erdenwallens, keine größeren Schrecken für ihn haben kann als das Feldlazarett für den Soldaten oder der Märtyrertod für den Missionar! Ja, es ist sogar der logisch folgerichtige Abschluß einer in den Augen des Pöbels unvernünftigen Laufbahn; fast möchte ich hinzufügen: der stolze Schluß, wie er sein soll!

Hégésippe Moreau hat nur eine Tradition fortgeführt, die noch lange nicht unmodern ist. Ach! las ich nicht dieser Tage in einer schönen Chronik von Jean Lorrain tragische Einzelheiten über den kürzlich erfolgten Tod zweier slawischen Dichter? Und wer weiß, was die Zukunft der langen Reihe berühmter Unglücklichen noch vorbehält, die mit Homer begann? Das Evangelienwort – um feierlich zu sprechen – »Es wird immer Arme unter euch geben« gilt vor allem für das luftige Völkchen, das Plato mit Rosen krönte, als er es ins Exil schickte. Darum muß man, ohne irgendwelche Ironie, unsere »Ädilen«, die nicht immer so gute Erleuchtungen haben, zu ihrer letzten Entscheidung beglückwünschen. Die peinlich Gewissenhaften, die nicht immer auch die Zartfühlenden sind, könnten den Wunsch verlauten lassen, daß man bei unseren Hochmögenden Schritte tue, dem Verhungern unserer Poeten vorzubeugen, statt daß diese, übrigens erst lange nach ihrem Hinscheiden, in weißen Lettern auf blauen Tafeln an den Ecken von Mietkasernen prangen. Aber zuvörderst: woher die Mittel dafür nehmen? Ferner ist auch wirklich dieses posthume Populärmachen auf städtischem Emaille alles, was man für uns tun kann, nachdem man uns nicht schlechter und nicht besser beherbergt hat als alle die andern ebenso interessanten Enterbten, und ist das nicht auch schon ganz nett für Leute, die sich einen Namen machen wollen?

Aber trotz alledem hätte man doch Hégésippe Moreau sehr überrascht (freilich, wer weiß es?), wenn man ihm diese späte Apotheose vorhergesagt hätte, ebensosehr, ich wette darauf (und doch, bin ich dessen ganz sicher?), wie man mich verblüffen würde, wenn man mir für Gott weiß welche Zeiten eine Straße verheißen wollte.


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