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Vierter Akt

Erste Szene

Helena allein auf der Gartenbank.

Helena
Diese letzten Tränen der Qual
Weihe ich dir,
Nun deine Seele ins Dunkel getaucht,
Menelaos, mein Herr und Gemahl!
Was mir das Leben an einsamem Leid
Und Liebe noch ließ,
Sei dir geweiht!
Denn alles in mir
Ist zerbrochen, zerrissen, verbraucht;
Mein Herz ging auf allen Straßen sich irr,
Unfruchtbar wurde und müde mein Leib;
Doch du warst groß und gütig zu mir
Und nahmst aufs neue
In deine Arme das Weib ohne Treue. –
Diese letzten einsamen Tränen
Weihe ich dir!
Wie war es mein Sehnen,
Die Stille in diesem Hause zu hüten,
Das mir endlich den Frieden geschenkt;
Wie hätte ich gern meine herbstlichen Blüten
Zärtlich auf deinen Winter gesenkt!
O Menelaos, Herr und Gemahl,
Nun stehe ich einsam und unbewehrt
Hier, wo ich dich hörte zum letztenmal.
Sieh meine Augen, die dich betrauern,
Hör meine einsame Stimme, die bald
So wie die deine im Dunkel verhallt.
Menelaos, mein Herr und Gemahl,
Eh ich dich grüße in Todesbangen
Empfange
Diese letzten Tränen der Qual!

 

Zweite Szene

Pollux, Helena.

Pollux
Sieg und Triumph in meinen beiden Händen,
So tret ich, Schwester, heute vor dich hin.
Kein Tag soll sein, wo du nicht Königin
Hier warst im Land. Denn hier, wo unsre Mutter
Mit Tyndarus dereinst gebot, will nun
Das Schicksal uns zu Herrschern. Und vereint,
Wie uns die Götter in die Sternenkreise
Einst reihen wollen, laß uns heute schon
Im Irdischen als Könige gebieten.

Helena
O Menelaos, rasch vergaß man dich!

Pollux
Die Toten, laß sie ruhn! Ist nicht das Leben
Von Wundern voll, jäh, schön und unfaßbar?
Und wars dir bislang trotzig und verschworen,
Nun bändigt meine Hand es dir zu Füßen.

Helena
Zu spät! Zu spät!

Pollux
Nein, es ist nie zu spät!
Das Glück steht auf und folgt mir allerwegs,
Stürm ich auch unbedacht ins Unbekannte,
Die tollsten Träume, die ich hege, werden
Fleisch, Blut und Leib und heben an zu leben:
Ich zwinge Haß und Wut in meinen Willen
Und form mit losen Händen mir mein Glück.

Helena
O irdisch Unterfangen!

Pollux
Nenn es Kraft!
In Sparta auf dem Markt erwartet dich
Die wilde Freude deines ganzen Volks;
Töchter und Mütter, Väter, Söhne, alle
Füllen die Luft mit Jubel, Wunsch und Schrei.
All ihr Verlangen zittert dir entgegen,
Höre die Liebe, die im Lärme schwingt,
Berausche dich an dem Triumph des Lebens!
Sie wählten mich und doch, sie meinen dich!

Helena
Wozu das sehen, was zu oft ich sah?

Pollux
Die ganze Erde badet deine Füße
Mit Flammenküssen ihrer heißen Mengen.
Verstoße deine Angst! Wach auf und komme!
Einzig ist diese Stunde, und ich fühle
So stark in mir die unbeugsame Kraft,
Daß nichts mehr ist in dieser Welt, vor dem
Ich zagen würde. Denn ich fühls, ich bin
Ein Herrscher, und ich weiß es zu gebieten!

Helena
Was gilt das mir, ob du gebieten wirst
In diesem traurigen und namenlosen Land,
Von dem die Ströme und die Wolkenbrüche
Das Blut der Frevel nicht abspülen könnten!
Mein Willen ist erstorben. Nichts will ich,
Nein, gar nichts mehr! Mein ganzes Leben ist
Zerfetzt bis in die Tiefen meiner Seele;
Kein Stolz, kein Schein von Lebensflammen glimmt
In meiner Brust, in meinen toten Augen.

Pollux
Dann hast du, Schwester, all dein Leid verdient!
Gestern, als du, von frevelhafter Liebe
Zwiefachem Ausbruch jäh erschreckt, an mich
Dich flehend wandtest, fühlte ich in dir
Noch Kraft und Widerstand, Glut und Gewalt.
Da bot ich gerne Schutz und Unterstützung.
Doch heute schwindet plötzlich deine Kraft,
Du stößt die brüderliche Hand zurück,
Gehst hin wie eine Blinde durch die Nacht
Und läßt die Schönheit, die dich schmückte, welken.
Und all dies darum nur, weil einer starb,
Den du dein ganzes Leben nie geliebt.

Helena
Geliebt? Nein, ich tat mehr! Ich weihte ihm
Das ganze Leben. Ein mir Unbekanntes,
Das Neigung war und Zärtlichkeit, durchdrang
Und wandelte mit einem Mal mein Wesen!
Wie war der König freudig schon, wenn er
Mich nur erscheinen sah, nur sah bei ihm
Des Abends sitzen! Oh, ich war für ihn
Das sanfte Feuer über seiner Nacht!
Und sicher fühlte er in mir die Treue,
So sehr war meine Hand schon mütterlich.
O nein, du wirst es nie, niemals begreifen,
Wieviel sein Tod in meinem Herz begrub,
Wie er den letzten Traum, die letzte Hoffnung,
Den letzten Splitter einer Hoffnung brach.

Pollux
Leb wohl! Du bist gestürzt, und ich versuche nicht,
Dich aus der Tiefe wieder aufzuheben.
Nichts bist du mehr, bist du Helena nicht,
Und gerne löse ich dein schwankes Schicksal
Von meinem los, das zu den Höhn aufstrebt.
Unheil klebt sich zu leicht an fremdes Glück,
Und vor den Stürmen, die den Purpur leicht
Zerfetzen, weich ich vorsichtig zurück.

Helena
Geh nur! Geh nur!

 

Dritte Szene

Pollux geht ab. Aus dem Dunkel taucht Elektra auf.

Helena
Du? Wirklich du?

Elektra
Seit gestern irr ich einsam durch das Dunkel
Des Waldes, irr auf allen Wegen hin
Und finde in dem Abgrund meiner Seele
Die Angst nicht mehr und nicht die Todesgier.
Zum erstenmal des alten Hasses ledig,
Fühle ich Friedenshauch um meine Stirn.

Helena
Du rächtest meinen Herrn und schlugst den Bruder
Und tatest beides nur um meiner willen,
Um deine Eifersucht im roten Blut
Der hingestreckten Opfer reinzubaden,
Gerechtigkeit und üble Tat zugleich
Begehend wie die Deinen zu Mykenä.

Elektra
Nur Menelaos solltest du betrauern,
Der dich noch zärtlich liebte, als ringsum
Schon fremde Gier sein eigen Haus umschlich
Und ihn zu heimtückischem Tod bestimmte. –
O König, man erschlug dich, als ich ruhig
An deiner Seite schritt, vor meinem Blick.
Vor der Atridentochter Racheblick!
Und du sankst hin in meine trauervoll
Gebeugten Arme, stumm und ohne Wort,
Und doch mich lauter als mit tausend Rufen
Hinstoßend zu Kastor, der feige sich
Ins Waldesdunkel schlich, er, dessen Herz
Für Greisesschwäche kein Erbarmen fand.

Zu Helena.

Was hättest du getan?

Helena
Mein Gott!

Elektra
Die Hand,
Die seine Wunde zu verschließen mühte,
Ward heiß von Blut; er sah mich klagend an,
Die aufschrie voll Empörung zu den Göttern,
ich fühlte seinen Körper kälter werden
Und hätte gern mein Leben hingegeben,
Um seines zu erneun, ihn zu erwecken;
Doch ach, mein allzu matter Arm, er konnte
Nicht seine regungslose Brust beleben!

Helena
Welch wilder Schmerz, welch Glühn der Rache!

Elektra
Doch seit ich Kastor schlug, verstummt mein Herz,
Und Kühle fühl ich mit dem Sonnensinken
Hinströmen auf mein hingehetztes Leben.
Ich sah die Nacht aus ihren Sternenaugen
Furchtlos auf mich die ernsten Blicke richten,
Und meiner roten Sippe Blutschuld überzählend,
Habe ich, müde, glücklich fast, geweint.
O wieviel Frevel, Mord, wie viele Opfer,
Auf alle Wege hingesprengtes Blut!
Und jener erste Mord und dieser letzte,
Sie schienen wie verknüpft in meiner Hand.
Verständnislos und matt schweifte mein Sinnen
Um so viel Greuel, die ich nicht verstand,
Und wie aus Totenurnen quoll das Rinnen
Der Tränen auf und tropfte in den Sand.

Helena
Oh, wie ist meine Seele auch verwirrt!
Ich litt nur Böses, du hast es getan,
Und dennoch bleibe ich an deiner Seite,
Denn deine Tränen tun mir seltsam wohl.
O all dies Fluten, das uns eint von Schmerz,
Die dunkle Zeit, die uns wie Gift durchdrang,
Dies Blut auf deinen jungfräulichen Händen!
Wir kommen von so fern aus unserm Dunkel
Eine zur andern, und mit einem Mal
Sind, ehe wir uns zu verzeihen wagten,
Schon unsre Traurigkeiten ganz vereint.
Ich kannte dich als Kind bei deiner Schwester,
Und einmal, als dich Träume weinen ließen,
Brachte man dich zum Schlafe in mein Bett;
Da nahm ich deine Hände, löste dir
Das Haar, und während ich dich wiegte,
Schliefst du sacht ein wie eine schöne Frucht
Vom Dunkel hoher Zweige überschattet.

Während der letzten Worte hat Helena, ohne es zu wissen, die Haare Elektras gekost.

Elektra
Gib acht! Gib acht! Helena, hüte dich,
Der Brand in meinem Blute schlummert nur!
– O deine Hand auf meiner Stirn, im Haar,
Dein Atem, der an meinen Körper streift,
Dein Arm, die Finger, o dein ganzer Leib!

Helena aufspringend.
Was für Gelüste noch in deinem Elend!

Elektra
Helena! Helena!

Helena
Fort, wir müssen scheiden!
Die Erde kennt für uns nicht Friedensstunden,
Wir finden Ruhe nur mehr bei den Toten.

Elektra
Helena!

Helena
O ich vergaß, ich darf nicht gütig sein!
Alles ist mir versagt, selbst zu vergeben.
Ich hör in mir den Schauer aller Welt,
Und Unglück, das nie seine Tiefen findet,
Schmettert in mir mit fremdem Leid zusammen.
Dein Herz ist schaurig, schmerzvoll auch das meine,
So laß uns scheiden ohne Wort und Träne,
Jeder auf seinem Wege sich den Tod
In einem unbekannten Schicksal suchend.

 

Fünfte Szene

Helena steigt die Terrasse empor. Elektra wagt ihr nicht zu folgen, irrt schweigend um den Palast des Menelaos und, verschwindet schließlich.

Helena
O Nacht, durch deren taugekühlte Reiche
Diana schwebt mit mattem Silberschuh,
Finstere Nacht, die du die dämmerbleichen
Fernen mit Sternen schmückst, verschwiegne du,
O Nacht, durch die die Götter wandernd streifen,
Die einzig du mein bittres Los
Gehört,
Nimm du
Mich auf in deinen unfruchtbaren Schoß!
Ich kann nicht mehr,
Meine Kraft ist zerstört,
Ob ich liebe und hasse, ich weiß es nicht mehr.
Ich bin nur die Asche, die ausgelohte,
Ich bin die Gejagte und tausendfach Tote.
Die Qualen, die rauschend hinter mir schleifen,
Sind viel und dunkel, ein rastloses Meer,
Und mein einzig Begehr
Ist: das Leben, wie abends mein schweres Gewand,
Vom Körper zu streifen.

Im Vordergrund sind zwei Schäfer aufgetaucht und deuten flüsternd auf den Wald hin.

Der Erste
Siehst du den Busch dort sich regen und rühren,
Den Wald aufleuchten von zahllosen Blicken?
Komm sie zu sehen, die muntern Satyren!

Der Zweite
Hast du nicht Furcht?

Der Erste
Vor den Satyren?
Ich kenne sie alle, sie sind mir hold,
Weil ich mit Milch sie immer erquicke.
Höre doch, höre!

Man hört Stimmen und leises Rauschen im Gehölz.

Der Zweite
Das ist nur ein Wagen, der ferne rollt.

Der Erste
Nein, das sind ihre trunkenen Stimmen.
Komm nur, komm, wir wollen erlauschen,
Was die Wälder heut in die Ebenen rauschen!

Die Satyrn
Helena,
Du, die du kommst von Asiens Küsten,
Die du Seufzer gekannt und der Liebe Gier,
Höre den Schrei unsrer heimlichen Lüste,
Wir, die Satyren, wir rufen zu dir!
Die Erde ist schwül, im Dämmerwehen
Zerfließen die Formen, weich dehnt sich das Moos,
Und sachte löst sich in unsrer Nähe
Aus deiner Brust die Erinnerung los.

Der zweite Hirt
O Wunder!

Der Erste
So schweige!

Die Satyrn
Wir sind
Der Wahnsinn, der wilde Schauer im Wind.
Unsere Haut ist behaart,
Und wenn uns das Fieber zum Tanze paart,
So stampfen
Wir aus der Erde die ewige Gier.
Die Berge, die Büsche, der Felder Dunst,
Die Wälder, die keuchend im Morgenrot dampfen,
Das sind wir,
Wenn wir uns packen in zorniger Brunst.
Und der Schweiß, der tierisch und heiß uns entquellt,
Ist der Same der Welt.

Helena
Götter! Ihr Götter!

Der erste Hirt
Nun?

Der Zweite
Ich höre nur dunkel,
Ich verstehe nicht ganz.

Der Erste
Es ist der Wald, der Helena ruft,
Längs aller Gebüsche regt sich ein Schwellen,
Schwüler Schauer durchgeistert die Luft,
Oh, sieh dort der Bäche jähes Gefunkel!
Najaden entsteigen den glitzernden Wellen.

Eine Najade
Helena!
Dein Leib ist der Welt ein schöner Geschmeide
Als dem Himmel der Sterne demantenes Leuchten.
O komme zu uns; durchsichtig und seiden
Sind hier dir kristallne Paläste gebaut!
Die Liebe ist sanft in unseren feuchten
Armen und kühlt mit Küssen die glühende Haut.

Helena
O nichts mehr hören, fühlen, nichts mehr sehn!
Mein Gott, was tat ich Menschen je und Dingen,
Daß alles, Blumen, Quellen, Tal und Höhn
Mit Schauer und mit Lockung mich umringen?

Der Hirt vorne.
Und dort, sieh rückwärts! Hinter dem Gestade
Bacchantinnen! Sie stürmen zu den Höhn!
Siehst du sie dort?

Eine Bacchantin
Wir sind die Mänaden,
Die ewig Glühenden, und lieben dich.
Wenn uns die Weine des Dunkels berauschen,
Erzittern die Fluren von unserm Tanz.
Sieh! all die Dinge, welche dich belauschen,
Rühmten dich zärtlich uns und deinen Glanz.
Kein Flecken Erde ist fühllos geblieben,
Felsen und Staub, du hast ihn verwirrt,
Und selbst die Steine noch müssen dich lieben,
Die deinen nackten Fuß gespürt.

Helena
O sterben! sterben! Fortgehn und verschwinden!
O schlafen! Fortsein! Endlich ruhig sein!
O atmen ohne Ängsten, rein, allein,
Nicht ewig Schauer um sich, in sich finden!
Fort! Laßt mich, Atem, Anhauch, Wort!
Winde und Wellen, dringt nicht auf mich ein!
Morgen und Mittag, findet mich nicht,
Und fort, verfluchtes Sonnenlicht!

Ein Satyr
Helena!

Helena
Steine, laßt ab, verrucht auf mich zu blinken,
Weg, Spiel des Schattens und der Winde Winken!

Die Najaden
Helena! Helena!

Helena
O Qual meines Körpers, Gefängnis der Welt,
Unentrinnbar von allen Seiten umstellt,
Ihr Tränen, die ihr vergeblich quellt!

Die Bacchantin
Helena!

Helena
Und nirgendhin Flucht!
Ich schauere, des Grabes Schollen werden
An meinem starren Leib sich noch entzünden.
O Zeus, König des Lichts, Herrscher der Erde,
Sieh meine Qualen, laß Gehör mich finden!
Die Erde ängstigt mich, in ihrer Tiefe
Ist vielleicht Liebe noch, die mich verbrennt.
Und da mein Leib mehr keine Zuflucht kennt
Vom Aufgang bis zum Niederstieg des Lichts,
Vernichte du mein Sterbliches, entwinde
Der Erde mich, zerstäube mich zu Nichts!

Ein starkes Leuchten flammt auf. Die Hirten sehen die Erscheinung des Zeus und heben gegen sie die Hände.

Zeus unsichtbar.
Vernimm, die du den Menschen Helena gewesen:
Zeus, ich, des Himmels Herr, entschleire mich für dich.
Ob auch an Liebe einzig reich, blieb doch dein Wesen
In allen Nöten klein, in Qualen kümmerlich.
Das dunkle Nichts, das du von mir begehrtest, findet
Sich nicht; wo golden sich die Firmamente drehn,
Dort gattet alles sich, verschwendet und verschwindet,
Um neu in andrer Form unendlich zu erstehn.
Klage und Schrei, sie dürfen nur auf Erden schweifen,
Wie Nebel hingehn an der Berge letzten Rand,
Doch nie den Rätselfels der Wirklichkeiten streifen.
Du warst ein Weib und wußtest nicht, den Widerstand
Zu Kraft zu glühen, deine Schönheit hat den Blick
Des Stolzes nie sich auf die matte Stirn gebrannt.
So stirb! Stirb und erstehe! Laß dein armes Klagen!
Aus einstigem Geschehn wird dir ein neu Geschick.
Da nimm den Blitz und meinen Donner! Sieh, sie tragen
Dich zu der väterlichen Liebe Gotts zurück!

Ein Donnerschlag. Helena wird zum Himmel entführt.


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