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Dritter Akt

Erste Szene

Menelaos, Elektra.

Elektra
Nun da du weißt, was für Erinnerungen
Mit heißer Flamme meine Seele streifen,
Verstehst du jetzt die grause Angst der Nächte,
Die wie mit Wahnsinn um mein Herz sich gürten?

Menelaos
Seit langem weiß ich schon: wenn ein Atride
Den Weg des Hasses und der Liebe geht,
So droht ein Mord. Dein Leben aber, Kind,
Sei jene Stille, wie sie zwischen Stürmen
Das eben erst erregte Meer beschwichtigt.
Das viele Blut, das rings um dich vergossen,
Trübte nicht deiner Augen klaren Spiegel.
Ein Kind warst du damals und wußtest nichts
Von all dem Greuel.

Elektra
Doch, ich hab gelernt
Zu sehen, daß die Liebe mördrisch ist,
Daß sie wie Pest über die Erde peitscht,
Daß nichts unter den Himmeln stärker ist
Als ihres Lebens, ihres Sterbens Schrei.
Ich weiß, das Schicksal liebt in solchen Zeiten
Mit Königen zu spielen, ich weiß wohl,
Wie sehr Euch Kastor haßt, als Helenas
Und Spartas Herrn, und weiß, daß böse Tat
Allein das Rätsel seines Herzens ist.

Menelaos
Doch seine Hand reicht nicht bis an die Höhe
Der Stirne hin, um die der Frieden ruht.
Wie sollte ich, der nie Gefahren scheute,
Mich ängstigen im eignen Haus vor dem,
Der nur die Rosse bändigt, nicht sich selbst?
Ich will nicht unnötig mir Sorgen machen
Und nicht Verdacht in meine Seele streun;
Denn nie noch, längs all meiner Lebensstunden,
Kannte ich so viel Glück als heute, da
Ich die erneute Liebe derer fühlte,
Die für mich heimkam aus der fernsten Welt.
Nie wirst du ahnen, Kind, wie diese Liebe
Die unfruchtbaren Sorgen mir zerstreut,
Wie selbst der Tod mir süß wird, wenn nur sie
Ihn mir mit ihren Blicken überschattet.

Elektra
Und doch, dies Glück, das du erträumst ...

Menelaos
O schweige!
Ist denn nicht Pollux da, der Untrügbare,
Der mir zuliebe ihn im Zaume hält,
Sahst du seine Empörung denn, als Kastor
In mir die königliche Würde schmähte?
Er weiß so wohl zu herrschen als zu dienen
Und wird einmal des Thrones Erbe sein.
Auf ihn gestützt und seiner Treue trauend,
Kann ich mich arglos ganz dem Frieden schenken.

Elektra
Der Haß des Kastor bleibt nicht bloß bei Worten;
Bann ihn aus Sparta, fort von Helena!

Menelaos
Pollux wird seinen Widerstand bemeistern.

Elektra
Zu sehr vertrauend Herz, unkund des Hasses!
O Übermaß der Güte!

Menelaos
O du Kind!
Schon sinkt der Abend friedevoll und kühl
Mit Meeresbrisen in den heißen Tag;
Willst du, wie einstens oft, auch heut mit mir
Den Pfad hinwandern, wo von ferne man
Den Kreuzweg von Tyrinth und Argos sieht?
Dort kannst du deine Sorgen mir vertrauen,
Daß ich mit Lächeln sie zunichte mache.

Zu Pollux, der eben auftritt.

Begleitest du uns nicht den Waldweg hin?

Pollux
Ich muß den Hirten sagen, daß sie morgen
Zur Schur die Lämmer führen sollen und
Die Linnen trocknen, eh der Abend sinkt.

Menelaos
Leb wohl!

Er geht mit Elektra.

 

Zweite Szene.

Pollux, Kastor.

Pollux
Ich suchte dich.

Kastor
Doch ich nicht dich.

Pollux
Ich weiß, mein Rat regt dir die Galle auf,
Weil du in mir den Königstreuen haßt.

Kastor
Ich haß euch alle. Aber er, er hält
In seinem Haus, in seinem Bette, die
Mit ihrer Schönheit mich verwirrt gemacht.
Ich will nicht warten, nein, ich glühe schon
Zu sehr von diesem fiebrigen Begehren,
Denn überall ist sie, Helena, immer
Seh ich den Leib, und meine Träume irren
Toll von Gelüst um ihren nackten Schoß.
Und immer er, der König, als Gebieter
Noch zwischen ihr und mir! Ich weiß, es muß
Geschehn. Ist er nicht jetzt dort auf dem Hügel?

Er stürmt weg.

Pollux spöttisch.
So spart ers mir, ihm erst den Weg zu zeigen.

 

Dritte Szene.

Hirten, Helena, die Menge.

Pollux zum ersten der Hirten, dem die andern folgen.
Du wirst die Herde morgen, Schäfer, zu
Den frischen Weideplätzen zeitig führen.
Doch nun erzähl mir, was man in den Hütten
Sich von der Wiederkehr des Königs sagt.

Der Hirt
Ganz Sparta sah nichts als Helenas Augen,
Und viele sind, die hinter ihr den Staub
Der Schritte küßten. Menelaos ist
Schon alt und nah dem Ende seiner Tage.
Und ob er auch in Frieden wiederkehrte,
So seid doch Ihr es, dessen gute Herrschaft
Man allgemein betrauert und erhofft,
Ob es auch schweigend ist und noch nicht Rede.

Ein Schweigen, Pollux scheint nicht zuzuhören. Der Schäfer will abtreten.

Verzeihet mir, ich sprach vielleicht zuviel.

Pollux
Nein, nein, ich habe viel mit dir zu reden.
Sag mir, ich möchte wissen, ob ...

Er horcht in die Ferne und spricht zerstreut.

Ja .. ob ...
Ob Wohlstand herrscht in deinem Hause, ob
Die Deinen emsig das Erworbene mehren?

Er lauscht in die Ferne.

Der Hirt
Herr, so viel Sorgsamkeit für mich!

Pollux ihn zerstreut fieberhaft unterbrechend.
Die Zeiten
Sind hart geworden, schwieriger das Leben.
Wieviel man auch sich um die Herde müht,
Wer könnte sie vor jähen Seuchen schützen?
Heimtückisch fällt uns oft das Schicksal an.

Der Hirt
Als Ihr noch herrschtet, Herr, vertraute man
Dem sicheren Gefühl, Ihr würdet stets
Dem Übel trotzen helfen, und man sagte,
Ein guter Gott begleite Eure Wege.

Ein Hirt, der den Bergweg herabstürmt, schreit schon von ferne.
Man hat Menelaos im Wald erschlagen!

Man umringt den Hirten und fragt ihn entsetzt.

Pollux
Wer tat es?

Der Schäfer
Was?

Der Hirt vom Berge
Kastor.

Die Menge
Menelaos!
Der König tot!

Tumult. Helena tritt, tödlich erschrocken, schwankenden Schrittes aus dem Palast.

Helena
Was ist geschehn?
Dies Rufen, Schreien, Jagen ... und der König ...
Sage es du mir, Bruder ... Sag, was ist? ...

Pollux
Wie furchtbar doch das Schicksal mit uns rechtet
Und neue Trauer über Hellas breitet.

Helena
So ist er tot?

Pollux
Kastor hat ihn ermordet.

Helena
O Götter!

Pollux
Ja, entsetzliches Geschehn!
Doch jetzt reiß ich mich los, zerreiß die Banden
Des Blutes mit dem mörderischen Bruder.
Erbarmungslos wird diese Tat bestraft.
Verstumm in mir, Natur, sei taub und sieh
Nur diese rote Tat, die er vollbracht!

Helena
Führet ihn hin, wo man den König schlug.

Der Hirt
Als ich herniederlief, trugen sie schon
Die Königsleiche hin zu dem Palast.
Auf seinem eignen Bett, mit sanftem Antlitz,
Werdet Ihr dort den Hingestreckten finden.

Helena
O König, den ich nie genug geliebt!

Helena wird in den Palast zurückgeführt.

Pollux zum Hirten.
Was tat Elektra, die Begleiterin?

Der Hirt
Ich sah sie erst die Todes wunde stillen;
Ein irres Licht zuckte in ihren Augen,
Als kniend sie den toten Leib umschlang.
Wild gellte ihre Klage durch die Wälder;
Doch plötzlich sprang sie auf und eilte zu
Dem Bergwald hin, in dem Kastor verschwunden.

Pollux
Nehmt allen Blumenschmuck den Häusern wieder.
Ein solcher Herrscher ist der Trauer wert
Und so wie ich den Mörder landsverstoße,
Verabscheue das ganze Volk die Tat.

Die Menge schwillt immer mehr und mehr an.

Du konntest, König, nicht die Friedensfrüchte
Mehr kosten, deren Samen ich gesät
Und die nun aufgeblüht im ganzen Lande.
Sanft warst du, weise und gerecht. Dein Name
Gab heilern Klang als Agamemnons Stolz,
Und Sieger, aber doch voll schlichter Demut,
Wohltätigkeit der Königskraft vereinend,
So kamst du heim. Nur eins war dein Begehr,
Daß man den vielfach regen Schreck der Schlachten
In süßem Heimatsfrieden sanft verlösche.
Zu Rache ruft mich, König, deine Stimme!

Plötzlich erscheint ein zweiter Hirt vom Berge und ruft zu Pollux.

Der Hirt
Ein neues Unheil läßt die Nacht erschauern:
Elektra, die dem Mörder Kastor folgte,
Hat ihn, indes er sich zur Quelle beugte,
Mit einem Hieb gefällt.

Pollux
Willkommne Tat!
Sie rächt uns alle. Ihre stolz erglühte
Und unbeugsame Seele wußte wohl,
Wie sehr ich vor dem Brudermord erschrak.
So schlug sie ihn in meinem Namen nieder.

Zum Palaste.

Ich gehe, dies Helena zu berichten.

 

Vierte Szene.

Die Menge.

Ein Edler
Kaum daß ein Tag der Freude aufgeflogen,
Senkt sich die Trauer über Sparta wieder.

Der Hirt, den alle gierig mit den Augen befragen.
Kastor, des Lippen noch im Fieber brannten,
Beugte sich auf den Knien zu der Quelle.
Da trieb sie ihm, eh noch der heiße Mund
Am reinen Wasser sich gekühlt, den Dolch
Mit einem Stoße in die Brust. Und er
Fiel ohne Schrei, indes die Mörderin
Seltsam und reglos auf ihn niedersah.

Ein Edler
Die Götter wählten ihren Arm zum Werke,
Um diesen Frevel eilig zu bestrafen.

Der Hirt
Kein Zittern überlief ihr blasses Antlitz;
Oh, schauervoll war diese starre Ruhe!

Eine Pause.

Dann nahmen zwei, die Holz im Walde schlugen,
Die Leiche auf und trugen sie zur Hütte,
Indes die Hirten Menelaos bargen.

Ein Edler
Der König war schon alt, doch dieser stand
Blühend und kraftvoll mitten noch im Leben.

Simonides
Und nun, da Menelaos nicht mehr ist,
Orestes fort und Pyrrhus auf der Freite,
Wer soll der Herr Lazedämoniens sein?

Zahlreiche Rufe: Pollux, Pollux, Pollux, Pollux allein!

Simonides
Ich gebe zu, er war für Sparta lang
Ein Herrscher voll Gerechtigkeit und Treue
Und gab das Zepter an den alten König
Voll Ehrerbietung, ohne Groll, zurück.
Ich weiß auch, daß er Pallas ehrt und Zeus,
Klug ist und ehrlich, aber denkt: Kastor,
Der Königsmörder, war sein eigner Bruder.

Ein Hirt
Wir alle ehren hier im Lande Pollux!

Simonides
Gleichwohl! Er ist dem Mörder blutsverwandt,
Und da ein Mord nie ursachlos geschieht,
Wer weiß, ob dies nicht seine Pläne waren,
Und Kastor nur ein Helfer bei der Tat?

Alle Hirten
Schurke und Lügner! Hört, wie er verleumdet!

Simonides
Erregt euch nicht! Ich spreche ohne Argwohn,
Doch will ich alles reiflich erst erwägen.

Ein Hirt
Aus Haß für uns, die Pollux stets beschützt!

Ein Winzer
Wollt Ihr die Zwietracht in der Stadt erneuern?

Ein Hirt
Voll Hinterhalt und List sind deine Worte,
Sie bergen mehr, als sie zu sagen wagen.

Ein Edler, Freund der Hirten.
Dein Eifer will den alten Zwist erneuern
Und Pollux, der, Helena tröstend, fern ist,
Hinter dem Rücken argwöhnisch verleumden.

Euphoras
Und ich, mags euch auch unerbeten scheinen,
Ich sprechs doch aus: seit Helena zurück ist,
Streift wieder Mord durch Spartas Fluren hin.

Die Menge
Gottloser! Schweige! Schweige!

Euphoras
Nichts, selbst daß
Sie treu nun dem Gemahle diente, kann
Die Angst vor ihrer Gegenwart mir mildern.

Ein Hirt
Wer solches spricht, sei aus dem Land verbannt,
Verachtet und verstoßen, Frau und Kinder
Mit ihm hinaus in ungastliches Land!

Ein Jüngling
Zehn Jahre kämpfte man um sie vor Troja,
Froh ist ein jeder in den Tod gegangen,
Nur weil es galt, Helena zu befrein!

Euphoras
Noch nie war Schönheit wert, das Unglücksschicksal
Des ganzen Lands zu sein.

Die Menge
Für einen Feigling.

Euphoras
Scheut das Geschlecht, dem sie entsprossen, das
Zum Ahnherrn Tyndar hat, Kastor und Pollux
Als Schößlinge.

Ein Hirt
Er schmäht den Sohn des Zeus.

Ein Zweiter
Daß deine Zunge dir im Munde darre!

Ein Jüngling
Dein Auge jede Nacht im Krampf sich winde!

Ein anderer
Fort! Keiner spreche je mit diesem Lügner!

In diesem Augenblick tritt Pollux aus dem Palast und bleibt auf der Treppe stehn. Die Hirten stürzen auf ihn zu, einer schreit laut, auf ihn hinweisend.

Ein Hirt
Heil Pollux! Heil ihm, unserm neuen König!

Pollux nach einem langen Schweigen. Er wendet sich hauptsächlich gegen jene, die ihn bekämpfen und in einer kleinen Gruppe links beisammenstehen.
Ich hörte euren Zank und möchte nicht,
Daß dieser Lärm bis zu Helena dringe,
Die jetzt allein ist und in dem Palaste
Den hingemordeten Gemahl beweint.
Wär mir nicht mehr als wie mein eigner Ruhm
Das Schicksal Spartas wert und euer Stolz,
Stark, reich und groß zu sein, ein Neid der andern,
Ich achtete nicht eures Schreins. Doch ihr,
Denen die Rede nur zur Schmähung dient,
Sagt selbst, wer hat von allen, die da waren,
Sich mehr gemüht um diese Stadt als ich?
Ich lernte selbst, nur um es euch zu lehren,
Der Rebe Schnitt, half euch mit Rat und Geld,
Den unfruchtbaren Rand des Eurotas
Mit fruchtgeschwellten Bäumen zu beschatten.
Ich half den Boden wie ein wildes Roß
Euch zu bezwingen, heilsam frische Quellen
Ins Land zu führen, das so reich wie heute
Noch niemals war. Das einstens niedre Dorf
Von Sparta wurde unter mir zur Stadt.
Seid undankbar! Was kümmert michs? Ich habe
Den Stolz für mich, gewirkt zu haben und
Es zu entsinnen, um euch neu zu dienen,
Selbst denen, deren Haß in dieser Stunde
Um meine unbesorgte Stirne kreist.

Simonides
Es haßt Euch niemand hier.

Ein Hirt
Und warum dann
Der Anwurf gegen ihn, die wilde Schmähung?

Ein Zweiter
Laßt Pollux nur, er wird sie überzeugen!

Euphoras
Ja, er verteidige sich!

Pollux
Ich bin nicht sehr gewandt.
Wär Nestor unter euch, sein klarer Geist
Und sein beredtes Wort erzählten euch,
Wer ich einst war in jener goldnen Zeit,
Als ich nach Kolchis auf dem Argo fuhr.
Da war der edle Greis mein Freund und Führer,
Ich horchte seiner weisen Lebenslehre,
Die ohne Eifer war, Kraft ohne Haß.
Ich weiß nun wohl, ein Volk zum Glück zu leiten,
Ich, Sohn des Zeus und Bruder Helenas,
Der nie mit Kastor blutsgemein gewesen.

Euphoras
Kastor ist tot, doch Helena gefährlich.

Pollux
Sprecht doch nicht so, erinnert euch vielmehr,
Daß nie, wäre nicht Helena gewesen,
Der Ruhm ganz Griechenland und seine Helden
Unsterblich hob mit seinen goldnen Schwingen.
Die starken Völker brauchen harte Proben,
Und jede Größe wächst erst aus Gefahr.

Ein Schweigen.

Sagt! Wißt ihr nicht, daß, wenn vor Trojas Toren
Der Abend auf das rote Blachfeld sank
Und Helena allein vorüberschritt,
Alle, die von dem Turm sie schauten, riefen:
»Was gilt uns Tod, was Krieg, der harte Sturz,
Der unsre Körper in die Erde reißt,
Was Schmerz der Wunden, da doch nie die Erde
Ein schönres Wunder schuf als diese Frau.«
So sprachen sie, so dachten die Besiegten
Von ihr, die schweigend ging und sie nicht hörte,
Und ihr, die Sieger, ihr beleidigt sie?

Niemand wagt mehr zu reden. Er fährt fort.

Allein ich will, was ihr gesagt, vergessen
Als eines Unmuts flüchtiges Bedenken.

Alle jubeln ihm zu.

Und nun ich weiß, ein einzig Wort genügte,
Um Frieden wieder zwischen uns zu stiften,
So sag ichs denn, daß Zeus – doch muß ichs sagen? –
Daß Zeus, mein Vater, mir das Los gekürt.
Er selbst ist es, der zu mir sagt: »Geh hin
Und herrsche weise über dieses Volk!« –
Ich miede gern die Last der Diademe,
Doch Zeus, der Herr und aller Dinge Zeuge,
Gebietet mir: »Beherrsche dieses Reich!«
Und da ich mich des Himmels Willen beuge,
Der mich zum König will – so beugt auch euch!

Alle jubeln ihm, zu.

 


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