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Der Wetterbeschwörer

»Sahst du, Knabe, jenen Hügel am öden Strande? Regellos hingeworfene Steine bilden ihn, und auf diesen ruht ein zerbrochener Anker. Ein böses Denkmal! Unter ihm schlummern die, welche ihr Lebensschiff nicht zu steuern verstanden, die, statt es in den Hafen ewiger Glückseligkeit und des Gottesfriedens zu lenken, es unrettbar stranden ließen am Felsen der Verdammnis. Hüte dich, Knabe, blick nicht so oft dorthin zurück! Es ist die verfluchte Stätte, der Richtplatz auf der öden Insel. Nachts, wenn die Wellen an dem Strande sich brechen, wenn Sturmwinde und der Mond aus zerrissenen Wolken niederschaut, da winden aus den Steinen sich Klagelaute los, da fassen Schattenarme aus der Tiefe, die an dem zerbrochenen Anker rücken und ihn nicht von der Stelle bringen. Es sind Arndt-Aldersons Arme. Schlage das Kreuz auf deiner Brust, Knabe, du hörst einen verruchten Namen! Er schlummert unter den Steinen. Wie lange hing sein Gebein, von den Winden gepeitscht, am Galgen, endlich begruben ihn mitleidige Schiffer, warfen die bemoosten Steine des Ufers auf sein Grab und legten den zerbrochenen Anker darüber hin, zum Zeichen, daß derjenige, der unten liege, weiter keine Hoffnung habe. O wie entsetzenvoll! Haben sie doch Hoffnung, alle die Toten, die da schlummern auf der weiten Erde, in dem tiefe Meere, und nur dieser eine Tote unter den Steinen auf der öden Insel soll keine Hoffnung haben? Er hat keine, Arndt-Alderson hat keine, denn er war der Wetterbeschwörer.«

Harry Willams, ein schwächlicher Knabe, bebte zusammen bei diesen Worten Giles Olfrieds, des Hochbootsmanns auf dem »Falken«, einem Nordlandfahrer, der auf den Walfischfang auszog. Giles Olfried wußte viele entsetzliche Geschichten, aber die vom »Wetterbeschwörer« war dennoch seine entsetzlichste. Er erzählte sie nur, wenn er guter Laune war, sonst mochte niemand ihn daran erinnern, denn er hatte Arndt-Alderson im Leben gekannt, und es schmerzte ihn, daß die Leute die vielen Steine und den zerbrochenen Anker auf sein Grab gelegt hatten. Jetzt, da man an dieser Stätte vorbeikam, da mußte er wohl die Geschichte erzählen, er mochte wollen oder nicht, jedermann wollte sie aus seinem Munde hören, und als er sie nun erzählt hatte, richtete er, er wußte selbst nicht warum, die letzten Worte an den armen Knaben, der bleich und winselnd in seiner Matte hing und beim Ende der Geschichte sich hoch und höher erhob, um mit weit aufgerissenen Augen nach der fernen Küste der öden Insel hinzustarren.

»Seht die Krabbe!« riefen einige der Matrosen, »wie sie aus ihrer Schale den Kopf emporstreckt! – Gebt ihr den Schiffsbesen zu kosten! – Willst du auch das Wetter beschwören, du Otter?«

Diese Scherze galten dem armen Knaben. Einer seiner Peiniger fuhr mit dem in Seewasser und Sand getauchten Besen über des Kleinen bleiches Antlitz, indes ein anderer die wenigen schmutzigen Hüllen abriß, unter denen der zitternde Körper lag. »Werft ihn ins Wasser, den Wurm!« schrien nun alle, »er ist doch zu nichts nütze, als den Zwieback und das süße Wasser zu verteuern, werft ihn ins Wasser!« Des Kindes Augen glühten, es hielt die dürren Arme über die Brust geschlagen und beobachtete so die Bewegungen seiner Feinde, ohne ein Wort über die bleichen Lippen zu bringen. »Seht nur die blasse Landkröte, wie sie verstockt ist! Ob sie wohl um ihr Leben bittet?« rief Andreas, ein rotköpfiger wilder Schiffsbursche, und indem er diese Worte ausstieß, riß er das arme Wesen aus der Matte und hielt es über den Abgrund der Wellen. »Jetzt beschwöre uns den Wind, mache, daß er von Süden nach Norden sich umschwenke, dann soll dir dein Leben geschenkt sein.«

»Ich kann nicht zaubern, ich kann es nicht!« wimmerte der Knabe, indem er sich fest an den Arm, der ihn über die Tiefe hielt, anklammerte, »erbarmt euch, laßt mir mein Leben!« Giles Olfried gebot, dem Scherze ein Ende zu machen. Kaum war der Knabe auf dem Deck, als er ohnmächtig zusammensank. Er wurde in seine Matte gelegt, und Giles deckte die wenigen Lumpen wieder über ihn, er tat noch mehr, er tauchte ein Stückchen Zwieback in Arrak und gab es ihm in den Mund, indem er vor sich hinmurmelte: »Ich habe daheim einen Knaben, Gott laß ihn nicht zu Spott und Hohn in der Fremde werden! Es tut wahrlich weh, allein dazustehen in der weiten Welt.«

Als Harry Willams in der Nacht von seiner Ohnmacht erwachte, hörte er die Wellen unter sich schäumen, über sich sah er den klaren Nachthimmel mit seinen Sternen. Das Schiff ging einsam seine Straße dahin. Von neuem kamen Giles Worte und das Grab am öden Strande in des Knaben Seele. »Armer Harry«, dachte er bei sich, »wenn du die Macht und Stärke Arndt-Aldersons hättest, wenn auf deine Stimme die Wellen, die jetzt unter dir rauschen, schwiegen, wenn du dem Winde gebieten könntest, daß er von Süd nach Nord umsetze – ach! – dann lägest du nicht hier verlassen und verspottet, vor Kälte und vor Hunger zitternd. Wie würden die Elenden, die Grausamen, die dir jetzt nicht einmal den ärmsten Winkel im Raume gönnen, die die Brocken schimmeligen Zwiebacks, welche dein tägliches Mahl ausmachen, lieber in die See werfen möchten, als daß durch sie ein Leben, das ihnen im Wege ist, gefristet werde, wie würden sie zu deinen Füßen auf jeden deiner Winke lauschen, wie wäre Gold und Silber nicht köstlich genug, um darin die herrlichsten Speisen für dich aufzutragen! Dann, dann läge ja an deiner Laune ihr Glück und ihr Leben! Oh, und sie sollten zittern! Wie würde da der arme Knabe blutige Rache nehmen! – Ja, zittern, zittern sollten sie!« Bei diesen Worten hatte er sich emporgerichtet, Fieberfrost schüttelte seine Glieder, fest klammerte er sich an das Seil der Matte, und indem er zum Himmel aufstarrte, flogen seine Haare im Nachtwinde. »Auch ich will reich und herrlich leben!« rief er, »auch ich will grausam und ohne Erbarmen sein! Ich kam arm und elend zu euch, ihr habt mich mit Füßen getreten, ich flehte euch an um Kleider, ihr nahmt mir noch die, die ich hatte! Wolltet ihr euern Kindern ein Fest bereiten, so peitschtet ihr mich, und wenn das Blut aus meinen Wunden eure Kleider netzte, so ward ich noch ärger geschlagen. Oh, ich will euch peitschen lassen, will auch grausam und ohne Erbarmen sein! Ja, ich will auch reich und herrlich leben! Juhe, Wind, fasse mir die Segel, bring mich an den Strand, wo Gold und Silber aufgehäuft liegt!

Dort will ich mir die Tasche füllen, will mir einen Rock machen lassen von Gold starrend, und die schönste Königstochter soll mein Weib werden, und ich will fünfzig Schiffe ausrüsten, gegen welche dieses eine elende Nußschale sein soll, und mit diesen fünfzig Schiffen will ich mir das schönste Königreich der Welt erobern, und dann wird der arme Harry auf dem Throne sitzen und eine goldene Krone tragen, und dann wird der arme Harry auch peitschen lassen, blutig peitschen lassen. Juhe!«

Hier sank Harry zusammen, verkroch sich klagend unter seine Lumpen und lag still da, um die Aufmerksamkeit seiner Peiniger nicht zu erregen, deren einige sich auf dem Deck sehen ließen. Ein paar dunkle Gestalten kamen heran, er erkannte die Stimmen, es waren der alte Giles Olfried und Bertram, der Untersteuermann. Sie waren im Streit miteinander, und Bertram rief: »Ihr seid ein alter Tor, Giles, daß Ihr hier auf dem Schiffe Eure Märchen erzählt, um den Leuten den Kopf zu verrücken. Was ist's denn nun mit Eurem Wetterbeschwörer? Gesteht, daß Ihr die Geschichte erfunden habt, um die müßigen Buben hier zu belustigen. Dergleichen aber paßt nicht für einen alten Graukopf, wie Ihr seid.«

»Freund Bertram«, entgegnete Giles, »bei diesem grauen Kopfe schwöre ich dir zu, daß ich die Wahrheit geredet habe. Ei, schickt nur an die norwegische Küste von Bergen aufwärts, fragt nach dem Königshafen und nach dem Fischer Peter Carlsson im Palaste zu den drei Kronen am Meere. Er bewahrt das Boot mit dem doppelten Boden, in welchem, verborgen in ein gelb und rot gewürfeltes Tüchlein, der kostbare eiserne Ring liegt, der, wenn Ihr ihn an den kleinen Finger Eurer rechten Hand steckt, Euch die Macht über Wind und Wellen gibt. Geht, schickt hin.«

»Daß ich ein Narr wäre«, antwortete lachend Bertram, »ein Fischer, der in einem Palast wohnt, schon das klingt sehr glaublich, und dann habe ich auch nie von einem Königshafen bei Bergen sprechen gehört.«

»Gut, Gevatter Bertram, gut – glaubt's, oder glaubt's nicht, mir soll's gleich sein. Freilich habe ich mich schon, als Ihr noch nicht auf der Welt waret, auf dem Dinge da«, er zeigte aufs Meer, »herumgetrieben und – Arndt-Alderson war mein Freund; jedoch glaubt's nicht, meinethalben!«

»Sei nicht böse, Vater Giles.«

»Böse?« rief der Alte, »nein, auf Euch bin ich nicht böse, wohl aber auf ihn, daß er nicht auf meine Warnungen und Bitten hörte. Jetzt ist's zu spät, nun haben sie ihn tief verscharrt und die vielen Steine und den zerbrochenen Anker auf sein Grab geworfen. Ach! Wenn das die arme Hannah wüßte! Aber ich habe nicht den Mut, es ihr zu sagen.«

»Wer ist die arme Hannah?«

»Was geht's Euch an? glaubt Ihr doch einmal nicht an meine Worte.«

»Alter, sage mir, wer Hannah ist!«

»Nun wohl, Hannah, die arme Hannah, ist Arndt-Aldersons Tochter, die einzige, die von den Seinigen noch übrig ist. Sein Weib starb vor Kummer, und seine zwei Söhne hat die See. Doch bei Gelegenheit von Arndts Weibe muß ich noch erzählen, was an ihrem Hochzeitstage sich ereignete. Ihr wißt – doch nein, Ihr wollt ja nichts wissen und an nichts glauben.«

»Vater Giles, du bist ein Starrkopf, und verdienst, daß man dich auch einst auf der Insel bei deinem Freunde begräbt.«

»Nun, nun, Ihr sollt's ja erfahren, Freund Bertram. Seht, Arndt war ein Norweger von Geburt, aber sein Weib suchte er an der Küste Altenglands. Den Tag hat mein altes Gedächtnis wohl aufbewahrt, ist mir doch, als wäre er erst gestern entschwunden. Die Küste lag vor uns, hell und goldig, wir beide, zwei kräftige Burschen, dienten zusammen auf der königlichen Brigg Cornelia. An dem Tage hatten wir gerade unsern Sold bekommen, und indes die andern Gesellen in einer wüsten Herberge schwärmten, trat ich in meinem Sonntagswams, mit der Binde der königlichen Marine geschmückt, in Adam Clingfords, des Pfarrers, Stube, um ihn zur Trauung abzuholen. Oh, über die unglückselige Lust und Freude, die jetzt in Folge dieser Trauung in Hannahs Wohnung laut wurde! Sie war Ursache, daß der arme Arndt-Alderson eine jener fürchterlichen Bedingungen vergaß, die ihm der Geist des Rings auferlegte.«

»Und welche war diese?« fragte Bertram, indem er jenen Anstrich von Spott und Unglauben aus seinem Antlitze und dem Ton seiner Stimme verbannte.

Giles fuhr beruhigter und vertrauensvoller in seiner Rede fort. »Die Gebote, die der Geist dem Geschenke seiner Macht beifügte, waren folgende. Drei Mondwechsel durfte eine Fahrt dauern, überschritt sie diese Zeit auch nur um wenige Stunden, so forderte das Meer ein Menschenopfer, es forderte es von dem, dessen Geboten es sich hatte knechtisch fügen müssen, und wehe, wenn es ihm versagt wurde. Das zweite Gebot war dieses: Nicht länger als drei Nächte darf ein Wetterbeschwörer auf dem Lande zubringen, in der vierten Mitternacht fordert ihn in fürchterlicher Gestalt der Geist des Rings zum Kampf auf Leben und Tod heraus. Selten rettet der arme Sterbliche das erstere, nur zu gewiß ist ihm das zweite. Arndt-Alderson unterlag im Kampfe nicht, doch hatten seitdem die bösen Mächte ihn sichtbarlich gezeichnet. Er war ausgestoßen aus dem Kreise fröhlicher Menschen, finstere Gespenster verfolgten ihn, sein Antlitz und Wesen waren furchtbar verändert. Bald darauf trieb ihn sein Gewissen, seine Schandtaten und sein böses Werk zu bekennen, und ein schnell zusammenberufenes Gericht erkannte über ihn den Tod durch Henkers Hand, der auch an ihm vollstreckt wurde am Strande jener öden Insel. Den unglückseligen Ring hatte er wenige Monde vorher an dem Ort verborgen, von dem ich Euch schon gesprochen habe. Dort lauert der böse Geist auf seinen neuen Herrn, bis die Jahre seiner Dienstzeit vorüber sind und der Talisman seine Kraft auf immer verliert.«

Dieses waren des alten Giles' Worte, mit denen er ein Gespräch abbrach, das ihm nah ans Herz ging und das er geendet wissen wollte; denn wohl sah er Bertrams Mienen an, wie sie sich nur mit Gewalt des gewohnten Spottes enthielten. Dem Knaben Harry entging keine Laut, keine Bewegung des Erzählers. Horchend saß er auf dem Lager und starrte in die Dunkelheit hinaus und schien mit weit offenen Lippen die Nachtluft gierig einzuschlürfen, die auf ihrem Fittich jene geheimnisvollen, denkwürdigen, tiefeindringenden Schicksalsworte in seine Seele trug. Ja, es war beschlossen, sein Knabenherz erzitterte, aber es war beschlossen. Im Geiste sah er sich schon an Norwegens Küste vor dem Palast des seltsamen Fischers. Was galt ihm der weite, beschwerliche Weg! Er mußte hin, um sein Eigentum, den köstlichen Ring, zu holen, der in seiner Hülle von gelb und rot gewürfeltem Seidentuche seiner harrte. Er bog sich aus seiner Matte heraus und in die schwarzen, schäumenden Wellen unten schauend, rief er: »Wie teuer deine Schätze, altes Meer?« Er tauchte die Hand nieder, er machte, als zöge er schwere Beute damit herauf: »Ha, deine Perlen, deine Korallen, wie du sie mir knechtisch ablieferst! Noch mehr, und immer mehr! Genug! Ich bin nicht unersättlich, ich will nur auch einmal reich und glücklich sein, und ihr Sklaven, fort mit den Schätzen in meine Paläste, dort schüttet sie aus vor eurer schönen Königin! Fort, was zaudert ihr?«

Der Wind schüttelte das Tauwerk, die Wellen brausten, auf dem Schiffe ward es stille. Der arme Harry war in Schlaf gesunken, und Fieberträume bewegten seine Seele. Jetzt war es ihm, als segle das Schiff wiederum am öden Inselstrande vorüber, die bleichen Steine leuchteten weit im Mondenglanz, und auf ihnen hochaufgerichtet stand Arndt-Aldersons Gestalt. In seiner dürren, erhobenen Rechten blinkte etwas, es war der Ring. Harry wollte ihn fassen, er bog sich weiter und immer weiter hinüber, bis plötzlich eine schwarze Woge, aus der Tiefe auftauchend, seinen Leib umfaßte und ihn hinabzog. Als er erwachte, stand der alte Giles Olfried bei ihm und hüllte ihn gegen die kalte Morgenluft in seinen Mantel.

Mehrere Wochen vergingen, da kehrte das Schiff mit reicher Beute zurück, der Fang war diesmal gut ausgefallen. »Der Falke«, wie Bertram zu sagen pflegte, »hat aufs neue seine Fänge in des alten Wasserdespoten Seite geschlagen und ihm die Meerkrone entrissen. Der Falke ist ein tüchtiger Segler, der seine Ehre zu bewahren weiß.«

*

Am Feste des Fischzugs Petri versammelte sich in Bergen die Fischergilde und hielt Tanz und Schmaus. Die kleine Gaststube war angefüllt mit derben Gestalten, die sich die Gevatter und Kollegen des heiligen Petrus nannten, dabei aber ein gar nicht apostolisches Ansehen hatten. In ihren schwarzbraunen Gesichtern waren in tiefen Furchen die Mühseligkeiten und Gefahren weiter Reisen verzeichnet. Manche dieser Physiognomien konnten, wer sie zu lesen verstand, für treffliche Schiffstagebücher gelten, andern sah man an, daß sie noch nicht Seewasser geschluckt und sich noch nicht um einen Rest verschimmelten Zwiebacks blutig geschlagen hatten. Doch dieser jungfräulichen Gesichter waren nur wenige in der Gaststube, sie waren mehr im Nebenzimmer zu finden, wo ein paar lustige Fiedeln zum Tanz aufspielten und der kräftige Schlag norwegischer Dirnen sich in ungeregelten Sprüngen tummelte. Was für Lügen erzählten sich die Nachfolger des ehrwürdigen Apostels! Wie lustig schwärmte die Pöbelphantasie auf den dicken Tabakswolken der kleinen Gaststube! Welche tollen Sprünge machte der nautische Harlekin, der um vieles lebendiger ist als der schläfrige Held unsers komischen Theaters! Denn dieser macht auf sicherer Erde seine Possen, jener auf dem beweglichen Schiffe in wahnsinniger Tollheit, stets die Gefahr und den Tod im Angesicht. In der Tat, es ist schade um die vielen guten Geschichten, die am heutigen Abend in der Gaststube zu Bergen verlorengehen, weil der Tabaksqualm, das starke Bier und das unendliche Geschrei sie verschlingen, ehe sie noch das Ohr eines Hörers erreichen. Welch wüster Lärm! Es ist zu arg, hört, wie sie rufen: »Das Steuer gewandt, die Segel gehißt, den Fockmast gekappt!« Die Trunkenbolde! Sie bilden sich ein, im Schiffe zu sitzen. Die kleinen Fenster der Gaststube werden aufgerissen und ein Dutzend rote, aufgedunsene Fratzen legen sich hinaus. »He, die Boote ausgesetzt, das Wasser steigt schon bis ans Deck!«

»Zum Henker, ihr Narren!« brüllt der dicke Wirt, »wollt ihr mit meinem ehrlichen Hause in See stechen?«

»Blut und Tod! Seht ihr die dicke Robbe da ums Schiff schwimmen? Schnell! Gebt ihr das krumme Eisen zu schmecken, legt sie trocken aufs Deck!« Und in dem Augenblicke fliegen Stöcke und Tischbeine nach dem unglücklichen Wirte, der, schnell auf die Seite springend, tausendmal den Einfall verwünscht, den Gevattern des heiligen Petrus sein Haus geöffnet zu haben, die damit in See stechen wollen.

Die Tänzer haben aufgehört, die Fiedel schweigt und die norwegischen Dirnen ergehen sich vor dem Hause, ohne Zweifel, um sich nach den Erhitzungen eines so leidenschaftlichen Abends zu erholen. Doch sie finden wenig Zeit hierzu, die jungen Burschen folgen ihnen nach, und indes die alten Polterer mit dem Hause lustig davonsegeln, zeigt sich hier manches kecke Korsarenschiff und macht reiche Beute. Man muß den armen Knaben den Scherz lassen, ihre strenge Herrin, die See, läßt ihre murrenden, dumpfen Befehle schon aus der Ferne hören. Die Wange, die jetzt noch unter Küssen glüht, in wenigen Tagen vielleicht bleicht sie im Meeresgrunde, unter wüstem Geröll und den Ungeheuern der gräßlichsten Öde begraben, und der Hut der Armen treibt an die Küste, noch geziert mit dem verwelkten Blumenstrauß, den die Hand der Liebe an diesem Abend ihm ansteckte. – Elendes Los eines Matrosen!

Doch wer ist der feine, schlanke Bube, der abwärts steht, allein, ohne Mädchen, ohne Genossen? Ein fremder Schiffer wohl, der als Gast hier eingesprochen und den man im lustigen Taumel vergessen hat. Er wirft jetzt den leichten Bündel auf die Schulter, bezahlt seinen Platz am Tisch, nimmt den Wanderstab in die Hand und tritt auf einen graubärtigen Veteranen zu, der verdrießlich an seinem Pfeifenstummel nagt.

»Gevattersmann, ich möchte Euch um etwas Bescheid fragen. – Wie weit ist's bis zum Königshafen?«

»Wohinaus soll's liegen?«

»An der Küste, wenige Meilen von hier aufwärts –«

»Hier aufwärts? – hum, putzt Euch die Kajüte, Freund, ich will verdammt sein, wenn ich jemals von einem Königshafen gehört habe.«

»So wißt ihr vielleicht, wo der Schiffer Peter Carlsson wohnt?«

»Carlsson? Peter? Zum Henker! Soll ich jeden Lump im Lande kennen?«

»So habt Ihr nie von dem Palast zu den drei Kronen gehört?«

»Palast? Wollt Ihr mich narren? Macht, daß Ihr fortkommt, oder ich schlage Euch das Deck ein!« Mit diesen Worten drehte sich der Veteran zur Seite und käute an seinem Stummel weiter. Der Wanderer blieb stumm und mit verzweifelnder Miene vor dem Tische stehen, er sah sich die Gesellschaft an, die daran Platz genommen hatte, ihr Anblick gab wenig Hoffnung. Dennoch faßte er Mut und wiederholte seine Fragen, doch die Antworten fielen wenig besser aus als die des Alten; niemand wußte etwas vom Königshafen. Nach einer Weile, als er sich zum Fortgehen anschickte, fühlte er sich am Arm festgehalten. Ein hinkender, einäugiger Spielmann war von seinem Gerüste herabgeklettert und zog den Jüngling beiseite, indem er mit geheimnisvoller Miene zischelte:

»Petermännchen, du willst wissen, wo der Königshafen ist? Gut, gib mir Tabak für meine Pfeife, daß sie dampfend das Dorf dort erreicht, und ich will dir, während wir so gemächlich hinabschlendern, erzählen, was du wissen willst.« Der Jüngling ging in den Vorschlag ein, der Geiger packte sofort seine Fiedel unter den Arm, und sie wanderten beide in die Dunkelheit hinaus.

Die Nacht ist still, der wüste Lärm tönt nicht mehr herüber, der kleine, bucklichte Musiker läßt sich das Recht eines Beschützers nicht nehmen, seinen Beschützten etwas auszuforschen, und obgleich dieser, was den Zweck seiner Reise betrifft, ziemlich geheimnisvoll tut, so erfährt er doch seinen Namen, Harry Willams, sein Alter, fünfundzwanzig Jahr, und sein Geschäft, ein Handel mit dem Schiffer Peter Carlsson. Das ist fürs erste genug; Jarl, der Dorfgeiger, ist ein Schlaukopf, er weiß, daß Peter Carlsson eine hübsche Tochter hat, daß diese einst drei guterhaltene Boote und ein ziemliches Grundstück ererbt. Nichts ist gewisser, als daß der leichtfertige Bursche von diesen hübschen Dingen in der Fremde gehört hat und daß er nun kommt, um die drei Boote so bald als möglich zu verschleudern, das Geld durch die Gurgel zu jagen, das Grundstück in die Luft zu sprengen und zuletzt das hübsche Weib mit zwölf elenden, armseligen Kindern ins Hospital zu fördern. Ja, man weiß, wie solche Burschen es treiben. Doch immerhin, der Dorfgeiger will niemandem seinen Tanz verderben, er spielt zu jeder Weise auf, so drückte er auch zu Harrys mutmaßlichen leichtsinnigen Plänen noch das eine Auge zu, das ihm noch übriggeblieben, und sagte mit schlauem Lächeln:

»Ich verstehe dich, mein Sohn, du willst mit Peter Carlsson Geschäfte machen – o ich verstehe! Doch wer, zum Henker, hat dir den Namen Königshafen auf die Zunge gebracht? Hier im Dorfe bin ich vielleicht der einzige, der da weiß, daß die paar Schritte am Ufer des kleinen Landsees, an dem Carlssons Haus liegt, diesen Namen führen. Die Leute sagen, der See habe vor alten Zeiten mit dem Meere zusammengehangen, und damals sei dort ein berühmter, mächtiger Hafen gewesen, in welchen der König Erich sich einst vor seinen Verfolgern gerettet, darum der Königshafen. Doch, Sohn, du mußt schon noch einigen Tabak zulegen, denn noch haben wir unser verwünschtes Dorf nicht erreicht. Ha, ich wollte, König Erich legte noch mit seinen Schiffen hier an, und ich dürfte ihm einmal aufspielen zum Tanz auf meiner Geige. Wie wollte ich geigen! Aber deine Geschäfte, Freiersmann – gut! Ich will mit dir gehen, sonst würdest du den Palast zu den drei Kronen nimmermehr finden.«

Harry und sein Führer langten, nachdem sie die Nacht in der Hütte des Spielmanns ausgeruht, am anderen Tage in einem Dorfe an, das aus wenigen elenden Hütten bestand, die an dem beschilften Ufer eines Sees lagen. Die aufgehende Sonne warf eben ihre ersten Strahlen auf die Strohdächer. Der Ort hatte etwas Stilles, Friedliches, Geheimnisvolles. Harry konnte sich eines Schauers nicht erwehren, wenn er an den mächtigen Schatz dachte, der hier verlassen in einem Winkel der Welt schlummerte, während er dazu geschaffen war, die Welt zu beherrschen. Diese Träumereien beschäftigten noch seinen Geist, als die Töne eines hellen Morgenliedes ihn schnell zu sich selbst brachten. Eine Fischerin fuhr in ihrem Kahne vorüber, die Lichter des Morgens spielten auf ihrem blonden Haar und glänzten vom schönen Augenpaar wider, das Wasser nahm mit Vergnügen ihr Bild auf und schien nur unwillig, da es dasselbe wieder zurückgeben mußte. Dafür sogen die Lüfte von den frischen Lippen die süßen Töne und gaben sie nicht wieder, sondern entführten sie in den nahen Wald, aus dessen Schatten der junge Harry und der sehr ehrwürdige Geiger eben hervortraten. »O Glückskind von einem Freier!« schrie Jarl, »da muß dir nun, gerade da du den ersten Schritt zum Königshafen tust, die schöne Lore entgegengefahren kommen, und zwar in dem kostbaren Boote sitzend, das einmal niemand anders als sie erben wird. Verteufelt richtig gesteuert, sag ich.« Harry vernahm von diesen Worten nur die letzten, die aufs Boot gingen. Das Mädchen landete und grüßte den Spielmann, unterdessen betrachtete Harry das Boot.

»Vetter!« rief Jarl bei sich, »hab ich's nicht gesagt? Der läßt sich keinen faulen Apfel in die Hand drücken, der untersucht und prüft. Ja, untersuche nur, es hat seine Richtigkeit, das Holz derb und tüchtig, neu gefügt, die Farbe frisch und dauerhaft, das beste Boot im Dorfe! Was sag ich – im Königreich!«

Doch das war gerade das, was Harrys Mut niederschlug. In dem neuen, zierlichen Dinge konnte der kostbare Schatz nicht liegen, oder lag er einst darin und war bei der Ausbesserung in fremde Hände gefallen? Armer Harry, wo wären da deine herrlichen Pläne! So hättest du umsonst die weite Reise gemacht! Er blickte bekümmert auf, da sieht er die schönen Augen des Mädchens, und er weiß selbst nicht warum, er hofft von neuem, er fühlt Mut und Entschlossenheit. Nun sucht er den Palast zu den drei Kronen, aber er sieht nur ärmliche Fischerhütten. Der alte Giles hat wohl seinen Scherz getrieben, und Bertram hatte recht, ihn zu verspotten, wo käme hierher ein Palast?

»Das ist das Haus meines Vaters!« ruft die schöne Lore jetzt, und zeigt auf eine der Hütten, die von Bäumen halb versteckt an einer klaren, dunkeln Bucht des Sees liegt. Jarl, der froh ist, seine Gelehrsamkeit zu zeigen, setzt eilig hinzu:

»Du siehst, mein Sohn, die Trümmer, die nahe dabei waldeinwärts liegen? Einst stand hier ein mächtiges Königsschloß, in dem die drei Gegenkönige Erichs zusammen gehaust haben sollen. – Oh, es war eine böse Zeit, gewiß; dennoch wette ich, die Leute hätten sich nicht untereinander gemordet und beraubt, wenn sie Meister Jarls Geige hätten hören können. Jetzt geht es in dem Palast zu den drei Kronen friedlich genug zu.«

Schon eine Woche wohnte Harry bei dem Fischer Carlsson, der ihn gastfreundlich aufgenommen, und noch hatte er nicht den Mut gehabt, von Giles Olfried und dem geheimnisvollen Schatz Arndt-Aldersons zu sprechen. Der Fischer hätte ja den Wunderring für sich in Anspruch nehmen können. Er untersuchte heimlich die Boote vor dem Hause, doch unter den dreien, die Carlssons Freude ausmachten, konnte das mit dem doppelten Boden nicht sein, und ein viertes besaß der Fischer nicht. Aufs neue war's um Harrys Mut getan. – Eines Abends ging er mit der schönen Lore in den Wald, aus seinen Gedanken war das unglückliche Boot schon fast verschwunden, er dachte glücklich zu sein auch ohne den Ring des Wetterbeschwörers, denn er liebte das hübsche Mädchen, das lächelnd an seinem Arme hing und sich ihm zärtlich anschmiegte.

»Laß uns umkehren«, flüsterte sie ihm plötzlich zu, »hier an diesem Platze ist's nicht geheuer. Siehst du, wie der falbe Mondglanz dort in dem schwarzen Wasser sich spiegelt, hörst du, wie schaurig es im Schilfgrase seufzt? Dort, das schwarze Holz, das aus dem Sumpfe emporragt, das ist der alte Zaubernachen! In jeder Neujahrsmitternacht wird er flott, unsichtbare Geisterhände steuern ihn, und er macht seine Fahrt um den See, der dann in wilden Wogen schäumt. Komm, laß uns fort von hier!«

Harry ward aufmerksam: »Wem gehört das alte Boot?«

»Der Großvater hat es in seiner Jugend gebaut, der Großvater hatte einen Bund mit dem Teufel gemacht, sagen die Leute, und der Teufel – aber sieh, sieh – wie der alte Kahn schwankt! Es ragt was darin, es zittert ein weißes Licht!« Sie riß sich los und floh wie ein gescheuchtes Reh dem Ausgange des Waldes zu. Der Jüngling blieb stehen und sah ihr nach, dann richtete er seinen Blick auf das Boot, und auch ihn befiel ein Grausen. Er wagte es nicht einmal, näherzugehen, nur von Ferne sah er den morschen Kiel ragen, hörte, wie die Wellen an die lecken Seiten schlugen und gleich menschlichen Stimmen im Schiff es flüstern.

Als er heimging, wiederholte er sich Lorens Worte: ›Mein Großvater hatte einen Bund mit dem Teufel gemacht!‹ – Dieser Teufel war Arndt-Alderson, o gewiß! Sein Ring liegt in dem unheimlichen Nachen. Wer hätte es wohl gewagt, ihn vor dort zu rauben? Der Schatz ist noch da, aber Harry, bedarfst du denn seiner? Bedenk' es wohl, ein Bund mit dem Teufel! Mache lieber einen Bund mit einem Engel, mit dem kleinen Fischermädchen, das dir ehrlich gut ist: laß dir ihren Ring an die Finger stecken, er wird dich zwar nicht vor allen Stürmen der Lebensreise bewahren, doch er sichert dir einst einen ruhigen Hafen, eine friedliche Sterbestunde, eine ehrliche Grabstätte. Es ist so entsetzlich, das ehrlose Grab auf den öden Inseln, das Grab mit dem Steinhaufen und dem zerbrochenen Anker! – Ja, du willst die kleine Lore heiraten, und Meister Jarl soll für dich um sie werben.

»Hab ich's nicht gesagt?« ruft der kleine, bucklichte, einäugige Geiger, als am nächsten Sonntage der Jüngling seinen Wunsch ihm vorträgt. »Schlaukopf, wie er sichergeht! Einen Monat hat er sich Zeit genommen, um die drei köstlichen Boote und das Grundstück zu prüfen! Nun, an mir soll es nicht fehlen. Ich brauche nicht zu fragen, was ihr dagegenbietet; denn wer die reiche Fischerstochter heimführen will, muß etwas mehr haben als ein zerrissenes Wams und einen alten Wanderstab. Versteht Ihr? Mich geht's nichts an, ich stimme meine Geige zum Hochzeitstanze, tanzet Ihr nachher nicht, so ist's nicht meine Schuld.«

Auf dem Wege zu dem Fischer murmelt er: »Pfui um den lockern Burschen! Ich sehe schon Peter Carlssons spitziges Haupt sich bedenklich schütteln. Was sind das für faule Fische, Freund Jarl, mit denen Ihr da handelt? Meint Ihr, ich werde meine Dirne dem hergelaufenen fremden Bettler geben? Wenn Ihr es noch wäret, Jarl, der Ihr eine treffliche, gutgestimmte Geige mit in die Wirtschaft bringt!«

Während dieser Betrachtungen des Meisters stand Harry in der Kirche. Es war ihm ums Herz wie einem Geretteten. Er hatte seine Armut, sein Elend vergessen, er hatte vergessen, wie er sich an der bösen, grausamen Welt rächen, wie er unermeßliche Schätze sammeln und sich zum Herrn des Meeres machen wollte. Nur Lore, die kleine Hütte, der nahe See, dieses sollte sein Eigentum sein. Er dankte eben dem Himmel für seine Rettung, als – der Teufel ihn mit seiner Kralle packte. Doch nein, es war nur die mißgestalte Hand des kleinen Dorfministrels, der ihm die abschlägige Antwort des alten Fischers brachte. »Ihr seid noch jung, geht, erwerbt Euch Schätze und kommt dann nach zehn Jahren wieder.«

»Schätze erwerben!« stöhnte der arme Jüngling, »also nur um diesen Kaufpreis winkt mir Glück, Liebe und Segen? Wohlan, so will ich auch nicht länger feige und zaghaft säumen – hin zum Walde, zum alten Kahne!«

Er flog aus der Kirche, die bösen Geister hatten in seinem Herzen ihre Stätte gewählt. Jarl hinkte ihm nach, um ihm Trost einzusprechen, allein er konnte den Forteilenden nicht mehr erreichen.

In der Fischerhütte Carlssons war es stille, die einsame Lampe brannte, draußen warf der Sturm die Zweige ans Fenster, der See rauschte, als hielte der gespenstische Kahn wieder seine Umfahrt. Rings um den See brannten die kleinen Lichtsterne aus den Hütten, niemand getraute sich hinaus. Lore stand am Fenster, sie öffnete es, der Wind faßte ihre blonden Locken, er strich an ihre heiße Wange, er lüftete das Tuch an ihrem bebenden Busen. »Horch! Waren das nicht seine Schritte um die Ecke herum? Wo bleibt er? Drei Tage sind es, daß ich ihn nicht gesehen, und jetzt ist's schon Mitternacht! Wo bleibt er? Horch, wieder Schritte – ja, ja, trotz des wilden Rauschens des Sees erkenne ich seinen eiligen Gang. Aber Himmel! Er geht dem Haus vorüber, er biegt in den Wald ein! Seine Schritte verhallen – jetzt höre ich sie nicht mehr!« Sie setzte sich in der Hütte auf ihren Platz, schloß das Antlitz in die Hände und weinte. Der Sturm wütete, immer heftiger rauschte der See, es war eine grausige Nacht. Endlich hob sich der Mond am Nachthimmel langsam und mit zitterndem Lichte über die schwarzen, wilden Massen, blasse Scheine flatterten über den See und tanzten auf den Wellen.

Harry arbeitet im Walde, er steht halbbekleidet im hohen Schilfe und strebt, soviel seine Kräfte vermögen, den tief eingesunkenen Nachen hervorzuziehen. Umsonst, der schlammige Grund weicht den Schritten, immer tiefer verschwindet der Schatz in den schwarzen Wellen; wie im Hohn rauscht es im Schilfe, wie ein fernes Gelächter tönt es im Walde. Immerhin, den Ring muß er haben! Da packt er noch einmal mit nervigen Armen den halbversunkenen Kiel – siehe, wie das schwarze Gewässer sich kräuselt, es sammelt sich wie ein Nebel, jetzt hebt sich ein weißes Haupt aus den Wellen, der Stern der glanzlosen Augen ist auf den Jüngling gerichtet.

»Arndt-Alderson!« schreit dieser, und kaum ist der Laut verklungen, so steigt der alte Nachen von selbst aus der Tiefe und schwankt auf dem Wasser. Harry springt hinein, das scharfe Beil blinkt im falben Mondlicht, und dumpf fallen die morschen Bretter zusammen. Es zeigt sich auf dem Grund ein dunkler Ballen, gierig greift die Hand danach, doch in dem Augenblick tönt eine Stimme durch die Nacht. Es ist der Ruf der armen Lore, die den Geliebten sucht. Harry hört die ängstlich bittenden, schmerzlichen Töne, und er schleudert den nassen Ballen wieder in die Tiefe, daß hoch auf der Gischt herumspritzt. Da spricht hörbar eine Stimme aus dem Schiffe zu ihm: »Ja, kehre nur zurück zu Armut, Elend, Hohn und Verachtung, feiger Tor! Die Peitsche ist geschwungen, dich zu empfangen, das Schwert geschliffen, dein Herz zu durchbohren!«

Von neuem hält die Hand den Schatz umspannt, mit krampfhafter Gier umspannt, die verfaulten Hüllen fallen ab, und aus der letzten, dem seidnen Tüchelchen, windet sich der mächtige Talisman fast eigenmächtig los. Mit einem raschen Druck ist der einfache eiserne Reif am Finger seines neuen Gebieters, und dieser springt aus dem Nachen, umfängt das liebende Mädchen, das vor Furcht und Entsetzen in das Gras niedergesunken ist, und preßt sie ans Herz, indem er mit bewegter Stimme ruft: »Du bist jetzt mein! Die Schätze, die dein Vater verlangt, sie sollen bald gefunden sein! O sieh mich an! Ich bin der König der Welt!«

Er steht hoch aufgerichtet am Ufer, seine Blicke glänzen in wahnsinnigem Stolze, die ausgestreckte Rechte scheint dem Sturm und den Wellen zu gebieten, und horch, o horch! Welch süßes Blättergesäusel, welch heimlich liebliches Schlummerlied, das dem bösen Kinde, dem Sturm, von den Nymphen des Tales gesungen wird! »Hörst du die Töne, Lore? Die Welle schweigt, um zu horchen, die alten Stämme des Waldes stehen von Melodie bezwungen, die tausend wilden Arme, mit denen sie dem Sturm entgegenkämpften, sind gebunden, die zerrissenen Wolken oben schwimmen weich ineinander, und auf ihr sanftes Lager legt der Mond sein träumerisch Haupt. Ruhe, Ruhe weht durch die ewigen Räume, oh, wie ist diese Ruhe so schön! Kann der mächtige Geist, der so Liebliches hervorruft, ein böser sein? Kann er ins Verderben locken? Ach, nein! Ich schwöre es, seine Kräfte will ich nur anwenden, um Gutes zu schaffen!«

Noch einmal säuselte es im nahen Schilfe wie ein leises Hohngelächter, dann lagerte sich die tiefste Stille über Wald und Flur.


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