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Die rote Perle

In einer sehr unruhigen Zeit lebte ein sehr ruhiger Mann. Wer in jener Periode, kurz vor dem Friedensschlusse des siebenjährigen Kriegs, wo die Welt noch von hartnäckigen Händeln träumte, wo die Gerüchte von Siegen und Niederlagen unruhig umherschwärmten, wer damals in Hamburg auf dem Platze des bekannten Jungfernstieges sich befand, dem fiel es auf, dort einen Mann von mittlerer Größe, in einen kaffeebraunen Oberrock gekleidet, mit einer anständig gekräuselten Stutzerperücke versehen, den Stock in der Hand, so ruhig auf und ab schreiten zu sehen, als sei der tiefste Friede im Lande. Dieser ruhige Mann war mein Großoheim, in seinem Hause lebte ich, er hatte mich lieb und zog mich in seine stille Weise hinein, so daß auch ich zuzeiten nachdenklich und doch an nichts denkend auf und ab schritt, gleichfalls mit dem Stock in der Hand und mit einem kaffeebraunen Rock bekleidet, so wie er. Aber das bedeutsame, kluge, blasse Antlitz, das stille, unergründliche Lächeln, das öfters über die Züge des Großoheims glitt, das, so bekannt und vertraut es mir auch war, konnte ich nicht nachahmen, und doch war es gerade dieses, was ich mir so gerne angeeignet hätte; denn in ihm bestand die wundersame Liebenswürdigkeit des Alten, womit er die Herzen seiner Umgebung bezauberte und die von uns Knaben die »Märchenmiene« des Oheims genannt wurde. In der Tat kam sie auch nur zum Vorschein, wenn ein Märchen erzählt werden sollte. Die guten Hamburger, die in der Welt, in den Kriegshändeln und in den Bilanzen der Börse lebten, fanden den »guten Braunen«, wie sie ihn nannten, herzlich langweilig. Sie wußten von ihm zu erzählen, daß er einmal eine unglückliche Fahrt gemacht, dabei Schiffbruch gelitten, sein Vermögen größtenteils eingebüßt habe und darauf ein untätiger Träumer geworden sei. Sie hätten auch noch hinzusetzen können, daß er einmal Bräutigam gewesen, seine Braut ihn aber verlassen habe. Mochten sie doch berichten, was sie wollten, der gute Oheim war auch kein historischer Charakter, einer von jenen, die sich praktisch breit und weit ausgebildet haben, die der Wind gehärtet, die Sonne gebräunt, die Wellen herumgestoßen und die unendliche Erbärmlichkeit der Menschen klug gemacht haben. Er lebte vielmehr in einer innern schüchternen Weichlichkeit, in einer Unerfahrenheit, trotz aller Erfahrungen, er war ein innerlicher Poet, es wußte aber niemand darum, er selbst nicht, denn nie war es ihm in den Sinn gekommen, nach außenhin in Wort oder Schrift sich als einen solchen zu zeigen. Doch unbewußt blühte die geheimnisvolle Welt in seinem Innern und trennte ihn bei zunehmendem Alter immer mehr von der äußeren ab.

In dieser Welt des Großoheims mochte es nun aber wunderlich genug aussehen, bisweilen, wenn die Türe angelehnt blieb, tat ich einen Blick hinein und sah dann wohl, wie sich gleichsam im hellen Schimmer köstliche Gestalten bewegten, mit fremden Mienen umschauend. Merkte der Alte, daß ich ihm etwas der Art abgelauscht hatte, so war er am Tage darauf desto trockener und stiller, schaute so alltäglich und mit so mattem Blicke um sich, der braune Rock nahm ein altkluges, spießbürgerliches Wesen an, die Tabakdose schnalzte besonders abgeschmackt, und das stille, geheimnisvolle Lächeln blieb auf lange aus dem Gesichte verbannt.

In solchen Zeiten drang er dann eifrig darauf, daß ich die Handlung erlerne, sprach unermüdlich von Gewichten und Zahlen, schlug mit mir Karten und Bücher auf und schnarrte mit rauher Stimme unzählige Namen her von Meeren, Ländern und Städten. Ich lernte dann aus Verzweiflung in der Tat tüchtig und eifrig und belud mein Gedächtnis recht schwer mit dem gelehrten Gepäcke, damit nur das Wesen bald ein Ende habe. Zu meinem Troste hielt es auch der Oheim selbst nicht lange aus, sein Herz brach gleichsam unter dem Gewichte der Ballen chinesischen Tees, ostindischer Gewürze, und er sagte dann plötzlich in seinem gewohnten Tone: »Dort aber, Wilhelm, in dem südlichen Meere liegt eine Insel, Palmen wehen im Hauch der Lüfte um ihren Scheitel. Dort war es, wo wir, vom Schiffbruch gerettet, landeten, dort – doch ich erzähle dir wohl nächstens mehr hiervon.« Auf diese Weise pflegte der Oheim immer kurz abzubrechen, er erzählte nie, was ihm denn eigentlich auf jener Insel im südlichen Meere unter den Palmen begegnet sei. Gewiß war es eine Geschichte, und wir hätten sie so gerne gehört.

Indessen gingen die Jahre dahin, ich trat aus dem Knabenalter heraus und machte gewaltige Schritte ins Leben hinein, während der gute Oheim stiller und blasser wurde und deutlich Miene machte, sich leise aus dem Leben hinauszustehlen. Keiner konnte es bei sich verbergen, daß nun bald geschieden sein müsse. Ich machte schon kleine Reisen, blieb aber nach wie vor in dem Hause des Alten, ich war sein Bibliothekar, sein Vorleser, sein Haushofmeister, ja sein Küchenjunge, denn eines der Ämter, das ich, und nur ich allein, zu versehen hatte, war, wenn der Oheim eine Schüssel mit Austern erhielt, die Schalen zu öffnen und sie ihm dann zu bringen. Er genoß gern Austern, liebte auch dazu ein besonders gutes Glas Wein; doch auch diesen Genuß wußte er mit einer besonderen Poesie zu umkleiden. Wem ist ein breitmauliger, schnalzender, aus feister Kehle ächzender Austernesser nicht ein widriger Anblick? Man sieht in ihm nur die mühsam käuende Maschine, die auf- und zuklappend ihr ekelhaftes Wesen treibt und keine Ahnung hat von dem geheimnisvollen Etwas, das in der Zusammenstellung einer Schüssel mit Austern und einem Glase echten Rheinweins verborgen liegt. Wie ganz anders war es mit meinem Oheim beschaffen! Er war ein Austernesser, gleichwie auf niederländischen Gemälden man Leute findet, die in zierlicher Sonntagstracht, das in hellen Lichtern spielende Glas Wein mit zwei Fingern der in einer Spitzenkrause steckenden Hand anfassend, auf einem silbernen, altmodischen reichen Teller die geöffneten Schalen vor sich habend, erst den Duft des Weines in sich saugen, dann den frischen Meereshauch der prächtigen, aus ihren glänzenden Perlenmutterschalen hervorquellenden Seefrüchte einziehen, abwechselnd die ganze Süßigkeit der Erdgeister im Weine, der Meergeister aus der Auster in sich aufnehmen und auf diese Weise das Bild eines Genusses geben, wo jede Taste des feineren Geschmacksinns angeschlagen wird und im melodischen Nachhall das ganze Innere durchströmt. Ein solcher Austernesser wie mein Oheim einer war, kann auch von zarter Gestalt, von den zartesten Gefühlen sein. Doch auch hier, wie bei allem, was der Alte tat, herrschte etwas Seltsames vor, und dieses tat sich in der Frage kund, die er nie versäumte, an mich zu richten, wenn ich ihm die Schüssel mit den geöffneten Austern brachte: »Hast du nichts gefunden, Wilhelm?« Er begleitete diese Worte mit einem forschenden, ängstlichen Blicke, er wartete gespannt auf meine Antwort, und erst als diese mit der Versicherung »ich habe nichts gefunden, lieber Oheim«, erfolgte, ging er zu seiner frühern unbefangenen Laune über.

Einst, besinne ich mich, wo sich der Oheim bedenklich krank fühlte, wiederholte er ein paarmal die obige Frage besonders angelegentlich. Auf meine Verneinung rief er: »Du hast doch die Schalen selbst geöffnet, mein Sohn?« – »Gewiß«, entgegnete ich, »es ist mein Geschäft, das ich mir von niemandem werde nehmen lassen.« Er sah mich an, sein Auge glänzte, er fuhr ein paarmal liebkosend an meiner Wange hin und sagte dann: »Nun, es ist ja gut, die Krankheit wird mich verlassen müssen, wir werden vielleicht noch lange beisammen sein. Lasse die Schalen nur von keiner fremden Hand öffnen.« Ich wollte hier fragen, doch sein freundlicher, aber ernster Blick legte mir Stillschweigen auf. Seltsam! dachte ich bei mir selbst, man kann in der Liebhaberei zum Wichtigtun doch auch zu weit gehen, offenbar hat ein Gericht Austern sehr wenig zu schaffen mit den Geheimnissen eines alten Mannes. Man sieht, ich war in die Jahre getreten, wo es für unsre Eitelkeit kränkend ist, wenn man unserm Geiste noch zu wenig Fassungskraft zutraut, um gewisse Dinge in ihrem Zusammenhang zu erfahren und zu durchschauen. Es sind die Jahre, in denen uns dasselbe unschuldige, geheimnisvolle Märchen herzlich zuwider ist, das kurze Zeit vorher uns hinriß und entzückte. Das wirkliche, das tüchtige Leben nahm mich in Anspruch, und da tat es mir in der Seele weh, daß der stille, gute Oheim so weit hinter mir zurückblieb, daß er meine großartigen Pläne nicht fassen konnte oder wollte. Er erschien mir öfters im Traum, welk, hinfällig, in dem braunen Röcklein, auf der Insel im Südmeer zusammengesunken, schlummernd, über seinem Haupte wehten die Palmen, Blumen sproßten um ihn her und küßten dem alten Mann wie fromme Kinder die Hände, die silbernen Wellen klangen wie ferne Wiegenlieder um das einsame Ufer, aber alles erschien vergelbt, ängstlich in Duft gehüllt, so weit vom frischen Leben entfernt, daß der Blick nur mit Trauer auf dem Bilde weilen mochte. Das einzige Band, was zwischen mir und dem Oheim so fest blieb, als es stets gewesen war, bestand in der Pflicht, ihm die Austernschalen zu öffnen, denn von diesem Geschäfte, das hatte ich ihm gelobt, sollte mich nur sein oder mein Tod freisprechen. Ich sollte bald freigesprochen werden.

Der Großoheim war heiterer als gewöhnlich, er hatte Pläne entworfen, wieder einmal nach langer Zeit aus dem Bezirk der Stadt, ja sogar des Landes sich hinauszubegeben. Es sollte eine kleine Reise zur See unternommen werden. In der Tat, ein kühner Gedanke für den alten, stillen Mann. Gewiß trieb ihn hierzu kein Eigennutz, auch nicht Veränderungssucht, sondern lediglich Teilnahme, herzliches Wohlwollen für mich Undankbaren, der ich mich schon so weit über den lieben Alten erhaben dünkte. Er wollte mich auf meiner ersten Ausflucht in die Welt begleiten, mit dem Schatze seiner Erfahrung mir zu Hilfe kommen. In dieser Aussicht fühlte er sich wohl und frisch. Nicht so ich, es quälte mich dieser seltsame Lebensmut, mich ängstigte diese träumerische Geschäftigkeit. Doch die Freunde, denen wir uns anschlossen, drangen heiter und tätig in den Alten, auf meine Gegenvorstellung wurde nicht geachtet, es sollte der Tag der Abreise bestimmt werden. Dazu war jedoch der Oheim nicht zu bewegen, er zögerte und zagte. Unterdessen wurden Anstalten zu einem kleinen Festmahl getroffen, die schönsten frischesten Austern waren angelangt, ich brachte die Schüssel nach alter Sitte herein, sie vor den Oheim setzend. Er ergriff meine Hand, mit ängstlich bewegter Stimme, was er den Gästen zu verbergen strebte, tat er die gewohnte Frage. Ich gab ihm, wie immer, die gewünschte Versicherung, da erhob er mit schneller freudiger Bewegung sein Glas, indem er rief: »Nun Freunde! Wenn denn alles schon fertig und gerüstet ist, so laßt uns morgen mit Gott unsere Reise antreten.« Die Genossen freuten sich nicht wenig, als sie diese Worte vernahmen, sie schlugen herzhaft in die dargebotene Rechte des Oheims, und Frohsinn und gute Laune wurden allgemein.

Nur ich konnte in die laute Heiterkeit nicht einstimmen, mein Gewissen war beladen, ich hatte zum erstenmal den guten Oheim belogen. Doch freilich, wer konnte wohl dem geringfügigen Umstande ein besonderes Gewicht zuschreiben? Bei Öffnung der verdammten Austern, die noch einmal in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielen, hatte ich allerdings etwas entdeckt, was nicht dahin zu gehören schien; nämlich in einer der Schalen fand ich statt der Auster eine glänzende dunkelrote Perle, die ich als guten Fund zu mir steckte und weiter nicht viel mehr daran dachte. Jetzt, da ich mich allein fand und mein Gewissen, wie gesagt, mir Vorwürfe machte, holte ich sie wieder hervor, und der Himmel weiß weshalb, sie erschien mir jetzt bedeutungsvoll und äußerst wichtig. Die Röte war mir besonders auffallend, ich hatte wohl von gefärbten Perlen gehört, doch von keiner, die eine so dunkle und entschiedene Farbe zeigte. Es mußte wohl gar ein kostbares Stück sein, und wer konnte mir über ihren Wert bessere Auskunft geben als der Oheim? Mit der geheimnisvollen Muschel in der Hand wollte ich wieder in das Zimmer treten, doch hielt mich ein unerklärliches Gefühl zurück, es waren die fröhlichen Blicke meines Oheims, sein lautes und heiteres Gespräch, was mich zurückbannte, und doch wußte ich nicht weshalb.

Der Abend ging dahin, es war schon ziemlich tief in die Nacht hinein, als ich nach ängstlichem Suchen endlich den Moment fand, meine Entdeckung mitzuteilen, und ich tat es mit den plötzlich ausgestoßenen Worten: »Oheim, ich habe in der Tat etwas gefunden, was nicht zu den Austern gehörte.« Er sah mich an, sichtlich erbleichten seine Züge, langsam und zitternd legte er die Dose auf den Tisch. »Was, mein Sohn, was hast du gefunden?« Ich zeigte, noch in der Schale befindlich, die geheimnisvolle Perle. Er wandte sein Antlitz schnell ab, seltsam zuckte es um die hohe Stirn, ein Streiflicht fiel auf Wange und Mund, sie waren krampfhaft verzogen, mit beiden Händen bedeckte er sein Haupt, und ich hörte ihn tief und aus voller Brust seufzen. Nach einer Pause winkte er mir, das Zimmer zu verlassen.

Am Morgen wußten es schon die Freunde, daß der Oheim nicht reisen werde, daß er krank geworden sein. Als er mich zu sich bescheiden ließ, fand ich ihn, wie ich gestern abend verlassen hatte, die Nacht war ihm schlaflos dahingegangen, vor ihm auf dem Tische lag noch die Muschel. Er winkte mich zu sich auf einen Stuhl und blickte, ehe er ein Wort sprach, mich lange an, seine Miene war, obwohl kummervoll und leidend, doch nicht abschreckend wie gestern: »Du wirst wohl wissen wollen, Wilhelm«, hob er endlich an, »weshalb ich meinen Willen hinsichtlich der Abreise so plötzlich geändert habe, denn mein Unwohlsein leiht für jetzt noch keinen hinreichenden Grund, doch wird es bald mit mir schlimmer werden. Ja, mein liebster Sohn, erschrick nicht, wenn du erfährst, daß wir uns bald auf immer trennen werden. Eine Stimme, die nicht täuschen kann, spricht zu mir durch diese Perle, sie verkündet mir meinen nahen Tod, und ich habe mich in Ergebung zu fassen gesucht, obgleich mich anfangs die Botschaft der fernen Freundin, da du mir sie gestern so unerwartet brachtest, nicht wenig außer Fassung brachte. Du warst der Zeuge meiner Schwäche, sei es jetzt meines Mutes und meiner Entschlossenheit, mit der ich dem Unvermeidlichen entgegengehe.«

Mit diesen Worten bat er mich, ein Buch, das er mir genau bezeichnete, aus der Bibliothek herüberzubringen. Es befand sich in einem für gewöhnlich sorgfältig verschlossenen Schränkchen und enthielt, da der Alte es öffnete, den Titel. »Der Wassergeister und Undinen Wesen und unterschiedliche Art sowie über deren Wohnung, Zusammenkünfte und besondere Hantierung, soweit solche zur Kenntnis gelangt.« Daß der seltsame Großoheim dergleichen seltsame Bücher haben mußte, war ganz in der Ordnung, ich verwunderte mich auch hierüber durchaus nicht, nur begriff ich nicht, welche Beziehung die Schrift zu der jetzigen Stunde, zu der vereitelten Abreise und endlich zu der Muschel mit der roten Perle haben könne. Während diese Gedanken sich bunt durcheinander in meinem Kopfe jagten, blätterte er in der alten Schrift, und ein wehmütiges Lächeln zuckte um seine Lippen, indem er die hie und da zerstreuten seltsamen Abbildungen aufschlug, wo Gestalten, halb Fisch-, halb Menschenleib, zwischendurch wunderbare Mädchenkörper, gehüllt in den goldenen Schleier ihrer märchenhaft üppigen Locken, sich im Gemisch von fabelhaften Meerblumen und Seekräutern zeigten. Der alte Autor, der das Werk mit undenklichem Fleiße zusammengestellt, war auf dem Titelblatte im Bilde zu schauen, und zwar in der Stellung, wie er auf einem einsamen Klippenriff kniend, umgeben von den überall auftauchenden Ungeheuern des Meeres, seine Hände im Gebet zu einer in den Wolken schwebenden heiligen Jungfrau emporhob.

»Wie haben sich doch unsere Väter«, begann der Oheim, »zwecklos abgemüht, jedwedes liebliches Wunder der Natur zu erklären, es in Form und Regeln zu bringen, und zwar in solche, die ihnen für ihre gewöhnlichen Lebensverhältnisse passend und geläufig waren. Täppisch zugreifend, zerbrachen sie dann die feinen Spiele, die zarten Dichtungen, mit denen sich alles Lebendige schmückt, wie der Schmetterling mit dem duftigen Farbenstaub, wie die reife Frucht mit dem zarten Schimmer. Hier ist nun in klägliche Fächer eingeteilt das freieste Geschlecht, das vielleicht aus den Händen der Schöpfung hervorging; unförmliche, abenteuerliche Gestalten sollen klar vors Auge bringen, was nur den entzückten und schwärmenden Sinnen in dem flüchtigsten Abbild erscheint, allein dann auch stets über alle Vorstellung hinaus seltsam und überraschend. Dennoch ist mir der alte Autor in seiner naiven Derbheit lieber als die kalte lieb- und glaubenlose Weise der neuern. Mein eigenes Leben, teurer Sohn, ist dir ein Zeugnis, wie wir trotz unserer Weisheit in bösen Krieg geraten können mit dem Reiche des Wunders und wie es uns öfters überwältigt und wir im Kampfe untergehen. Die Alten räumten in ihrer Kindlichkeit freundlich dem Märchen einen Platz ein neben ihren gewohnten Gebräuchen und Verrichtungen. Sie wußten wohl, sie konnten es nicht entbehren, dafür bewies sich ihnen nun das belebte Element nach seiner Weise erkenntlich, es liebkosete sie, und im Wasser sah ein Chor mutwilliger Zaubermädchen, aus den Wäldern kecke Faune dem einsamen Wandler entgegen. Bei uns ist es um vieles übler, wir können uns nicht so frei und unbefangen dem lieblichen Wunder ergeben. Wie seltsam muß einer sich heutzutage gebärden, der ins Wunderbare überzugehen sich entschlossen hat! Mit einer wohlgekräuselten Perücke, in einem nach neuen Mustern gemachten Rocke, mit Stock und Degen geht er seiner neuen Bestimmung entgegen, sein Herz klopft fieberhaft, er atmet ängstlich, denn in ihm lebt die ganze süße Schönheit seine Göttin. Dann aber fällt sein Blick auf Hut und Degen, auf Tabakdose und begleitendes Möpschen, und er erschrickt heftig, daß er in diesem Anzuge erscheinen müsse. Es wird laut in seiner Seele und die zwei Naturen geraten in Streit, der wohlangesehene Bürger der freien Reichsstadt, der nur an das glaubt, was Staat und Kirche verlangt, disputiert mit dem wunderlichen, kindlichen Märchenmenschen, der an alles glaubt, wovon Staat und Kirche sich nicht träumen lassen. Muß nicht der Arme, in diesem Zwiespalte begriffen, notwendig eine wunderliche Figur machen? Wie die grotesken Tänzer des Theaters auf der Rückseite ebenfalls eine zweite Vorseite zeigen, doch eine mit jugendlichem Antlitz in rosenfarbenem Kleide und süßer Miene, und abwechselnd dann in plötzlichen Sprüngen bald den alten steifen, bald den jungen beweglichen Mann zeigen, so gebärdet sich derjenige, welcher heutzutage dem Wunder anheimfällt. Doch genug des Vorworts, höre nun meine Geschichte selbst.

Erlasse mir die Beschreibung unseres Schiffbruchs, es ging so elend und entsetzlich her, wie du es bei der Aufzählung von ein Dutzend andern Schiffbrüchen schon zur Genüge wirst gelesen haben. Ein Teil der Mannschaft rettete sich kümmerlich auf Brettern, ein anderer ging mit dem überfüllten Boote unter, mich nahm ein mitleidiger Kamerad, ein tüchtiger Schwimmer, auf den Rücken, und es gelang uns, den Strand einer kleinen Insel zu erreichen, die in ziemlicher Entfernung uns entgegenwinkte. Sie schien unbewohnt, doch hatte sie ein freundliches, heiteres Ansehen. Wir gingen bald ans Geschäft, Früchte zu sammeln, verzehrten diese in gemeinschaftlicher Mahlzeit und wählten uns dann ein Lager aus, das, so gut die wenigen Mittel, die uns zu Gebot standen, es zuließen, unter Bäumen am Ufer aufgeschlagen ward. Ein armer Schiffbrüchiger, der sich in sein Schicksal ergeben hat, der dem Himmel für das nackte Leben dankt, das die Wellen ihm gelassen, braucht sich nicht vergebens nach Schlaf zu sehnen, wir schlummerten bald in das Land glücklicher Träume hinüber. Es mochte in der Mitte der Nacht sein, als ich plötzlich erwachte, in dem Bewußtsein, als riefe mich jemand. Sogleich richtete ich mich auf, mein Blick suchte den Gegenstand, den ich dicht vor meinem Lager wähnte, doch ich sah kein lebendes Wesen. Alles um mich her war still und im herrlichsten Mondglanze leuchtend. Nie hatte ich noch eine so wundersam herrliche Nacht erlebt. Ein weißer Schimmer lag über dem Meere, das in seiner klaren Stille sich endlos vor mir ausbreitete, vom Silberglanz überschüttet, standen die Blumen des Ufers, und leise wankten ihre Kelche zu der flüsternden Musik der nahen Wellen. Über meinem Haupte standen die breiten Fächer der Palmen unbeweglich still, nur hin und wieder schwankten sie, und die dunkeln Blätter glänzten im Monde.

Wie ich so saß und um mich schaute, überfiel mich eine unendliche Wehmut; Gefühle, wie ich sie noch nie gekannt, zogen durch mein Inneres, Furcht und Hoffnung, irdisches Verlangen und sterblicher Reiz verschwanden aus meinem Herzen, und ein so seliger Friede nahm darin Platz, daß ich, auf meine Hand gestützt, weinen mußte, so innig weinen, wie ich in meinen Kindertagen geweint hatte. Als ich mein Haupt wieder aufrichtete, befremdete es mich nicht, eine Frauengestalt nicht weit von mir auf einem Ufersteine sitzen und den Blick ihrer dunkeln Augen auf mich richten zu sehen. Als sie merkte, daß ich ihre Gestalt und ihr Wesen aufmerksamer betrachtete, begann sie mit süßer Stimme zu singen und löste so herrliche Klänge aus bewegter Brust, daß meine Wehmut und mein Entzücken stieg, und ich in einen Zustand geriet, wo ich mein ganzes früheres Leben, ja die Welt um mich her vergaß und wo es mir dünkte, als zöge ich mit weichem, vollem Flügelschlage über das Meer dahin und mein Auge erschaute in Höhe und Tiefe alle lieblichen Wunder, die in der Welt verborgen waren. Dazu klangen immer die hellen Töne, die bezaubernden Weisen meiner Gefährtin. Als ich von dem träumerischen Zuge heimkehrte, ruhte mein Haupt am Busen des schönen Weibes, ihr Auge senkte sich in das meine, wie ein helles Silbergewölk flog ihr Schleier und hüllte uns ein, so daß der Mond nur verstohlen unsere Wangen küßte. Um uns dufteten die Blumen, und die Palmenblätter wehten. Ach! Ich fühlte tief, ich war von allem Leid genesen.«

Der Oheim hielt inne und fügte dann mit leiser Stimme hinzu: »Diese war nun eine Meerfee, eine Undine, wie sie der weitläufige und gelehrte Autor hier nennt, und ich hielt diese Meerfee umarmt, ich trank aus ihren Mondscheinaugen das Gift einer träumerischen Liebe, die die Welt nicht begreift und achtet.« Ich sah den Oheim verwundert an, er erwiderte diesen Blick mit einem wehmütigen Lächeln. »Gestehe es offen«, rief er, »du findest, daß ich krank und verwirrt spreche, du siehst einen alten Mann vor dir, der mit gebrochenem Auge und stammelnder Zunge von einer wunderlichen Liebschaft seiner Jugend berichtet. Wer möchte sie ihm glauben? Und dennoch, mein Sohn, war es so; doch denke dir, daß damals unter den Palmen am Strande der einsamen Insel ein blühender Jüngling lag, nicht ein alter schwacher Greis, daß in dem Herzen dieses Jünglings heißes Blut pulsierte und in seinem Kopfe alle Träume einer überirdischen Liebe schwärmten. Ist denn nun in diesem Alter, wo uns das Wunder nahesteht, eine Liebschaft, wie die meine war, so unbegreiflich? – O gewiß nicht! Denke dir eine schöne Fürstin, die einen blonden Schäferknaben liebt, die seine süße Jugend zu sich auf die Höhe des Throns zieht. Ist hier nicht auch unbegreifliches Wunder? Und dennoch ist es geschehen, wie uns die Geschichten der alten Welt beweisen.«

Ich senkte den Blick zu Boden, ich erwiderte den warmen Druck der Hand des Oheims, und dieser fuhr fort: »Meine holde Liebschaft erzählte mir, während mehrerer Nächte, in welchen sie zu mir kam und wir am Strande beim Mondglanze beisammensaßen, vieles und mancherlei von dem wunderbaren Reiche, das sie bewohnte. Ich verstand, was sie sprach, obgleich es nicht die gewohnten Worte waren, die wir miteinander zu wechseln pflegen, ja, ich verstand sogar die geheimnisvollen Gesetze und Einrichtungen in dem Reiche meiner Geliebten, und ich fand sie ganz zureichend und zweckmäßig. Damals, mein Sohn, wußte ich besser Bescheid in dem Wasserstaate der Undinen als bei den Wechseltischen der Börse. Ja, mir erschien öfters das gewöhnliche, schale Alltagsleben märchenhaft und wunderbar, so sehr hatte meine stille, süße Geliebte mich schon eingeweiht in die Angelegenheiten ihrer Erblande. ›Ich sah dich schon lange kommen‹, setzte sie ihr zärtliches Geplauder fort, ›du standst am Bord des mächtigen Schiffes, das nun dort zertrümmert liegt. Mein Auge, dir unsichtbar unter der Wasserfläche, suchte ängstlich das deinige. Wie gerne hätte ich diese sorglose Miene von deinem Antlitz verwischt, denn ich wußte, daß die Gefahr dir unabwendbar und nahe war. Um deine Genossen bekümmerte ich mich nicht viel, sie waren mir gleichgültig, deine Gestalt, dein Blick hatten aber einen tiefen Eindruck auf meine sonst so bewegliche und kühle Wasserseele gemacht. Fürchtend und zagend schwamm ich euch nach und sah endlich die Klippe deutlich vor mir aus dem Grunde ragen, an der euer Schiff bersten sollte. Um die schwarze Felsenwand herum lagerten die neidischen Vettern und Muhmen, die mit boshaften Mienen den Todesstoß abwarteten. Ich konnte nicht in ihre kalten, höhnenden Gesichter sehen, noch weniger wollte ich dabeisein, wenn das unglückliche Schiff strandete. Ängstlich floh ich daher und barg mich, in meinen Schleier gehüllt, in einer einsamen Bucht dieser Insel. Das schreckbare Ereignis ging vor sich, und bald darauf sah ich dich, Geliebter, mit deinem Gefährten an meine Insel heranschwimmen. Wer fühlte sich jetzt wohl glücklicher als ich! Kaum erlaubte mir meine Ungeduld, die Stunde des Mondaufganges zu erwarten, um dich auf meiner Insel willkommen zu heißen. Du wirst nun wissen wollen, weshalb meine Verwandten zu eurem Untergange mit beitrugen, du wirst sie darum boshaft und tückisch schelten, und vielleicht fällt ein Teil dieser Mißbilligung auch wohl auf mich, und das könnte mich bitter schmerzen, da ich sie nicht verdiente. Auch die Verwandten verdienen sie nicht, weil sie nichts Schlimmeres taten, als ihr Haus und Hof schützen, was ihr auch getan haben würdet, wenn übermächtige Feinde beides zu vernichten drohten.

Eine meiner Muhmen besitzt nicht weit von dieser Insel eine äußerst kostbare Perlenbank, die sie wie den Apfel ihres Auges hütet. Diese kostbare Bank ward nun gefährdet durch euer Schiff, das gerade seinen Lauf auf sie zu nahm. Die Muhme eilte in der äußersten Bestürzung zu mehreren Vettern und Basen, es gelang ihr, die Verwandtschaft in Aufruhr zu bringen, und nun zog der ganze Schwarm eurem Schiffe entgegen, um es unvermerkt von der Perlenbank abzulenken. Doch es gelang nicht, euer Steuermann war zu gewiß seiner Sache und seinem Amte vollkommen gewachsen, unverwandt blickte er auf die Magnetnadel, steuerte immer geradezu, und so schwamm das Schiff immer näher und näher an die Perlenbank heran. Die Muhme befand sich in äußerster Gefahr, sie besann sich nicht lange und griff schnell zu einem verzweifelten Mittel. Schon seit geraumer Zeit hatte ihr ein mächtiger, aber tückischer und äußerst übelgestalteter Nix den Hof gemacht. Er war der Fürst eines ungeheuern Austernfelsens und trachtete nach dem Besitz der Muhme wohl nur aus eigennützigen Absichten, um ihr Vermögen an sich zu reißen und die Perlenbank mit seinem Austernfelsen zu vereinigen. Wenngleich diese Absichten ziemlich klar am Tage lagen, so war doch jetzt keine Zeit, darüber viel nachzudenken. Zur Genüge war bekannt, wie mächtig der Austernfürst war. Sich ihm vertrauen, seine Hilfe anrufen war also das einzige Mittel, die drohende Gefahr abzuwenden. Auf den leisen Ruf meiner Muhme kam er auch sogleich aus der Tiefe heraufgebraust, ein Heer häßlicher, schwarzer Dämonen folgte ihm, sie legten alle Hand ans Werk, und alsbald war das Schiff aus seiner Bahn gebracht und lief nun gegen die Klippe an, wie es der tückische Wille des Nixen veranstaltet hatte.‹

›Siehst du, mein Geliebter!‹ fuhr meine Freundin fort, ›hat euch ein Unglück betroffen, seid ihr um Hab und Gut gekommen, so sind andere Leute eben auch nicht glücklich gewesen. Rechne vor allen Dingen dahin das Schicksal meiner armen Muhme, die sich jetzt dem Austernfürsten vermählt hat und in der Gefangenschaft dieses Rohen schmachtet. Welche Freude kann ihr wohl in dieser Ehe blühen? Und dennoch, soweit ich sie kenne, segnet sie ihr Geschick, weil es ihr doch nun gelungen ist, ihre kostbaren Perlen vor Untergang und Zertrümmerung zu retten. Freilich muß sie sich jetzt stellen, als empfinde sie Anteil und Freude an den Beschäftigungen ihres Mannes, notgedrungen muß sie sich bekanntmachen mit dem Leben, Gedeihen und den Einrichtungen des Austernstaates, obgleich ihr diese harten, schmutzigen, widrigen Schalen mit ihrem noch widrigeren Inhalt von jeher gehässig gewesen sind. Und in der Tat, ich begreife auch durchaus nicht, welch ein seltsames Gelüste euch Menschen immer und immer wieder nach dem Besitz dieser Geschöpfe treibt. Sie ermangeln so völlig aller Schönheit, und die Ähnlichkeit, die sie sich äußerlich mit der herrlichen Perlenmuschel anzulegen wissen, macht sie doppelt unleidlich. Im Grunde fühlt ihr auch den Mangel, ohne es euch eingestehen zu wollen, denn sucht ihr nicht, bevor ihr es genießt, dem elenden Wesen auf alle Weise nachzuhelfen, bald durch Zitronensäure, bald durch besonders würzigen Wein? Es muß also wohl mit der gerühmten Herrlichkeit doch nicht so weit her sein.‹

›Doch gleichviel‹, fuhr meine Freundin fort, ›uns, die wir ganz andere, geistigere Dinge zu unserer Nahrung wählen, steht kein Urteil über diese Dinge zu, ja, es könnte leicht sein, daß wir gerade diesen gehässigen Schalen eine besondere Verpflichtung schuldig würden; denn die fortwährende Pflege und Hütung, deren sie bedürfen, könnte leicht den Austernfürsten dergestalt in Tätigkeit halten, daß er weder meiner Muhme noch der Verwandtschaft viel zur Last fällt. Ich habe ein halbes Jahr ganz in der Nähe des Treibens gewohnt und weiß daher ziemlich umständlich, wie es dabei zugeht. Unaufhörlich sind eine Menge Diener und Gesellen beschäftigt, Tag und Nacht hindurch schwimmen sie um den Felsen, und die überallhin verteilten Aufseher sind unermüdlich, Ordnung und Tätigkeit stets wach zu erhalten. Eine ganze Abteilung der Arbeiter hat das Geschäft, die Zellen in den Felsen zu höhlen, andere pappen und leimen unaufhörlich, um die Anzahl von Schalen zustande zu bringen, wieder andere bringen die jungen Austern nachts an den Strahl des Mondes, daß sie Kräfte sammeln und gedeihen mögen, eine ganze Schar kleiner Geister kriecht auf dem Boden des Meeres herum, um die zartesten Meertierchen aufzulesen zur Speise für ihre Pflegebefohlen. Unterdessen nehmen andere fürchterliche Ungestalten an, um die gefräßigen Raubfische vom Felsen wegzuscheuchen. Die gutwilligsten und erfahrensten Geister sind jedoch dazu bestimmt, mit den jungen Austern Reisen zu unternehmen, daß auch die Kraft und Fülle fremder Meere in ihr Wesen übergehen und es bilden. In der Tat, sollte man wohl meinen, daß so viele Anstalten zur Bildung und Erziehung von Geschöpfen nötig wären, die doch nur eine höchst niedrige Staffel auf der Leiter der Kreaturen einnehmen? Ich muß gestehen, daß meine Muhme und ihre Dienerinnen auf die Pflege der Perlen kaum so viel Sorgfalt und Bemühungen anwenden, und dennoch, welch ein Unterschied zwischen dem leuchtenden, holdseligen Perlenauge, das in dem Diadem einer schönen Fürstentochter glänzt, und der dumpfen Auster, deren ganze Bestimmung ist, einen augenblicklichen Kitzel auf den Gaumen verächtlicher Leckermäuler auszuüben!‹«

Der Oheim hatte diese Worte mit dem ihm eigentümlichen gutmütigen Lächeln gesprochen. »Ich führe sie dir an«, sagte er nach einer kleinen Pause, »zum Beweise wie ich mit meiner schönen, geheimnisvollen Freundin nicht nur wundersame Liebesgespräche, bunte und phantastische Traumreden hielt, sondern wie ihr lieblicher Mund auch nach menschlicher Weise mit mir zu scherzen pflegte und wie es ihr gefiel, die Wunder ihres herrlichen Reiches in die mir schon geläufigen Bilder und Vergleiche zu kleiden. Indessen leuchtet schon, ohne daß ich es anzudeuten brauche, der Irrtum hervor, in welchem meine zarte Geliebte in Hinsicht der Eigenschaften der Auster sich befand. Sie teilte ihn mit mehreren vornehmen und weichlichen Damen unserer Gesellschaft, die auch nichts von diesem köstlichen Juwel einer gutbesetzten Tafel wissen wollen, sondern in schnöder Übertreibung es zum Geschlechte der Spinnen, Käfer und sonstigem widrigen Geschmeiße zählen und hiermit mit Abscheu verwerfen. Unser Streit über diesen Gegenstand war so kurzweilig und anmutig und erwuchs zu einer so lieblichen Wichtigkeit, wie jede Kleinigkeit anzunehmen pflegt, die unter zwei Liebenden zur Sprache kommt. Doch ich vergesse, daß während ich hier im Lande des Märchens lebte, die Zeit darum in der Außenwelt nicht stille stand.

Es wurde mir und meinem Gefährten bange ums Herz, da ein Tag nach dem andern, eine Woche nach der andern verging und sich immer kein Retter an dem Strande unserer einsamen Insel zeigen wollte. Zwar fehlte uns nichts als die Freiheit, doch diese ist ein unentbehrlicher Schatz. Mein Gefährte, dem keine so holde Trösterin wie mir allnächtlich erschien, fühlte sich besonders unglücklich. Endlich gelang es der Wachsamkeit meiner Freundin, mir eine erfreuliche Botschaft zu bringen. Sie hatte in weiter Ferne ein Schiff entdeckt und berichtete, daß es seinen Lauf auf unsere Insel nehme. Als sie mein freudiges Erstaunen bei dieser Nachricht sah, verhüllte sie ihr Antlitz und vergoß häufige Tränen. Ach, ich hatte nicht bedacht, daß unsere Trennungsstunde jetzt notwendig schlagen müsse. Der Gedanke, sowie er plötzlich sich meiner bemächtigte, drückte alle Freude nieder, mir erschien jetzt nichts wünschenswerter, als mein ganzes Leben hindurch allein mit der Geliebten die schöne Insel zu bewohnen, dereinst unter den Palmen mein Grab zu finden und dergestalt nie Europa und die meiner dort wartenden, engherzigen und beschränkten Freunde wiederzusehen. Dann, dachte ich bei mir selbst, endigt sich dein Leben vollkommen wunderbar und heilig, es kommt kein possenhafter Schluß darauf, der alles vernichtet. Du hast nicht nötig, deine Seele zu zwingen, daß sie vergesse, wie es ihr einst vergönnt gewesen, aus dem lautern Quell der schönsten Dichtung zu schlürfen. Diese und ähnliche Gefühle bestürmten mein Inneres in der Nacht vor meinem Scheiden, ich verbarg mich in das Dickicht der Gebüsche, ich wollte das rettende Schiff nicht sehen, das immer näher an die Insel herankam, mein Auge schwamm in Tränen, mein Busen war aufs heftigste bewegt. Doch war die Lenkung der Umstände nicht mehr in meine Macht gegeben, mein Gefährte hatte bereits sein möglichstes getan, die fremden Schiffer anzulocken. Es war ihm gelungen, ein Boot kam heran, man forschte nach mir, und ich mußte nun aus meinem in der Verzweiflung gewählten Versteck hervortreten. Damals, geliebter Sohn, in dem Schmerz der Trennung drohte meine Herz zu brechen, drei Tage hindurch kam keine Nahrung über meine Lippen, unaufhörlich starrte ich, über den Bord gelehnt, in die klaren Wellen, so daß die Schiffsleute mich für geisteskrank hielten. Allein, ich konnte nicht anders, denn nur mir sichtbar zeigte sich unter der Kristalldecke das Antlitz der Geliebten. Sie wollte mich nicht verlassen, und dennoch mußte sie zurückbleiben, als das Schiff immer höher nach Norden steuerte.«

Bis hierher war der Oheim in seiner Erzählung gelangt, und ich hatte noch immer keine Auskunft wegen der Perle erhalten, wußte noch immer nicht, weshalb die Abreise hatte aufgegeben werden müssen. Der gute Alte, versenkt in so seltsame, liebliche Jugenderinnerungen, schien jede Forderung der Außenwelt vergessen zu haben. Endlich sah er meinen fragenden Blicken das Unbefriedigende seiner Erzählung an, er nahm daher wieder das Wort, indem er mit einer wehmütigen Miene sagte: »So gehörst du denn auch, lieber Sohn, zu den mir oft recht unbequemen Leuten, die auf Erklärungen und Nachweisungen dringen und die nicht eher sich zufrieden geben, als bis sie zu einer sogenannten handgreiflichen Gewißheit gelangt sind! Siehe, ich meinte, du hättest schon mit mir Platz und Stimme im Reiche des Wunders genommen, so daß es dich durchaus nicht befremdet, wenn ich nun das Allerseltsamste folgen ließe oder wohl gar die Türe sich öffnete und sie selbst, die fremdartig schöne Geliebte meiner Jugend, gehüllt in ihren wasserblauen Schleier, hereingerauscht käme. Allein, ich sehe, du wirst nicht in meine Fußstapfen treten, und das ist denn auch wohlgetan von dir. Werde mit Leib und Seele ein tüchtiger Kaufmann, mache Dir, soviel du vermagst, die Erde untertan, daß sie dir ihr verborgenes Gold und ihre Gewürze ausliefern muß. Weiter jedoch bekümmere Dich nicht um ihr nächtliches Schaffen und Treiben, denke, wenn du ein schmackhaftes Gericht Austern verzehrst, weder an den hochmütigen Austernfürsten, noch an die Muhme mit der Perlenbank, sondern iß und trink und grüble nicht, so wirst du lange leben und dich wohl befinden auf Erden. Die Austern erinnern mich jedoch an den Schluß meiner Geschichte.

Als ich auf der Insel im Südmeer von meiner Geliebten Abschied nahm, hatte ich sie vergeblich zu bewegen gesucht, in mein Vaterland zu kommen. ›Fordere nicht von mir‹, erwiderte sie mit sanfter Stimme, ›daß ich meine Heimat verlasse. Es würde dir und mir nur Schmerz und Kummer bringen. Es ist uns zwar nicht verboten, die nordischen Meere aufzusuchen, doch bebt unser Herz zurück vor einer so langen Reise, und unsere zarte Natur entsetzt sich, wenn sie an die eisigen Stürme denkt, die dort die Oberfläche des freundlichen Elements furchen und es wenig geschickt zu einem behaglichen Aufenthalte machen. Die Schwestern, die dort wohnen, sind härterer Natur. Dennoch wird nicht jedes Band zwischen uns gelöst sein. Der Gemahl meiner Muhme schickt, wie ich gewiß weiß, jährlich eine große Anzahl seiner Diener gen Norden, um sich mit seinen dortigen Genossen in steter Verbindung zu erhalten. Einem dieser Gesellen, der noch dazu ein Verwandter und von gutmütiger Gesinnung ist, will ich mich vertrauen und ihm dann Aufträge mitgeben, die dir mein Andenken und meine Liebe verbürgen sollen. Er hat, wie seine Brüder, die Gabe, verschiedene Gestalten anzunehmen, und da er überdies schlau und erfahren ist, so wird es ihm ohne Zweifel gelingen, seine Aufträge sicher an den Mann zu bringen.‹ Ich nahm diese Versprechungen für wenig mehr als leere Tröstung, doch hat die Gute Wort gehalten; in meiner Nachlassenschaft wirst du, lieber Sohn, eine Anzahl Perlen und Korallen von seltener Schönheit finden, die ich auf einem geheimnisvollen Wege erhalten habe. So ist auch ihr letztes Geschenk, die so gefürchtete rote Perle, nicht ausgeblieben. Durch dieses Zeichen versprach sie mir kundzutun, wenn der Augenblick meines Todes nahe sei, ihrem Auge war er nicht verborgen. Wohl mir, ich darf diese bange Stunde mit Ruhe erwarten, mein Leben ist nicht belastet mit finstern Taten, ich habe immerdar zu den unschuldigen Wesen gehört, die nur verstehen, sich selbst wehe zu tun. Schmerzen der Art habe ich reichlich zu dulden gehabt, nie aber habe ich andern welche bereitet, noch sie in den beschlossenen Schrein meines Busens schauen lassen. Dir allein, mein Sohn, sind Blicke gestattet worden, und ich wünsche, daß du sie nicht mißbrauchen mögest. Da ich einmal in meinem Leben so über alle Maßen herrlich und wundersam geliebt habe, so ist mir später das Gefühl, das wir Liebe und Schwärmerei nennen, nur kalt und dürftig erschienen, ich habe nie meine Hand einem irdischen Mädchen reichen mögen, da ich unmöglich ihre Hoffnungen und Wünsche hätte befriedigen können. Auch wäre mir ein solcher Bund als eine schwere Untreue gegen meine schöne Inselkönigin erschienen. Dieses, mein Sohn, ist nun die Geschichte der roten Perle und meines Lebens.«

Hiermit schloß der gute Großoheim die Erzählung der abenteuerlichen Epoche seiner Biographie. Wir saßen nebeneinander, und eine lange Pause folgte. Es war wohl natürlich, daß ich dem ehrwürdigen Alten den Glauben an die üble Prophezeiung der roten Perle auszureden suchte, doch all meine Mühe war vergeblich. Er blieb dabei, daß er jetzt notwendig sterben müsse, und er starb auch wirklich. Keinem seiner Freunde erschien sein Tod besonders unerwartet, ein stiller Mann war nur noch stiller geworden, weiter wußte man bei diesem Vorfalle nichts zu sagen. Mir jedoch, der mehr als die andern wußte, mir ging die Geschichte mit der Insel im Südmeer, mit den Palmbäumen und der Meerfee lange Zeit im Kopf umher, und noch länger blieb mir das Antlitz des Großoheims erinnerlich, wie er im Tode dalag, und nun deutlicher als jemals »die Märchenmiene« aus den blassen Zügen hervorleuchtete. Was übrigens mich und mein Schicksal betrifft, so hatte der Alte es richtig vorhergesagt. Sooft ich auch Fahrten in ferne Meere getan, auf diesen manche schöne Insel mit Palmbäumen erschaut, so hat sich mir doch keine Meerfee gezeigt, kein Elementargeist, weder aus Feuer, Luft noch Wasser ist mir nahegekommen; dagegen aber hat sich mir ein schöner irdischer Mädchenengel zu eigen gegeben, in dessen süßer Zuneigung ich auch die Bekanntschaft jener nicht vermißt habe. In unsern Gesprächen geht aber oft wie ein fernes Geistergrüßen die Sage von der roten Perle vorüber, und dann tritt der gute Großoheim als Jüngling vor uns, an seiner Hand eine Gestalt, die wir nicht zart, duftig und schön genug ausmalen können. Wohl dem, dessen Bild seines Nachkommen stets an der Hand einer holden Dichtung erscheint!


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